Kitabı oku: «Die Eucharistie als Opfer der Kirche», sayfa 8
4.2 Theologische Prämissen und Normativität des Urchristentums
Nachdem wir kurz drei theologische Zeitgenossen Casels benannt haben, zeigt sich, dass man durchaus vom Aufkommen einer neuen Denkform sprechen kann, die mit dem Anspruch aufwartet, die Fragen der Zeit anzugehen. Casel selbst will ein radikal erneuertes Denken in der Theologie einführen, das dennoch keinen Bruch mit der Tradition der Kirche darstellen soll. Sein Anliegen ist es, eine Korrektur der Themen und ihrer Lösungen herbeizuführen, die seiner Auffassung nach über die Jahrhunderte hinweg verzeichnet worden sind, womit in erster Linie die scholastische und neuscholastische Theologie gemeint ist. Er will so zu einer gesteigerten Treue zu den Wurzeln des Christentums gelangen, um die Bedeutung des Christentums in der kritischen Epoche des 20. Jahrhunderts herauszustellen und prägnant christliches Sein und Wesen profilieren. Sein Ansatz basiert dabei auf radikaler Christozentrik. Diese Fokussierung auf Christus, als schlechthin das Wesentliche des Christentums, hat im Hintergrund zugleich einen starken Blick auf eine christliche Anthropologie. Casels Suchen gilt dem Bleibenden bzw. der Erneuerung christlicher Identität. Die Scholastik und Neuscholastik wirken für ihn abstrakt und lebensfeindlich. Seine Welt ist dagegen die praktische Wissenschaft der Christusbegegnung in der Liturgie, die er nicht systematisch darlegen will. Vielmehr geht es ihm um die Person Christi selbst, um diese Person für den Menschen und die Grundbestimmung des Christseins zu erschließen.244
Das Zurückkehren zu einem ganzheitlichen Verständnis der Theologie besteht für Casel auch darin, die nachtridentinischen Messopfertheorien zu verwerfen.245 Die theologische Strömung am Beginn des 20. Jahrhunderts richtet den Blick zurück zur altchristlichen Theologie und geht einher mit einer allgemeinen Vorliebe für die antike Art der Weltbetrachtung. Hier liegt ein Fundamentpunkt Caselscher Theologie: die normative Kraft des Anfangs inklusive der patristischen Zeit, denn gerade diese Anfänge zeigen eine Wertschätzung antiken Denkens. Das Urchristentum erhält bei Casel Normativität, der die nachfolgenden christlichen Jahrhunderte zu genügen haben. Sein Maßstab und seine Norm sind und bleiben fortan das patristische bzw. das antike Denken. Germanentum und gotische Zeit setzt er hingegen mit einem Identitätsverlust für das Christentum gleich. Der christliche Ursprung besitzt wegen seiner Freiheit von Weltgeschichte, die Casel als Belastung des christlichen Glaubens wahrnimmt, diese normative Funktion. Das Urchristentum ist sozusagen der Prüfstein für Casel, wie Schilson schreibt, auf dem die spätere Theologie erst bestehen muss, wenn auch sie Geltung haben soll. Das Urchristentum wird frei von Kontingenz gesehen und ist zugleich unmittelbar dem Offenbarungsereignis Gottes in Christus nahe, was dem Anfang weitere theologische Dignität zusteht. Schilson weist daraufhin, dass es sehr problematisch ist, dass Casel späteren epochalen Denkformen jedwede Würdigung verweigert, zumal dies zwangsläufig Konsequenzen für spätere Prägungen und Erkenntnisse hat. Die Welt bzw. Weltgeschichte bedroht im Denken Casels geradezu das Christentum und wird nicht als dessen positive Herausforderung verstanden.246
Wie geht Casel nun mit den Vätertexten um, wenn sie solche Normativität zugestanden bekommen? Es zeigt sich, dass Casels Lesart der Vätertexte seine Kritiker auf den Plan ruft. Ein Vorwurf (z.B. Betz) richtet sich gegen die ungenaue und unsaubere Exegese der Texte, da sie die Gefahr sehen, dass Casel die Aussagen der Väter in die eigene Lesart einebnet.247 Casels Anliegen ist es, eine Wiederbelebung der ganzheitlich-pneumatischen Denkweise der Kirchenväter zu erreichen und zu propagieren, d.h. die Rede aus Gott über Gott neu zu beleben. Dabei weist er modernen wissenschaftlichen Methoden lediglich dienende Funktion zu. Jedoch will er keine unreflektierte Hinüberrettung patristischer Vorgehensweise vertreten, sondern vielmehr innere Wesensmerkmale stärker beleuchten, die dem Wandel theologischen Forschens standgehalten haben. So wird ein ganzheitlichbildhaftes Denken proklamiert. Casel fordert eine Gnosis248, im Sinne von Erfassen durch theologische Einsicht, mit dem Ziel in die Glaubenswahrheiten einzutauchen. Er will folglich eine Theologie betreiben, die durch Rückkehr zu den Vätern als eine Synthese aus Theologie und Wissenschaft verstanden wird und ganz unter der Führung des göttlichen Pneumas geschieht. Dieser Ansatz eröffnet für Casel zugleich eine ökumenische Perspektive in Richtung der orthodoxen Christenheit.249 Damit haben wir zwei weitere grundsätzliche Merkmale in Casels Ansatz genannt. Gnosis durch theologische Einsicht mit dem Ziel, die Glaubenswahrheiten zu durchdringen, und die Führung durch das göttliche Pneuma. Zunächst blicken wir auf das Caselsche Gnosis-Verständnis, dass nicht zu verwechseln ist mit dem Gnostizismus des Frühchristentums. Die mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Hinwendung zur Antike, die wir schon erwähnten, lässt Casel in Antike und christlicher Offenbarung die objektive Form und Norm erkennen, die seinem Denken die Richtung weist. Hinzutritt seine Vorliebe für die antike Formensprache. So folgert er, weil Gott die antike Form für die Offenbarung wählte, muss sie natürliche Vollkommenheit besitzen, die alle späteren Geisteshaltungen übertrifft.250 Casels Vorlieben für die Kirchenväter, ihr Denken und den traditionellen Wortlaut lenken sein Forschen schließlich auf die hellenistischen Mysterienreligionen. Daher ähnelt sein Ansatz dem der altkirchlichen Theologie der Gnosis, im Sinn von Erkennen durch Einsicht, nicht im Sinn von Wissen um göttliche Geheimnisse. D.h., dass sich sein Ansatz vom Inhalt her definiert, also mit der Gnosis ganz im Sinne der alexandrinischen Schule zu verstehen ist. Die kultische Praxis bildet die Grundlage für Casel, seine Theologie zu erarbeiten. Die Sprache der Liturgie und die Aussagen der Kirchenväter zur Eucharistie will er in seiner theologischen Denkweise phänomenologisch auslegen und erläutern.251 Um zu verdeutlichen, in welcher Weise der Begriff Gnosis verstanden werden soll, können wir mit Renate Winkelmann-Jahn sagen:
„Die Väter, auf deren Schriften Casel zurückgreift, verstehen unter Gnosis gottgeschenktes Wissen, das Inhalt des Glaubens ist. Mithin ist sie jedem Getauften grundsätzlich als lebenslange Aufgabe der Entfaltung, Vertiefung, Umsetzung im personalen Lebensvollzug gegeben. Gnosis entspricht angesichts der göttlichen Selbstoffenbarung in Christus dem prinzipiellen Ich-denke-etwas, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss, der Kantischen Analyse … Gnosis meint … Innewerden als Bewusstwerden der umfänglichsten, keinen menschlichen Vollzug, mithin auch keine Wissenschaft ausschließenden Erhebung des relativen Ich zum absoluten Ich des Dreieinigen Gottes als participatio am innergöttlichen Liebesvollzug selbst … Im Unterschied zur Philosophie und Psychologie als Wissenschaften vom Menschen ist diese Gnosis vom endgültigen Heil in Christus jedem, auch den Kleinen und Geringen, sogar mit Vorzug den Armen im Geiste zugänglich. Voraussetzung ist nur das stete Hinschauen auf Christus … “252
Renate Winkelmann-Jahn führt uns hier mit ihrem Gedankengang nochmals zum eigentlich zentralsten Punkt Caselscher Theologie, nämlich der radikalen Christologie.
Diese radikale Christologie Casels, die zugleich ausgezeichnet ist durch die pneumatologische Rückbindung und die trinitarische Prägung. Der oft von Casel verwendetet Begriff „Pneuma“ erhält erst im Zusammenhang mit der Trinität seine Definition. Dieses Pneuma setzt Casel mit dem göttlichen Wesen, dem (inner-)göttlichen Leben, gleich, ja mit der einen dreipersönlichen Substanz Gottes. Im Pneuma offenbart sich das in sich selbst plurale göttliche Wesen als eins.253
M.J. Krahe schreibt in diesem Zusammenhang zu Casels Studien:
„Wer Pneuma sagt, sofern es sich auf Gott und seine innerste Lebensfülle bezieht, der rührt an Gottes tiefstes, verborgenes Wesen, das sich sowohl als schöpferische unendliche Kraft und Macht offenbart, als auch als unendliche dreipersönliche Liebesfülle … Der anscheinend ungenaue Wortgebrauch von Pneuma – schon im Hinblick auf den innertrinitarischen Bereich – dürfte daher bei Casel darauf verweisen, dass Gottes Sein zugleich sein Wirken ist … Dreifaltiges, in der Liebe sich verschenkendes Leben ist sein Sein … Pneuma Gottes und Heiliger Geist im Sinne der dritten Person der Trinität dürfen nach Casel … nicht allzu sehr voneinander geschieden werden.“254
In Casels Theologie ist Pneumatologie und Christologie nie voneinander abzugrenzen. Der zentrale Satz für das Verhältnis von Pneuma und Christus entnimmt Casel dazu dem zweiten Korintherbrief 3,17 und fügt damit der exegetischen Vielfalt zum paulinischen Satz „Der Herr ist zum Geist geworden“ seine eigene Auslegung hinzu. Diese zielt auf die Mysteriengegenwart Christi in den Kultmysterien der Kirche ab, insbesondere in dem der Eucharistie und zeichnet so eine Christologie „von oben“, was der radikalen Christozentrik einen weiteren Argumentationsrahmen bietet. Der für Casel zum Kernsatz gewordene Hinweis des zweiten Korintherbriefes bietet ihm die Grundlage dafür, um zwischen dem Christus des Glaubens und dem Christus der Geschichte die Brücke zu bauen und den soteriologischen Aspekt einzuschließen. Dennoch gerät dies in eine zweifache Schieflage. Zum einen erhält der Christus aeternus eine große Betonung und zum anderen wird der historische Jesus nur gemäß seiner Heilsbedeutung betrachtet.255
Wir sind hier nun auf der nächsten thematischen Stufe der Theologie Casels angelangt. Unter den Stichwörtern: Mysteriengegenwart Christi und Kultmysterien der Kirche müssen wir uns eingehender mit der analogen Herleitung des christlichen Mysteriums aus den antiken Mysterienkulten durch Casel befassen.
4.3 Casel und die Mysterienreligionen
Oftmals sind die Untersuchungen Casels zu den hellenistischen Mysterienreligionen, weil eine Grundlage seiner Theologie, zugleich einer der Hauptkritikpunkte seiner Gegner. Schilson zeigt, dass diese Kritik jedoch unberechtigt ist, da die hellenistischen Mysterienreligionen gar nicht den so hoch angesetzten Stellenwert besitzen.256 Im Verlauf seiner Forschung gelangt Casel vielmehr zu einer Auffassung der Mysterienanalogie zwischen Mithraskult und christlichem Kult.257 Es geht ihm allein um die Analogiestruktur, nicht um deren Abhängigkeit. Casel tut es den Kirchenvätern gleich und verschweigt nicht die Irrwege der heidnischen Kulte, z.B. den zentralen Unterschied, dass es im christlich-sakramentalen Bereich keine Verschmelzung des Kultgottes mit den Feiernden gibt, wie das heidnische Kulte ausdrücken. Den christlichen Gottesdienst versteht er daher als Veredelung der antiken Geisteshaltung.258 Der Hellenismus ist ihm deswegen so bedeutsam, weil er nur darin ein Verständnis vom Mysterium zu finden meint, das für das Christentum fruchtbar gemacht werden soll.259
So unterscheidet Casel drei antike Mysterientypen: In der Regel ist der Mythos Epiphanie eines Gottes auf Erden, der im Ritus nachgelebt wird. Der zweite Typus umfasst die kosmischen Mythen. Der dritte Typ vereinigt die beiden vorgenannten Typen. Casel sieht dabei die Grenzen der Analogie zum christlichen Mysterium und weist zugleich auf die Unterschiede der Kultformen hin.260 Hinter der Heranziehung der heidnischen Mysterienreligionen steht eine anthropologisch-pädagogische Absicht Casels, die Schilson so umschreibt:
„Die hier behauptete Analogie steht vorzüglich im Dienst eines anthropologischen, fast möchte man sagen liturgiepädagogischen bzw. pastoralen Interesses. Durch den entschlossenen Rückgriff auf die hellenistischen Vorformen und Ähnlichkeiten der christlichen Mysterien will Casel die Verkrustungen des scholastischen Sakramentenverständnisses aufbrechen und zu einer integralen Sicht zurückführen.“261
Die patristischen Schriftsteller sind für Casel die Wegweiser, um die Analogien erkennen zu können. Dabei taucht ein neues Problem auf, das sich auf die verwendeten Termini bezieht, d.h. wie diese von den Kirchenvätern angewendet werden. Deren philologische Verstehensweise ist nicht eindeutig festzumachen. Heute geht man von einer Überbewertung der heidnischen Mysterien durch Casel aus. Am Lebensende hat er sich zurückhaltender und differenzierter zu diesem Fundament seiner Denkform geäußert.262
A. Schilson zeigt, dass es der Gedächtnischarakter in den vorchristlichen Kulten ist, der Casel so fasziniert. Ein symbolischer Ritus versetzt vergangene Ereignisse wieder in die Gegenwart hinein. Damit wird dem subjektiven Erinnern die objektive Form vorgegeben. Das hellenistische Prinzip versucht Casel als Grundlage für das Christentum zu transformieren. So gelangt er zu seinem Ansatz, das Kultgedächtnis als die Form zu begreifen, durch die Gegenwart über Raum und Zeit hinweg geschaffen wird. Ein zweiter Aspekt ist die Möglichkeit der aktiven Teilnahme, die dem Mysterium innewohnt. Damit setzt Casel das Mysterium als die Bedingung der Möglichkeit für das Mithandeln mit Gott an der Heilsstiftung für den Menschen. Letztlich findet er im heidnischen Mysterium ein Gott-Welt-Verhältnis, in dem Gott transzendent und immanent zugleich gesehen wird. Damit eröffnet sich die Perspektive einer „Vergottung des Menschen“. Auch seine diesbezüglichen religionsgeschichtlichen Untersuchungen sind oft kritisiert worden. Der Vorwurf zielt wiederum darauf, dass Casel die Untersuchungen im Sinne seines eigenen Anliegens führt. Doch darf nicht übersehen werden, dass es Casel vielmehr um eine theologische Absicht geht und weniger um eine religionsgeschichtliche. Für ihn stehen der real-symbolische und real-präsentische Gedächtnischarakter der Sakramente und die Perspektive des menschlichen Mit-Handelns im Heilswerk an erster Stelle.263 Wir haben angerissen, welche Perspektive Casel an den antiken Kulten fasziniert. Zu fragen bleibt nun, welchen Stellenwert er, bei seiner Hinwendung zur Antike, der antiken Philosophie als ganzer oder einzelnen philosophischen Denkformen und ebenso dem Alten Testament zukommen lässt.
4.4 Antike Philosophie und jüdisch-kulturelles Erbe
Die einzige Philosophie, die Casel für und in seiner Theologie zulässt, ist die von Platon. Er kann nicht umhin, philosophische Elemente zuzulassen, da ja die Patristik ebenso wenig ohne diese auskommt. Der einzige Zweck des spärlichen philosophischen Hintergrundes ist allerdings die Abgrenzung von neuzeitlicher Philosophie. So erhebt Casel die Philosophie Platons auf eine normative Stufe, indem er sie als einzige dem Christentum angemessene Philosophie definiert. Der Grund dieser Hochschätzung sind Hinweise Platons auf eine kultische Verwiesenheit, einen inneren Zusammenhang von Theologie und Theurgie, die schließlich das Urchristentum prägen.264 Die Altertumsforschungen werden bei Casel ohnehin nur als Hilfsmittel für die Formulierung der „praktisch“ ausgerichteten Theologie verstanden.265
Mit Platons Hilfe will Casel sein objektivistisches Denken stützen, indem er dem subjektivistischen Denken die platonische Theoria entgegenstellt. Damit meint er die unableitbare Schau des allein wahrhaft Seienden, also Gott. Dieses Konzept muss ebenfalls als Gnosis verstanden werden, ein Gnosisverständnis, das Casel bei den Kirchenvätern Leo dem Großen, Hilarius, Clemens von Alexandrien und Origines vorliegen sieht. Sie bieten für ihn die Grundlage, ein theozentrisches, ja christozentrisches bzw. pneumatisches Theologieverständnis weiter zu entwickeln. Doch die Gottesoffenbarung bleibt für Casel der Maßstab, an der sich letztlich auch alle philosophische Arbeit messen lassen muss. Der Mensch kann die Offenbarung vernehmen, indem er glaubt. Es ist also nicht der nach logischen Gesetzen denkende Geist, der benötigt wird, um an Gottes Wesenheit Anteil zu erhalten, sondern der Glaube bahnt den Weg tieferer Erkenntnis und Schau des Göttlichen. Somit ist Philosophie zwar Ausdrucksmittel der geistlichen Anstrengung des Menschen, doch das höchste Kriterium theologischer Wissenschaft ist allein der pneumatische Herr. Daraus resultiert die Konsequenz, dass die Erkenntnis der göttlichen Offenbarung jedem Christen durch das Christusereignis selbst ermöglicht ist. Der Theologie Betreibende zeichnet sich demnach durch die Glaubensschau aus. Eine so definierte Gnosis hat bei Casel ganz eindeutig die Vorrangstellung vor aller Wissenschaft.266 Für ihn bildet die griechische Kultur das Fundament der Weltkultur. Die antike Kultur als Tragwerk des geistlichen Lebens jener Zeit ist der Kulminationspunkt der Philosophie. Casel sieht die gesamte idealistische Philosophie als himmelanstrebende Mystik. Zu ihr tritt der Einfluss von orientalischer Lehre und Religion. In der Vereinigung von Orient und Okzident lokalisiert Casel die fruchtbare Ergänzung zweier Kulturen. Es entwickelt sich eine Zeit mystischer Frömmigkeit als Bereiterin des Christentums, insbesondere für dessen Gottesdienstform. Aus diesem Blickwinkel erscheint die griechische Philosophie als eine transformierte Mystik. Ausdruck dessen ist der Kult, der hieraus einfach erwachsen muss, weil der Mensch ganz angesprochen wird. Der Mensch erlebt sich in den so entstehenden Mysterien als Mensch und nicht wie beim Staatskult als hinter dem Staat verschwindendes Wesen mit großem Abstand zur Gottheit. Die aufblühenden antiken Mysterien formen den Menschen neu, d.h. der Einweihungstag ist das Eintrittsdatum in den Kreis der Götter, der Eingeweihte wird selbst zu Gott und bekommt Erlösung geschenkt.267
Caselsche Theologie versteht sich also als durch Pneuma bewirkte Gnosis. Damit das altkirchliche Theologieverständnis zur Entfaltung kommen kann, muss demnach zwangsläufig ein rational definiertes Erkenntnisstreben zurückgedrängt werden, und damit zugleich der Subjektivismus. Deutlich trägt Schilson vor, dass die Konsequenz dieses Ansatzes die Zurückdrängung des philosophischen Denkens ist, d.h., dass das christliche Mysterium nicht in Worten ausgesagt werden kann, sondern der Theologe erlangt durch die Pneumagabe und die damit verbundene Gnosis ungemein weite Freiheiten. Kritisch ist anzumerken, dass Casel selbst davor warnt, seine Mysterientheologie philosophisch reflektieren zu wollen. Sein Ansatz und damit die Begründung für seine Theologie zentriert sich in der göttlichen Offenbarung, da sie der Grund des Glaubens und damit der Erkenntnis ist. Sie ist keine menschliche Philosophie. Das bedeutet, dass die Gnosis der menschlichen Verfügung entzogen ist, solange der Mensch nicht mit dem göttlichen Pneumas ausgestattet ist.268
Es fällt auf, dass in Casels Konzeption das jüdische Erbe für das Christentum gar nicht gewertet wird.269 Die Schriften des AT haben in seiner Denkform eine geringe Gewichtung und wenig Bedeutung. Teilweise finden sich negative Aussagen zum alttestamentlichen Kult, da Casel dort nicht die Grundlage für sein Verständnis vom Mysterium findet. Dagegen schätzt er Texte des AT sehr hoch ein, die ihm die Möglichkeit eröffnen, durch allegorische Auslegungsweise Hinweise auf das Christusereignis zu gewinnen.270
Das jüdische Verständnis zum Begriff „Gedächtnis“ kommt Casels Denken entgegen. „Gedächtnis“ im Judentum meint mehr als eine bloße Erinnerung, und er sieht hier schon eine objektive Gedächtnisfeier gegeben, versteht diese Feier aber aus inhaltlichen und formalen Gründen nicht als Kultgedächtnis im engeren Sinne, wie etwa im Christentum. Kultmysterium im engeren Sinne versteht Casel nämlich als die kultische Vergegenwärtigung des Heilswerkes eines auf Erden erschienenen Gottes. Da er dieses Ereignis jedoch im AT nicht gegeben sieht, gesteht er dem AT nur ein Kultgedächtnis im Sinne einer rituellen Begehung und Gegenwärtigsetzung zu. Letztlich muss man Casels Einschätzung des Judentums als zweigespalten bewerten.271 Die jüdische Religion spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle, weil er sie als Episode in der „Heilsveranstaltung“ Gottes sieht. Man kann mit Schilson durchaus von einer Geringschätzung sprechen. Die Antike als solche besitzt laut Casel göttliche Bestätigung, Normativität als einer von Gott bestätigten Kultur, deren kulturelles und geistiges Formelement von der Offenbarung Gottes ins Christentum weitergegeben ist. Somit hat aus geschichtstheologischer bzw. offenbarungstheologischer Erwägung heraus die Antike hier einen Geltungsanspruch errungen, die dem Judentum nicht zugestanden wird. Zur Fundamentierung dieses Anspruchs zitiert Casel quantitativ Kirchenvätertexte, um deren antikes Denken dem heutigen Menschen vorzustellen.272
Man kann Casel nicht als Exeget der Kirchenvätertexte bezeichnen, wohl aber als guten Kenner dieser Schriften. Zusätzlich zur Patristik zieht er neutestamentliche Schriften, vornehmlich Paulus, besonders den Epheser- und Kolosserbrief, heran. Dabei können wir den Römerbrief (Röm 6,2-11) als einen Drehpunkt der Kontroverse um die Mysterienlehre benennen. Das Problem basiert wiederum auf seiner Methode, zunächst auf philologischen Untersuchungen aufzubauen und erst später folgen theologische Überlegungen. In dieser Vorgehensweise verbirgt sich die Gefahr, dass in die Texte das hineininterpretiert wird, was Casel für seine These brauchbar und nützlich erscheint.273
Wenn nun Casel der Antike statt den Schriften des Alten Testamentes einen so hohen Stellenwert zuweist, stellt sich für uns hier die Frage nach seinem Geschichtsverständnis im Allgemeinen und seinem Verständnis von Heilsgeschichte im Besonderen.