Kitabı oku: «Goldstück-Variationen», sayfa 5
28. Januar
Auf Befehl der Liebsten Teilnahme am Semperopernball in Dresden. Ambivalente Eindrücke. Eigentlich eine reizende Veranstaltung. Wenn sich tausend Frauen in Abendkleider und tausend Männern in Smoking oder Frack hüllen, um miteinander Walzer zu tanzen, ist das eine löbliche Unternehmung. Zumal Hunderte noch auf dem Vorplatz bis weit nach Mitternacht mittanzten, zuletzt, als ein unbarmherziger Dauerregen eingesetzt hatte, unter Schirmen, ein pittoresker Anblick: immer je ein Paar und ein Schirm drehten sich im Scheinwerferlicht unter Regenschauern im Kreise … Rein ästhetisch war das Level hoch, viel höher, als ich erwartet hatte; die meisten Mädels und Damen trugen geschmackvolle Kleider, kaum ein Gesicht war von Botox entstellt, ganz anders als ich es von Bogenhausener und Grünwalder Schickeriaschachteln kenne, und die Herren, die es ohnehin leichter haben, erschienen (mit Ausnahme der allzeit fröhlichen Pfeife Johannes B. Kerner) formell gekleidet. Mein Favorit war ein kahlköpfiger ungefähr Endfünfziger, der einen Frack trug, gelbe Schuhe, ein Umhängetäschchen und eine auffällige Tätowierung aus drei ineinander übergehenden Sternen am Hals.
Die Veranstaltung zerfiel in zwei Teile. Der offizielle oder Showteil bestand in der – von einzelnen Musikeinlagen unterbrochenen – Verleihung des St. Georgs-Ordens (warum heißt das eigentlich »Verleihung«? Müssen die das Ding wieder zurückgeben?). Dieser unterschied sich wenig von einer Bambi-Veranstaltung oder Goldenen Kamera, die übliche Selbstfeier der Schickeria. Der Orden zeigt neben dem Wahlspruch Adverso Flumine (»Gegen den Strom«) das Bildnis des Heiligen Georg zu Pferde, mit ihm sollen also Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die »gegen den Strom schwimmen«, und so war es ja auch. Sigmar Gabriel etwa bekam ihn eingehändigt, und der ist gegen den Strom bis an die Spitze der Oppositionspartei SPD und sogar des Auswärtigen Amts geschwommen. Oder Veronica Ferres, die sich und ihrer Familie in der Dankesrede bescheinigte, es habe ihnen »an Mut nie gefehlt«; sie schwimmt also gleich mit der ganzen Mischpoche gegen den Strom. Schauspieler reden zu hören, wenn sie einmal nicht etwas sprechen, das ihnen jemand aufgeschrieben hat, ist fast immer ein Gedicht! In den Jahren davor hatte Til Schweiger diesen Orden bekommen, Thomas Gottschalk, André Rieu, Peter Maffay und andere couragierte Gegen-den-Strom-Schwimmer, auch veritable Weltveredler wie der Ex-Maoist und Eurokrat Manuel Barroso, der inzwischen den Zielhafen jedes gegenstrebigen linken Lebensplans erreicht hat: Goldman Sachs.
Dann begann der Tanzteil, in allen Etagen, Haupt- und Nebensälen, und siehe, alles war gut.
30. Januar
In praktisch jedem Text über Michel Houellebecq steht zu lesen, er sei ein Provokateur. Also mich hat er bislang mit keiner einzigen Zeile provoziert.
Gestern Stehempfang der baden-württembergischen Landesvertretung in Brüssel. Ministerpräsident Kretschmann eröffnet seine Rede mit einem Zitat des Diogenes von Sinope: »Um uns zu vervollkommnen, brauchen wir entweder gute Freunde oder hartnäckige Feinde.« Mit uns meint er die EU bzw. ihren wahren, guten und edlen Kern. Wen er in die andere Kategorie sortiert, ist klar: Putin, Erdogan und, rhetorisch etwas abgefedert, Trump als die äußeren, die Regierungen Polens, Ungarns und der anderen osteuropäischen Querulanten als innere Feinde (wenn ich mich recht entsinne, gebrauchte er das Wort »Feinde« nicht noch einmal explizit, es stand ja mit dem Diogenes-Zitat bereits im Raum).
Kretschmann und den Seinen käme nicht im Traum der Gedanke, dass irgendein Argument aus den Ostländern begründet sein könnte, dass man die Welt aus einer anderen als der deutschen EUlaliker-Perspektive sehen könnte, dass weniger die Nato und die EU als vielmehr die politische Vernunft einer Osterweiterung bedürftig sein könnte. Die Osteuropäer haben andere historische Erfahrungen gemacht als der Westteil des Kontinents. Sie haben keine Eroberer- und Kolonialgeschichte und deswegen auch kein jederzeit aktivierbares schlechtes Gewissen der Dritten Welt gegenüber. Stattdessen wurden sie mehrfach selber kolonisiert. Viele dieser Länder litten – zum Teil jahrhundertelang – unter dem osmanischen Joch, was ihre Empfänglichkeit für eine muslimische Masseneinwanderung bis heute sehr reduziert. Diese Länder waren wechselweise von den Nazis und von den Bolschewisten besetzt, die ihre Bevölkerungen dezimierten und ihnen ihre Traditionen nehmen wollten. Nun, nachdem sie Hakenkreuz und Roten Stern abgeschüttelt und wieder durch das christliche Kreuz ersetzt haben, erklärt ihnen die EU – die verheuchelt-reumütigen Nachfahren der Nazis sowie die reuefernen der deutschen Kommunisten vorneweg –, der Halbmond sei eine notwenige Komplettierung jeder Diversity-Palette. Doch was heißt, es wird ihnen erklärt – es wird ihnen befohlen bei Strafe des Geldhahnzudrehens. Im Westen, diesem Weltteil der Käuflichen, glaubt man nämlich bolzenfest daran, dass jedes Problem überall auf der Welt mit Geld zu lösen sei.
Als in Prag die Sowjet-Tanks einrollten, war Herr Kretschmann AStA-Vorsitzender, später trat er in den Kommunistischen Bund Westberlins ein. Ich werfe Kretschmann keineswegs seine politischen Tics der Vergangenheit vor, ich würde ihm auch nichts vorwerfen, wenn er heute noch Kommunist wäre, aber er soll sich nicht anmaßen, Länder zu schulmeistern, die andere Lektionen zu lernen hatten als ein mit der Gnade der späten Geburt gesegneter bräsiger schwäbischer Luxus-Linker. Immer wieder gern zitiere ich die Aufschrift eines Plakats, das nach der Kölner Silvesterkirmes bei einer deutsch-polnischen Sportveranstaltung im polnischen Fanblock entrollt wurde: »Beschützt lieber eure Frauen statt unsere Demokratie!«
Später am Stehtisch mit Freund ***, einem Charmeur hohen Karats, der amüsiert berichtet, wie er mit ein paar (politisch) grünen Mädels gescherzt und geschäkert habe und ein »Wenn die wüssten!« hinzusetzt. »Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte«, erwidere ich. – Eine Frau neben uns wird aufmerksam. Wer wir denn seien, erkundigt sie sich. Und für wen wir arbeiten? – Das wolle sie gar nicht wissen, sagt ***. – Sie bleibt hartnäckig, und die gewünschte Auskunft wird ihr schließlich zuteil. Sofort schlägt ihr Ton ins Schrille um. Wie könne man nur in diese schreckliche Partei eintreten! – Keiner von uns beiden sei Mitglied irgendeiner Partei, muss sie erfahren. – »Sie arbeiten nur für die?« Das sei ja noch schlimmer. – In welcher Partei sie selber denn beheimatet sei, erkundige ich mich. – Natürlich bei den Grünen, erklärt sie, um stracks den Mangel an weiblichen Abgeordneten bei den Rechtspopulisten zu rügen und für, na was schon, diskriminierend zu erklären. – Die Grünen privilegieren Frauen und benachteiligen Männer, sage ich, sei das vielleicht besser? – Wieso? – Weil die Partei nur ein Drittel weibliche Mitglieder habe, aber mehr weibliche Bundestagsabgeordnete als männliche; außerdem würden sämtliche Führungsposten paritätisch besetzt. – Die Hälfte der Gesellschaft sei weiblich, also sei das genau richtig. – Die Hälfte der Gesellschaft schon, aber nicht die Hälfte der Parteimitglieder. Wenn ein Kegelclub aus 100 Mitgliedern bestehe, 70 Männern und 30 Frauen, wieso solle er dann den Vorstand paritätisch besetzen? – In der Politik sei das etwas anderes. – Warum denn? – Wir hätten überhaupt so ein rückständiges Frauenbild, die Frauen sollten Kinder bekommen und zu Hause bleiben. – Wir haben überhaupt kein Frauenbild, entgegne ich, und wer denn sonst die Kinder bekommen solle.
Dergleichen »Diskussionen« sind natürlich völlig unersprießlich, und nur um die wonnige Maid zu ärgern, verschloss ich mich der Fortsetzung nicht. Nachdem sie unvermeidlich das Elend in gewissen Ländern – ich habe vergessen, welche sie nannte, aber Ruanda war dabei – weniger zur Sprache brachte als uns vorwarf, so als trügen wir mit unseren verdammt schicken Krawatten und dem miserablen Stehparty-Wein die unmittelbare Schuld daran, erkundigt sich ***, welche der in Rede stehenden Armutsländer sie denn schon einmal persönlich in Augenschein genommen habe. Immerhin Ruanda kann sie anführen, worauf die übliche Behauptung folgt, der Blick in die Welt erziehe zu Toleranz und Hilfsbereitschaft, also praktisch zur uneingeschränkten Willkommenskultur, diesem humanitären Widerspiel zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der auch nicht geholfen hat. Freund ***, vielgereist und polyglott, überrascht sie mit der Auskunft, dass er sogar während der Hutu-Massenmorde dort gewesen sei, wie überhaupt nach wenigen weiteren Wortwechseln ersichtlich ist, dass er trotz seiner vergleichsweisen Juvenilität zehnmal mehr Welt ins sich aufgenommen hat als die zunehmend in Wallung geratende Maid (ich reise ja am liebsten nur dahin, wo Wein und Oliven angebaut werden). Wie man als jemand, der sich auf allen Kontinenten umgeschaut hat, denn für so eine Partei arbeiten könne?, ist das Letzte, was sie vorbringt. – Nun, gerade als ein solcher, versetzt ***, man könne anderswo auch studieren, was man bei sich daheim besser nicht haben wolle, und der Guten ist anzusehen, dass sie am liebsten die Polizei rufen würde. Abrupt beendet sie die Unterhaltung und verlässt den Tisch.
Ihren Platz nimmt später ein junger Mann ein, der sich im Gespräch als ein Mensch vorstellt, der an der Vernetzung verschiedener Universitäten arbeite. Er entpuppt sich sogar als Professor und ehemaliger Hochschuldozent – Welches Fach er gelehrt habe? – »Politische Kommunikation.« – Sei, erkundigt sich ***, der wissenschaftliche Nutzen seiner Vernetzungsarbeit irgendwie belegbar? An den Leistungen der Studenten beispielsweise? – Nicht direkt, aber fänden wir nicht auch, dass Vernetzung und Zusammenarbeit immer einen Weg zum Besseren bedeuteten? – Das ergebe sich doch automatisch dort, wo tatsächlich wissenschaftlich zusammengearbeitet werde, sagt ***. Er müsse als Dozent immer wieder feststellen, dass die meisten seiner Studenten zwar selber unglaublich vernetzt und kommunikationstechnisch up to date seien, aber den elementaren Anforderungen eines halbwegs anspruchsvollen Studiums nicht standhielten. Er würde sich wünschen, dass die Studenten sich nicht vernetzten, sondern daheim auf dem Hosenboden säßen und lernten, wie man richtig deutsch schreibe, wohin ein Komma gehöre und wie man einem komplizierten Gedankengang so genau folge, dass man ihn danach in eigenen Worten referieren könne. – Was sei denn seine Profession?, erkundigt sich der andere. – »Ich bin Rechtshistoriker.«
Und der Nächste war froh, dass er – etwas formeller als die Grüne, also mit einem Vorwand – dem Tisch den Rücken kehren konnte …
1. Februar
Abgeschottet von Leibwächtern und in kugelsicheren Limousinen mit abgedunkelten Scheiben die Städte durchquerend, in einer Parallelwelt hinter Sicherheitsschleusen und Panzerglasfenstern amtierend, bei jedem öffentlichen Auftritt vom Kontakt zu den Menschen da draußen abgeschirmt, rauschte der Gottkanzlerin der Satz durch die Rübe: »Wir glauben, dass Abschottung uns nicht weiter bringt.«
3. Februar
Nachdem die Grünen im sozialistischen Wettstreit mit den Hell-und Dunkelroten die Kernfamilie mit ermüdlicher Penetranz wahlweise für ein soziales Konstrukt, für ein bürgerliches Relikt, für eine heteronormative Zementierung überkommener Geschlechterrollen, jedenfalls für obsolet und abschaffenswert erklärt haben, da biologische Geschlechter ohnehin nicht existieren, jeder zwischen beliebig vielen Gendern frei wählen kann und niemand mehr »dem Führer ein Kind schenken« muss, entdecken sie, mit der Spitzentörin Göring-Eckardt vorneweg, beim Thema Familiennachzugplötzlich das überholte Schema Mutter-Vater-Kind wieder. Familie ist nämlich nur ein Konstrukt, wenn es sich um Deutsche bzw. Weiße handelt, alle orientalischen oder schwarzafrikanischen Hetero-Familien sind aber total hip und fördernswert, sogar Polygamie und Kinderehe.
Warum Familiennachzug so wichtig ist, erklärt die FAZ: »Viele junge Flüchtlinge sind unter derzeitigen Bedingungen nicht ins reguläre Schulwesen zu integrieren – so steht es in einem Brief von Lehrkräften aus dem Landkreis Darmstadt-Dieburg an den hessischen Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Den Pädagogen geht es um Migranten im Alter von elf bis 16 Jahren, die sie selbst in sogenannten Alphabetisierungsklassen unterrichten. Die Jugendlichen hätten in ihren Herkunftsländern keine oder kaum Schulerfahrungen gesammelt. Sie seien ›primäre Analphabeten‹, hätten also nie gelernt, zu lesen und zu schreiben. Überdies fehlten ihnen auch soziale Kompetenzen, die Grundvoraussetzung für einen Schulbesuch seien, etwa die Fähigkeit, selbständig zu arbeiten und Regeln einzuhalten.« Ist aber nur »unter derzeitigen Bedingungen« ein Problem. Die echten Fachkräfte können ihren Hartz IV-Fragebogen schon bald mit wenig Hilfe ausfüllen.
Das BKA hat im vergangenen Jahr fast 100 Übergriffe auf Christen in Deutschland gezählt, darunter ein mutmaßlicher Mord, neun Körperverletzungen und eine Brandstiftung. In etwa einem Viertel der Fälle seien Kirchen oder christliche Symbole angegriffen worden. Die Motive sind rätselhaft, hängen aber wahrscheinlich mit der hohen Anzeigebereitschaft von Christen zusammen.
6. Februar
Freund *** berichtet von einem Gespräch mit einem Deutschlehrer, der gemeinsam mit anderen humanitär bewegten Kollegen in Berlin gestrandeten Neubürgern Deutschunterricht anbietet, ehrenamtlich in seiner Freizeit versteht sich. Alle diese Lehrer, erklärt der Vertreter der Sparte, hätten dabei dieselben Erfahrungen mit ihren Zöglingen gemacht: Ab der zweiten oder dritten Stunde trete Lustlosigkeit ein, würden die Zeiten nur noch abgesessen, spielten sie auf ihren Smartphones herum, statt zuzuhören. Kaum einer zeige die Bereitschaft, Vokabeln zu lernen, von der Grammatik gar nicht zu reden. Letztlich blieben sämtliche Bemühungen fruchtlos.
Dieses Resümee werde, wie gesagt, unisono gezogen. Dann aber trete ein interessanter Bruch in der Lehrerschar zutage: Während die eine Hälfte die Goldstücke schulterzuckend für unbeschulbar erkläre und sich aus dieser Sisyphosiade zu verabschieden gedenke, suche die andere Hälfte die Schuld bei sich. Offenbar habe man die »Flüchtlinge« nicht hinreichend motiviert, sei man nicht genug auf sie eingegangen und dergleichen fromme Floskeln mehr. Das Schema ist bei diesen Zerknirschten immer dasselbe: Wir sind diejenigen, die etwas falsch machen – die uns Zugelaufenen kommen dafür nie in Betracht. Wir müssen uns nach ihnen richten. Wir sind für sie verantwortlich. Das gilt bekanntlich auch für die Speisewünsche, religiösen Gebote und kulturellen Bizarrerien der unverhofft so zahlreich Hereingeschneiten bzw. immer noch Hereinschneienden.
Man stelle sich vor, sagt Freund ***, eine Kohorte Deutscher wandere nach China aus und verlange dort neben Sozialleistungen, Unterkunft und eigenen Andachtsräumen täglich Schweinshaxe, Königsberger Klopse, Pils – und von den chinesischen Pädagogen mehr Motivationsofferten für das Erlernen ihrer schwierigen Sprache. Fairerweise will ich hinzufügen, dass unsere Neumitbürger dergleichen ja nicht verlangen, sie nehmen es einfach nur an. Und dann erzählen sie eben in ihre Länder weiter, wie grandios bescheuert die Deutschen sind, bei denen man all das für lau bekommt, wofür sie daheim hart arbeiten müssten. Nur die Sprache von diesen Freaks, die würden sie nicht mal geschenkt nehmen.
»Die AfD ist wichtig, um die falsche Politik der offenen Grenzen zu stoppen, die sich fatal auf die Welt auswirkt«, schreibt Rafi Eitan, der Mann, der Adolf Eichmann vor seine irdischen Richter gebracht hat. In einem Grußwort zu einer Veranstaltung der AfD-Bundestagsfraktion zum Thema »alter und neuer Antisemitismus« erklärte der ehemalige Geheimdienstagent und israelische Minister, die Judenfeindschaft habe heute »ein anderes Gesicht« als in der Vergangenheit. Wenn man nichts dagegen unternehme, würden »die Moslems die freie demokratische Gesellschaft in etwas anderes verwandeln«. Ein Land, das seine Grenzen nicht sichere, sei ein schwaches Land. Der AfD bescheinigte er: »Sie haben mehr Freunde in der Welt, als sie denken.«
Das Gros der Wahrheits- und Qualitätspresse beschwieg das unerhörte Statement beflissentlich; nur da und dort, etwa aus dem Internet-Flusensieb Huffington Post, ertönte leises Gegrummel dergestalt, dass die AfD nun einen Nazi-Jäger »instrumentalisiere«, um von sich selber abzulenken. Einzig der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, reagierte in üblicher Schrillheit: Mit den Worten »Ich weise die Ausführungen von Rafi Eitan aufs schärfste zurück« zeigte er auf Twitter, was er in Deutschland gelernt hat. Eitan lobe deutsche Rechte, »die die Nazi-Vergangenheit verherrlichen« (wen genau er damit meint, ließ der Botschafter offen; es wird wohl im Zweifelsfall, wie stets, der Meister Urian aus Thüringen dafür herhalten müssen). Dass Eitan, dieser Scheitan, sogar noch den Wunsch äußerte, die Alternative für Deutschland möge eine Alternative für Europa werden, sei »traurig und eine Schande«; Letztere praktisch für ganz Deutschland.
Nun lautet die Frage, wessen Wort mehr Gewicht hat: Dasjenige des Eichmann-Entführers und Tatmenschen, oder das eines Karrierediplomaten, der die Welt hinter getönten Autoscheiben wahrnimmt und dessen berufliche Biografie sich im Wesentlichen darin erschöpft, dass er irgendwelchen Delegationen angehörte.
Das Genie der Voralpen, Heribert der Beherzte, hat in einem Leitartikel des Süddeutschen Beobachters kundgetan, dass Fußballvereine selbstverständlich das Recht besitzen, AfD-Mitgliedern den Eintritt zu verweigern. Leider hat er vergessen, zwei wichtige Folgefragen zu beantworten, die Beantwortung der ersten wahrscheinlich nur deswegen, weil es ja logisch ist, dass die Vereine dann auch SPD-Mitglieder, Grüne, Moslems oder Bibelforscher abweisen dürfen. Die zweite Frage betrifft den Verfahrensrahmen: Dürfen denn die Vereine künftig von jedem Anwärter auf Mitgliedschaft verlangen, dass er Auskunft über seine Parteizugehörigkeit erteilt? Ich meine, das sollte in einer entwickelten Gesellschaft möglich sein, solange es noch unterschiedliche Parteien gibt.
15. Februar
Seit inzwischen schon einem Jahr, lese ich, sitzt der Journalist Deniz Yücel in einem türkischen Gefängnis. Alle Solidaritätsbekundungen aus Deutschland haben keinerlei Wirkung gezeigt. Drohungen wirken eh nicht, weil die Türken ja inzwischen mehr Leopardpanzer haben als die Bundeswehr und auch sonst ’schland eher als Operationsgebiet betrachten. Doch heute hat die Kanzlerin den türkischen Ministerpräsidenten Yildirim aufgefordert, eine rasche Entscheidung im Fall Yücel herbeizuführen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich sogar der Bundespräsident gegen André Poggenburg ausgesprochen hat, weil diese nicht gerade allerhellste Kerze auf der AfD-Torte in einer Aschermittwochssuada hier lebende Türken »Kümmelhändler«, »Kameltreiber« und »vaterlandsloses Gesindel« genannt haben soll (es stimmt nicht ganz, dazu später), gestatte ich mir einen Blick auf das Werk des in der Türkei inhaftierten Pressbengels.
Yücel ist ein exponierter Vertreter der vom hiesigen Establishment gehätschelten Version des »Hate Speech«. Mit seiner tadellosen, auf den Prinzipien rotgrüner Rechtschaffenheit fußenden Allerweltsdeutschenverachtung hat sich der intellektuell eher schmalschultrige, aber hart an seiner rhetorischen Muskulatur arbeitende Deutsch-Türke von der altmodischen taz-WG in die trendige Selbsthilfegruppe für betreutes Schreiben bei der Welt emporgeschuftet. Im kippenden Ökosystem der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit versucht Yücel, die gewaltige Lücke zu schließen, die der schmerzlich vermisste Maxim Biller hinterließ, dem in den späten 1990ern die Puste für die regelmäßige Teilnahme an den helldeutschen Hassmeisterschaften ausging.
Yücel indes belegte 2012 und 2013 trotz erdrückender Konkurrenz vordere Plätze in den Kategorien Sarrazin- und Papstbeschimpfung. 2011 hatte er bei »Deutschland sucht den Superhater« erstmals die Endrunde erreicht, indem er in der taz frohlockte: »Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaftlich (so mit Zahlen und Daten) und amtlich (so mit Stempel und Siegel) erwiesen: Deutschland schafft sich ab!« – »Woran Sir Arthur Harris, Henry Morgenthau und Ilja Ehrenburg gescheitert sind, (…) übernehmen die Deutschen nun also selbst.« – »Der baldige Abgang der Deutschen ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.« – »Nun, da das Ende Deutschlands ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Europas entstehen wird: Zwischen Polen und Frankreich aufteilen? (…) Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? (…) Egal. Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.«
Das klingt wie Volksverhetzung, ist aber keine, sondern Satire. Außerdem kann man, wie die Staatsanwaltschaft Hamburg soeben bestätigte, eine »Köterrasse« überhaupt nicht verhetzen, nicht einmal beleidigen, gerade als Deutschtürke nicht – zumindest solange sie die Bevölkerungsmehrheit stellt. Und danach, seien wir ehrlich, ist es doch völlig unnötig! Hätte Yücel etwas Ähnliches über die Türken geschrieben, wäre wahrscheinlich sogar in Deutschland ein Staatsanwalt tätig geworden. Aber hätte, hätte, Dönerkette …
Derzeit sitzt unser Pissdeutscher – pardon, kleiner YücelScherz – unser Passdeutscher also in einem türkischen Gefängnis und murmelt fünfmal am Tag »Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal« vor sich hin. Er wurde inhaftiert, weil er kritisch über Erdogans Umwandlung des Landes in ein Sultanat berichtet hat. Nicht ganz so kritisch wie über Sarrazins Versuch, Deutschlands Selbstabschaffung ohne eine Spur von Begeisterung zu thematisieren, aber Sarrazin ist ja auch ein schlimmer Finger und der stolze Türke Erdogan viel leichter reizbar als ein exkommunizierter deutscher Sozifunktionär. Immerhin: Obschon in seiner Aversion gegen Deutschland so etwas wie ein Ehrenmitglied der AKP, stellte sich Yücel gegen Erdogans Janitscharenpolitik und wurde deshalb eingelocht. Angeblich, weil er sich mit Vertretern des – aus staatstürkischer Sicht – »Feindes« getroffen hat, der PKK. Außerdem wirft man ihm Verbindungen zu einer linksextremen türkischen Hackergruppe vor. Der Mann mag unappetitlich sein, feige ist er offenbar nicht.
Im Fall Yücel zeigt sich die Problematik der doppelten Staatsbürgerschaft. Eingesperrt wurde er als türkischer Staatsbürger. Da er den deutschen Pass besitzt, auch wenn der bei ihm daheim womöglich die meiste Zeit hinterm Klo liegt, müssen die deutschen Behörden gegen die Verhaftung protestieren, solange kein triftiger Grund für sie vorliegt. Doch auch als türkischer Staatsbürger wäre Yücel, gälte Recht, so lange unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist. Um das zu entscheiden, sind die Gerichte da. Allerdings ist von türkischen Gerichten unter dem lupenreinen Autokraten Erdogan keine unpolitische Rechtsprechung mehr zu erwarten. Insofern wären die Proteste deutscher Offizieller gegen Yücels Inhaftierung auch dann vollkommen angebracht, wenn er keinen deutschen Pass besäße.
Vollkommen unangebracht ist wiederum die aktuelle Häme von rechts gegen den Journalisten, die darauf hinausläuft, seinen derzeitigen Aufenthaltsort als angemessen, als eine Art längst fällige Lektion zu empfinden. Wer so etwas vorträgt, verschafft indirekt auch dem »Kampf gegen rechts« eine gewisse Legitimation, denn auch der lebt von der unzivilisierten Grundannahme, es gebe strafwürdige Meinungen. Die Freiheit des Wortes ist unteilbar. Das Recht gilt auch für unappetitliche Zeitgenossen. Es gilt auch für Deutschlandhasser. »Hetze« und »Hass« sind keineswegs per se Straftatbestände, sondern erst, wenn sie Persönlichkeitsrechte berühren. Nicht Yücel gefährdet die Meinungsfreiheit in Deutschland, sondern Heiko Maas, Manuela Schwesig und all die anderen Zeloten des Maulkorbzwangs tun dies.
Was uns zu jener frommen Schar zivilgesellschaftlich engagierter Landeskinder führt, die sich derzeit vehement für die Freilassung Yücels einsetzen. Man stelle sich vor, Akif Pirinçci wäre in der Türkei wegen Hetze gegen den Islam und das Türkentum eingesperrt worden – ob all diese Guten und Gerechten dann auch eifrig seine Freiheit forderten? Würden sie nicht vielmehr sagen: Das hat er nun davon …? Und sich heimlich freuen, dass die Nervensäge endlich mundtot gemacht wurde?
Das ändert nichts daran, dass unsere Guten mit ihrer Solidarität für Yücel richtig liegen. Nur dieses »Je suis Deniz« geht wohl doch zu weit. Der Zivilisierte soll ohne Wenn und Aber für die Meinungsfreiheit plädieren, aber er muss sich nicht gleich mit ihren Exkrementen einreiben.
Zurück zu Poggenburg und der Aschermittwochsveranstaltung der sächsischen AfD. Tatsächlich hat der Magdeburger AfD-Fraktionschef die Kritik der Türkischen Gemeinde an der geplanten Schaffung eines Heimatministeriums – ein solches sei »aufgrund der deutschen Vergangenheit problematisch«, meinte ein Verbandsvertreter etwas vorlaut – zum Anlass genommen, Folgendes zu äußern: »Diese Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch – und die wollen uns etwas über Geschichte und Heimat erzählen? Die spinnen wohl! Diese Kameltreiber sollen sich dorthin scheren, wo sie hingehören!« Zugleich, heißt es in den Medienberichten, die auf Wörtlichkeit noch Wert legen, habe Poggenburg Kritik an der doppelten Staatsbürgerschaft geäußert, weil sie »heimat- und vaterlandsloses Gesindel« hervorbringe (mein Ehegespons beispielsweise, die hat auch zwei Pässe). Wie man sieht, relativieren sich die Aussagen im konkreten Kontext etwas, sie nähern sich einem Niveau, das bislang eigentlich den karnevalistischen Beschimpfern der AfD vorbehalten war. Gleichwohl ist dieses Verbalrowdytum geschmacklos und sogar für Aschermittwochsverhältnisse dumm, denn es liefert dem politischen Gegner – und das sind bekanntlich alle anderen –, dessen Sinnen und Trachten dahin geht, die einzige Oppositionspartei dieses Landes als rechtsextrem und für bürgerliche Wähler unzumutbar zu stigmatisieren, wieder Gratismunition. Das ist ein etwas zu hoher Preis für das beifällige Gegröle von ein paar hundert Hinterwäldlern.
»Die dritte Gewalt tut sich schwer mit den Problemen der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Allzu viele Urteile spielten bereits Islam-Fundamentalisten in die Hände«, schreibt der Spiegel. Das Hamburger Fachblatt für Demokratisierungsartilleristik beklagt die »stille Islamisierung« und moniert, dass in Deutschland inzwischen »die Regeln einer Kameltreibergesellschaft« – wenn nicht gar von Kümmeltürken! – akzeptiert würden. Etwa dass eine Muslimin sich ohne einen männlichen Blutsverwandten nur maximal 81 Kilometer von der ehelichen oder elterlichen Wohnung entfernen dürfe: »Das nämlich ist die Entfernung, die eine Kamelkarawane zu Zeiten des Propheten Mohammed innerhalb von 24 Stunden zurücklegen konnte.«
Wie eine »Meldung aus Absurdistan«, fährt das Magazin fort, klingt auch, dass das Bundessozialministerium deutschen Krankenkassen schrieb: »Polygame Ehen sind anzuerkennen, wenn sie dem Heimatrecht der in Betracht kommenden Personen entsprechen.«
Daraus können Sie entnehmen, geneigter Leser, dass der Artikel schon etwas älter ist, er stammt vom 26. März 2007 und trug den Titel »Haben wir schon die Scharia?«. Heute ist die Frage ja überflüssig.