Kitabı oku: «Ein Leben für die Freiheit», sayfa 2
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1 Rothäute
1. „Indian Wars Aren‘t Over“ – die vielen Gesichter des Völkermords (Michael Koch)
Wer Geschichte und Formen, Themen und Artikulation des indianischen Widerstandes des ausgehenden 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts verstehen will, wird nicht umhinkommen, sich mit der Ausrottungs- und Vernichtungspolitik der europäischen Eroberer und Einwanderer gegen die Ureinwohner Amerikas auseinanderzusetzen. Einerseits bleiben ansonsten Gedanken, Intentionen und Aktionen indigenen Widerstands für uns nur schwer verständlich und auch sperrig bezüglich einer interpretatorischen Einvernahme anhand revolutionär-emanzipatorischer Kriterien unseres „europäischen Denkens“ – selbst wenn dies solidarisch gemeint sein sollte.2
Andererseits bleiben die Dimensionen dieses Völkermordes samt seiner Begleiterscheinungen im wahrsten Sinne des Wortes „unvorstellbar“, wenn nicht doch in einem Kapitel einige Aspekte in aller Kürze benannt und beleuchtet werden.
„Indian Wars Aren´t Over“, so lautet die Überschrift eines Solidaritätsplakats für den indianischen politischen Gefangenen Leonard Peltier.3
Kleingedruckt am Rand stehen die Namen von ca. 60 Opfern tödlicher Angriffe auf traditionelle Lakota und AIM-Sympathisanten bzw. -Aktivisten, die vor allen in den Jahren zwischen 1973 und 1976 in der Pine Ridge Reservation stattfanden. Damit soll auf die Kontinuität des Tötens nordamerikanischer Indianer seit den sogenannten „Indianerkriegen“ in der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert hingewiesen werden. Wer sich jedoch mit der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner seit der „Entdeckung“ durch Christoph Columbus 1492 befasst, wird den zahlreichen Autoren indianischer, aber auch nicht-indianischer Herkunft zustimmen müssen, dass es sich bei der Bekämpfung der Indianer um den wohl längsten, anhaltenden Völkermord der Geschichte handelt. Dabei verbinden sich über die Jahrhunderte Aspekte von Genozid (Völkermord), Ethnozid (Kulturzerstörung) und Ökozid (irreversible Zerstörung intakter Ökosysteme) zu einer vielgesichtigen und vielschichtigen Geschichte von Ausrottung und Unterdrückung.
Die Stationen dieser Geschichte reichen von der Vertreibung, Umsiedlung, militärischen Bekämpfung und Ausrottung indianischer Völker über deren Dezimierung durch Krankheiten und andere sogenannte „Zivilisationsfolgen“, den Entzug ihrer Lebensgrundlagen bis hin zur Zwangsumerziehung in Internatsschulen, Zwangssterilisation indianischer Frauen und nuklearen Kontaminierung ganzer Regionen. Was an dieser Stelle über das Schicksal der nordamerikanischen Indianer ausgeführt wird, kann mit etwas veränderter Beschreibung auch für das Sterben, Leben und Überleben der Indigenen in Mittel- und Südamerika ausgeführt werden.
Auf all das, was an Entwicklungen in der sogenannten Paläo-Indianischen Periode Nordamerikas und in der Zeit von 7.000 v. Chr. (sogenannte archaische Periode) bis zum 15. Jahrhundert (im Südwesten die sogenannte Pithouse-Pueblo-Periode) stattfand, soll hier nicht näher eingegangen werden. Nur so viel sei gesagt: dass im Südwesten Nordamerikas die ersten nennenswerten Besiedlungen bereits zwischen 12.000 und 10.000 v. Chr. erfolgten. Zwischen 7.000 v. Chr. und der Zeitenwende entwickelten sich Ackerbau und Siedlungen, beides prägte die Lebensweise der indianischen Völker des Südwestens. Keramikherstellung, Baumwollnutzung und Webtechnik kamen in dieser Region zwischen 700 und 1.000 n. Chr. hinzu. Und Charles C. Mann wies in seinem Buch „Amerika vor Kolumbus“ darauf hin, dass im Gegensatz zu unseren Klischeevorstellungen von den Indianern als nomadische, ökologische Ureinwohner tatsächlich sich zur Zeit von Kolumbus die große Mehrheit der alteingesessenen Indigenen südlich des Rio Grande aufhielten. „Sie waren keine Nomaden, sondern erbauten und bevölkerten einige der größten und reichsten Städte der Welt……,lebten …auf Farmen…,ernährten sich von Fisch und Schalentieren…..Mit anderen Worten, Amerika war unermesslich geschäftiger, mannigfaltiger und dichter bevölkert, als es sich die Forscher vorgestellt hatten. Und älter war es auch.“4
Unterschiedliche Studien gehen davon aus, dass in der vorkolumbianischen Zeit, also noch im 15. Jahrhundert, an die 800 unterschiedliche Stämme im Gebiet der heutigen USA lebten, heute sind dies noch etwa 300. Dabei unterschieden sich Lebensformen, Lebensräume und Kulturen oftmals nicht unerheblich zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit, zwischen Pflanzenanbau, Fischerei und Jagd, zwischen dem Leben an Küsten, in Wäldern, Gebirgen, Wüsten oder in den Weiten der Plains und Prärien.
Diesen unterschiedlichen indianischen Völkern standen seinerzeit, berücksichtigt man mal lediglich die Fläche der heutigen USA, knapp zehn Mio. Quadratkilometer zur Verfügung.5 1887, nach der Umsiedlung der Indianer in Reservationen und nach dem Invasionsende des Westens durch die weißen Siedler, waren dies in den USA 558.472 km2 (knapp 5 %), 1900 ca. 300.000 km2 und gegen Ende des 20. Jahrhunderts gar nur noch 215.549 km2 (ca. 2,3 %) der Gesamtfläche der USA.
In dieser Zeit nahm die Anzahl der nördlich des heutigen Mexiko lebenden Indianer drastisch von acht bis zehn Millionen auf nur noch 360.000 (1892) ab. Und wenn wir heute wieder von ca. 2,5 Mio. indianischen und indianisch-stämmigen Amerikanern in den USA reden, dann meint dies Menschen indianischer Herkunft, Fullbloods (Vollblut) und Mixedbloods (also teilweise indianischer Abstammung), Reservationsbewohner, indianische Wanderarbeiter und Stadtindianer. Sicherlich waren nicht all die 7,5 - 9,5 Mio. gestorbenen Indianer Opfer militärischer Aktionen und Vertreibungen durch die Europäer. Viele von ihnen starben mittel- oder unmittelbar an den unterschiedlichsten Folgen der Invasion aus Europa.
Ein oftmals vernachlässigter Aspekt ist dabei, dass Kriege zwischen indianischen Völkern aufgrund deren Einbeziehung in kriegerische Konflikte zwischen den weißen Eroberern (Kriege zwischen Engländern und Franzosen, Spaniern und Engländern, Unabhängigkeitskrieg), durch die Einführung neuer Waffen und von Pferden, aber auch aufgrund der territorialen Vertreibungen vom Osten immer tiefer in den Mittleren Westen und Westen ebenfalls zunahmen. Vor allem Krankheiten, Hunger und Alkohol waren im großen Maße für das Massensterben bei den Indianern verantwortlich und waren erheblich mörderischer als die Gewehre der Eroberer. „Den Indianern fehlten die Abwehrkräfte gegen Malaria, Masern, Tuberkulose und Pocken. Ganze Dörfer wurden oft in wenigen Wochen dahingerafft; die Überlebenden waren zum Widerstand zu schwach. Bereits vor der Gründung der USA ging die indigene Bevölkerung Nordamerikas … um knapp 80 % zurück.“6
Kaum verwunderlich, dass so auch Pläne entstanden, alle Indianer über die Verteilung infizierter Decken und Bekleidung mit Masern zu infizieren, denn im 18. und 19. Jahrhundert galten sie den einwandernden Europäern und nach Gründung der USA auch den neuen Machthabern Nordamerikas als eine Art „menschliches Ungeziefer“, das es zu dezimieren galt.7 So schrieb der britische General Jeffrey Amherst bereits 1752: „Sie täten gut daran, die Indianer mit Laken zu infizieren, auf denen Blatternkranke lagen, oder sich aller sonstigen Mittel zu bedienen, die dazu beitragen können, diese verfluchte Rasse auszurotten.“8
Mit der Besiedlung Nordamerikas durch die Spanier im 16. Jahrhundert und durch die Engländer und Franzosen (und im geringeren Ausmaß auch durch die Niederländer) ab dem 17. Jahrhundert ging nach der Anfangsphase einer freundlichen Aufnahme durch die Indianer der Ostküstenregion und, zumindest bei den Engländern und Franzosen, auch nach anfänglich friedlicher Koexistenz die Vertreibung der Urbevölkerung bei gleichzeitiger Annexion des Landes einher.
Im Zuge der spanischen Besatzung wurden die hochentwickelten Städte und Kulturen der Indigenen zerstört. Nuñez Cabeza de Vaca, der tausende von Meilen durch Mexiko zurücklegte, berichtete bei seiner Ankunft im heutigen Mexico City von ummauerten Städten mit mehrgeschossigen Häusern und Indianern, die in ihrem Verhalten weit kultivierter als die Spanier seien.9 Trotzdem wurde die indianische Bevölkerung im großen Stile versklavt oder massakriert. Alleine auf den Inseln des heutigen Haiti und der Dominikanischen Republik lebten 50 Jahre nach der Landung von Kolumbus nur noch 10 % der dortigen indianischen Bevölkerung.
In den von Engländern besiedelten Ostküstengebieten des heutigen Virginia (ab 1607) und Massachusetts (1620) begann die Vertreibungspolitik erheblich subtiler. Den ersten Winter nach ihrer Ankunft überlebten die Engländer nur mit Hilfe der lokalen Stämme der Powhatan, Massachusetts und Wampanoag, die den Engländern Lebensmittel und Feuerholz brachten und diesen zeigten, wo sie Fisch fangen und wie sie Mais pflanzen konnten. Um sich die Gunst der Indianer so lange zu sichern, bis die Engländer über befestigte und sichere Ansiedlungen verfügten, krönten die englischen Siedler gar einen der Häuptlinge zum König, dessen Tochter, Pocahontas, später von einem Briten geheiratet wurde.
Nach dem Tod dieses Königs endete jedoch dieser (be)trügerische Frieden. Die indianischen Stämme sahen, dass in den 15 Jahren seit Ankunft der Engländer große Teile ihrer bewaldeten Jagdgebiete gerodet und somit viele jener Tiere, die sie als Lebensgrundlage jagten, verschwunden waren. 1622 erhoben sich 30 Stämme, um die Engländer wieder ins Meer zu treiben, hatten jedoch gegen die Waffen der Eroberer keinerlei Chance. Von einzelnen Stämmen, wie z. B. den Powhatan, überlebten gerade noch 10 % der Stammesbevölkerung – und auch diese sollten vertrieben werden. Im nördlicheren Ostküstenbereich, wo 1620 die Pilgrim Fathers landeten, waren 20 Jahre später bereits ganze Stämme ausgerottet worden: „Die Wälder waren fast gänzlich gereinigt von diesen schädlichen Kreaturen“, formulierte der Puritaner Cotton Mather die Vernichtung der Pequot-Indianer.10 Um dem Hunger zu entkommen, gerieten viele der Ostküstenstämme bei der Suche nach neuen, westlicher gelegenen Jagdgründen in Konflikte mit den dortigen Stämmen – die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen indianischen Völkern nahmen in Folge zu.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erreichte der Machtkampf zwischen Franzosen, Engländern und Spaniern um die Vorherrschaft in der „Neuen Welt“ seinen Höhepunkt, wobei jede dieser drei Kolonialmächte ihre indianischen Verbündeten samt deren Stammesfehden für sich geschickt auszunutzen wusste, um letztendlich dabei auch die indianischen Stämme gegeneinander auszuspielen. Zu dieser Zeit (1675) begannen sich die Stämme der nördlichen Ostküste zu einer Konföderation zu vereinigen, um gegen die immer weiter ins Land vordringenden weißen Siedler vorzugehen, doch bei Rhode Island wurden 1676 die indianischen Krieger vernichtend geschlagen.
Knapp 90 Jahre später wiederholte sich Ähnliches, allerdings bereits erheblich weiter westlich, in der Gegend der großen Seen (Huron, Ottawa, Michigan, Erie). Hier vereinte der Ottawa-Häuptling Pontiac mehrere Stämme zum panindianischen Gegenangriff, um die vorrückenden Briten nach Osten zurückzutreiben. Nach anfänglichen Erfolgen musste Pontiac 1766 seinen Widerstandskrieg jedoch aufgeben und widerwillig mit den Engländern Frieden schließen. Auch weitere panindianische Bündnisaktionen, wie zum Beispiel um den Shawnee Tecumseh, konnten der immer größer werdenden Invasion europäischer Einwanderer nichts mehr entgegensetzen. Und die letzten rechtlichen Restriktionen der britischen Krone, wie zum Beispiel das Siedlungsverbot für Einwanderer westlich der Appalachen, fielen mit der Unabhängigkeitserklärung 1776 und dem darauf folgenden Unabhängigkeitskrieg der 13 Ostkolonien gegen das englische Mutterland, der 1783 mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten endete.
Die Landnahme durch weiße Siedler und die Vertreibung der indianischen Bevölkerung waren unaufhaltsam und fanden im 19. Jahrhundert ihren traurigen Höhepunkt. Die politische Legitimation erhielten die Siedler direkt von den ersten Präsidenten der USA, wie z. B. durch Thomas Jefferson, von 1801 bis 1809 dritter Präsident der USA: „Wir tauschen Land, das sie im Überfluss haben und wir besitzen möchten, gegen Lebensnotwendigkeiten, die wir im Überfluss besitzen und sie haben möchten. Wir gründen Handelsposten und werden zufrieden sein, wenn sie sich verschulden, denn wir werden erleben, dass sie sich willig zeigen, ihr Land herauszugeben, wenn die Schulden ihre Zahlungsfähigkeit übersteigen. … Was ihre Furcht angeht, so nehmen wir an, unsere Stärke und ihre Schwäche sind jetzt dermaßen sichtbar, dass wir nur unsere Hand schließen brauchen, um sie zu zerbrechen.“ „Und wer sich dem Interesse des neuen Staates widersetze, und in die Barbarei zurückfalle, werde wie wilde Tiere in die Wälder der Rocky Mountains getrieben.“11
Und der spätere Präsident Andrew Jackson (1829 - 1837) setzte da noch eins drauf: „Sie (die Indianer, der Verf.) haben weder die Intelligenz, den Fleiß, die moralische Struktur noch das Verlangen nach einer Entwicklung, die so wichtig für die günstige Wende ihrer Lebensbedingungen ist. … So müssen sie notwendig der Gewalt der Umstände weichen.“12 Der US-Historiker George Bancroft behauptete 1834, dass Nordamerika vor dem Eintreffen der Europäer „eine unproduktive Wüste“ gewesen sei. Und weiter: „Seine einzigen Bewohner waren ein paar verstreute Stämme schwächlicher Barbaren“13. Durch solche Äußerungen ermutigt, wurden die Indianer immer mehr zum Hassobjekt der amerikanischen Siedler, die den Indianern jegliches Recht auf Land absprachen, so wie sie Indianerfrauen auch das Recht auf sich selbst absprachen und diese in Folge massenhaft durch Weiße vergewaltigt wurden.
Ein Instrument zur Interessensdurchsetzung der Siedler, deren Zahl von 1812 bis 1852 von sieben auf 23 Millionen anwuchs, war das 1824 als Abteilung des Kriegsministeriums gegründete und ab 1849 dem Innenministerium unterstellte Bureau of Indian Affairs (Büro für indianische Angelegenheiten, BIA). In der ersten Phase seines Bestehens war es vornehmliche Aufgabe des BIA, mit den als souverän erachteten Indianerstämmen Verträge auszuhandeln, um den aus dem Osten kommenden Siedlern Zugänge zur Westküste (sogenannte Durchgangskorridore) zu sichern. Allerdings wurde keiner der im Zeitraum von 1778 bis 1868 zwischen der Regierung der USA und den souveränen indianischen Nationen geschlossenen 394 Verträgen seitens der US-Regierung eingehalten.14 So wurde diese Aufgabe des BIA mit der Zunahme militärischer Siege der US-Armee über die Indianer und mit dem Einstellen weiterer Vertragsabkommen im Jahre 1871 obsolet.
Längst wurde ein groß angelegter Vertreibungsplan für einzelne indianische Völker umgesetzt. Gesetzliche Grundlage war der 1830 unter Präsident Andrew Jackson vorgelegte „Indian Removal Act“. Allerdings sah dieser Plan vor, dass alle Gebiete östlich des Mississippi den Weißen und das gesamte Land der Vereinigten Staaten westlich des Flusses mit Ausnahme der Staaten Missouri und Louisiana sowie des Territoriums von Arkansas den Indianern vorbehalten sein solle.
Diese „Ewige Grenze“, wie sie 1834 im „Gesetz zur Regelung des Handels und der Beziehungen mit den Indianerstämmen und zur Einhaltung des Friedens in den neuen Siedlungsgebieten“ genannt wurde, sollte durch die militärischen Streitkräfte der Vereinigten Staaten geschützt werden. Die Siedler stoppte dies allerdings kaum. Und so wurde die „Ewige Grenze“ kurzerhand nach Westen verschoben. Und nachdem Kalifornien zum 31. Bundesstaat wurde und der Weg der Siedler bis zur Pazifikküste geöffnet werden sollte, wurde die „Ewige Grenze“ der „Manifest Destiny“ geopfert, jener Doktrin, nach der Europäer als überlegene Rasse auserkoren seien, in Amerika das Land und seine Ureinwohner zu beherrschen.
Die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnende Gegenwehr der indianischen Völker und vor allem der Prärieindianer konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten. Die Vertreibung der Indianer in Reservate und die permanente Verkleinerung ihres Lebensraumes waren die Folgen. Manche Reservate waren nahe der ursprünglichen Lebensgebiete der jeweiligen indigenen Nationen, andere lagen viele hundert Meilen entfernt. Viele Stämme wurden nach Inkrafttreten des „Indian Removal Acts“ in weit entfernte Gegenden zwangsumgesiedelt. Besonders bekannt wurden dabei vor allem die Vertreibung der Apachenstämme im Südwesten der USA und der „Lange Marsch“ der Navajo sowie der „Pfad der Tränen“ der im Südosten lebenden indianischen Stämme nach Oklahoma.
Allein bei diesem „Trail of Tears“, dem Marsch in das über 2.000 km entfernt gelegene neue Territorium, starben seit 1838 mindestens 4.000 Cherokee, mindestens 500 Chickasaw. Von den Muskogee starben schätztungsweise etwa 10.000, d.h. 50 % des Volkes sowie rund 2.500 Choctaw an den direkten oder indirekten Folgen der Vertreibung.
Bei dem „Langen Marsch“ der Diné (Navajo) aus dem heutigen Arizona in das Bosque Redondo Reservat in Neu Mexiko starben bereits beim ersten Konvoi 1864 von 2.500 Navajo 323 Personen an Kälte, Hunger, Krankheit und Erschöpfung. Vor allem Kinder, Schwangere, Alte und Kranke, die bei dem fast 500 km langen Marsch nicht mithalten konnten, wurden durch die Soldaten der US-Armee gnadenlos getötet. Beim folgenden Konvoi erreichten von 946 Navajos gerade noch 836 Bosque Redondo. Am Ende lebten 9.000 Navajo und 400 Mescalero-Apachen in einem Reservat, dessen Boden unfruchtbar war, dessen Bäume fast alle für den Bau des in der Nähe gelegenen Fort Sumner gefällt wurden und dessen alkalihaltiges Flusswasser ungenießbar war. Um unter diesen Bedingungen überhaupt überleben zu können und Schutz vor der Sonnenhitze zu finden, lebten die internierten Diné und Mescalero in Erdlöchern, die ein wenig Schatten und Kühle gewährten. Nach drei Jahren waren bereits 10 % der Navajo und Mescalero an diesen Lebensbedingungen gestorben.
Die amerikanische Regierung, die zehn Millionen Dollar in das Unternehmen gesteckt hatte, beauftragte General Tecumseh Sherman mit der Untersuchung der Zustände – nicht nur aus Gründen der Menschlichkeit, sondern auch, um Geld zu sparen. Sherman war erschüttert über die Lage der Diné und schickte einen Bericht an General Ulysses S. Grant, der bald Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte. Am 1. Juni 1868 unterzeichneten Navajo-Häuptlinge in Fort Sumner einen Vertrag, worin die US-Regierung dem Diné-Volk ein Reservat in seinem alten Land zuteilte und den Überlebenden die Rückkehr bewilligte. Im Gegenzug verpflichteten sie sich, von nun an in Frieden mit den amerikanischen Siedlern zu leben.15
Als die Diné in ihre Heimat zurückkehrten, fanden sie ihre Hogans zerstört und ausgebrannt, ihre Pfirsichplantagen mit über 5.000 Obstbäumen gefällt und ihre Maisfelder verwüstet vor. Ihr Vieh war verschwunden oder sinnlos abgeschlachtet worden, und ihre Trinkwasserbrunnen waren teilweise vergiftet.
Diese Liste der Vertreibungen und deren Folgen lässt sich weiter ausführen. Viele der Reservationen lagen in Gegenden, in denen das Überleben für die nun dort angesiedelten Natives schwer war: kaum Wasser, wenig Vegetation, extreme Temperaturen, kaum mehr Wild zum Jagen. Allerdings zeigte sich im Laufe der Jahrzehnte, dass ein Großteil der nordamerikanischen Bodenschätze, wie z. B. Gold, Kohle, Kupfer, Uran usw., genau in diesen Territorien lag.
Die Gebiete der Lakota, Dakota, Nakota, denen im Vertrag von Fort Laramie 1868 ein Territorium von Wyoming bis Minnesota, der kanadischen Grenze bis Nebraska zugesichert wurde, wurden nach dem Fund von Gold in den Black Hills zunehmend verkleinert, was zu immer neuen Konflikten führte. Nachdem in den USA die Regierung 1871 dazu überging, mit den Indianern keine Verträge mehr abzuschließen, wurde den Indianern jegliches Mitspracherecht entzogen. Nun bestimmte die US-Regierung die Neuschaffung, Verkleinerung oder Vergrößerung von Reservaten („Erlass-Reservate“).
In den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bäumten sich gegen diese Vertragsbrüche und gegen die anhaltende Besiedlung der ihnen vertraglich zugesicherten Territorien vor allem die Stämme der Plains- und Prärieindianer ein letztes Mal auf. Die Schlacht am Little Big Horn River am 25. Juni 1876 mag hierfür als Symbol stehen. Doch so spektakulär und geschichtsträchtig diese Schlacht und der Sieg der indianischen Verbündeten über die 7. US-Kavallerie von Lieutenant Colonel Custer auch gewesen sein mag, so sieht die blutige Bilanz der militärischen Auseinandersetzungen zwischen US-Soldaten und den indianischen Verteidigern ihres Landes in der Zeit der sogenannten Indianerkriege zwischen 1790 und 1891 eindeutig anders aus. Den hierbei gefallenen 2.283 Soldaten stehen ca. 400.000 indianische Tote gegenüber.16 Dabei starben viele bei grausamen Gemetzeln und Massakern der US-Kavallerie. Hundert Jahre später rüttelten Bücher wie Dee Browns „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses” (1970) und Kinofilme wie Arthur Penns „Little Big Man“ oder Ralph Nelsons „Soldier Blue – Das Wiegenlied vom Totschlag“ (beide ebenfalls aus dem Jahr 1970) viele junge 68er auf. Durch die zeitlicher Nähe zu den Vietnam-Kriegs-Massakern der US-Army in My Lai aber auch zum neu entstehenden indianischen Widerstand brachten sie das Thema des Völkermords an den nordamerikanischen Indianern wieder in die politische Öffentlichkeit. Dabei war die reale Dimension dieser Gemetzel erheblich brutaler und barbarischer als die schon teilweise schwer erträglichen filmischen Darstellungen:
Nach Sonnenuntergang, am 28. November 1864, verließ Colonel J. M. Chivington mit seiner Truppe „Fort Lyon“ im Bundesstaat Colorado. In der Dunkelheit ließ der Oberst ein Camp umstellen, in dem sich 500 Indianer zur Nacht rüsteten. … Als Indianer den Aufzug der weißen Soldaten bemerkten, informierten sie erschrocken ihren Führer, der die weiße Fahne und die Fahne der Weißen zum Zeichen seiner Friedfertigkeit aufziehen ließ. … Ohne jede Ankündigung … und Pardon wurde das Camp gestürmt. Zuerst machten sie sich über die Männer her … Dann waren die entsetzten Frauen an der Reihe, deren Schreie nach und nach verstummten. Nun waren nur noch die Schreie der Kinder zu hören, dann verstummten auch sie … Als sich nichts mehr regte, was indianisch war, schnitten die weißen Soldaten die reglosen Körper auf. Sie trennten den Frauen die Brüste ab, und dann, Höhepunkt der gespenstischen Nacht, skalpierten sie die Opfer. Am Ende lagen 450 grausam zugerichtete Menschen, wo noch wenige Stunden zuvor die Idylle des Nachtlagers geherrscht hatte.17
Bei der Rückkehr nach Denver wurden Chivingtons Truppen, die an ihren Hüten abgeschnittene Brüste und Genitalien, Skalpe von Kindern und große abgezogene Hautfetzen der massakrierten Cheyenne befestigt hatten, von der Bevölkerung begeistert begrüßt und gefeiert.
Ähnlich wie das Sand-Creek Massaker verliefen zahlreiche weitere Gemetzel, wie z. B. das Massaker am Washita River, ebenfalls an Cheyenne-Indianern:
Die im Winter 1868 in einem Lager am Washita River lagernden Cheyenne unter ihrem Häuptling Black Kettle litten Hunger, da die von der Regierung versprochenen Lebensmittellieferungen ausblieben. Zahlreiche junge Krieger wollten diesen Zustand nicht länger hinnehmen und machten sich auf in die ehemaligen Jagdgründe am Smoky Hill. Der Indianeragent Wynkoop eilte zu Black Kettle und bat ihn, die jungen Krieger zurückzuhalten.
„Unsere weißen Brüder entziehen uns die Hand, die sie uns am Medicine Lodge gereicht haben, aber wir werden versuchen sie festzuhalten“, sagte Black Kettle. Doch immer wieder brachen junge Krieger auf, um Nahrung zu beschaffen und sich für die gebrochenen Versprechen zu rächen. General Sheridan wollte das unterbinden und ein abschreckendes Beispiel geben, was den Indianern bevorstand, wenn sie aufbegehrten.
Anfang November 1868 wurde Black Kettle bekannt, dass Truppen unter George Armstrong Custer auf dem Weg waren, und er bat, seinen Stamm in der Nähe von Fort Cobb lagern zu lassen. Der Kommandant des Forts lehnte ab, er gab jedoch die Zusicherung, Black Kettle würde nicht angegriffen, wenn er und seine Krieger ruhig blieben. Aber die Vernichtung seines Dorfes war bereits beschlossen.
Im Morgengrauen des 27. November 1868 kamen Custers Truppen. In der Nacht hatte es geschneit, und Nebel lag über dem Lager. Die Indianer hatten nicht bemerkt, dass Custers Truppen vor dem Lager ausschwärmten. Custer hatte klare Weisungen erhalten und gedachte diese mitleidlos auszuführen, um sich nach seiner einjährigen Zwangspause erneut zu profilieren. Mit dem Angriffssignal des Hornisten und unter den Klängen der Regimentskapelle, die den Militärmarsch der 7. Kavallerie spielte, stürmten die Truppen in das schlafende Dorf, ohne auf Widerstand zu stoßen, und das Massaker begann. Die fast nackt aus ihren Zelten in den Schnee flüchtenden Indianer wurden niedergemacht. 103 Indianer wurden binnen Minuten getötet, 53 Frauen und Kinder gefangengenommen. Über 800 Indianer-Ponys wurden auf Befehl von Custer erschossen.18
Es mag ein trauriges Zeugnis über den Zivilisationsgrad des weißen Amerika sein, dass gerade in Nähe dieser Stätten übelster Massaker an den Cheyenne Ortschaften die Namen der beiden Kriegsverbrecher „Chivington“ und „Custer“ tragen und beide über 150 Jahre später immer noch als Helden von Teilen der weißen Bevölkerung ver- und geehrt werden.
Die sogenannten Indianerkriege endeten mit dem Massaker von Wounded Knee im Jahr 1890, 16 Tage, nachdem der Lakota-Medizinmann Sitting Bull bei seiner Festnahme durch indianische Polizisten in Kanada erschossen wurde. 300 meist unbewaffnete Indianer, darunter viele Frauen, Kinder und Alte, waren unter Führung ihres an einer schweren Lungenentzündung erkrankten Häuptlings Spotted Elk (Big Foot) auf dem Weg zur Pine Ridge Agency, um dort bei Häuptling Red Cloud in Sicherheit den harten Winter überstehen und Schutz vor den sie verfolgenden Soldaten finden zu können. Keinen Tagesritt von Pine Ridge entfernt trafen die Minneconjou-Lakota nahe des Flüsschens Wounded Knee, in der Nähe jenes geheimen Ortes, an dem die Lakota das Herz des in Fort Robinson, Nebraska, ermordeten Häuptlings Crazy Horse bestattet haben sollen, auf Soldaten und wurden durch diese zu einem Lagerplatz der Kavallerie gebracht. Dort wurden sie von dem zu diesem Zeitpunkt noch die Operation leitenden Major Samuel Whiteside recht fair behandelt. Den entkräfteten Indianern wurden Zelte und Proviant übergeben, und der Regimentsarzt kümmerte sich um den erkrankten Häuptling, vor dessen Zelt sogar ein Ofen aufgebaut wurde. Die Situation änderte sich am späten Abend, als Colonel J. W. Forsyth mit dem Rest der 7. US-Kavallerie eintraf und die Leitung der Gesamtoperation übernahm. Forsyth feierte mit seinen Soldaten die Festnahme Big Foots – es wurde massenhaft Whiskey getrunken. Ein indianischer Zeuge, der sich von den Soldaten unbemerkt angeschlichen hatte, hörte bereits in der Nacht, dass die alkoholisierten Soldaten immer wieder in Rachegedanken aufgrund der Niederlage am Little Big Horn und des Todes von George Armstrong Custer verfielen und warnte daraufhin seine Leute. Als am kommenden Tag die Indianer entwaffnet werden sollten und sich dabei ein Krieger, der nach Aussagen eines Nachfahren von Big Foot schwerhörig gewesen ist, weigerte sein Gewehr abzugeben und bei der Rangelei bei seiner Entwaffnung sich ein Schuss aus seinem Gewehr löste, eröffneten die Soldaten sofort mit Gewehren und später auch mit Hotchkiss-Kanonen das Feuer auf das indianische Camp.
Laut Zählung starben bei diesem Massaker 153 Minneconjou-Lakota, viele waren verwundet und einige konnten auch schwerverletzt in die umliegenden kleinen Rinnen und Schluchten (Ravines), in denen auch einige Frauen und Kinder Zuflucht gefunden hatten, entkommen. Die Soldaten forderten die sich dort versteckenden Lakota auf, aus den Ravines hochzukommen, dann würden sie medizinisch versorgt werden. Für diejenigen, die diesen Worten glaubten, und dies war die Mehrzahl der sich dort verbergenden Lakota, sollte ihr Vertrauen tödliche Folgen haben. Sobald sie den oberen Rand der kleinen Senken erreicht hatten, wurden sie durch die Soldaten erschossen.
Die Bilder des im Schnee liegenden steif gefrorenen Leichnams von Big Foot und der in Massengräber geworfenen Leichen der getöteten Lakota zählen bis heute zu den meistverbreiteten Aufnahmen jener Zeit und sind damit Zeugnisse jenes grausamen Mordens und Tötens der US-Kavallerie, das noch am 30.12.1975 offiziell durch das US-Verteidigungsministerium als legitime Schlacht bezeichnet wurde.
Eine weitere zentrale Todesursache für viele Native Americans lag in den Folgen von Unterernährung und Hunger. Diese wiederum korrespondierten mit drei Entwicklungen.
Erstens starben viele Indianer an Unterernährung verbunden mit Erschöpfung im Rahmen ihrer territorialen Vertreibung und Zwangsumsiedlung – entweder direkt im Verlauf dieser ethnischen Säuberungsaktionen oder aber, da es in den zugewiesenen Reservationsgebieten kaum ausreichende Jagd-, Fischerei- oder Anbaumöglichkeiten gab.
Zweitens wurden einige Reservate permanent so verkleinert bzw. nach dem „General Allotment Act“ von 1887, auch „Dawes Act“ genannt, so parzelliert, dass die zugewiesenen Parzellen auf die Dauer für die Ernährung der Familien kaum ausreichend waren.
Drittens wurden mit der gezielten Ausrottung der Bisons den nordamerikanischen Indianern eine ihrer wesentlichsten Lebensgrundlagen entzogen.
„Der Bison war alles für die Indianer. Er war ihr Leben. Er war Tag und Nacht. Was sie sahen, rochen, aßen oder anfassten, bestand aus Bison. Er war das Zentrum ihrer Kultur.“ Bisons lieferten nicht nur ausreichend Fleisch für die Ernährung. Bisonmägen dienten lange Zeit als Koch- und die Blase als Aufbewahrungsbehälter. Hirn, Niere und Leber wurden als Gerbmaterial eingesetzt. Gegerbtes Fell mit und ohne Haare wurde zur Herstellung von Decken, Winterkleidung, Material für Sättel, Zeltplanen, Satteltaschen und Bekleidung genutzt. Ungegerbte Rohhaut diente der Herstellung von Aufbewahrungsboxen, Trommeln, Messerscheiden usw. Seile und Schnüre wurden aus Bisonhaar gedreht, und aus Haut- und Hufresten wurde Leim gekocht. Hörner wurden als Löffel, Trink- und Pulverhörner verwendet, Zähne und Knochen dienten der Schmuckherstellung und Bisonschädel als Altarbestandteile bei indianischen Zeremonien. Die Sehnen konnten als Nähmaterial oder Bogensehnen genutzt werden, und der getrocknete Büffeldung ersetzte oftmals Holz als Feuerungsmaterial.19