Kitabı oku: «Tschapka», sayfa 2

Yazı tipi:

Bei der Firma handelte es sich um eine Firma, die mit dem Verkauf von Büro- und Schreibartikeln beschäftigt war. Jeden Tag. Kulis und Bleistifte beispielsweise. Oder Schnellhefter. Die gängigen Artikel der Schüler, Studenten und Bürogestalten. Ich erhielt im Einladungsschreiben auch die Information, eine Seitentür, linke Hand vom Haupteingang, kurz um die Ecke, zu benutzen. An der Tür bitte läuten und dann würde diese, bei einem ertönenden Surren, zu öffnen sein. Das mit dem Surren stand so zwar nicht in dem Brief, aber es surrte tatsächlich, und ich trat durch eine Aluminium- oder Stahltür in einen Raum, der stark an ein Wartezimmer bei den Doktoren erinnerte. Was mich etwas irritierte, war, dass dieser Raum nicht automatisch irgendwohin führte, sondern er war vollkommen abgekapselt. Nach allen Seiten. Keine Fenster, folglich kein Tageslicht, nur eine Neonröhre an der Decke sorgte an einem Sommermorgen für künstlich grelles Licht. Direkt gegenüber der massiven Eingangstür war eine zweite Stahltür in die Wand eingelassen, leider ohne eine surrende Taste. Der Stahlkoloss musste der Zugang tief ins Innere der Firma gewesen sein, hinter dem ich eine Empfangsdame vermutete, die sicher darauf wartete, mir einen Begrüßungskaffee anbieten zu können. Nur leider waren wir durch zehn Zentimeter dicken Stahl getrennt. Ich war hermetisch abgeriegelt, und zwar so hermetisch abgeriegelt, dass ich nicht einmal einen kleinen Blick auf diejenigen werfen konnte, die sich gerade damit beschäftigen, eine noch nie da gewesene Verkaufstaktik für das neue Radiergummi-Sortiment zu entwickeln. Es war ein Wartezimmer, welches ohne Probleme auch als Schutzraum vor möglichen Angriffen seinen Zweck erfüllen konnte. Um einen großen Glastisch konnten ein Dutzend Besucher oder Schutzsuchende Platz nehmen. Ich nahm Platz und kramte in den ausgelegten Zeitschriften. Autohefte, ein paar Illustrierte, auch was Spezielles für die Frau von heute und auf Hochglanz polierte Wirtschaftsmagazine. Ich las etwas Spezielles für die moderne Frau und stellte fest, die moderne Frau mag den modernen Mann, und im Handumdrehen war die erste halbe Stunde rum. Ohne dass irgendetwas passierte. Ich hatte um 09.00 Uhr einen Termin und es war nun mittlerweile 09.30 Uhr. Ich vertrat mir die Beine und machte zehn Kreise um den Tisch. Jetzt war es gerade mal 09.32 Uhr, trotz langsamer Gangart um den Glastisch. Hatte man mich vergessen? Nur, wie kann eine moderne Firma, in der moderne Frauen und Männer ihre Schreibartikel mit noch moderneren, ausgeklügelten Verkaufsstrategien an die Schreib- und Malwütigen bringen, den angehenden Top-Vertreter Ronny Luschke derart lang warten lassen, oder gar komplett schon aus ihren Gedanken gestrichen haben? Einen Augenblick später bemerkte ich etwas, was der ganzen Angelegenheit für mich einen neuen Blickwinkel gab. Ich sah Kameras. Zwei Kameras, die gegenüberliegend an der Decke in den Ecken angebracht waren. Ich zog einen Stuhl in Position, stellte mich drauf und nahm eine der beiden genauer unter die Lupe. Ich blickte aus nächster Nähe direkt in die Linse, konnte nicht erkennen oder hören, ob sie lief oder nicht, und versuchte am Gehäuse etwas zu drehen. Es war nichts zu machen, sie ließ sich nicht hoch zur Decke bewegen. Vollkommen festgezogen das Teil. Und still war sie, wie tot war die Kamera. Doch das hatte nichts zu bedeuten, überzeugt war ich davon, dass ich beobachtet wurde, dass man mich unter die Lupe nahm. Und nicht nur das – ich war mir sicher, irgendwo in einem Kontrollraum saßen sie an einem Pult, sahen mich und betrieben längst eine merkwürdige Tiefenanalyse.

„Frau Psychologin, was sagen Sie zu diesem Fall?“

„Ich habe ein derartiges Verhalten noch nicht gesehen, mit diesem Mann stimmt etwas nicht, aber lassen sie uns nicht vorschnell urteilen, sehen wir, wie er sich weiter verhält.“ Nur so konnte ich es mir vorstellen. Ich sah mein Spiegelbild in der Linse, strich kurz über mein Gesicht, rasch noch mein Haar gerichtet, sodann ein Blick in meinen Mund. Alles war am richtigen Platz. Ich drückte mich auf meinen Zehenspitzen hoch, etwas wackelig ging es jetzt auf dem Stuhl zu, doch konnte ich nun meine Krawatte in ihrer Position sauber nacharbeiten. Sah so ganz gut aus, nur wenig durchgewetzt der Stoff. Hatte After Shave drauf, aber eine Kamera kann nicht riechen, egal. Ich hüpfe vom Stuhl und klopfte mehrmals an die Tür, die zur Firma führen sollte. Nichts, keinen Mucks gab es. Ich gab mich als Ronny Luschke zu erkennen, rief, ich wäre der mit dem Vorstellungsgespräch. Um durch die Stahltür oder durch die Wände durchdringen zu können, legte ich dabei deutlich an Lautstärke zu. Doch es klang wie in einem vollisolierten Raum. Ich war wie in einem Panik-Raum gefangen und stand unter voller Beobachtung. Ich krabbelte wieder auf den Stuhl, griff mir die Kamera und sprach in diese hinein: „Sie dort, sie hatten mich doch zu einem Gespräch eingeladen. Nun, ich warte, außerdem muss ich mal, soll ich draußen … ? Na gut, ich geh kurz raus und mache und rauche eine, dann komm ich wieder rein. Okay?“

Ich ließ einen Fuß in der Tür stehen und qualmte eine durch. Für alles andere war meine Position in der Türschwelle nicht so passend. Ich ging zurück in meinen Panik-Raum und versuchte nun einen Platz zu finden, der hoffentlich nicht von den Kameras eingefangen wurde. Ich wollte mich nur noch ihrer Beobachtung entziehen, unsichtbar für die Psychologin sein und so drückte ich mich stehend in eine Ecke, einem Ort, von dem ich dachte, außerhalb der Reichweite des ominösen Kameraauges zu sein.

„Was tut er da jetzt?“

„Er versucht sich unserem Blick zu entziehen, doch egal was er auch unternimmt, wir haben ihn unter Kontrolle.“

„Sollen wir abbrechen? Ich denke, wir haben genug gesehen, Frau Psychologin.“

„Ja, wir brechen hier ab. Es hat keinen Sinn weiterzumachen.“

Es war nun schlag zehn und wenigstens funktionierte noch meine Einbildung von dem, was sich im Kontrollzentrum hätte abspielen können. Vielleicht war es aber auch keine Zermürbungstaktik und möglicherweise gab es auch überhaupt kein Kontrollzentrum und keine Psychologin weit und breit. Womöglich hatten sie mich nur vergessen, einfaches menschliches Vergessen. Raus aus dem Radar, nicht mehr auf dem Schirm. Doch dann hörte ich eine Stimme, weiblich, aber tief. „Herr Luschke, Sie können jetzt gehen. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Vielen Dank!“

Ich drückte mich an der Wand langsam zur Eingangstür und hörte wieder diese Stimme aus dem Nichts. „Herr Luschke, gehen Sie bitte ganz normal, es gibt keinen Grund sich an der Wand herauszuschleichen.“

„Ja, danke, das mache ich, also ich gehe dann mal.“

Von Verwirrtheit gepackt sprang ich mit einem Satz zur Tür, riss sie auf und hechtete in die Freiheit. Ich war zur damaligen Zeit schon oft durcheinander, jedoch noch nie so durcheinander wie in diesem Moment, als ich mich aus dem Panik-Raum warf.

„Mann Ronny, du Depp! Die haben dich getestet. Du willst Vertreter werden? Es gab mit Sicherheit irgendwo Hinweise im Raum, wie du dich verhalten solltest. Natürlich nicht in die Kamera reden. Mann Ronny, überleg doch mal!“

Die Wanderheuschrecken

Irgendwo zwischen Bielefeld und Paderborn, in jedem Fall weit hinter Hannover, saß ich an diesem Morgen frischgewaschen in einem Konferenzraum eines übergroßen Konferenzhotels mitten in der Pampa. Am Vorabend hatte ich erst in der Lobby, später an der Hotelbar, ein Kennenlernen mit einem Mann, der seine Kolonne von Stadt zu Stadt jagte. Auf dem Bartresen breitete er eine Landkarte von Norddeutschland aus und lies seine Finger von Ort zu Ort wandern, von links nach rechts, von Westen nach Osten. Fruchtbarer Boden, wohin man auch blickt, waren seine Worte, während seine Augen dabei zu glänzen begannen. Sein Stoßtrupp hatte sich von westlicher Seite einem Ort zu nähern, brachte sich auf einem Parkplatz am Ortseingangsschild in Position, sollte überfallartig einfallen, von Haus zu Haus sich vorkämpfen und nach drei Tagen wäre eine Kleinstadt durchkämmt. Der Mann, der mir das erzählte, trug zwar keine militärische Kluft, aber was er von sich gab, klang nach purem Einsatzkommando und Häuserkampf. Mitten im zweiten Bier an der Bar stupste er mich an und forderte mich auf, ihm nach draußen zu folgen. Wir nahmen unsere Biere mit auf den Weg und schlenderten zum Hotelparkplatz. Warum auch nicht, dieser Sommerabend war genau richtig, um sich zwischen parkenden Karren weiter zu betrinken. Wir stoppten vor einem dunkelgrünen Jaguar E-Type, der sich quer über zwei Parkbuchten langmachte. Ich war kurz davor, das außerordentlich gut gepflegte englische Springpferd zu berühren, als er mahnend seinen Finger erhob: „Fassen Sie ihn nicht an, und passen Sie mit ihrem Bier auf!“

Er stellte sich so neben seinem Gefährt auf, als ob er darauf wartete, von mir fotografiert zu werden. Seine Sonnenbrille schob er aus seinem Haar zurück ins Gesicht und stützte sich ganz leicht auf den vorderen Kotflügel. Und griente mich an. Und nun? Eine Bemerkung von mir, wie gut er sich an seinem Automobil aus den 60ern macht? Etwas Applaus mit der freien Hand, an die, die das Bierglas hielt?

„Warum sind wir jetzt hier, hier an meinem Jaguar E-Type Luschke, Idee?“

„Ich denke, Sie wollen mir zeigen, dass Sie es sehr weit in ihrem Leben gebracht haben. Jetzt, stehend an der Seite dieses, sicherlich nicht gerade billigen Automobils.“

„Luschke, ich bitte Sie, nicht gerade billig. Mann, nicht viele können sich so etwas leisten. Aber Sie denken in die richtige Richtung. Meine Leute bekommen, für den Fall, dass sie nichts oder wenig verkaufen, so wenig Geld, dass sie nicht mal ihre Mieten bezahlen können. Machen sie allerdings einen sehr guten Job und verkaufen wie Hölle, liegt genau das hier drin.“

Seine offenen Handflächen ließ er dabei andächtig über die Motorhaube seines Jaguars wandern, und ich dachte, er würde seine kleine Vorführung mit einem „Voilà!“ abschließen wollen, so wie ich es mal bei einem Autoverkäufer sah, der mir einmal inbrünstig ein schnittiges Coupé zeigte, obwohl ich mich dort im Ausstellungsraum nur aufwärmen wollte, da es mir zu kalt an der nahe gelegenen Haltestelle wurde.

„Meine Besten machen richtig Asche Luschke, richtig Asche. Kommen Sie, wir gehen wieder rein.“ Während ich ihm zurück an die Hotelbar folgte, fiel mir erst auf, wie er mich ansprach. Nicht etwas „Herr Luschke“, oder „Herr Ronny Luschke“, er sagte ausschließlich und immer wieder nur – „Luschke“. Vielleicht war es die Gepflogenheit in dieser Firma, eine spürbar herablassende Merkwürdigkeit, die ich zwar mit jedem weiteren „Luschke“ mehr und mehr zum Kotzen fand, mich jedoch keineswegs davon abhielt, mich auf ihn einzulassen. Wieder einmal siegte meine Neugier auf alles, was das Leben mir präsentieren würde. Ich selbst beließ es bei „Herr Kaportzke“. Herr Kaportzke, der aussah wie jemand, der es mochte, sich einen ganzen sonnigen Tag an seinen Sportwagen zu stellen, um weltmännisch in die Luft zu grinsen. Mitte vierzig, höchstens, tiefengebräunt und poliert von oben bis unten, genau wie sein stolzes Gefährt. Zurück an der Bar und wieder in eine angenehme Trinkposition gebracht, erklärte ich Herrn Kaportzke die Situation mit meinem Abschluss, also mit meinem fehlenden Abschluss. Könnte ich schon bald nachholen, und dann, Schwupps, wäre meine Aktenlage sauber. Kaportzke – ich strich gedanklich ab sofort das „Herr“ – zeigte sich sehr irritiert über das, was ich sagte. Niemand, aber auch wirklich niemand aus seinem Trupp, nicht einmal er selbst, besitze so etwas wie einen Hochschulabschluss. „Luschke ...“ – da war es wieder – „Luschke, ich brauche hier keine hoch qualifizierten Theoretiker, keine Zahlendreher, keine Typen, die irgendwelche Lehrbücher nachplappern können. Kommen Sie mir nicht mit Studium und solchem Gedöns. Ich brauche Leute, die echte Verkäuferschweine sind, die sich durchbeißen können, die auf Teufel komm raus, jeden Scheiß an die Leute bringen, davon rede ich, verstanden?“

Ich verstand und drehte nunmehr meinen kleinen Einwurf in die richtige Richtung. “Herr Kaportzke, ich ein erfolgreicher Hochschulabsolvent? Sehe ich so aus? Nicht im Geringsten, wo denken Sie hin. Seien Sie beruhigt, allenfalls habe ich mich als untalentierter Bongospieler in Bahnhofstunneln durchgeschlagen. Ein Zahlendreher? Wie soll ich etwas drehen, was ich kaum kenne? Ich versichere Ihnen, ich bin durch und durch keine große Leuchte.“

Kaportzkes Gesichtszüge entspannten sich. Große Leuchten waren einfach nicht bei ihm gefragt. Eine weitere Bierlänge gab es für mich nun einiges aus Kaportzkes Welt zu hören, wobei er weniger über sich sprach, vielmehr beschrieb er den Ablauf eines typischen Tages seiner „Jungs“. Jetzt wusste ich, wie der Hase lief. Der Hase ist ein fletschendes Kampfkarnickel in Gestalt eines Verkäuferschweines, welches wie vom Wahn gepackt durch die Vorgärten seine Haken schlägt, um sich dann solange am Opfer zu verbeißen, bis es aufgibt und den Auftrag unterschreibt. Oder jämmerlich verblutet, jedoch nicht ohne, dass das Kampfestier vorher noch die Tinte des Opfers zur Unterschrift führt.

Ronny, bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Du wanderst hier direkt in eine Drückerkolonne hinein. Entweder du wirst ein Drücker, der seine Miete nicht zahlen kann, oder, wie Kaportzke es formulierte, eben eines der Verkäuferschweine allererster Güte, skrupellos, durchtrieben und mit einem ausgeprägten Hang zu Goldschmuck und tosendem Motorengeheule. Kaum gedacht, wurde ich von Kaportzke leicht in die Rippen gestoßen. Auch so ein merkwürdiges Ritual.

„Luschke, ich muss los, muss noch wohin, trinken Sie ruhig noch was, aber nicht zu viel, morgen müssen Sie fit sein. Die nächsten zwei Tage werden spannend für Sie. Schnuppern Sie bei uns erst einmal rein und denken Sie daran, ihre Biere zu zahlen.“

Kaportzke lud mich nicht ein. Kaportzke rechnete seine Biere heraus, zahlte seinen Teil und verschwand. Wir waren beide in einer fremden Stadt, wo musste Kaportzke also hin? Ich war mir sicher, er wollte noch einen kurzen oder längeren Abstecher in den hiesigen Kleinstadtpuff machen. Ein wenig war mir auch nach Kleinstadtpuff, doch hatte ich wenig Lust wieder auf Kaportzke zu treffen, außerdem reichte mein Geld sowieso nur noch für zwei letzte Biere an diesem Abend. Mir kam der Gedanke, vom Barhocker aufzustehen, Bier und Zimmer zu zahlen, um ganz unbemerkt das Weite zu suchen. Weg von Kolonnenführer Kaportzke. Mein Gott Kaportzke, was für ein Name und so, wie er hieß, so war er auch. Ein rüder, arroganter Typ, für den seine Kolonne nur aus „Verkäuferschweinen“ bestand. Warum überhaupt diese Höflichkeit? Warum nicht nur „Schweine“? Komm Ronny, bleib sitzen, nimm nicht den Nachtzug nach irgendwo. Was wäre, wenn du schneller mit Kaportzkes Welt warm wirst, als du denkst, und vielleicht bist du in einem Jahr selbst Kolonnenführer. Ich? Ausgerechnet ich?

Ich blieb am Tresen sitzen, fragte den Barmann nach einem gewissen Etablissement im Ort, bekam prompt den Tipp, die „Lido-Bar“, dort, am Ende der Straße, sehr nette Damen dort, angemessene Preise dort. Dort, am Ende der Straße. Ich blieb sitzen und trank mein letztes Bier.

Am Morgen danach war ich der erste im Konferenzraum. Ein Dutzend Tischreihen mit Dutzenden Stühlen. Ausreichend Platz für eine kleine Drückerarmee. Letzte Reihe in Nähe zum Ausgang war wie immer Ronny Luschkes Platz. Angestammt. Das war in den wenigen Besuchen in Auditorien niemals anders. Kaffeepausen sind nicht nur zum Kaffeetrinken da, sondern zum schnellen Abgang wie gemacht. Kaportzke hatte seine Leute im Griff, um Schlag neun war jeder Platz besetzt, keiner war verspätet, dafür viele verkatert oder in noch schlechterem Zustand. Es roch nach schalem Bier, kaltem Rauch und direkt neben mir nach Schnaps. Wonach roch ich? Keine Ahnung, doch die halbe Kanne Kaffee, die ich mir vor Minuten gab, übertünchte wenigstens sämtliche Reste von Modrigkeit im Mund, die ich nur allzu gut kannte. Kaportzke trug jetzt einen dunklen Anzug, nicht mehr seine Lederjacke vom Vorabend. Ansonsten ließ er sich nichts anmerken, auch nicht als einer seiner Leute ihn auf irgendeine Sache in der Lido-Bar ansprach. Der Bursche bekam kurzerhand einen verbalen Tritt in den Arsch, worauf er sich an seinen Platz kuschte. Es mussten wohl einige die Nacht in der Lido-Bar verbracht haben, es war anfangs Thema Nummer eins. Der Letzte, der reinkam, nahm neben mir am einzig verbliebenen freien Stuhl Platz. Der Typ trug ein Hawaiihemd, kurzärmelig, seine roten Unterarme waren übersät mit Einritzungen und kleinen Tätowierungen, und trotz meiner Schätzung von nicht mal dreißig, war sein Gebiss kaum als solches auszumachen. Er roch wie eine menschliche, offene Whiskeyflasche. Als er sich zu mir drehte, sah ich auf seiner rechten Wange eine alte Narbe, die vom Ohr bis zum Mund reichte. Eine schwere Kampfeswunde aus vergangenen Zeiten, sicherlich nicht von einem Gefecht mit einem widerspenstigen Kunden davongetragen, eher vermutete ich eine Hinterhof-Messerstecherei. Ronny, ein bisschen auf die Wortwahl aufpassen, nichts, was ihn leicht provozieren könnte. Am besten sage erst mal gar nichts, nur könnte das Narbengesicht womöglich gerade dein Schweigen als Provokation auffassen, also sprich doch, stelle dich freundlich vor und sage etwas Nettes über ihn. Ein Kompliment, nicht der Narbe wegen, nein, besser vielleicht für seine von Einkerbungen malträtierten Arme, oder doch für das orangerotgelb leuchtende Hawaiihemd? Sein Haar war zerzaust wie die eines Straßenköters und ich konnte aus seinem erwartungsvollen Blick spüren … ja, er wartete auf irgendetwas. Sicher auf ein paar höfliche Willkommensworte von mir.

„Ich bin Ronny, Ronny Luschke.“ Daran war nun wirklich nichts provozierend.

„Ich bin Kreische, alle sagen nur Kreische zu mir.“

Ich traf vorher noch nie einen Menschen bei dem der Name so sehr zur Stimmlage passte. Kreisches Stimmbänder mussten über eine sehr lange Zeit richtig in die Mangel genommen worden sein. Er sprach nicht, er krächzte jedes Wort fast wie unter Qualen heraus. Möglich, dass das Messer seines damaligen Kontrahenten nicht nur sein Gesicht, sondern auch gleich seine Stimmbänder der Länge nach mit aufschnitt. Den Rest erledigte sicher Hochprozentiges. Ich stellte mir kurz vor, wie es sein würde, wenn Kreische auf Kunden treffen sollte, was ihm ja jeden Tag passierte. Wählen die Leute heimlich die 110 oder flüchten sie über den Balkon ins Freie? Und was macht dann der zurückgelassene Kreische? Bedient er sich an der Hausbar und trinkt die gefundene Flasche Doppelkorn leer? Nicht dass ich total verkehrt lag und in wenigen Minuten wird Kreische zum Verkäufer des Monats ausgerufen und mit gefalteten Händen eine krächzende Dankesrede halten.

„Kreische, es ist mein erster Tag, ich mache erst einmal nur zur Probe hier mit. Heute die Konferenz, oder was das hier sein soll, und morgen mit einem von euch mit rausfahren. Vielleicht ja mit dir, Kreische?“

Kreisches Augen weiteten sich schlagartig, als hätte jemand ihm eine Ladung Valium verpasst. Als seine Pupillen sich wieder auf Normalgröße schrumpften, krächzte er mir ein „niemals, bei mir fährt keiner mit“ zu. Die Absurdität meiner Frage schoss ihm so massiv durch den Körper, dass er mich noch sekundenlang anstierte, wodurch mein Blick ebenfalls an seinen rotglasigen Augen haften blieb. Es ist wie mit Hunden, die in keiner guten Grundstimmung sind. Ein allzu langer Blick direkt in die Hundeaugen kann für den Zweibeiner schlimme Aggressionen des Tieres nach sich ziehen. Ich begann, meinen Kuli auseinanderzunehmen, die Mine zu prüfen, setzte ihn wieder zusammen, sortierte mein Schreibpapier von links nach rechts, dann zurück, dies alles nur, um Kreische zu zeigen, dass ich verstanden hatte und nicht auf Ärger aus war. Alles war vergebens. Aus dem rechten Augenwinkel konnte ich erkennen, wie sein Blick an mir kleben blieb. Ich gab mich so beschäftigt, wie es nur ging und schrieb „Heute erste große Konferenz“ auf ein Stück Papier, doch alles war umsonst. Auch wenn es lediglich eine vage Idee war, mit Kreische mitzufahren, doch nicht mehr als das, schien sein Gehirn unaufhörlich ihm eine Meldung wie „wenn der Typ es noch einmal wagen sollte, dann wird er die Kaffeepause nicht lebend überstehen“ zu signalisieren. Erst als Kaportzke die Bühne betrat – ich schrieb auf mein Papier „Kaportzke betritt die Bühne“ –, ließ er endlich von mir ab. Kaportzke krempelte sich die Hemdsärmel hoch und schlug einigen aus der ersten Reihe kumpelhaft auf die Schultern. Einem drückte er sogar seine Pranke derart in den Nacken, dass der junge Kerl mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Katzenbuckel machen musste. Der Katzenbucklige drehte sich nach Sekunden der Peinigung aus Kaportzkes festem Griff heraus und rieb sich den malträtierten Hals, bevor er wieder seine internatshafte aufrechte Sitzposition einnahm. Kaportzke lachte lauthals kurz auf, als er sah, dass sein Griff nicht ohne Wirkung blieb. Alles Vorgeplänkel, alles nur Teil seines Vorspiels. Kaportzkes Auftritt begann mit feinem Ausrichten einer Folie auf dem Overheadprojektor. Nur die Überschrift war zu sehen, der Rest war mit einem Papier abgedeckt. Ich las dort „Verkäuferhitparade“ und ich schrieb „Verkäuferhitparade“, was Kreische jedoch nicht entging. Ein kurzer, flüchtiger Blick in sein Gesicht. Wieder schaute ich in ein von Valium aufgepumptes Augenpaar, und sein unverändert aggressives Reibeisen stieß „… schreib dir die Scheiße doch nicht auf, du Idiot!“ heraus. Kaportzke ließ ein lautes „Schnauze an alle!“ folgen, was außerordentlich gut funktionierte. Ab diesem Moment herrschte Ruhe. Geschlossene Schnauzen soweit ich sehen und hören konnte. Dann zog Kaportzke das Papier von der Folie und legte nicht nur viele Namen und Verkaufszahlen der letzten Woche frei, sondern er auch richtig los.

„Warum sehe ich immer wieder nur dieselben Namen ganz oben? Meine Top-Verkäufer!“, schrie Kaportzke mit süffisantem Unterton in die Menge. “Und immer wieder dieselben Namen ganz unten? Meine Top-Pfeifen! Warum schaffen es meine Top-Pfeifen nicht einmal bis ins hintere Mittelfeld? Haben sie möglicherweise immer noch nicht begriffen, worum es mir geht? Haben sie tatsächlich nicht begriffen, wie man Geld verdient?“

Dass Kaportzke nicht zu den Leuten gehörte, die Gedanken daran verlieren, um den heißen Brei herumzureden, hatte ich mir schon gedacht, sein Auftakt war jedoch brachialer, als ich mir vorstellen konnte. Er war klar auf Angriff gepolt. Kaportzke stellte noch weitere fünf, rein rhetorische Fragen und bekam, wenig überraschend, keine Antworten. Warum auch, ich war mir sicher, Kaportzke hätte seine süffisanten Fragen jederzeit selbst beantworten können, was er dann auch tat. Kurz und bündig beendete er seine Ouvertüre mit – einfach nicht begriffen, diese Idioten!

Die letzten fünf der „Verkäuferhitparade“, allesamt waren sie ohne jeglichen Verkaufsabschluss, wurden von Kaportzke unisono zu Komplettversagern erklärt. Sie mussten sich auf sein Kommando von ihren Stühlen erheben und wurden zu Kaportzkes persönlicher Beleidigungsarie freigegeben. Auf der Hitparade – ich dachte einen Moment an die echte Hitparade, dort, wo auch die schlimmste Schnulze noch frenetischen Beifall bekommt – gab es zwei Meiers. Der eine ganz oben, der andere war einer von den fünf Pfeifen. Kaportzke nannte letzteren nur Versager-Meier. Genüsslich, abwertend und immer wieder aufs Neue.

„Versager-Meier, warum schadest du nicht nur dir, sondern auch mir? Warum willst du, dass ich diesen Monat nicht eine goldene Rolex bekomme, die ich bekommen könnte, wenn du daran denken würdest, mit dem Verkauf zu beginnen? Wie lange soll ich noch auf dich warten, Versager-Meier, sage es mir, wie lange? Wann trittst du dir selbst in den Arsch und lieferst mir endlich mal ein paar Abschlüsse? Oder wartest du darauf, bis ich dir mal richtig in den Arsch trete? Aber das kann ich dir nicht empfehlen, denn dann würde sich die Spitze meiner Stiefelette tief in deinen Versagerarsch bohren, klar?“

Versager-Meier sagte nichts und nickte nur unentwegt unter dem Reigen an Beleidigungen, die auf ihn niederprasselten. Während Kaportzke sich die anderen vier aus der Riege der Abschlusslosen vorknöpfte, suchte ich Kreische auf der Hitliste. Ich fand ihn im hinteren Mittelfeld. Immerhin. Und sein Name war Tobias Kreischke. Jetzt weiteten sich allerdings meine Pupillen. Kreischke ohne - K - war Kreische. Luschke ohne - K - weckte Kindheitserinnerungen in mir. Ich konnte mir zwar zu diesem Zeitpunkt kaum noch vorstellen, Kaportzkes Club der Erniedrigungen beizutreten, und sollte es doch geschehen, bangte ich darum, mich nicht in den unteren Regionen zu Versager-Meier gesellen zu müssen, was bedeuten könnte, wieder als Luschke ohne - K - gebrandmarkt zu werden. Womöglich der alles entscheidende Grund, in der ersten Kaffeepause nun doch das Weite zu suchen. Das eine „Ich“ drängte mich ständig zur Flucht im passenden Moment, das andere „Ich“ sah es allerdings deutlich gelassener, da dieses „Ich“ mir einhämmerte, ich wäre doch nichts anderes als nur ein Gast in diesem absurden Schauspiel. Ein Zuschauer in hinterster Reihe, dem nichts passieren könne.

Nachdem Kaportzke die letzten fünf der Hitliste ausreichend rundgemacht hatte, wandte er sich seinen Lieblingen zu, seinen Besten. Den Top Drei. Kaportzke winkte alle drei mit hektischen Handbewegungen zu ihm nach vorn. Natürlich saßen sie in der ersten Reihe, trugen allesamt feinen Zwirn, einer strich sich sogar mehrmals über sein Jackett, als er sich erhob, ein anderer machte triumphierend zwei Fäuste, die er uns entgegenhielt, der dritte im Bunde schien mir wie ein Dauergast unter den Besten zu sein, er war der Freude wohl längst überdrüssig und blickte nur verächtlich über die Tische. Wir durften nun applaudieren. Wir mussten nun applaudieren. Ich klatschte lange und war der Letzte, der mit Applaus aufhörte. Kreische schoss wieder Blut in seine eh getrübten Rotlinsen. Während alle ihren Applaus gaben, drehte sich Kreische eine Kippe für die erste Pause. Ich wusste, er verachtete mich schon allein meines Applauses wegen. Vielleicht am Abend an der Hotelbar mit Kreische ein paar Biere trinken und Biere machen Menschen warm untereinander. Wo gibt es schon Liebe auf den ersten Blick, schon gar nicht in einer Herde von Drückern, Ronny. Die ersten drei bekamen dann ihre Preise überreicht. Sehr merkwürdige Preise. Der Beste bekam ein Wochenende in einem Mietwagen geschenkt. Keinen schrumpeligen Kleinwagen, sondern offen und sportiv, um mit der Freundin in Dauerschleife schnittig um die Blocks brausen zu können. Will ich nicht, dachte ich mir. Der zweite einen Gutschein vom Elektrohandel, will ich auch nicht, und der dritte im Bunde einen CD-Spieler, gähn, hau mir bloß ab damit, Kaportzke. Wenn schon kein Bargeld, dann wenigstens dreißig Flaschen Rotwein, oder eine kleine Beteiligung an einer Brauerei, kam mir in den Sinn. Die Gewinner spielten ein wenig Freude und Überraschung vor, und der Rest wurde erneut zum Applaudieren aufgefordert. Dieses Mal machte ich es wie Kreische, keinen einzigen Klatscher, nur zweimal dumpfes Klopfen auf den Tisch.

„Scheiße Prämien hier in der Firma, alles für ‘n Arsch. Ein Wochenende frei innen Puff und frei Saufen, okay, oder richtig Asche auf die Kralle, aber nicht so“, raunzte mir Kreische zu. Und mir fiel auf, Kreische und ich, wir wurden langsam warm, auch ganz ohne Bier.

Nach der feierlichen Preisvergabe holte Kaportzke zu einer ausufernden Rede aus, zu der er sich vorab ein Mikrofon geben ließ, und sich somit die Lautstärke seiner Worte mindestens verdoppelte. Doch das war noch nicht alles. Kaportzke ließ sich von einem seiner Jünger aus der ersten Reihe einen Tritt reichen, der einsatzbereit neben der Bühne gestanden haben musste, um sich sodann auf diesem zweistufigen Tritt hinter einem Stehpult in eine erhöhte Rednerstellung zu bringen. Die vorderen Reihen blickten nun nach oben wie zu Gott. Oder hinauf zu Kaportzke. Kreische und ich blickte geradeaus wie immer, auch ein Vorteil der letzten Reihe. Kaportzke war nun zweieinhalb Meter groß. Wer so etwas tut, von dem kann man ruhigen Gewissens auch etwas Großes, ein unglaubliches Spektakel, eine Show sondergleichen erwarten. Kaportzkes Stimme war bei normaler Lautstärke, ohne jegliche Verstärkung, schon durchdringend genug, dass selbst die Damen und Herren der weit entlegenen Hotelrezeption seiner Stimmgewalt folgen konnten. Doch nun, als er seine ersten Worte in das Mikrofon sprach, war es – nach ein, zwei schweren Rückkoppelungen mit zwangsweise logischem Fiepen – so, als ob Kaportzke urgewaltig das Ende der Menschheit abwenden wollte. Diejenigen, die ganz klar wie Schwerstabhängige nur so nach seinen Worten lechzten, und das war die absolute Mehrheit, wurden zu Willenlosen, der Rest sollte mürbe gemacht werden.

„Und noch einmal für alle, insbesondere für diejenigen unter euch, die zu oft leere Netze von ihren Fangzügen mitbringen. Regel Nummer eins: Wir wollen niemanden langwierig überzeugen. Wir beherrschen die Kunst der Überredung, des Aufschwatzens, der Nötigung. Wir setzen unter Druck und wir zeigen Konsequenzen auf, sollten sie nicht unterschreiben. Haben wir eine Methode, eine Technik, um an Aufträge ranzukommen? Versager-Meier, brauchst du etwa neue Verkaufstechniken, um endlich mal ein paar Geschäfte machen zu können? Ich sage es dir und allen anderen auch: Nein, brauchst du nicht, du brauchst nur die Technik der Überrumpelung. Regel Nummer zwei: Seid gierig und schnell. Verzettelt euch nicht in ellenlange Produktpräsentationen, alles Humbug. Regel Nummer drei: Macht ihnen ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht unterschreiben wollen, das funktioniert immer. Baut Druck auf und bedrängt sie, dann sehen sie keinen anderen Ausweg, als zu unterschreiben. Die Erlösung ist die Unterschrift!“

₺144,90

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
371 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783748592488
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre