Kitabı oku: «Empathie», sayfa 2

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Die empathische Variante:

Der Lehrer weiß, wie es sich anfühlt, auf einer Bühne zu stehen, und weiß, wie verletzlich man dort oben ist. Nach meinem kleinen Auftritt würdigt er zunächst das, was ist. Er lobt den Mut, auf der Bühne frei zu sprechen, er löst damit die Aufregung in mir auf. Dann kommt er locker über das, was morgens alles passiert ist, mit mir ins Gespräch. Ich stehe auf der Bühne und erzähle ihm einfach, was ich gemacht habe, wie in einem Zweiergespräch. Ich fühle mich immer wohler. Anschließend gibt er Feedback. Er fragt mich, wie die erste Variante im Vergleich zum Gespräch war. Was sich für mich besser angefühlt hat. Damit macht er ein Grundprinzip des lebendigen und persönlichen Sprechens auf der Bühne deutlich. Ich gehe von der Bühne und habe etwas gelernt.

Beispiel 2: Joggen und Hunde

Eine Joggerin läuft an der Alster entlang. Ein Hundebesitzer kommt ihr entgegen, der Hund trabt fröhlich vorneweg, Joggerin und Hund laufen auf exakt der gleichen Linie und steuern direkt aufeinander zu. Die Frau stolpert um den Hund herum und flucht laut, motzt dem Hundebesitzer hinterher, was er für ein Blödmann sei, dass er seinen Hund nicht im Griff habe und so weiter.

Diejenigen von Ihnen, die regelmäßig joggen, kennen solche Momente mit Hunden. Natürlich hätte der Besitzer den Hund rechtzeitig rufen oder an die Leine nehmen können. Doch die Joggerin hätte genauso gut ausweichen können, der Weg war breit genug für alle. Der Hund hat gar nichts kapiert, von ihm können wir hier also kein bestimmtes Verhalten erwarten. Die Sicht der Joggerin: »Hier laufe ich.« Die Sicht des Hundebesitzers: »Es ist genug Platz für alle da.«

Ich habe selbst eine Hündin und die Erfahrung gemacht, dass sie spontan vor das Rad oder den Jogger läuft, wenn ich sie rufe. Deswegen mache ich oft nichts, wenn ich sehe, dass der Weg frei ist, denn das ist tatsächlich in der Regel effektiver.

Wer befand sich nun in der empathiefreien Zone? Der Hundebesitzer oder die Joggerin? Beide? Fakt ist, beide haben sich anschließend geärgert. Wofür war das gut? Beide wollten am Ende recht haben und hatten schlechtere Laune als vorher. Wenn es ein Gegenteil von Empathie gibt, dann ist es sicherlich das Rechthaben.

Die empathischen Varianten:

Die Joggerin versteht, dass der Hundebesitzer ihr nicht schaden wollte, und kann nachfühlen, dass Hunde manchmal ihren eigenen Kopf haben. Sie macht einen eleganten Schlenker um den Hund herum, lächelt den Hundebesitzer an und dieser entschuldigt sich charmant. Oder: Der Hundebesitzer pfeift den Hund zurück, weil er weiß, dass es sich nicht gut anfühlt, aus dem Lauftakt zu geraten, und wünscht der Joggerin einen schönen Tag – sie trabt fröhlich weiter. Keiner von beiden muss sich ärgern.

Beispiel 3: Die Führungskraft im Tunnel

Die Führungskraft hat ein schwieriges Telefonat mit einem Kollegen – die Abläufe eines Projektes klappen nicht wie geplant. Innerlich noch vollkommen mit diesem Thema beschäftigt, legt er auf. Schon steht die Assistentin vor ihm und möchte etwas völlig anderes klären. Er, noch ganz in seinem Problemtunnel, mault sie an und vertröstet sie barsch auf später. Sie ist beleidigt und trollt sich. Seine Haltung: »Sie hätte das doch sehen können, dass es jetzt nicht geht.« Ihre Haltung: »Er ist mein Chef, ich wollte ihm was Gutes tun, und nun werde ich für etwas angeblafft, wofür ich nichts kann.« Beide sehen sich im Recht mit ihren Gefühlen. Was ist denn nun richtig? Darf die Führungskraft blaffen, weil die Assistentin angeblich nicht einfühlsam genug war, oder schmollt sie zu Recht, weil sie eine gute Absicht hatte und sich ungerecht behandelt fühlt? Am Ende des Tages haben sicher beide recht mit ihren Gefühlen, doch die Frage ist immer: Wie gehe ich mit der Situation um? Wie weit kann ich mich von meinem Standpunkt wegbewegen, damit ein Konsens entstehen kann?

Die empathischen Varianten:

Die Führungskraft weiß, dass die Assistentin viele Themen auf dem Tisch hat und sich etwas gehetzt fühlt. Sie antwortet (möglichst in sanftem Ton), dass sie sich im Moment noch nicht auf das neue Thema konzentrieren kann, dass sie etwas Ruhe braucht, und bittet dann um eine zehnminütige Pause. Die Assistentin kommt später wieder, beide haben ein Ohr füreinander. Oder: Die Assistentin liest aus der Physiognomie des Chefs, dass er sich gerade in einem problematischen Zustand befindet. Sie sieht, dass er den Blick gesenkt hält, dass die Stirn kraus, die Miene düster ist. Sie kennt ihn und weiß, dass er in so einer Verfassung nichts aufnehmen kann, und beschließt, in zehn Minuten noch mal wiederzukommen und in der Zwischenzeit eine andere Aufgabe zu erledigen. Vor allem: Sie beschließt, sich nicht zu ärgern.

Die empathischen Varianten sind auf den ersten Blick gar nicht so schwer, oder? Man könnte sie auch freundlich und umsichtig nennen. Allerdings erfordert empathisches Handeln eine innere Bereitschaft, vom eigenen Plan abzuweichen, Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer zu nehmen, sich und seine eigenen Bedürfnisse einen kleinen Moment zurückzustellen und letztlich weich und gütig zu werden.

Und es erfordert einen gewissen Forscherdrang, eine Neugierde auf das, was im anderen gerade vor sich gehen mag. Es kostet oft nur ein Lächeln, und schon ist die Situation gerettet. Für den, der sich für die empathische Variante entscheidet, fühlt es sich warm und freundlich an. Für den, der »gelesen« wurde, fühlt es sich vertrauensvoll und geborgen an.

Genau dieser Moment, die Änderung der Richtung, diese Neuausrichtung von Gedanken und Stimmung, fällt vielen heute schwer. Wir wollen zu oft, dass es genau so läuft, wie wir uns das vorstellen.

Barack Obama sagte in seiner berühmten Rede an der Northwestern University in Illinois im Jahr 2006:

»Aber ich denke, wir sollten mehr über unser Defizit an Empathie sprechen – die Fähigkeit, uns in die Schuhe eines anderen zu stellen; die Welt durch die Augen derer sehen, die anders sind als wir – das Kind, das Hunger hat, der arbeitslose Stahlwerker, die eingewanderte Frau, die unser Schlafzimmer sauber macht. Wenn du weiter durchs Leben gehst, wird es immer schwerer, diese Qualität der Empathie zu kultivieren, nicht leichter. Es gibt keine Verpflichtung zum Dienst an der Gemeinschaft, keiner zwingt dich dazu, dich zu kümmern. Es wird dir überlassen bleiben, in einer Nachbarschaft mit Menschen zu leben, die genau so sind wie du, und du kannst deine Kids in die gleichen Schulen schicken und deine Fürsorge auf das beschränken, was in deinem kleinen Kreis vor sich geht. Schlimmer noch – wir leben in einer Gesellschaft, die uns nicht zu Empathie ermutigt. In einer Gesellschaft, die uns zu oft sagt, dass es unser Hauptziel im Leben sei, reich, dünn, jung, berühmt, sicher und gut unterhalten zu sein. In einer Kultur, die zu oft diese selbstsüchtigen Impulse stärkt.« (Übersetzung: M. H.; Original s. Literaturverzeichnis)

Selbstsüchtig. Das sind wir heutzutage. Immer mehr, immer öfter. Die Liste der Situationen, in denen ich mir für unsere Welt mehr Einfühlung, weniger Selbstbezogenheit wünsche, ist lang. Wir erleben es täglich, dass Egos aufeinanderprallen. Wenn wir uns jedoch nur auf den Mangel an Empathie in unserer Gesellschaft fokussieren, könnten wir schnell den Mut verlieren – schauen wir stattdessen doch lieber auf die ungeahnten Möglichkeiten, die sich hinter diesem kleinen Zauberwort verstecken.

»Empathie ist ein rares Gut. Es herrscht ein eklatanter Mangel daran. Wir sind wie Verdurstende in der Wüste. Die meisten brauchen sie dringend. Und: Die meisten kennen sie praktisch gar nicht. Nur das Wort kennen sie und finden es toll. Aber: Du musst Empathie mal erfahren! Sie wirkt wie eine Erleuchtung, eine Entdeckung.«

Jürgen Engel

Ist Empathie erlernbar?

Eine berechtigte Frage lautet immer wieder: Kann man Empathie eigentlich wirklich lernen? Ich weiß aus eigener Erfahrung mit meinem ersten Freund: Ja, das kann man. Und in welchem Maß man das kann, hat mich sehr berührt.

Nun, Jürgen Engel war mein erster Freund. Ich war 16 Jahre alt, er ein Jahr älter. Wir verliebten uns ineinander, kamen zusammen. Irgendwann häuften sich unsere Konflikte, oder sagen wir besser: Rangeleien. Nach etwa zwei Monaten trennte ich mich von ihm, weil der Kontakt zwischen uns etwas anstrengend geworden war: Jürgen ließ keine Gelegenheit aus, mich aufzuziehen, mich zu ärgern, sich über Dinge aufzuregen, die ich tat oder sagte. Das gefiel mir nicht. Nach der Trennung wurde in der gemeinsamen Clique auch noch ordentlich über mich hergezogen: Wertschätzung war damals Fehlanzeige.

Viele Jahre später sah ich auf der beruflichen Onlineplattform XING, dass Jürgen dort mit seinem Profil beigetreten war. Er lud mich zu einem Seminar »Kommunikation für Frauen« ein. Wenig später las ich eine weitere Einladung: »Gewaltfreie Kommunikation«. Ich war verblüfft: Mein damals etwas unfreundlicher, knurriger Exfreund gab nun Kommunikationskurse, noch dazu über wertschätzende Kommunikation? Und außer den Kursen in »Gewaltfreier Kommunikation« (GFK) gab er auch Trainings und Coachings für Einzelpersonen, Gruppen und Paare? Diese Information beschäftigte mich einige Tage lang, und als mich die Gedanken daran nicht losließen, beschloss ich, ihm zu schreiben. Ich fragte ihn, was in der Zwischenzeit mit ihm passiert sei.

Daraufhin schickte er mir eine sehr herzliche Mail zurück und schrieb, dass er sich schon lange bei mir entschuldigen wollte und dass er es sehr bedauerte, damals so mit mir umgegangen zu sein. Ich staunte nicht schlecht. Ein so altes Thema konnte in Ruhe besprochen und aufgelöst werden! Ich empfand auf der Stelle trotz unserer Querelen von früher eine neue, herzliche Offenheit zwischen uns.

Wir hielten Kontakt. Im April 2017 besuchte ich mein erstes Seminar bei ihm, einen Workshop zum Einstieg in die GFK. Wir verbrachten einen tollen Tag, mit einigem Augenzwinkern über das, was damals geschehen war. Ich sah, wie profund die Veränderung war, die er über die Jahre erlebt hatte: Ich stand einem anderen Menschen gegenüber, der ehrlich, herzlich und wertschätzend reagierte. Einem Menschen, der die Prinzipien der GFK auf eine sehr selbstverständliche und souveräne Art und Weise vermittelte: Die dazu erforderliche innere, empathische Haltung ist ihm in Leib und Seele übergegangen. Wir sprachen über diese Verwandlung. Ich fragte ihn:

»Kann man Empathie also lernen?«

»Sagen wir mal so: Ich habe noch keinen hoffnungslosen Fall erlebt. Ich war früher anders – es gab wenig Empathie, das weißt du ja. Genauer gesagt: Bis noch vor zwölf Jahren gab es bei mir sehr wenig Empathie. Dann traf ich auf Marshall B. Rosenberg.

Also: Ja, man kann es lernen. Es ist in jedem Menschen angelegt. Kleine Kinder sind empathisch; Kinder fühlen mit, sie sind da völlig unverbraucht. Empathie ist vollkommen normal für sie, wie ein Reflex. Empathie muss also erst mal nicht neu erlernt werden. Sie wird aber immer mehr zugedeckt im Laufe unseres Erwachsenwerdens, durch die Erziehung. Es werden viele Schichten auf unser unschuldiges Sein gelegt. Dann kommen Krusten und Schutzpanzer obendrüber. Ich selbst bekomme weniger und weniger Zugang zu meiner Empathie. Weil ich Erlebnisse hatte, in denen mir Leid angetan wurde. Situationen, in denen ich mich offen und verletzlich zeigte und dann eins draufbekommen habe. Da fange ich natürlich an, mich zu schützen, denn das sind kleine Traumata. Das muss noch nicht einmal etwas so Schwerwiegendes wie ein Missbrauch oder Ähnliches sein, es reicht oft schon, wenn ich dafür angeschrien werde, dass ich mich offen gezeigt habe. Das reicht schon, um zu merken: ›Oh, das ist gefährlich, das werde ich nicht mehr machen.‹ Dann werde ich hart in mir.«

»Wie können wir diese Schichten ablegen?«

»Es braucht viel Mitgefühl, um die erfahrenen Verletzungen zu heilen. Das dauert lange. Und es braucht eine neue Erfahrung, ich muss sozusagen die Festplatte überschreiben. Ich mache mich dabei auf einen langen Weg, einen manchmal schmerzhaften Weg.

Dafür muss ich viel Selbstempathie aufbringen, aber ich brauche auch Empathie von außen. Ich selbst brauche viel Empathie von anderen Menschen, das kann ich oft nicht alleine. Es allein zu können, ist ein hoher Anspruch, den möchte ich nicht haben. Wir brauchen einander. Vertrauen spielt eine immens große Rolle. Es ist ein ständiges ›Sichöffnen‹, von meinen Ängsten und Schmerzen zu erzählen und dabei immer wieder die Erfahrung zu machen, dass es okay ist, dass ich so fühle. Dass die Verletzlichkeit da sein darf

Kann man Empathie lernen? Ja, das Beispiel meines Freundes zeigt es. Empathie ist erlernbar. Die Hirnforscherin Tania Singer und ihr Team haben eine Langzeitstudie ins Leben gerufen, mit der sie die Wirkung von Empathie- und Mitgefühlstrainings untersuchen. Hier wird ebenfalls deutlich, dass wir diese Fähigkeiten aktiv trainieren können, wobei in der Studie Unterschiede zwischen »Empathie« und »Mitgefühl« gemacht werden. Mehr dazu lesen Sie bitte im Teil »Empathie in der Forschung«.

Mein Anliegen mit diesem Buch ist es, Anstöße zur Empathie zu geben, Empathie buchstäblich zu üben. Den Schutzpanzer langsam zu lösen. Die Idee mit Ihnen zusammen weiterzuentwickeln, offener dafür zu werden, wie es anderen gerade gehen mag. Herauszufinden, welche Gefühle wir in vielen Situationen beieinander auslösen, ohne es zu wissen. Ich möchte anregen, dass wir uns wieder mehr Mühe geben und uns fragen: Wo ist der andere gerade? Wie geht es ihm? Dass wir überhaupt in Betracht ziehen, dass andere auch ganz anders fühlen und leben können als wir. Das ist manches Mal gar nicht so einfach.

Zetteln wir gemeinsam eine Empathie-Revolution an!

• Es gibt derzeit offensichtlich einen Mangel an Empathie.

• Empathie ist eine Fähigkeit, die wir aktiv ausbauen können.

• Es gibt immer die »empathische Variante«.

• Als Kinder waren wir alle empathisch.

• Empathie ist unter gelernten Schutzschichten verborgen.

• Empathie erfordert die innere Bereitschaft, weich zu werden und sich selbst zurückzustellen.

• Empathie ist lernbar.

Die innere Landkarte

Menschen sind verschieden. Das ist uns theoretisch klar. Trotzdem vergessen wir im Alltag oft, dass wir aus ganz unterschiedlichen Leben und Situationen kommen, andere Überzeugungen haben und anders handeln. Im Privatleben und im täglichen beruflichen Tun begegnen uns Mikrokonflikte, die letztlich immer damit zu tun haben, dass Menschen hauptsächlich nach ihrer eigenen »inneren Landkarte«, aus ihren individuellen Erfahrungen und Glaubenssätzen heraus agieren. Das Modell der inneren Landkarte stammt aus dem Konstruktivismus: Auf ihr ist erst einmal alles abgebildet, was wir für wahr halten, was wir für die »richtige« Welt halten. Unsere eigene Wahr-Nehmung eben.

Dieses innere Bild setzt sich aus Erfahrungen zusammen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben, mit all unseren Sinnen. So entsteht eine bestimmte Landschaft mit Bergen, Seen, Inseln und Wäldern. Wichtig zu wissen: Diese innere Landkarte repräsentiert nur eine einzige Welt – meine eigene. Es kann keine andere Erfahrung darauf abgebildet sein, niemand kennt diese Landkarte so gut wie ich, obwohl es auch für mich verborgene Täler und Hügel gibt.

Ein Kunde von mir verglich die innere Landkarte einmal mit dem PAX-Schrank von IKEA: Viele Menschen haben einen, doch kaum einer ist exakt so wie der andere – Menschen wählen verschiedene Funktionen und Teile aus. So ist es zwar immer noch bei jedem Besitzer ein PAX-Schrank, doch sein Inneres unterscheidet sich grundsätzlich von den anderen.

Die innere Landkarte kann sich situativ verändern, Teile verstärken sich, andere bauen sich neu auf. So setzt sie vor unser Erleben ständig Filter: Wenn sich eine Frau gerade ein Kind wünscht, sieht sie überall schwangere Frauen. Oder: Ich möchte mir ein neues Auto kaufen. Prompt fallen mir meine Lieblingsmodelle überall auf der Straße auf. So verändert sich die innere Landkarte zwar in verschiedenen Lebensphasen situativ, doch was längere Zeit erhalten bleibt, sind grundlegende Überzeugungen: unser Welt- und Menschenbild. Unser Wertesystem liegt auf der inneren Landkarte. Auch diese Systeme können sich über die Jahre verändern, so wie sich auch eine natürliche Landschaft verändert, denn Persönlichkeiten entwickeln sich im Laufe des Lebens immer weiter. Mit der Zeit verändern sich Berge und Seen, formen sich neue Inseln, manche gehen unter, um in der Metapher zu bleiben.

Eine dieser Inseln oder Berge ist unsere Fähigkeit zur Empathie. Es gibt sie auf allen Landkarten, beim einen ist sie größer, beim anderen kleiner. Und bei manchen ist sie schlicht verschüttet oder zugewachsen.

Wenn wir miteinander sprechen, finden wir oftmals unterschiedliche Dinge schlimm oder belastend, lustig oder unterhaltsam. Wir stellen fest: Die Landkarten unterscheiden sich in manchen Teilen sehr. Die Geschmäcker sind verschieden, so sagt man. Und das ist bereichernd: Würden mir meine Freunde, mein Partner, meine Familie nicht immer mal einen anderen Standpunkt vermitteln, würde ich in meiner Landkarte komplett versumpfen und diese für das Maß aller Dinge halten. Genau das tun wir alle mehr oder minder – je nachdem, inwieweit wir dazu bereit sind, uns zu hinterfragen und neue Ideen zuzulassen.

Ich finde dieses Konzept der inneren Landkarte sehr bereichernd, denn in meiner Ausbildung zum Business-Coach lernte ich die Herangehensweise kennen, diese Karte möglichst weit wegzuhängen (soweit das geht) und mich fragend auf die Landkarte des anderen zu begeben, die Landschaft dort zu erkunden, anstatt aus meiner eigenen Sicht heraus zu kommentieren, Ratschläge zu geben oder zu urteilen. Dieses innerliche »Leersein« ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich bis dato gemacht hatte: Als Stimm- und Sprechtrainerin reicherte ich die Landkarten der anderen an, sagte also aus meiner Expertensicht, was zu tun und zu lassen ist.

Die Tätigkeit des Coaches unterscheidet sich in dieser Hinsicht grundlegend von der des Trainers. Der Coach erfragt, was auf der Landkarte des Coachees los ist. Der Trainer pflanzt neue Wiesen an und verändert so im besten Fall das Verhalten desjenigen, den er trainiert – wenn das erwünscht ist.

Wir können davon ausgehen, dass Menschen vieles, was nicht auf der eigenen Landkarte vorkommt, erst einmal befremdlich finden. So formt sich unser Freundeskreis, unser Leben nach bestimmten Kriterien: Die inneren Landkarten dürfen und sollen zusammenpassen – Werte und Überzeugungen überschneiden sich in Freundschaften. Dennoch gibt es immer wieder kleine Inseln, Wälder und Seen, die wir beim anderen noch nicht erkannt haben – oder aber bei uns selbst. Erst da, wo wir Unbekanntem begegnen, können wir wirklich wachsen und zu empathischeren Wesen werden. Wir haben oft Schwierigkeiten, uns auf das einzulassen, was anders ist. Je größer die Unterschiede sind, desto schwieriger wird das Sicheinlassen. Deswegen ist der Aspekt der Ähnlichkeit zwischen Menschen eine der Grundvoraussetzungen für Verständnis, aber: Das ist Empathie für Anfänger. Verständnis für jemanden aufzubringen, der mir ähnelt, ist relativ leicht.

Und es stellt sich die Frage, ob es dann überhaupt Empathie ist oder ob es sich schlichtweg um Sympathie handelt.

Sympathie: stammt aus dem Griechischen und bedeutete einst Mit-leiden. Im Wort steckt »Pathos«, was so viel wie »Schmerz, Leid« heißt. Im Laufe der Zeit hat sich das Wort zu »Wohlgefallen« und »Zuneigung« entwickelt. Wir erkennen etwas in einem anderen, Schmerz oder Freude, das uns selbst ähnlich ist, und spiegeln uns in ihm. Es entsteht eine Einhelligkeit, weil man gleiche Empfindungen hat.

Ähnlichkeit wird in den sozialen Medien betont. Bei Facebook sorgen Algorithmen dafür, dass ich vermehrt das zu sehen bekomme, was mich interessiert. Meine virtuelle Landkarte besteht dann aus dem »erweiterten Selbst«, nicht aus dem, was anders, unbequem oder fordernd ist. Genau so erleben es die verschiedensten Gruppierungen – jede postet und kommentiert in ihrer eigenen Welt. So stärken sich Ausrichtungen und bekommen ein Eigenleben. Die Menschen bestätigen sich auf diese Weise selbst und nehmen schließlich an, dass ihre Version von der Welt die allgemeine Meinung darstellt.

Wann immer ich über irgendwelche Umwege doch einmal auf einer populistisch angehauchten Seite lande, bin ich erschrocken über das Gedankengut, das hier gefeiert wird. Die innere Landkarte dieser Menschen sieht ganz anders aus als meine – was mache ich nun damit? Wie kommen Menschen in den nötigen Dialog für mehr Verständnis, für weniger Härte? Online funktioniert dies meistens nicht, das können wir den vielen harten Kommentaren entnehmen, die sich gegenseitig hochschaukeln und mit einem menschlichen Umgang nicht mehr viel zu tun haben.

Ein weiteres Problem liegt darin, dass in so vielen Kontexten das eigene Selbst zur Schau getragen und optimiert wird, sodass das Selbst des anderen völlig untergeht. Selbst-Bewusstsein, Selbst-Verwirklichung, Selbst-Wahrnehmung, Selbst-Findung: Das ist alles sehr wertvoll und unabdingbar für die Selbst-Empathie. Doch überwiegend in diese Richtung zu denken, kann natürlich auch kippen, und das halte ich sogar für gefährlich:

Wenn ich nur noch über mich selbst nachdenke und mich um mich selbst kümmere, dann bleibt irgendwann zu wenig Raum für andere.

Dies gleicht einer Gratwanderung, denn an welchem Punkt kann es wieder gelingen, die eigene Landkarte zu verlassen und auch mit dem anderen zu fühlen?

Der Schritt hinaus aus dem Selbst ist extrem wichtig. Wo aber ist die Mitte zwischen dem Selbst und den anderen? Wie kommen wir dorthin, dass die eigene Landkarte zwar wichtig, aber nicht der Nabel der Welt ist? Wie kommen wir in einen Zustand, der zulässt, dass uns fremde Landkarten überhaupt interessieren, betreffen und berühren? Dass sie uns wichtig werden? Wie können wir wieder weicher werden und aufhören, unsere Rechte aufs »Eigene« verbissen bis aufs Messer zu verteidigen wie Kinder ihre Sandburgen? Wie kommen wir langfristig zu einem friedlicheren Miteinander, das zulässt, dass es diverse Landkarten gibt und alle eine sehr eigene Schönheit haben?

• Die innere Landkarte bildet das Erleben der Welt ab.

• Sie ist sehr individuell und kann unter anderem durch Fragen erkundet werden.

• Das »Selbst« überdeckt die Landkarten anderer Menschen.

• Empathie heißt, die Landkarten der anderen kennenzulernen und sie auch einmal spannender zu finden als die eigene.

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