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Empathie in der Forschung

Der bewusste Umgang mit der Empathie erfordert, dass wir uns selbst aktiv in bestimmte Geisteshaltungen bringen. Dies kann man trainieren und die Folgen davon sind sogar im Gehirn nachweisbar. Die Hirnforschung beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Phänomen der Empathie, und sie hat erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht: Es gibt, was die Reaktionen des Gehirns betrifft, unterschiedliche, miteinander verwandte Formen von Empathie und damit verbundene innere Haltungen. Das Team der Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaft in Leipzig, Tania Singer, untersucht unter anderem die Unterschiede zwischen Empathie und Mitgefühl. Danach kann man grundlegend erst einmal sagen, dass wir als Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet sind, in Resonanz mit den Zuständen anderer Menschen zu gehen. Das ist uns angeboren und – das ist die gute Nachricht – wir können gar nicht anders.

Der buddhistische Mönch Matthieu Ricard war ein wichtiger Proband der Studien Tania Singers. Er konnte Tania Singer und ihre Forscherkollegen damit verblüffen, dass er bewusst zwischen den Geisteszuständen »Empathie« und »Mitgefühl« wechselte. (Er beschreibt diese Zustände in seinem Buch: »Allumfassende Nächstenliebe: Altruismus – die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit«.) Aus diesem bewussten Wechsel in der Meditation entstand die Idee, ein Mitgefühlstraining zu entwickeln, das diese innere Haltung verstärkt.

Empathie

Sie fanden in ihren Studien heraus, dass reine Empathie, so wie sie sich im Gehirn zeigte, uns in einigen Stress versetzen kann. Wenn wir uns auf Gefühle von Menschen einlassen, dann kann dies zur Folge haben, dass wir selbst Schmerz, Stress, Unwohlsein empfinden, was sich im Gehirn eindeutig nachweisen lässt. Dabei sind die vordere Inselrinde und die mediale Gürtelwindung beteiligt. Diese Areale sind auch bei einer negativen affektiven Erfahrung von Schmerz aktiv. Menschen sehen das Leid eines anderen Menschen und empfinden ebenfalls Schmerz, leiden also mit. Dieses Gefühl laugt Menschen aus und nutzt sich mit der Zeit offenbar ab, was wir ja möglichst nicht wollen! Wenn es zu sehr schmerzt, werden wir also empathiemüde. Da muss es noch etwas anderes geben.

Zurück zum Unwohlsein: In der Forschung wird dieser Zustand auch »empathic distress« genannt. Ich weiß zwar, dass die Gefühle zum anderen Menschen gehören, aber ich empfinde sie derart mit, dass ich selbst Stress spüre. Das kann dazu führen, dass mich die Empathie gehörig anstrengt und überfordert. Medizinischem Personal ergeht es oft so; Pflegekräfte und Helfer jedweder Art zum Beispiel sind dauernd Leid und Schmerzen ausgesetzt, sodass sie oft in einen emotionalen Erschöpfungszustand geraten und im schlimmsten Falle arbeitsunfähig werden: Der Burn-out droht. Sie nehmen den Schmerz der Patienten dann mit nach Hause und können sich ihm nur schwer entziehen. Wenn sie nicht lernen, mit diesem inneren Stress umzugehen, wird sich das auf die Dauer auf ihre Gesundheit auswirken.

Auch aus weniger bedeutenden Situationen kennen wir das: Die schlechte Laune oder das Leid des Partners, der Tochter oder des Sohns kann sich übertragen. Es verursacht uns also Unbehagen, dass jemand anderes schlecht drauf ist. Wir geben uns in diese Stimmung hinein, gehen mit und vergessen, dass wir selbst eigentlich gut gelaunt waren. Oder wir sehen die Not unseres kranken Kindes und reagieren ungewollt patzig, weil uns das Gefühl, dass es unserem Kind schlecht geht, schlicht überfordert. So ergeht es manchen jungen Müttern, die nicht wissen, wie sie mit der Grippe, dem starken Husten des Kindes umgehen sollen. Das Spüren der Not des Kindes löst Stress und Überforderung aus, vielleicht gerade aus dem Grund, dass sie diese Not lindern wollen, aber nicht wissen, wie.

Ein überforderter Mensch, der grob reagiert, ist also keineswegs unempathisch, er setzt seine Empathie allerdings in eigenen Stress um. Vermutlich ist es ein innerer Kampf aus Hilflosigkeit, Helfenwollen und Berührungsangst. Dieser innere Kampf schnürt uns ein, macht uns eng und handlungsunfähig. Der innere Raum ist nicht weit, daher reagiert dieser Mensch mit starken Emotionen. Abwehr, Abwendung, Verurteilung – all diese Folgen kann der empathische Stress haben. Es ist für viele oft nicht nachvollziehbar, wenn jemand überfordert oder hart auf das Leid anderer reagiert. Beim nächsten Mal, wenn Ihnen das vielleicht selbst passiert (keiner ist perfekt!) oder wenn Sie jemanden sehen, der angesichts von Leid und Kummer grob oder ungehalten wird, haben Sie vielleicht eine genauere Vorstellung von dem, was da gerade im Inneren passiert. Was da hilft? Mitfühlend sein.

Mitgefühl

Beim Mitgefühl hingegen ist die innere Haltung eine ganz andere, nämlich die der liebevollen Zuwendung. Im Gehirn werden hier die Areale aktiv, die bei Freude und liebevoller mütterlicher Fürsorge nachweisbar sind. In diesem Falle stehen wir dem anderen in einer liebevollen Grundhaltung gegenüber, wir wünschen ihm nur das Beste und sorgen gleichzeitig für uns selbst, denn wir wünschen uns selbst auch nur das Beste. Der innere Raum ist groß und hat Platz für mich und andere, der Blick auf die Welt ist weit offen. Grundlegend für diese sehr gesunde Haltung ist eine Art Nächstenliebe, eine innere wohlwollende Haltung Menschen gegenüber, die uns stark werden lässt. Spürbar für den anderen werden Wärme, Güte und Fürsorge. Und auch wenn sich das viel näher und zugewandter anhört, weil sich derjenige nicht auf sich selbst bezieht, sondern auf den anderen, so ist es doch so, dass wir beim Mitgefühl mehr bei uns bleiben und aus dieser stabilen Position heraus liebevoll auf den anderen einwirken können.

Das wäre also zum Beispiel eine Führungskraft, die mitfühlt, wenn die Mitarbeiter überfordert sind, dann Hilfestellungen gibt und die Überforderung nicht zu ihrem eigenen Problem macht. Damit bleibt sie stark und kann darauf basierend auch die Mitarbeiter stärken. Verständnis und Wärme sind dann das, was beim Mitarbeiter ankommt – eine schöne Atmosphäre für Entwicklung.

Für die Forscher unter Ihnen folgt eine Auflistung der Hirnareale, die beim Mitgefühl aktiv sind:

– der mediale orbitofrontale Kortex

– das ventrale Striatum

– das ventrale tegmentale Areal

– der Kern des Hirnstamms

– der Nucleus accumbens

– die mediale Inselrinde

– das Pallidum

– das Putamen

Dies sind Hirnareale, die bei der Liebe (besonders der Mutterliebe), dem Gefühl von Verbundenheit und Zuwendung angesprochen werden. (Im Anhang finden Sie Hinweise auf die entsprechenden Studien, falls Sie tiefer in die Materie eintauchen möchten.)

Beim empathischen Stress werden wir also schwach, denn wir nehmen die Schwächung des anderen ganz in uns auf. Beim Mitgefühl dagegen empfinden wir Stärke. Diese geht uns nicht verloren, denn die positiven Gefühle stärken unser Immunsystem. Sie lassen uns mutig und froh durchs Leben gehen. Mitgefühl braucht sich nicht auf. Ein mitfühlender Mensch strahlt eine wunderbare Gelassenheit aus, ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Er entscheidet sich möglicherweise auch mal in liebevoller Art dagegen, zu helfen, wenn er das für richtig hält.

Im Buddhismus wird diese innere Haltung »liebende Güte« (Loving Kindness) genannt. Es ist eine Haltung, auf die ich später noch einmal zurückkomme, wenn wir über Selbstempathie reden. Loving Kindness ist eine Form des freundschaftlichen Umgangs mit sich selbst und anderen.

Training von Empathie und Mitgefühl

Tania Singer und Kollegen haben in einer Langzeitstudie herausgefunden, dass man sowohl Empathie als auch Mitgefühl trainieren kann. Bei den Versuchen stellte sich allerdings heraus, dass die Probanden, die Empathie trainierten, trauriger wurden: Überall sahen sie das Leid der Menschen um sie herum und fühlten sich hilflos. Beim Training des Mitgefühls, geprägt durch die Meditation der Loving Kindness, entstanden andere Gefühle: Menschen hatten ein großes Bedürfnis, zu helfen und Leid zu mindern. Sie fühlten sich dadurch aber gestärkt und glücklich.

Kognitive Empathie

Es gibt noch eine dritte Form und das ist die kognitive Empathie. Dabei stelle ich mir gedanklich vor, in der Lage eines anderen Menschen zu sein. Ich beachte alle Umstände, überlege, wo der andere steht und wie er wohl denken mag. Das ist also zum Beispiel der Vorgang, der mich vor einem Treffen mit einem Menschen nachdenken lässt: Wie geht es dem anderen eigentlich gerade? Ich überlege, male mir aus, denke. Diese Form ist erst einmal weitestgehend abgekoppelt von einer emotionalen Resonanz und stellt sich zunächst eher als kühl dar. Ich weiß, wie es im Kopf des anderen aussieht. »Kognitive Empathie wird daher häufig mit dem Konzept der ›Theory of Mind‹ in Verbindung gebracht (Batson 2009) und beinhaltet entsprechend die Fähigkeit, mentale Zustände bei sich selbst und beim Gegenüber zu erkennen und im Anschluss angemessen reflektieren und interpretieren zu können.« So beschreibt Lena Funk die kognitive Empathie in ihrem Artikel »Empathie«.

Es ist natürlich nichts daran auszusetzen, zu überlegen. Und es ist gut, dass wir das können: kognitiv erfassen, wie der andere denken mag. Es sollte jedoch noch Weiteres hinzukommen, damit unsere Fürsorge deutlich wird: die Zuwendung zum Inneren des Menschen, der wirkliche Kontakt und der Wunsch, uns mit seinen Bedürfnissen zu verbinden.

Neuronal gesehen scheint sich die kognitive Empathie grundlegend sowohl von der Empathie als auch vom Mitgefühl zu unterscheiden. Aktiv sind hier (vgl. Derntl, S. 85):

– der anteriore midcinguläre Kortex

– der Gyrus frontalis inferior

– die temporoparietale Übergangsregion

Ich bin keine Hirnspezialistin. Wenn Sie tiefer in die Einzelheiten der Hirnareale einsteigen möchten, finden Sie, wie bereits erwähnt, Hinweise auf die Studien dazu im Anhang des Buchs.

Emotionale Ansteckung

Die letzte Form der empathischen Resonanz ist die sogenannte emotionale Ansteckung. Wir übernehmen unbewusst die Symptome einer Reaktion eines anderen Menschen, ohne zu verstehen, dass das gar nicht unsere eigenen sind. Wir nehmen dann zwar wahr, dass es uns irgendwie komisch geht, wissen aber nicht, warum das so ist. Wir stellen fest, dass unser Herz schneller schlägt, können aber nicht gleich zuordnen, worin die Ursache dafür liegt. Am Ende war es dann zum Beispiel der hektische Besuch des Chefs im Büro, der schnell ein paar Anweisungen in den Raum gerufen hat und unter Druck wieder verschwunden ist. Sein Unwohlsein, sein Stress hat sich auf manche Kollegen übertragen, denen es zunächst nicht klar ist, dass er es war, der sie angesteckt hat.

Für dieses Buch möchte ich den Begriff der Empathie im Sinne des Mitgefühls benutzen. Die beiden Begriffe sind aus den Ergebnissen der Forschung heraus nicht gleichzusetzen, doch der allgemeine Sprachgebrauch des Wortes Empathie umfasst meist nicht die Risiken oder die Einschränkungen, sondern lediglich die Stärken der Empathie. In diesem Buch ist deshalb mit dem Begriff Empathie Folgendes gemeint:

Empathie bezeichnet die grundlegende Resonanz zwischen Menschen, die es uns erlaubt, miteinander zu fühlen. Dieses Grundgefühl kombinieren wir mit der eigenen Freude am Helfen und der Freude daran, für andere da zu sein. So können wir anderen Menschen ohne Erwartung einer Gegenleistung, also altruistisch, helfen und für sie da sein. Sie ähnelt in Grundzügen dem, was Eltern ihren Kindern entgegenbringen: Fürsorge und eigene Stabilität.

Der empathische Blick auf die Welt

Im täglichen Leben stellt sich die Frage, wem oder was gegenüber ich empathisch handle. Und da sind wir Menschen schon sehr verschieden. Wir erkunden auf sehr unterschiedliche Art und Weise die Landkarten anderer. Mal mehr, mal weniger. Mal mitfühlender, mal absolut blind.

Mir kommt es oft so vor, als könnten wir die Größe unseres Blickwinkels der Empathie steuern, fast schon je nach Laune und Befindlichkeit. Je sensibler und weicher wir sind, desto weiter öffnet sich dieser Blick auf die Welt: Wir lassen uns betreffen. Sich betreffen zu lassen, ist ein Wagnis, denn natürlich beeinflussen uns die Dinge, die auf dieser Welt geschehen. Gefühle anderer beeinflussen uns, wir können uns dem nur schwer entziehen, müssen das aber manchmal tun, um weiterhin unser Tagwerk erledigen zu können. Manches weckt bei uns sehr unbequeme Gefühle, sodass wir uns lieber dagegen entscheiden, hinzusehen. Wir entziehen uns, machen den sichtbaren Ausschnitt von der Welt wieder kleiner, wollen uns dem nicht aussetzen.

Ich möchte Ihnen ein klein wenig über meinen persönlichen Empathie-Blickwinkel erzählen. Seit ein paar Jahren versuche ich, einigermaßen bewusst durch die Welt zu gehen und entsprechend zu konsumieren. Wie man das macht? Tja, das muss jeder für sich selbst definieren; es ist schier unmöglich, über alle Konsequenzen unseres Konsums nachzudenken, dabei verliert man schnell den Überblick – oder den Verstand.

Überforderung in der Drogerie

Vor ein paar Jahren habe ich aufgehört, Fleisch zu essen, schränke tierische Produkte ein, achte auf tierversuchsfreie Produkte und darauf, dass der Umwelt und anderen Menschen nicht allzu sehr geschadet wird. Das betrifft in der Konsequenz dann zum Beispiel Kleidung (hier bin ich noch nicht sehr konsequent, muss ich gestehen!), Strom, Kosmetik und, und, und. Dabei den Überblick zu behalten, ist zuweilen recht kompliziert.

Eines Tages war es dann so weit, dass ich inmitten meines samstäglichen Einkaufs in der Drogerie stand und mich recht hilflos fühlte: Die Produkte, die frei von Tierversuchen hergestellt wurden, enthielten dafür zum Teil Mikroplastikpartikel, die unseren Meeren schaden. Die Produkte, die mir nicht gesundheitsschädlich erschienen, wurden aus fernen Ländern importiert, in denen Menschen von einem Mindestlohn und menschlichen Arbeitsbedingungen nur träumen können. Der Transport dieser Waren verschlechtert nebenbei noch die CO2-Bilanz.

Und so ging es an diesem Tag ununterbrochen weiter! In welche Ecke ich auch schaute, schrie es mich an: Immer ist Konsum heutzutage in irgendeiner Weise damit verbunden, einem Wesen zu schaden, Menschen und Tiere auszubeuten oder unsere Umwelt zu strapazieren. Wenn man sich das ernsthaft vor Augen führt, muss man erst einmal tief durchatmen. Natürlich kurbelt Konsum die Wirtschaft an, schafft Arbeitsplätze und sorgt für unser ständiges Wohlbefinden, keine Frage. Wir haben alles fast jederzeit verfügbar. Während es in meiner Jugend noch Tage gab, an denen man wirklich nirgends etwas kaufen konnte, ist das heute rund um die Uhr möglich.

Der negative Aspekt dieses Überflusses und der Konsequenzen lastete in diesem Moment, als ich dort stand, tonnenschwer auf meinen Schultern. Ich fühlte mich überwältigt von der großen Machtlosigkeit, die sich vor mir auftat. Natürlich gibt es viele gute Ratschläge, wie ich mich nachhaltig ernähren kann, wo ich Produkte ohne Verpackung bekomme, welche Biobauernhöfe das gute Gemüse produzieren, wie ich selbst Gemüse anbauen kann – nur um dann am Ende noch Ökospinner genannt zu werden …

Wie viel Empathie tut gut?

Ich habe immer wieder viele solcher Ideen und Impulse. Darüber denke ich so lange nach, bis mein Blickfeld so weit gezogen ist und so vieles freigibt, dass es mich überfordert. Bis ich mir bewusst machen muss, in welcher Welt ich lebe und dass es schier unmöglich ist, alles richtig zu machen und keinem zu schaden. Ich glaube, aus Angst vor dieser Überforderung legen sich viele Menschen Scheuklappen an und schauen nicht wirklich in die Welt. Denn würden sich mehr Menschen dem bewusst aussetzen, würden sie sich also freiwillig mit dem Unrecht, das in dieser Welt geschieht, beschäftigen, dann kämen sie vielleicht aus der Trauer gar nicht mehr heraus! Natürlich ist es dann einfacher, in der Komfortzone zu bleiben, nichts zu hinterfragen und nichts zu verändern. Das ist sehr menschlich und verständlich. Ich sehne mich manchmal nach der Zeit, als ich mir nicht halb so viele Gedanken um die Welt gemacht habe – das Leben war deutlich einfacher.

Wie also gehe ich mit dem empathischen Blick auf die Welt am besten um? Wie kann ich ihn steuern, sodass er mich nicht überwältigt?

Wenn wir Empathie in uns wecken und ausbauen möchten, ist es wichtig, erst einmal zu prüfen: Wie geht es mir gerade? Kann ich mich darauf einlassen, die Lebensumstände anderer auf mich wirken zu lassen? Es gibt zum Beispiel Tage, da kann ich mir kein Tierschutzvideo anschauen – es würde mich am Boden zerstört zurücklassen. Also ist es wichtig, seine eigene Sicherheit, seine Standfestigkeit zu prüfen und sich bereit zu fühlen für die Anliegen anderer.

Ein Arzt oder eine Krankenschwester muss den empathischen Blick gelegentlich bewusst eingrenzen, sonst wäre diese aufopferungsvolle Arbeit überhaupt nicht möglich. Das Leid und der Schmerz der anderen würden diese Menschen quasi auffressen. Burn-out ist ein verbreitetes Phänomen in diesen Berufsgruppen, also gilt es hier, sich zu schützen. Und es kann insgesamt sehr sinnvoll sein, dann, wenn ich gerade nicht helfen kann, den Blick so zu verengen, als ob ich einen Theatervorhang wieder zuziehen würde. Danach kann ich prüfen, ob ich etwas in die Wege leiten kann, und ansonsten einen guten Gedanken hinschicken und es gehen lassen. So schicke ich jedes Mal eine Art Segen los, wenn ich einen Tiertransporter sehe. Und ich hoffe, er kommt bei den armen Wesen an …

Aber zurück zur Erweiterung des Blickfelds: Dies geschieht Stück für Stück, und optimalerweise lassen wir uns zuerst von den Geschehnissen betreffen, die in unserem näheren Umfeld stattfinden. Wie geht es eigentlich meiner Familie? Weiß ich, ob die Grippe meiner Mutter vollständig auskuriert ist? Kann ich mich gerade darum kümmern? Die erste Stufe, die ich bei der Erweiterung des empathischen Blickfelds nehmen muss, ist, erst einmal verstärkt auf den engsten Kreis zu achten: Familie, enge Freunde. Geht es allen gut? Gab es in der Vergangenheit bei jemandem Probleme? Kann ich wohl etwas tun?

Als ich im Gespräch mit Thero von meinen Momenten der Überforderung erzählte, antwortete er mir: »Werde niemals extrem! Damit schadest du dir selbst. Und dann schau nicht als Erstes auf ein Unglück, das zu weit weg ist, als dass du direkt etwas tun könntest. Schau zuerst auf deine liebsten Menschen. Sorge für sie. Das ist der erste Schritt, wenn du empathisch nach außen schaust.« Wenn ich diesen Schritt also gemacht habe, kann ich es natürlich wagen, ein wenig weiter zu schauen, den Blickwinkel noch weiter zu vergrößern, die Scheuklappen weiter zu stellen: Wen sehe ich da? Bekannte, Arbeitskollegen, Nachbarn? Was kann ich für sie tun? Bin ich aufmerksam genug, um zu sehen, wo sie gerade stehen? Wenn der Blick noch weiter schweifen darf, dann sehe ich vielleicht den Kellner, der mich im Restaurant bedient, ganz anders. Oder ich sehe die alte Dame im Laden in der Schlange direkt hinter mir, die sich über ein Lächeln freut. Fremde, aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Glaubensrichtungen. Und an irgendeinem Punkt ist der Blick dann so weit und offen, dass wir die Verbindung zwischen allen Menschen sehen können. Empathie ist dann eine Gewohnheit.

Wenn wir den Blick dann immer weiter schärfen, kommen Tiere ins Blickfeld: Nutztiere, Haustiere, wilde Tiere – Tiere, die wir ausnutzen, ausrotten oder ihres Lebensraums berauben und ganz nebenbei durch die Massentierhaltung noch die Zerstörung unseres Planeten unterstützen. Tiere, denen wir keine Gefühle zubilligen, denn das leckere Steak schmeckt nun mal besser als die bitteren Gedanken meines Gewissens. Ich will dies an dieser Stelle nicht weiter ausführen, diese Dinge sind ja sattsam bekannt.

Menschenrechtler könnten nun argumentieren: »Wir können uns nicht über Massentierhaltung Gedanken machen, solange Menschen hungern, leiden, flüchten, erfrieren, misshandelt und diskriminiert werden.« Und so hat jeder Mensch sein eigenes Empathie-Universum, jeder hat einen anderen Blickwinkel auf die Welt, die »Rangfolgen« sind oft unterschiedlich. So kommen wir mit anderen möglicherweise in Wertekonflikte, was gar nicht notwendig ist.

Hier kann jeder versuchen, weich zu werden und echtes Mitgefühl zu zeigen – dabei ist es egal, womit wir starten. Hauptsache, jeder Einzelne macht einen Anfang. Denn nur weil das eigene Wertesystem sich in den letzten Jahren verändert hat, muss diesen Prozess nicht jeder in gleicher Intensität mitmachen. Das kann niemand verlangen. Was ich sagen möchte: Wir können es wagen, täglich etwas weiter nach rechts und links zu schauen.

Nun haben wir den eigenen empathischen Blick auf die Welt unter die Lupe genommen: Was bewirkt mein Handeln in der Welt, mit wem empfinde ich Mitgefühl und wann kann mich die Empathie auch aus den Fugen heben? Das ist eine Art Empathie, die vorausschauend auf die Folgen meines Handelns abzielt. Genauso gibt es natürlich die Empathie, die auf den Moment gemünzt ist. Etwas geschieht unmittelbar in meinem Umfeld und ich frage mich: Was wäre jetzt der richtige Weg, damit umzugehen? Wie sehr lasse ich mich betreffen, wie weit kann ich von meinem Standpunkt abweichen, wie kann ich dem anderen entgegenkommen? Das entscheide ich also ad hoc, im gleichen Moment, und dabei brauche ich neben dem Zugang zu den Gefühlen anderer auch die Fähigkeit, gleichzeitig die eigenen Gefühle gut zu managen.

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