Kitabı oku: «LebensLichtSpuren», sayfa 3
VORKOSTEN
Da meine Mutter vorwiegend Hausfrau war, genoss ich die vielen Stunden in der Küche, in denen ich weniger spielte, oft aber meiner Mutter meine aktuellen Erlebnisse erzählte, und manchmal durfte ich auch etwas probieren. Ein besonderer Renner für mich war es, wenn meine Mutter einen Teig anrührte. Obwohl roher Teig angeblich ungesund ist, schmeckte er mir vorzüglich. Die Bitte „Iss nicht zu viel!“ befolgte ich fast nie.
Zur Küchenhochzeit zählte für mich das alljährliche Backen der Faschingskrapfen. An diesem besonderen Tag band ich mir eine Schürze um und trug eine Kochhaube, wie sie eben auch Haubenköche haben. Die Schutzkleidung war auch notwendig, denn oft ermahnte mich meine Mutter: „Vorsicht heißes Fett!“ Und mit großer Spannung wartete ich dann auf die goldbraun gebackenen Krapfen, die mir ausgezeichnet schmeckten und die wir bis zum Aschermittwoch in Rekordtempo aufessen mussten. Doch nicht nur beim Backen von Süßspeisen schlich ich mich in die Küche, sondern auch beim Zubereiten der Schnitzel. Dabei gab es meist einige kleine Fleischstücke zum Vorkosten, und diese schmeckten stets besser als die darauffolgende Mittagsspeise.
ARCHITEKTINNEN
Wir spielten in unserem Hof. Wir hatten kein Spielzeug und mussten es erfinden. Mit einem Ast zeichneten wir den Plan des Hauses für eine Familie auf den Boden. Das Haus hatte drei quadratische Räume: ein Wohnzimmer, eine Küche und das Schlafzimmer. Ich wollte nicht der Vater sein. Der Vater ging zur Arbeit und kam spät zurück, aß zu Abend, spielte mit dem Baby und ging dann ins Schlafzimmer. Vater zu sein, war in unserem Spiel eintönig. Ich wollte Mutter sein, das war abenteuerlustiger. Die Mutter hatte viele Aufgaben: sie kümmerte sich um das Kind, das Haus, bereitete das Essen mit einer Handvoll Erde und etwas Wasser in einer alten Erbsendose zu. Unsere einzige Puppe war der Sohn Walter. An diesem Tag sollte ich Vater sein und ging zur Arbeit auf die andere Seite des Hofes. Als ich dann zu früh nach Hause kam, sagte meine Schwester wütend, das sei gegen die Spielregeln.
Ich musste an der anderen Hofseite beim Baum bleiben. Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte, wie ich als Vater arbeiten sollte. Ich verbrachte also die Zeit damit, dem Rascheln des Baumes zuzuhören oder mir die Pflanzen in der Nähe anzuschauen. „Fertig?“, rief ich eifrig. „Noch nicht!“, antwortete meine Schwester. Das bedeutete, dass der Tag noch nicht zu Ende war und sie noch nicht alle Mutteraufgaben erledigt hatte. Aber ich langweilte mich als Vater. Jetzt wurde ich von einem Käfer abgelenkt, der auf dem Boden herumkrabbelte, und es dauerte lange, bis ich endlich mit meiner imaginären Aktentasche durch die nicht vorhandene Tür ins Haus trat. „Hallo Frau!“, sagte ich mit tiefer Stimme. „Hallo Ehemann!“ „Ist das Abendessen fertig?“ „Ja, Ehemann.“ „Ich bin sehr müde.“ Wir aßen unser Essen aus Erde, ich spielte ein wenig mit Walter und zog mich dann ins Schlafzimmer zurück. Dort sagte ich erwartungsfroh: „Jetzt bist du dran, Vater zu sein!“
DER EINTRAG
Tagelang hatte mir ein Mitschüler mein Buch nicht zurückgebracht. Das war unangenehm, da ich befürchtete, es nicht mehr an die übrigen Schüler weitergeben zu können. Das Schuljahr war doch in wenigen Tagen zu Ende. Ein erstes Abschiednehmen im Leben, das uns aber in unserer unbeschwerten Kindheit nicht wirklich bewusst war.
An meinem Geburtstag hatte ich das Poesiealbum bekommen, etliche Wochen lag es unberührt auf meinem Schreibtisch. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, und eigentlich dachte ich schon, dass es für immer leer bleiben würde. Doch dann gaben mir Schulfreunde ihr Buch, und bald kamen auch die ersten Eintragungen von Familienmitgliedern in meines. So beschloss ich, dass sich auch meine Grundschulfreunde hier verewigen sollten, bevor wir in alle Richtungen auseinander gehen würden.
Nun wartete ich aber schon eine Woche auf mein Buch. Unruhig betrat ich das Klassenzimmer. Meine drei besten Freunde gaben wie immer witzige Kommentare ab. Ihnen brauchte ich es gar nicht zu geben, da wir uns für das kommende Jahr im selben Gymnasium angemeldet hatten. Ich hoffte sehr, dass wir dort wieder eine Klasse besuchen würden … Schließlich kam auch mein spezieller Freund in die Klasse. Er ging lächelnd auf mich zu … und gab mir tatsächlich mein Poesiealbum zurück. Ich bedankte mich und sah mir sogleich seinen Eintrag an:
„Es ließe sich alles trefflich schlichten, könnte man die Sachen zwei Mal verrichten!“ Das Zitat, das mir schon beim ersten Lesen bedeutsam vorkam, war von einem gewissen Johann Wolfgang von Goethe. Es sollte sehr realitätsnah werden in zahlreichen Situationen meines Lebens.
HAHNENTOD
Von den Eltern in den Sommerferien verschickt auf den Bauernhof unserer Vorfahren – ein ärmliches Anwesen voller Wärme und Abenteuer für mich als Kind. Der Bauer schüttet sich nach getaner Arbeit Zucker ins Bierglas, „weil es so bitter schmeckt“. Seine Frau herzt mich, als habe sie mich geboren. Ihre Augen so tief und liebevoll, ihr Körper von der harten Arbeit gebeugt. Der Sommer ist trocken dieses Jahr. Schon seit Wochen kein Regen, nur heißer Wind. Pflanzen und Tiere ducken sich unter den Sonnenpfeilen. Selbst die Vögel verstummen. Fliegen schwirren über dem Misthaufen. Durch den Bauerngarten fließt ein Bach mit spärlicher Strömung. Forellen dösen unter Weidenwurzeln im sauerstoffarmen Wasser. Es gehört zu den großen Gefühlen meiner Kindheit, in den Bach zu steigen und mit den Händen unendlich langsam in die Uferhöhlen des Bachbettes zu tasten, sie vorsichtig unter die Forellenbäuche zu schieben und die Fische mit den Daumen zu streicheln. Im Bauernhof Lärm einer Betonmischmaschine und Stimmengewirr der Maurer. An die Scheune wird ein Kuhstall angebaut. Die Schalbretter für die drei Meter hohe Seitenwand sind schon gesetzt. Über eine Bohle wird mit dem Schubkarren frischer Beton in den Spalt verfüllt. Urplötzlich markdurchdringende Schreie von einem Hahn. Das Tier hat sich zwischen den Schalbrettern verfangen. Ein Maurer grinst und sagt: „Der bringt Glück in die tragende Wand“, und entleert seinen Schubkarren über dem Tier. Sommerbunte Federn versinken im Grau des Betons. Hahnschreie ersticken und mir das Herz.
SCHWEBEND ZWISCHEN STERNEN
Ich träume von einem dunklen, warmen, geräumigen und ziemlich trüben Raum, merkwürdig, und trotzdem ist er sehr vertraut, schwebend zwischen Sternen. Schwerelos bewege ich mich. Mitten in diesem glücklichen Dasein werde ich mit großem Druck auf den schwankenden Boden gestoßen und bin dann jedes Mal direkt wach, spüre den harten Boden unter meinem Gewicht.
Mit dem ersten Schrei der Liebe
erblicke ich das Licht der Welt
und dein Schmerz
um Leben zu schenken
wandelt sich, umhüllt mich
Und ich bejahe das Leben
mit dem Anflug des Glücks.
MITTEN IN DER HÖLLE
Wir kamen dort an, wo die alte Brücke war. Aber es gab keine Brücke mehr, nur ihr Skelett. Ich dachte, wir könnten sie überqueren. Zu Beginn der Brücke waren die Streben noch in Ordnung, doch als ich voranging, mein Cousin hinter mir, brach weiter vorn das Holz. Mein Cousin konnte nicht weitergehen, ich stand schon mitten auf der Brücke. Doch was ich zuvor nicht gesehen hatte: Sie führte nicht weiter. Es gab hier ein tiefes Loch, darunter brodelte der Fluss, dessen schnelle Strömung wie schwarze Zöpfe dahinzog. Ich konnte nicht schwimmen. Ich war mitten im Gerippe der Brücke gefangen. Auf der anderen Seite befand sich eine schmale Betonwand. Wenn ich springen würde und meine Füße sie nicht erreichten, konnte ich hinfallen und mit dem Kopf auf den Beton schlagen.
„Du musst Hilfe holen!“, schrie ich meinen Cousin an, der auf der anderen Seite der Brücke geblieben war und nicht wusste, was er tun sollte. „Ja, das werde ich! Aber zuerst muss ich scheißen!“ „Was? Ich sterbe hier und du musst scheißen?“, fragte ich entsetzt. „Ich muss scheißen!“, wiederholte er aufgeregt und versteckte sich hinter einem Busch.
Ich sah wieder auf die andere Seite der Brücke. Nach unten schauen konnte ich nicht, die Strömung machte mich schwindelig. Der Nachmittag ging zu Ende, und das Licht der Sonne nahm rapide ab. Außerdem würden die Fledermäuse kommen und an meinen Körper fliegen. Ich wusste, ich konnte nicht überleben. Ich konnte nicht schwimmen, hatte Angst vor der schwarzen Strömung, dem Schwarz der Nacht und den unsichtbaren Fledermäusen. Ich kannte meinen Cousin, er würde langsam nach Haus gehen, bis es Zeit zum Abendessen wäre.
„Geh und wasch deine Hände!“, würde seine Mutter sagen. Er säße zum Abendessen am Tisch und erst, nachdem jemand gefragt hätte, wo ich sei, würde er sagen, dass ich auf einer kaputten Brücke wäre, ohne vorwärts oder rückwärts gehen zu können.“ „Welche Brücke, Junge? Erklär die Dinge richtig!“ Und nach einer wirren Erklärung würden meine Eltern und meine Onkel zu meiner Rettung kommen. Wie lange musste ich hierbleiben? Ich richtete meinen Blick auf das Betonfundament, berechnete genau, wo meine Füße aufkommen würden. Ich musste springen, ich konzentrierte mich. Und ich sprang, mit einem Fuß voran und balancierend mit dem anderen, und mit ausgestreckten Armen fand ich mein Gleichgewicht. Ich sah nur auf den Horizont vor mir, nicht nach unten. Nur auf die schmale Betonwand. Ich musste mit ausgestreckten Armen gehen, einen Fuß nach dem anderen und mit maximaler Konzentration. Endlich gelangte ich an das Ufer. Ich war in Sicherheit, rannte glücklich mit offenen Armen den menschenleeren Weg hinunter und spürte, wie der Wind mein Gesicht streichelte. Den salzigen Geruch des Waldes zog ich genussvoll durch die Nase und erblickte vor mir die dunkle Silhouette der Unermesslichkeit des Meeres.
AUSWANDERN FÜR IMMER
Unser Klassenlehrer hatte es uns vor kurzem mitgeteilt, und der Tag X rückte immer näher. Vielleicht wollten seine Eltern ihm bessere Chancen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten bieten, ohne Stress, mit einer völlig anderen Art des Lebens. Solch ein einschneidender Schritt sollte sorgfältig geplant werden, besonders wenn man ihn mit Kindern gehen will. Wie wäre es gewesen, wenn mich das alles betroffen hätte? Immer wieder dachte ich seit dieser Zeit über das Auswandern nach. Ein schöneres Leben mit mehr Sonnenschein und unter Palmen? Davon träumten damals viele, Aufbruch in neue Abenteuer … Aber ob das auch für mich interessant wäre?
Dann kam der Tag, an dem unser Lehrer mitteilte, dass unser Schulfreund seinen letzten Schultag hier hätte und schon in wenigen Tagen nach Kanada übersiedeln würde. Ein großes Händeschütteln begann, und dann war das aufregende Ereignis auch schon fast vorüber … Am frühen Nachmittag kam ich nach Hause und eilte weinend zu meiner Mutter, die in der Küche das Essen zubereitete.
„Heute war unser Mitschüler zum letzten Mal in der Schule, wir werden ihn nie mehr sehen. … Oft habe ich ihn gehänselt … und manchmal haben wir nicht nett über ihn gesprochen … Jetzt können wir das alles nicht mehr gut machen, Mama! Eigentlich habe ich ihm noch so viel sagen wollen … Das ist sehr traurig!“, und ich weinte bitterlich wie kaum je zuvor. Meine Mutter nahm mich in die Arme und tröstete mich: „Schau jeden Abend auf den Abendstern, er geht überall auf, ganz egal auf welchem Erdteil du lebst. Durch ihn bist du immer mit ihm verbunden und kannst ihm alles sagen, was dich bedrückt!“ Nach diesem Gespräch war ich sehr erleichtert und fühlte mich an so manchen Abenden mit jenem Mitschüler verbunden.
HAHNSCHLAGEN
Dorffeste gehören für uns Kinder zu den bewegenden und prägenden Erlebnissen unseres Daseins, auch wenn der Dorfalltag allein schon voller kleiner Abenteuer ist. Auf das Dorffest spare ich das ganze Jahr, kann es kaum erwarten, mein Geld für Süßigkeiten und die Schießbude auszugeben. In unserem Dorf gibt es eine besondere Tradition, das „Hahnschlagen“, dem ich jedes Jahr aufgeregt entgegenfiebere. Einer der Bauern im Dorf spendiert einen geschlachteten Hahn, den er in einem Leinensack dem Bürgermeister übergibt. Auf einer Wiese wird nach seiner Anweisung ein Loch ausgegraben und der Sack nebst Hahn darin vergraben. Um die Grabstelle herum wird mit einem Seil ein Quadrat mit einer Seitenlänge von ungefähr zehn Metern abgesteckt. Vorher schon werden den 16-jährigen Jungen die Augen verbunden.
In diesem Jahr stehen nun sechs „künstlich erblindete“ Jungen vor der Absperrung, alle bewaffnet mit einem Dreschflegel. Wir Kleinen liegen bäuchlings auf der Wiese, beobachten das Spektakel. Ein Junge nach dem anderen wird auf das markierte Quadrat geführt, und jeder versucht nun, mit den Füßen die Stelle zu erspüren, an der der Hahn vergraben liegt. Wer glaubt, die richtige Stelle gefunden zu haben, tritt einen Schritt zurück und schlägt mit dem Dreschflegel auf den Boden. Drei haben sich schon vertan, jetzt ist der Sohn unseres Nachbarn dran. Mit dem rechten Fuß tastet er die Erde nach einer weichen Stelle ab und wird fündig. Sein Hahnenschlag sitzt. Seiner Augenbinde entledigt, wird er auf den Schultern seiner Freunde durchs Dorf getragen. Abends wird der Hahn für ihn in der Dorfgaststätte zubereitet und er erhält für die ganze Dauer des Dorffestes seine Getränke im Festzelt umsonst. In den Augen der Dorfmädchen ist er für zwei Tage ein Held. Ich bin ein wenig neidisch.
DIE MAUER
Meine Mutter hatte eine sanfte Stimme und viel Geduld. Sie verbrachte den Tag mit der Hausarbeit: Kochen, Putzen, Essen, Wäsche, und immer, wenn ich gerade etwas Neues ausprobieren oder etwas erfinden wollte, sagte sie mir: „Tu das nicht!“ Und ich tat es doch. Und dann war da noch diese Mauer in unserem Garten, und meine Mutter wusste nicht, dass eine Mauer für ein Kind nur gemacht ist, um herauszufinden, was auf der anderen Seite ist. Die Holzkisten neben der Wand waren eine einladende Treppe. Ich stieg auf die zerbrechlichen Kisten, erreichte den Rand der Mauer, ließ ein Bein auf die eine und das andere auf die andere Seite baumeln und entdeckte ein neues Territorium: den Hof der Nachbarn mit ihren Kleidern auf der Wäscheleine.
Der rotgekachelte Boden leuchtete im Sonnenlicht, und die aufgehängte Wäsche bewegte sich wie Laub im Wind. Ein weißes Tuch flatterte in Kurven in der Luft, skizzierte Flüge, hing aber fest an der Wäscheleine, um wieder nach oben zu flattern und zu landen. Ich konnte dort nichts weiter entdecken als eine ferne Insel in der Ecke mit einem blühenden und einem grünen Busch. Als ich heruntersteigen wollte und auf die Holzkisten trat, rutschte ich aus und fiel hin, wobei ich mir das Knie verletzte. Aus einer tiefen Wunde strömte das Blut, und meine schrillen Schreie breiteten sich im Hof aus.
Meine Mutter trat aus der Küchentür und sagte ohne Mitleid: „Ich habe dir gesagt, du sollst das nicht tun!“ Sie brachte mich ins Badezimmer, wo sie die Wunde desinfizierte, Gaze auflegte und mit einem Klebeband befestigte. Meine Mutter ist nie über Mauern geklettert, sie wusste wohl nicht, dass Mauern gemacht sind, um sie zu überqueren, dachte ich, meine Augen voller Tränen.
GROßVATER
Mein Großvater mütterlicherseits ist ein fröhlicher und herzensguter Mensch. Er hat einen großen Weingarten, einen wunderschönen Hahn und viele Hühner, die uns jeden Morgen frische Eier zum Frühstück schenken. Mitten auf seinem Hof, vor der Terrasse, befindet sich ein großer Teich mit Goldfischen. Jeden Abend vor Sonnenuntergang sprengt mein Opa die Blumen und den Boden des Hofes mit Wasser, damit die Hitze im Sommer erträglicher wird. Danach riechen der Hof und die Terrasse nach feuchter Erde. Dieser Geruch ist unser Zeichen, das bald das Abendessen serviert wird. Dann stellen unsere Mütter die wunderbaren Gerichten für die große Familie auf die Terrasse, deren Düfte uns noch hungriger machen. Das Abendessen wird immer wie ein Festmahl gefeiert. So verbringen wir oft die Sommerferien mit der ganzen Familie im Hause meines Großvaters.
Mein Großvater wird plötzlich krank. Wir Kinder spüren einen unsichtbaren Saum der Trauer in der Luft. Meine Mama sagt: „Opa geht es nicht gut, macht nicht so viel Lärm.“ Opa protestiert und sagt mit schwacher Stimme: „Lass doch bitte meine Vögel zwitschern, das schenkt mir viel Kraft“. Doch schon bald erlischt das Lebenslicht meines Großvaters. Sein Platz auf der Terrasse bleibt leer. Mama sagt: „Er ist für immer fort“. „Für immer?“, frage ich entsetzt und spüre zum ersten Mal den Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen, der nie mehr da sein wird.
WESPENSTICHE
Nur langsam verzog sich der heiße Dampf im ersten Stock unseres Ferienhauses, es duftete aber noch immer nach süßem Himbeersaft, den meine Mutter den ganzen Abend über zubereitet hatte. Ich verzog mich bei diesem Vorgang immer nach oben, da mir nicht nur der heiße Riesentopf auf dem Küchenherd Respekt einflößte, sondern auch die vielen Flaschen, die mit heißer Luft sterilisiert werden mussten, bevor der Saft durch einen Schlauch eingefüllt wurde. Meine Mutter tat dies mit weit ausgestreckten Armen, denn manchmal hielt eine Flasche dem Erhitzen nicht stand und zersplitterte.
Nun, ans Einschlafen war an diesem Abend noch lange nicht zu denken. Drückend schwül war der Sommertag verlaufen, mit der dampfenden Küche als abschließendem Höhepunkt, und auch aus den geöffneten Fenstern gab es kaum einen Durchzug. Ein weiteres Problem im überhitzten Holzhaus bestand in einem riesigen Heer von Insekten, die uns ohne Fliegengitter regelrecht heimsuchten. Nachtfalter und Fliegen waren dabei noch die humansten Tiere, Bremsen und Stechmücken erfreuten sich reichlich an unserem Blut, und besonders gefährlich wurde es beim Besuch von Bienen, Wespen oder Hummeln.
Irgendwann musste ich in dieser schwülen Sommernacht doch eingeschlafen sein, als es endlich etwas abgekühlt war. „Aua … au! Mamaaa!“, schrie ich mitten in der Nacht auf und tastete zum Lichtschalter. Es stach, brannte, schmerzte heftig an zwei, drei, ich wusste gar nicht an wie vielen Stellen meiner Beine. Ich zog meine leichte Decke zur Seite und sah sie daliegen, zwei, nein, drei halbtote Wespen, die ich offensichtlich mit meinen Fußtritten betäubt hatte.
Schnell sprang ich aus dem Bett, rannte ins Erdgeschoß und wurde dort von meiner Mutter mit Zwiebelscheiben verarztet. Schnell neutralisierten diese die Stiche, sie wirkten entzündungshemmend und schmerzlindernd. Den Rest der Nacht verbrachte ich im Bett bei meiner Mutter. Noch einige Tage juckten die Einstiche der nächtlichen Ungeheuer, und für alle Zeiten schüttele ich vor dem Einschlafen meine Decke kräftig aus. Es könnten sich ja Wespen darin einquartiert haben.
MASERN
„Du hast zu viel Fantasie“, sagt Mutter und streicht mir durch die feuchten Haare. Draußen trommeln die Regentropfen an den Rollladen. Ihr Lächeln erkenne ich nicht. Ich liege mit Fieber im Bett und weine. Ein Albtraum hatte mich heimgesucht. Meine Augen brennen. Ich sehe alles nur wässrig, die Konturen des Lebens nehme ich nur verschwommen wahr. Schemenhaft bedrohen mich die wenigen Möbel im Raum – wie hungrige Raubkatzen. Mich fröstelt, trotz der hohen Körpertemperatur. Der Raum ist abgedunkelt. Ich liege schon seit mehr als zwei Wochen. Das ist üblich bei Masern. Die Leute sagen, das Licht bedrohe die Masernaugen. Jetzt blendet mich der spärliche Lichtstrahl durch den Türspalt. Mutters Hand auf meinem Haar beruhigt ein wenig. Die Traumschatten der Nacht beben noch in mir. Jede Nacht diese Angsträume. Auch das käme von den Masern, sagte Mutter, als die Träume anfingen. Der letzte Traum hat mir die Urangst gezeigt. Eine riesige grellgelbe Fläche, die mir die Sinne raubt, mit einem winzigen schwarzen Punkt in der Mitte. Mit jedem Herzschlag vergrößert sich der Punkt; pulsierend erwacht die Angst. Schrecklich, dieses innere Zittern. Bald reift der Punkt zum kleinen Fleck, frisst stetig die gelbe Fläche auf, wächst zum wabernden Ungeheuer, verschlingt irgendwann das Gelb. Dann nur noch Schwärze. Mein Herz rast voller Angst in der Nacht, ich schwitze. Mutter nimmt mich in den Arm, gibt mir einen Kuss auf die schweißperlende Stirn. Alles ist gut für diesen Moment.