Kitabı oku: «Terra Aluvis Vol. 1», sayfa 2

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Ein Seufzer entfuhr Lewyn, sobald er sein Pferd in Bewegung setzte. Eine leise Unruhe breitete sich in ihm aus – und als der Blonde seinen Blick noch einmal über die weiten Seen, üppigen Wiesen und das kleine, friedliche Haus am Ufer schweifen ließ, wurde ihm irgendwie schwer ums Herz. Er wurde plötzlich das furchtbar beklemmende Gefühl nicht los, als würde er diesen Ort zum letzten Mal sehen.

***

"Qu'al 'tshev!" Die Gestalt stampfte wütend auf und ballte die Hand zur Faust, während sie ein blutiges Fell vor den Thron warf. Die Wachen regten sich und machten auf der Stelle Anstalten, den Mann zu bändigen, doch der König wies sie mit einer zügigen Handbewegung an, Ruhe zu bewahren. Der König Rex Faryen sah fragend zu seinem Berater auf. "Was hat das zu bedeuten, Hal?"

Der Mann neben ihm trug eine goldverzierte, dunkelblaue Robe und legte die Kuppen seiner schmalen Finger aneinander. "Nun, Eure Majestät …", begann der kahlköpfige Berater mit gedämpfter Stimme, "Die Elfen scheinen einen weiteren Boten zur 'Warnung' entsandt zu haben … Sie werden der 'Frevel' langsam überdrüssig."

Die Gestalt vor ihnen war bis auf einen Lendenschurz und Waffengürtel völlig unbekleidet und offenbarte so einen schlanken, wenn auch kräftigen Körper, welcher über und über mit blauen Tätowierungen bedeckt war. Der Elf hielt einen Speer in der Hand, trug einen Bogen am Rücken und hatte silbrig langes Haar, in welches Blätterranken hineingeflochten waren. Sein Gesicht war filigran gehalten, seine Ohren spitz zulaufend und seine türkisblauen Augen in funkelndem Zorn auf den König vor sich gerichtet.

"Z'ehynn'dha qu'an th'eyza! N'nin'ktshu qu'av! M'ekethz! M'ekethz 'nnu ah'nya vez'kynth!" Immer aufbrausender und fluchender kamen die Worte über die Lippen des Fremdlings. Sie klangen hart, sogar beißend und hatten doch eine natürliche Melodie, die dazu verleitete, mehr von ihr vernehmen zu wollen. Immer wieder deutete er auf das Fell und anschließend auf alle anderen Anwesenden um ihn herum.

König Faryen wandte den Kopf merklich beunruhigt zu seinem Berater. "Der Gesandte schwört, dass die Menschen 'ein böser Fluch' treffen wird, solltet Ihr nicht damit aufhören, 'ah'nya zu spotten' und ihre … 'Kinder' zu töten …", dann beugte sich Hal ein wenig zu ihm herunter und flüsterte: "Eure Majestät, es wäre höchst ratsam, dass Ihr ihnen ein Zeichen Eurer 'guten Absicht' gebt, ansonsten ist es nur eine Frage von Monaten oder gar Wochen, bis sie zuhauf vor Eurem Palast stehen und 'Rechenschaft' fordern – wenn Ihr versteht, was ich meine …", und er hob eine kahle Augenbraue, "Es scheint, als würden sie keine Ruhe geben, bis die Wolfsschlachtung aufgehört hat."

Der König nickte langsam und räusperte sich schließlich, woraufhin sich der Mercurio Hal wieder aufrichtete. "Nun …", begann der Menschenkönig – jedoch nicht, ohne vorher einen bedeutungsvollen Blick mit seinem Berater gewechselt zu haben, "Ihr habt da etwas missverstanden: Wir haben …", er zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht, "… bereits in die Wege geleitet, dass … unsere Menschen keine sinnlosen Tieropfer mehr bringen." Er sah kurz zu Hal, welcher daraufhin begann, das Gesagte in Qu'elza, die Sprache der Elfen, zu übersetzen.

Der Fremdling hielt nun inne und lauschte den Worten des Königs. Dieser fuhr fort: "Aber wie das bei uns Menschen leider so ist, brauchen Veränderungen …", Rex zögerte erneut, "… ihre Zeit, bis sie sich vollkommen durchgesetzt haben. Deswegen bitte ich euch um ein wenig Geduld. Gebt den Menschen die Zeit, die sie brauchen, um sich an die neuen Umstände zu … 'gewöhnen' …" Beim Sprechen vollzog seine rechte Hand leichte, kreisende Bewegungen, welche die latente Nervosität des alten Mannes verrieten. "So nehmt denn als Zeichen meines guten Willens diesen … diesen …", was sollte er ihnen bloß geben?, "… ja, diesen Baumsamen entgegen!" Der König ließ einen Diener hastig ein kleines Lederbeutelchen auf einem Tablett bringen. "Er stammt vom großen Baum unserer Väter und kann nur in einer einzigen Nacht in sieben Jahren gewonnen werden, da die Blüte ihn nur für diesen kurzen Augenblick preisgibt …!"

Auf einen flüchtigen Wink hin schritt der Diener an den Elfen heran, während der Mercurio die Worte zu Ende übersetzte. Der Bursche wartete, bis der Gesandte das Beutelchen vom Tablett genommen hatte, und entfernte sich danach wieder. Der Waldbewohner besah sich das Säckchen und öffnete es, um den Inhalt in Augenschein zu nehmen. Er tunkte seinen Finger vorsichtig in diesen hinein und zog ihn mit einer hauchfeinen, staub­artig glitzernden Schicht an der Fingerkuppe wieder heraus. Höchst neugierig, wenn auch skeptisch, musterte er seinen Finger und sah dabei immer wieder zum König auf dem Thron auf. Dieser erwiderte seinen Blick ruhig und wartete …

Letztendlich schloss der elfische Gesandte das Säckchen wieder, band es an seinem Gürtel fest und neigte kaum merklich den Kopf. "Ay'zawa qu'enn ah'nya", sagte er leise, legte dabei seine Hand flach auf die Brust und wandte sich zum Gehen.

Noch lange nachdem das leise Tapsen der nackten Füße auf dem Steinboden verhallt war, verharrten alle anderen Anwesenden regungslos an Ort und Stelle, … bis der König selbst laut ausatmete und dem unangenehmen Schweigen ein Ende bereitete. Augenblicklich brach ein reges Gemurmel unter den Menschen im Thronsaal aus: Eine Hand voll weiterer Gestalten in dunkel­blauen Roben beriet sich durch lautlosen Blickkontakt mit dem Mann im goldverzierten Umhang neben dem Thron, der als Mercurio offensichtlich eine leitende Funktion inne zu haben schien. Unter den anwesenden Dienern des Königs wurde mit aufgebrachter und verängstigter Stimme diskutiert, was das denn nun zu bedeuten hatte, und auch die henxischen Wachen wirkten sichtlich beunruhigt.

König Faryen legte die Stirn in Falten und stützte sie mit einer Hand ab. Sein Blick fiel wieder auf das blutige Fell vor seinen Füßen und er ließ es mit einem knappen, genervten Wink entfernen. Dann schloss Rex die Augen und atmete tief durch. Sein langes, grau gewelltes Haar vermochte nicht, die Sorge in seinem Gesicht zu verdecken, und die Falten darin schienen tiefer denn je …

"Nun, Eure Königliche Majestät …", ertönte die schneidende Stimme des Mercurios laut im Raum, sodass wieder Stille einkehrte, "Wie genau … gedenkt Ihr jetzt vorzugehen?"

König Faryen setzte sich schwermütig auf und schaute in die Runde seiner Untertanen. Er sah in all ihre verunsicherten Gesichter und wusste, was er zu tun hatte. So festigte Rex seinen Blick und setzte ruhig, aber bestimmt an: "Die Elfen wissen nicht im Geringsten, wie wir uns fühlen; sie wissen nicht, was es heißt, eines Morgens aufzuwachen und fest­stellen zu müssen, dass die, die uns am wichtigsten, am liebsten waren!, nicht mehr da sind und von ihnen keine Spur mehr zu finden ist."

Die Anwesenden hörten ihm aufmerksam zu und nickten vereinzelt. Der alte Mann schüttelte seinen Kopf, während sein Tonfall zunehmend anklagender und bitterer wurde: "Sie haben also auch keine Ahnung, wie es uns dabei ergeht. Sie wissen nichts über uns und unsere Sitten oder Kultur; aber dafür meinen sie, alles an Getier, ja, jeden Wurm und jeden Käfer beim Eigennamen zu kennen!", und er lachte trocken auf, während seine Untertanen es ihm gleich taten und spottendes Gelächter hören ließen, "Jaaah, sie 'kennen' die Tiere als ihre 'Kinder von Mutter Natur' – doch wir wissen nun mal über ihre wahre Natur Bescheid!"

Der König verengte die Augen zu Schlitzen und ballte die Hand zur Faust. "Voller Boshaftigkeit sind sie doch nur darauf aus, uns zu hintergehen und uns zu vernichten! Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen! Wir werden unsere Verlorenen nicht im Stich lassen! Und wir werden auch nicht zulassen, dass weitere Verluste auf uns zukommen! Nein, wir werden uns mit aller Macht gegen diese Bestien wehren und das ist unser ur­­eigenes Recht!!!"

Zum Schluss hin war Rex aufgestanden und hatte mit der Faust in die Luft geschlagen, um die Macht seiner Worte zu bekräftigen. Nun strahlte König Faryen wieder Selbstsicher­heit aus, dass in seinen dunklen Augen das lodernde Feuer des Lebens aufflackerte. Angesteckt von seinem Enthusiasmus riefen die Anwesenden jubelnden Beifall und sahen ihre Gemüter wieder beruhigt.

'Welch einfaches Volk', schoss es dem alten Mann traurig durch den Kopf – und als er zur Seite blickte, wunderte es ihn nicht, dass sein königlicher Berater mitsamt dessen Anhanges an dunkel­blau gekleideten Gefährten herzlich unbeeindruckt von seiner Rede war. König Faryen schmunzelte ein wenig. Richtig … Wie hätte es auch anders sein können? Sie würden ohnehin noch einiges zu besprechen haben. Doch für den Moment waren die anderen ruhiggestellt. So schickte er alle Anwesenden bis auf den Mercurio hinaus.

Als der König mit seinem Berater allein zurückgeblieben war, seufzte er leise und stieg von seiner Thronerhöhung herunter. Der Saal war recht schmal, aber dafür lang gebaut und wurde zu beiden Seiten von marmornen Säulen flankiert. Die Wände waren in schlichtem Weiß gehalten und große, runde Buntglasfenster in sie eingelassen, sodass stets ein farbenfrohes Lichtspiel auf dem hellen Steinboden stattfand. Die Wappen der vier Grafenhäuser zierten das Gewölbe über den Säulengängen, wobei das Wappen des Königshauses allein­stehend über dem Thron hing.

Der Sitz des Königs befand sich mittig in der Hälfte des Raumes auf einem kleinen Sockel. Hinter ihm war eine große Öffnung im Gewölbe eingelassen, die weitere säulengestützte Stockwerke sowie ein gläsernes Dach offenbarte. Durch die Öffnung zum Himmel hinaus wuchs ein großer, stämmiger Baum mit heller Rinde und üppig verdrehten, blassgrünen Blättern, die mit Weiß gesprenkelt waren. Die Borke schälte sich zum Teil in feinen Streifen ab und bildete eine gekräuselt abstehende Rindenschicht um den eigentlichen Stamm herum. Um den Baum selbst waren die verschiedensten exotischen Grünpflanzen gesetzt, sodass sie insgesamt ein harmonisches und überaus malerisches Bild abgaben. Hinter dem rund gehaltenen Innenhof erstreckte sich eine große Treppe zum Festsaal im ersten Stock – und abgesehen davon gab es noch vier Seitengänge, die zu anderen Räumen sowie zu den könig­lichen Gemächern führten.

Der König schritt bedächtig zum Baum der Väter hin und blieb vor der bepflanzten Grünfläche stehen. Er blickte nachdenklich von den mächtigen Wurzeln am langen Stamm entlang bis hinauf in die zahlreichen Blätter der verzweigten Krone. "Wir haben vieles geschafft …", sprach Rex Faryen leise, "Unsere Väter … haben vieles geschafft …" Sein Berater war ihm still gefolgt und stand nun diskret schweigend neben ihm. Der alte König wandte sich ihm zu und sah ihn eindringlich an. "Und das darf jetzt nicht alles umsonst gewesen sein."

Der Mercurio Hal hatte die Fingerkuppen aneinander gelegt und hob nun eine Augenbraue. "Ihr sprecht vom Zucht­programm?" – "Ganz recht", erwiderte König Faryen, "Ihr habt die Wölfe ja bereits gefangen, die wir dafür benötigen, nicht wahr?" – "Selbstverständlich", kam es in sachlichem Tonfall vom kahlköpfigen Berater, "Alles ist in die Wege geleitet. Wir erwarten nur Euren Befehl." Der König schien einen Moment lang nach­zudenken, bis er schließlich nickte und sagte: "Dann geh jetzt. Du weißt, was du zu tun hast." Hal verneigte sich leicht – wodurch ein fremdartiges, hellblaues Zeichen auf seinem kahlen Schädel zum Vorschein kam – und verließ anschließend lautlos den Raum.

Kaum war der Mercurio verschwunden, erschien ein äußerst gehetzt wirkender Diener: "Eure Königliche Majestät, Seine Königliche Hoheit, der- …!", in dem Moment öffneten sich bereits die Tore und ein schwarz uniformierter Mann mit dunkel­rotem Mantel und kurzem, dunkelbraunem Haar betrat zügigen Schrittes den Saal. Direkt hinter ihm folgte ein etwa einen halben Kopf kleinerer Mann in beigem Gewand und langem, blondem Haar. Sie durchquerten den Raum bis hinter den Thron, während sich der Diener eilig zurückzog.

Vor dem König blieb der vordere Mann abrupt stehen, warf seinen Mantel schwungvoll nach hinten und nickte seinem älteren Gegenüber respektvoll zu. "Vater." Der Blick des Königs wurde sanft, als er die jungen Ankömmlinge musterte – und er legte beiden jeweils eine Hand auf die Schulter. "Sacris, mein Sohn … Lewyn … Seid mir herzlich willkommen."

Noch ehe Sacris etwas sagen konnte, meldete sich Lewyn noch ganz atemlos vom Laufen zu Wort: "Eure Königliche Majestät, ich grüße Euch …! Der Bote …", doch er zögerte plötzlich, "Wegen … wegen Celine … was …" König Faryen nahm seine Hände wieder herunter, wandte sich um und begann, langsam entlang der Säulen des Innenhofes zu schreiten. Die jungen Männer schlossen zu ihm auf und liefen nun auf gleicher Höhe neben ihm.

"Es scheint, dass die Tragödie jetzt wohl auch uns betrifft …", begann der König leise, "Ich glaube nicht, dass eure Unruhe getilgt wäre, indem ihr zwei wehrlose, arme Wesen niederstrecktet, nicht wahr?" Die zwei Freunde schüttelten daraufhin schon fast ungläubig ihre Köpfe und Lewyn fügte ein wenig verzweifelt hinzu: "Sie ist doch nicht schon …! Ich meine, wer weiß, wo sie ist? Sie-" – "Richtig, Lewyn", unterbrach ihn der König bestimmt, "Wer weiß, wo sie ist. Wir haben alles absuchen lassen, aber keinerlei Spuren, geschweige denn Anhaltspunkte gefunden, was mit ihr geschehen sein könnte", und er seufzte in Resignation, "Es ist ausweglos … Genau wie in all den anderen Fällen, in welchen die Angehörigen einfach ohne jeden Hinweis verschwunden sind."

Bevor einer der jüngeren Männer etwas einwerfen konnte, fügte Rex Faryen allerdings noch mit beschwichtigend erhobener Hand hinzu: "Und nein, ich selbst glaube auch nicht, dass es die Wölfe gewesen sind, die unsere Schilde durchdrungen haben. Das schaffen sie nämlich gar nicht. Abgesehen davon hätten diese wenigstens Fährten hinterlassen. Und dass sie 'magische Wesen' sein sollen?", er lachte und führte seinen Monolog sarkastisch fort, "Tseh, das glaubt ihr ja wohl selbst nicht …! So etwas wie Magie gibt es nicht. Alles lässt sich logisch begründen. Irrationale Erklärungen sind völliger Unfug."

Der König redete ununterbrochen weiter und benutzte dabei eine Hand zur Argumentation. "Zudem gibt es nur ausgewählte Tiere, die wir mit Chips versehen haben, damit sie durch die Schilde hindurchgelangen können", und er ließ die andere Hand der ersten in die Höhe folgen, "Aber auch das nur, weil Händler und Reisende ihre Pferde und Esel ansonsten jedes Mal vor den Städten zurücklassen müssten …!" Dann ließ der alte Mann plötzlich beide Hände fallen und schüttelte unglücklich den Kopf. "Aber, was rede ich da? Das wisst ihr ja alles schon." Er seufzte schwermütig und blickte wieder nachdenklich bedrückt zum Baum der Väter hinauf …

Die beiden Freunde hörten dem König geduldig zu – so kannten sie seinen Hang zu Monologen nur zu gut – und liefen an seiner Seite entlang, während er gedankenverloren weitererzählte: "Ich frage mich, wie lange es noch dauern wird, bis es zum Krieg kommt; sei es der Krieg zwischen den Menschen und Elfen – oder … sei es der Krieg zwischen uns Menschen selbst …"

Da merkte Sacris auf einmal beunruhigt an: "Vater, ich habe deinen Brief erhalten. Ist es wirklich wahr?" Der alte Mann nickte schweren Herzens und ließ seinen Kopf hängen. "Ja, mein Sohn, du hast richtig gelesen …", entgegnete er ihm, "Wir befinden uns in einer mehr als heiklen Situation. Wollen wir es der einen Seite recht machen, wird sich unweigerlich die andere gegen uns auflehnen", und Rex gestikulierte wieder mit den Händen, "Bewahren wir also den Frieden im Inneren unseres Reiches, werden wir uns mit den Elfen bekriegen – sind wir mit den Elfen im Reinen, zerbricht unser Reich … So oder so: Es wird Krieg geben."

Da ergriff Lewyn verständnislos das Wort: "Aber … was ist dann bloß sonst für das Verschwinden der Menschen verantwortlich, wenn nicht irgendwelche Bestien? Wenn wir doch nur endlich den wahren Grund herausfinden könnten, wären beide Probleme auf einmal gelöst, oder?" Sacris nickte langsam und fragte: "Haben deine Landeskundschafter denn mittler­­weile etwas herausfinden können, Vater?" Doch König Faryen seufzte und schüttelte den Kopf. "Nein, nichts …", meinte er bedauernd und atmete einmal tief durch.

Daraufhin dachte der Prinz lange nach und runzelte schließlich die Stirn. "Aber … wenn das so ist, was wirst du dann jetzt machen, Vater? Ein Krieg im inneren des Reiches würde alles zunichte machen, wofür du dich in deinem Leben eingesetzt hast. Und eine offene Auseinandersetzung mit den Elfen-" – "Weißt du, mein Sohn …", unterbrach ihn der König auf einmal mit auffallend träger Stimme und einem fatalistischen Lächeln, "… ich bin mit meinen Kräften langsam am Ende …" – "Vater …?" Sacris sah ihn latent bestürzt an. "Was hat das … zu bedeuten …?"

Der König blieb stehen und schaute seinen Sohn müde, sehr müde an. Die Ringe um seine dunklen Augen waren tiefer als alle anderen Falten in seinem alten und vom Leben gezeichneten Gesicht. "Meine Zeit geht langsam aber sicher zu Ende …", und er legte ihm bedeutungsvoll nickend eine Hand auf die Schulter, "Nicht mehr lange und du wirst meine Nachfolge antreten, weißt du? Nur noch zwei Jahre, dann hast du endlich deinen dreiundzwanzigsten Geburtstag erreicht … Dann wirst du … der neue König sein …"

Rex Faryen ließ erneut ein tiefes Seufzen hören und murmelte unhörbar: "Ja, ja, … der neue König …", und er wandte sich unter geistesabwesendem Nicken ab, um weiterzugehen. Weder Sacris noch Lewyn behagte der Tonfall, welchen er an den Tag legte. So beschleunigte der Prinz seine Schritte, um zu seinem Vater aufzuholen. "Ja, ja …", nickte der alte Mann geistesabwesend fort, "Und unter Umständen wird es gar nicht nötig sein, so lange zu warten …" Da rief Sacris sofort: "Vater, was- …?!", doch er konnte nicht weitersprechen, denn der König hatte ihm einen Finger auf den Mund gelegt. "Nur Geduld … nur Geduld, mein Sohn …", sprach jener ruhig und entschieden, "Die Zeit wird alles offenbaren." Rex lächelte matt und schritt fort.

Sein Sohn ließ jedoch nicht von ihm ab und fragte verzweifelt: "Aber Vater, was … was soll ich bloß tun …? Ich habe doch nicht die geringste Ahnung, wie ich an deiner statt mit diesem Konflikt umgehen soll!" Der König blieb daraufhin erneut stehen und sah ihn ernst und unerwartet streng an. "Halte deinen Geist wach, gehe mit offenen Augen und Ohren durch diese Welt und versuche, sie mit all ihren Elementen zu begreifen", sprach er bedächtig, "Tue dies, mein Sohn, und der Weg wird sich dir offenbar-"

Dann bekam der alte Mann aber plötzlich einen solch heftigen Hustenanfall, dass er sich an der nächsten Säule abstützten musste. Sacris' Augen weiteten sich in jähem Schreck. "Doch nicht etwa …!", flüsterte er mit hörbarem Bangen, aber sein Vater richtete sich geschwind wieder auf und sagte mit dem Rücken zu ihnen gewandt: "Ich werde mich jetzt zurückziehen. Bitte, fühlt euch in diesem Palast zu Hause … wie es schon immer der Fall gewesen ist." Und er entfernte sich – die beiden jungen Männer allein im Thronsaal zurücklassend.

Lewyns Blick hatte im letzten Moment weniger dem sich entfernenden König als vielmehr einem Schatten hinter einer gegenüberliegenden Säule gegolten; doch als er ein zweites Mal hingesehen hatte, war jener verschwunden. Er legte die Stirn in Falten und wandte sich schließlich dem Prinzen zu – welcher seinem Vater noch immer sichtlich besorgt hinterher blickte.

"Sacris …", der Blonde erfasste vorsichtig dessen Arm und lenkte ihn langsam von der Tür weg. "Er ist wieder erkrankt …", stellte Sacris mit belegter Stimme fest und schaute seinen Freund dabei beklommen, ja, entsetzt an, "Es ist genauso wie damals …! Es ist genau dasselbe …!" Danach wandte der dunkelhaarige Mann seinen Kopf sofort wieder zur Tür hin und starrte seinem Vater nach. Lewyn seufzte und richtete den Blick seines Gefährten mit einer entschiedenen Handbewegung zurück auf sich. "Sacris, nun hör mir mal zu … – Mensch, Sacris …!" Der Blonde hielt seinen Freund am Kopf fest, da jener erneut Anstalten machte, in Richtung des Königs zu schauen. "Bitte, Sacris", redete Lewyn auf ihn ein, "Ich weiß nicht im Geringsten, was ich von der ganzen Sache hier halten soll, aber es wird dir mit Sicherheit nichts nützen, einfach nur auf der Stelle stehenzubleiben und abzuwarten, bis sich irgendetwas aus heiterem Himmel ergibt! Also komm mit. Wir sollten jetzt gehen", und der langhaarige Mann zog ihn dabei mit sanfter Gewalt, aber entschlossen an der Hand zum Ausgang des Palastes, "Hier werden wir schließlich nichts weiter über Celines Verschwinden herausfinden. Und deinem Vater können wir auch nicht helfen – und das weißt du genauso gut wie ich."

Hymaetica Aluvis war eine schöne Stadt. Sie lag in einer weiten Bucht, zu beiden Seiten von Ausläufern des Gebirges des Grauens geschützt, am Ozean der Träume. Das Tal zwischen den Bergarmen erstreckte sich mehr als eine Wochenreise zu Pferd ins Landesinnere hinein. Am Fluss Tical, welcher das Tal geformt hatte, waren viele weitere Dörfer angesiedelt, die zu den Bergen hin immer kleiner wurden und sich zwischen den hohen Gipfelkämmen mehr und mehr in der Einsamkeit verloren. Es hieß, der Einflussbereich des Königs erreichte die andere Seite der großen Gebirgskette nicht und die Menschen, die dort an der Grenze zu den Wüsten von Rayuv lebten, waren ihre eigenen Herrscher – ungebändigt und völlig frei von Gesetzen und Regeln des Königreiches.

Das Reich selber wurde von König Faryen III regiert. Seine Berater bildeten einen Zirkel, welchem man nachsagte, dass der König selbst nicht einmal um ihre wahren Absichten wusste. Sie lebten abgeschottet und machten aus allem, was sie taten, ein Geheimnis. Man nannte sie 'die Wissenden'.

Das Einzige, was man über sie wusste, war, dass sie wohl diejenigen gewesen waren, welche die Schilde errichtet und auch dafür gesorgt hatten, dass es zumindest in Hymaetica und den vier Grafenstädten 'fließendes Wasser aus den Wänden heraus' gab. Die Menschen fanden sie in ihren dunkelblauen Roben mehr als unheimlich, denn schließlich wusste niemand, was in ihren Köpfen vorging. Die Wissenden hingegen vermittelten den Menschen den unangenehmen Eindruck, als würden sie über alles und jeden Bescheid wissen – und die Bezeichnung ihres Zirkels unterstrich dies auf eine ironische Art und Weise.

Die Einwohner Hymaeticas waren ein bunt gemischtes Völk­chen. So wandelten einige in bewusst schlicht gehaltenen Gewändern neben maskiert kostümierten Gestalten, während wiederum andere in aufwändigen Rüschenkleidern neben Kriegern in Fell und Leder durch die Stadt gingen. Die Straßen der Menschenhauptstadt waren dank des Abwassersystems sauber gehalten und wiesen tagsüber ein reges Treiben auf: Menschen, die allerlei Waren anboten oder jene kauften, andere, die vor aller Augen etwas erstellten oder Kunststücke vollzogen, und wiederum andere, die dort einfach nur entlangspazierten und sich munter unterhielten.

"Was hältst du eigentlich von den Wissenden, Sacris?", fragte Lewyn mit gedämpfter Stimme, während sie den lebendig lauten Markt durchquerten. Sacris sah seinen Freund von der Seite her an und hob eine Augenbraue. "Von den … Wissenden?", erwiderte er verwundert und ließ die zweite Augenbraue der ersten in die Höhe folgen. Ein wenig angespannt wiederholte Lewyn: "Ja, von den Wissenden …!"

Der Prinz atmete einmal hörbar aus und dachte einen Moment lang nach. "Du stellst ja vielleicht seltsame Fragen …", murmelte er schließlich und sah in die Ferne, "Was man von denen halten soll? Nunja, sie sind in sich verschlossen, keiner weiß, was sie eigentlich wollen, woher sie kommen und warum sie das tun, was sie tun …", und er schaute seinen Freund mit einem schiefen Grinsen an, "Insgesamt also alles andere als Vertrauen erweckend, wenn du mich fragst. In Bezug auf sie bin ich deswegen vorsichtig. Zudem kann ich nicht nachvollziehen, warum Vater ausgerechnet sie als Berater gewählt hat." Letztlich zeigte Sacris mit der Hand auf sich selbst und schloss: "Ich für meinen Teil würde niemanden in diesem Amt haben wollen, dessen Beweggründe derart unergründlich sind wie die der Wissenden."

Da lächelte Lewyn nachdenklich und bemerkte: "Eine recht ausführliche Antwort dafür, dass dir die Frage so ungewöhnlich schien, findest du nicht auch?" Sacris begegnete ihm mit Verwirrung und begriff nicht, worauf er eigentlich hinauswollte. "Naja, natürlich habe ich mir schon Gedanken um sie gemacht", erwiderte er, "Schließlich werde ich bald selbst vor der Entscheidung stehen, ob ich ihnen als König vertraue oder nicht." Sein Freund wiederum sah zu ihm auf und wurde unerwartet ernst: "Wirst du den Zirkel der Wissenden von seiner Beraterfunktion entbinden, sobald du König bist?" Der Prinz seufzte und entgegnete kopfschüttelnd: "Das kann ich dir nicht sagen, Lewyn. Dazu weiß ich einfach viel zu wenig über sie. Bisher bin ich allerdings auch noch nie dazu gekommen, mit Vater darüber zu sprechen."

Dann hielt Sacris jedoch inne und betrachtete seinen Gefährten mit einem jähen Schmunzeln. "Und abgesehen davon ist es ja nicht so, als hätte ich je einen Hehl daraus gemacht, was ich von den Wissenden halte …! Immerhin bin ich damals doch derjenige gewesen, der den Spionagefeldzug gegen den Mercurio aus­geheckt hat."

Daraufhin musste der Blonde leise lachen: "Ja, aber am Ende saßen wir dann trotzdem beide zusammen bei Brey in den Stallungen fest und durften eine Woche lang Mist wegräumen!" Sacris konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. "Na, komm schon, so schlimm war es dann auch wieder nicht – Brey hat uns wenigstens dabei geholfen!", und er lehnte sich ein wenig zu seinem Gefährten rüber, "Und eigentlich war mein Plan ja perfekt – nur, wer hätte ahnen können, dass eine Dienstmagd unsere Flohpulverfalle auslösen würde, wo doch eigentlich der Mercurio hätte als nächster in den Raum kommen sollen …?!"

Als Lewyn daraufhin mit dem Kopf zu schütteln begann, fügte der Prinz noch verteidigend an: "Hey, ich bitte dich, dafür konnte ich nun wirklich nichts! Sie war neu angestellt gewesen und hatte sich verirrt!" Doch hob der Blonde daraufhin nur tadelnd den Zeigefinger in die Höhe und richtete ohne Gnade über ihn: "Ah ah, keine Entschuldigungen, Freundchen, keine Entschuldigungen! Du hast mich da total mit reingeritten!"

"Jetzt stell dich doch mal nicht so an …!", meinte Sacris ungläubig lachend und schlug seinem Freund locker gegen die Schulter, "Als ob ich dich gezwungen hätte, da mitzumachen!" – "Na, was denkst du denn! Als ob ich damals eine Wahl gehabt hab!", rief Lewyn übertrieben entrüstet und stemmte seine Arme in die Hüfte, "Es hieß doch ständig von allen Seiten, ich soll mir dich zum Vorbild nehmen! Was tut klein Lewyn also? Macht alles nach, was klein Sacris ihm vormacht!", und er begann, wild um sich zu gestikulieren, "Fleißig lernen. Mercurio piesacken! Fleißig lernen. Von selbstgebauten Baumhäusern herabstürzen! Fleißig lernen. In einen vermeintlich zugefrorenen See einbrechen und in der darauffolgenden Rettungsaktion das halbe henxische Bataillon mit ins Eiswasser ziehen!"

Sacris lachte herzhaft auf. "Sei bloß still, du wandelndes, krimi­nelles Element, du! Ein Vertrauensmissbrauch nach dem anderen!", regte sich der hellhaarige, junge Mann lauthals auf, "Dadurch, dass ich dir alles bedenkenlos nachgemacht habe, war ich am Ende noch wesentlich schlimmer dran, als wenn ich gar nichts davon getan hätte!" Noch immer lachend wuschelte ihm der Prinz durch die langen Haare und entgegnete: "Jaja, na und? Bereust du es etwa?", und wieder breitete sich ein Grinsen auf seinen Lippen aus, "Wärst du doch lieber ganz bei den Henxern aufgewachsen, anstelle ein halbes Dutzend von ihnen mal eben aus Versehen ins Wasser zu reißen?" Da schüttelte Lewyn abermals den Kopf und ließ ein unerwartet mildes Lächeln sehen. "Ach was, Blödsinn …", meinte er resigniert seufzend – und auf eine sonderbare Weise zufrieden mit sich und der Welt, "Es waren zwar die verrücktesten, aber auch die schönsten Tage meines Le-"

Ein plötzlicher Aufschrei zog die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sich. Auf der breiten Straße vor ihnen staute sich die Menschenmenge und bildete einen Kreis um etwas, das sie aus der Ferne nicht genauer erkennen konnten.

"Seht euch mal diese Frau an …!", merkte einer der beistehenden, fremden Männer mit einem anzüglichen Grinsen an. Ein erneuter Schmerzensschrei folgte und eine bissige Frauen­stimme kreischte: "Ich sagte, dass du damit aufhören sollst! Hör auf, so einen Schwachsinn zu träumen, und mich damit auch noch vollzumüllen!"

Auf die darauffolgende Stille begannen die Herumstehenden zu murmeln. "Der arme Junge …", meinte eine Magd, "Seht euch diese Krallen an!" – "Na, die müssen ziemlich wehtun", verzog ein Händler das Gesicht.

"Hast du mich verstanden, Herby?", keifte die Frauen­stimme von vorhin fort und ein weiterer Schrei ertönte. "Das ist doch grausam …!", bemerkte eine adlige Dame, als ein helles Schluchzen erklang. "Mensch, wieso tut denn keiner etwas …?!", wunderte sich ein gedrungener Handwerker und reckte den Kopf in die Höhe, "Wo sind die Wachen? Ruf doch jemand die Wachen!" – "Mama, i-ich habe Angst!", kam es von einem Kind. "Schhh, meine Kleine", gab die Mutter beruhigend von sich, "Komm, lass uns weitergehen …"

"Verzeihung, dürften wir bitte kurz durch …?" Der Prinz und sein Freund konnten sich endlich einen Weg durch die Menge bahnen; und so standen sie nun vor einer mehr als aufreizend gekleideten, auffällig gutaussehenden, jungen Frau, welche jedoch wie eine Furie auf einen kleinen, weinenden Jungen von nicht mehr als sechs Jahren einschimpfte: "Na heul doch so viel du willst, aber lass mich endlich mit diesem Blödsinn in Ruhe, ist das klar?"

Die Fremde hatte langes, schwarzes Haar und trug mit Schnallen besetzte Lederstiefel auf extrem hohen Absätzen – bei denen sich Sacris prompt fragte, wie man damit überhaupt auf dem Kopfsteinpflaster stehen, geschweige denn gehen konnte. Ein zu den Schuhen passender Lack- und Lederaufzug mit entsprechend tiefem Ausschnitt verpasste ihrer höchst einprägsamen – und höchstwahrscheinlich lun­idischen – Erscheinung den letzten Schliff.