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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 17

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XI

Zwei Tage vor Weihnachten schneite es. Ebenso am Vormittag darauf. Stilles Wetter und trockener Schnee. — — Dunkel war es draußen und nicht viel heller in den Hütten. Die Menschen dösten in all dem Unbehagen mißvergnügt vor sich hin.

Es stand jetzt nicht zum besten beim Per Hansen, das wußten alle und waren um ihn wie um die Beret besorgt. — Niemand hätte hier helfen können; man mußte eben abwarten und zusehen; denn jetzt mußte eine Veränderung eintreten!

Beide Nachbarsfrauen waren umschichtig jeden Tag eine Weile drüben. — Eigentlich, so sahen sie, bedurfte der Per Hansen mehr des Trostes als die Beret; ihr konnten sie nur wenig helfen, aber für ihn und die Kinder ließ sich etwas tun. Jetzt stand Weihnachten vor der Tür, und jetzt sollten die Menschen in den Hütten es gemütlich haben!

Der Per Hansen konnte einen dauern. Er lief umher wie ein zottiger, herrenloser Hund, — mit brennenden Augen, furchtsam und gehetzt. Die Kinder schickte er jeden Tag eine Weile zum Hans Olsen; blieben sie länger, als ihnen erlaubt, schalt er sie nicht darum; bald brachten sie den ganzen Tag dort zu. Daß das für die Beret nicht das richtige war, begriff er nicht. — Er versuchte mit der Frau zu reden, aber die Beret schien keine Antwort zu wissen, sagte zu allem nur ›Ha‹ und ›Ja‹, war so wunderlich still in ihrem Wesen und weit weg. — Aber in dem winzigen Lächeln, das sie ihm schenkte, lag eine Schwermut umschlossen, lastender als das Dämmerlicht überm Polarmeer an einem regengrauen Herbstabend.

Um die Mittagshöhe des Tages vor Heiligabend klärte es sich auf. Ein unsichtbarer Fächer schob sich unter alles, was in der Luft hing, fegte einmal darüber hin, und dann war der Himmel blau und strahlend. Stark leuchtend schwebte die Sonne an ihm; sie ließ den Schnee von den Dächern tröpfeln; zum Abend aber baute sie ein Goldschloß in Elfenland; und beides lag dicht hinterm Indianerhügel.

Die Buben waren beim Hans Olsen; aber das Gössel mußte hinaus und schauen. Die Sofie hatte ihr erzählt, heute sei Christabend, und dann komme Jesus vom Himmel herab. Das Kind hatte nach so vielem gefragt. Kam er im Wagen gefahren ? Und ging es nicht an, ihm den Pony zu leihen? — Die Sofie hatte gemeint, er fahre bestimmt mit einem Engel-Pony!

Der Große-Hans, der dabei war, hatte das alles fürchterlich mädelhaft und dumm gefunden. — Er wußte freilich besser Bescheid, der Große-Hans! Als es Abend wurde, wollte er plötzlich heim, und als der Pate ihm sagte, das ginge nicht, diesen Abend müßten sie alle bei der Sofie bleiben, da war er kaum zu bändigen; und sie mußten ihn mit Gewalt zurückhalten.

— Heute abend war Weihnachten, und er wußte nur zu gut, daß sich daheim ein Spuk zusammenbrauen wollte. Nur das konnte er nicht verstehen, daß die Mutter in der letzten Zeit so angegriffen ausgesehen hatte, und daß der Vater so seltsam gewesen war, daß es gar nicht anging, mit ihm zu reden.

An dem Nachmittag fuhr die Beret Perstochter ins Kindbett. Und diese Fahrt zeichnete den Per Hansen fürs ganze Leben. Vieles hatte er mitgemacht; aber alles war gegen dies hier ein Nichts. Er war auf dem Lofotmeer überquer auf einem kurzen Bootskiel geritten, hatte die Riesenwoge fauchend herankommen und erst den einen und dann den andern der Kameraden wegschnappen sehen, und war froh gewesen bei dem Gedanken, daß es nun auch mit ihm gleich zu Ende sein müsse; — aber das war für nichts zu rechnen gegen dies. — — — Dies war die äußerste Finsternis. — — — Hier war weder Anfang noch Ende. Nur er taumelte noch umher. — —

Die Sörine und die Kjersti waren beide seit langem gekommen. Er hatte Mantel und Hut genommen und war hinausgegangen, vermochte es aber nicht, sich viele Schritte von der Hütte zu entfernen.

Es wurde Abend; er hatte im Stall Buntscheck gemolken, die jetzt gar keine Milch geben wollte, hatte die Ochsen und Indi besorgt, ohne recht zu wissen, was er tat. Er hörte die Beret in der Stube jammern und wimmern, daß es ein Graus war, — das konnte ein armes Menschenkind nicht lange ertragen! — — Und es war noch dazu seine Beret!

Er stand in der Stalltür, weil er nicht wußte, wo er hin sollte; und da fand ihn die Kjersti; er müsse sogleich zu der Beret kommen, sie wolle mit ihm reden. Und die Kjersti lief sogleich wieder weg. — Da ging er hinein, hängte den Mantel an und wusch sich die Hände.

Die Beret saß halb angezogen auf dem Bettrand. Er sah sie an: solch ein Entsetzen hatte er noch in keinem Gesicht gesehen, — das hier ging über Menschenkraft.

Aber sie war bei voller Besinnung. — Sie bat die Nachbarinnen hinauszugehen, sie habe etwas mit ihrem Mann zu bereden. — Das sagte sie gefaßt, und sie taten ihr sogleich den Willen. Als sie sicher zur Tür hinaus waren, trat die Beret auf ihn zu; das Gesicht war verzerrt. Sie legte ihm eine Hand auf jede Schulter, sah ihm einen Augenblick in die Augen; faltete die Hände um seinen Nacken und zog ihn leidenschaftlich an sich. — Er faßte sie gut um, fing sie behutsam auf und trug sie zum Bett. Er legte sie hin und wollte die Decke über sie breiten. Aber sie klammerte sich an ihn; — seine Liebkosungen beachtete sie nicht.

Als er sich losgemacht, sprach sie mit ihm, oft von Stöhnen unterbrochen:

»Heute nacht gehe ich von dir — — ja, ich muß dich verlassen. — — Ich weiß es! Der Herrgott hat mich um meiner Sünde willen gefunden. ›In des lebendigen Gottes Hände fallen‹, stehet geschrieben! — — — Ich begreife nur nicht, wie du dich durchschlagen sollst, wenn du allein zurückbleibst, obwohl ich dir in der letzten Zeit gewiß nur zur Bürde geworden bin. Oh, es ist entsetzlich, daran zu denken! — — Das Gössel mußt du wohl der Kjersti überlassen, — — sie wünscht sich ein Kind, und sie ist gut. — — — Und dann mußt du mit den Buben weiterziehen. — Es wird seltsam sein, glaube mir, für mich, — für mich, — hier allein zu liegen!«

Tränen traten ihr in die Augen, aber sie weinte nicht, redete beherzt und gefaßt zwischen Schmerzensstöhnen:

»Aber jetzt sollst du mir eins geloben: ich muß in der großen Lade liegen dürfen. Ich habe sie ausgeräumt und hergerichtet. Du mußt mich in die große Lade legen! — — Und du mußt dir auch durchaus die Zeit lassen, die Grube tief zu graben! Du hast nicht gehört, wie gräßlich die Wölfe des Nachts heulen, — grabe tief, hörst du wohl, grabe tief!«

Den Per Hansen durchschauerte eisige Kälte, er warf sich vor dem Bett auf die Knie, trocknete ihr mit bebender Hand den kalten Schweiß vom Gesicht.

»Du meine gesegnete Gold-Beret,« hörte er sich wie aus weiter Ferne sagen und hörte aus den Worten Entsetzen. »Das geht doch vorüber, kannst du glauben. — Morgen bist du so quick wie ein junger Vogel!«

Ihre Angst nahm noch zu. Sie gab auf seine Worte nicht acht, redete machtvoll aus der Vorstellung, die sie umfangen hielt:

»Ich gehe heute nacht von hinnen, und die große Lade mußt du nehmen! — Ich hatte erst daran gedacht, dich zu bitten, nicht von mir wegzuziehen, wenn es Frühling wird, — mich nicht allein hier liegen zu lassen; aber es wäre mir leid um dich! — Ich sage dir jetzt: ziehe weiter! Fahre, sobald der Frühling kommt, — hier kann Leben nicht gedeihen, hier werden alle zu Tieren.«

Die Wehen schüttelten sie so gewaltig, daß sie nichts mehr hervorzubringen vermochte. Als sie ihn aber aufstehen sah, bezwang sie sich und setzte sich im Bett auf.

»Ach, geh nicht weg! — Nein, geh nicht weg, siehst du denn nicht, wie nötig ich dich habe? — — Und jetzt soll ich fort! — — — Sei lieb zu mir, — o, sei noch einmal lieb zu mir, Per Hansen!« Und sie lehnte sich an ihn. — — »Du mußt nach Norwegen zurück, — die Kinder mitnehmen, damit sie nicht hier aufwachsen, — — sprich mit dem Vater und der Mutter, und bitte sie von mir um Verzeihung! — Sag dem Vater, ich liege in seiner großen Lade! — — Kannst du die Nacht nicht bei mir bleiben! — — — Ach, da kommen sie nach mir!«

Die Beret stieß einen langen, schneidenden Schrei aus, der durch die Nacht gellte. Sie schluchzte und bettelte, daß sie sie doch noch eine Weile bei dem Per Hansen lassen möchten.

Der war aufgesprungen und fand jetzt endlich seine Stimme wieder:

»Satanas, jetzt laß ab von ihr!« schrie er, riß die Tür auf und brüllte die an, die davorstanden; — dann verschwand er draußen im Dunkel. —

Niemandem fiel es heute nacht ein, sich zur Ruhe zu begeben. Am Abend brannte in vier Hütten Licht; später erlosch es in zweien; aber beim Hans Olsen saßen jetzt alle vier Männer und grämten sich darum, wie es beim Per Hansen stehe. — Wenn sie die Ungewißheit nicht länger ertrugen, wurde einer hinübergeschickt, um Nachricht zu holen.

Tönset‘n erbot sich zuerst. — — Als er zurückkam, war er wie zertrümmert, und es war aus seinem Bericht nicht gerade klug zu werden. Er sei nicht hereingelassen worden, die Weiber seien wie verdreht, das Haus stehe auf dem Kopf, die Beret gebärde sich so überaus gräßlich, und den Per Hansen habe er überhaupt nirgends finden können! »Wir müssen hinaus und nach ihm suchen, Mannsleut. — — Hast du nicht ein Buch, daraus vorzulesen, Hans Olsen? — Es ist, als spuke es hier!«

Sie hockten herum und starrten ins Leere; jeder hing seinen Gedanken nach; und diese Gedanken glichen sich alle auf ein Haar: fuhr die Beret heut nacht von hinnen, dann war es nicht leicht, Per Hansen zu sein, — nein, wahrhaftig nicht. Er würde dann hier kaum länger ausharren? — Zog der aber weiter, dann konnte ein jeder von ihnen ebensogut gleich einpacken! —

Der Sam war drüben gewesen, und der Henry; zuletzt hatte der Hans Olsen sich auf den Weg machen müssen; er hatte ein paar Worte mit der Frau wechseln können, die habe gesagt, daß es die Beret wohl kaum überstehe. — Aber niemand von ihnen hatte den Per Hansen gesehen.

»Kannst du begreifen, wo der Mann heut nacht untergekrochen ist!« sagte Tönset‘n und gab damit der Befürchtung Ausdruck, die sie alle nährten. »— — Der Herr bewahre seinen Verstand, selbst wenn er ihm die Frau nimmt!« —

Der Per Hansen aber lief die ganze Zeit um die Hütte herum; hörte er jemanden kommen, huschte er weit ins Dunkel hinein; — heute nacht vermochte er nicht mit irgendeinem Menschen zu reden. — Sobald sie wieder ihres Weges gegangen waren, näherte er sich der Gamme, umkreiste sie, blieb stehen und lauschte. Er vergoß diese Nacht viele Tränen, ohne sich dessen bewußt zu werden. — — Jedesmal, wenn ein Schrei durch die Hüttenwand gellte, peitschte es ihn davon; sobald er verklang, zerrte es ihn wieder zurück. — — — Von Zeit zu Zeit mußte er an die Tür und einen Spalt öffnen, — was kehrte sich wohl der Per Hansen an Sitte und Schicklichkeit, jetzt, da seine Gold-Beret mit dem Tode rang! Die Sörine kam jedesmal und schüttelte den Kopf und sagte, es sei noch immer dasselbe, — es ginge aber wohl um Leben und Sterben, — das könne ein Mensch nicht lange aushalten! Mochte Gott in seiner Gnade sich eines jeden von ihnen erbarmen!

So redete die Sörine mit ihm. — — Und dann rannte er wieder hinaus und trieb sich umher wie zuvor.

Als der Tag graute, lag um die Hütte ein harter, ausgetretener Ring.

Der Morgen war noch nicht lange angebrochen, als die Jammerrufe in der Hütte leiser wurden, ausblieben, nicht wiederkamen. Da schlich der Per Hansen zur Tür, legte das Ohr dicht an und horchte. — — Jetzt also war es aus! — Er mußte schließlich wieder Atem holen. Die ganze Prärie begann mit ihm herumzuwirbeln; er taumelte ein paar Schritt, warf sich dann in den Schnee aufs Gesicht.

Er wußte nicht, wie lange er gelegen; — aber dann war es, als sei es nicht mehr ganz so verkehrt mit ihm bestellt. — — Keineswegs so verkehrt! — — Er sah ein Tauende vor sich — — ein Tauende — — das war ein starkes, gutes Tauende, das konnte halten, was es auch sei. — — — Es hing gleich hinter der Stalltür. — — Und genau dort war auch der Querbalken. Kleinigkeit, ihn zu finden! — — Dem Per Hansen wurde so froh zumute. — — Das Tauende, das war gut und stark, und der Querbalken lag genau dort! —

Irgendwo öffnete sich eine Tür; — ein Lichtstreifen glimmte über den Schnee und verschwand sogleich. — Jemand kam herausgestapft und blieb stehen.

»Per Hansen!« sagte eine leise Stimme. »Per Hansen, wo bist du hin?« Er erhob sich und taumelte wie ein Schwerbetrunkener auf die Kjersti zu.

»Jetzt mußt du sogleich hereinkommen!« sagte sie leise und ging voran.

Das Licht in der Hütte war matt; ihn blendete es so stark, daß er nichts unterscheiden konnte; er lehnte sich an die Tür, bis er sein Sehvermögen wiederfand. Eine gute, trauliche Wärme schlug ihm entgegen; es war ein sonderbarer Geruch in ihr, und auch der war gut. Und das Licht und die Wärme und der Wohlgeruch hüllten ihn ein wie lieber Schlaf einen Menschen, der geweckt wird, der aber noch nicht Lust hat, aufzuwachen.

»Wie steht es?« hörte er eine Männerstimme fragen; er wurde wacher: war ihm diese Stimme nicht bekannt?

»Du mußt die Sörrina fragen,« antwortete die Kjersti.

Die Sörine machte sich mit etwas drüben im Bett zu schaffen; jetzt erst sah er sie und erwachte ganz. — Nein, wie sah sie bloß aus? — Das Gesicht war gut, und es strahlte ihn an ?

»Ja, da liegt jetzt dein Büblein, gewaschen und wohlbesorgt. Nun mußt du selber ihn anschauen. — Daß du heute nacht nicht dein Weib verlorst und das Kind obendrein, das ist das größte Wunder, das ich erlebt. Aber nicht möchte ich eine solche Fahrt bestehen müssen!«

»Bleiben sie denn am Leben?« schluchzte der Per Hansen und biß gleich die Zähne zusammen.

»Es scheint so; — aber es ist doch wohl das beste, daß du zusiehst, ihn sogleich zu taufen; — wir sind schlimm mit ihm umgegangen, will ich dir sagen.«

»Taufen,« sagte ihr der Per Hansen nach und begriff das Wort nicht.

»Ja, ich tät‘ es nicht hinausschieben, wär‘ es mein Bub.«

Aber das hörte der Per schon nicht mehr, denn jetzt bewegte die Beret drüben den Kopf, und eine Woge so wohltuender Wärme durchflutete ihn, daß alles Eis schmolz; er weinte still vor sich hin mit leisem Schnufzen. Und dann näherte er sich dem Bett auf den äußersten Zehenspitzen, bückte sich darüber und sah in ein müdes, blasses Gesicht. — Das lag so weiß und ruhig; das Haar war in zwei Zöpfe geflochten, die hübsch über dem Kissen lagen. — Und der Gram, der unsägliche Gram, der solange das Gesicht verdeckt, war spurlos geschwunden. — — Sie drehte ein ganz klein wenig den Kopf — blickte soeben noch durch eine ganz schmale Lidspalte und sagte müde:

»Nein, laß mich jetzt, Per Hansen; — ich schlief gerade so gut.« Und das Augenlid fiel sogleich wieder zu.

XII

Der Per Hansen blieb lange in Betrachtung der Frau versunken, die so friedlich schlief mit einem Bündel an der Seite, aus dem ein winziges rotes und runzliges Gesichtlein hervorsah, und er fühlte es klar und deutlich: Von dieser Stunde an war er ein besserer Mensch!

Endlich kam er so weit zu Bewußtsein, daß er sich der Sörine zuwandte: »Kannst du mir sagen, welche Sorte Menschlein du da für mich geholt hast, — ist es ein Männlein oder ein »Weiblein?«

Nein, wie albern doch die Mannsleut immer waren! — — Übrigens mußte die Kjersti und auch die Sörine lachen, wie sie jetzt den Per Hansen anschauten: so gute und lustige Augen hatten sie noch in keinem Menschen gesehen. — — Dann aber wurde die Sörine gleich wieder ernst, er dürfe sich mit solcherlei jetzt nicht aufhalten. So, wie sie an dem da heut Nacht gezerrt, konnte keiner sagen, wie es abgehen werde. — Er müsse zusehen, das Kind zu taufen; denn das wolle sie nicht zu verantworten haben.

Da kam etwas Kleinlautes in das lächelnde Gesicht.

»Das mußt du besorgen, Sörrina!«

»Nein!« sie schüttelte ernst den Kopf. »Das ist nicht Weiberarbeit, das weißt du wohl. Und jetzt sollst du hübsch verfahren und dem Herrgott dafür danken, daß dir so wohl geschehen ist!«

Der Per Hansen nahm seine Mütze, ging zur Tür, blieb hier einen Augenblick stehen und sagte:

»Ich weiß nur einen hier herum, der zu einer solchen Handlung würdig ist, wenn nicht du sie vornehmen willst; und jetzt lauf ich, ihn zu holen. — Ihr mögt vorbereiten, was dazu nötig ist. Das Gesangbuch findet ihr auf dem Wandbrett über dem Fenster. — Ich spute mich!«

Sörines gute Augen wurden schmal und glänzten vor Freude; sie wußte wohl, wen er holen wollte. Das war hübsch von dem Per Hansen! — Aber dann kam ihr etwas in den Sinn; sie ging mit ihm hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

»Es ist nur das,« sagte sie, »daß ich dir doch erzählen muß: dein Bub hatte einen Siegerhelm Siegerhelm, Glückshaube u. ä. = besondere Hauthülle an Neugeborenen. auf, als er zur Welt kam. — Und deshalb meine ich, du solltest nach einem schönen Namen suchen!«

»Nein, was sagst du, Sörine!«

»Ja, Kind, das hatte er! — Und du weißt, was das zu bedeuten hat!«

Der Per Hansen wischte sich die Augen und wandte sich zum Gehen.

Draußen war jetzt heller Tag. Die Sonne hatte schon ein Stück am Himmel zurückgelegt. Es war heute kalt, sah der Per Hansen. Der Frostdampf kräuselte sich in riesigen Schlangen über der glitzernden, gelbroten Widde. Die Sonnenstrahlen stachen nach ihnen, und das gab‘ ein seltsames Licht. — Er merkte, daß die Augenwimpern ihm zusammenfrieren wollten, und er mußte sie mit den Fäustlingen reiben.

— Nein, war es nicht sonderbar, daß er einen Siegerhelm hatte? —

Der Per Hansen eilte, was er konnte. Zuletzt setzte er in großen Sprüngen davon.

»Frieden ins Haus und frohe Weihnachten, gute Leute!« grüßte er, als er drüben eintrat. — Es war eisig in der Stube. Die Solumbuben lagen vollständig angezogen in dem einen der Betten; sie schliefen und erwachten nicht bei seinem Gruß. Seine eigenen drei Kinder und des Hans Olsens Sofie lagen in dem andern Bett; der Ole für sich allein am Fußende, die andern drei auf dem Kopfkissen. Der Große-Hans hielt das Gössel fest umschlungen, als wolle er es schützen. Der Hans Olsen und Tönset‘n hatten ihre Stühle dicht an den Herd gerückt und saßen dort jeder auf seiner Seite. Tönset‘n war eingenickt, der andere wach. — — — Beide Männer sprangen auf, als der Per Hansen hereinkam, — und starrten ihn an.

Der Per Hansen mußte sie geradheraus anlachen; sie glotzten, als sei er ein Gespenst. Und dann war es, als sei sein Gelächter das beste, was sie seit langen Jahren gehört.

»Nein, wie steht es denn?« fragte Tönset‘n und schudderte sich.

»Oh, es hätte auch schlimmer ausgehen können!«

Der Hans Olsen faßte seine Hand: »Sie bleibt am Leben?«

»So scheint es.«

Jetzt merkte Tönset‘n plötzlich die Kälte in der Stube; er begann umherzuwandern und sich ›die Motten auszuklopfen‹. — »Ich möcht‘ meine Rösser drauf verwetten, daß es ein Bub ist, den du bekommen hast? Ich seh‘s dir an!« Er blieb klopfend vor dem Per Hansen stehen.

»Richtig geraten, Syvert! — Aber es steht schlecht mit ihm, meint die Sörrina. — — Und jetzt mußt du, Hans Olsen, mit hinüber und mir das Büblein taufen.«

Der Hans Olsen starrte den Nachbar mit wahrem Entsetzen an: » — — Ich mein‘, du bist nicht recht gescheit, Per Hansen!«

»Doch, Hans Olsen. Mach du dich nur bereit; — im Gesangbuch steht beides, was du sagen sollst, und wie du vorgehen mußt.«

»Nein, das vermag ich nicht,« sagte der Hans Olsen bebend unter dem tiefen Ernst, der sich über ihn legte. »Ein Sünder wie ich!‘«

Da sagte der Per Hansen etwas, was Tönset‘n merkwürdig gut gesagt schien:

»Was du vor dem Herrgott bist, das weiß ich nicht, — — aber das weiß ich, daß er sich nach einem besseren Mann in Tun und Lassen, als du es bist, lange umsehen kann! — — Und das muß er doch wohl auch mit in Betracht ziehen, denk‘ ich!«

Der Hans Olsen wehrte voller Bangen: »Du mußt den Syvert bitten.«

Da wurde Tönset‘n aber plötzlich zornig:

»Schwätz jetzt nicht solchen Unsinn daher! Denn das wissen wir doch alle: soll jemand von uns den Job übernehmen, dann mußt du das sein, Hans Olsen. — — Und eil‘ dich, — mit so etwas ist nicht zu spaßen, will ich euch sagen!«

Der Hans Olsen starrte vor sich hin; seine Hilflosigkeit war so groß, daß er geradezu komisch anzusehen war; aber niemand lachte. »— — Wenn das nur nicht Gotteslästerung ist!« Aber dann zog er sich die Winterjacke an und nahm die Fäustlinge. Er wandte sich an Tönset‘n: »Da steht: ›in Fällen der Not‹? — Ist es nicht so?«

»Jawohl, das steht da! — Und all das übrige, was du außerdem wissen mußt, steht da auch!«

Die beiden Männer schritten schweigend durch den frostschweren Morgen, der Per Hansen voran. Auf halbem Wege blieb er stehen und sagte zum Nachbar:

»Wär‘ es ein Dirnlein gewesen, siehst du, hätte es Beret heißen sollen, — das hatte ich schon lang bei mir beschlossen.

— — Wenn es aber jetzt gleichwohl ein Bub geworden ist, so muß er wohl Per heißen, — ja, du mußt natürlich ›Peder‹ sagen, kannst du wohl begreifen! — — — Ich habe auch sehr an Josef gedacht, — der war gewiß ein braver Bursch, — aber der Großvater war ein verläßlicher und tüchtiger Mann zu Lande wie auf dem Wasser; der hieß Per, und bei Per mag es auch bleiben. Aber« — der Per Hansen blieb stehen, und bedachte sich; dann schaute er den Nachbar an, und es begann wieder in seinen Augen zu blitzen — »der Bub braucht noch einen zweiten Namen; und jetzt sollst du ihn akkurat ›Peder Sieg‹ taufen! — — Das letzte ist wegen deiner Sörrina. — Sie hat mir in dieser Nacht eine Wohltat erwiesen, die ich ihr niemals ganz vergelten kann, und da soll er denn nach ihr benannt sein.«

Der Hans Olsen sagte nichts dazu. Und sie gingen weiter. — Beide traten voller Ehrfurcht in die Stube. — Feiertagsstimmung war da drin. Die Sonne schien zum Fenster herein und legte Goldfarbe auf die weißen Wände; an der Nordwand, wo das Bett stand, war es noch dunkel. — Im Herd brannte ein tüchtiges Feuer; der Kaffeekessel surrte auf ihm. — Der Tisch war weiß gedeckt; auf ihm lag ein aufgeschlagenes Gesangbuch, die Blätter nach unten gekehrt; daneben stand eine Schüssel mit Wasser; dicht daneben lag ein weißes Handtuch. — — Die Kjersti machte sich beim Herde zu schaffen und legte nach. Die Sörine aber wiegte im Winkel leise summend ein Bündel; aus dem Bündel kam ein heiseres Piepen, wie aus einem Vogelnest.

Der Per Hansen mußte sogleich ans Bett. — — Sie schlief jetzt gewiß fest? — Und gottlob, der Gram war verschwunden. Er richtete sich auf und schaute sich in der Stube um und fand, er habe Schöneres noch nicht gesehen.

Die Sörine trat mit dem Bündel zum Tisch und entblößte ein kleines rotes Menschenköpflein.

»Ja, ist es so, daß du hier den Pastor vorstellst,« wandte sie sich ihrem Manne zu, der noch immer neben der Tür stand, »dann mußt du jetzt kommen. — »Wasch dir vorher die Hände.« —

Bald darauf standen sie alle um den Tisch.

»Hier liegt das Buch. — Du brauchst nur, so gut du es kannst, zu lesen; dann tun wir alles, was geschrieben steht,« ermunterte die Sörine ihren Mann. — Sie ordnete an, redete leise und sicher; es war, als hätte sie nie im Leben etwas anderes getan, als Nottaufen vorbereitet. Und das war es wohl, was dem Hans Olsen den freien Mut gab, dessen er bedurfte. Er trat zum Tisch, nahm das Buch auf, las langsam vor, was gelesen werden sollte, mit bebender Stimme und mit sehr viel Pausen. Und dann taufte er das Kind Peder Sieg, sagte den Namen deutlich und betete darauf das Vaterunser so schön, wie es die Kjersti noch nie hatte beten hören.

»Ja,« sagte sie mit tiefer Überzeugung, »nicht glaube ich, daß viel daran fehlt, daß diese Taufe recht und richtig vollzogen worden ist! — — — Und der Kaffee ist fertig, und jetzt wollen wir uns alle miteinander einen tüchtigen Schluck gönnen!« —

Aber jetzt kramte der Per Hansen im Winkel, und dann brachte er eine Flasche zum Vorschein. Er schenkte erst der Sörine ein; darauf der Kjersti. »Hat es jemals Menschen gegeben, die sich einen guten Tropfen verdienten, dann müßt ihr beiden heut nacht das wohl gewesen sein. — Und ihr müßt akkurat noch ein Schnäpslein obendrauf haben! — — —

Nein, jetzt beeilt euch aber, Weibsleut! Dem Hans Olsen und mir ist keineswegs allzu wohl zumute!«

Und dann wurde fröhlich gegessen und Kaffee getrunken.

»Das schaut ganz nach einem herzensbehaglichen Weihnachtsfest aus!« sagte der Per Hansen und lachte.