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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 18

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Am Rande der äussersten Finsternis

I

Eine unendliche Wüste. Von Kansas-Illinois bis tief ins nördliche Kanada hinein und Gott weiß, wieviel weiter noch —. Von Minneapolis westwärts bis zu den Rocky Mountains, ja wie weit war das eigentlich? — — —

Graue Öde ... Ödes Schweigen ... Kalte Unendlichkeit ... Schnee flog; Schnee fiel; und niemals ward es anders. — Der Nordweststurm fegte mit rauhem Besen und wirbelte grauweißes Gestöber frosttrockenen Schnees durcheinander, das jeden Ausblick versperrte. Kaum ermüdete der Weststurm, so setzte der Orkan aus dem Norden ein. — »Das ist zu arg, wahrhaftig und gewiß,« meinten die Menschen dazu. —

Die Widde, die Riesin, atmete die eine Woche ein, die nächste wieder aus ... Nein! vor dem Menschengewürm werde sie sich zu schützen wissen und ihr Reich für sich behalten!

Und wäre nicht der Neuankömmling gewesen, der an jenem Christtage auf unsichtbaren Pfaden aus der Ewigkeit zum Settlement gefunden, so hätte die Riesin ihren Willen wohl durchgesetzt; der aber machte ihr einen Strich durch die Rechnung, — einen bösen Strich!

Höchst merkwürdig war das freilich. Unheimlich geradezu. Denn wie elend und jämmerlich war der Knirps! Er war ein Nichts. Ein Garnichts. Ein Häuflein mißhandelten Fleisches in rosa Seide gehüllt ... doch lebensprühend in jeder Faser! Aber nein, — nichts als ein Zucken und Rucken war‘s; es streckte sich und rollte sich wieder zusammen und war so überaus zart und fein, daß es nicht anging, daran zu rühren.

Jetzt lag die Beret mit dem Neuankömmling neben sich im warmen Bett. Sie hätte schon lange kalt und steif sein und ganz woanders liegen müssen, — an einem Orte, wo jene Gesellen, die des Nachts so entsetzlich heulten, frische Knochen zu belecken gefunden hätten. — Und doch lag sie noch immer im warmen Bett. Das rundliche, rote Nasenspitzlein grub sich in ihre Brust, bohrte, lag dann ruhig mit behaglichem Gegrunz. Weh tat es, und tat doch zugleich so wohl: sie hätte es um keinen Preis anders gewollt. Statt kalt und steif, war die Beret mit jedem neuen Tag wärmer und beweglicher geworden. Und das Krahlen an ihrer Seite entschiedener. — Nun mußte sie ihn wohl auf der anderen Seite anlegen, — dann gab er eine Zeitlang Ruhe!

»Gottlob, daß du Nahrung genug für ihn hast!« sagte der Per Hansen. »Hab‘ noch nie solch einen Freßsack gesehen!« —

Als die Beret damals am Christtag endlich erwacht war, ging es ihr gerad wie der Bäurin im Märchen: sie guckte sich verwundert um und fragte: »Bin ich noch hier?« — Sie konnte es nicht glauben, und sie wollte es auch nicht glauben, — sie hatte das Diesseits ja doch hinter sich gelassen.

Und dennoch war sie in dem Diesseits. Der Tag schien breit zum Fenster herein; es prasselte im Herde; die Wände, die der Per Hansen weiß gekalkt hatte, standen da vor ihr; sie sah wohlbekannte Flecken, — es war schlimm mit Flecken an solchen weißen Wänden, und die Buben waren auch immer so unachtsam —. Dort beim Herd hingen Kleider und Mäntel, und darüber eine Leine mit Wäsche; sie glaubte, sie geradezu riechen zu können, und vermochte doch nicht zu begreifen, wo alles hergekommen. — Sie sah weder den Per Hansen noch eines der Kinder; — wo waren die nur? Er ließ doch nicht das Gössel draußen herumlaufen, ohne es warm angezogen zu haben? — Am Herde machte sich eine Frau zu schaffen; das Gesicht war nicht zu sehen. Das mußte doch die Kjersti sein? War das nicht ihr buntgewürfelter Sonntagsrock? — — — War denn die Kjersti mit ihr mitgekommen, als sie von hinnen fuhr, — die Kjersti, das herzensgute Weib? —

Die Beret wurde müde vom Grübeln, da fiel ihr Blick auf ein Wort und eine Zahl: ›Anno ... 16‹. — Er hatte die große Lade also doch nicht genommen? — O nein, er hatte sie wohl nicht entbehren können; aber es war ihr leid darum.

Die Beret druselte ein und wiegte sich zwischen Wirklichkeit und Schlaf. Nach einer Weile erwachte sie wieder, und jetzt begann ihr Bewußtsein klarer zu werden. — Hier in der Stube war alles, wie es sein sollte. Sie hätte nur gar zu gern gewußt, wo der Per Hansen mit dem Gössel und den Buben steckte! Waren sie alle miteinander beim Hans Olsen? — — Allmählich fügte sich alles zusammen und erhielt die rechte Gestalt und Farbe. Sie fühlte Wohlbehagen; das wurde schließlich so stark, daß es sie in einen festen, erquickenden Schlaf entführte. Schließlich erwachte sie zu hellem Bewußtsein; es hatte ihr gerade geträumt, sie werde aufwärts getragen in etwas Weiches und Warmes hinein, — emporgehoben in einen unendlichen Raum. — Das geht doch nicht an, hatte sie gedacht, denn dann komme ich nicht rechtzeitig zum Abend heim. Ich muß schleunigst zurück; des Olamann Hose ist an den Knien fast durchgescheuert; die muß ich heut abend noch flicken, sonst friert sich das Knäblein zuschanden. — Die Beret gab sich einen Ruck und war plötzlich ganz wach. —

Und da streckte sich das Gössel über den Bettrand und patschelte ihr mit dem kalten Pfötchen ins Gesicht und wippte auf den äußersten Zehenspitzen, um ein rotes, runzliges Gesichtlein neben ihr besser betrachten zu können; und der Große-Hans turnte auf dem Fußende des Bettes; der Vater kam soeben mit einem Arm voll Holz herein.

»Wo habt ihr den Olamann?« fragte sie mit alltäglicher Stimme, hob den Kopf und sah sich in der Stube um.

»Er spürt mit dem Henry und dem Sam Wolfsfährten auf,« sprudelte der Große-Hans hervor, erfreut, daß die Mutter endlich aufgewacht war. »Dürfen wir jetzt den Permann anschauen?«

»Permann anschauen,« bettelte das Gössel sogleich mit und strahlte die Mutter an.

Aber da hatte sich der Per Hansen auch schon den Holzstaub abgeklopft; er kam ans Bett, faßte ihre Hand warm und innig. — Es fiel ihm offenbar schwer, etwas zu sagen, aber so viel brachte er doch vor, daß er zum Feste Glück wünsche und sich für das Weihnachtsgeschenk bedanke. — Er wollte ihre Hand gar nicht loslassen, der Arm wurde ihr schon müde.

Nein, er wollte nicht loslassen.

»Ja, du Beret, du Beret! — Du verstehst‘s, dir die rechte Zeit zu wählen. Bringst mir am grauenden Christmorgen einen großen Schlingel an! — Nein, solch ein Weib!« Er sagte es so ungewohnt leise. Seine Augen waren nur noch ganz schmale Spalten. — Sie sah es gut, er war bis ins Tiefste bewegt.

Und da brachen auch bei ihr die Tränen hervor. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf zurückgelehnt; sie rannen ihr über die Schläfen hinab. Aber sie achtete nicht darauf. Ein mildes Herrgottswetter umfächelte sie. — Stille helle Sommernacht —. Sonne —. Vogelgezwitscher —. Sie hörte ein weites Meer murmeln und singen ... Oh, es war gut zu leben! —

Der Per Hansen fuhr plötzlich auf:

»Schert euch vom Bett, ihr Kroppzeug! — Seht ihr denn nicht, wie müd‘ die Mutter ist?« —

Das war etwa alles, worauf sich die Beret später besann, wenn sie an diesen Tag zurückdachte, außer dem, daß sie müde und matt gewesen, das schöne Wetter rundum sich hielt, das Singen des ruhenden Meeres weiter sich hören ließ, daß die Sonne freundlich schien und alles gut und nur gut war und gerade so, wie es sein soll. — — In den kommenden Tagen schlief sie, schlief immerfort, konnte nicht genug Schlaf bekommen. — Und daher war gar nicht Zeit für andere Gedanken.

Das Bündel neben ihr wurde immer lebendiger; es verlangte das Seine und ließ davon nichts nach. — Und es war so kurzweilig, es zu besorgen. — Der Per Hansen war jetzt lieb und gut; seine Augen waren den ganzen Tag nur schmale Streifen; für die Kinder war alles eitel Freude; und alle Menschen in der weiten Welt waren freundlich zu ihr, so freundlich, daß sie sich rein schämen mußte! —

II

Ja, der Neukömmling! — Hätte die gewaltige Widde den einer Riesin geziemenden Verstand besessen, sie wäre vor dem Knäblein auf der Hut gewesen. Aber den hatte sie nicht. Sie dehnte und spreizte sich in all ihrer Kraft und verließ sich auf ihre trollische Übermacht. Und gewaltig war sie. Aber dem schenkte der Neukömmling keine Beachtung. Trotz seiner Jämmerlichkeit trug er die Waffen in sich gegen ihre Trollennatur; denn er brachte die Menschen zum Lachen. Und wer kann gegen lachende Menschen an, gegen Menschen, die in einem so grausigen Winter zu lachen vermögen? — — Der Neukömmling, der rettete in jenem Winter die Menschen vor Tod oder Geistesumnachtung. —

Die Beret brachte die Rede darauf, daß sie am Heiligdreikönigstag wohl die Nachbarn zu sich bitten müßten; sie hätten die ganze Weihnachtszeit alles im Hause besorgt und noch lange darüber hinaus geholfen und sich gekümmert, als handle es sich um die eigene Familie. Nur sei sie so träge, daß sie nicht wisse, ob sie auch alles werde herrichten können. — Sie war, als sie es erwähnte, zum erstenmal wieder außer Bett.

Der Per Hansen fand, das sei ein herrlicher Einfall. Für die Arbeit wollten schon er und die Nachbarinnen aufkommen. Und er ging sogleich alles mit ihnen bereden.

Die Kjersti schmunzelte: sie komme gleich auf zwei ganze Wochen, wenn‘s der Per Hansen so wolle; auch die Sörine war gern dabei. —

Und am Heiligdreikönigstag versammelten sie sich in Per Hansens Gamme. Tönset‘n hatte eine der Flaschen mit, die ihm der Per Hansen einst — war es nicht ein oder zwei Menschenalter her? — mitgebracht. Die Flasche stand plötzlich auf dem Tisch ... niemand wußte, wo sie herkam. Die andern errieten es jedoch bald. Denn Tönset‘n zwinkerte so verschmitzt und meinte, es sei, beim Kuckuck, diesen Winter nicht gar so schlimm. Merkwürdig gesundes Klima hier im Westen! Hätten sie‘s auch schon gemerkt ? Und jetzt dürfe auch er sich vielleicht zu einem Schnaps erdreisten.

Und es gab gute Kost, und es gab Kaffee, und die Pfeifen qualmten, und es wurde behaglich geplaudert. In der Schummerstunde liefen die Mannsleut heim, um die Stallwirtschaft zu besorgen; das ging heute abend ausnehmend schnell trotz Schneegestöbers und Dunkelheit. Die Mannsleut beeilten sich, um nur recht bald zum Per Hansen zurückzukommen.

Die Menschen hatten das Bedürfnis, dicht zusammenzurücken; sie plauderten miteinander so wundersam herzlich und traulich. Als die Mannsleut wieder hereinkamen, stand eine zweite Flasche auf dem Tisch; sie war allerdings nur noch halb voll; niemand hatte sie mitgebracht; und wo kam sie her?

»Ist es nicht merkwürdig, daß solch ein guter Tropfen hier unmittelbar aus der nackten Erde hervorquillt?« wunderte sich Tönset‘n. »Meiner Treu, ‚s ist ein wahrhaft gesegnetes Land Kanaan! — Der da kommt freilich von der Beret. Ich kenne die Flasche!« —

Sie schwätzten bis tief in die Nacht hinein. Und immer wieder war es der Neukömmling, der erste, der den Weg hergefunden, um den sich alles drehte. Alle wußten, es steckte Besonderes in dem Burschen! Wie gescheit hatte er sich nicht seinen Geburtstag ausgesucht, — den hochheiligen Christmorgen! Und er hatte einen Siegerhelm aufgehabt, als er kam. Und da hatte der Vater ihm geschwind einen ganz ausgefallenen Namen gegeben, der gar nicht ein Menschenname war. — Tönset‘n hatte, als die Kjersti ihm den Namen zu wissen tat, es gleich höchst verwegen vom Per Hansen gefunden; der solle lieber nicht vergessen, daß auch er nur ein Mensch sei — wo habe er sich denn in der Christnacht herumgetrieben, um nur ein Beispiel zu nennen? — Aber da war Tönset‘n schön angekommen! Die Kjersti war fuchsteufelswild geworden; es sei nur recht und billig, wenn ein so rares Kind einen stolzen Namen bekomme. Den Hieb hätte der Syvert vielleicht noch verwunden; aber dann begann die Kjersti zu weinen, wie lang ihr die Zeit werde, weil sie niemandem einen Namen hatte geben können! Er, der Syvert, sei gewiß anstellig, wenn es sich um anderer Leute Kinder handle; aber sie sehe nicht, daß er selbst jemals welche bekommen werde. Wozu sitze er da bloß herum? — Nein, nein, hatte der Syvert geantwortet; aber er könne doch nicht Kinder zur Welt bringen?

Doch der kleine Zwischenfall war jetzt über der Freude an dem Neukömmling vergessen. Sie alle waren Miteigentümer; aber sie konnten sich nicht über ihn einigen. — Das Knäblein habe seine Behausung bei der Beret und dem Per Hansen; und das sei recht und billig. Aber darum hätten die beiden doch noch lange nicht das Alleinrecht an ihm. Hatten die Sörine und die Kjersti nicht Beistand geleistet, als der Kahn bereits im Sinken war? — Hatten sie hinterher nicht Gevatter gestanden? Hatten Patinnen nicht ein Anrecht an ihren Patenkindern, — wie? Und habe nicht der Hans Olsen am Weihnachtsmorgen in aller Herrgottsfrühe eine heilige Handlung vornehmen müssen? Das war einleuchtend, und niemand lehnte sich gegen Hans Olsens Anrecht auf. — Well, meinte dann Tönset‘n, das sei aber doch kein fair play gegen ihn oder die Solumbuben, die alle drei in der Weihnachtsnacht kein Auge hätten zutun können. Sie seien in dieser Christnacht um des Knäbleins willen immer durch den Schnee hin und her gestapft. Vierundzwanzig Stunden lang habe er keine Leibesnahrung geschmeckt und sei nicht aus den Hosen gewesen! — Und jetzt im Beisein der Nachbarn war Tönset‘n auch vor der Kjersti nicht bange. Plötzlich kam ihm der Einfall, die Sörine mit dem Namen des Knäbleins zu hänseln; selbstverständlich sei es nach ihm, dem Syvert, genannt! Aber damit fuhr er schlecht; denn sogleich bestand der Sam darauf, daß der Per Hansen an ihn gedacht habe, da er doch zwei Namen trüge, die mit ›S‹ anfingen!

Kurz, sie konnten sich über ihre einzelnen Vorrechte nicht einigen; und es wurde damit nicht besser, als sie daran gingen, sich über die Laufbahn des Neukömmlings schlüssig zu werden.

Der Henry stimmte sofort für Schulmeister, um den Job loszuwerden. — Nein, davon wollten die beiden Patinnen nichts hören. Schulmeister? War das etwa gut genug für solch einen Kerl? Sie hätten bereits einen Lehrer. Und die Kjersti entschied sich für Pastor. Da zwinkerte jedoch die Sörine lachend ihrem Manne zu. Pastor? Oh, einen Pastor hätten sie, wenn man‘s so nehmen wolle, auch, — der hätte den Bub recht und christlich getauft! Nein, er müsse wohl Doktor werden. Aber damit kam sie bei dem Per Hansen schön an. Seien hier denn nicht bald genug Ärzte? Hier sei die Kjersti und sie, die Sörine selber, und außerdem doch auch noch er, — hier säßen ja lauter Ärzte! — Jetzt aber mußten sie alle über den Sam lachen; denn der schlug gleich zweierlei vor: Choraldichter oder General. Und diese Alternative mußte wohl Tönset‘n seine große Idee eingegeben haben — er hatte die ganze Zeit schon gelauert, wie er den andern allen Wind aus den Segeln nehmen könne. Jetzt erhob er sich, klopfte würdevoll die Pfeife aus, räusperte sich nachdrücklich und sagte, als sei das ganze damit ab- und ausgemacht:

»Der Bub wird natürlich Präsident; — er ist hierzulande geboren und alles!«

Das war ein lustiger Einfall und alle belachten ihn herzlich. Nur der Hans Olsen blieb unerschütterlich ernst: er sah gleichsam in etwas hinein. Dann reckte er sich mächtig und sagte:

»Wir brauchten wohl eher einen tüchtigen Gouverneur, Syvert; aus diesen Prärien wird einst ein Staat entstehen.«

Damit schloß das Wortgefecht; alle fühlten, daß der Hans Olsen etwas gesagt, in dem tiefer Sinn lag.

Weder die Beret noch der Per Hansen hatten sich hineingemischt; sie saßen dabei und freuten sich. —

III

Wie wären sie wohl durch den Winter gekommen, hätte ihnen die Schule nicht die Zeit vertrieben! Aber die hatten sie also, und zwar eine ganz besondere Art von Schule.

Anfangs war sie in der Gamme der Solumbuben, und alles ging schön und gut. Dann aber kam die Sörine darauf, daß sie sich praktischer einrichten müßten. Der Henry könne gerade so gut bei ihr Schule halten; dann hätten sie und der Hans Olsen zugleich von dem Unterricht Nutzen. Der Sam solle nur mitkommen.

Die beiden Solumbuben stimmten der neuen Ordnung mit Freuden zu.

Als die Beret wieder genesen, kam eines Tages der Per Hansen und wollte wissen, ob es nicht anginge, daß die Schule jede zweite Woche zu ihm verlegt werde — um der Beret willen. Es werde für sie unterhaltsam sein, zuzuhören, und sowohl er wie sie müßten Englisch lernen. Könne der Henry nicht bei ihm Schule halten?

Gewiß! — Und so war es beschlossene Sache.

Tönset‘n war nicht recht zufrieden mit dieser Ordnung, — jetzt verführen sie gegen ihn nicht ganz gerecht. Und er kam und bat darum, daß die Schule jede dritte Woche bei ihm gehalten werde; die Kjersti und er hätten wohl noch Kost genug, den Henry und den Sam mit satt zu machen. Zwar habe er keine Kinder, aber er sei der Vater der Schule, das dürften sie nicht vergessen; und es sei für ihn und die Kjersti nicht gerad kurzweilig, immer allein in der Gamme zu hocken, während die Nachbarn je eine Woche umschichtig in Herrlichkeit und Freuden zubrächten; müßten sie nicht brüderlich teilen?

So kam es, daß die Schule jede Woche umzog. —

In der Winterszeit konnt‘ einer sich nicht viel vornehmen; oft saßen die Mannsleut alle am Vormittag wie auch am Nachmittag in der Schule, die Weiber fast jeden Nachmittag. Die hatten freilich immer eine Handarbeit mit, die Männer nur ihre Pfeife.

Zu guter Letzt war allen die Schule unentbehrlich geworden. Die Mannsleut versäumten sie nie; und kaum waren die Weiber mit Mittag und Aufwasch fertig, so wickelten sie sich einen alten Rock um den Kopf und begaben sich durchs Schneegestöber zur Schulstube.

Noch nie war wohl nach so grundverkehrten pädagogischen Regeln unterrichtet worden. Aber was hatte das zu sagen?

Die Schule umfaßte übrigens vielerlei Schulgattungen, war sowohl Grundschule wie Fortbildungsschule; und sie war Sprachschule — mit den Fächern Norwegisch und Englisch —, und sie war Religionsschule; sie war der Ort für gemütliche Zusammenkünfte und war der Debattierklub, wo alles zwischen Himmel und Erde erörtert wurde. Sie wurde zum Gesangverein, Kaffeeklatsch und ›Social Centre‹; sie konnte zur Andachtsstunde werden. Auf jeden Fall aber tat sie eins: sie verband diese paar Menschen unauflöslich miteinander. — Nicht selten wurde der Unterricht und das Überhören der Jugend unterbrochen, weil die Älteren sich einmischten. Und dann löste sich alles in Auseinandersetzung auf.

Anfangs hatte der Henry nicht Rat gewußt, wie er bloß die Zeit vertreiben solle. Keine Bücher, keine Lehrmittel irgendwelcher Art! Er griff zum Nächstliegenden: Erzählen. Er grub alles, was er je gehört und gelesen, aus dem Gedächtnis hervor, erzählte es erst auf Norwegisch, dann auf Englisch und ließ es die Kinder wiederholen, bis sie es auswendig konnten. Auf die Weise lernten sie den Stoff und die englische Umgangssprache zugleich. Dann ließ er sie Worte und Sätze hinschreiben. Und das wäre alles gut und schön gewesen, wenn sie nur etwas gehabt hätten, worauf sie und womit sie hätten schreiben können. — Der Hans Olsen fertigte für sein Dirnlein eine große Holztafel und gab ihr einen Rest von einem Zimmermannsbleistift, der noch aus Norwegen war. Und hatte die Sofie eine Tafel, mußten doch die Buben vom Per Hansen auch was bekommen, worauf sie schreiben konnten. Der Vater holte die dicksten Klobenenden hinterm Herd hervor und fügte etwas zusammen, was der Ole sein Ochsenjoch benamste, weil er daran so schwer zu schleppen hatte. Zum Schreiben benutzten sie Nägel oder Holzkohle. Als aber eines Tages der Große-Hans bei der Kjersti etwas auszurichten hatte, hielt sie ein Geschenk für ihn bereit: einen ganzen Stapel zusammengefalteter Papierdüten und Packpapier, — und suchte dann in der Truhe nach einem Bleistiftende, das der Syvert dort vergessen hatte. Der Große-Hans freute sich diebisch über das Geschenk; eine ganze Weile stellte er jetzt in der Schule das Herrenleutkind vor.

Ehe noch die Schule zur Wanderschule wurde, kam es an den Tag, daß der Sam so gut singen konnte. Eines schönen Tages stand nämlich der Henry am Ende alles Wissens und aller Erfindungsgabe. Und da sagte er plötzlich zum Bruder, der, auf der Lade hockend, dem Unterricht beiwohnte: »Jetzt brennen wir durch, Bub, nach Osten! Möge der Gottseibeiuns mit dem Dreck die Zeit weiter totschlagen!«

»Versuch‘ halt einmal mit ihnen zu singen,« hatte der Sam darauf geantwortet und war zugleich von der Lade aufgestanden.

»Das überlasse ich lieber dir!« hatte der Henry gemeint, die Mütze genommen, und weg war er gewesen.

Und da stand jetzt der Sam und glotzte die Kinder an, und die wieder saßen da und stierten ihn an; und da er fand, er könne vor den Kindern nicht zu Spott und Schande werden, und zudem von den Erwachsenen niemand zugegen war, hub er an zu singen. Er hatte eine schöne Stimme und bediente sich ganz natürlich der Methoden, nach denen er selbst es gelernt hatte. Und da ging denn alles gut, aber hauptsächlich, weil er selbst so trefflich sang.

Dieser Einfall vom Henry bewahrte die Schule vielleicht vorm Ende. Aber er tat noch mehr: sie lernten in jenem Winter viele Lieder singen, die drei Schüler und mit ihnen die Erwachsenen. Da waren englische und norwegische Weisen, Choräle und Nationalgesänge, Kriegslieder und Volkslieder; und viele, viele Nordlands-Liebeslieder und nicht wenige schwedische Volkslieder.

Dem Sam wurde gute Unterstützung zuteil; denn die Sörine und die Kjersji wußten beide viele Lieder, — Kjerstis starke Seite aber waren die Liebeslieder.