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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 20

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VII

Der Per Hansen gab keinen Ton von sich, als er in die Stube kam. Die starke Wärme legte einen Schleier um alle seine Sinne. Auch konnte er die Augen nicht recht aufbekommen, das Licht blendete zu sehr; die Wimpern und Brauen waren von Schnee und Eis zusammengebacken. Aber er war sich doch bewußt, daß es hier drin höchst behaglich war; hier saßen Menschen, und zwar norwegische Menschen — er war dessen ganz gewiß; denn das hatte er an den Windbrettern der Hausecke gesehen. — Geradeswegs aus dem Rachen des Todes war er in etwas Gutes und Warmes und Behagliches geraten. — Außen taute er schneller auf als inwendig. Im Kopf war ihm schwindlig und wirr, er konnte kaum noch auf den Beinen stehen.

»Gebt mir etwas, worauf ich mich setzen kann, guten Leute!« hörte er eine matte Stimme sagen. Jetzt vergingen ihm gewiß bald die Sinne, — er mußte sich sputen.

»Draußen stehen — zwei Ochsen — zwei liebe, brave Ochsen; — wir müssen zusehen, sie sogleich in den Stall zu bringen! — Mit mir ist‘s nicht so wichtig, — aber die Ochsen —!«

Ein Stuhl stellte sich vor ihm auf; er begriff, daß der für ihn bestimmt sei, faßte ihn und sank darauf hin. — Das war Eis, was da in seinem Zeug krachte, viel Schnee, der auf den Boden fiel.

»Ich selber rapple mich gewiß noch zurecht, — aber die Ochsen — die Ochsen!«

Menschliche Laute erklangen rund um ihn. — Da saßen gewiß viele in der Stube; er konnte die Gesichter nicht unterscheiden, es lag solch ein dicker Nebel davor.

Aber dann war da einer, der erhob sich dicht neben ihm, pflanzte sich gerade vor ihm auf.

Der Per Hansen zuckte zusammen, — die Stimme sollte er doch kennen ?

»Kannst du mir sagen,« kam es, »bist du das hier eigentlich, Per Hansen?«

Da lachte der Per Hansen.

»Wo kommst du her, Syvert ? — Habt ihr den Sam auch gut verwahrt?«

»Siehst du den Buben nicht? Er sitzt ja gerade vor dir? — Nein, daß noch Leben in dir ist!«

Es war freilich nicht so sonderbar, daß sie ihn nicht erkannten, oder er so wenig sah, oder seine Stimme so merkwürdig klang; denn sein Gesicht war von einer Maske von fest zusammengeballtem Schnee bedeckt, die langsam taute; sie verklebte ihm Gesicht und Bart, verband die Mütze mit dem Jackenkragen, und legte ihm ein weißes Laken über den Rücken. Hat es jemals einen Schneekönig in Menschengestalt gegeben, so muß das der Per Hansen gewesen sein, wie er an jenem Abend in Simon Baarstads Hütte trat. —

Well, nach einer Weile verfügte er wieder über alle seine fünf Sinne, und ganz richtig: da saßen sie alle miteinander! Er erkannte die Stube und die Menschen und alles. Und da saß ja auch der Sam, — der Sam, der so schön singen konnte; saß drüben beim Herd neben einer blonden jungen Dirn. Der war dem Herd und ihr doch ungemein nahe gerückt!

Der Per Hansen mußte in seinem Innern lächeln: Du Sam, du Sam!— Ach ja, auch aus dem Sam wurde noch mit der Zeit ein Mensch!

Er ließ sich vom Hans Olsen erzählen, wie sie auf Tod und Leben drauflosgefahren seien. Nicht die entfernteste Ahnung hätten sie gehabt, wie und wo sie fuhren; und zu guter Letzt seien sie, vor mehr als zwei Stunden also, hier angelangt.

Die Uhr war jetzt neun.

Aber jetzt schien es, als höre der Per Hansen nur noch mit halbem Ohre hin, — so als ginge ihn die Fahrt eigentlich nichts mehr an; die lag ja übrigens auch schon hinter ihnen. Nein: drüben beim Herd machte sich die Gurine Baarstad mit einer Pfanne zu schaffen; sie goß viel Milch hinein, und als die zu sieden begann, tat sie Bier dazu.

»Liebe, prächtige Gurine, sei bloß nicht so hurtig mit der Hand!« foppte der Per Hansen.

Ein kräftiger, braunschäumender Trunk wurde daraus. Er bekam eine große Schale voll und leerte sie, ohne abzusetzen.

»Herr im Himmel, wer doch dreizehn Tonnen von deiner segensvollen Flüssigkeit bekommen könnte, Gurina! — Ist da wohl noch ein Tröpflein in der Pfanne?«

Die Schale wurde aufgefüllt und in einem Zuge geleert.

Da kam ihm etwas in den Sinn, und er fragte: Hätten sie ihn eigentlich an sich vorbeifahren sehen?

Vorbeifahren?! — »Jetzt schwätzest du wirr, Per Hansen,« sagte Tönset‘n und blickte ihn bekümmert an; wie absonderlich doch der Per Hansen heute abend redete!

Nein, im Ernst! Sie sollten nur den Schlitten vom Sam einmal bei Tage untersuchen; er habe den Sam ja beinahe in den Grund gesegelt, als er an ihnen vorüberfegte! »Kannst du mir sagen, sahst du mich nicht?«

Well, der Sam war im Zweifel. Er habe zwar einmal etwas vorbeiflimmern sehen, etwas wie einen schwarzen Wisch, gleich nachdem das Unwetter losgebrochen sei. Er habe einen mächtigen Stoß am Schlitten gespürt und gemeint, er sei an einen Stein gefahren. »Bist etwa du das gewesen?«

»He he, — akkurat meine flinken Ochsen, die an deinen Schindmähren vorbeiflitzten!«

Wo in aller Welt habe er sich denn aber in der Zwischenzeit aufgehalten, fragten alle drei Mann wie aus einem Munde.

Ja, danach könnten sie freilich fragen! Der Per Hansen bekam seine Schelmenaugen, faßte die Schale und untersuchte, ob nicht noch ein paar Tropfen an ihr klebten. »Ich machte halt einen kleinen Umweg nach Norden, zu den Indians bei Flandreau, um mich nach einer passenden Frau für den Henry umzuschauen, — ich meinte halt, so viel könne ich für das arme Bürschlein immer noch tun; sein Bruder hilft sich, scheint‘s, selber; — kannst du mir sagen, du Sam: friert dich sehr?«

Der Sam wurde rot, rückte mit dem Stuhl vom Herd und der Dirn weg.

Jetzt kam eine große Schüssel Brei auf den Tisch für alle und eine gehörige Schale heiße Milch für den Per Hansen. Er aß aus Leibeskräften und fand, er werde doch nimmer satt.

Und hinterher wurde noch lange gemütlich geschwätzt über alles, was geschehen war und noch geschehen werde. Oh, hier lag eine vielversprechende Zukunft vor Leuten, die vorwärts wollten!

Endlich kamen sie in die Kojen: die Wirte in ihre Betten, für die Wegfahrenden war auf dem Fußboden eine dichte Schicht Heu gelegt, die mit vielerlei Kleidern und Tüchern zu guten Lagerstätten ausgestaltet worden war. Und drei von ihnen schliefen sogleich den Schlaf des Gerechten. Nur der Per Hansen brachte es nicht zustande. Seine Sinne waren in dicke Schichten von Müdigkeit gehüllt; aber ihn floh der Schlaf. Leise Zuckungen überliefen seinen Körper, — unaufhörlich — wie das leichte Gekräusel auf spiegelblankem Meer. Es war warm in der Stube, die Decke so lastend; er mußte sie abwerfen; aber innerlich fror er.

Und ein Bild hielt seine Vorstellung hartnäckig gefangen: eine Gamme irgendwo im Westen, umtobt vom Unwetter, eine Gamme, um die der Wind pfiff, — er hörte deutlich das Sausen des Windes um die Ecken —. Die Gamme lag weit, weit im Dunkel. Ein Weib mit einem traurigen Antlitz, das immer noch so unglaublich schön war, schritt dort mit einem Kinde auf dem Arm auf und ab. Im Halbschlaf konnte er deutlich sehen, wie sie das Kind trug. Es war sorgsam gewickelt, und der Wickel war rot mit schwarzen Kanten. Er wälzte sich hin und her; denn das Weib schritt unaufhörlich auf und ab. — Ihn dünkte, er müsse sie ansprechen, — sie bitten, zu Bett zu gehen, damit er endlich Ruhe finde.

Herr Gott im Himmel, seufzte der Per Hansen, die Beret kann sich doch wohl heute nacht nicht um mich ängstigen ? — Das ist dumm von der Beret, sehr dumm, — so oft, wie ich ihr erzählt habe, daß es in der ganzen Welt nicht bessere Leute gibt als diese Trönder!

Aber das Zucken im Körper hörte nicht auf, das Bild ließ seine Vorstellung nicht los. — Es war wohl kalt heute nacht in der Gamme, — wenn bloß die Buben Holz genug hereingeholt hatten, bevor das Unwetter heraufgekommen war! — Sie wanderte jetzt hoffentlich nicht mehr herum, denn dann wurde ihr schlotternd kalt.

Er kehrte sich um, aber nicht ab von dem Bilde.

VIII

Längs des Sioux war schon damals weit flußaufwärts und -abwärts von Simon Baarstads Anwesen ein ansehnliches Settlement fast ausschließlich von Tröndern entstanden. — Es war eine für damalige Verhältnisse wohlgeordnete Dorfschaft. Einige von den Farmern hielten sich für bereits alteingesessen; denn der erste Siedler hatte sich schön im Jahre 1868 hier niedergelassen. Die meisten waren gut vorwärtsgekommen, hatten sich feste Blockhäuser errichtet und ein beträchtliches Stück Acker unter den Pflug gelegt. Der größte Teil von ihnen lebte in Wohlstand. Und sie erzählten die reinen Abenteuer aus jenen ersten Jahren, als sie zum Beispiel das ganze Land, das jetzt Süd-Dakota heißt, und den westlichen Teil von Nebraska durchqueren mußten, wenn sie mit ihrem Korn zur Mühle wollten, — oder als die Indianer hier im Sommer und Winter in großen Horden durchzogen. — Jetzt sei alles ein Kinderspiel dagegen, meinten die Trönder, — jetzt seien doch überall Menschen, und Siedlungen sproßten bald allerorten aus der Prärie hervor.

Der Per Hansen hörte ihren Erzählungen gern zu; es lag in ihnen solch eine eigentümlich beruhigende Sicherheit, und zugleich etwas, was ihm immer das Blut ins Gesicht trieb: Oho‘ was ein Trönder fertiggebracht, war wohl nicht unerreichbar für einen Helgeländer; das war es nicht in alter Zeit gewesen und werde es auch heute nicht sein! — Abwarten!

Der nächste Tag brachte klares, stilles Wetter; aber es war so schauderhaft kalt, daß es im Strauchwerk auf den Feldern knackte. Der Per Hansen, der sich auf seiner ersten Fahrt hierher im vorigen Sommer beim Simon Baarstad einen Acre Waldland gepachtet, wohnte dort im Hause, während er Holz fällte und die Fuhre nach und nach lud; die andern drei quartierten sich bei denen ein, die ihnen Brennwerk abließen. — Die vier Präriebauern verbrachten volle zwei Tage im Settlement und reisten erst in der Frühe des dritten Tages zurück. Sie hätten zwar schon einen Tag früher aufbrechen können, verspürten aber so gar keine Lust, sich zu beeilen.

Nein, die verspürten sie nicht; seit mehreren Monaten hatten sie kaum je ein fremdes Gesicht zu sehen bekommen. Und die Trönder waren ein gastfreundliches Volk, die wollten nichts davon hören, daß einer so bald abreisen wolle. — Die vier ließen sich unschwer verlocken; es waren Festtage für sie. Und sie hatten auch über so vielerlei mit den Tröndern zu verhandeln. Bis zu ihrer Abreise hatten sie sich alles Frühjahrssaatgut, Weizen wie auch Hafer, ausbedungen, und Tönset‘n sogar noch einen halben Sack Gerste; aber er hütete sich, den vor den Kameraden zu erwähnen. Die Trönder verstanden sich nämlich gut aufs Bierbrauen, und jetzt hatte er vom Tommaas genaue Anleitung dazu bekommen.

Der Per Hansen hatte seine Fuhre geladen und mußte durchaus noch an den Fluß. Er bearbeitete den Simon Baarstad, bis der mitkam. Da standen nun die beiden Männer und hackten sich durch das dicke Eis, daß der Schweiß von ihnen herabtroff.

Ja, da fischte also Trönder und Helgeländer gemeinsam in der größten Eintracht durch dieselbe Wake, und für beide war alles eitel Freude und Herrlichkeit! — Am Abend dampfte goldfrischer Hecht auf dem Tisch, und zwei alte Lofotfahrer tauschten bei Schmausen fröhlich ihre Erlebnisse aus dem Ost- und Westlofot aus, und alles andere war darüber vergessen. Den Per Hansen deuchte der Simon Baarstad der prächtigste Kerl, der ihm seit langem begegnet, und es war nicht zu verkennen, daß der Simon Baarstad etwas Ähnliches von dem Per Hansen dachte, — wohl an die zwanzig Mal hatte er ihn bereits gebeten, nicht gar zu lange mit dem Wiederkommen zu zögern.

Als sie so behaglich beieinandersaßen, steckte ein Bursch die Nase zur Tür herein; er wolle die Tochter vom Hause nur einen Augenblick sprechen. Er hatte es so überaus eilig, der Bursch, als stände sein Leben auf dem Spiel.

»Was gibt es denn?« wollte Baarstad wissen.

Oh, beim Tommaas hätten sie Gäste, — sie wollten sich halt heut abend ein wenig Jul-Spaß Jul = nordisches Weihnachten. gönnen.

Die Dirn zog sich eilig an und ging mit.

Und da kam der Baarstad darauf, daß auch sie hingehen müßten, und er hieß die Frau sich schleunigst fertigmachen. »Jetzt wollen wir‘s den Helgeländern einmal zeigen, wie Trönder sich im Tanz zu schwingen wissen!«

Bald darauf traten alle drei in den Flur beim Tommaas. Aus der Stube klang lustiges Fiedeln und kräftiges Aufstampfen in die froststille Nacht hinaus. Drinnen war es gerüttelt voll von alt und jung. Ein Lämplein mit handgeschmiedetem Schirm hing oben an der Balkenwand und bemühte sich, alle die Paare im Auge zu behalten; aber es wollte ihm nicht recht gelingen; es mußte sich halt begnügen, auf die allernächsten herabzublinzeln. — Die drei Neuankommenden wurden sogleich in einen Winkel geschupft.

Dem Per Hansen kam ein gelindes Kribbeln in die Beine; das war von einer andern Art als das, was ihn in jener Nacht nicht hatte Schlaf finden lassen. War doch merkwürdig, wie es aus der Fiedel sang! Das mußte er wirklich zugeben: der Mann, der die traktierte, der war dafür, daß er kein Helgeländer, sondern ein Trönder war, gar nicht einmal so uneben! — »Nein, alle Wetter!« Mehr ließ der Per Hansen nicht verlauten, — jetzt schwang sich der Solumbub mit der Baarstaddirn an ihm vorbei. »Freilich, wird aus dem mit der Zeit noch ein Kerl!« — Da schaukelte sich ein anderes Paar heran, das wollte er sich doch einmal etwas genauer vor den Krimstecher nehmen; ihm schien, der Mann sei ihm bekannt. Hei! Da kam ja Tönset‘n mit einer kugelrunden Trönderbäurin angeschwenkt!

»Hüte dich, Vater Syvert! Es sind Schären wie auch Blindklippen im Fahrwasser! Was, meinst du, wird die Kjersti —?«

»Halt‘s Maul, Per Hansen, was lungerst du da herum!«

— Tönset‘n war feuerrot im Gesicht und hatte im Augenblick nicht Zeit zu weiteren Erläuterungen.

Der Per Hansen fing an zu schnaufen, die Augen blinkten klein und munter. Mitten im tollsten Gedränge wippte über allen den übrigen immerzu ein Kopf auf und ab, immerzu auf und ab, wie eine Tonne auf bewegter See.

Da vergaß sich der Per Hansen: »Da tanzt ja, hol mich der Kuckuck, der Hans Olsen Rheinländer!«

Es zuckte in ihm; er zwinkerte heftig, schaute sich nach seinen beiden Wirten um und nahm die Gurine beim Arm: »Komm und zeig‘ mir einmal, wie die Trönder nach dieser Melodei den Reigen treten!«

Und alles war vergessen. Er bugsierte die Gurine mitten hinein, bis er an die Seite des Nachbarn gelangte:

»Aus dem Weg, Hans Olsen! Jetzt brauch‘ ich Platz, mich ein wenig zu schwingen!« —

Punkt elf Uhr war Schluß; der Tommaas selber kommandierte stopp. Aber wie es nun zugehen mochte: der Sam war es, der die Baarstaddirn wieder heimgeleitete. — —

Am nächsten Morgen fuhren die vier Männer in aller Herrgottsfrühe heim.

IX

Mattgelber Sonntagnachmittag. Blasses Sonnengeflimmer durch stiebenden Schnee ... Ein ewiges Sausen in der Luft ...

Die ganze Widde ein rauchendes, sturmgepeitschtes Meer ... Bis ans Ende der Welt nichts anderes. — Die Nebensonne zeigte sich immer noch am Himmel. —

Sie saßen alle in Tönset‘ns Gamme, weil sie bei sich daheim zu sitzen nicht mehr ertrugen; der Per Hansen hatte das Jüngste sorgsam eingewickelt und es hergetragen. Die Kjersti hatte gerade Kartoffelkaffee und Kartoffelkuchen aufgetischt; und in dem Kaffee hatte sie heute Milch von der Tüpfel, die kürzlich gekalbt hatte, so daß er gar nicht so übel schmeckte, und auch die Zuckerbrocken waren ihr noch nicht ganz ausgegangen.

— In der Stube lag ein blaßgelbes Licht; aus dem prasselnden Ofen fiel über den Fußboden fröhlicher Feuerschein.

Aber es herrschte verdrießliche Stimmung, die nicht einmal der Kaffee hatte zur Tür hinausjagen können. — Der Tag vor den Fenstern war so häßlich. ... Und es wurde nimmer anders. — Den Männern verging langsam der Lebensmut.

Jetzt hatten sie wieder einmal die Frage erörtert, wie es hier in zwei Jahren aussehen werde, und wie in vier Jahren, — und wie in sechs Jahren; denn wenn letztes Jahr so viel Menschen dazugekommen seien, wo früher nicht eine Menschenseele gewesen,— so mußten es doch wohl nächstes Jahr soundso viele mehr sein? Zufolge dieser Berechnung mußten sie also nach Verlauf von vier Jahren so viele sein — zu guter Letzt werde hier Mann an Mann bis dicht an die Rocky Mountains wohnen! Sie rechneten alles gemeinsam aus, und sie rechneten richtig; aber keiner von ihnen glaubte so recht an die Rechnung! Sie hörten sich die Worte sagen, hörten aber auch, daß keine Wärme daraus sprach. — — Und so was glaubt der Per Hansen auch noch immer so zäh? dachte sich der Hans Olsen, widersprach aber nicht. — Herrgott im Himmel, laß die jetzt bloß nicht verkehrt dividieren! dachte die Kjersti bei sich; aber sie hütete sich, einen Zweifel zu äußern.

Heute aber war es ganz unmöglich, über die Leere hinwegzukommen — das fühlten sie alle miteinander.

Aber da brachte Tönset‘n etwas zur Sprache, worüber sie alles andere für kurze Zeit vergaßen. Als die Unterredung erlosch, weil niemandem mehr etwas einfiel, sie anzuschüren, da richtete sich Tönset‘n, der auf der Lade hockte, auf und wollte wissen, was für einen Zunamen der Hans Olsen und der Per Hansen sich zuzulegen beabsichtigten, wenn sie jetzt die Eigentumsurkunde für ihr Land ausgestellt bekämen.

»Zunamen?«

Jawohl, Zunamen, jawohl! Denn darüber müßten sie sich doch schon im voraus klar werden, legte Tönset‘n dar. Ihre Namen würden nach Landesgesetz und Recht in die Urkunde eingetragen und seien fürderhin ebenso unabänderlich wie die Verfassung selbst!

»Wir sind bereits getauft! Wie steht‘s denn damit bei dir, Syvert?« knurrte der Per Hansen querköpfig. »Ich kann nicht einsehen, daß Peder Hansen nicht auch für die Verfassung der Vereinigten Staaten vollauf gut genug ist. — Deine übergroße Herrenfeinheit, Syvert, die artet bisweilen geradezu ins Gotteslästerliche aus!«

Tönset‘n blieb dem Per Hansen nichts schuldig. Der könne sich sein Knurren gern sparen; denn er, Syvert Tönset‘n, gebe ihnen als alteingesessener Amerikaner guten Rat über Dinge, über die er gut Bescheid wisse — that‘s all! Wenn Tönset‘n dieses ›that‘s all‹ in die Debatte schleuderte, dann wußte alle Welt, daß er vergrätzt war. — Übrigens, fuhr er fort, könne das ein jeder verstehen: denn ›Hans Olsen‹ und ›Peder Hansen‹ — so könnten sowohl die Griechen wie die Hebräer heißen! Niemand werde darauf verfallen, daß man dahinter Norweger zu suchen habe!

Der Hans Olsen lachte gutherzig und sagte breit und ausnehmend sanft:

»Dann ist es wohl das beste, ich nenne mich künftig Olav Tryggveson. Olav Tryggveson, norwegischer Heldenkönig, regierte von 995-1000, förderte die Einführung des Christentums in Norwegen. War da nicht einer, der so hieß? —«

Große Heiterkeit begrüßte diese Antwort; Hans Olsens Bemerkung hatte in die gedrückte Stimmung ein großes Loch gerissen.

»Ja, ja« lachte der Per Hansen, »willst du der sein, dann bin ich der Peter Tordenskiold! Berühmter norwegischer Seeheld in dänischen Diensten; 1690 in Trondhjem (Drontheim) geboren, 1720 bei Hannover im Duell gefallen. Aber dann wollen wir den Syvert doch auch gleich vornehmen. Wie wär‘s mit Olav dem Heiligen, Olav der Heilige, geb. 995, bricht 1016 die seit 1000 (Olav Tryggvesons Tod) bestehende dänische und schwedische Oberherrschaft über Norwegen und macht sich zum König, fällt 1030 bei Siklestad am Trondhjemsfjord im Kampf gegen die aufständischen Trönder Bauern. Trat eifrig für das Christentum ein und wird 1164 zum Schutzheiligen Norwegens erklärt. oder Tore Hund, Tore Hund, Gefolgsmann Olavs des Helligen. Hans Olsen? — Können dann nicht Juden wie Griechen verstehen, daß wir Norweger sind, dann weiß ich mir nicht zu helfen!«

Die Kjersti und die Sörine widmeten sich jetzt ganz der angeschnittenen Frage, die Solumbuben mischten sich hinein, und die Kinder verhandelten sie untereinander; die Beret jedoch wiegte schweigend ihr Kind auf dem Schoß.

Die Unterhaltung wurde wieder angeregt und ernst, und vielerlei Meinungen kamen zum Vorschein.

Doch da entschied die Sörine: hätte sie die Wahl, so hieße sie lieber ›Mrs. Vaag‹ nach ihrer Hofstelle in Norwegen, als ›Mrs. Olsen‹.

Darin lag Vernunft; und alle überlegten sich die Frage noch einmal.

»Aber schau her, du Sörrina,« rief der Per Hansen, »die Regel paßt nicht auf meine Bäurin! Denn da müßte sie künftig ›Mrs. Schlingelholm‹ heißen, und das soll keiner sie nennen dürfen — daß ihr‘s nur wißt!«

»Nein, meiner Treu, der Name geht nicht an für einen Christenmenschen!« lachte die Kjersti schallend.

»Freilich nicht,« stimmte die Sörine bei. »Aber ›Mrs. Holm‹, das scheint mir praktisch wie auch hübsch zu klingen. — Du, Beret, wollen wir beide unter die Wiedertäufer gehen?« Die Sörine lachte, war aber noch sehr in Gedanken.

Die Beret wiegte das Kind; sie war der Unterhaltung gefolgt; sie summte eine Melodie vor sich hin, ganz sanft und leise. Jetzt unterbrach sie sich und sagte gelassen, ihr solle es gewiß nur wenig ausmachen, — wenn es überhaupt recht sei für einen Menschen, einen andern Namen anzunehmen, als er in der Taufe erhalten.

Da wurde die Sörine ernst:

»Ich bin deiner Meinung, Beret. Aber hierzulande werden wir gleichwohl nicht nach unserm Vater genannt. Ginge es wohl an, daß ich mich ›Sörine Zakkariastochter‹ schreibe?«

»Nein,« rief Tönset‘n begeistert, »nicht, sofern du als das Weib des Hans Olsen gelten willst!« — Merkwürdig, was für ein gescheiter Kopf doch auf der Sörine saß! Die Erörterung wurde noch lange und eingehend fortgesetzt. Der Hans Olsen fand ebenso wie die andern den Vorschlag seiner Frau praktisch. Der Per Hansen äußerte nicht viel, aber sein Gesicht fing an, sich aufzuhellen. — Das mußte er mit der Beret unter vier Augen bereden! Er prüfte im stillen den Namen, erst an ihr, dann an sich selber, darauf an jedem der Kinder: jedesmal strahlte sein Gesicht mehr. Mrs. Holm, das hörte sich gut an — Peder Holm, das klang nicht schlecht! — Ole Haldor Holm ? — Hans Kristian Holm ? — Anna Marie Holm? — Peder Holm — nein doch! — Peder Sieg Holm? — — Peder Sieg Holm! — Er teilte den Namen in drei Teile und beschaute jeden einzeln; dann stand er plötzlich auf, faßte den Hosengurt und zog sich die Hose hoch.

»Die Sörine hat recht: es ist sowohl hübsch wie auch praktisch, — ich denke, wir schlagen ein, Mannsleut!«

Es war unschwer herauszuhören, daß der Per Hansen jetzt guter Laune war. —

Seit der Zeit trugen also die beiden Familien zwei verschiedene Zunamen: untereinander gebrauchten sie immer den alten, aber vor Fremden hieß es von jetzt ab Vaag und Holm, nur mit der kleinen Abänderung, daß der Hans Olsen ein W an Stelle des V setzte.

An dem Abend ging die Beret erst spät zu Bett. Sie hatten das Vieh besorgt und zu Abend gegessen; die Kinder hatten vor Eifer über den neuen Namen, den die Sorine für sie gefunden hatte, gelärmt und getobt; jetzt schliefen sie bereits. Der Per Hansen war beim Ausziehen für die Nacht, ließ sich aber gute Zeit. Auch er war aufgeräumt und dachte über den Namen nach. — ›Peder Sieg Holm‹ sang es in ihm und stimmte ihn freudig; es trug ihn in eine große und kraftvolle Zukunft, in der es gut war zu leben.

»Aber jetzt mußt auch du dich legen!« bat er leise und sanft, liebkoste die Frau und legte sich zu Bett.

Sie vergalt ihm seine Zärtlichkeit, aber ihr Herz war nicht bei dem Geschenk. »Ich werde schon kommen,« sagte sie und blieb sitzen.

Und sie saß lange. Sie wiegte sacht das Kind auf dem Schoß. Von Zeit zu Zeit öffnete sie die Herdtür und legte ein Scheit auf; sie ließ die Tür angelehnt und starrte ins Feuer. — Warum hätte sie sich legen sollen? Die Nacht währte so schon zu lange! — Ja, jetzt hatten sie ihre Namen abgelegt, und bald kam mehr dazu! Denn das, was hier rundum sein Wesen trieb, das forderte das Ganze! — Sie hatte heute nichts dawider gesagt. Warum hätte sie sich einmischen und die Freude der andern zerstören sollen? — Alles, was sie tat, und alles, was sie sagte, das war alles verkehrt. — Dies aber hier, das mußte doch verkehrt sein? Obwohl es zwar nicht ärger war, als daß dem Kinde solch ein Namen gegeben worden; denn das war doch das ärgste von allem gewesen! — Doch vielleicht war auch das nicht verkehrt, — vielleicht war nur sie es, mit der es nicht richtig bestellt war? Darum hatte sie heute geschwiegen. — O ja, der Herrgott hatte sie diesmal verschont und hatte damit wohl seinen Plan gehabt. Sie mußte zusehen, ihre Sünde zu bereuen, ehe er sie fortnahm — so gnädig war er also. — Und sie konnte nicht bereuen, hatte nur Furcht ... nur Furcht..

Der Herd brannte aus; sie bemerkte es erst, als die Kälte fröstelnd durch die Gamme zog und sie weckte. — Da gedachte sie der Sturmnacht vor einiger Zeit. Die Kinder waren bei der Sörine geblieben, weil sie nicht allein heimzugehen vermochten, und sie hatte sie nicht holen können. In jener Nacht war sie hier auf und ab gegangen, unaufhörlich. Ach, und die beiden nächsten Nächte waren nicht besser gewesen. — Sie fühlte wieder das Entsetzen, das sie damals geschüttelt; sie erhob sich schnell und legte sich zu Bett.

Aber sie schlief nicht.

Nein, die Beret schlief nicht. Sie mußte an Menschen denken, von denen sie gelesen, — die waren in die Wüste gezogen, um in der Einsamkeit Gott wohlgefälliger zu leben. Und sie weinte; ja, sie wollte gern versuchen, ihm hier zu dienen, wenn er sie nur von dem Entsetzen befreite, das rundum so düster hing; denn in dieser Finsternis vermochte sie nicht lange mehr zu leben. —