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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 22

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III

Auf Neuland, das sie in diesen Tagen unter den Pflug gelegt hatten, waren die Buben mit Egge und Ochsen. Der Per Hansen wußte zwar noch nicht so recht, was er dort pflanzen werde. Er hatte sich eigentlich gedacht, das Stück bis zum nächsten Jahr brach liegen zu lassen; da war ihm aber heute plötzlich ein Gedanke gekommen, und er hatte die Buben geheißen zu eggen. — Jetzt ging er zu ihnen hinüber.

Der eine Bub saß auf der Egge und ließ die Hacken derb nachschleifen; der andere lenkte die Ochsen; nach jeder Runde wechselten sie sich ab. Ein großer Wettstreit war unter ihnen beiden entbrannt, wer am geradesten fahren könne; und das sollte durch die Hackenspur entschieden werden. Sie hielten, als der Vater herankam.

»Ist dieses Stück nicht vier Acres groß?« wollte der Ole wissen.

»So ungefähr,« gab der Vater düster zur Antwort.

Well, meinte lachend der Bub, wenn sie nun Kartoffeln auf das ganze Stück setzten und hundertundfünfzig Bushels pro Acre bekämen, so gebe das sechshundert Bushels, — berechnete er geschwind.

»Und dann verkaufen wir sie!« rief der Große-Hans begeistert.

»Schweig du stille!« puffte ihn der Ole zurecht. »Denn das hier habe ich ausgerechnet!« Und damit wandte er sich zum Vater: »Und wenn wir bloß dreißig Cents für den Bushel bekommen — ja, dann werden es akkurat einhundertundachtzig Dollar.« Der Ole guckte den Vater stolz an und setzte hinzu: »Ich finde, wir sollten sie sofort in die Erde bringen!« —

»Und wenn wir allein für die Kartoffeln soviel Geld bekommen, dann können wir doch gut die Schrotflinte kaufen ?¦« schlug der Große-Hans vor.

»Eilt euch lieber,« versetzte der Vater grimmig. »Und dir ist eine Hose über deinen Hintern nötiger als eine Flinte.«

Irgend etwas mußte der Per Hansen jetzt vornehmen, das fühlte er. Das Neulandstück lag vor ihm. Warum sollte er nicht dafür sorgen, daß jener Halunke, der Widersacher, noch ein wenig mehr zu tun bekam?

Er ging heim, öffnete die Erdmiete und machte sich daran, Kartoffeln herauszutragen und auf die Erde zu schütten. Als er alle entbehrlichen Vorräte hervorgeholt, fing er an, die Kartoffeln zu zerschneiden. — Da tat er zwar wohl wieder etwas Unsinniges, aber er konnte geradesogut den Scheffel mit einemmal vollschütten, — dann war er fertig und konnte einpacken! Denn es war doch wohl auch für Kartoffeln zu zeitig? —

Er und die Buben setzten also Kartoffeln und waren damit den Rest der Woche vollauf beschäftigt, und es reichte auch für das ganze Stück.

Am Sonntagmorgen stand der Per Hansen zur gewohnten Zeit auf, aß Frühstück und legte sich sofort wieder hin. — Das Gössel krabbelte zu ihm ins Bett und vollführte einen wüsten Lärm; es wollte ihn wach bekommen, weil es ihm etwas überaus Putziges erzählen müsse; es zauste ihn und kniff, wenn er nicht antworten wollte, und das, fand er, tat ihm so gut. — Die Beret las am Tisch in der Bibel. Sie sagte in diesen Tagen nicht viel. Und das schien ihm auch gut so zu sein. — Jetzt plagte er sich mit einem Gedanken; nämlich, wie es wäre, wenn er eine Fahrt nach Osten, nach Sioux, machte? — Es war freilich schon spät im Jahr, aber vielleicht trieben sich bei den Tröndern noch ein paar Säcke Weizen herum? Und bekäme er auch nur so viel Saat, daß sie selber für‘s kommende Jahr genug hätten? — Es war nur schon so elend spät; und jetzt war‘s die Zeit für‘s Pflügen. — Vielleicht war es doch am allergescheitesten, daß er nach Sioux Falls oder nach Worthington fuhr und zusah, sich dort für den Sommer Arbeit zu verschaffen? Dann mußten halt die Buben und die Beret daheim alles besorgen. Die mußten sich doch wohl zur Sommerszeit allein durchhelfen können?

Das Gössel rüttelte ihn und zerrte an ihm und tobte auf ihm, er solle etwas erzählen.

Plötzlich trampelte es draußen — jemand kam angerannt — da kam noch einer hinterher.

Der Ole riß die Tür auf mit gewaltigem Ruck, tat einen Hupf er und stand in der Mitte der Stube: — »Vater,« rief er keuchend, »der Weizen ist aufgegangen!« Er tat noch einen und stand neben dem Tisch. »Der Weizen sprießt, Mutter!«

Jetzt kam der Große-Hans nachgesetzt.

»Vater, er ist so lang, daß du‘s weißt!«

»Schweig du still, — ich kam zuerst!«

»Darum darf ich doch wohl auch noch etwas sagen!« —

Der Große-Hans hängte sich über das Fußende des Bettes.

»Der ist schon so lang, der Weizen — und der Hafer so lang! — Meinst du nicht, daß wir uns jetzt die Schrotflinte kaufen können!«

Der Per Hansen setzte das Kind auf die Erde, war mit einem Satz aus dem Bett und zur Tür hinaus — wortlos.

Oben am Ackerrand blieb er stehen. — Und er zitterte am ganzen Körper; die Augen standen voll Wasser, so daß er nicht recht sehen konnte.

Aber über den ganzen Acker hin standen zarte, grüne Pflänzlein, reckten sich und schleckten Sonne.

Der Große-Hans stand neben dem Vater, guckte ihn an, und er wurde ängstlich:

»Ist dir nicht gut?«

Keine Antwort.

»Weinst du?«

»Du Gimpel!« sagte der Per Hansen mit grober Stimme, er schneuzte sich. »Du bist solch ein ganz scheußlicher Gimpel!«

»Ist er denn etwa nicht schön?« fragte der Bub leise.

Auch darauf bekam er nicht Antwort — eine Weile nicht; aber dann sagte der Vater:

»Komm einmal her, Großer-Hans!«

Er legte dem Buben die Hand auf die Schulter.

»Was willst du gern einmal werden, wenn du erst groß bist?«

»Wenn ich groß bin? Oh, General, so einer wie der Grant!«

Der Per Hansen sah den Buben an, es gluckste in ihm mit leisen wunderlichen Lauten :

»Was meinst du zu Pastor? — Schau, den brauchen wir noch eher?«

»Oh,« willigte der Große-Hans männlich darein, »das könnte ich dann wohl auch immer noch werden! — Meinst du nicht, wir können uns jetzt die Schrotflinte kaufen?«

Der Per Hansen ging langsam heim, und sein Gang federte. Er trat in die Stube, ging zum Tisch, wo die Frau noch immer las, setzte sich dicht neben sie und sagte still:

»Du mußt uns jetzt ein Kapitel laut vorlesen!« Er räusperte sich: »Kommt her, ihr Buben, und setzt euch hübsch. Jetzt liest uns die Mutter vor!« —

IV

In jenem Sommer ereignete sich viel; die Gedanken derer, die bisher in diesen Gegenden sowenig Menschengesichter gesehen hatten, wurden durch mancherlei von der Werkeltagsarbeit abgelenkt.

Ende Mai kamen die Iren mit vielen Genossen und siedelten längs der westlichen Sümpfe, wo sie für ihr Vieh reichliche Tränke fanden.

Anfang Juni kamen die Leute aus Sogn und Voss mit aller ihrer Habe und ihrem ganzen Vermögen; und sie brachten viele andre Neusiedler mit; sie dehnten sich nach Osten und Süden, so daß sie den Weg zur Stadt kürzer machten. — Man werde wohl auf Wasseradern stoßen, meinten sie, und der Boden sei trefflich, hier wie dort. Die eine Gamme nach der andern hob den Kopf über die Prärie, und jede mehrte das Heimatgefühl.

Unter den Leuten aus Sogn und Voss war viel braves Volk. Tönset‘n wurde es niemals müde, daran zu erinnern, daß sie Norweger seien, ›jede einzige Schnauz‹! —

Unter denen vom Sognefjord war ein stattlicher, blonder, gutaussehender Mann, etwas großschnäuzig zwar von Wesen. Jedes seiner Vorhaben hatte etwas Anmaßendes, als seien Fehlgriffe ausgeschlossen, und es konnte einem oft leid werden, seinem Wortschwall zuzuhören. Er hatte aus Norwegen eine schöne Erbschaft erhalten, viel Waldland in Ost-Minnesota gerodet und es sehr vorteilhaft wiederverkauft; und das Gerücht wollte wahrhaben, daß er mindestens 3000 Dollar wert sei; er bestritt das auch durchaus nicht. Dieser Mann hatte eine große Familie und hieß Torkel Tallaksen.

Alle Westfahrer dieses Jahres begnügten sich mit Gammen; nur Tallaksen hatte sich‘s anders gedacht. Er setzte vier Pferde vor den Pflug, brach dafür, daß es das erste Jahr war, ein mächtiges Stück Neuland auf und säte es ein mit mitgebrachtem Korn. Es verlautete bald, daß er sich mit großen Plänen trage; gleich nach der Ackerbestellung beabsichtigte er, aus Worthington Baumaterial anzufahren; er wolle bereits diesen Sommer sowohl Wohnhaus wie Stall bauen.

Es wurde im Settlement viel darüber gesprochen. Wenn Tallaksens Absichten im Beisein des Per Hansen erörtert wurden, schwieg der dazu, paßte aber genau auf. Als sie eines Tages beim Per Hansen Mittag aßen, kam Tallaksen herein und fragte, ob er, wenn er Material hole, die Ochsen und den Per Hansen nach Osten mithaben könne. Er wolle auch die andern Nachbarn bitten; sie seien hier jetzt schon so lange ansässig und mit Acker und Wirtschaft so gut in Gang gekommen, daß sie wohl einem Neusiedler Hilfe angedeihen lassen könnten. Übrigens brauche er noch ein paar Mann dazu; er wolle viel holen und alles auf einmal heimbringen. Bezahlt werden könnten sie entweder in Arbeit oder Geld; aber er für seinen Teil ziehe es vor, in barem Gelde zu bezahlen, dann sei er die Sache quitt. — Der Acker stehe hier übrigens schön, sie bekämen dies Jahr eine mächtige Ernte; wie groß das Stück sei? So? Nicht größer? Nun, es wirtschafte sich wohl auch nicht leicht allein mit Ochsen! — Der Per Hansen habe sich da eine recht ansehnliche Gamme zurechtgebaut! Nun ja, Gamme bleibe nun einmal Gamme, von der Sorte Behausung habe er jetzt genug! — Ja, könne er also auf ihn rechnen?

Tallaksen schwaderte daher, als bäte er bloß um ein Streichholz.

Denke er jetzt ans Bauen? fragte der Per Hansen gelassen.

Natürlich! Solle er hierbleiben, dann wolle er‘s anständig haben! — Und jetzt verbreitete er sich eingehend über seine Pläne. Es mache zwar viel Arbeit, bis alles zusammengegebracht sei; aber er beabsichtige, sich Leute zu mieten, damit er sich bald allen Ernstes an die Prärie machen könne; er wolle noch einen Quart Land dazu kaufen; falle die Ernte einigermaßen gut aus, nehme er vielleicht auch zwei, drei, vier; aber zunächst wolle er ein anständiges Haus. Das Anstreichen müsse bis zum Herbst warten.

Die Worte troffen ihm nur so vom Munde, so daß ein anderer schwer ein Wort einfügen konnte.

Der Per Hansen stand vom Tische auf; er atmete heftig:

»Also du willst anstreichen?« unterbrach er ihn.

»Selbstverständlich! Hier kann man die Häuser nicht ohne Anstrich lassen, und ohne Farbe machen sie auch nichts her.«

Die Beret blickte Tallaksen treuherzig an, vergaß sich und fragte, ob es wirklich wahr sei, daß er derartige Häuser jetzt sogleich bauen wolle? — Und sie setzte erfreut hinzu, es werde überaus artig sein, wieder einmal ein richtiges Haus zu sehen, »dann wird es hier wohl auch anders werden!« Tallaksen lachte. Das waren doch die rarsten Käuze, an die er noch geraten war! Da schwätzte er sich heiser, und doch begriffen sie nicht den Tüttel! Nun, ihm konnt‘s gleich sein. Er erhob sich, um zu gehen: »Ja, dann machst du also mit?«

Der Per Hansen antwortete nicht sogleich, und als die Antwort kam, lautete sie ganz anders als erwartet.

»Ich meine nun das,« sagte der Per Hansen, »daß du vom verkehrten Ende anfängst,« — er schnappte nach Luft ... »Wenn du jetzt die Gelder, die du in die Gebäude zu stecken gedenkst, in Vieh und Pferden und Geräten anlegst und dir Arbeit leihst dies Jahr und später, dann kann keine Menschenseele in dieser Gegend es mit dir aufnehmen; — in drei — vier Jahren sitzt du dann hier unter uns wie ein König, obwohl wir einen andern lieber gesehen hätten. — Aber das sag ich dir jetzt« — Per Hansens Worte klangen sehr machtvoll —: »Beginnst du von dem anderen Ende, dann wetteifern wir sowohl um den Mantel wie um die Krone, obwohl ich nichts habe als meine Hose und meine Ochsen!«

Tallaksen lachte wieder und antwortete langsam und nachsichtig: »Es braucht einer doch nicht in einer Gopher Prärie-Eichhörnchen.-Höhle zu wohnen; auch hier in dem Westen muß doch einmal Gesittung einziehen, weißt du!«

Da juckte es den Per Hansen; er faßte in die Tasche nach einem Streichholz, zog es hervor, warf es aber weg.

»Die, glaube ich, lernen wir auch, selbst wenn du wieder dahin zurückfährst, woher du gekommen bist ... Und jetzt will ich dir eins sagen: es ist weit klüger, in einer Gopher-Höhle anzufangen, als dort zu enden! Und vielleicht ohne Schuld!«

Ehe Tallaksen noch antworten konnte, dachte die Beret laut; die Worte fielen langsam und grübelnd, — es trat eine kurze Stille danach ein:

»Deine Frau freut sich gewiß ... Wände, die alle Unbill ausschließen — ein Fußboden, den man zum Festtag scheuern kann ... Nein, Menschen können nicht wie Tiere hausen. — Und sind sie erst zu Tieren geworden, dann mag es wohl gleich sein, wie sie wohnen —.«

Tallaksen mußte sich die Frau näher begucken, — bei der also, schien‘s, mußt‘ einer in diesem Hause den Verstand suchen.

»Das ist sicher und gewiß,« sagte er. »Aber jetzt soll das anders werden, — jetzt sollen hier Häuser herkommen, die man von weither sehen kann und erkennen, daß hier Menschen wohnen!« Dann kam er auf etwas anderes zu sprechen:

»Du könntest vielleicht meiner Frau dabei helfen, ein paar Teppiche zu weben? — Sie sprach von Teppichen und Läufern und muß sie wohl bekommen — die schonen auch die Fußböden.«

»Dafür könnte wohl Rat werden,« sagte die Beret ruhig. »Es kann wohl einer dem andern mit etwas behilflich sein, auch wenn man‘s nicht selber bekommen kann ... es wird eine artige Arbeit.«

Der Per Hansen kramte nach einem neuen Zündholz und guckte die Frau an; er strich es an und hielt es, bis es ausgebrannt war. Er merkte nicht, was er tat, so sehr mußte er sie anschauen; es sauste ihm vor den Ohren, gesprochene Worte schwebten in der Luft; er griff nach ihnen, — erhaschte sie nicht mehr; das, was die Beret gesagt, verscheuchte sie. Er setzte sich auf die große Lade. Das Gesicht war blaß.

Well, meinte Tallaksen versöhnlich, er beabsichtige nach Verlauf eines Tages zu starten, und da komme er wohl mit? »Du brauchst auch einmal Hilfe beim Anfahren, wenn du erst in die Höhe gekommen bist — mächtigen Ernteertrag bekommst du, wenig Acker hast du. — Ja ja, dann erwarte ich dich also.«

Es wurde wieder still, Tallaksen harrte der Antwort.

»Du wirst gewiß lange warten müssen!«

Der Per Hansen sprang auf und rannte zur Gamme hinaus.

— Er rief die Ochsen barsch heran, spannte sie vor den Pflug und pflügte, bis es zu dunkel wurde. Als er endlich wieder ausgespannt hatte, ging er zaudernd und schleppend, verspürte gar keine Lust, heimzugehen. Was hatte er dort wohl zu schaffen? Die Gamme und alles darin lag in große Finsternis gehüllt.

Vielleicht verhielt es sich wirklich so, — vielleicht hatte sie recht: es war alles, alles nur verkehrt, und er taugte zu nichts?

— Es durchzuckte ihn: da hast du den Dank für all dein Mühen und Streben: Du schaffst nichts! — Daß sie sich aber nicht schämte, daß sie es fertigbrachte, sich vor diesem aufgeblasenen Wichtigpeter darüber auszulassen! Hatte sie denn alle Scham verloren? — Der Teufel hole es alles! —

Tallaksens großartig geplante Stadtreise kam nicht zustande.

Als Tönset‘n erfuhr, daß der Per Hansen nicht mitmachen wolle, da legte er auch keinen Wert mehr darauf; und wenn von den beiden keiner mitfuhr, dann wollten die Solumbuben auch nicht. Und da wäre nur der Hans Olsen und der Germund Dahl sogleich zu haben gewesen, und die reichten nicht aus, um einen ganzen Herrenhof heimzuholen. Tallaksen äußerte darüber, er glaube nicht, daß sich auf Gottes grüner Erde größere Querköpfe fänden als diese Nordländer; und sähen sie auch einen Mann im Elend krepieren, sie würden keine Hand ausstrecken! —

Und so kam es dahin, daß er für diesen Sommer seine Pläne, zu bauen, aufgab, und bald stand eine neue Gamme da und guckte vom östlichen Bachufer herüber.

V

In jenem Sommer kamen des öfteren Westfahrer durch die neue Ansiedlung gezogen. Es war eigen, diese Schifflein der Ebene zu beobachten. Die Wagen hatten ein Verdeck aus Segelleinen, das weiß in den hellgrünen Tag hineinschimmerte. Als Pünktlein wurden sie unter dem Osthimmel sichtbar. Hätte man‘s nicht besser gewußt, hätte man annehmen können, daß dort weit weg Möwen auf einer grünen Wiese säßen. Ließ man sich Zeit, genauer hinzusehen, dann wuchsen die weißen Wesen; sie kamen mit dem Tage herauf, — schwammen aus dem Dunst heraus; und jetzt erkannte man Wagen mit Pferden oder Ochsen davor, voller Menschen und Gepäck, und eine ganze Herde trottete hinterdrein.

Der Wagenzug karrte sich langsam an die Erdhütten heran und hielt; geschäftige Menschen stiegen aus, dehnten und reckten sich; Kühe brüllten, Schafe blökten. Da gab es mancherlei seltsame Trachten zu schauen und fremde Zungen zu hören. Immer war Leben und Bewegung dabei: sonnengebräunte Kinder nur in Hose und Hemd witschten zwischen die Gammen und sahen sich nach Spielgefährten um; Säuglinge wurden von leise summenden Müttern spazieren getragen; weißhaarige Greise und alte Weiberchen, die wohl besser daran getan hätten, sich im stillen auf eine ganz andere Fahrt vorzubereiten, waren mitgezogen und nahmen helläugig und schnellzüngig an allem teil. Emsig waren sie alle und höchst fragedurstig; fröhlich waren sie meistens, obwohl sie kein anderes Heim ihr eigen nannten, als ihren Wagen und den blauen Himmel darüber. Der Herrgott mochte wissen, wo alle diese Menschen herkamen und wohin sie wandern wollten! —

Solch ein Zug pflegte gerade nur so lange zu rasten, daß den Frauen Zeit blieb, Kaffee zu kochen und frisches Wasser zu schöpfen; freilich waren die Männer dann bei weitem noch nicht mit Forschen und Fragen fertig. — Es kam jedoch auch vor, daß sich eine Fiedel hervorwagte, Tanzweisen erklangen und ein Tänzlein geschwungen wurde; doch das war seltener der Fall; denn es gab zwischen Siedlern und Westfahrern allzuviel zu erörtern.

Wollten sie sich nicht hier in der Nähe niederlassen ? — Viel guter Boden sei vorhanden, es finde sich kaum besserer bis zur pazifischen Küste.

O nein, hier nicht, nicht gerad hier, — hier sei es schon so eng und dicht besiedelt, — sie müßten weiter nach Westen, — je weiter nach West, desto besser!

Die Wagen rollten über die stille Widde nach Westen weiter. Merkwürdig: sie schrumpften jetzt schneller zusammen, als sie beim Herannahen gewachsen waren. Die weißen Segel in dem dünnen Sonnendunst wurden immer winziger. Das Auge suchte den Abendhimmel ab, spähte, bis es tränte, — nichts war mehr zu sehen, — nein — nichts!

Regen und trübes Wetter hatten schon seit drei Tagen über den Prärien gelagert, weiße Nebelschwaden zogen, aus denen laue Tropfen stäubten. Am Abend des dritten Tages klärte es auf; der Nebel verschwand, rot und erhaben stand die Abendsonne am Westhimmel. Auf dem Ostufer des Baches, unweit des Bereichs der Solumbuben, kroch aus Norden ein einsamer Wagen heran. Niemand sah ihn kommen, plötzlich war er beim Bach angelangt. Die Beret molk draußen und gewahrte ihn zuerst. Beim Hereinkommen erzählte sie, daß die Solumbuben gewiß Gäste bekämen, und da mußten auch die anderen hinaus und schauen.

Der Sam und der Henry waren bei den Sogningern, — sie verbrachten jetzt meist die Abende dort mit dem Jungvolk.

Bald darauf kam der Wagen langsam den Hügel zum Per Hansen herauf. Zur Linken des einsamen Wagens ging ein gebückter, braunbärtiger, zerzauster Mann und lenkte; ein paar Schritt hinter ihm ein halberwachsener Bub; ein paar Kühe zottelten hinterdrein.

Der Zug fuhr bei der Gamme vor, wo ihn jetzt alle Bewohner erwarteten. Mit einer matten, verbrauchten Stimme fragte der Mann:

»Es trifft sich wohl nicht so gut, daß hier Norweger wohnen? — O nein, so viel Gutes läßt sich wohl kaum erwarten.«

»Wenn es das ist, wonach du aus bist, dann bist du an die rechte Schmiede gekommen,« lachte der Per Hansen; »jede einzige Gamme hier ist norwegisch.« Aber dann verging ihm das Lachen: der Mann da vor ihm sah aus, als steige er aus dem Grab oder wolle gerade hinein. »Auch du bist Norweger, höre ich?«

Ja, — o ja, — das sei er wohl. — Gehe es an, hier heute nacht zu rasten?

Freilich gehe das an, wenn sie vorlieb nehmen wollten.

Der Mann sagte nichts dazu; er ging zum Wagen und sprach ins Innere hinein:

»Kari, sieh jetzt halt zu, ob du nicht am Ende herauskommen magst, wir sind hier an Norwegerleut geraten.« Und als wäre er einem Widerspruch begegnet, setzte er hinzu: »Doch, gewiß, es sind Norweger, siehst du!«

Zuerst krabbelte ein magerer Bub hervor, etwas kleiner als der andere; darauf ein Mägdlein von ungefähr gleicher Größe wie der Bub; es half einem anderen Büblein, das kaum mehr als sechs Jahr alt sein konnte.

»Kommst du nicht selber, Kari?«

Es stöhnte unter dem Planhimmel.

Das Dirnlein kam zum Vater gesprungen.

»Die Mutter ist ja festgebunden, — weißt du‘s nicht mehr?«

»Nein — o doch — das ist wahr. — Nein, wart ein wenig; jetzt komme ich und helfe dir!« Der Mann kletterte auf den Wagen.

Am Per Hansen zerrte etwas unwiderstehlich; in zwei Sätzen war er auf der Wagendeichsel und sah hinein. — Da drin saß ein Weib auf einem Haufen Kleider und lehnte mit dem Rücken an eine große Auswandererlade; beide Hände waren ihr gebunden; von den Handgelenken liefen Schnüre zu jedem der beiden Seitengriffe der Lade. Das Weib war wie ans Kreuz geheftet. Der Per Hansen zitterte, daß er sich nur zur Not am Wagengestell festhielt, er fluchte in seinem Innern.

»Kannst du mir erzählen, Mann —!«

Der Mann hörte ihn nicht; er redete der Frau da drin zu: »Du arme Kari — alle hier sind Norweger. Und jetzt wird alles besser, sollst du sehen. Ganz gewiß!«

Er hatte ihr die Fesseln gelöst; die Frau kniete sich auf.

»Oh!« Sie faßte sich um den Kopf.

»Komm, ich helfe dir!« redete der Mann ihr freundlich zu und nahm sie hilfreich beim Arm; der Per Hansen sprang hinzu und stützte sie auf der anderen Seite.

»Ist es hier, Jakob?« stöhnte sie.

Die anderen hatten alles aus der Nähe mit angesehen. Jetzt trat die Beret herzu und legte den Arm um die Fremde; die beiden Frauen schauten einander in die Augen.

»Komm du jetzt nur mit mir mit!« sagte die Beret.

»Hier ist es ja doch aber auch nicht, Jakob!« jammerte die Fremde; sie folgte jedoch ohne Widerreden.

»Oh«, wimmerte der Mann, »das ist nicht einfach — nein, wahrhaftig nicht, nein.«

Er machte sich daran, das eine der beiden Pferde auszuspannen, der ältere Bub das andere.

Der Per Hansen sah ihnen zu, seine beiden Jungen wichen ihm nicht von der Seite. Da durchblitzte ihn ein Ausweg:

»Lauft hinüber zum Hans Olsen, Knäblein,« sagte er leise, »und bestellt ihm, daß er sich nicht legen dürfe, ehe ich heute mit ihm gesprochen habe! Nein, er soll nicht herkommen! — Und ihr könnt heut nacht gern dort bleiben, wir haben ohnehin das Haus voll, — lauft!«

Und dann ging er zu dem Fremden und fragte:

»Habt ihr denn keine Wandergenossen gehabt?«

»Nein, jetzt nicht. — Ja, ursprünglich sind wir ein Zug von fünf Wagen gewesen, — aber die andern sind vorausgefahren — sind sie nicht hier vorbeigekommen ? — Sie wollten in diese Richtung — o ja, sie sind halt irgendwo im Westen.«

Der Mann sprach mit langsamem, singendem Tonfall; es hörte sich so eigen an, so, als weine er und könne seiner Bewegung nicht Herr werden. Wo kämen sie her? — Seien sie schon lange unterwegs?

Oh, sie hätten sich jetzt wohl an die fünf, sechs Wochen herumgetrieben. — Übrigens seien die fünf Wagen gemeinsam in Houston-County gestartet —, seltsam, daß die andern hier nicht durchpassiert sein sollten? — Ihm schien, sie seien jetzt so lange unterwegs, daß sie bald ans Ende der Welt gelangen müßten.

»Sind die andern von dir weggefahren?« fragte der Per Hansen barsch.

»Ja, schau, die konnten nicht auf uns warten — ungewiß war es, wann wir nachkommen konnten. — Laß die Rösser nur laufen, John; nimm den Eimer und sieh, ob die Kühe etwas geben.«

Der Bub tat, wie der Vater ihm geheißen hatte; der Mann lehnte sich an den Wagen und schlug die Beine übereinander. Dann fuhr er fort:

»Du sagtest, wir könnten hier Obdach für die Nacht bekommen. — Wären wir nicht heute auf Menschen gestoßen, dann wäre gewiß ein Unglück geschehen. — Die arme Kari, — Weiberleut halten nicht allzuviel aus, siehst du.«

»Ihr müßt euch verirrt haben, daß ihr so weit von Norden herkommt?«

Der Mann schüttelte den Kopf: »Weiß nicht, wo wir in den letzten Tagen gefahren sind. Die Sonne bekamen wir nicht zu Gesichte.«

»Du hast keinen Kompaß bei dir?«

»Behüte! — Ich versuchte, mit einem Tau Richtung zu halten, aber dann war es zu steif von der Nässe.«

»Benutztest du ein Tau?«

»Ja, schau, wir banden es hinten an den Wagen, aber wir konnten trotzdem den Kurs nicht recht einhalten.«

»Hm, hm,« nickte der Per Hansen; der Mann gefiel ihm schon besser; »du bist also erfahrener Seemann?«

»Behüte! — Aber ich hab‘ gehört, so könnte man‘s machen.«

»Wo kreuztet ihr den Sioux?«

»Darüber weiß ich halt gar nichts. Wir kamen weit im Osten an einen Fluß, — ja, war das der Sioux? — Da suchten wir, bis wir eine Stelle fanden, die seicht genug war. Es war eine Wanderung durch die Wüste. — Doch wenn die Kari sich wieder erholt, mag alles dahingehen.«

»Ist sie, — ist sie kränklich, dein Weib?«

Der Mann wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Nach einer Weile sagte er:

»Körperlich fehlt ihr wohl nichts; aber du weißt, es kann sich gleichwohl — bisweilen — sonderbar arten, ja, also für eine, die Mutter ist. Wir mußten unser jüngstes Büblein im Osten lassen.«

»Nein, was sagst du!«

Der Mann fuhr sich wieder übers Gesicht; die Stimme war heiser:

»Da liegt er jetzt, der Paul — und war ein so vielversprechendes Bürschlein.«

Dem Per Hansen schnürte sich die Kehle zu. Wie das denn zugegangen sei, mußte er weiterfragen.

Der Mann wiegte den Kopf, sagte dann ein paar Worte — leise, heiser — wiegte wieder den Kopf, sprach wieder in singendem Ton, der eigentlich nur ein Weinen war:

»Wissen wir‘s denn, wie es zuging?— Keiner weiß, wie so etwas zugeht. — Er wurde halt unpäßlich — wir achteten des nicht viel, denn wir hatten dazu die Zeit nicht. — Da wurde er ernstlich krank. Wir waren gerade eine Tagereise hinter Jackson, und da nahmen wir ihn dorthin zurück. Die andern fuhren ihres Wegs —: es war ja doch zu ungewiß, wann wir hätten nachkommen können. Dann suchten wir uns einen Doktor und bekamen eine Medizin verschrieben; aber wir konnten uns nicht mit ihm verständigen, und ich glaube nicht, daß der Doktor verstand, was dem Büblein fehlte. — Ein wenig besser ging es ihm zwar hernach, sah ich — und übrigens auch die Kari, und so machten wir uns denn wieder auf den Weg. Ich sah aber bald, daß es keine Wendung zum Guten nehmen wollte. Ja, da fuhr ich halt auf Tod und Leben los; denn mir war darum zu tun, die Nachbarn wieder einzuholen. — Und eines Nachts erlosch sein Licht. — Das sind jetzt, ja, heute sind‘s fünf Nächte her.«

»Hast du, — hast du ihn mit im Wagen?« Der Per Hansen faßte den Mann stammelnd beim Arm.

»Nein!« schluchzte der Mann, »wir begruben ihn unter einem großen Stein. Ohne Sarg! Und die Kari nahm ihren allerbesten Kleiderrock. — Aber freilich« — er nahm sich wieder zusammen — »der Paul kann dort nicht liegenbleiben, ich muß ihn holen gehen, sobald ich zu den Nachbarn komme, — sonst geht es mit der Kari in den Abgrund. — Du siehst, ich habe sie in den beiden letzten Tagen binden müssen,« flüsterte der Mann heiser, »sie wollte immer vom Wagen und nach Osten zu dem Büblein zurück! — Ich glaube, sie hat schon über eine Woche keinen Schlaf gekostet.«

Der Per Hansen mußte sich am Wagen festhalten, so schüttelte es ihn.

»Ist sie geistesverwirrt?« fragte er flüsternd.

»Sie ist es nicht schlimmer, als wir andern alle — das glaube ich fest —; wenn sie nur erst wieder einmal schlafen könnte.

— Die Kari ist ein verständiges Weib, will ich dir sagen; aber es ist so eigen damit, wenn einem ein Kind stirbt — auf solche Weise.«

»Komm jetzt mit deinen Buben hinein!« rief der Per Hansen und begann umherzustampfen. »Wir haben ein Dach, und wir haben auch Essen!« —

Als sie in die Gamme kamen, sahen sie, daß Beret die Frau ins Bett gebracht hatte und jetzt um die Kranke bemüht war; — sie musterte die Eintretenden einen nach dem andern, dann fragte sie den Per Hansen:

»Wo hast du die Knaben gelassen?«

Er erzählte, daß er sie für die Nacht zum Hans Olsen geschickt.

»Das war wohl nicht nötig; wir hätten auch hier Platz für sie gefunden.«

Der Mann stand neben der Tür und sah zum Bett hinüber; er trat herzu, bückte sich und faßte die Hand der Frau: »Wie geht es, Kari?« fragte er leise in singendem Ton. »Ich glaube gar, du bist eingeschlafen?«

Die Beret schob ihn sachte zur Seite.

»Nein, wecke sie nicht. — Sie bedarf gewiß der Ruhe.«

»Das will ich meinen, — o ja. Denn schau, sie hat die ganze letzte Woche nicht geschlafen.« Der Mann schlich schnufzend zur Stube hinaus.

Als das Abendessen bereitstand, schlief die Frau noch immer. Die Beret bat, man solle sie sich ausruhen lassen: »Hier tut Schlaf mehr not als Essen,« sagte sie. — Sie selber wartete die kranke Frau, statt sich zu Tisch zu setzen, knöpfte ihr die Kleider auf, zog ihr die Stiefel aus, wusch ihr das Gesicht mit lauem Wasser; und die Frau schlief fest. — Darauf bestimmte sie die Nachtlager. — Der Mann solle mit den Kindern im Stall untergebracht werden; dort sei mehr Ruhe; sie selber werde sich der Frau annehmen, falls sie aufwache und etwas brauche. — Die Beret ordnete alles mit nur wenig Worten und ungewohnter Entschiedenheit an.

»Der Herrgott segne dich für all das Gute, was du uns tust!« sang der Mann müde. »Wir bedürfen wirklich der Ruhe — wirklich. — Aber du mußt durchaus die Tür gut abriegeln! — Und jetzt kommt, Kinder, daß Ruhe wird für unsere Wirte!«

Der Per Hansen schaute selber nach, daß alle im Stall gut zu liegen kamen, und ging dann wieder in die Stube; die Beret besorgte, auf dem Bette sitzend, den Säugling. Das Gössel hatte sie neben die fremde Frau gebettet.

»Hat sie dir erzählt, wie es ihnen ergangen ist?« fragte er leise. Die Beret warf einen Blick auf das andere Bett.