Kitabı oku: «Das Ministerium für Sprichwörter», sayfa 5

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7. Kapitel

Die jungen Hühnchen, die nicht zu mager und nicht zu fett sein sollen, werden geputzt und dressiert in eine Bratpfanne gegeben, innen nur wenig gesalzen, mit Thymian und einer Spur Knoblauch, den man aber auf keinen Fall hervorschmecken darf, eingerieben, mit brauner Butter übergossen und schnell gebraten – zirka eine halbe Stunde –, bis die Haut goldbraun und knusprig ist.

Das Brüstchen wird sparsam mit luftgeselchtem Speck gespickt. Man gibt Croûtons mit Salmi aus falschem Schnepfenkot als Garnierung.

Der Kellner legte ihnen die Hühnchen speisegerecht auf die Teller und schenkte den restlichen Wein nach. Die geleerte Falsche, mit zwei Fingern am schlanken Hals gefaßt, wie absichtslos hin und her schwenkend, fragte er leichthin: „Noch eine?“

„Noch eine!“ antworteten sie einträchtig, nippten von dem goldgelben Wein und sogen in festlichem Vorgefühl den von den Tellern aufsteigenden Bratenduft mit aufgeblähten Nüstern durch ihre Nasen.

Schmidbruch zog mit Nonchalance ein Streifchen Speck aus dem knusprigen Brüstchen und legte es auf seine Zunge, wo es langsam zerging. Im Gegensatz zu der gerade noch gezeigten Nonchalance bemächtigte sich nun seines Wesens eine natürliche, durch nichts zu unterdrückende Feierlichkeit, die von dem inneren Glanz auszugehen schien, in dem seine Augen erstrahlten, während das Streifchen Speck auf seiner leicht gegen den Gaumen gedrückten Zunge kleiner und kleiner wurde.

Pizarrini hatte indessen ein Croûton auseinandergeschnitten und mit dem ihm allem Unbekannten gegenüber eigenen Mißtrauen davon gekostet. Doch wann ward wohl ein Mißtrauen schneller und gründlicher beseitigt als hier? Zuerst zögernd, dann – eingeleitet von einem jähen Ausruf des Entzückens – rasch und bedenkenlos zermalmte er das resche Gebäck mit ungeahnten Wonnen. Gier erfaßte ihn. Er spießte sich Bissen auf, die sein in diesem Augenblick an ein aufgerissenes Karpfenmaul erinnernder Mund kaum bewältigen konnte.

Schmidbruchs feierlich gehobene Stimmung störte solche Unart gewaltig, und er konnte sich eines deutlichen, mißbilligenden Kopfschüttelns nicht enthalten.

Pizarrini, der es sofort bemerkt hatte, tat, als hätte er es nicht bemerkt. Depp, dachte er sich, Depp! Der bildet sich wohl ein, ich könnte diese hinreißenden Dingerchen mit derselben Gelassenheit verzehren, mit der ich meine alltägliche Käsesemmel esse. Was weiß der, wozu ich fähig bin?

Sein mittägliches Abenteuer fiel ihm ein, und überzeugt von der wilden Leidenschaftlichkeit seines Wesens beschloß er, seiner Freßlust nicht länger nutzlos Widerstand zu leisten.

Mit demonstrativer Unbekümmertheit stürzte er sich auf die zwei übriggebliebenen Croûtons und fraß sie prackend und schmatzend zusammen. Als er mit ihnen fertig war, bestellte er sich nochmals drei. Dann erst wendete er sich dem Hühnchen zu. Podesta machte weniger Umstände, Er hatte die Fähigkeit zu essen, zu trinken, beides zu genießen und obendrein noch reden zu können.

Ja, es war, als könne er es mit vollem Mund und nasser Gurgel besser als in jedem anderen Zustand.

Podestas Erzählung
4

Schmidbruch befolgte den Rat Wondrascheks schon am nächsten Tag. Eine eigenartige Stimmung ergriff ihn, als er den Bahnhof betrat, und ließ ihn nicht mehr los.

Alles roch nach Abschied. Alles schien ihm den Stempel des Provisorischen, des Vorläufigen zu tragen. Selbst der feste, solide Betonbau, ausgestattet mit allem Komfort eines modernen Bahnhofs, schien ihm nicht frei davon.

Der Verkehr, das Kommen und Gehen der Reisenden, die Achtungrufe der Gepäcksträger mit ihren hochbeladenen Kofferkarren, die Stimme aus dem Lautsprecher, die den Reisenden die Ankunft und Abfahrt der Züge bekanntgab, all dies, obwohl vertraut aus der Zeit, in der er als kleiner Inspektor selbst noch fast jeden Tag auf irgendeinem Bahnhof weilte, irritierte ihn jetzt ungemein. Doch es war keineswegs so, daß ihm dies alles unangenehm gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, er genoß die Verlorenheit, die Beziehungslosigkeit, das Ziellose, dem er sich hier ausgesetzt empfand, wie einen plötzlich wieder aufkommenden Wind, der weither durch seine Erinnerung wehte. In Gedanken versunken ging er zum nächsten Schalter.

„Eine Fahrkarte.“

„Wohin, bitte?“

Ja, wohin? Wohin wollte er eigentlich? Er wußte es nicht. Er hatte sich komischerweise darüber keine Gedanken gemacht. Er wollte irgendeinen Speisewagen kontrollieren. Das war alles. Speisewägen fuhren in jede Richtung. Es war nur gut, daß niemand hinter ihm stand, so konnte er wenigstens in Ruhe überlegen, wohin er fahren sollte. Der Schalterbeamte aber wurde ungeduldig.

„Wohin?“

„Zweihundert Kilometer irgendwohin.“

Der Beamte stutzte und blickte ihn prüfend an. Nach kurzem Zögern gab er ihm die Fahrkarte und nannte den Preis.

Schmidbruch nahm sie wortlos entgegen und zahlte. „Sie haben gesagt: zweihundert Kilometer irgendwohin. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich die Karte nicht umtauschen werde.“

Der Beamte sagte es mit einer vor Ärger bebenden Stimme.

Schmidbruch gab ihm keine Antwort und ging.

„Auf keinen Fall umtauschen werde!“ schrie ihm der Beamte nach.

Der wird sich noch lange nicht beruhigen, dachte Schmidbruch und stieg in den bereits am Bahnsteig stehenden Zug ein.

Nach der ersten Station ging er in den Speisewagen. Der Wagen war leer. Er bestellte ein Cordon bleu. Der Kellner war ihm nicht sympathisch.

„Arbeiten Sie schon lange im Speisewagen?“ fragte er ihn.

„Ein Jahr. Wünschen Sie etwas zu trinken?“

„Eine Flasche Bier.“

Schmidbruch schaute ihm mißmutig nach. Im anderen Wagenabteil machte sich nun ein zweiter Kellner, ein bedeutend älterer, zu schaffen. Schmidbruch beobachtete ihn interessiert. Plötzlich erkannte er ihn. Er erschrak fast; das war doch …

„Ihr Bier, mein Herr!“

„Danke. Sagen Sie, heißt Ihr Kollege da drüben nicht Ferdinand?“

„Ja, kennen Sie ihn?“

„Ich habe ihn schon jahrelang nicht gesehen.“

Der Kellner ging und flüsterte Ferdinand ein paar Worte zu. Der blickte zu Schmidbruch hin und kam auf ihn zu.

„Sie kennen mich?“ fragte er langsam und blickte Schmidbruch forschend an.

Schmidbruch nickte stumm. Er konnte jetzt nicht reden. Beim Anblick dieses alt gewordenen Gesichtes hatte ihn urplötzlich eine mächtige Rührung übermannt. Jetzt erkannte ihn auch Ferdinand.

„Sie, Herr Präsident?“ sagte er leise.

Der Kellner kam mit dem Cordon bleu. Schmidbruch sagte schnell: „Er braucht nicht zu wissen, wer ich bin.“ Der Kellner servierte ihm und zog sich sofort wieder zurück.

„Es braucht überhaupt niemand zu wissen, daß ich hier war, Ferdinand!“

„Niemand, Herr Präsident können sich vollkommen auf mich verlassen.“

„Setzen Sie sich zu mir her, Ferdinand, wir müssen verschiedenes miteinander besprechen.“

„Ich glaube, es ist besser, ich bleibe stehen, Herr Präsident.“

Ferdinand hatte das leise und mit aller Bescheidenheit gesagt, der er sich vor Präsident Schmidbruch zu befleißen verpflichtet glaubte, aber ein kaum merkbares, undeutbares Lächeln in seinem Gesicht ließ Schmidbruch jeden weiteren Versuch aufgeben, ihn doch zum Niedersetzen zu bewegen; er hatte das bestimmte Gefühl, daß das vollkommen aussichtslos wäre.

„Nun gut, bleiben Sie eben stehen.“

„Sehr wohl, Herr Präsident. Ich bleibe stehen.“

„Reden wir von etwas anderem.“

„Wie Euer Gnaden meinen.“

„Ich bin nicht ‚Eurer Gnaden‘ ich bin …“

„Euer Gnaden ist nicht Präsident, Herr Präsident.“

„Sie sollen nicht Präsident zu mir sagen.“

„Ich bleibe stehen.“

„Ferdinand! Ferdinand, Ferdinand!“

„Ja? Ich stehe zu Ihren Diensten.“

„Ferdinand!“

„Ja?!“

„Ferdinand, was halten Sie davon?“

„Wovon?“

„Davon!“ Schmidbruch zeigte auf die leeren Tische.

„Früher war das ganz anders.“

„Das weiß ich selber.“

„Das meine ich aber nicht.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ich meine, früher war überhaupt alles anders.“

„Ach so, Sie meinen, früher war überhaupt alles anders?“

„Ja, das meine ich.“

„Warten Sie, bitte, einen Moment. Ich möchte mir gern ein paar Notizen machen.“

Schmidbruch zog ein giftgrünes Notizbuch aus seiner Rocktasche und notierte: Früher war überhaupt alles anders.

Kaum hatte Schmidbruch seine Notiz zu Ende geschrieben, fuhr Ferdinand fort:

„Früher, ja früher … Früher hat es nur einen Speisewagen gegeben. Und heute? Heute führt jeder Zug, jeder Pimperlzug, möchte ich am liebsten sagen, einen Kinowagen mit, einen Badewagen, einen Lesewagen, einen Sportwagen, einen Spielwagen, einen Aussichtswagen und so weiter und so weiter. Früher ist der Reisende in den Speisewagen gegangen, wenn ihm langweilig war. Heute? Heute geht er ins Kino, ins Bad, er geht lesen, spielen oder sonst irgendeinen Blödsinn machen. Für das Cordon bleu, das Sie da kalt werden lassen. Essen Sie doch, bitte, ist ja eine Schande, wenn es kalt wird, so ein schönes Stück!“

„Kümmern Sie sich nicht um das Cordon bleu, das kann warten, die Hebung des Umsatzes nimmermehr. Mein Werk ist in Gefahr, was kümmert mich da mein Essen. Fahren Sie fort!“

„Sehr wohl. Ich wollte sagen, ich, ich weiß nicht mehr, wo ich unterbrochen habe.“

„Sie sagten: Für das Cordon bleu hier …“

„Ja, für das Cordon bleu hier, ich meine, für das entsprechende Geld natürlich, kann sich heute ein Reisender ein paar Stunden in den Kinowagen setzen, er kann baden, er kann sich massieren lassen dafür oder was weiß ich noch alles mögliche dafür bekommen. Heute hat der Reisende ganz andere Möglichkeiten sich zu zerstreuen, heute ist eben alles ganz anders.“

Schmidbruch notierte: Heute ist alles ganz anders.

„Außerdem“, fuhr Ferdinand fort, „schauen Sie sich einmal um, was für eine Reklame die anderen alle machen. Daß Sie sich heute zum Beispiel im Zug baden können, das lesen Sie in jeder Illustrierten, das sehen Sie auf Plakaten, in Reklamefilmen, ja, sogar …“, er fingerte aus seinem Hosensack eine Schachtel Zündhölzer heraus und hielt sie Schmidbruch hin, „ja, sogar auf den Zündholzschachterln steht es schon oben, ist natürlich“, er warf selbst einen Blick darauf, wie um sich zu vergewissern, „ist natürlich auch ein nacktes Weib darauf. Ohne das geht es ja überhaupt nicht mehr.“

Schmidbruch notierte: nacktes Weib.

Ferdinand war nicht mehr zu halten: „Und was machen wir“, fuhr er fort, „wenn ich respektvollst fragen darf? Wir machen gar nichts. Die gekreuzten Gabeln im Fahrplan und die Aufschrift auf dem Waggon, das ist unsere einzige Reklame.“

Schmidbruch notierte: Reklame.

„Aber das alles wäre noch lange nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, daß es keine Esser mehr gibt. Ich meine richtige, gute Esser, denen man nicht zuschauen kann, ohne selbst Appetit zu bekommen. Heutzutage essen alle so, als müßten sie eine Arbeit damit verrichten. Wenn man da zuschaut, wie die eilige Welt ihr Essen hinunterwürgt, süß und sauer mit dem gleichen faden Gesicht, vergeht einem jeder Appetit, und es darf einen nicht wundern, wenn unsere Waggons leer bleiben.“

„Sie glauben also, daß ein paar gute, genießerische Esser imstande wären, allgemeinen Appetit zu erregen, die Gäste zum Essen zu animieren, kurz und gut das Hauptmittel wären, unsere Umsätze wieder zu heben.“

„Genau das meine ich, Herr Präsident, genau das, ich werde Ihnen noch etwas erzählen, da war …“

8. Kapitel

Pizarrini hatte sich, als er noch eine Portion Croûtons bestellte, zweifellos zuviel zugemutet. Außerdem hatte er auch zu hastig und unbeherrscht gegessen; denn während er das köstliche Mahl schon beendet hatte, waren Schmidbruch und Podesta noch mitten darin. Jener schweigsam und mit behutsamem Genuß, dieser mit nicht weniger Freß- und Trinkfreude, aber auf eine andere Art: laut, ungeniert, seine Erzählung immer wieder mit Ausrufen des Entzückens und Wohlbehagens unterbrechend.

Pizarrini hatte sich zweifellos zuviel zugemutet.

Er saß bei einem weiteren Glas Wein, das er sich – unbeholfen und seiner tolpatschig gewordenen Hände nicht mehr sicher –, nicht ohne dabei etwas Wein zu verschütten, selbst nachgeschenkt hatte, und starrte trübselig vor sich hin. Es war ihm nicht gerade übel, aber Wohlbehagen war es auch nicht, was er empfand. Er hatte zuviel gegessen. Er kannte das. Immer, wenn er zuviel gegessen hatte, immer, wenn übermäßige Sattheit auf ihm lastete wie eine unerkennbare, sich nicht offenbarende Schuld, dunkelten ob seinem Haupt die schwarzen Schatten der Melancholie.

Er mußte rülpsen.

„Was bewegt Sie so?“ fragte ihn Präsident Schmidbruch teilnahmsvoll.

Pizarrini deutete auf den nassen Fleck verschütteten Weins, der inzwischen etwas kleiner geworden war, und sagte leise: „Die weißen Flecken auf dem Globus unserer Erde werden kleiner und kleiner. Bald werden sie ganz verschwunden sein. Ein paar Flecken noch im brasilianischen Urwald, ein paar in der Antarktis. In wenigen Jahren werden auch sie fein säuberlich kartographiert sein, und wir werden uns einbilden, unsere Erde nun ganz zu kennen. Aber, werden wir sie kennen, Herr Präsident, Herr Ingenieur Podesta? Glauben Sie wirklich, meine Herren, daß wir deshalb unsere Erde nun ganz kennen werden, weil auf dem lächerlichen Stück Papier, das wir Landkarte nennen, kein Fleck mehr frei sein wird, auf dem nicht irgendwelche Farben und Zeichen Gebirge, Wasser, Wüste oder ähnliches bedeuten werden? Nein, meine Herren“, er deutete abermals auf den nassen Weinfleck hin, „die weißen Flecken des Globus mögen kleiner und kleiner werden, sie mögen schließlich ganz verschwinden, aber der Wein, der verschüttet wurde, bleibt verschüttet. Daran kann kein Mensch mehr etwas ändern.“

Es war Präsident Schmidbruch und Ingenieur Podesta nicht anzumerken, welchen Eindruck die schwermütigen Betrachtungen Pizarrinis auf sie gemacht hatten. Gerade mit Teilen des Brathuhns beschäftigt, die ihre ganze und ungeteilte Aufmerksamkeit beanspruchten, waren sie außerstande, ihm zu antworten, und nickten ihm statt dessen nur einige Male ernst zu. Pizarrini, das muß zu seinem besseren Verständnis gesagt werden, hatte sich allerdings von ihnen auch gar keine Antwort erwartet. Er fühlte die eisige Luft der Einsamkeit um sich wehen und nahm ihr eifriges Nicken nur wie von ferne wahr. Was sollten die ihm auch antworten? Schmidbruch? Podesta? Wer waren diese Leute schon? Ein Präsident, ein Ingenieur, gut, aber was sollten sie in jenen Bezirken, in denen er sich jetzt befand? Überhaupt dieser Podesta. Was für einen Lärm der beim Essen machte. Und warum erzählte er immer nur von Präsident Schmidbruch? Schmidbruch, ja, Schmidbruch war Präsident der Interkontinentalen Speisewagen AG, den mußte er sich warmhalten. Aber dieser Podesta da, dieser Podesta …

Podestas Erzählung
5

Die kurze Unterredung mit Ferdinand war für Präsident Schmidbruch so aufschlußreich gewesen, daß er sich sofort nach seiner Rückkehr an ihre Auswertung machte. Er überflog noch einmal die kurzen Notizen, die er sich während des Gesprächs gemacht hatte:

a. Früher war überhaupt alles anders

b. Heute ist alles ganz anders

c. Nacktes Weib

d. Reklame

Er überlegte kurz und schrieb dann hinzu:

e. Genießer engagieren

Nach einer kurzen Weile aber strich er Punkt e wieder aus und schrieb statt dessen:

e. Podesta

Dann zog er sich aus und begab sich zur Ruhe.

Er schlief wie einer, der überzeugt ist, eine schwierige Aufgabe richtig gelöst zu haben.

(Wer war Podesta? Viele nannten ihn ein Ungeheuer, viele einen in seinem engeren Gebiet geradezu virtuosen Techniker, andere wieder hielten ihn für einen Scharlatan. Manche munkelten auch, daß er ein notorischer Säufer sei. Genaues …)

Jenes Spezialgebiet der Technik, das Podesta virtuos beherrschte, war die Elektronik und innerhalb dieser wieder der Bau von Homorobots. Roboter baute man ja schon lange. Diese Roboter, auch Maschinenroboter genannt, unterschieden sich von gewöhnlichen Maschinen lediglich dadurch, daß sie ein sogenanntes elektronisches Gehirn hatten, das es ihnen ermöglichte, größere und zum Teil sogar ziemlich komplizierte Arbeitsvorgänge ohne zusätzliche menschliche Steuerung auszuführen.

Die Homorobots nun unterschieden sich von den Maschinenrobotern lediglich durch ihre äußere Gestalt. Es waren menschengroße Puppen, die zuerst auf Betreiben des Militärs zu Versuchszwecken entwickelt worden waren, dann vom Film verwendet wurden und schließlich in großem Maß von der Vergnügungsindustrie. Es gab zum Beispiel eine große Vergnügungs-AG, die mit Homorobots riesige Gladiatorenkämpfe veranstaltete. Während man den in Serie hergestellten Homorobots ihren Puppencharakter sofort ankannte, war dies bei den von Podesta gebauten Einzelstücken sehr schwierig, ja, für Laien beinahe unmöglich.

Dieser Umstand allein hätte natürlich nicht dazu ausgereicht, Podesta für ein Ungeheuer zu halten. Den Ruf eines Ungeheuers verdankte Podesta ausschließlich der Tatsache, das heißt dem einen ganzen Komplex von Tatsachen umschließenden Umstand, daß er mit einigen der von ihm gebauten Homorobots ein Automaten-Bordell (er nannte es aus Tarnungsgründen gegenüber der von den Rechtschreibekünsten ihrer Klienten nur eine geringe Meinung habenden Gewerbebehörde: Automaten-Puffet) eröffnete, einen Selbstbedienungsladen der niederen Leidenschaften sozusagen.

Hatte nun diese Idee und ihre Verwirklichung zweifellos an sich schon etwas Ungeheuerliches und Verruchtes, so schien Podesta durch die Art, wie er sein Unternehmen rechtfertigte und verteidigte, durch die Argumente, die er dabei verwendete, noch um vieles verruchter. Kaltschnäuzig behauptete er zum Beispiel, seine Sexrobots, wie er diese spezielle Art der Homorobots nannte, gäben der Menschheit während ihrer jahrtausendealten Geschichte das erste Mal Gelegenheit zur Verwirklichung der wahren Freiheit des Individuums. Seine Sexrobots, reine Geschöpfe des Verstandes, ohne eigentliches Leben, durch spezielle Gedächtnisschaltungen jedoch geladen mit erotischen Lavamassen und so imstande, Phantasie schlagartig in greif- und fühlbare Wirklichkeit umzusetzen, seien ein eklatanter Beweis für das Primat des Geistes. Keine Religion der Erde, dies war eines seiner Hauptargumente, kenne den Begriff eines sündhaften Umganges mit Maschinen.

Seine Sexrobots erschlössen neue Wirklichkeiten, sie seien der Schnittpunkt des Menschen mit der Idee der Technik schlechthin, in ihnen transzendiere die Technik in das Menschliche, sie ermöglichten das erste Mal, der sokratischen Forderung des „Erkenne dich selbst“ im vollen Seinsumfang zu entsprechen, sie stellten die Existenz des Individuums in Frage und gäben sie ihm gerade dadurch wieder zurück, sie erhöben die Sinnlichkeit zur Seinlichkeit, triebhafte, amorphe Gelüste durch die Gedächtnisschaltung zu profiliertem, beharrendem Sein, sein Sein seien sie Seiendem und so weiter und so fort.

Dies aber war nur eine Seite der Podestaischen Rechtfertigungen. Er scheute sich nämlich nicht, die Frage der Sexrobots etwa auch im Lichte der Fremdenverkehrswirtschaft zu betrachten, und hatte sogar die Stirn, in einem öffentlichen Brief ihre Umwandlung in ein Staatsmonopol zu beantragen.

Ebensowenig scheute er sich natürlich, für sein Unternehmen regelrechte Reklame zu betreiben, die zur Hauptsache auf die Billigkeit und Harmlosigkeit seiner Sexrobots hinwies.

Aber es sollte nicht lange dauern, und die zunächst schockierte Öffentlichkeit holte zu vernichtenden Gegenschlägen aus, die schließlich zur polizeilichen Schließung des Unternehmens führten. Es war das Präsidium des Verbandes bodenständiger Bordellbesitzer, das in einer aufrührenden Resolution zuerst flammenden Protest gegen das Bestehen des Podestaischen Automaten-Puffets einlegte.

In der Resolution wurden die Sexrobots als grober Betrug am gesunden Volksempfinden, als eine unabsehbare Gefährdung der Volksgesundheit und damit als verfassungswidrig bezeichnet und ihre vollständige Vernichtung gefordert.

Natürlich fehlte es nicht an Stimmen, die hämisch die moralische Entrüstung, die aus jedem Wort dieser Resolution sprach, als puren Geschäftsneid in den Dreck zu ziehen versuchten, aber sie verstummten, als bald darauf der Verband abendländischer Militärtechniker in einer kurzen Veröffentlichung lakonisch mitteilte, daß Podesta wegen unehrenhafter Erfindungen aus dem Verband ausgeschlossen worden sei. Ein hervorragendes Mitglied des Verbandes führte dazu im Rahmen einer allgemeinen Pressekonferenz erläuternd aus, daß die modernen Kriegsmethoden zwar durchaus Möglichkeiten für den Einsatz von Sexrobots böten, und zwar nicht nur im verhältnismäßig begrenzten Gebiet des Nachrichtendienstes; daß aber ihre Art zu funktionieren im Gegensatz zu den herkömmlichen Waffen wie Atombomben, Gasgranaten et cetera den fundamentalsten Begriffen der Menschlichkeit und Fairness widerspräche und daher ein internationales Verbot zu erwirken sei, das ihre Anwendung strengstens untersage.

Der Verband kommunistischer Militärtechniker schloß sich dieser Forderung sofort an und führte dazu in einem längeren Artikel seines Zentralorgans „Für Frieden und Freiheit“ aus, die Sexrobots des Scheusals Podesta, ursprünglich dazu bestimmt, die Werktätigen von ihren wahren Interessen abzulenken, hätten sich, zurückprallend von der geschlossenen Front aller wahrhaft fortschrittlich denkenden Menschen, in einen Bumerang verwandelt, der nun seine Urheber, die in den kapitalistischen Sümpfen hausenden Verbrecher, Banditen, Blutsauger und Ohrenschmalzfresser, selbst bedrohe. Deshalb fordere man auf kapitalistischer Seite dieses Verbot.

Eine Forderung, der man sich anschließe, nicht weil man von Sexrobots etwas zu befürchten hätte, sondern weil man im Gegensatz zur Dekadenz der verfallenen und verkommenen kapitalistischen Welt den Mut habe, eine Sache auch dann zu verbieten, wenn sie einem nicht schaden könne.

Und nun erfolgten in nicht abreißender Reihenfolge Proteste auf Proteste. Jeder Protest von rechts löste einen solchen von links aus und umgekehrt, und die Eintracht, mit der Podestas Sexrobots abgelehnt wurden, hätte durchaus echt gewirkt, hätten nicht gewisse Erscheinungen am Rande des Geschehens unübersehbar davor gewarnt, sie tatsächlich für echt zu halten. Erscheinungen, die bald erkennen ließen, daß diese sogenannte Einheit der Aktion, wie ein diesbezüglicher Leitartikel einer parteilosen Kulturzeitung betitelt war, lediglich in dem kümmerlichen Feuerchen bestand, auf dem alle ihr Süppchen kochen wollten. Was Wunder, daß es dabei ausging.

Nachdem ein antiklerikales Winkelblättchen in einer groß aufgemachten Sondernummer sich zu der Behauptung verstiegen hatte, Podesta sei ein jüdischjesuitischer Freimaurer, der mit Hilfe seiner bolschewistischen Helfershelfer im Auftrage Wallstreets die gesunden, nationalen Kräfte …, nachdem dies geschehen war, griff die Staatsanwaltschaft endlich ein.

Zu ihrer Ehre muß festgestellt werden, daß sie zuerst jene Sondernummer beschlagnahmte und dann erst an die Beschlagnahme und Schließung des Podestaischen Automaten-Puffets schritt. Zum Glück fand sich ein alter Paragraph, der es gestattete, Podesta den Prozess zu machen und sein Eigentum für verfallen zu erklären. Denn es wäre nicht auszudenken gewesen, was passiert wäre, hätte die Rechtslage eine Entschädigung Podestas für die unumgänglich notwendig gewordene Enteignung seines Besitzes erfordert. Eine Revolution oder gar ein Niedergang der allgemeinen Steuermoral wäre die ebenso unausbleibliche wie katastrophale Folge gewesen.

Dank dieses alten Paragraphen jedoch ging noch einmal alles gut. Podestas Etablissement wurde geschlossen, seine Sexrobots wurden zu Gladiatoren umgebaut, und er selbst bekam eine mehrjährige Gefängnisstrafe aufgebrummt.

Als etwas Gras über die Sache gewachsen war, ließ man ihn wieder laufen.

Podesta war in der Haft scheinbar in sich gegangen. Er schwor dem weiteren Bau von Sexrobots feierlich ab und bekam durch die Vermittlung des Gefängnisgeistlichen eine Kassierstelle bei der Caritas. Leider jedoch fing er, nachdem er sich anfangs sehr gut geführt hatte, bald zu saufen an. In der Folge kamen einige kleine Unterschlagungen vor, die man ihm zwar nicht einwandfrei nachweisen konnte, und er wurde entlassen. In der nun folgenden Zeit ging es ihm schlecht. Er sah sich einem allgemeinen Boykott ausgesetzt und fristete sein Leben dadurch, daß er für vermögende Privatpersonen Sexrobots baute.

Die Polizei wußte zwar davon, doch lag ein geheimer Regierungsbeschluß vor, der sie am Eingreifen hinderte. Man hatte höheren Orts genug von Podesta. Außerdem standen Wahlen bevor.

Dies war die Lage Podestas, als ihm von Präsident Schmidbruch der Auftrag erteilt wurde, einen Homorobot zu bauen, der folgenden Bedingungen entsprechen müsse:

1. Er darf nicht als Robot zu erkennen sein.

2. Er muß essen und zahlen und auch eine gewisse Konversation führen können.

3. Podesta verpflichtet sich, gleichgültig ob er den Auftrag ausführt oder nicht, zu strengstem Stillschweigen.

Schmidbruch stellte ihm eine größere Summe zur Verfügung, und Podesta machte sich sofort an die Arbeit.