Kitabı oku: «Das Ministerium für Sprichwörter», sayfa 6

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9. Kapitel

„Entschuldigen Sie, wenn ich Ingenieur Podesta unterbreche, aber ich glaube, ich bin Ihnen hier eine Erklärung schuldig.“

Schmidbruch, der Podesta während der letzten Sätze zu verstehen gegeben hatte, daß er nicht mehr weiterwußte, wandte sich mit diesen Worten an Pizarrini und fuhr, ohne dessen Antwort abzuwarten, sogleich fort.

„Junger Mann“, er blickte Pizarrini ernst an, „junger Mann, glauben Sie nicht, daß ich mir nicht vorstellen kann, wie es jetzt nach diesen schrecklichen Enthüllungen in Ihnen ausschaut, in welch innerer Zerrüttung Sie sich jetzt befinden. Ihre Ideale haben unter diesem sich selbst am wenigsten schonenden Bericht meines verehrten Mitarbeiters schwer gelitten. Ich sehe es Ihnen an, was im Laufe weniger Minuten da in Ihnen zerstört worden ist. Nein, nein, unterbrechen Sie mich nicht; ich weiß, was Sie mich fragen wollen. Sie wollen mich fragen, wieso ich, Präsident Schmidbruch, einen Podesta als Mitarbeiter haben kann, wie ich von einem Podesta als ‚meinem verehrten Mitarbeiter‘ reden könne.“

Podesta warf ihm einen äußerst giftigen Blick zu, aber Schmidbruch ließ sich nicht stören.

„Sehen Sie, junger Mann“, begann er von neuem, „wenn man jung ist, versteht man manches nicht, aber seien Sie getrost, ich will es Ihnen erklären. Es ist die grandiose Schonungslosigkeit, mit der Ingenieur Podesta Ihnen, dessen Mitarbeit ich gewinnen möchte“, er machte eine kleine Pause, während welcher Pizarrini Zeit hatte, sich von Hoffnungen und Spekulationen freudig durchbohren zu lassen, „diese grandiose Schonungslosigkeit, mit der er Ihnen, einem an sich völlig fremden Menschen, seine schändliche Vergangenheit enthüllt hat. Sehen Sie, ein Mann, der im Interesse seines Chefs, im Interesse seiner Arbeit sich selbst so wenig schont, wie Ingenieur Podesta dies eben bewiesen hat, so ein Mann verdient Achtung, verdient sie selbst dann, wenn sein Vorleben, seine Vergangenheit mitunter recht schändlich verlaufen ist. In diesem Sinn, mein lieber junger Mann, fordere ich Sie auf, erheben Sie Ihr Glas und trinken Sie mit mir auf das Wohl unseres verehrten, jawohl, unseres verehrten Mitarbeiters, Ingenieur Podesta.“

Sie erhoben ihre Gläser und wollten Podesta zutrinken, als Schmidbruch bemerkte, daß Pizarrinis Glas leer war. Er wollte ihm nachschenken und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß auch die Flasche leer war. „Herr Ober“, rief er mit keineswegs lauter, aber doch unüberhörbarer Präsidentenstimme, „Herr Ober, noch eine Flasche!“ Der Kellner eilte diensteifrig mit einer neuen Flasche herbei und schenkte ihnen nach. Pizarrini überlegte krampfhaft, daß er jetzt eigentlich irgend etwas Imponierendes tun sollte, aber es fiel ihm nichts ein.

Sie standen nun schon eine ganze Weile so da: mit erhobenen Gläsern und starrten auf den wie zum Sprechen leicht geöffneten Mund Pizarrinis. Endlich schien ihm etwas einzufallen. Er räusperte sich und sagte steif und würdevoll: „Auf Ihr Wohl, Herr Ingenieur, und auf Ihre grandiose Schonungslosigkeit!“

„Ex!“ befahl der Präsident und stürzte sein Glas eilends hinunter. Die beiden anderen taten es ihm gleich. Podesta schneuzte sich vor Rührung so laut, daß zwei ältere Damen an einem der Nebentische sträfliche Blicke zu ihnen herüberwarfen.

Rauchschwaden zogen wie Wolken ob ihren Häuptern dahin, die Billardkugeln klackten aneinander, und die Männer des Fußballvereins im Extrazimmer schrien dreimal: Hipp, hipp, hurra! Offenbar war die Sitzung beendet. Nur der weiße Hirsch oberhalb der Eingangstür blieb ruhig und blickte gelassen in die Rauchschwaden. Was konnte ihm auch schon passieren? Seinen Brüdern im Wald ging es da bedeutend schlechter, die durften geschossen werden. Aber er, er war ein geschnitzter Hirsch, ein Kunstwerk sozusagen, er durfte nicht geschossen werden. Er wußte das. Er hatte oft den Wirt mit den Leuten am Stammtisch darüber reden gehört. Es existierte da irgendeine Vereinbarung des Kulturministeriums mit dem Jagdministerium, daß Kunstwerke nicht geschossen werden dürfen. Er konnte es sich leisten, inmitten des Trubels einer gefüllten Gaststube ruhig zu bleiben und den Rauchschwaden nachzusinnen, die sich entlang des Plafonds zum Ventilator hinschlängelten.

Pizarrini hatte es da viel schwerer. Er hatte zwar gerade ein Hoch auf Podesta ausgebracht, aber er war doch ein viel zu gewissenhafter Mensch, als daß er die unmoralische Vergangenheit Podestas so ohne weiteres verwinden hätte können. Er konnte das von Schmidbruch nicht recht verstehen.

Endlich jedoch tröstete er sich mit dem Gedanken, daß große Männer bei der Wahl ihrer Mitarbeiter eben in erster Linie deren fachliche Qualitäten berücksichtigen müssen. Freilich, darunter muß die Moral oft leiden, aber das schien eben unvermeidbar zu sein. Er blinzelte zu Schmidbruch hin und dachte sich, mit mir jedenfalls trifft er es gut, bei mir ist beides in Ordnung, die Moral und die Qualität; das kommt, überlegte er weiter, weil ich als Buchhalter grundsätzlich für Ordnung bin.

„Herr Präsident“, sagte er unvermittelt zu Schmidbruch, so daß dieser fast erschrak, „Herr Präsident, ich bin in Ordnung. Auf meine Mitarbeit!“ „Ex!“ befahl Präsident Schmidbruch und stürzte eilends sein Glas hinunter. Seine Mitarbeiter taten es ihm gleich.

Podestas Erzählung
6

Man fand sich ein. Präsident Schmidbruch hatte zu einer Party geladen. Man fand sich im blauen Saal des Hotels „Drei Eichen“ ein. Keine Party übrigens, der ein außergewöhnlicher Anlaß zugrunde gelegen wäre, nein, lediglich eine der jährlich mehrmals stattfindenden Routine-Partys des Präsidenten. Eine Versöhnungsparty sozusagen, wie die Direktoren Dollmer und Sibers es genauer wußten. Man fand sich ein und wurde im großen Gang vor dem blauen Saal von zwei befrackten Kellnern um die Garderobe gebeten. Dann wurde man am Saaleingang von des Präsidenten Gattin, Alma der Alten, und des Präsidenten Tochter, Alma der Jungen, begrüßt. Der Präsident, hieß es, könne erst etwas später kommen, man möge sich jedoch inzwischen ungeniert umtun und sich um Himmels willen durch die Abwesenheit des Präsidenten nicht beirren lassen, die Party sei so gut wie eröffnet, es sei ausdrücklicher Wunsch des Präsidenten, daß nicht auf ihn gewartet werde.

„Ein prachtvolles Kleid!“ sagte Dollmer und starrte Alma die Junge an, als trüge sie überhaupt keines. Seine Blicke schweiften begehrlich über ihre nackten Arme, saugten sich an dem weiten Brustausschnitt fest und fielen dann jäh auf die hinter dem enganliegenden Rock sich wölbenden Schenkel hinab, fielen noch tiefer auf die großen, in hohe Stöckelschuhe gepreßten Füße hinab.

„Ein prachtvolles Kleid!“ wiederholte er.

„Gefällt es Ihnen, Dolli?“

Alma die Junge warf ihren Kopf zurück und hob ihre Arme in einer mannequinhaften Geste.

„Gefallen? Gnädiges Fräulein, es begeistert mich!“

Er fletschte seine Zähne: „Am liebsten würde ich es selbst haben.“

„Sie, dieses Kleid?“

Sie begann leise zu lachen, er war einen Kopf kleiner als sie, und sie sah beim Sprechen auf ihn hinunter.

„Dolli, darin würden Sie ja verschwinden.“

„Sie wissen, was ich meine, Alma.“

Eine Kapelle hatte zu spielen begonnen, und man fing zu tanzen an.

„Wollen wir auch?“

„Gerne, Dolli.“

Sie hielten sich eng umschlungen und schmiegten sich aneinander. Sie spürte seinen Körper. Seit langem schon wußte sie, daß er sie wollte. Er war ihr nicht unangenehm. Sie sah gerne sein kraftvolles Bulldoggengesicht an und schätzte seine knurrende Zurückhaltung. Sie kannte seine Zähigkeit und wußte, daß sie ihm nicht entgehen würde. Wozu sich wehren, dachte sie. Sie streifte seine Wange mit ihrem nackten Oberarm und sagte: „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Dolli.“

In Dollmer erwachte das Inferno seiner in langen Bürostunden zurückgestauten Leidenschaften. Er schnupperte und schnaubte in ihre Achselhöhle hinein, daß sie zusammenzuckte und sich auf die Lippen beißen mußte, um nicht aufzukreischen.

„Dolli, Dolli“, flüsterte sie.

„Alma, wir geben heute noch unsere Verlobung bekannt.“

Alma die Alte beobachtete sie mit zärtlichen Blicken und seufzte leise.

Als bald nachher Präsident Schmidbruch den Saal betrat, flüsterte sie ihm etwas ins Ohr. Präsident Schmidbruch nickte zweimal mit dem Kopf und ließ sich einen Cognac reichen.

Direktor Sibers war wahrscheinlich der einzige, dem bei dieser Party nicht recht wohl zumute war. Er wußte natürlich, daß Schmidbruch durch Einladung zu derlei Partys seine gelegentlichen Zornesausbrüche auszugleichen pflegte. Aber es wollte ihm trotzdem nicht aus dem Kopf, daß Schmidbruch ihm den Vorwurf des Kommunismus gemacht hatte. Sollte da wirklich nicht mehr dahinterstecken als ein normaler Schmidbruchscher Zornanfall? In solche Gedanken versunken saß er in einer Ecke des Saales und starrte vor sich hin. Als ihm Schmidbruch, der sich ihm von hinten genähert hatte, leicht auf die Schultern klopfte, erschrak er. Er drehte sich hastig um und streifte dabei sein Glas vom Tisch.

„Habe ich Sie so erschreckt?“ fragte ihn Schmidbruch. Sibers schien, als ob er dabei sarkastisch lächelte, und in einem plötzlich aufsteigenden Gefühl, das zwischen Wut und Angst schwankte, beschloß er, ohne lange Umschweife, die Sache jetzt und hier zu erledigen.

„Ja“, sagte er, „Sie haben mich erschreckt, Herr Präsident.“

„Ja, oh, das tut mir aber leid. Ich habe Ihnen doch wirklich nur ganz leicht auf die Schultern geklopft.“

„Nicht jetzt, jetzt haben Sie mich nicht erschreckt.“

„Ja, wann denn dann? Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Sie haben mich erschreckt, als Sie unsere letzte Umsatzbesprechung damit beendeten, daß Sie Direktor Dollmer und mir den Vorwurf des Kommunismus machten.“

„Ich hätte das getan?“ Schmidbruch grinste. „Das müssen Sie geträumt haben, mein Bester.“

„Ich kann nicht glauben, daß Direktor Dollmer zufällig den gleichen Traum gehabt hat.“

„Zufälle haben immer etwas Unglaubliches an sich. Übrigens glaube ich, Dollmer hat jetzt ganz andere Sorgen. Schauen Sie, da kommt er gerade mit meiner Tochter.“

„Paa“, sagte Alma etwas atemlos, „Paa, wir haben uns verlobt.“

„Was habe ich Ihnen gesagt, lieber Sibers?“ Schmidbruch wandte sich an Dollmer: „Sibers hat mir eben erzählt, ihr habt beide davon geträumt, daß ich euch Kommunisten geschimpft hätte.“

„Pfui, wie garstig!“ rief Alma.

„Gnädiges Fräulein“, lenkte Sibers ab, „es ist mir eine Ehre, Ihnen als erster zu Ihrer Verlobung gratulieren zu dürfen. Verehrter Kollege Dollmer, ich gratuliere. Auch Sie, Herr Präsident, darf ich bitten, meine ergebensten Glückwünsche entgegennehmen zu wollen.“

Man dankte ihm in bewegenden Worten, während welcher sich Sibers leise und diskret zurückzog.

Mißtrauen nagte an seinem Herzen: Zuerst schimpfte Präsident Schmidbruch Dollmer einen Kommunisten, dann verlobte er ihm seine einzige Tochter. Direktor Sibers schüttelte sein ergrautes Haar. „Oh, Abendland“, seufzte er vor sich hin, „was für Menschen dirigieren deine Speisewaggons.“

10. Kapitel

Bis hierher wußte Pizarrini genau, was er tat oder nicht tat, sagte oder nicht sagte, und wußte genau, was um ihn herum vorging, wußte auch, daß er berauscht war. Doch er hatte sich, trotz seines Rausches, ständig unter Kontrolle.

Nun aber geschah das Verhängnisvolle, daß Schmidbruch bei dem immer diensteifriger werdenden Kellner zum Nachtisch Käse bestellte.

Diese Schmidbruchsche Käsebestellung wäre an sich nicht schlimm gewesen, hätte sie nicht Podesta ebenfalls zu einer Bestellung angeregt. Und Podesta bestellte weder Käse noch sonst etwas Eßbares, er bestellte eine Flasche echten holländischen Genevers.

„Eine gute Idee!“ lobte Schmidbruch seine Bestellung.

„So jung kommen wir nicht mehr zusammen“, antwortete Podesta und dachte mit Wohlbehagen an die gefüllte Brieftasche Pizarrinis.

Der Kellner brachte drei Portionen Bel Paese.

Pizarrini kostete davon und nickte Schmidbruch und Podesta anerkennend zu. Und von Käse verstand Pizarrini etwas. Daß er jeden Tag Punkt zehn Uhr vormittags eine Käsesemmel als Jause verzehrte, hatte schließlich seinen Grund. Mochten die anderen Angestellten des Geschäftes sich ruhig über diese Angewohnheit, die er wie alles, was er unternahm, mit Akkuratesse einhielt, lustig machen. Nur einem Buchhalter, meinten sie diese, diese Ladenschwengel, auf die er mit Verachtung herabsah, nur einem Buchhalter könne es nicht zu fad werden, jeden Tag Punkt zehn Uhr eine Käsesemmel zu verzehren.

„Das ist Charaktersache“, pflegte er derartige Anzüglichkeiten kurz und bissig abzutun. Er hätte diese Pflanzereien übrigens leicht ein für alle Mal abstellen können. Er hätte ihnen nur zu sagen brauchen, daß er jeden Tag eine andere Käsesorte esse, und es wäre ihnen vermutlich vor solcher Vielfalt der Mut zu weiterem Spott vergangen. Aber wozu das? Die Auswahl seiner täglichen Käsejause war schließlieh seine Privatsache, und er fühlte sich niemand darüber Rechenschaft schuldig. Er betrachtete diesen Umstand gewissermaßen als eine Art persönlichen Geheimnisses, von dem außer ihm nur noch die Inhaberin jenes Käsespezialgeschäftes wußte, in dem er sich täglich seine Käsesemmel persönlich zu holen pflegte.

Frau Bütschli, die Inhaberin dieses Käsespezialgeschäftes, war Schweizerin. Sie lebte jedoch schon lange, lange Jahre hier und führte das Geschäft ihres an einer Wurstvergiftung, die er sich in einer schwachen Stunde zugezogen hatte, früh verstorbenen Mannes zur größten Zufriedenheit ihrer p.t. Kundschaft weiter.

Frau Bütschli verstand etwas von Käse. Sie führte in ihrem kleinen Geschäft über dreihundert verschiedene Sorten und konnte über hundert Sorten allein durch bloßes Daran-Riechen erkennen.

Sie behandelte alle Kunden gleich. Pizarrini jedoch, den sie schon von Kindheit an kannte, liebte sie mit der ganzen Gutmütigkeit ihres bescheidenen Wesens. Der Grund hierfür mochte wohl der sein, daß Pizarrini schon als Schulbub alle ihre übrigen Kunden weit an Käsekenntnis überragte und eigentlich seit dem Tod ihres Mannes der einzige Mensch war, mit dem sie sich über Käse richtig unterhalten konnte. Sie hatte sogar einen Kosenamen für ihn und nannte ihn, wenn er allein im Geschäft war: „Chäsy“.

„Chommen Sie, Chäsy, heute habe ich etwas für Sie!“ pflegte sie manchmal zu sagen und steckte ihm schnell ein paar Quargel oder einen besonders würzigen Romadur in die Tasche. Ach ja, von Käse verstand er etwas. Anders war es mit dem Genever, an den mußte er sich erst gewöhnen.

Podesta behauptete, daß er gut sei, und Schmidbruch pflichtete ihm bei. Was blieb ihm da schon anderes übrig, als ihn ebenfalls zu loben. Er roch daran und sagte: „Wirklich vortrefflich!“

„Trinken Sie, trinken Sie, so können Sie noch gar nichts sagen.“

Was blieb ihm anderes übrig, er nahm sein Glas und trank es aus. Als er es wieder vor sich hinstellte, wußte er genau, daß er die Grenzen seiner Selbstkontrolle damit endgültig überschritten hatte. Das einzige, was er in jene unbekannten Räume, in die er nunmehr hineintorkelte, mitnahm, war eine Art innerer Befehl, sich aufrecht zu halten, sich aufmerksam zu stellen und sich so wenig als möglich von seinem wahren Zustand anmerken zu lassen. Ach, er wußte genau, was Podesta alles erzählte, er verstand jedes Wort, aber er war total unfähig geworden, sich mit Podesta oder Schmidbruch darüber in ein Gespräch einzulassen. Er registrierte gleichsam nur, was Podesta da alles zu erzählen wußte, und schrieb auf einen Bogen Packpapier: Zurückkommend auf Ihr wertes Angebot …

Von fern her hörte er, wie Schmidbruch zu Podesta sagte: „Ein Hochzeitsessen!“, und jener merkwürdigerweise antwortete: „Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.“

Dann gratulierte ihm Frau Bütschli zu seiner Ernennung zum Oberbuchhalter bei der ISAG, sie erzählte ihm auch von einer neuen Chäsesorte, er hörte ihr aufmerksam zu und sagte mehrmals: „Interessant, interessant …“

Podestas Erzählung
7

„Schweinefraß!“

„Haha, das würde unseren Geldscheißer wenig freuen.“

„Nicht zum Fressen.“

„Spaß muß sein.“

„Schweinefraß!“

Zischelnd flogen die Worte hin und her. Flogen wie Weberschiffchen hin und her, die in ein schwarzes Tuch gelbgrüne Nesselfäden schossen. „Fressen kannst du ja schon, jetzt mußt du nur noch anständig reden lernen.“

„Schweinefraß!“

„Halts Maul!“

Podesta hatte mit seiner rechten Hand eine schnelle Bewegung am Rücken der vor ihm an einem vollgedeckten Tisch sitzenden Frau gemacht. Eine Bewegung, als drücke er auf einen Knopf. Und als hätte er wirklich auf einen Knopf gedrückt, mit dem er ihr Mundwerk abschalten konnte, so plötzlich schwieg sie nun.

Podesta, beide Hände in die Tasche seines schmutzigweißen Arbeitsmantels gesteckt, blieb unbeweglich hinter ihr stehen und beobachtete sie mit einem Ausdruck von Selbstzufriedenheit und Erwartung in seinem feisten, schlecht rasierten Gesicht. Er schickte einen triumphierenden Blick in die Runde, als hätte er Reihen voll unsichtbarer, ihn bewundernder Zuschauer vor sich und nicht ein mit allerlei altmodischem Mobiliar vollgestopftes Zimmer. Sein Blick blieb an dem hellbraunen Pianino, das rechts neben ihm an der Wand stand, haften. Er überlegte kurz und ging dann mit schnellen Schritten darauf zu, setzte sich nieder, klappte mit einer großen Geste den Deckel auf und spielte den Enthusiastenmarsch. Sie aber schien sich um ihn überhaupt nicht zu kümmern. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich ganz auf den Tisch mit den vor ihr stehenden Speisen zugewandt. Mit großem Vergnügen hob sie ein Bratenstück nach dem anderen auf ihren Teller, zerlegte es mit liebevoller Umständlichkeit und aß es auf. Podesta hatte zu spielen aufgehört. Er hatte sich herumgedreht und sah ihr zu. Je länger er ihr so beim Essen zuschaute, um so mehr bekam er Lust, selbst auch etwas zu essen.

„Zuschauen ist zuwenig“, murmelte er vor sich hin und holte sich von ihrem Tablett ein Bratenstück herunter, das er auf einmal in seinen Mund stopfte und kauend und schmatzend verschlang.

„Gut“, sagte er, nahm eine spanische Wand, stellte sie vor die Essende und ging hinaus.

Im Vorzimmer, in dem außer einem Kleiderständer und einem Spiegel keinerlei Einrichtung war, nahm er von dem Kleiderständer einen Hut und eine Aktentasche und wollte sich gerade vor dem Spiegel sein schwarzglänzendes Haar richten, als es klingelte. Betroffen hielt er inne. Dann steckte er seinen Kamm ein, hing Hut und Aktentasche wieder an den Kleiderständer und eilte das lange, schmale Vorzimmer hinauf zur Wohnungstür hin. Auf halbem Weg jedoch kehrte er wieder um, hastete zurück und schloß die Tür, die in das Zimmer mit der Essenden führte. Er sperrte sie zu und vergewisserte sich durch zweimaliges Hin- und Herdrehen des Schlüssels, ob er auch wirklich zugesperrt habe, und eilte zur Wohnungstür hin. Auf halbem Wege kehrte er noch einmal um, zog den Zimmerschlüssel ab und steckte ihn in seine hintere Hosentasche. Es klingelte zum zweiten Mal.

„Komme gleich!“ schrie er und hastete nun schon das dritte Mal das lange, schmale Vorzimmer hinauf zur Wohnungstür hin, die er diesmal endlich erreichte. Etwas atemlos geworden, öffnete er sie. Vor ihm stand ein Briefträger, ein großer, magerer Mann in einer blauen Uniform mit roten, goldbesternten Kragenaufschlägen.

„Habe die Ehre!“ schrie ihn der Briefträger an, starrte ihm auf den Mund und wackelte mit den Ohren; er war nämlich schwerhörig.

„Ah, die Post“, sagte Podesta und spürte eine gewisse Erleichterung. Er hatte dieses „Ah, die Post“ mehr zu sich selbst als zu dem Briefträger gesagt, der jedoch, gewohnt, den Leuten auf den Mund zu schauen und alles auf sich zu beziehen, fühlte sich zu einem längeren Gespräch eingeladen und schrie: „Jawohl, die Post!“ Dann kramte er einen Brief aus seiner schwarzen Ledertasche hervor, hielt ihn Podesta hin und sagte abermals sehr, sehr laut: „Einen rekommandierten Brief für Herrn Ingenieur Podesta, Isidor Podesta, Ingenieur Isidor Podesta hätte ich da.“

Podesta streckte die Hand danach aus.

„Sind Sie das?“ schrie ihn der Briefträger an.

„Ja!“ schrie Podesta zurück.

„Sie sprechen aber gut Deutsch!“

„Warum auch nicht?“

„Na ja, Podesta ist doch ein italienischer Name.“

„Wenn schon, vielleicht könnte ich deshalb trotzdem von hier sein, und überhaupt, was geht denn das Sie an?“

„Nichts, ich frage nur.“

„Geben Sie mir lieber den Brief!“

Der Briefträger gab ihm den Brief und ließ sich den Empfang bestätigen. Als Podesta unterschrieben hatte, schrie er ihn wieder an: „Sie wohnen aber noch nicht lange hier?“

„Nein.“

„Wo haben Sie denn früher gewohnt?“

„In Neuburg.“

„In Neuburg. Neuburg kenne ich. Eine Schwester von der Mutter meiner Frau lebt dort. Voriges Jahr haben wir sie besucht. Sie hat eine schöne Pension. Aber sie ist nicht recht gesund. Die Galle. Ihr Mann war bei der Bahn. Nächstes Jahr wollen wir sie wieder besuchen.“

„Hier!“

Podesta gab ihm den Bogen Papier, auf dem er den Briefempfang bestätigt hatte, wieder zurück. „Vielleicht kennen Sie die Tante. Wanek heißt sie. Bundesbahninspektorswitwe Wanek. Sie hat eine …“

„Nein, ich kenne sie nicht. Auf Wiedersehen!“

Die Tür fiel krachend ins Schloß.

Der Briefträger zuckte die Achseln und stapfte die Treppen wieder hinunter. Ein eingebildetes Ekel, dachte er sich, ein arroganter Esel, dieser Ingenieur Podesta oder Podzeba oder wie immer der heißt. Wie unhöflich der ihm antwortete, als er ihm das Kompliment gemacht hatte, daß er gut Deutsch spreche. Dabei war es ja das Fräulein Holzer gewesen, das gesagt hatte, daß das ein italienischer Name sei. Der hat sicher nie in Neuburg gewohnt, sonst müßte er ja die Wanek kennen. Wer weiß, wo der her ist?

„Wer weiß, wo der her ist?“ murmelte er vor sich hin und blieb mit mißbilligendem Kopfschütteln vor dem schmutzigen Stiegenfenster im ersten Stock stehen. Er beobachtete ein paar Sekunden lang eine etwa erbsengroße Spinne, die in einer Nische unter dem Fensterbrett gerade dabei war, eine dicke Fliege einzuwickeln, und ging dann wieder weiter.

Der bildet sich wohl ein, dachte er sich, unsereins ist ein Bedienter. Aber da täuscht er sich. Vielleicht ergibt sich noch einmal die Gelegenheit, daß ich diesem sauberen Herrn meine Meinung sage, wer weiß, wer weiß, so ein ausgefressenes Ekel, so ein … Nun war es die Haustür, die mit lautem Krach zuflog.

Das Stiegenhaus war wieder leer. Aus einer der beiden Parterrewohnungen hörte man jetzt eine Frauenstimme singen. Hätte der Briefträger etwas besänftigter das Haus verlassen, hätte er sie vielleicht auch noch gehört. Aber er hörte sie nicht mehr. Er ging jetzt gerade in ein anderes, auf der gegenüberliegenden Seite der breiten, nur von wenigen Häusern gesäumten Vorstadtstraße gelegenes Haus. Er schimpfte immer noch leise vor sich hin.

Podesta, die Ursache seines Ärgers, hörte die Frauenstimme natürlich auch nicht. Denn abgesehen davon, daß er im vierten Stock wohnte, befand er sich in einem seltsam erregten Zustand, in dem er nur sich selbst zu hören vermochte. Den eben erst bekommenen Brief krampfhaft in der rechten Hand haltend, tanzte er in dem langen Vorzimmer auf und ab und schrie dabei und sang dabei: „Es macht sich, es macht sich, es macht sich, trala, es …“

Dann sperrte er die vorhin so sorgsam verschlossene Tür wieder auf, tanzte mit dem emporgehobenen Brief singend und schreiend in das Zimmer hinein, schob den Paravent beiseite und hieb der unentwegt noch immer mit gleichem Genuß Essenden vor Freude auf den Rücken, daß es knackste.

„Schweinefraß!“

„Jetzt werden wir Vokabeln lernen.“

„Nicht zum Fressen!“

„Der Präsident hat uns geschrieben.“

„Schweinefraß!“

„Es macht sich, es macht sich, es macht sich, trala!“

„Schweinefraß!“

„Halts Maul!“

Wieder machte Podesta die blitzschnelle Bewegung an ihrem Rücken, wieder schwieg sie ruckartig, als wäre ihr Mundwerk abgeschaltet worden. Eine zweite Bewegung ihrer Seite entlang, und sie hörte zu essen auf. Podesta öffnete nun ihre Vorderseite, nahm alles heraus, was sie soeben mit großem Appetit gegessen hatte, und stellte es in den Kühlschrank. Dann schraubte er sie vollständig auseinander, schob das Pianino zur Seite und verstaute sie in einem hinter dem Pianino in die Wand eingelassenen Safe.