Kitabı oku: «Moloch Unsterblich», sayfa 2

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„Macht nichts.“ Laura winkte ab. Nach Friedis Schmutzpfoten machte das auch keinen Unterschied mehr. Sie wohnte in der Wohnung, es war keine Möbelausstellung. „Was hat dein Freund getan? Gib mir wenigstens einen Hinweis. Handelt es sich um etwas Kriminelles? Eine Straftat?“

Der Junge nickte unmerklich, sah zu Boden und hielt sich die Hand vors Gesicht.

„Jetzt sag schon. Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dich verpetze. Ich bin Detektivin, da ist Diskretion nicht nur Ehrensache, sondern gehört zu meinem Job.“

„Detektivin?“ Er sah hoch. Zum ersten Mal zeigte er Interesse an ihrer Person. „Das hätte ich nicht gedacht.“

„Warum? Weil ich eine Frau bin? Wir haben auch unsere Methoden.“ Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Los, was ist passiert?“

„Ach, vielleicht war es ja gar nicht so schlimm. Ich hatte ja echt einiges geraucht. Da kann man sich schon mal Sachen einbilden.“

„Los jetzt!“ Lauras Ton wurde unbarmherzig.

„Also, wir waren bei meinem Kumpel. Er ist kein richtiger Freund. Ich kann ihn eigentlich nicht ab. Ein Lauch. Total toxic. Aber meine Bros und ich hängen zusammen mit ihm ab. Er hat ein cooles Haus. Mit Pool. Und gut gefüllter Bar. X verschiedene Ginsorten und son Zeug. Und seine Eltern sind fast nie zu Hause. Aber er baut ständig irgendeinen kranken Scheiß. So richtig. Als wäre er nicht ganz sauber im Kopf. Vielleicht kifft er einfach zu viel. Ich versuche, mich immer da rauszuhalten. Geht mich ja auch nichts an, was er macht. Aber gestern Abend ...“ Er stockte, schluckte hart und presste die Lippen aufeinander.

Laura sah ihn unverwandt an.

„Also gestern hatten wir ziemlich viel getrunken. Und noch mehr geraucht. Und er hat einen Dackel. So einen wie den hier.“ Er streichelte sanft über Friedis Rücken. „Er hat den Hund den ganzen Abend geärgert. Und wir haben gelacht. Dabei war es nicht lustig. Überhaupt nicht. Ich mag Hunde. Und ich habe auch gelacht. Obwohl ich es gar nicht wollte. Aber wenn man zu viel Gras geraucht hat, lacht man über alles.“ Wieder rollten die Tränen.

Laura räusperte sich. „Ich verstehe. Und dann hat er dem Hund etwas Schlimmes angetan. Richtig?“

„Ja.“ Der Junge nickte. „Er hat eine Weinflasche genommen ... und ... und ... sie kaputt geschlagen ... der Hund hat so geschrien ...“ Weiter kam er nicht, da er heftig würgen musste.

Laura sprang auf, rannte in die Küche und kam mit einer Teigschüssel zurück.

Doch der Junge winkte ab. „Geht schon wieder.“ Aber er sah käsebleich aus.

„Ok, ich glaube, ich habe verstanden, was passiert ist.“ Laura war es auch ganz schlecht. Am liebsten hätte sie mit ihm geweint. Geweint um diese unschuldige, vertrauensvolle Kreatur, die zum Zeitvertreib von einem sadistischen Arschloch gequält worden war. In ihrem Beruf hatte sie viel zu sehen bekommen und war sogar selbst in die Hände eines Monsters geraten, das sie gefoltert hatte, nur um seinen Spaß zu haben. Die Erinnerung daran bereitete ihr schlaflose Nächte und machte es schwer, einfach nur den Alltag zu bewältigen. Doch Tierquälerei und Gewalt gegen Kinder waren für sie weit schlimmer. Diese Zerstörung von Vertrauen und Unschuld stand an der Spitze der Skala der Scheußlichkeiten, zu denen Menschen fähig waren. Solche Taten machten sie fassungslos und riefen unendliche Traurigkeit und rasende Wut in ihr hervor.

„Ich muss nachdenken“, murmelte sie. Mehr zu sich selbst als zu ihrem Besucher.

„Vielleicht geht es dem Hund ja gut?“ Seine Augen bettelten nach einer Lüge. Wie ein kleiner Junge, dem man sagen soll, dass alles wieder gut wird.

Aber Laura fühlte sich nicht danach, ihm diesen Trost zu spenden. Er hatte zugesehen. Hatte nichts getan. Hatte nicht verhindert, dass die widerliche Tat vollzogen worden war. Hatte dem armen Hund nicht geholfen. Am liebsten hätte sie sich vor lauter Abscheu in die Schüssel übergeben. Stattdessen nahm sie einen tiefen Schluck abgekühlten Kaffee.

„Du konntest nichts tun, um das zu verhindern?“ Sie versuchte, neutral zu klingen, kühl, beherrscht. Aber sie musste die Lippen zusammenpressen, um nicht loszuschreien.

„Nein. Ich war stoned. Betrunken. Ich weiß auch nicht. Du kennst ihn nicht. Man kann ihn nicht aufhalten, wenn er sich etwas vorgenommen hat. Er ist völlig crazy. Der hätte das Gleiche mit mir angestellt.“

„Du weißt, dass es mit dem Kerl nicht so weitergehen kann? Das war sicher nicht seine erste Schandtat.“ Sie schnaubte. Schandtat. Das Wort klang so harmlos, so überhaupt nicht angemessen. Schändung? Frevel? Ruchlosigkeit? Für manche Dinge gab es keine Bezeichnung, die ausreichte, um auch nur im Mindesten das Ausmaß des Abartigen wiederzugeben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ballte die Hände zu Fäusten. „Und du weißt, dass es nicht seine letzte ... Schandtat ... sein wird.“

„Ich weiß. Alle wissen es. Seine Eltern auch. Er hatte schon oft Ärger mit der Polizei. Muss sogar jede Menge Sozialstunden abbrummen. Wenn ich ihn jetzt verpetze, kriegt er garantiert Jugendknast. Der Richter hat ihm gesagt, dass es seine letzte Chance sei.“

„Ich glaube, es wäre das Beste für ihn, wenn man ihn aus dem Verkehr zöge. Das Beste für alle. Für den Hund war es ein Desaster, dass man ihn nicht eingebuchtet hat.“

„Ich weiß.“

„Was machen wir jetzt?“

Der Junge fuhr hoch, sah sie erschrocken an, zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Wir können nichts tun. Das sind Bonzen, total reich. Die Eltern kaufen jeden. Da kommt man nicht gegen an. Man kriegt nur jede Menge Ärger!“

„Das werden wir ja sehen!“ Laura hob das Kinn und machte schmale Augen. „Wie heißt das Bürschchen? Den knöpfe ich mir vor.“

„Aber du verrätst mich nicht!“ Beschwörend starrte er sie an.

Sie zögerte, dann nickte sie. „Ist ok. Ich halte dich da raus.“

„Es ist Moritz Anton.“

„Anton. Von Anton Vandenberg? Der Baufirma?“

„Genau. Die sind so reich, das kann man sich nicht vorstellen. Deshalb kann Moritz sich alles erlauben. Ihm kann keiner was.“

„Wir leben in einem Rechtsstaat, nicht in einer Bananenrepublik. Niemand kann sich über das Gesetz stellen, nur weil er reich ist.“ Laura setzte die Tasse auf einem Umzugskarton ab. „Ich denke, es wird langsam Zeit, dass du nach Hause kommst. Deine Eltern machen sich bestimmt Sorgen, wenn du die ganze Nacht weg bist.“

„Stimmt, ich hau ab. Vielen Dank für deine Hilfe. Und den Kaffee. Und denk dran, du verrätst mich nicht. Sonst bin ich am Arsch. Du hast es versprochen.“ Er wickelte sich aus der Decke und erhob sich.

„Ja, ich habe es versprochen. Mach dir keinen Kopf. Wie heißt du überhaupt?“

„Leo Wagner. Ich bin der, der den Jugend-Forscht-Preis gewonnen hat.“

„Und ich bin Laura Peters. Die, die deinem Freund die Hölle heißmachen wird.“

3 Montag

Detektei

Mit dem Ellenbogen drückte Laura die rostige Klinke herunter und schob das schmiedeeiserne Gartentor auf. Die Tasche an ihrer Schulter wog schwer und schien jeden Augenblick zu Boden rutschen zu wollen. Friedi, dessen Leine sie zusammen mit einem Stoffbeutel in der rechten Hand hielt, hatte Bedenken, ihr auf das Grundstück zu folgen, und versuchte, sie zur Straße zurückzuzerren. Laura hielt dagegen, blies eine Haarsträhne vor den Augen weg und drehte sich zu ihm um.

„Jetzt komm, Friedi, sonst fällt mir alles hin.“ Sie bemühte sich um einen freundlichen Tonfall, obwohl sie am liebsten alles hingeworfen hätte. Warum erzählte sie dem Hund das überhaupt? Er verstand sowieso nicht, was sie sagte. Und wenn doch, dann war es ihm egal. Sie trat in den Vorgarten und zog ihn hinter sich her.

Es war bereits acht Uhr, trotzdem war es noch nicht richtig hell. Friedi blieb stehen, schnüffelte an einem Busch und hob feierlich das Bein, dann trottete er neben ihr den Weg entlang. Ein eisiger Windstoß blies ihr ins Gesicht und wehte eine Dornenranke von der Mauer. Laura zog den Kopf ein und tauchte nach unten.

„Ha! Diesmal nicht!“ Sie freute sich, dass sie der Heckenrose, die sich gerne in ihrer Jacke festhakte, entkommen war und wertete es als gutes Omen für den Tag.

Laura schloss die Haustür auf, zog den Dackel hinter sich her in den Hausflur und öffnete die Tür zur Büroetage. Im Vorraum traf sie auf ihre Assistentin Gilda.

„Guten Morgen, Laura.“ Gilda strahlte sie an. Dann entdeckte sie den Dackel, sprang auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor. „Wen haben wir denn da? Du bist ja ein Süßer!“ Sie kniete sich auf den Boden und wuschelte den Kopf des Tieres mit beiden Händen.

„Das ist Friedi.“ Laura stellte die Taschen ab und hakte die Leine aus.

„Seit wann hast du einen Hund?“, fragte Gilda.

„Er gehört mir nicht. Ich passe nur eine Weile auf ihn auf. Meine Nachbarin, eine ältere Dame, musste am Samstag überraschend ins Krankenhaus. Da sie niemanden hat, der ihn zu sich nehmen kann, hat sie mich gefragt. Oder vielmehr der Sanitäter hat gefragt, der sie abtransportiert hat. Das konnte ich nicht abschlagen.“

„Wie lieb von dir! Kennst du dich mit Hunden aus?“

„Überhaupt nicht. Und er hört nicht für fünf Cent. Er hat seinen eigenen Kopf.“

Gilda lachte. „Hast du deinen eigenen Kopf?“ Amüsiert zauste sie durch das rotbraune Fell. Dann strich sie sich die langen, dunklen Haare nach hinten und schaute zu Laura hoch: „Friedi ist ein lustiger Name.“

„Das ist sein Spitzname. Eigentlich heißt er Friedensreich. Aber auf den Namen reagiert er auch nicht.“

„Friedensreich? Das hört sich sehr würdevoll an.“ Gilda streichelte jetzt den Bauch des Dackels, der sich hilfreich auf den Rücken gelegt hatte.

Laura hängte die Jacke an die Garderobe, griff nach den Taschen und zwängte sich im Krebsgang an den beiden vorbei in ihr Büro.

„Wenn du möchtest, gehe ich zwischendurch mit ihm spazieren“, hörte sie Gilda rufen.

„Das wäre nett. Er ist auch wirklich lieb. Wenn man macht, was er will.“

Laura setzte sich hinter den Schreibtisch, warf den Computer an und prüfte den Posteingang der Mails. Erfahrungsgemäß erhielten sie die meisten Anfragen am Wochenende. Anscheinend hatten die Leute dann mehr Zeit, über ihre Mitmenschen nachzudenken und sich zu entschließen, einen Detektiv zu beauftragen. So war es auch heute. Neun Interessenten hatten sie kontaktiert und baten um einen Rückruf oder direkt um einen Terminvorschlag. Sie machte sich eine Notiz, sie später zu kontaktieren.

Aus der Küche nebenan hörte sie das verheißungsvolle Brummen der Kaffeemaschine, kurz darauf trat Gilda mit zwei Tassen in ihr Büro und stellte eine vor sie auf die Tischplatte.

„Herrlich, danke, das ist jetzt genau das Richtige.“ Laura nahm genüsslich einen Schluck von dem ungesüßten Milchkaffee. Dann bückte sie sich, zog eine Papiertüte aus der Tasche, die neben ihrem Stuhl stand, und legte sie auf den Tisch. „Komm, setz dich. Ich habe Schokocroissants mitgebracht. Bei dieser Kälte und Dunkelheit braucht man jede Menge Kohlehydrate, sonst kriegt man Depressionen.“

„Da hast du recht.“ Gilda lachte, zog sich einen Sessel vor den Schreibtisch und bediente sich.

„Welche Termine stehen für heute an?“ Laura warf einen Blick auf den Tischkalender, ein analoges Arbeitsmittel, das sie vor allem für ihre Kritzeleien beim Nachdenken nutzte.

„Gleich kommt eine Interessentin vorbei, die mich über unsere Webseite kontaktiert hat. Sie hat das Gefühl, verfolgt zu werden, mehr Details kenne ich nicht. Du musst nicht dabei sein. Das kriege ich allein hin. Ist bestimmt kein großes Drama, eher das Übliche.“

Laura nickte.

Die Fälle, die sie bearbeiteten, waren in gewisser Weise alle gleich und meist keine große Herausforderung: Zeitungsdiebe, Fremdgeher, Auskünfte über Vermögensverhältnisse während und nach Scheidungen. Gilda hatte daneben ein zweites Standbein aufgebaut und stellte Nachforschungen im Internet über Fake-Accounts, Love-Scammer und untreue Liebhaber an. Für jemanden mit ihren Computerfähigkeiten keine schwierige Aufgabe. Doch es hatte auch große Fälle für die Detektei gegeben, die bundesweit Schlagzeilen gemacht und ihnen einiges an Berühmtheit eingebracht hatten.

Eine leise Wehmut überkam Laura bei dem Gedanken. Es waren spannende, geradezu berauschende Zeiten gewesen. Das Team hatte eng zusammengehalten, sie hatte sich so lebendig gefühlt. Aber sie waren auch jedes Mal in Gefahr geraten. Der Hauch von Wehmut ließ abrupt nach und wich eisiger Beklommenheit. Bei ihrem großen Fall im Sommer war Laura von einem Sadisten entführt worden. Er hatte sie übel zugerichtet. Das Wort ‚Folter‘ versuchte sie aus ihrem Kopf zu verdrängen, damit es nicht zu dominant wurde und irgendwann allen Platz in ihrem Gehirn einnahm. Erst in letzter Sekunde hatten ihre Kollegen sie retten können. Gerade noch rechtzeitig.

Oder vielleicht auch nicht.

Sie spielte es gerne herunter, auch vor sich selbst, aber sie hatte neben Narben am ganzen Körper ein Trauma davongetragen. Der Mann hatte ihr in einer Diskothek aufgelauert, ihr K.O.-Tropfen in den Drink gemischt und sie entführt. Er konnte ihr nicht mehr gefährlich werden, trotzdem hatte sie die nächtlichen Ausflüge nach Köln zum Tanzen und Spaß haben eingestellt. Es war irrational, aber sie traute sich nicht mehr. Hatte einen regelrechten Horror davor. Und auch in ganz normalen Alltagssituationen konnte es mittlerweile passieren, dass die Angst sie hinterrücks überfiel und sie die Erinnerungen an das schreckliche Erlebnis übermannten.

Wahrscheinlich musste sie einen Therapeuten oder Psychologen aufsuchen. Aber dazu konnte sie sich nicht durchringen. Die Vorstellung, auf der Couch zu liegen und ihre tiefsten Geheimnisse und Ängste jemandem preiszugeben, der vermutlich selbst noch viel ernstere psychische Störungen hatte, schreckte sie ab. Natürlich war sie sich im Klaren darüber, dass das ein Vorurteil war, aber sie konnte es nicht abschütteln. Sie war einfach nicht der Typ, der sein Innerstes nach außen kehrte. Es widerstrebte ihr schon, sich Freunden zu offenbaren. Fremden gegenüber verursachte es ihr Übelkeit. Sie war eben mehr der „Reiß-dich-zusammen-Typ“.

Doch wenn sie nichts gegen die Panikattacken unternahm, würde es schlimmer werden, das war ihr klar.

Natürlich hatte sie über Alternativen nachgedacht. Aber Selbsthilfegruppen für Betroffene von Gewalt waren erst recht keine Lösung. Wie sah das aus, wenn die Chefin einer Detektei mit anderen Opfern in einem Stuhlkreis über ihre Ängste jammerte? Angeblich konnte man anonym bleiben, aber sie würde es nicht lange verheimlichen können. Bad Godesberg war ein Dorf, sie war hier bekannt. Und auch in Bonn. Und im Prinzip im ganzen Land. Nach der Lösung des letzten Falles war ihr Bild in allen Zeitungen gewesen. Und wenn herauskam, dass sie sich therapieren ließ, konnte sie den Laden dichtmachen.

Niemand würde eine verschüchterte Detektivin beauftragen, die sich vor Angst in die Hosen machte.

„Laura?“ Gilda schnipste mit den Fingern vor ihrem Gesicht und riss sie in die Wirklichkeit zurück. „Alles ok? Du siehst blass aus.“

Laura winkte ab. „Alles gut. Ich hatte nur wenig Schlaf am Wochenende. Friedi ist ein Frühaufsteher. Mach dir keinen Kopf.“

„Das verstehe ich. Aber ihr werdet euch schon aufeinander einspielen. Wann kommt Marek eigentlich wieder?“ Die Assistentin war aufgestanden und sammelte die leeren Tassen ein.

„In ein paar Tagen. Wer weiß das schon so genau.“

Ihr zweiter Detektiv, den sie gerne als polnischen James Bond bezeichnete, hatte sich wieder abgeseilt. Wohin und weshalb wusste keiner, aber sie ging davon aus, dass er einen Privatauftrag erledigte. Er hatte angedeutet, dass er immer noch Kontakte zu den polnischen Polizeibehörden und, wie sie stark vermutete, auch zum Geheimdienst hatte und dem einen oder anderen einen Gefallen schuldete.

„Drake hat übrigens angerufen und gesagt, dass er nachher vorbeikommt“, rief Gilda im Hinausgehen über die Schulter.

„Soso. Hat er wirklich gemeint, dass er zu uns kommt? Oder will er zu einer Nachbarin?“ Laura zwinkerte. Der dritte Detektiv war im Hauptberuf Schriftsteller und hatte bei ihnen angeheuert, um für einen Thriller zu recherchieren und die Arbeit in einer Detektei kennzulernen. Die Zusammenarbeit mit ihm war erfolgreich gewesen, er hatte einiges dazu beigetragen, dass sie den dritten großen Fall lösen, einen Mörder entlarven und ein Attentat hatten verhindern können. Doch neben seinem umfassenden Wissen auf vielen Gebieten zeichnete er sich auch durch seine Beliebtheit bei den Nachbarinnen aus, die er reihum und ausdauernd beglückte.

Das Klingeln an der Haustür ersparte Gilda die Antwort.

4 Wohnung Südstadt

Wer sagt, Gewalt löse keine Probleme, macht es nicht richtig.

Swetlana Braun wollte auf Schatzsuche gehen. Sie schüttelte die langen, schwarzen Haare nach hinten, setzte den Helm auf, schwang sich rittlings auf den Motorroller und brauste los. Der Chef der Reinigungsfirma Clean-and-Quick, in der sie mit viel Glück vor zwei Jahren einen Job ergattert hatte, war heute nicht da und der Sekretärin hatte sie erzählt, dass sie einen Arzttermin hatte. Die hatte zwar die Augen zusammengekniffen und misstrauisch geguckt, sie dann aber gehen lassen. Vermutlich war es ihr sogar recht, dass Swetlana sich aus dem Staub machte.

Schwungvoll brauste sie die Straße entlang, schlängelte sich durch die Autos, die vor einer roten Ampel warteten, und kürzte über den Bürgersteig ab. Haarscharf an den auf Hochglanz polierten Budapestern eines Anzugträgers vorbei, dem sie mit der Schulter die Zeitung aus der Hand wischte. Die erbosten Rufe quittierte sie im Davonfahren mit einem lauten Lachen und erhobenem Mittelfinger.

Den Schlüssel für die Wohnung, die sie unter die Lupe nehmen wollte, hatte sie am Morgen aus dem Büro ihres Vaters mitgehen lassen. Er war der Chef einer Entrümpelungsfirma und hätte es niemals erlaubt, dass sie in einem Objekt, wie er es nannte, schon vor ihm nach Wertgegenständen suchte. Und würden seine Mitarbeiter das spitzkriegen, ginge es ihr erst recht schlecht. Natürlich erhielten sie ihren Lohn, aber Fundstücke von Wert wurden nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel unter ihnen und ihrem Vater aufgeteilt und waren ein schönes Zubrot. Wenn sie ihnen das vor der Nase wegschnappte, wäre Schluss mit lustig. Da würde es auch nicht helfen, dass sie die Tochter des Chefs war.

Doch bisher hatte sie nie jemand erwischt.

Jeder Mensch hat einen Schatz, sagte ihr Vater immer. Man musste nur gründlich genug danach suchen. In den meisten Fällen hatten die Hinterbliebenen das bereits getan, aber manche Dinge waren so gut versteckt, dass sie nicht gefunden wurden. Jedenfalls nicht von normalen Leuten. Von ihrem Vater schon. Er hatte mal einen ziemlichen Batzen Geld tief unten in einem Stapel Zeitungen ausgegraben, ein Kästchen mit Schmuckstücken hinter den Kacheln über einem Toilettenkasten freigelegt und einen goldenen Ring im Schirm einer Wohnzimmerlampe entdeckt. Man musste nur wissen, wo man suchen musste.

Da die Entrümpelung der Wohnung erst für den nächsten Tag anstand, wollte Swetlana die Gelegenheit nutzen, sich ungestört umzusehen. Sie bremste den Roller ab, zog das Handy aus der Jackentasche und überprüfte die Adresse, die sie aus den Unterlagen ihres Vaters abfotografiert hatte. Auf dem Fußweg ließ sie das Fahrzeug ausrollen und kam vor einem schmiedeeisernen Gitter zum Stehen. Das Haus war ein Altbau. Nicht im Bestzustand, aber gut in Schuss. Das war vielversprechend. Wer hier wohnte, musste Geld haben. Jedenfalls ein bisschen. Mittlerweile waren es nämlich nicht mehr nur die Messi-Buden und Armen-Unterkünfte in den schlechten Wohnsiedlungen, zu denen ihr Vater bestellt wurde. Immer häufiger beauftragten ihn auch gut betuchte Hinterbliebene, die keine Zeit oder Lust hatten, sich mit dem Leerräumen einer Wohnung zu beschäftigen. Natürlich verlangten diese Kunden, dass alles, was von Wert gefunden wurde, abgeliefert werden sollte. Manche ließen es sich sogar schriftlich geben, setzten Verträge auf. Swetlana grinste bei dem Gedanken. Wie wollten sie es denn nachprüfen? Schön blöd.

Und gut für sie.

Sie schloss die Haustür auf, schlüpfte in das Halbdunkel des Hausflurs und erklomm leise die Marmorstufen der Treppe bis zum obersten Stockwerk. Die Nachbarn mussten nicht unbedingt mitbekommen, dass sie da war. Das Leben war voll dummer Zufälle und sie erzählten es morgen womöglich ihrem Vater. Die Wohnungstür klemmte, doch als sie dagegen drückte, schwang sie auf.

Die Schatzsuche konnte beginnen.

In Swetlanas Bauch kribbelte es. Sie liebte diesen Moment, wenn sie das erste Mal eine fremde, verlassene Wohnung betrat. Die Vorstellung, einen Haufen Geld und Schmuck zu finden, den Jackpot zu knacken und endlich zu den Reichen und Schönen zu gehören, berauschte sie. Sie blieb einen Augenblick im Flur stehen und spürte in die kalten Räume hinein, um sicherzugehen, dass die Wohnung wirklich leer war.

Geräusche gab es immer. An keinem Ort der Erde herrschte absolute Stille. Jedenfalls an keinem, an dem sie sich jemals aufgehalten hatte. Doch bewohnte Wohnungen hörten sich anders an als leer stehende: Das Surren eines Kühlschranks, das Glucksen einer Heizung oder Verkehrslärm, der durch ein auf kipp stehendes Fenster drang, verrieten, dass der Bewohner nur kurzzeitig abwesend war. Alles Geräusche, die in unbewohnten Räumen fehlten. Und der Geruch unterschied sich: Die Aura des Bewohnten, hervorgerufen durch einen Hauch von Parfüm, Seife oder Putzmittel in der Luft, den Duft von Blumen oder des letzten Essens schlug schnell um in die abweisende Atmosphäre des Verlassenen, geprägt durch Staub, Müll oder verrottende Essensreste.

Swetlana konzentrierte sich auf ihren Radar. Aber außer dem leisen Ticken einer Uhr dem gedämpften Lärm, der von der Straße drang, war es totenstill. Im wahrsten Sinne des Wortes. In den Notizen ihres Vaters hatte sie gelesen, dass die alte Frau, die hier gewohnt hatte, tot in ihrem Bett aufgefunden worden war. Eigentlich ein gutes Ende. Besser, als ewig in einem Pflegeheim halb bewusst- und bewegungslos vor sich hin zu vegetieren. Nicht ganz so schön war, dass man sie erst nach drei Tagen entdeckt hatte. Das deutete darauf hin, dass sie einsam gewesen sein musste. Und es erklärte den Muff. Diese Mischung aus saurer Milch, Moder, einem Hauch Maiglöckchen-Parfüm. Wie der Geruch der uralten Frau Schmitz-Wedecke, die früher zwei Stockwerke über Swetlana gewohnt hatte und sich nicht mehr waschen konnte. Sie hatte ihr immer alte Bonbons geschenkt, die sie später heimlich weggeworfen hatte.

Swetlana war den Geruch gewöhnt. Sie hatte schon schlimmere Buden betreten, in denen sie kaum hatte atmen können und in denen es vor Ungeziefer nur so gewimmelt hatte. Es machte ihr nichts aus. Sie war abgehärtet.

Aber die Mädchen in der Schule damals hatte es gestört.

Die rosa Marzipanschweinchen, die nach Niveacreme und Plätzchen rochen, in der Stunde hinter ihrem Rücken getuschelt und sie in der Pause geärgert hatten. In der ersten Klasse hatten sie sie Zigeunermädchen genannt. Das hatte sie eigentlich gar nicht schlimm gefunden. Im Gegenteil, es hatte wie etwas Besonderes geklungen. Und es stimmte ja auch. Swetlanas Vater war Roma. Und sie hatte den deutschen Pass, weil er eine Deutsche geheiratet hatte. Eine richtige Deutsche. Mit blonden Haaren und blauen Augen, so wie die Frauen, die samstags die Straße fegten und Apfelkuchen backen konnten. Was ihre Mutter leider nie gemacht hatte. Aber optisch schlug Swetlana mit der schwarzen Mähne, den dunklen Augen, der gedrungenen Figur und vor allem ihrem Temperament nach seiner Familie. Und auch ihre Kleider waren anders gewesen. Bunter, lustiger. Zusammengesammelt von Flohmärkten und Säcken aus der Kleidersammlung, die die Leute abends an die Straße stellten. Nicht die Standard-Ausrüstung, die alle trugen und die die gepflegten Mamis im Supermarkt am Tchibo-Stand gekauft hatten.

Die Lehrerin hatte dem Treiben eine Weile zugesehen und den Schweinchen dann verboten, sie Zigeunerin zu nennen. Warum, hatte sie nicht verstanden. Man sagt das nicht, war die lapidare Erklärung gewesen. Als wäre Zigeuner ein Schimpfwort. Und wie sie dann gelernt hatte, war es auch eins. Ein Wort, durchtränkt von einer Ewigkeit an Vorurteilen, Verfolgung und Diskriminierung. Und schlechten Erfahrungen. Das musste sie zugeben. Aber das waren die Leute selbst schuld. Wenn eine Gesellschaft einem mit Ablehnung und Repressalien begegnete, musste sie damit rechnen, dass man sich andere, manchmal nicht legale Wege suchte, um zurechtzukommen.

Die rosa Mädchen hatten sich artig gefügt – und einen neuen Schimpfnamen für sie gefunden.

Stinkerbell.

Damals hatte sie ein Hausaufgabenheft benutzt, auf dem die Fee Tinkerbell aus Peter Pan abgebildet war, die ihr so gut gefiel, weil sie frech und unabhängig war, Streiche spielte und so gar nicht in das Klischee der braven Prinzessin passte. Die Mädchen hatten gemeint, dass Swetlana müffelte. Sie hatten Müffeln gesagt, nicht Stinken. Stinken war ein ordinäres Wort, das benutzten sie nicht, dazu waren sie zu fein. Aber Müffeln hatte sie noch mehr getroffen, es hatte den Abgrund zwischen ihr und den anderen viel größer erscheinen lassen. Sie hatten sie damit gehänselt, dass ihr Vater so einen dreckigen Job hatte und die Scheiße der Toten wegräumte. Für das Wort Scheiße waren sie sich nicht zu fein gewesen.

Da war Stinkerbell die richtige Bezeichnung.

Eine Zeit lang hatte ihr der Schimpfname etwas ausgemacht. Vor allem, weil sich die rosa Schweinchen hinter dem Rücken der Lehrerin die Nase zuhielten, wann immer sie sie sahen, und nichts mit ihr zu tun haben wollten. Das hatte sie so traurig gemacht, dass sie nicht mehr in die Schule gehen wollte. Den Eltern hatte sie gesagt, dass sie sich nicht gut fühle und zu Hause bleiben müsse, aber sie waren hart geblieben. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als irgendwann den Spieß umzudrehen, sich die Mädchen zu schnappen, wenn sie allein unterwegs waren, und sie gehörig zu verdreschen.

Wer sagte, Gewalt löse keine Probleme, machte es nicht richtig.

Keins der Mädchen hatte jemals von den Prügeln erzählt. Sie hatten zu viel Angst vor ihr gehabt. Den Spitznamen hatte Swetlana trotzdem behalten. Sie war so daran gewöhnt, dass sie sich manchmal selbst als Stinkerbell vorstellte. Eine Weile hatte sie sogar mit dem Gedanken gespielt, sich den Namen auf das Schulterblatt tätowieren zu lassen. Als Kampfname. Zusammen mit einer mit einer Kalaschnikow bewaffneten Elfe. Aber dann hatte sie doch einem reich verzierten Totenkopf mit Schlapphut und Rose zwischen den Zähnen den Vorzug gegeben.

Swetlana schüttelte die Erinnerungen ab, blickte auf die Uhr und gab sich einen Ruck. Zu lange durfte sie sich nicht hier aufhalten. Die Zeit lief. Die Wohnung war nicht groß, nur vier Türen gingen vom Flur ab. Sie öffnete die erste und betrat ein Wohn-Esszimmer. Schrankwand Eiche, Tisch Eiche, Stühle Eiche. Eine Sitzgarnitur aus Cord, ein gefliestes Tischchen mit gedrechselten Füßen. Kein Fernseher, den hatten die Hinterbliebenen gebrauchen können und selbst abtransportiert. Mit geübten Fingern durchwühlte sie Papiere in Schubladen, blätterte durch die wenigen Bücher, Standardwerke wie Krieg und Frieden, Doktor Schiwago, Liebesküsse auf der Intensivstation und den ADAC-Atlas, und schüttelte Zeitschriften aus. Nichts. Mit der Taschenlampe des Handys leuchtete sie hinter die Verkleidung der Heizung und griff tief in den Spalt zwischen Polster und Lehne des Sofas. Sie förderte einen Kuli, ein paar Metallhaarspangen und zwei Euro zutage.

Ein Anfang.

Sie schob den Tisch zur Seite und rollte den Teppich ein. Fehlanzeige. Kein Geld darunter, keine losen Dielen. Sie räumte die Sachen wieder an ihren Platz, ohne sich allzu große Mühe zu geben. Fast alle Wohnungen, in die ihr Vater mit seinem Räumkommando kam, waren vorher von Angehörigen durchsucht worden. Da wäre es eher aufgefallen, wenn es zu aufgeräumt war.

Im Schlafzimmer wurde der muffige Geruch stärker. Zwar war ausgiebig gelüftet worden, sonst hätte sie es hier drin nicht ausgehalten, aber die fleckige Bettwäsche und die Matratze, auf der die Tote drei Tage gelegen hatte, waren noch da.

Das Bett war durchwühlt worden, das war deutlich zu erkennen. Vermutlich auf der Suche nach Geld. Allerdings nicht von einem Profi. Swetlana zog dünne Einweghandschuhe aus der Jackentasche und streifte sie über. Sorgfältig strich sie von allen Seiten über den Bezug der Matratze. Nichts. Sie öffnete die Schublade des Nachtschränkchens und schob achtlos Tabletten, eine Lupe, Heiligenbildchen, eine Lesebrille und Hustenbonbons durcheinander. Dann zog sie die Lade komplett heraus und kippte den Inhalt auf das Bett.

Aus dem Augenwinkel sah sie etwas Schimmerndes zu Boden fallen und unter das Bett rollen.

Was war das?

Ihr Jagdinstinkt erwachte. Sie kniete sich auf den Bettvorleger, legte den Kopf schräg und versuchte, den Gegenstand zu entdecken. Er war bis hinten an die andere Wand gerollt. Swetlanas Herz hüpfte. Bestimmt ein Ring. Und sicher aus Gold. Sie rappelte sich auf und zerrte mit beiden Händen die heruntergerutschte Jeans wieder ein Stück höher über die Hüften. Dann trat sie ans Fußende und zog an dem massiven Bett, bis der Spalt zur Wand breit genug war, dass sie dazwischen passte. Seitlich schob sie sich bis zum Kopfende, ging in die Hocke und tastete den Boden ab. Ihre Finger schlossen sich um den filigranen Gegenstand. Sie hielt ihn gegen das Licht und betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen.

Sie hatte recht. Es war ein Goldring. Zwar ohne Stein, aber ein bisschen was wert war er. Sie lächelte und steckte das Schmuckstück in die Jackentasche. Dann trat sie Schritt für Schritt den Rückweg an, sorgfältig darauf bedacht, möglichst wenig mit der versifften Bettwäsche in Kontakt zu kommen.

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