Kitabı oku: «Schlangentanz», sayfa 5

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Santa Fe hat 67000 Einwohner und 61 Gourmetrestaurants. Da ich zwei Weinhandlungen regelmäßige Besuche abgestattet habe, kann ich bestätigen, dass hier einige der erlesensten und teuersten Weine geführt werden. Die Freilichtoper ist berühmt. Santa Fe mag zwar eine Kuriosität unter amerikanischen Städten sein, aber es liegt doch mitten in Amerika. Im Vorüberfahren stach uns die Reklametafel eines Bauunternehmers ins Auge, der sich von den Hunderten von Künstlern Santa Fes Aufträge versprach: »Und wenn deine Kunst noch so grottig ist – dein Atelier muss es noch lange nicht sein.«

Das Herz der Stadt ist die Plaza aus der Gründungszeit der Spanier. Im 19. Jahrhundert war hier die Endstation der Planwagen, die aus dem Osten kommend an die 1500 Kilometer auf dem Santa Fe Trail hinter sich gebracht hatten. Die Kathedrale steht auf der einen Seite, der Palast des Gouverneurs auf der anderen; und wie alle Plätze des spanischen Reiches war er nach den Plänen Philips II. entworfen worden. Den Mittelpunkt bildet ein Obelisk aus rosafarbenem Granit mit einer Gedenktafel für die im Jahr 1862 in der Schlacht von Valverde gefallenen Soldaten der Unionsarmee. Die konföderierten Gegner werden lediglich als »Rebellen« bezeichnet.

Auf der anderen Seite des Obelisken wird in einer Marmorinschrift der Helden gedacht, »die in mehreren Kämpfen gegen wilde Indianer fielen«. Die Wilden, die hier gemeint sind, waren Prärie-Indianer, die Santa Fe einst angriffen und die spanischen Siedler vorübergehend vertrieben. 1974 wurde das Wort »wild« säuberlich aus dem Marmor geschlagen, aber die Buchstaben sind im Stein immer noch schemenhaft zu lesen.

* Hypothekendarlehen mit geringer Bonität, die im Herbst 2007 die amerikanische Immobilienblase platzen ließen. [Anm. d. Ü.]

KAPITEL FÜNF
Der einsame Reisende

Bandelier – Zufluchtsort der Urahnen,

der Anasazi, »der Leute, die nicht wir sind«.

An einem extrem kalten Tag im Dezember 1895 setzte ein einsamer Reisender seinen Fuß auf den Bahnsteig von Lamy, Santa Fe. Er war mit einem Zug der Atchinson-, Topeka- und Santa-Fe-Linie aus Denver angekommen. Der Mann war von gedrungener Gestalt, wie ein Ostküstler in einen förmlichen, dunklen Anzug mit Weste und Uhrenkette gekleidet, hatte sich allerdings ein Tuch um den Hals geknotet und einen Cowboyhut aufgesetzt. Er hatte dunkelbraune, glühende Augen und einen Schnauzbart von der Art, die gewöhnlich von Gewichthebern im Zirkus getragen wurde. Er spielte anderen gerne Streiche, war trotz seines sanften Äußeren für sein aufbrausendes Temperament berüchtigt und litt seit seiner Kindheit an Depressionen. Sein Name war Aby Warburg. Er trug einen Pass mit der Genehmigung des Innen- und des Kriegsministeriums in Washington bei sich, der ihn zur Reise durch indianisches Territorium ermächtigte.

Nun, da er neben den Pferden stand und darauf wartete, dass man seine Koffer auf die Kutsche verlud, die ihn zum Palace Hotel bringen sollte, und da er zu den Gipfeln des Sangre de Cristo hinaufschaute, wurde ihm seine Aufregung bewusst. Er war am Ende einer Tausende von Kilometern langen Reise angekommen, die ihn aber auch zweitausend Jahre zurückführte – in eine Welt, von der er besessen war. Warburgs Lebenswerk kreiste um die Bedeutung der Antike für die moderne Zivilisation.1 Als er 1895 in Lamy aus dem Zug stieg, betrat er das Griechenland der klassischen Antike.

Aby Warburg war der älteste Sohn einer Hamburger Bankiersfamilie, der sich gegen den Posten eines Seniorpartners in der Bank und für den Beruf des Kunsthistorikers entschieden hatte. In einem Zeitalter, in dem deutsche Forschung sowohl in den Natur- als auch in den Geisteswissenschaften die herausragende Rolle spielte, sollte Warburg einer der einflussreichsten Vertreter seines Faches werden. Im Jahr 1895 lebte und forschte er in Florenz, wo er einige Jahre zuvor bereits seine Doktorarbeit über Botticelli abgeschlossen hatte. Er unterbrach seine Studien in der Stadt und ihren Archiven aus familiären Gründen, sein Bruder Paul hatte ihn zu seiner Hochzeit in New York eingeladen. Da Aby Warburg bereits die Trauung eines anderen Bruders versäumt hatte, stand es außer Frage, dass er dieses Mal erscheinen musste. Beide Brüder heirateten in die jüdische New Yorker Bankiersdynastie der Kuhn-Loebs ein. Während des Bürgerkriegs hatten die Kuhns und die Loebs in Cincinnati ein Vermögen mit dem Verkauf von Uniformen an die Unionsarmee gemacht. Dann gingen sie an die Wall Street, gründeten ihr Geldinstitut und mischten die Spekulationsgeschäfte um die Eisenbahn mit einem solchen Erfolg auf, dass ihre Bank zur Zeit der Allianz mit den Warburgs nur von J. Pierpont Morgan übertroffen wurde. Familie Kuhn-Loeb residierte in einer Villa in der Fifth Avenue.2

Aby Warburg war seiner Familie sehr verbunden, doch New York gefiel ihm nicht; für ihn war die Stadt ein riesiges Kaufhaus. In den Monaten zuvor hatte er sich mit dem Einfluss heidnisch-antiker Symbolik auf die christliche Kunst beschäftigt.3 In Florenz war er auf Entwürfe eines intermedio – einer musikalisch-schauspielerischen Darbietung – von Bernardo Buontalenti für die Hochzeit des Großherzogs Ferdinand von Medici 1589 gestoßen. In dem Stück kämpft Apollo gegen eine Python, und wie in der Legende besiegte er das Ungeheuer, befreite das Land von dessen Schreckensherrschaft und stellte so die Eintracht wieder her. Dem Herzog schmeichelte die Assoziation gehörig. Das dramatische Eindringen eines gewalttätigen mythologischen Geschehens in eine fröhliche christliche Zeremonie wie in dem intermedio gehörte genau zu Warburgs Forschungsgebiet.

Warburg hielt nichts von »[e]nthusiastische[n] Kunstgeschichtler[n]«4 und war eher an einer psychologischen Betrachtungsweise der menschlichen Kultur interessiert. Ihm war nur allzu bewusst, dass das Material für die Untersuchung primitiver Kulturen zusehends dahinschwand. Ob er ursprünglich vorgehabt hatte, nach New Mexico zu reisen, ist ungewiss; in jedem Fall lernte er an Bord seines Schiffes nach New York einen Mitarbeiter des Washingtoner Smithsonian Instituts kennen, an dem kurz zuvor Forschungsergebnisse über Wandmalereien der Dakota und indianische Religionen erschienen waren. Nach den Hochzeitsfeierlichkeiten nahm Warburg einen Zug nach Washington, »um die Smithsonian Institution zu besichtigen. Sie ist ja das Gehirn und das wissenschaftliche Gewissen des östlichen Amerika«5. Hier beschäftigte sich Warburg nicht nur mit Wandmalereien, sondern auch mit indianischer Keramik und Ritualen wie dem Schlangentanz der Hopi-Indianer.

Die Wissenschaftler aus Washington machten Warburg mit der Welt der Hopi bekannt sowie mit den Felshöhlen ihrer entfernten Vorfahren. Nur sieben Jahre zuvor waren diese in Mesa Verde in Colorado von einem Viehzüchter und Hobbyarchäologen entdeckt worden. In einem Gebiet namens Four Corners – hier treffen die Staaten Arizona, Utah, Colorado und New Mexico aufeinander –, das durch die Flüsse Colorado und Rio Grande begrenzt wird, finden sich Unmengen archäologischer Überreste komplexer, bis zu 1400 Jahre alter indianischer Siedlungen. In Washington traf Warburg auch mit James Mooney vom Bureau of Ethnology zusammen, der kurz zuvor den Artikel »Die Geistertanzreligion und der Sioux-Aufstand von 1890« veröffentlicht hatte. In dieser letzten bedeutenden indianischen Widerstandsbewegung hatten die Prärie-Indianer, inspiriert durch den zeremoniellen Geistertanz, die Rückeroberung ihres Landes ins Auge gefasst. Doch ihr Aufbegehren endete mit dem Massaker von Wounded Knee, bei dem über dreihundert Sioux, unter ihnen auch Frauen und Kinder, von der 7. US-Kavallerie niedergemetzelt wurden.

Warburg interessierte sich besonders für Mooneys These, dass es Parallelen gebe zwischen dem Geistertanz und den Glaubenslehren des Hinduismus, Judentums und Christentums. Es war die Hoffnung, Spuren einer kulturellen Evolution zu finden, die Warburg in das Land der Ureinwohner im Südwesten der Vereinigten Staaten lockte. Er hatte keine unmittelbaren Verpflichtungen, weder in Florenz noch in Hamburg; er hatte Zeit, Beziehungen und Geld. Er hätte auf eigene Kosten reisen können, aber die Kuhn-Loebs ließen ihm einen Freifahrtschein für die Eisenbahnlinie zwischen Atchison, Topeka und Santa Fe ausstellen.

Warburg war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der Kampf zwischen den Indianern und den Siedlern New Mexicos war zehn Jahre zuvor zu Ende gegangen, und der in der Schweiz geborene Anthropologe Adolph Bandelier hatte damit begonnen, die Spuren prähistorischen Lebens in der Umgebung zu untersuchen. Das Hochland zwischen dem Colorado und dem Rio Grande war seit 11000 Jahren, seit dem Ende der Eiszeit, von Menschen bevölkert worden – möglicherweise von den unmittelbaren Vorfahren der überlebenden Pueblo-Indianer. Warburg reiste häufig in Begleitung eines Führers in einer Ponykutsche, doch die entlegeneren Gebiete erkundete er auf dem Pferderücken, denn er war – im Gegensatz zu vielen Renaissance-Forschern – ein fähiger Reiter, der seinen Wehrdienst in der berittenen Artillerie der Preußischen Armee abgeleistet hatte. Während seines Aufenthalts in Santa Fe machte Warburg das Palace Hotel zu seiner Basisstation, von der aus er in das prähistorische Land vorstieß.

Die Geologie des Rio-Grande-Tals ist beeindruckend, um nicht zu sagen furchteinflößend. Die fruchtbaren Ebenen sind von Hochplateaus, den sogenannten mesas, von Canyons und Schluchten umgeben und durchzogen, die sich vor 30 Millionen Jahren bei Vulkaneruptionen gebildet haben. Ein knapp 200 Meter tiefer Graben, das Rio Grande Rift, beherrscht das Leben von Mensch und Tier über Tausende von Quadratkilometern, indem er für Wasser und fruchtbares Weideland sorgt. Als Warburg zwischen Mesa Verde und dem Rio Grande reiste, hat er sicherlich die Treppen der mesas erklommen, die natürliche Aussichtsplattformen bilden. Im Osten reihen sich mehrere Kratergipfel aneinander. Die höchsten von ihnen sind über 4000 Meter hoch und tragen Namen wie Angel Fire, Hermit Elk und Agua Fria. Schauten die Talbewohner bei Sonnenuntergang zu diesen schneebedeckten Gipfeln hinüber, sahen sie, wie sie sich im letzten Abendlicht rot färbten, und deswegen gaben sie ihnen den Namen Sangre de Cristo – Blut Christi.

Eine der westlichen mesas, an denen Warburg vorbeikam, hieß Los Alamos. Dort gab es damals nichts außer einer kleinen Ranch, die ein paar Jahre zuvor von Siedlern aus dem Osten abgesteckt worden war. Im Süden von Los Alamos liegt ein langgezogenes, abfallendes Plateau namens Pajarito, das aus weichem Bimsstein oder Tuff besteht, ursprünglich also aus Vulkanasche. Es bildet einen scharfen Kontrast zu den schwarzen Basaltschichten, den Überresten eines früheren Ausbruchs, die ein deutlich härteres Gestein bilden, das Ablagerungen von Obsidian enthält, einem vulkanischen Glas. Die Hochebene zwischen dem Colorado und dem Rio Grande ist eine Art Laboratorium der menschlichen Evolution und der geologischen Gegebenheiten, die diese ermöglichten. Warburg befand sich in einer Gegend, die bereits deutlich früher besiedelt war als das klassische Griechenland.

Die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner kamen vermutlich aus China oder sogar aus Japan. Als das Eis schmolz, zogen sie durch Nordasien, überquerten die Beringstraße und wandten sich dann nach Süden, hinein in einen unbewohnten Kontinent. Diese Menschen waren Jäger, die langsam und stetig den Wanderbewegungen der Herden folgten, von denen sie sich ernährten. Sie nutzten Speere und Bogen zum Töten, sie hatten eventuell Pferde und sicherlich Hunde. 1895 sah Warburg dieselbe Landschaft, die diese Nomaden erblickten, als sie den 37. Breitengrad erreichten und nach New Mexico zogen. Nur dreißig Jahre vor Warburgs Ankunft nutzten deren Nachkommen, die Prärie-Indianer, noch immer die gleichen Waffen zur Büffeljagd – Tiere, die sie mit Nahrung, Kleidung, Wetterschutz und manchmal sogar mit Brennstoff versorgten. Von den prähistorischen Herden waren nur noch Büffel und Hirsche übriggeblieben. Ursprünglich hatte die Jagdbeute viele inzwischen ausgestorbene Arten umfasst: Riesenbüffel mit einer Hornspannweite von zwei Metern, Riesenbiber und -elche, Kamele, Moschusochsen und Wollmammuts. Die meisten von ihnen wurden durch die Jagd ausgerottet, und dementsprechend sank auch die Zahl der Menschen.

Man weiß nicht genau, aufgrund welcher Veränderungen sich die jagenden Stämme in größeren Gemeinschaften zusammentaten und begannen, sich von der Landwirtschaft zu ernähren; doch wo es genügend Wasser gab, Tuff und fruchtbaren Boden, herrschten günstige Bedingungen. Das Pajarito-Plateau, das an eine Felswand, den Frijoles Canyon, grenzt, erfüllte alle drei Voraussetzungen und hatte dazu noch den weiteren Vorteil einer gut zu verteidigenden Lage. Aus Obsidian ließen sich wertvolle Werkzeuge herstellen, mit denen man handeln und Höhlen aus dem weichen Bimssteinfels schlagen konnte. Die Erde des Canyons ist fruchtbar, und ein Bach bewässert die Hochebene. Er führt das ganze Jahr über Wasser und schwillt auf seinem Weg in den Rio Grande immer mehr an, bis er sich schließlich über spektakuläre Wasserfälle in ihn hinabstürzt. An dieser Stelle entdeckte Adolph Bandelier fünfzehn Jahre vor Warburgs Ankunft Überreste einer Siedlung, die einst mehr als 2400 Wohnstätten umfasst hatte. Die heutigen Pueblo-Indianer nennen die Menschen, die dort wohnten, die »Anasazi«, das bedeutet »die Urahnen« oder »die Menschen, die nicht wir sind«. Sie pflanzten Bohnen, Mais und Kürbis an und bewässerten die Felder im Winter, doch weil der durchschnittliche jährliche Niederschlag lediglich knapp vierzig Zentimeter betrug, war der Regen im Sommer überlebenswichtig. Sie kannten sich aus mit Regen. Der Blitz, der den Wald durch Feuer lichtete, brachte auch Wind und Wasser. Der Blitz, der töten konnte, brachte auch Leben. Ohne den Blitz würden sie sterben.

Die Anasazi stammten von Völkern ab, die sich mitten im Gebiet der Four Corners, in der Nähe von Mesa Verde niedergelassen hatten. Sie hatten den Frijoles Canyon über die Bergpässe aus dem Südosten erreicht. Nach und nach errichteten und befestigten sie ihre Siedlungen; in der größten gab es schließlich mehr als tausend Räume. Die Art der Anlage von Frijoles, das heute Bandelier genannt wird, lässt vermuten, dass sich die Menschen in Zeiten von Gefahren hierher zurückziehen konnten, etwa im Winter, wenn die Vorräte zur Neige gingen und nomadisierende Jäger angriffen, um ihre Speicher zu plündern. Den Mittelpunkt ihrer Dörfer bildeten kivas. Die genaue Bestimmung der unterirdischen Zeremonienräume der Anasazi ist nicht bekannt, aber es ist deutlich zu erkennen, dass in ihnen komplexe religiöse Rituale stattfanden. Die Religion regelte nicht nur den Umgang der Anasazi untereinander, sie ermöglichte es ihnen auch, sich zu organisieren, miteinander zu kooperieren und schließlich eine Gesellschaft zu entwickeln, die Hunderte von Jahren florierte.

Die Wand einer kiva in Bandelier ist mit einem schwarzen Zickzackmuster bemalt, das im gesamten Südwesten ebenso wie in den Ruinen der Azteken und Maya in Mexiko und Guatemala vorkommt. Dieses Muster symbolisiert die Gefiederte Schlange, den Schlangengott, der sich wie ein Blitz bewegt und in Form eines Blitzes dargestellt wird, die Schlange, die Leben bringt, weil sie für Wasser steht.

Die Anasazi lebten ungefähr bis 1600 im Frijoles Canyon. Dann erreichten die spanischen Eroberer den heutigen Staat New Mexico. In den nächsten dreihundert Jahren sollte hier ein blutiger nachsteinzeitlicher Kampf zwischen vier Parteien ausgetragen werden: den nomadischen Prärie-Indianern, den Pueblo-Indianern, den spanischen Kolonialisten und schließlich den Anglos aus dem Norden. Das ist die Geschichte, die sich in dieser gewaltigen geologischen Szenerie abgespielt hat, und Warburg traf kurz nach dem endgültigen Ende der Kämpfe dort ein.

Warburg war mit der Eisenbahn nach Santa Fe gekommen, und die Eisenbahn war es auch, die den Kampf entschied, denn sie besiegelte den Untergang der nomadischen Lebensweise, die 10000 Jahre gewährt hatte. Dieser Prozess war zwar unaufhaltsam, lief aber allmählich ab. Der Santa Fe Trail, der die spanische Missionsstation nach Osten mit dem knapp 1500 Kilometer entfernten Missouri verband, wurde 1821 eröffnet, aber erst 1886 wurde das letzte Kopfgeld auf einen Apachenskalp gezahlt.* Nur neun Jahre vor der Ankunft des Kunsthistorikers aus Florenz zahlten Grundbesitzer noch den üblichen Preis von hundert Dollar für den Skalp eines Mannes und fünfzig für den einer Frau. Diese Zahlungen waren im Bundesstaat Colorado illegal, aber nicht in New Mexico, das noch kein Bundesstaat, sondern nur »Territorium« war. Noch 1895 fürchteten sich Siedler in Texas und New Mexico vor den Prärie-Indianern. Auf der Suche nach Verbindungen zwischen der Antike und der modernen Welt hätte Warburg kaum ein dramatischeres Labor finden können.

* Zum Zeitpunkt von Warburgs Besuch war das Büro des Gouverneurs in seinem Palast an der Plaza von Santa Fe mit Girlanden aus Ohren und Skalps von Indianern geschmückt.6

KAPITEL SECHS
Das Reich im Landesinneren

Die Männer in Blau zerstörten alles mit den teuflischsten

Mitteln, die die raffinierten Yankees ersinnen konnten;

Hände, Herzen, Feuer und Schießpulver waren ihre

Werkzeuge und hinter allem steckte der Geist der Hölle.

EIN VETERAN DER KONFÖDERIERTEN 18651

Der epische Mythos der Vereinigten Staaten ist der Mythos vom Pionierdasein, vom Wilden Westen und seiner heroischen Besiedlung. Es ist eine Geschichte von Fortschritt und Eroberung – der unablässige Strom von Pionieren von der Ostküste zum Pazifik auf sagenumwobenen Pfaden: dem Oregon Trail, dem Pony-Express, dem Overland Stage und dem Santa Fe Trail. Die Orte, die diese Helden gründeten, haben sprechende Namen wie Flagstaff, Fort Defiance, Paradise, Rising Star, Fort Bliss, in denen Patriotismus, Widerstand und die Hoffnung auf paradiesische Wonne beschworen werden. Erzählt wird von einem verzweifelten »letzten Gefecht« nach dem nächsten. Und nach dieser Geschichte voller letzter Gefechte, ja, nach hundert Jahren letzter Gefechte gingen der furchtlosen Truppe von neunzig Millionen Überlebenden2 schließlich die Wilden aus, von denen sie hätten skalpiert werden können. Aber was New Mexico unter den fünfzig amerikanischen Staaten hervorhebt, ist die Fülle von Anhaltspunkten für ein viel älteres Migrations- und Konfliktmuster. Dieses Land wurde nicht von Osten her erobert, sondern von Süden, und dieser Unterschied ist bis heute sichtbar.

Als die Pilgerväter 1620 von Bord der Mayflower gingen, war schon ein Jahrhundert vergangen, seit Cortés von Kuba zum amerikanischen Festland gesegelt war und die Azteken besiegt hatte. Die Azteken in Mexiko und die Maya in Südmexiko und Guatemala zählen mit ihren äußerst komplexen, auch in der Wissenschaft fußenden religiösen Vorstellungen zu den höchstentwickelten indianischen Gesellschaften, die man zurückverfolgen kann. Dass diese großen indianischen Reiche von einer Handvoll mit Schwertern und Lanzen bewaffneter, geharnischter Männer vernichtet werden konnten, lasse sich möglicherweise, so Octavio Paz, auf einen Glaubensverlust zurückführen und komme einem kollektiven Selbstmord gleich. Paz führt ein Klagelied der Maya an, eine Erinnerung an den Augenblick, in dem sie vom Grauen überwältigt wurden.

Am II. Ahan Katun kamen die blondbärtigen Fremden, die Söhne der Sonne, die hellhäutigen Männer. Oh, lasst uns trauern über ihre Ankunft! Der Stock dieser weißen Männer wird niedersausen, vom Himmel kommend, von überall her. […] Man wird drangehen, uns aufzuhängen; der Blitz wird aus den Armen der weißen Männer schlagen […], wenn die Steuer beim großen Einmarsch der »Christen« über sie kommt, wenn diese ihre sieben Sakramente aufstellen, wenn die Völker sich plagen müssen und das Elend auf Erden herrscht.3

Als die Künstlerin Georgia O’Keeffe im Jahr 1916 zum ersten Mal die Prärie des Südwestens erblickte, schrieb sie an Alfred Stieglitz, sie sei »das größte Ding, das ich kenne«. Selbst wenn man das menschenleere Grasland heute durchquert, das sich im Osten bis zu den Bergen des Sangre de Cristo und im Westen bis zum Carson National Forest erstreckt, durchschnitten vom Rio Grande, überkommt einen dieses Gefühl eines uneingeschränkten Versprechens. Als Coronados Armee 1540 das Land erkundete, gab es hier nichts außer Sonne, Wind, Büffeln und anderen Tieren. Die Pueblo-Indianer lebten weiter südlich und im Vorgebirge. Erst kurz vor dem großen Eroberungszug der Spanier im Jahr 1595 drangen die beiden nomadischen Stämme, die Navajo und die Apachen, in das Gebiet des nördlichen New Mexico ein und gingen auf Plünderungszüge unter den sesshaften Völkern.4

Die Franziskanermissionare konnten bei diesen Nomaden rein gar nichts ausrichten, während sie den Pueblo-Indianern ihren Glauben erfolgreicher aufzwangen. 1633 machte der Franziskanermönch Fra Esteban de Perea im Auftrag der Inquisition die Runde durch die nördlich gelegenen Pueblos, um zu erforschen, wie es dort um Hexerei stehe.5 Er musste feststellen, dass die indianischen Konvertiten sich weigerten, ihre alten Götter aufzugeben: Nach wie vor führten sie ihre Tänze auf, trugen ihre Masken und hantierten mit giftigen Schlangen. Die Inquisition löste das Problem, indem sie die indigenen Priester zu Hexern erklärte. Sie wurden ausgepeitscht, versklavt oder gehängt, ihre kivas wurden zerstört, die Masken und Fetische verbrannt. Daraufhin gaben die Indianer ihren Aberglauben auf und wurden zu strenggläubigen Katholiken. Das dachten zumindest die spanischen Missionare. In Wahrheit befolgten die Pueblo-Indianer nun zwei Religionen, eine in der Öffentlichkeit, die andere im Verborgenen.

Im Jahre 1680 kam es zu einer großen Revolte, dem Pueblo-Aufstand, in dessen Verlauf die Spanier vorübergehend aus New Mexico vertrieben wurden. Die Pueblos eigneten sich Missionsstationen wie Santa Fe an und bauten überall neue kivas. Als die Spanier zwölf Jahre später den Versuch unternahmen, das Land zurückzuerobern, hatten sich die Bedingungen verändert. Da den Franziskanerpriestern nicht mehr so viel Macht zugestanden wurde, verbesserten sich die Beziehungen zwischen Spaniern und Indianern. Die Koexistenz von Christentum und indianischem Glauben wurde toleriert. Die Pueblo-Indianer und ihre kivas wurden mit misstrauischem Respekt behandelt. Allerdings wurden sie durch die aus Europa eingeschleppten Krankheiten von 50000 auf 15000 dezimiert. Um 1700 sah es danach aus, als könnten Pueblo-Indianer und Spanier einigermaßen friedlich zusammenleben und sich gemeinsam gegen die regelmäßigen Raubzüge der Navajo und Apachen wehren. Doch sechs Jahre später kam ein weiteres Nomadenvolk aus dem Norden, und als es O’Keeffes »größtes Ding« erblickte, wusste es, dass es ihm gehörte. Das waren die Comanche, und sie errichteten ein Terrorregime, das sich über ganz New Mexico und weit nach Texas hinein erstreckte und über 170 Jahre währte.

Die Comanche, die als die besten Reiter der Welt galten, fielen zuerst über die Apachen im Nordosten New Mexicos her. Innerhalb von fünfundzwanzig Jahren vertrieben sie sie von der Prärie und zwangen sie, bei ihren Erbfeinden, den Pueblo-Indianern von Taos, Zuflucht zu suchen. Dann griffen die Komantschen die Pueblos und die spanischen Siedlungen an. Im 18. Jahrhundert wurden sie zur herrschenden Macht östlich des Rio Grande. Es dauerte nicht lange, bis die Apachenstämme im Süden New Mexicos auf den Kriegspfad gingen und jenen Teil der südlichen Provinz verwüsteten, der an die friedlicheren zentralen Regionen Neuspaniens grenzte. In der Folge mussten Spanier und Pueblo-Völker enger zusammenrücken. Und dennoch verschärfte sich die Situation bis 1776 so sehr, dass der Gouverneur von New Mexico den Vizekönig darüber informierte, dass man die Provinz womöglich aufgeben müsse. Vor dem Pueblo Galisteo erinnert heute eine Gedenktafel an diese harte Zeit, auf der zu lesen ist, dass die Bewohner dieses Pueblos 1778 schließlich durch »Dürren, Hunger, Raubzüge der Comanche und Krankheit« vertrieben wurden.

Erst 1779 gelang es einem geschickten spanischen General, den Häuptling der Comanche, Cuerno Verde (Grünes Horn), zu überlisten und ihn zu ermorden. Die Spanier boten den Comanche dauerhaften Frieden an – und mussten sich damit auf einen endlosen Krieg gegen die Apachen einstellen. Das Abkommen wurde bei einer feierlichen Versammlung im Pueblo Pecos 1786 unterschrieben und währte, im Gegensatz zu den meisten anderen Verträgen mit den Indianern, hundert Jahre – bis die Spanier das Land verließen und die Mexikaner an der Reihe waren, kolonisiert zu werden.6 Durch den Einsatz von Missionaren, Waffengewalt, Bestechung und schließlich durch Bündnisse hatten die Spanier einen Weg gefunden, unter nomadischen Indianern zu leben.

Der erste nennenswerte Vorstoß von Angloamerikanern nach New Mexico kam in den letzten Tagen vor dem Zerfall des spanischen Reiches aus Louisiana. Der spanische Gouverneur war alarmiert, aber die Delegationen, die er nach Spanien sandte, damit sie vor der neuen Gefahr warnten, kehrten mit leeren Händen zurück. Mit der mexikanischen Unabhängigkeit öffnete der neue Gouverneur New Mexicos dem Handel die Grenzen. 1821 traf der erste angloamerikanische Kaufmann, ein ehemaliger Indianerkämpfer namens William Becknell, mit einem Lasttierzug ein. Den Weg, den er über die Sangre-de-Cristo-Berge gewählt hatte, sollte später den Namen Santa Fe Trail tragen. Von da an unterschieden die Comanche zwischen Mexikanern und Anglos; sie hielten sich an die Waffenruhe mit den Pueblo-Indianern und der spanischsprachigen Bevölkerung, während sie Anglos und andere Eindringlinge aus dem Osten als Freiwild betrachteten. Von indianischen Angriffen abgesehen waren Schlangenbisse eine der häufigsten Todesursachen auf dem Santa Fe Trail.

Anfangs, als es um Handel ging, gab es kaum Probleme zwischen der mexikanischen Regierung und jenen Neuankömmlingen, die den Treck überlebt hatten. 1825 wurde den Vereinigten Staaten gestattet, in Santa Fe ein Konsulat zu eröffnen, und der mexikanische Gouverneur finanzierte den Großteil seiner Verwaltungskosten durch die Steuern auf importierte amerikanische Waren. Ein früher Versuch englischsprachiger Texaner, ins benachbarte Gebiet von New Mexico vorzustoßen, wurde vereitelt, doch der demografische Druck, weiter nach Westen zu ziehen, nahm zu. Inzwischen reisten die neuen Siedler in Texas mit Sklaven an. Mit der ersten Verfassung des unabhängigen Mexikos wurde 1821 auch die Sklaverei abgeschafft. Die mexikanische Provinzregierung bewilligte angloamerikanischen Einwanderern jeweils 5000 Morgen Land in der Provinz Coahuila-Texas, aber sie räumte ihnen nicht das Recht zur Sklavenhaltung ein. Dies beschränkte die Möglichkeiten der Immigranten erheblich, auch wenn es ihren Zustrom nicht aufhielt. Im Jahr 1836 erkannten 30000 angloamerikanische Siedler in Texas eine günstige Gelegenheit, sich zu verschwören, die mexikanische Provinzregierung zu stürzen und das Gebiet zu einer unabhängigen Republik zu erklären. Kurz darauf importierten sie Sklaven. 1845, als die Vereinigten Staaten Texas annektierten, gab es 160000 Anglo-Texaner; die Sklavenarbeit hatte das Leben in dem neuen Staat auf wunderbare Weise bereichert. Während dieser Zeit unternahm der Gouverneur des benachbarten Staates Chihuahua mit einem offenen Brief7 den Versuch, die Menschen von New Mexico wachzurütteln, damit sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten. »Wisst ihr, was für Leute die Texaner sind?«, lautete die Frage an seine Mitbürger.

Es sind Abenteurer, die euch für charakterlose und korrupte Barbaren halten. Sie lästern über euren Gott und verspotten eure frommen Sitten; es sind habgierige Händler, die euch um die Fruchtbarkeit eures Landes beneiden, um die reiche Ausbeute aus euren Minen und die Milde eures Wetters; unter ihnen gibt es auch welche, die ihre Mitmenschen nach der Farbe ihres Gesichtes unterscheiden, um denjenigen, die nicht weiß sind, den Stempel der Sklaverei aufzudrücken […]. Sie sind drauf und dran, von eurem Land mit dem Schwert Besitz zu ergreifen.

Die Anglos waren nicht nur bewaffnet, sie wussten auch Gott auf ihrer Seite. Die New York Morning News formulierte es im Jahr 1845 sehr deutlich: »Es ist unsere göttliche Bestimmung, den ganzen Kontinent einzunehmen und zu besitzen, den uns die Vorsehung für das große Wagnis der Freiheit überantwortet hat.«8

Zu Beginn des Westernepos Red River erreicht der Pionier Thomas Dunson, gespielt von John Wayne, das südliche Texas, nicht weit vom Rio Grande. Gerade noch haben er und sein Begleiter einen Angriff der Comanche abgewehrt, jetzt erhebt er Anspruch auf »die größte Ranch von Texas«. Er sieht sich um – die herrliche Landschaft, die Berge und die unbewohnte Prärie – und stellt sich vor, was er hier in den kommenden Jahren aufbauen wird. Da erscheinen zwei Reiter am Horizont, die sich kurz darauf als Verwalter eines alteingesessenen Grundbesitzers herausstellen, eines mexikanischen Dons. Einer der Verwalter, ein ausgesprochen höflicher grauhaariger Mann, erklärt Dunson/Wayne, dass er sich gerne für ein paar Tage oder auch länger auf Don Diegos Grund und Boden aufhalten könne, aber nur als Gast, denn das Land sei seit vielen Jahren im Besitz von Don Diegos Familie. Dunson, der noch keine Zeit gefunden hat, seine Satteltasche auszupacken, erwidert, dieses Land gehöre nun ihm. Der Verwalter wendet ein, Don Diego werde dem nicht zustimmen. Daraufhin provoziert Dunson den Verwalter, seinen Revolver zu ziehen, und erschießt ihn. Den anderen schickt er mit einer unmissverständlichen Nachricht zu Don Diego zurück. Damit ist die Angelegenheit erledigt, und das Land gehört ihm.

Sieht man sich Red River heute an, wird deutlich, dass der Regisseur Howard Hawks keine Illusionen über die Erschließung des Westens hatte. Innerhalb weniger Minuten stellt er Thomas Dunson erst als mutigen Mann dar, der den indianischen Angriff zurückschlägt, dann zeigt er dessen Aufregung beim Anblick des »unbewohnten« Landstrichs, den er rechtmäßig in Besitz nimmt. Das schnelle Ziehen der Waffe weist ihn als Mann aus, der seine Rechte verteidigt, indem er einen höflichen alten Mexikaner erschießt. Dessen Tod kein Drama ist. Schließlich ist der Mexikaner ein Gegner der »göttlichen Bestimmung« der Kolonisierung des Westens, also nur ein Hindernis für »das große Wagnis der Freiheit« und insofern eigentlich kein Mensch mehr.

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