Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 15

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c. Schutz nationaler Allgemeininteressen

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Über Art. 36 AEUV hinaus hat der EuGH in seiner Rechtsprechung weitergehende Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit entwickelt. Der Gerichtshof hat anerkannt, dass

„bei Fehlen einer Gemeinschaftsregelung [Unionsregelung] und der dadurch eröffneten Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten die aus der Verschiedenheit der nationalen Handelsregelungen sich ergebenden Hemmnisse für den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft [Union] hingenommen werden müssen, soweit diese Regelungen auf Erzeugnisse jeder Herkunft Anwendung finden und zum Schutz zwingender Erfordernisse notwendig sind“.[41]

Bei den „zwingenden Erfordernissen“ handelt sich um nicht-wirtschaftliche Regelungsziele, die von den Mitgliedstaaten auch auf Kosten der Warenverkehrsfreiheit verfolgt werden dürfen. Wirtschaftliche Regelungsziele müssen unter den Bedingungen des Binnenmarkts realisiert werden. Zu den unionskonformen Zielen gehören insbesondere der Umweltschutz, der Verbraucherschutz und der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs sowie sonstige „Allgemeininteressen“. Typischerweise geht es um Regelungen, mit denen jeweils bestimmte Formen des Marktversagens kompensiert werden sollen.

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Allerdings sind solchen mitgliedstaatlichen Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit ihrerseits bestimmte Schranken gesetzt. So können sie zunächst einmal dann nicht angewendet werden, wenn schon die Union einheitliche Regelungen zum Schutz solcher „zwingenden Allgemeininteressen“ erlassen hat. Dazu ist sie im Rahmen ihrer Rechtsangleichungskompetenzen befugt (siehe dazu unten Rn. 175 ff.). Ferner muss es sich um nicht-diskriminierende Regelungen handeln, die auch nicht in verschleierter Form die Inlandsproduktion schützen (vgl. Art. 36 S. 2 AEUV). Im Übrigen wird ein Vorrang des nationalen Regelungsinteresses nur anerkannt, wenn die handelsbeschränkende Maßnahme zur Erreichung des Regelungszwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Das ist sie nicht, wenn bereits der Herkunftsstaat der Ware angemessene (äquivalente) Warenkontrollen zum Schutz „zwingender Erfordernisse“ ausübt. In diesem Fall müssen die Mitgliedstaaten gegenseitig ihre jeweiligen Kontrollen anerkennen (Anerkennungsprinzip) und Doppelkontrollen unterlassen.[42] Hinsichtlich der für die Verkehrsfähigkeit von Waren maßgeblichen Standards gilt somit ein eingeschränktes Herkunftslandprinzip. Die Rechtsprechung des EuGH kann allerdings immer nur zu einer auf Einzelfälle bezogenen Durchsetzung dieses Prinzips führen. Um Rechtssicherheit für die Produzenten zu erreichen und eine umfassende Marktöffnung zu erreichen, bedarf es vielmehr eines regulatorischen Ansatzes, der die Äquivalenz nationaler Produktstandards durch Rechtsangleichung generalisiert (siehe dazu weiter unten Rn. 175 ff.).

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Soweit der Handel mit bestimmten Waren ausschließlich dem Staat vorbehalten ist, kann ein Verbot handelsbeschränkender Regelungen nicht greifen. Solche Monopole gab bzw. gibt es in einigen Mitgliedstaaten etwa für Branntwein, Tabak, Erdöl, Salz etc. Das staatliche Monopol bedarf keiner Vorschriften bzw. administrativen Maßnahmen, um zum Unterlassen von Importen oder Exporten veranlasst zu werden. Vielmehr können die geschäftlichen Entscheidungen des Monopols ganz von selbst verhindern, dass Waren im Ausland gekauft oder ins Ausland verkauft werden. Andererseits ist offensichtlich, dass die Errichtung eines Binnenmarkts gefährdet ist, solange staatliche Handelsmonopole Ein- und Verkaufsentscheidungen nach der Herkunft der Waren und nicht unter ökonomischen (unternehmerischen) Aspekten treffen können. Daher bedurfte es insoweit einer besonderen Regelung in Art. 37 AEUV. Diese Bestimmung verbietet wiederum nicht die Handelsmonopole als solche, sondern versucht lediglich, ihre handelsbeschränkenden Wirkungen zu beseitigen. Demgemäß werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Handelsmonopole derart „umzuformen“, dass Diskriminierungen der geschilderten Art unmöglich sind und die Märkte für die dem Monopol unterliegenden Waren ebenfalls geöffnet werden. Die Umformung kann allerdings durchaus bedeuten, dass bestimmte Monopolrechte ganz zu beseitigen sind. So hat sich der EuGH auf den Standpunkt gestellt, dass jedenfalls Regelungen, die – wie vor allem ausschließliche Ein- und Ausfuhrrechte der Handelsmonopole – per se den freien Warenverkehr beeinträchtigen und daher nach Art. 37 AEUV unzulässig sind.[43]

III. Dienstleistungsfreiheit

Literatur:

Roth Die Harmonisierung des Dienstleistungsrechts in der EWG, EuR 1986, 340; Calliess/Korte Dienstleistungsrecht in der EU (2001); Rolshoven Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs (2002); Sinz Die nationale Regelungszuständigkeit im Bereich der Dienstleistungsfreiheit (2008); Kunzmann Wege zu einem einheitlichen Binnenmarkt für Dienstleistungen (2008); Wägenbaur Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels im Recht der Europäischen Union und der Welthandelsorganisation (2009); Parlow Die EG-Dienstleistungsrichtlinie (2010); Weidtmann-Neuer EG-Dienstleistungsrichtlinie (2010); Kuhn Die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und Sozialgestaltung: Inhalt und Grenzen des grundfreiheitlichen Liberalisierungsauftrages am Beispiel der Dienstleistungsrichtlinie (2013); Obwexer/Ianc Das binnenmarktliche Recht der Dienstleistungsfreiheit, in: Müller-Graff (Hrsg.) Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4] (2015) § 7, 397.

1. Verbot von Beschränkungen

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Das Ziel der Errichtung eines Binnenmarkts umfasst naturgemäß den zwischenstaatlichen Handel mit Produkten jeglicher Art, dh nicht nur den Handel mit körperlichen Gegenständen (Waren), sondern auch die Erbringung von unkörperlichen Leistungen, die wirtschaftlich eine immer größere Rolle spielen. Art. Art. 26 Abs. 2 AEUV bezieht den freien Verkehr mit Dienstleistungen daher ausdrücklich in das Binnenmarktkonzept ein. Gem. Art. 56 ff. AEUV sind mitgliedstaatliche Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verboten.

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Dienstleistungen sind gem. Art. 57 Abs. 1 AEUV alle Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, die also Gegenstand von Markttransaktionen sind. Dabei ist es unerheblich, ob das Entgelt vom Leistungsempfänger oder von jemand anderem gezahlt wird. So stellt die Werbesendung einer Fernsehanstalt eine Dienstleistung gegenüber dem Zuschauer dar, obwohl das werbende Unternehmen dafür bezahlt. Der Begriff der Dienstleistung ist im Kontext des AEUV kein rein wirtschaftlicher, sondern ein rechtlicher. Er umfasst nämlich sämtliche wirtschaftlichen Vorgänge, auch wenn sie keine Dienstleistungen im herkömmlichen Sinne sind, sofern sie keiner der anderen Verkehrsfreiheiten des AEUV (Warenverkehrsfreiheit, Freizügigkeit von Personen, Kapitalverkehrsfreiheit) zugeordnet werden können (siehe Art. 57 Abs. 1 AEUV). Die Dienstleistungsfreiheit ist also als Auffangtatbestand konzipiert. Auf diese Weise erreicht der AEUV, dass sich der Binnenmarkt lückenlos auf den gesamten grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr erstreckt. Ausgenommen sind gem. Art. 62 iVm Art. 51 AEUV nur Leistungen, deren Erbringung mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist. Die Mitgliedstaaten können also solche Tätigkeiten von der Dienstleistungsfreiheit ausnehmen, indem sie sie sich selbst vorbehalten.

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Die Dienstleistungsfreiheit erfasst naturgemäß nur die grenzüberschreitende Leistungserbringung. Dafür kommen drei unterschiedliche Erbringungsformen in Betracht: Denkbar ist zunächst, dass der Leistungserbringer sich aus seinem eigenen Mitgliedstaat zum Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat begibt, und dort die Leistung erbringt (Beispiel: ein französischer Architekt begibt sich in die Bundesrepublik, um dort die Errichtung eines Bauwerks zu planen und zu überwachen); denkbar ist aber auch, dass sich der Leistungsempfänger aus seinem Mitgliedstaat zum Dienstleistungserbringer in dessen Mitgliedstaat begibt, um dort die Leistung in Empfang zu nehmen (Beispiel: ein Deutscher begibt sich in zahnärztliche Behandlung in den Niederlanden; ein Franzose reist nach Italien, und nimmt dort die Dienste eines Stadtführers in Anspruch, wobei es nicht darauf ankommt, ob dieser Führer selbst in Italien ansässig oder ebenfalls aus Frankreich eingereist ist). Schließlich ist grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr auch ohne Ortswechsel des Leistungserbringers oder des Leistungsempfängers möglich, indem nur die Leistung die mitgliedstaatlichen Grenzen überschreitet (Beispiel: ein Deutscher versichert sich auf dem Korrespondenzweg bei einer englischen Versicherungsgesellschaft). Der grenzüberschreitende Charakter eines Dienstleistungsvorgangs ergibt sich also entweder daraus, dass Leistungserbringer und Leistungsempfänger in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind (dann kommt es auf den Ort der Leistungserbringung nicht an), oder daraus, dass die Leistung außerhalb des Staates erbracht wird, in dem der Leistungserbringer ansässig ist (dann kommt es allein auf den Ort der Leistungserbringung an).

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Es liegt auf der Hand, dass die denkbaren Behinderungen des Dienstleistungsverkehrs sehr vielgestaltig sind. Soweit mit der Leistungserbringung ein Ortswechsel eines der Beteiligten erforderlich ist, kann sie durch Einreise-, Aufenthalts- oder Ausreisebeschränkungen (Mobilitätshindernisse) eines Mitgliedstaates behindert oder gar unterbunden werden. Des Weiteren können sich aus den mitgliedstaatlichen Berufszulassungs- und Berufsausübungsregelungen, die es für viele Dienstleistungen gibt (z.B. freie Berufe, Banken, Versicherungen, Handwerk etc.), potentielle Hindernisse ergeben. Sie müssen durch das Gemeinschaftsrecht abgebaut werden, wenn nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen überall in der Gemeinschaft ungehindert angeboten bzw. nachgefragt werden sollen. Deshalb sieht Art. 56 AEUV vor, dass Beschränkungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft verboten sind. Andererseits werden in diesem Bereich sensible Regulierungsinteressen der Mitgliedstaaten berührt. Daher widmet sich der AEUV dem Beschränkungsverbot in einer Reihe differenzierter Normen, nach deren „Maßgabe“ (Art. 56 Abs. 1 AEUV) sich die vorgesehene Liberalisierung richten soll. Insbesondere sieht Art. 59 AEUV den Erlass von Liberalisierungsrichtlinien vor. Die genaueren Konturen der Abgrenzung zwischen freiem Dienstleistungsverkehr einerseits und staatlichen Regelungsinteressen andererseits ergeben sich aus der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtfertigung von Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs durch zwingende Allgemeininteressen (siehe dazu unten Rn. 153 ff.).

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Die zentrale Frage ist, ob Art. 56 AEUV nur solche staatlichen Regelungen erfasst, die den zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehr dadurch behindern, dass sie die Möglichkeit der Erbringung von Dienstleistungen von der inländischen Staatsangehörigkeit abhängig machen, Angehörige anderer Mitgliedstaaten also davon ausschließen (Ausländerdiskriminierung).[44] Aus Art. 57 Abs. 3 AEUV könnte in der Tat entnommen werden, dass die Dienstleistungsfreiheit lediglich das Recht eines ausländischen Leistungserbringers beinhaltet, ebenso behandelt zu werden wie inländische Leistungserbringer (Inländerbehandlungsprinzip).[45] Dann wäre die Dienstleistungsfreiheit nichts anderes als eine besondere Ausprägung des in Art. 18 AEUV enthaltenen allgemeinen Diskriminierungsverbots. Jeder Mitgliedstaat könnte im Übrigen insbesondere seine für Inländer geltenden Berufszulassungs- und Berufsausübungsregelungen ohne Einschränkung auch auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten anwenden. Auch nicht nach der Staatsangehörigkeit diskriminierende Regelungen können aber einen grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr erheblich behindern, und zwar insbesondere dann, wenn sie Voraussetzungen für die Leistungserbringung normieren, die ohne weiteres nur von Inländern erfüllt werden können (so etwa wenn Architekten nur tätig werden dürften, wenn sie im Inland über ein Architektenbüro verfügen oder wenn sie im Inland als Architekten zugelassen sind und die Zulassung womöglich eine inländische Ausbildung voraussetzt). Solche Regelungen sind materiell ebenfalls diskriminierend. Der EuGH spricht insoweit von einer „versteckten Diskriminierung“, die nach Art. 56 AEUV ebenfalls verboten ist.[46]

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Aber selbst die Begrenzung der Dienstleistungsfreiheit auf ein Verbot offener oder versteckter Diskriminierungen hat der EuGH schon relativ früh überwunden. Ansätze dazu finden sich schon im Urteil van Binsbergen, in dem der EuGH „alle Anforderungen die . . . in anderer Weise [als durch Diskriminierung] geeignet sind, die Tätigkeit des Leistenden zu unterbinden oder zu behindern“, als Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit qualifiziert hat.[47] Spätestens im Urteil Säger findet sich die eindeutige Aussage,

„dass Artikel 59 EWG-Vertrag [jetzt: Art. 56 AEUV] nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten – verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern.“[48]

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Hierin liegt die Übertragung der zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Dassonville-Formel[49] auf die Dienstleistungsfreiheit. Der Gerichtshof hat somit Waren und Dienstleistungen hinsichtlich des Umfangs der verbotenen mitgliedstaatlichen Beschränkungen gleichgestellt. Das entscheidende Kriterium für die Feststellung einer Beschränkung ist der unmittelbare Einfluss einer Maßnahme oder Verwaltungspraxis auf den Zugang zum Dienstleistungsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten.[50] Für eine Übertragung der im Keck-Urteil zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Unterscheidung zwischen „produktbezogenen Regelungen“ und „Verkaufsmodalitäten“ auf die Dienstleistungsfreiheit hat sich der EuGH bisher nicht ausgesprochen.[51] Die Dienstleistungsfreiheit erfasst also sämtliche Hindernisse des zwischenstaatlichen Dienstleistungsverkehrs, und zwar auch solche, die vom Herkunftsstaat des Dienstleistungserbringers verursacht werden.[52] Wie bei der Warenverkehrsfreiheit sind sowohl Import- als auch Exportbeschränkungen grundsätzlich unzulässig.

2. Schutz nationaler Allgemeininteressen

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Es liegt auf der Hand, dass die Mitgliedstaaten legitime Interessen haben, Kontrollen sowohl über die Qualifikation der Erbringer von Dienstleistungen als auch über die Art und Weise ihrer Betätigung auszuüben. Solche Kontrollen sollen der Überwindung bestimmter Formen des Marktversagens – insbesondere von Informationsasymmetrien – dienen bzw. öffentliche Güter schützen. Es kann daher nicht darum gehen, jegliche mitgliedstaatliche Regelungsmöglichkeit zu beschneiden. Es kommt vielmehr auf eine sinnvolle Abwägung zwischen Dienstleistungsfreiheit und staatlichen Regelungsinteressen an. Die Situation ist also bei Dienstleistungen nicht anders als bei Waren.

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Der EuGH anerkennt angesichts der Eigenart bestimmter Dienstleistungen die Berechtigung besonderer mitgliedstaatlicher Anforderungen an die Erbringung und den Inhalt solcher Leistungen und hält sie für vereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit. Schon im Urteil van Binsbergen[53] hat der EuGH die Möglichkeit eröffnet, dass die Mitgliedstaaten Verstöße gegen das in der Dienstleistungsfreiheit enthaltene Beschränkungsverbot durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ rechtfertigen:

„In Anbetracht der Besonderheiten der Dienstleistungen dürfen jedoch diejenigen an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen – namentlich der Vorschriften über Organisation, Befähigung, Berufspflichten, Kontrolle, Verantwortlichkeit und Haftung – ergeben und die für alle im Gebiet des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, ansässigen Personen verbindlich sind; dies insoweit, als der Leistende dem Zugriff dieser Regelungen nur deshalb entgehen würde, weil er in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.“[54]

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Dies entspricht ganz der später zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH.[55] Auch hier kommen für die Rechtfertigung von Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs nur nicht-wirtschaftliche Interessen in Betracht (insbesondere der Verbraucherschutz). Wirtschaftliche Interessen hingegen können die Mitgliedstaaten nur noch unter den Bedingungen offener Märkte verfolgen. Im Übrigen hat der EuGH die Möglichkeit der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch zwingende Allgemeininteressen durchweg auf unterschiedslos anwendbare Maßnahmen begrenzt.[56] Diskriminierende Maßnahmen sind danach auf die Möglichkeit der Rechtfertigung durch Erwägungen des ordre public gem. Art. 62 iVm Art. 52 AEUV beschränkt. Allerdings finden sich in der Rechtsprechung gelegentlich auch Ansätze für eine Erstreckung des Rechtfertigungsgrundes der zwingenden Allgemeininteressen auf diskriminierende Maßnahmen.[57]

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In jedem Fall kommt es auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips an. Dieses Prinzip enthält zwei Kontrollmaßstäbe: zum einen die Eignung einer Maßnahme zur Erreichung des jeweiligen Schutzziels, zum anderen deren Erforderlichkeit und Angemessenheit. Die Eignung ist gewöhnlich unproblematisch. Die Erforderlichkeit bemisst sich danach, inwieweit bereits der Herkunftsstaat (Niederlassungsstaat) des Leistungserbringers durch seine Regelungen den Bedürfnissen des Schutzes bestimmter zwingender Allgemeininteressen Rechnung trägt. Dieser Gedanke entspricht dem vom EuGH zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Prinzip, dass alle in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Güter in der ganzen Gemeinschaft als verkehrsfähig anerkannt werden müssen.[58] Darin steckt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausländischer Kontrollen und der Grundsatz der Vermeidung von Doppelkontrollen (eingeschränktes Herkunftslandprinzip). Diese Grundsätze hat der EuGH somit auch auf den Dienstleistungsverkehr übertragen.[59] Unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit kommt es zunächst einmal darauf an, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was zum Erreichen der Schutzziele erforderlich ist. Zum anderen dürfen die Maßnahmen in die Dienstleistungsfreiheit nicht stärker als erforderlich eingreifen. Unter diesem Gesichtspunkt ist stets zu prüfen, ob der Schutz zwingender Allgemeininteressen nicht auch durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, das die Dienstleistungsfreiheit in geringerem Maße oder gar nicht beschränkt.[60] So sind etwa Diskriminierungen – soweit sie überhaupt gerechtfertigt werden können – besonders begründungsbedürftig, weil es nicht ohne weiteres einleuchtet, warum sie zum Schutz öffentlicher Interessen erforderlich sein sollten.

IV. Niederlassungsfreiheit

Literatur:

Nachbaur Niederlassungsfreiheit: Geltungsbereich und Reichweite des Art. 52 EGV im Binnenmarkt (1999); Lackhoff Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur eine Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht? (2000); Siekemeier/Wendland Die binnenmarktliche Niederlassungsfreiheit der Selbstständigen, in: Müller-Graff (Hrsg.) Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4] (2015) § 3, 159; Kainer Die binnenmarktliche Niederlassungsfreiheit der Unternehmen, in: Müller-Graff (Hrsg.) Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4] (2015) § 4, 209.

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