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1. Teil Grundlagen › 3. Kapitel Das System unverfälschten Wettbewerbs
3. Kapitel Das System unverfälschten Wettbewerbs
1. Teil Grundlagen › 3. Kapitel Das System unverfälschten Wettbewerbs › § 9 Funktion des Wettbewerbs im Binnenmarkt
§ 9 Funktion des Wettbewerbs im Binnenmarkt
Inhaltsverzeichnis
I. Ziele des Wettbewerbs
II. Wettbewerbstheoretische Grundlagen
III. Realfaktoren
IV. Wettbewerbspolitische Leitbilder
I. Ziele des Wettbewerbs
Literatur:
Nowak Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts und der Grundfreiheiten im Binnenmarkt, EuR 2004, Beiheft 3, 77; Drexl Wettbewerbsverfassung, in: von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 905; Dreher Die europäische Wirtschaftsverfassung nach dem Vertrag von Lissabon, in: FIW (Hrsg.) Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft: 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010, FIW-Schriftenreihe Heft 234 (2010) 161; Patel/Schweitzer The Historical Foundations of EU Competition Law (2012); Immenga/Mestmäcker Die Bedeutung der Wettbewerbsregeln in der Wirtschaftsverfassung der EU, in: Dies. (Hrsg.) Wettbewerbsrecht, Band 1/2 Teile – Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht (5. Aufl. 2012) Einl EU B., 23; Zimmer (ed.) The goals of competition law (2012); Müller-Graff Grundfreiheiten und Wettbewerbsordnung, in: Hatje/Müller-Graff (Hrsg.) Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 1] (2014) § 9, 477; Kerber/Schwalbe Die ökonomischen Grundlagen des Wettbewerbsrechts, in: MüKoEuWettbR (2. Aufl. 2015), Einl. B., 22, Rn. 131 ff.; Terhechte „Constitutional moments“ im europäischen Wettbewerbsrecht? – Wettbewerbsverfassung – Individualisierung – Ökonomisierung, in: Behrens/Kotzur/Lammers (Hrsg.) Sechs Dekaden europäischer Integration – eine Standortbestimmung, Schriftenreihe des EUROPA-KOLLEGS HAMBURG, Bd. 73 (2015).
1. Effizienz und wirtschaftliches Wachstum
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Das wirtschaftliche Endziel der europäischen Integration umschreibt Art. 3 Abs. 1 EUV mit den Worten „Ziel der Union ist es, … das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“. (Der frühere EG-Vertrag sprach in Art. 2 von der „Hebung der Lebenshaltung und Lebensqualität“.) Es geht also um die stetige Verbesserung des Lebensstandards der Bürger. Die Wirtschaftsordnung der Europäischen Union soll daher so gestaltet sein, dass die größtmöglichen Chancen für die Erreichung dieses Ziels bestehen. Insbesondere muss daher von der Ordnung der Wirtschaft erwartet werden können, dass sie Effizienz und Wachstum gewährleistet. Indem nun Art. 3 Abs. 1 und 3 EUV die Förderung des Wohlergehens der Völker mit dem Konzept des auf wirtschaftlichen Freiheiten basierenden Binnenmarkts verknüpft, zielt die wirtschaftliche Integration insgesamt auf Effizienz im Rahmen einer Ordnung, die auf individuellen Marktfreiheiten beruht.
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Effizienz bedeutet, dass die vorhandenen knappen Ressourcen von den Produzenten im Interesse der Konsumenten so verwendet werden, dass mit dem geringst möglichen Aufwand möglichst viel von den Gütern hergestellt werden, welche die Konsumenten entsprechend ihren individuellen Präferenzen, die sie durch ihre Zahlungsbereitschaft am Markt zum Ausdruck bringen, kaufen wollen. Es geht also um zweierlei: zum einen um Präferenzgerechtigkeit, dh die Produzenten sollen ihre Produktion an den Konsumentenpräferenzen orientieren (das wird in der Wettbewerbstheorie gewöhnlich als allokative Effizienz bezeichnet). Zum anderen geht es um Kosteneffizienz: die Produzenten sollen diejenige Kombination von Produktionsfaktoren (Produktionstechnologie) anwenden, die den geringsten Ressourcenverbrauch mit sich bringt. Denn ein Zustand A, in dem mehr bzw. bessere Güter und Leistungen zu niedrigeren Kosten (und Preisen) hergestellt werden können, ist aus der Sicht der Konsumenten einem Zustand B vorzuziehen, in dem weniger bzw. schlechtere Güter zu höheren Kosten (und Preisen) produziert werden (das wird in der Wettbewerbstheorie gewöhnlich als produktive Effizienz bezeichnet). Mit sinkenden Preisen steigen die Konsummöglichkeiten der Verbraucher, weil sie mit ihrem stets begrenzten Budget mehr kaufen können.
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Wachstum bedeutet, dass die Produktivität der Produktionsfaktoren sowie die Qualität der Produkte ständig erhöht werden. Das setzt innovatives Verhalten der Produzenten voraus. Dafür müssen sie einen Anreiz haben, sich um neue wissenschaftliche und technische Erkenntnisse zu bemühen, damit bessere bzw. neue Produkte und Produktionstechnologien entwickelt werden können. Hierin liegt zugleich der dynamische Aspekt des Effizienzziels (dynamische Effizienz). Der Wirtschaftsprozess ist dynamisch effizient, wenn die Investitionen in Innovation (dh in Forschung und Entwicklung) genauso groß sind wie die daraus resultierenden Erträge. Das institutionelle Anreizsystem entspricht den Erfordernissen dynamischer Effizienz dann am besten, wenn es gewährleistet, dass die aus einer Innovation resultierenden Erträge bis zur Höhe der Investition in die Innovation nur demjenigen zugutekommen, der die Investition getätigt hat (beispielsweise durch zeitlich begrenzte ausschließliche Nutzungsrechte wie im Falle des Patenschutzes).
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Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV sieht nun ausdrücklich vor, dass die Union einen Binnenmarkt errichtet, der nach dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb, „ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“. Damit ist das institutionelle Instrumentarium bezeichnet, mit dem das wirtschaftliche Ziel der Förderung des Wohlergehens der Völker in der Europäischen Union erreicht werden soll. Der AEUV geht also davon aus, dass wirtschaftliche Effizienz und Wachstum im Prinzip gerade unter Wettbewerbsbedingungen optimal erreicht werden können.
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Die Koordination der Produktions- und der Konsumentscheidungen von Produzenten und Konsumenten mit dem Ziel der allokativen Effizienz (Präferenzgerechtigkeit) und der produktiven Effizienz (Kosteneffizienz) ist in der Tat nur in einem Wettbewerbssystem optimal möglich. Denn die Frage, was, wie und für wen produziert und zu welchen Preisen es verkauft bzw. von wem es gekauft und konsumiert werden soll und kann, muss von allen Marktteilnehmern ständig neu entschieden werden. Die effizienten Lösungen müssen also ständig aufs Neue bestimmt werden. Aus mehreren Gründen kann dies grundsätzlich – abgesehen von bestimmten Fällen des Marktversagens[1] – nur in einem System dezentraler Entscheidungen geschehen, in dem jeder Marktteilnehmer die Chance hat, seinen individuellen Wirtschaftsplan mit den Wirtschaftsplänen aller anderen Marktteilnehmer abzustimmen. Es wäre völlig ausgeschlossen, dass eine zentrale Stelle über sämtliche Informationen verfügt, die zur Koordination der individuellen Wirtschaftspläne von Produzenten und Konsumenten erforderlich sind. Diese Informationen sind vielmehr über sämtliche Marktteilnehmer verteilt. Nur durch die ständige Interaktion der Marktteilnehmer lassen sich die relevanten Informationen darüber gewinnen, welche Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und wie die Konsumenten auf die alternativen Angebote reagieren. Effizienz ist somit das Ergebnis eines Suchprozesses, der für die Teilnahme aller Produzenten und Konsumenten offen ist. Sofern dies der Fall ist, entsteht unter profitorientierten Marktteilnehmern ganz von selbst eine Rivalität hinsichtlich der relativ besseren (präferenzgerechten und kosteneffizienten) Lösungen. Was effizient ist, lässt sich also grundsätzlich – abgesehen von bestimmten Fällen des Marktversagens – nicht von einem Standpunkt außerhalb des wettbewerblichen Entdeckungsverfahrens bestimmen.[2]
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Dasselbe gilt für die Verfolgung des Ziels der dynamischen Effizienz, dh die wissenschaftlich-technische Innovation. Grundsätzlich – also wiederum abgesehen von bestimmten Fällen des Marktversagens – vermittelt nur ein Wettbewerbssystem den Produzenten die Anreize, die erforderlich sind, damit sie in Forschung und Entwicklung investieren. Der Prozess des Rivalisierens stimuliert die Produzenten, innovative Produkte zu entwickeln, die ihnen in der Gunst der Konsumenten für gewisse Zeit einen Vorsprung vor den Konkurrenten verschaffen, bis die letzteren ihrerseits mit vergleichbaren oder besseren Produktentwicklungen aufwarten können. Und so werden die Produzenten zugleich gezwungen, kostengünstigere Produktionstechnologien zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Produkte günstiger anzubieten als die Konkurrenten, bis auch die Konkurrenten entsprechende Technologien anwenden können.
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Die in Art. 3 Abs. 1 und 3 EUV angelegte Verknüpfung des Ziels der „Förderung des Wohlergehens der Völker“ mit der Errichtung des Binnenmarkts, der seinerseits auf der Öffnung der nationalen Märkte und dem System unverfälschten Wettbewerbs beruht, wird im AEUV durch den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 AEUV) bestätigt, der die normative Grundlage der Wirtschaftsordnung der Europäischen Union darstellt. Die Bezugnahme des AEUV iVm dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb auf das System unverfälschten Wettbewerbs ist somit nicht nur ein Programmsatz, der auf ökonomischen Einsichten beruht. Die Verwirklichung einer Wettbewerbsordnung ist vielmehr der EU rechtsverbindlich vorgegeben.[3] Das hat der EuGH schon 1973 in seiner Entscheidung Continental Can[4] klar zum Ausdruck gebracht, die angesichts des Protokolls Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat. Es steht somit nicht im Ermessen der Union, mit welchen Instrumenten sie die „Förderung des Wohlergehens der Völker“ erreichen will. Vielmehr legt das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb ausdrücklich fest, dass die Union für die Zwecke der Verwirklichung des Binnenmarkts und des Systems unverfälschten Wettbewerbs „nach den Bestimmungen der Verträge … tätig wird“. Die Union ist somit auf die Realisierung einer wettbewerblichen Wirtschaftsordnung verpflichtet, deren konkrete Konturen sich aus den Wettbewerbsregeln ergeben, die in Art. 101–109 AEUV niedergelegt sind. Demgemäß hat der EuGH bereits in seiner grundlegenden Entscheidung im Fall Metro I folgendes ausgeführt:[5]
„Der in den Artikeln 3 und 85 EWG-Vertrag [jetzt: Art. 3 Abs. 3 EUV iVm Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb und Art. 101 AEUV] geforderte unverfälschte Wettbewerb setzt das Vorhandensein eines wirksamen Wettbewerbs (workable competition) auf dem Markt voraus; es muss also so viel Wettbewerb vorhanden sein, dass die grundlegenden Forderungen des Vertrages erfüllt und seine Ziele, insbesondere die Bildung eines einzigen Marktes mit binnenmarktähnlichen Verhältnissen, erreicht werden.“
Und die Kommission hat schon in ihrem Ersten Wettbewerbsbericht von 1971 die Bedeutung des Systems unverfälschten Wettbewerbs folgendermaßen zum Ausdruck gebracht:[6]
„Der Wettbewerb stimuliert in der Tat am besten die wirtschaftliche Aktivität und sichert für die Beteiligten den größtmöglichen Freiheitsspielraum. Eine aktive Wettbewerbspolitik, wie sie die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften vorschreiben, erleichtert die ständige Anpassung der Angebots- und Nachfragestrukturen und die technische Entwicklung; das freie Spiel dezentralisierter Entscheidungsmechanismen führt zu einer ständig verbesserten Leistungsfähigkeit der Unternehmen und bildet so die Grundlage für ein stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der Völker der Gemeinschaft.“
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Die Frage nach dem konkreten wettbewerbspolitischen Leitbild, an dem sich die Wettbewerbspolitik der Union bei der Feststellung von Wettbewerbsbeschränkungen orientiert, ist damit zwar noch nicht beantwortet; darauf ist an späterer Stelle näher einzugehen (siehe Rn. 322 ff.). Im Ausgangspunkt ist jedoch nicht zweifelhaft, dass die Wirtschaftsverfassung der Union nach wie vor durch den in Art. 119 AEUV kodifizierten Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gekennzeichnet ist, der durch das Binnenmarktrecht und die in Art. 101–109 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln konkretisiert wird.[7]
2. Wirtschaftliche Integration
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Im Kontext des AEUV erfüllt das System unverfälschten Wettbewerbs auch eine spezifisch integrationspolitische Funktion, die aber ebenfalls im Dienst des Effizienz- und Wachstumsziels steht wie es in Art. 3 Abs. 1 EUV enthalten ist. Für die Integration nationaler Märkte in einen Binnenmarkt sind zunächst einmal die wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten konstitutiv. Sie beinhalten an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbote, den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr zu beschränken. Durch diese Öffnung der nationalen Märkte erhalten die in den Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen die Möglichkeit, in die Märkte der jeweils anderen Mitgliedstaaten einzudringen. Die dadurch begründete Handlungsfreiheit der Unternehmen und Verbraucher führt von selbst zur Intensivierung des Wettbewerbs in der gesamten Union. Es ist dieser Prozess des grenzüberschreitenden Wettbewerbs, der im Kern die wirtschaftliche Integration in der EU ausmacht. Die wechselseitige Durchdringung der nationalen Märkte wird nicht von den Regierungen der Mitgliedstaaten angeordnet, sondern vielmehr von den Marktteilnehmern selbst erreicht, indem sie sich als Wettbewerber über die nationalen Grenzen hinweg betätigen. Die wirtschaftlichen Freiheiten geben ihnen die Möglichkeit dazu; die Anreize, von diesen Freiheiten auch Gebrauch zu machen, schafft der Wettbewerb.
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Diese integrationspolitische Dimension des Systems unverfälschten Wettbewerbs kommt im AEUV dadurch zum Ausdruck, dass er sich nicht auf die Normierung der wirtschaftlichen Freiheiten beschränkt, deren Verbote sich im Prinzip nur auf staatliche Maßnahmen beziehen. Auch Unternehmen können mit den Mitteln des Privatrechts den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr beschränken oder ausschließen. Sie können sich beispielsweise durch vertragliche Vereinbarungen verpflichten, grenzüberschreitende Exporte ihrer Produkte zu unterlassen. Dadurch würde der Binnenmarkt wieder in nationale Teilmärkte aufgeteilt. Der Wettbewerb käme allenfalls im Rahmen der mitgliedstaatlichen Märkte zur Geltung. Die Entstehung eines unionsweiten Wettbewerbssystems würde damit verhindert. Aus diesem Grunde haben auch die Wettbewerbsregeln zum Ziel, die Offenheit der nationalen Märkte zu gewährleisten. Darin treffen sich also die wirtschaftlichen Freiheiten, die den Binnenmarkt konstituieren, und die Regeln, die das System unverfälschten Wettbewerbs begründen. Aus dieser Komplementarität von Binnenmarkt und Wettbewerbssystem folgt das spezifische Charakteristikum der Europäischen Union: das Wohlergehen der Völker im Sinne von Effizienz und wirtschaftlichem Wachstum sollen auf der Grundlage individueller Freiheitsrechte gefördert werden. Mit dem in Art. 119 AEUV kodifizierten Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft und freien Wettbewerbs nimmt der Vertrag explizit Bezug auf die unionsrechtlich geschützten wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer. Die wirtschaftliche Integration in der Union ist davon abhängig, dass die Marktteilnehmer von diesen Freiheiten Gebrauch machen können. Sowohl das Binnenmarktrecht als auch das Wettbewerbsrecht schützen die Marktteilnehmer daher gleichermaßen gegen Beschränkungen dieser Freiheiten. Damit ist bereits eine Übereinstimmung der Schutzziele der binnenmarktrechtlichen Verkehrsfreiheiten und der Wettbewerbsregeln angedeutet.[8]
II. Wettbewerbstheoretische Grundlagen
Literatur:
Adam Smith Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, übersetzt von M. Streissler, hrsg. von E.M. Streissler (1999); Hildebrand The Role of Economic Analysis in the EC Competition Rules (2002); Motta Competition Policy – Theory and Practice (2004); Knieps Wettbewerbsökonomie (2. Aufl. 2005); Carlton/Perloff Modern Industrial Organization (4th. ed. 2005); van den Bergh/Camesasca European Competition Law and Economics (2nd ed. 2006); Bishop/Walker Economics of E.C. Competition Law: Concepts, Application and Measurement (3rd. ed. 2007); Schmidt/Haucap Wettbewerbspolitik und Kartellrecht (10. Aufl. 2013); Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht (3. Aufl. 2014) § 3 Wettbewerb der Unternehmen, IV. Wettbewerbstheorie als Preistheorie, 69 ff.; Kerber/Schwalbe Die ökonomischen Grundlagen des Wettbewerbsrechts, in: MüKoEuWettbR (2. Aufl. 2015), Einl. B., 22, Rn. 131 ff.
1. Einführung
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Für die Interpretation und Anwendung der Wettbewerbsregeln, insbesondere für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale, welche die Sachverhalte umschreiben, auf die sie sich beziehen, ist das Verständnis einiger grundlegender ökonomischer Konzepte unerlässlich. Wettbewerbsrechtliche Regelungen betreffen Vorgänge, deren Sinn in ökonomischen Kategorien erschlossen werden muss, bevor sie rechtlich bewertet werden können. Der dafür einschlägige Zweig der Volkswirtschaftslehre ist die Mikroökonomik, die das Verhalten von Marktteilnehmern als Reaktion auf bestimmte marktbedingte Anreize (vor allem in Form von Preisen) analysiert. Insbesondere ist das Verhalten der Marktteilnehmer nicht unabhängig von der jeweiligen Marktstruktur. Ein Monopolist verhält sich aufgrund der Anreize, denen er ausgesetzt ist, anders als ein Unternehmen, das in einem polypolistischen Markt mit dem Wettbewerb einer Vielzahl von Konkurrenten konfrontiert ist. Entsprechend unterschiedlich ist die Situation der Marktteilnehmer auf der jeweiligen Marktgegenseite im Hinblick auf die alternativen Geschäftsabschlussmöglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen und zwischen denen sie wählen können. Solche Verhaltensunterschiede führen jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Verteilung der Ressourcen und damit auf die Allokationseffizienz. Die Mikroökonomik beschäftigt sich seit langem mit den Beziehungen zwischen Marktstrukturen, dem Verhalten von Unternehmen und den daraus resultierenden ökonomischen Ergebnissen.
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Zu analytischen Zwecken verwendet die Mikroökonomik Modelle, die solche Zusammenhänge widerspiegeln. Ausgangspunkt ist dabei das Modell des homo oeconomicus. Es unterstellt, dass die Marktteilnehmer sich stets in dem Sinne rational verhalten, dass sie entsprechend ihren Präferenzen zielgerichtet ihren Nutzen maximieren und zwar aufgrund vollständiger Information. Die Tatsache, dass sich die Marktteilnehmer in Wirklichkeit häufig über ihre Präferenzen keineswegs im Klaren sind, dass sie in der Regel nicht über vollständige Informationen verfügen und unter Unsicherheit entscheiden müssen, so dass allenfalls von eingeschränktem Rationalverhalten (bounded rationality) gesprochen werden kann, wird im Modell ebenso ausgeblendet wie die Existenz von Transaktionskosten. (Auf die Relevanz dieser Gesichtspunkte, mit denen sich die Verhaltens-, Transaktionskosten- und Institutionenökonomik beschäftigt und die die Gültigkeit der aus den mikroökonomischen Modellen abgeleiteten Schlussfolgerungen relativieren können, ist weiter unten zurückzukommen, siehe Rn. 311 ff.). Dennoch ist die Modellbildung für das Verständnis der Realität unerlässlich.
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Der Sinn mikroökonomischer Modelle besteht ausschließlich darin, grundlegende Zusammenhänge aufzudecken und zu verstehen. Es geht nicht um die Beschreibung konkreter Marktsituationen. Davon wird gerade abstrahiert, um verallgemeinerungsfähige Aussagen treffen zu können. Denn das Verstehen der Realität setzt eine Theorie voraus, die in der Lage ist, überprüfbare Hypothesen zu generieren. Nur mit ihrer Hilfe sind konkrete Marktsituationen überhaupt in relevanten Kategorien zu erfassen, und zwar gerade auch hinsichtlich ihrer Abweichungen vom Modell.[9] Es ist eine andere Frage, inwieweit mikroökonomische Erkenntnisse sich auch normativ im Sinne wettbewerbspolitischer Empfehlungen verwenden lassen. Je robuster, dh unempfindlicher gegenüber unterschiedlichen Fallgestaltungen, die Prämissen sind, von denen die ökonomischen Modelle ausgehen, desto eher haben auch die daraus abgeleiteten Empfehlungen normative Überzeugungskraft.