Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 27
Der entscheidende wettbewerbsrelevante Aspekt, der all diesen Strategien gemeinsam ist, besteht also in der Benachteiligung Dritter hinsichtlich ihrer wettbewerblichen Handlungsspielräume, über die sie im Rahmen der jeweils gegebenen Marktstruktur verfügen und von denen sie aufgrund ihrer Handlungsautonomie Gebrauch machen können. Jede Verengung der Marktstruktur impliziert eine Reduktion der Alternativen, die der einen oder der anderen Marktseite als Bezugsquellen oder Absatzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
b. Marktverhaltenstest
341
Wettbewerbswidriges Verhalten von Unternehmen ist ein Kampfmittel im Prozess des Rivalisierens der Marktteilnehmer. In diesem Sinne ist unternehmerisches Verhalten stets ambivalent: Es ist einerseits Ausdruck des Wettbewerbs; aber es kann zugleich die Voraussetzungen dafür außer Kraft setzen, dass sich der Rivalitätsprozess auch für die Zukunft fortsetzt. Dem Marktverhaltenstest liegt die Annahme zugrunde, dass sich bestimmte Verhaltensweisen unabhängig von ihrer Drittwirkung als wettbewerbswidrig identifizieren lassen. Dabei geht es stets um Strategien, die das künftige Marktverhalten von Unternehmen determinieren, indem sie im Voraus den künftigen Einsatz bestimmter Wettbewerbsparameter dem Rivalitätsprozess entziehen.
342
Zu den grundlegenden Voraussetzungen des Rivalisierens der Konkurrenten gehört – wie bereits ausgeführt – die Handlungsautonomie der Marktteilnehmer. Jeder Konkurrent muss selbstständig darüber entscheiden können, was er wie produzieren will und in welchen Mengen, zu welchen Preisen und mit welchen Methoden er seine Produkte zu vertreiben beabsichtigt, und überhaupt: welche Mittel er als Aktionsparameter im Wettbewerb einsetzen will. Dabei wird er sich zwar über das wahrscheinliche Verhalten der Abnehmer ebenso wie das Verhalten seiner Konkurrenten so gut wie möglich informieren. Aber es bestehen keine zwingenden wechselseitigen Abhängigkeiten, welche die eigenen Entscheidungen inhaltlich determinieren würden. Dies schon deshalb nicht, weil Unternehmen ihre wirtschaftlichen Entscheidungen stets unter Unsicherheit treffen. Diese Unsicherheit beruht darauf, dass vollständige Information über das Verhalten der übrigen Marktteilnehmer grundsätzlich nicht zu erlangen ist. Wettbewerb lebt geradezu von der Ungewissheit bezüglich des Marktverhaltens der Konkurrenten und der Abnehmer. Ein wesentliches Element des Rivalisierens, das den Wettbewerbsprozess kennzeichnet, ist daher die selbstständige Suche nach immer besseren Produktionsmöglichkeiten durch Qualitätsverbesserungen bzw. Kostensenkungen. Die Anreize dazu ergeben sich gerade aus der Enttäuschung von Erwartungen und dem dadurch ausgelösten Zwang zur Veränderung. Durch Beschränkungen dieses Prozesses würde das Effizienzziel verfehlt, dem das Wettbewerbssystem langfristig dienen soll.
343
Dem Rivalisieren von Produzenten entspricht auf der Marktgegenseite die Auswahlfreiheit der potentiellen Abnehmer. Diese verfügen unter Wettbewerbsbedingungen über alternative und miteinander konkurrierende Bezugsquellen, die sie miteinander vergleichen und unter denen sie auswählen können. Auch diese Auswahlfreiheit hat die Autonomie der Abnehmer, dh ihre Selbstständigkeit zur Voraussetzung. Und sie hat ferner zur Voraussetzung, dass die Abnehmer sich hinreichend und zutreffend über die alternativen Angebote informieren können. Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Abnehmern verzerren die Vergleichsmöglichkeiten und verhindern, dass die Auswahl unter den konkurrierenden Angeboten bei gegebenem Preis ausschließlich nach qualitativen Gesichtspunkten getroffen wird. Im Falle von Informationsdefiziten auf Seiten der Abnehmer wird das Effizienzziel im Sinne der allokativen Effizienz (Präferenzgerechtigkeit) der Produktion verfehlt. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun bestimmte Verhaltensweisen umschreiben, welche die Handlungsautonomie der Marktteilnehmer und damit den Wettbewerb beeinträchtigen:
344
Zunächst einmal ist es denkbar, dass sich die Marktteilnehmer (seien es Anbieter oder Abnehmer) freiwillig ihrer Autonomie begeben und ihr künftiges Marktverhalten mittels bestimmter Koordinationsstrategien aufeinander abstimmen. Das werden sie nur tun, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Solche Vorteile können sich dann ergeben, wenn sich Konkurrenten auf eine wechselseitige Koordination ihres Marktverhaltens einlassen, um sich gemeinsam der Kontrolle des Wettbewerbs zu entziehen. Sie eröffnen sich auf diese Weise kollektiv monopolistische Handlungsspielräume, die sie im Sinne der Produktionseinschränkung bzw. der Anhebung der Preise oberhalb der Wettbewerbspreise nutzen können. Je mehr sich allerdings die gegenseitige Verhaltensabstimmung auf wenige oder gar nur einen Wettbewerbsparameter – wie etwa den Marktpreis – beschränkt, desto größer ist der Anreiz für alle Beteiligten, den Wettbewerb hinsichtlich anderer Parameter – wie beispielsweise die Qualität der Produkte – zu intensivieren. Dann verlagert sich der Prozess des Rivalisierens lediglich, ohne dass er ganz unterbunden würde. Um auch die verbleibenden Möglichkeiten des Rivalisierens zu beseitigen, tendieren Kartelle dazu, die Zahl der ausgeschalteten Wettbewerbsparameter ständig auszudehnen und auch Außenseiterkonkurrenz auszuschalten bis sie womöglich eine vollständige (private) Zwangsordnung für den gesamten Markt erreicht haben. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen sind in jedem Fall negativ. Die Kartellmitglieder sind gezwungen, Ressourcen in die Aufrechterhaltung des Kartells, in die Abwehr potentieller Außenseiter-Konkurrenten und in den heimlichen Wettbewerb untereinander zu investieren. Auf diese Weise wird – ähnlich wie im Monopol – die Kartellrente in volkswirtschaftliche Kosten transformiert, die unter Wettbewerbsbedingungen vermieden würden.[53]
345
Marktteilnehmer können ferner die Rivalität untereinander durch Integration (dh Zusammenschluss) ihrer Unternehmen gänzlich beseitigen. In diesem Fall wird das Risiko des Geheimwettbewerbs unter Kartellmitgliedern ausgeschaltet.
346
Sowohl die Koordination des Marktverhaltens von Wettbewerbern als auch der Zusammenschluss von Konkurrenten zu einer neuen Unternehmenseinheit ließen sich mit der Begründung als Wettbeschränkung qualifizieren, dass sie die wettbewerbliche Handlungsautonomie der Beteiligten im Innenverhältnis aufheben. Allerdings würden damit sehr viele Fälle erfasst, in denen die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Interaktionssystem nicht wirklich gefährdet ist. Wenn zwei kleine Bäckereien ein Kartell bilden oder sich zu einer einzigen Bäckerei zusammenschließen, so lässt das den Wettbewerbsprozess insgesamt unberührt. Zur Vermeidung zu vieler Beurteilungsfehler müssen daher Schwellenwerte definiert werden, nach denen die relevanten von den irrelevanten Fällen getrennt werden können. Es liegt nun nahe, diese Schwellenwerte unter dem Gesichtspunkt der Drittwirkungen (im Außenverhältnis) festzulegen, dh im Sinne marktstruktureller Kriterien. Demgemäß richten sich die Relevanzschwellen für Kartelle oder Unternehmenszusammenschlüsse typischerweise nach der Marktstellung der Beteiligten. Bei Kartellen kann die Marktstellung durch vergleichsweise niedrige Mindest-Marktanteile der Unternehmen definiert werden, bei Unternehmenszusammenschlüssen ist das Kriterium der Marktbeherrschung sinnvoll. Denn die durch Zusammenschluss neu entstehende Unternehmenseinheit kann in der Regel nur unter der Voraussetzung der Marktbeherrschung eine zumindest abstrakte Gefahr für den Wettbewerb darstellen, weil sie die Möglichkeit hätte, künftig noch vorhandene Restwettbewerber aus dem Markt zu verdrängen oder sie vom Zugang zu bestimmten Ressourcen auszuschließen. Aber auch im Falle der Entstehung eines engen Oligopols unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle kann eine Gefährdung des Wettbewerbs durch die Koordination des Marktverhaltens der Oligopolisten nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden.
347
Die konkrete Gefahr der Verdrängung von Wettbewerbern und einer daraus resultierenden Verengung der Marktstruktur mit entsprechend negativen Drittwirkungen kann schließlich auch durch einseitiges Verhalten eines einzelnen Unternehmens hervorgerufen werden. Plausibel ist dies jedoch nur, wenn das betreffende Unternehmen seinerseits bereits eine marktbeherrschende Stellung einnimmt und der Wettbewerbsdruck aufgrund einer bereits verengten Marktstruktur geschwächt ist. Auch insoweit ergibt sich also die Wettbewerbswidrigkeit des fraglichen Verhaltens aus seinen marktstrukturell bedingten Drittwirkungen.
348
Es zeigt sich somit, dass ein reiner Marktverhaltenstest grundsätzlich nicht hinreicht, um wettbewerbswidriges von wettbewerbskonformem Verhalten zu unterscheiden, sondern ein Rückgriff auf den Aspekt der marktstrukturellen Drittwirkung erforderlich ist.
349
Allerdings sind Fälle denkbar, in denen der Wettbewerbsschutz unabhängig von konkreten marktstrukturellen Erwägungen eingreifen muss, weil allein schon die Ausschaltung der Rivalität zwischen konkurrierenden Unternehmen eine hinreichend gravierende Störung des Wettbewerbssystems durch Einschränkung der Handlungsspielräume der beteiligten Unternehmen selbst darstellt. In diesem Sinne wird die koordinierte Festsetzung von Preisen, die Beschränkung der Produktion sowie die Aufteilung von Märkten als besonders gefährlich angesehen. Man spricht insoweit von Kernbeschränkungen („hard core cartels“). Letztlich wird aber auch in diesen Fällen die Wettbewerbswidrigkeit nicht allein mit der Selbstbeschränkung der Kartellanten begründet werden können. Vielmehr geht es auch hier um den Schutz der wettbewerblichen Handlungsspielräume Dritter, nämlich der Abnehmer. Im Falle von Kernbeschränkungen der genannten Art treten jedoch die negativen marktstrukturellen Auswirkungen für die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite derart offensichtlich zu Tage, dass es insoweit im Einzelfall keiner besonderen Wirkungsanalyse bedarf. Daher hat der Marktverhaltenstest, der das Urteil der Wettbewerbswidrigkeit lediglich an das beobachtete unternehmerische Verhalten selbst anknüpft, immerhin einen begrenzten Anwendungsbereich.
c. Marktergebnistest
350
Daraus, dass der wirtschaftliche Wettbewerb dem Effizienzziel im Sinne von Präferenzgerechtigkeit und Kostenminimierung sowie dem Ziel des Wachstums durch Innovation dient, hat man vor dem Hintergrund der neoklassischen Wohlfahrtstheorie die Schlussfolgerung gezogen, dass die Wettbewerbskonformität bzw. Wettbewerbswidrigkeit des Marktverhaltens von Unternehmen danach beurteilt werden sollte, ob das Marktergebnis im Einzelfall die Effizienz bzw. Innovation steigert oder vermindert. Die Minderung der Effizienz im Sinne der allokativen Effizienz (Präferenzgerechtigkeit) wäre also danach zu beurteilen, ob ein bestimmtes Marktverhalten zu Einschränkungen der Produktion (und möglicherweise der Innovation) bzw. zu entsprechenden Preiserhöhungen führt. Die Minderung speziell der produktiven Effizienz (Kosteneffizienz) ließe sich etwa daran festmachen, dass das zu beurteilende Marktverhalten keinerlei Skalenerträge mit sich bringt. Maßstab für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung wäre also der Nachweis solcher Ineffizienzen bzw. – bei umgekehrter Beweislast – der mangelnde Nachweis von Effizienzgewinnen.
351
Nun ist die Wohlfahrtsökonomik ursprünglich eine Theorie des Staatshandelns und nicht des einzelwirtschaftlichen Verhaltens von Unternehmen.[54] Vor diesem Hintergrund werden jedoch auch behördliche oder gerichtliche Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen als staatliche Eingriffe in das Verhalten von Unternehmen betrachtet und bewertet. Daraus erklärt sich die Übertragung der wohlfahrtsökonomischen Beurteilungsmaßstäbe (Effizienzkriterien), nach denen Maßnahmen des Staates als „ökonomisch“ wünschenswert oder nicht wünschenswert beurteilt werden, auf das Wettbewerbsrecht. Primär wird also nicht nach der Effizienz des unternehmerischen Handelns gefragt, sondern nach der Effizienz des Staatseingriffs. Beide Perspektiven hängen jedoch spiegelbildlich miteinander zusammen: Ein staatlicher Eingriff in das unternehmerische Marktverhalten ist nur dann effizient, wenn das sanktionierte Marktverhalten ineffizient ist (und umgekehrt).
352
Es ist vor allem die wettbewerbspolitische „Chicago School“, die einen solchen strikt effizienzorientierten Marktergebnistest propagiert. Ausgangspunkt ist die Monopoltheorie: Das Monopol ist durch die Fähigkeit zu Produktionseinschränkungen und Preiserhöhungen gekennzeichnet. Dadurch verfehlt es die Präferenzgerechtigkeit und mindert somit die Effizienz in Höhe des Gesamtwohlfahrtsverlusts (dead weight loss). Allerdings besteht – wie Williamson[55] herausgearbeitet hat – die Möglichkeit, dass ein Monopol gleichzeitig die produktive Effizienz (Kosteneffizienz) erhöht, sofern es Skalenerträge erwirtschaftet. Dann sind die Durchschnittskosten unter Monopolbedingungen (DKm) niedriger als unter Wettbewerbsbedingungen (DKw). Unter Effizienzgesichtspunkten kommt es daher auf eine Abwägung der daraus resultierenden Effizienzgewinne und der Gesamtwohlfahrtsverluste (des dead weight loss) an (sog. Williamson trade-off). Das lässt sich graphisch folgendermaßen veranschaulichen:[56]
Schaubild 19:
Williamson-trade off

[Bild vergrößern]
353
Die Kurve der Durchschnittskosten unter Monopolbedingungen (DKm) liegt unterhalb der Kurve der Durchschnittskosten unter Wettbewerbsbedingungen (DKw). Das führt in wohlfahrtsökonomischer Perspektive dazu, dass zwar einerseits aufgrund der monopolistischen Reduktion der Produktionsmenge von Mw zu Mm (mit der eine Preiserhöhung von Pw zu Pm einhergeht) ein Teil der Konsumenten, die das Produkt bereit wären, zu kostendeckenden Wettbewerbspreisen zu erwerben, es nun zu Monopolpreisen nicht mehr erwerben. Damit entgeht den Konsumenten also ein Teil des unter Wettbewerbsbedingungen möglichen Nutzens (dh die Konsumentenrente). Demgegenüber erhöht sich die Produzentenrente des Monopolisten in Höhe seiner Monopolrente, ohne dass diese jedoch die Minderung der Konsumentenrente ganz ausgleichen könnte. Es entsteht also der bereits weiter oben (Schaubild 15) angesprochene Gesamtwohlfahrtsverlust (dead weight loss). Wenn nun aber der Monopolist aufgrund von Skalenerträgen niedrigere Durchschnittskosten hat als Produzenten unter Wettbewerbsbedingungen hätten, dann entsteht wegen des geringeren Ressourcenverbrauchs für die Herstellung der Produkte zugleich ein Wohlfahrtsgewinn (vgl. Schaubilder 15 und 19). Dieser Gesamtwohlfahrtsgewinn kann im Einzelfall größer sein als der Gesamtwohlfahrtsverlust aufgrund der reduzierten Produktionsmenge. Zwar könnte der Monopolist die Skalenerträge durch Produktionsausweitung bzw. Preissenkung an die Konsumenten weitergeben. Dazu wird er sich aber nur veranlasst sehen, wenn er anderenfalls den Eintritt potentieller Konkurrenten in den Markt befürchten müsste.
354
Dieser Gedanke wird von der „Chicago School of Antitrust“ durchaus verallgemeinert und auf sämtliche Verhaltensweisen angewendet, deren Wettbewerbswidrigkeit bzw. Wettbewerbskonformität zu beurteilen ist:[57] Ein bestimmtes Marktverhalten wird hiernach zumindest dann nicht als wettbewerbsbeschränkend qualifiziert, wenn es zur Ausdehnung der Produktion bzw. zur Senkung der Preise führt. Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, wird der Aspekt der Kosteneffizienz betont: Eine Unternehmensstrategie, die Skalenerträge mit sich bringt, ist hiernach selbst dann nicht als wettbewerbsbeschränkend anzusehen, wenn sie im Einzelfall aufgrund von Produktionseinschränkungen oder Preiserhöhungen mit Effizienzeinbußen (in Höhe des dead weight loss) verbunden ist, sofern nur die Wohlfahrtsverluste durch Wohlfahrtsgewinne aufgrund von Kostenvorteilen der Unternehmen mehr als wettgemacht werden. Die Tatsache, dass die Kostenvorteile zwar für die Gesamtgesellschaft einen Effizienzgewinn bedeuten, dieser jedoch zunächst einmal allein dem Monopolisten bzw. den Unternehmen zugutekommt, die den Wettbewerb beschränken, ist im Analyserahmen der Wohlfahrtsökonomik irrelevant. Vom Aspekt der Verteilung auf Konsumenten und Produzenten wird bewusst abgesehen, weil Verteilungsfragen als normative Fragen außerhalb der positiven ökonomischen Analyse liegen und weil die Wohlfahrtstheorie einen Nutzenvergleich zwischen Personen bzw. Gruppen ohnehin für prinzipiell ausgeschlossen hält.
355
Dennoch wird dieser Ansatz von der Chicago School als Konsumentenwohlfahrtsmodell (consumer welfare model) propagiert, obwohl es sich in Wahrheit um ein Gesamtwohlfahrtsmodell handelt.[58] Die Veränderung der Gesamtwohlfahrt als Maßstab für die Beurteilung von Marktverhalten basiert auf dem in der Wohlfahrtökonomik von Kaldor und Hicks entwickelten Kriterium, welches für die Feststellung einer Wohlfahrtssteigerung genügen lässt, dass diejenigen, deren Wohlfahrt durch eine Maßnahme erhöht wird, diejenigen, die eine Wohlfahrtsminderung erleiden würden, hypothetisch kompensieren könnten und dann immer noch einen Gewinn hätten.[59] Auf eine tatsächliche Kompensation kommt es nicht an. Abgestellt wird also auf die Gesamtwohlfahrt von Produzenten und Konsumenten insgesamt: Sofern die Vorteile der Unternehmen aufgrund der zu beurteilenden Geschäftspraxis (Produzentenrente) größer sind als die Nachteile für die Konsumenten (Konsumentenrente), könnten die Unternehmen die Konsumenten etwa durch eine Ausgleichszahlung kompensieren. Somit läge insgesamt eine Wohlfahrtssteigerung vor. Ob die Konsumenten tatsächlich kompensiert werden, ist allerdings irrelevant.
356
Gegen die Verwendung des Effizienzkriteriums (im Sinne des Gesamtwohlfahrtsmodells) zur Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen im konkreten Einzelfall sind Einwände zu erheben. Sie beziehen sich zum einen auf die mangelnde Eindeutigkeit des Effizienzkriteriums selbst, zum anderen auf die bereits weiter oben erläuterten prinzipiellen Bedenken gegen einen solchen Marktergebnistest wegen der Unmöglichkeit, von der (produktiven) Effizienz des konkreten Marktverhaltens eines Unternehmens auf die (allokativen oder dynamischen) Effizienzwirkungen auf der Ebene des Wettbewerbssystems als Ganzen zu schließen (siehe dazu oben Rn. 311 ff.).
357
Die gesamtwirtschaftlichen Effizienzwirkungen eines bestimmten Marktverhaltens sind zunächst einmal in der Regel nicht eindeutig, weil das Effizienzkriterium selbst nicht eindeutig ist: allokative, produktive und dynamische Effizienz sind Gesichtspunkte, die sich miteinander in Konflikt befinden können. Im Rahmen des erwähnten sog. Williamson trade-off widersprechen sich allokative und produktive Effizienz; sie sind daher gegeneinander abzuwägen. In anderen Fällen können sich allokative und dynamische Effizienz widersprechen und eine entsprechende Abwägung erfordern.[60] Solche Abwägungen implizieren immer eine normative Entscheidung. Des Weiteren geht es bei der Feststellung von Effizienzwirkungen im Rahmen der Kartellrechtsanwendung häufig um Prognosen. Bedenken gegen die Verwendung solcher Effizienzprognosen zur Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit oder -konformität eines bestimmten Marktverhaltens ergeben sich gewöhnlich aus der begrenzten Verfügbarkeit der relevanten Daten und der unzureichenden ökonometrischen Berechenbarkeit der Veränderungen von Produzenten- und Konsumentenrenten aufgrund des zu beurteilenden Verhaltens. Es fehlt häufig schon an einer zuverlässigen Informationsbasis, etwa bezüglich der im Einzelfall relevanten Grenzkosten.[61] In der Regel entzieht sich daher die Feststellung der Effizienzwirkungen eines bestimmten Marktverhaltens der direkten Messung.
358
Ein prinzipieller Einwand gegen den Marktergebnistest (Effizienztest) folgt aus den bereits weiter oben (Rn. 311 ff.) erläuterten Grenzen des diesem Test zugrundeliegenden neoklassischen Ansatzes selbst. Das neoklassische Verhaltensmodell basiert auf dem homo oeconomicus-Modell als dem maßgeblichen heuristischen Bild von den Marktteilnehmern. Dieses Verhaltensmodell geht – wie bereits weiter oben ausgeführt (siehe oben Rn. 311 ff.) – von Annahmen aus, die zwar die Stringenz der Ableitungen aus dem Modell gewährleisten, die aber wesentliche Aspekte des tatsächlichen Wettbewerbsverhaltens von Markteilnehmern ausblenden, so dass ein ausschließlich neoklassischer Ansatz den in der Wettbewerbspolitik und im Wettbewerbsrecht zu lösenden Problemen nicht angemessen ist. So wenig wie sich in der Regel die gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtswirkungen eines konkreten unternehmerischen Verhaltens bestimmen lassen, so wenig präzise lassen sich auch die Wohlfahrtwirkungen von Eingriffen der staatlichen Wettbewerbspolitik bestimmen.
359
Die bereits (oben Rn. 313 f.) erwähnte Verhaltensökonomik (behavioural economics), die den Realitätsgehalt der im Modell des homo oeconomicus enthaltenen Annahmen empirisch zu testen versucht, hat gezeigt, dass die Marktteilnehmer sich häufig nicht einmal über ihre Präferenzen im Klaren sind, die ihren Marktentscheidungen zugrunde liegen, und schon gar nicht über deren Verhältnis zueinander. Auch die im neoklassischen Verhaltensmodell enthaltene Annahme, dass die Wahlhandlungen von Marktteilnehmern (hier: Konsumenten) ihre wahren Präferenzen reflektieren, ist zumindest hinsichtlich ihrer generellen Geltung empirisch widerlegt.[62] Daraus folgt, dass sogar die Hypothese, freie Märkte maximierten stets die Effizienz im Sinne der Konsumentenwohlfahrt, der Relativierung bedarf. „Die Institution des Marktes maximiert zwar die Konsumentensouveränität – damit geht aber nicht notwendigerweise auch die Maximierung der Konsumentenwohlfahrt einher.“[63] Diese Erkenntnis zwingt dazu, der Handlungsautonomie der Marktteilnehmer, die für den Wettbewerb konstitutiv ist, im Rahmen des wettbewerbspolitischen Leitbildes einen Eigenwert zuzubilligen, der vom konkreten Ergebnis des Marktverhaltens unabhängig ist. Zu schützen ist daher der Wettbewerb als ein Interaktionssystem, das zwar als solches langfristig Effizienz garantiert, das aber in der Regel die Zurechnung von Effizienzwirkungen zu einzelnen unternehmerischen Wettbewerbshandlungen ausschließt.
360
Die (neue) Institutionenökonomik hat im Übrigen zu Recht auf die Bedeutung von Transaktionskosten, unvollständiger Information und Erwartungsunsicherheit für das tatsächliche Verhalten von Marktteilnehmern hingewiesen (siehe dazu oben Rn. 315 f., 317 ff.). Für die wettbewerbliche Beurteilung des konkreten Marktverhaltens eines Unternehmens können diese Faktoren, insbesondere die in der Realität vorhandenen Rationalitätsbeschränkungen (bounded rationality), nicht außer Acht gelassen werden. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung der privatrechtlichen Rechtsgeschäfte (insbesondere Verträge), in deren Gestalt Wettbewerbsbeschränkungen gewöhnlich auftreten und deren wettbewerbliche Ambivalenz daraus resultiert, dass sie in der Regel gerade der Bewältigung von Transaktionskosten und Rationalitätsbeschränkungen dienen. Während daher im neoklassischen Modell der Schluss von der einzelwirtschaftlichen auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz möglich erscheint, ist dies aus der Sicht der (neuen) Institutionenökonomik nicht möglich. Es klafft unvermeidlich eine Lücke zwischen einzelwirtschaftlicher Rationalität und gesamtwirtschaftlicher Effizienz.[64]