Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 30

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(4) Kontextanalyse

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Gericht und Gerichtshof haben wiederholt betont, dass bei der wettbewerblichen Beurteilung eines konkreten unternehmerischen Verhaltens der wirtschaftliche und rechtliche Gesamtzusammenhang (Kontext) zu berücksichtigen ist.[94] So ist beispielsweise bei der Prüfung, ob auf eine bestimmte Vereinbarung zwischen Unternehmen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV anwendbar ist,

„der konkrete Rahmen zu berücksichtigen, in dem sie ihre Wirkung entfaltet, insbesondere der wirtschaftliche und rechtliche Kontext, in dem die betroffenen Unternehmen tätig sind, die Art der Waren und/oder Dienstleistungen, auf die sich die Vereinbarung bezieht, sowie die tatsächlichen Bedingungen der Funktion und der Struktur des relevanten Marktes…“[95]

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Gericht und Gerichtshof haben allerdings stets deutlich gemacht, dass damit nicht das Bestehen einer „rule of reason“ im Rahmen des Kartellverbots der Union anerkannt werde (vgl. oben Rn. 369). Insbesondere gehe es nicht um eine Abwägung der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Wirkungen einer Vereinbarung zum Zweck der Entscheidung, ob das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV anwendbar ist. Es handele sich vielmehr um eine in der Rechtsprechung entwickelte Herangehensweise, die nicht völlig abstrakt und unterschiedslos davon ausgeht, dass jede die Handlungsfreiheit eines oder mehrerer Beteiligter beschränkende Vereinbarung zwangsläufig von dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst wird.[96]

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Damit trägt die Rechtsprechung der weiter oben (Rn. 341) angesprochenen Ambivalenz unternehmerischen Verhaltens Rechnung, die daraus resultiert, dass Unternehmen stets die Überwindung der Rationalitätsbeschränkungen im Auge haben, denen sie unterliegen. Diesem Zweck dienen aus unternehmerischer Perspektive Verhaltensweisen auch dann und gerade dann, wenn sie den Wettbewerb beschränken. Die Koordinierung des Marktverhaltens von Unternehmen ist daher gewöhnlich im Kontext der gesamten Umstände interpretationsbedürftig. Es kann sich im Einzelfall um legitime und durchaus produktive Strategien der Bewältigung von Transaktionskostenproblemen, Informationsdefiziten oder Erwartungsunsicherheiten handeln; es kann aber auch darum gehen, schlicht die „praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten“ zu lassen.[97]

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Das Letztere ist allerdings bei den „Kernbeschränkungen“ in Gestalt von Preis-, Quoten- oder Marktaufteilungskartellen regelmäßig der Fall, so dass insoweit eine Kontextanalyse grundsätzlich entbehrlich ist und insoweit „per se“-Regeln Anwendung finden (vgl. dazu oben Rn. 368);[98] aber selbst hier kann es im Ausnahmefall einmal Konstellationen geben, in denen sich die Koordination des Marktverhaltens im konkreten Kontext als wettbewerblich unschädlich erweist.[99] Insbesondere bei der wettbewerblichen Beurteilung vertikaler Vereinbarungen ist daher stets eine sorgfältige objektive Analyse ihrer wirtschaftlichen Funktion daraufhin erforderlich, ob es für die zu beurteilende Verhaltensweise eine plausible Erklärung gibt, die einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln ausschließt. Sie dienen nämlich häufig der Erschließung von Märkten, dem Aufbau von Vertriebsstrukturen oder der Reduktion von Koordinationskosten und sind insoweit Ausdruck des Leistungswettbewerbs. Die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung setzt daher voraus, dass das zu beurteilende Verhalten sich nicht mehr durch solche Erwägungen plausibel machen lässt.

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Dasselbe gilt in besonderem Maße auch für die Beurteilung des einseitigen Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen. Auch deren Wettbewerbsfreiheit ist grundsätzlich schützenswert. So hat der EuGH[100] stets betont, dass der Umstand

„dass ein Unternehmen eine beherrschende Stellung innehat, diesem nicht das Recht [nimmt], seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn sie bedroht sind, und es darf auch in angemessenem Umfang so vorgehen, wie es dies zum Schutz seiner Interessen für richtig hält.“

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Dies findet jedoch seine Grenze am Verbot von Verhaltensweisen, die auf die Verstärkung der beherrschenden Stellung und ihren Missbrauch abzielen.[101] Dabei erfasst der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach der Rechtsprechung[102]

„solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung […], die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Präsenz des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und die zur Folge haben, dass die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert wird, die sich von den Mitteln des normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistung der Wirtschaftbeteiligten unterscheiden.“

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Ob im Einzelfall solche wettbewerbswidrigen Folgen zu erwarten sind, wird sich nicht allein durch die formale Einordnung des fraglichen Marktverhaltens in eine bestimmte Verhaltenskategorie, sondern grundsätzlich nur aufgrund einer sorgfältigen Analyse des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs (Kontextanalyse) beurteilen lassen. Allerdings gibt es einseitige Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen, deren Wettbewerbswidrigkeit so offensichtlich ist, dass für die Feststellung ihrer Missbräuchlichkeit eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls entbehrlich ist (sog. naked restrictions).[103]

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Gleiches gilt schließlich auch für die Beurteilung der Wettbewerbswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses. Bei der Prüfung, ob ein Zusammenschluss im Sinne von Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO den wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben – insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung – erheblich behindern würde, berücksichtigt die Kommission gem. Art. 2 Abs. 1 FKVO:

„a) die Notwendigkeit, im Gemeinsamen Markt wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen;

b) die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert.“

Damit wird im Hinblick auf die Zusammenschlusskontrolle eine sorgfältige Kontextanalyse geradezu zwingend vorgeschrieben.

(5) Effizienzvorteile (Legalausnahme)

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Nach Art. 101 Abs. 3 AEUV iVm Art. 1 KartellVO 1/2003[104] sind wettbewerbswidrige Formen der Koordinierung des unternehmerischen Marktverhaltens vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen, wenn sie bestimmte wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, die auch dem Verbraucher zu Gute kommen. Verlangt werden „Verbesserungen der Warenerzeugung oder -verteilung“ oder die „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“. Diese Vorteile werden gemeinhin als Effizienzvorteile angesehen. Auch im Rahmen des Verbots missbräuchlichen Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen sowie der Fusionskontrolle wird die Berücksichtigung von Effizienzvorteilen relevant (vgl. Rn. 403 und Rn. 404).

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So kann die Koordination des Marktverhaltens von Konkurrenten unter Umständen die Voraussetzung dafür sein, dass überhaupt bestimmte Güter oder Leistungen am Markt angeboten werden, weil sie individuell nicht angeboten würden; dass bestimmte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternommen werden, die individuell nicht zustande kämen; oder dass Produktions- oder Vertriebskosten gesenkt werden. Auch die Verhaltensabstimmung zwischen einem Produzenten und den Handelsunternehmen kann im Einzelfall den Vertrieb verbessern, die Marktdurchdringung fördern und die Verfügbarkeit von Waren oder Leistungen für die Verbraucher erhöhen. Der Zusammenschluss von Unternehmen kann u.U. Skalenerträge (dh produktive Effizienzgewinne) ermöglichen, auf die anderenfalls verzichtet werden müsste. Der Ausschluss des Zugangs von Konkurrenten eines marktbeherrschenden Unternehmens zu bestimmten Ressourcen kann auch ein Anreiz zu innovativem Verhalten der betroffenen Wettbewerber sein (und so zur Erhöhung der dynamischen Effizienz beitragen). Solche Effizienzvorteile können die Wettbewerbsbeschränkung u.U. kompensieren, sofern die negativen marktstrukturellen Wirkungen sich in Grenzen halten, dh der verbleibende Restwettbewerb im Wesentlichen erhalten bleibt und letztlich sogar stimuliert wird.

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Der Begriff „Effizienzvorteil“ ist in diesem Zusammenhang allerdings unscharf. Er lässt offen, ob es sich um prognostizierte gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseffekte im Sinne der produktiven, allokativen oder dynamischen Effizienz handelt, die – wie weiter oben erläutert (Rn. 362) – grundsätzlich nicht einem bestimmten unternehmerischen Marktverhalten, sondern allein dem „System unverfälschten Wettbewerbs“ insgesamt zugeschrieben werden können, oder um einzelwirtschaftliche (zunächst nur auf Unternehmensebene anfallende) Wohlfahrtswirkungen, die zwar (ausnahmsweise) ursächlich auf das wettbewerbswidrige Verhalten zurückgeführt werden können, die sich aber letztlich doch erst im „System unverfälschten Wettbewerbs“ als solche erweisen müssen. Würde man die „Effizienzvorteile“ im Sinne direkter gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtseffekte verstehen, dann wäre die Konzeption des „wirksamen Wettbewerbs“ in sich widersprüchlich. Mit dem Schutz des Wettbewerbs als Prozess, der als solcher die gesamtwirtschaftliche Effizienz gewährleistet, wäre die Annahme unvereinbar, dass im Einzelfall die Beschränkung eben dieses Wettbewerbsprozesses gesamtwirtschaftlich vorteilhafter sein kann als der Wettbewerb. Das liefe auf einen unzulässigen Marktergebnistest hinaus (vgl. oben Rn. 350 ff.). Der Wortlaut des Art. 101 Abs. 3 AEUV zeigt aber, dass dies nicht der Standpunkt des Unionsrechts ist. Es ist insofern von entscheidender Bedeutung, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV den Fortbestand ausreichenden Restwettbewerbs zur Voraussetzung für die Freistellung vom Verbot wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens macht. Dies bedeutet, dass die von dem freigestellten Verhalten erwarteten „Effizienzvorteile“ zunächst nur einzelwirtschaftliche (auf Unternehmensebene anfallende) Wohlfahrtsgewinne sind, die sich nur im „System unverfälschten Wettbewerbs“, dh im wettbewerblichen Suchprozess, auch als gesamtwirtschaftliche Effizienzvorteile herausstellen können.

400

Der EuGH[105] hat verlangt, dass die nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erforderlichen wirtschaftlichen Verbesserungen nicht rein „subjektiver“ Art sind, dh sie dürfen nicht allein den beteiligten Unternehmen (etwa in Gestalt höherer Gewinne) zugutekommen. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung ein „objektiver“ Maßstab anzulegen,[106] was nichts anderes bedeuten kann als dass die wirtschaftlichen Verbesserungen über die Beteiligten hinaus spürbare positive externe Effekte für Dritte auslösen müssen. Diese Art der Objektivierung setzt aber den Fortbestand eines hinreichenden wettbewerblichen Anpassungsdrucks voraus, der nur besteht, wenn Konkurrenten die Möglichkeit behalten, die an der freigestellten Wettbewerbsbeschränkung beteiligten Unternehmen durch externen Wettbewerb zu überflügeln. Die Aufrechterhaltung hinreichenden Wettbewerbs gewährleistet also, dass sich gesamtwirtschaftlich überlegenere Lösungen im Wettbewerbsprozess auch gegen die – zunächst als positiv bewerteten – „Effizienzvorteile“ des vom Verbot freigestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens durchsetzen können. Das letzte Urteil bleibt somit stets dem „System unverfälschten Wettbewerbs“, dh dem Suchprozess des Wettbewerbs vorbehalten.[107] Im Ergebnis normiert daher auch Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht einen Marktergebnistest, sondern bestätigt den für die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln durchgehend maßgeblich Marktstrukturtest.

401

Die Differenz zwischen den in Art. 101 Abs. 3 AEUV aufgeführten „Effizienzvorteilen“ und der gesamtwirtschaftlichen Effizienz des Wettbewerbsprozesses folgt ferner aus dem Umstand, dass eine Beteiligung der Verbraucher an dem „Gewinn“ (= den Effizienzvorteilen) verlangt wird. Die Konsumentenwohlfahrt ist in der Tat ein Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Effizienzwirkungen. Sie ist aber nach der Konzeption des Art. 101 Abs. 3 AEUV keine direkte Wirkung des vom Verbot freigestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens, sondern erst eine indirekte Folge des wettbewerblichen Anpassungsdrucks, der vom „System unverfälschten Wettbewerbs“ ausgeht und dem die an der freigestellten Wettbewerbsbeschränkung beteiligten Unternehmen nach wie vor ausgesetzt bleiben müssen. Darin liegt auch die vom EuGH[108] verlangte Objektivierung der „Effizienzvorteile“. Da es insoweit stets um eine Prognose geht, bedeutet dies, dass die zunächst einzelwirtschaftlichen Vorteile lediglich geeignet sein müssen, sich im Wettbewerbsprozess als gesamtwirtschaftliche Effizienzvorteile zu erweisen. Aus diesem Grunde macht Art. 101 Abs. 3 AEUV die Aufrechterhaltung hinreichenden Wettbewerbs zur Voraussetzung für eine Freistellung.

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Die Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV geht also davon aus, dass das zu beurteilende Verhalten einerseits Auswirkungen auf die Marktstruktur hat, die hinreichend gravierend sind, um das Urteil der Wettbewerbswidrigkeit nach Art. 101 Abs. 1 AEUV zu rechtfertigen, andererseits aber doch eine noch hinreichend offene Marktstruktur bewahrt, um den Wettbewerbsdruck aufrechtzuerhalten, der für die Weitergabe der „Effizienzvorteile“ an die Verbraucher erforderlich ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist es vorstellbar, dass aufgrund von Wahrscheinlichkeitsurteilen die möglichen positiven Effizienzwirkungen gegen die negativen Effizienzwirkungen der in Frage stehenden Wettbewerbsbeschränkung gegeneinander abgewogen werden. Im Ergebnis ist daher das Verhältnis von Art. 101 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV durch unterschiedliche Marktmachtschwellen (im Sinne von Unter- bzw. Obergrenzen) gekennzeichnet: Für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung ist in der Regel das Überschreiten einer gewissen minimalen Marktmachtschwelle erforderlich, die insbesondere im Kriterium der „Spürbarkeit“ zum Ausdruck kommt; für die Erfüllung der Freistellungsvoraussetzungen darf die Marktmacht andererseits nicht einen Grad erreichen, der dem verbleibenden Restwettbewerb seine Wirksamkeit nimmt.

403

Dem entspricht auch die Rechtsanwendungspraxis der Unionsorgane. Sie haben im Rahmen der Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV stets darauf geachtet, dass die Marktstruktur und die durch sie vermittelte wirtschaftliche Handlungsfreiheit Dritter (im Sinne der Wettbewerbsfreiheit von Konkurrenten und der Auswahlfreiheit der Abnehmer) nicht übermäßig beeinträchtig wird. Der geringe Marktanteil der beteiligten Unternehmen, die Marktpräsenz starker Wettbewerber oder die unbeschränkte Möglichkeit des Marktzutritts potentieller Wettbewerber sind vielfach als Begründung dafür angeführt worden, dass trotz Freistellung der Wettbewerbsbeschränkung hinreichender Wettbewerb bestehen bleibt, um die einzelwirtschaftlichen „Effizienzvorteile“ in gesamtwirtschaftliche Effizienzvorteile (= Verbrauchervorteile) zu verwandeln. Auch werden in den Gruppenfreistellungsverordnungen gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen – ausgenommen die sog. Kernbeschränkungen (Preisabsprachen, Produktionsbeschränkungen, Marktaufteilungen) – vom Kartellverbot nur unter der Voraussetzung freigestellt, dass die beteiligten Unternehmen unterhalb bestimmter Marktanteilsschwellen von 20% (bei Spezialisierungsvereinbarungen),[109] 25% (bei Forschungs- und Entwicklungskooperationen)[110] bzw. 30% (generell bei Vertikalvereinbarungen)[111] bleiben. Damit ist sichergestellt, dass die Marktstruktur nicht übermäßig wettbewerbswidrig verengt und die darüber vermittelte Handlungsfreiheit außenstehender Dritter letztlich nicht beeinträchtigt wird. Unter diesen Voraussetzungen können sich die „Effizienzvorteile“ begrenzter Beschränkungen des Wettbewerbs letztlich sogar als ein Beitrag zur Förderung des Wettbewerbsprozesses insgesamt erweisen. Um das festzustellen, kommt es im Einzelfall jeweils auf eine Analyse der besonderen Gegebenheiten des jeweils relevanten Marktes an.

404

Auch im Hinblick auf die von Art. 102 AEUV erfassten einseitigen Verdrängungsstrategien kann sich das beherrschende Unternehmen ausnahmsweise auf die in Art. 101 Abs. 3 AEUV definierten Effizienzvorteile berufen. Die Rechtsprechung hat zwar die Erstreckung des für das Kartellverbot geltenden Freistellungstatbestandes des Art. 101 Abs. 3 AEUV auf das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV abgelehnt.[112] Das hindert jedoch nicht, gewisse Wertungen aus dem Freistellungstatbestand auch im Rahmen des Missbrauchsbegriffs zu berücksichtigen.[113] Dies gilt dann auch für die Erfordernisse der Unerlässlichkeit der Wettbewerbsbeschränkung für die Erreichung der Effizienzvorteile, für die Verhältnismäßigkeit (insbesondere die Angemessenheit) der Effizienzvorteile im Vergleich zur Schwere der Wettbewerbsbeschränkung, für die Verbraucherbeteiligung an den Effizienzvorteilen sowie für die Aufrechterhaltung hinreichenden Restwettbewerbs.[114] Auch hier dürfen aber die Unterschiede zwischen produktiver Effizienz auf Unternehmensebene und der nur auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene (also durch den Wettbewerb und nicht durch seine Beschränkung) zu verwirklichenden allokativen bzw. dynamischen Effizienz nicht verwischt werden (siehe zu den Einzelheiten Rn. 1138 f.).

405

Nach der Begründungserwägung 29 zur FKVO 139/2004[115] soll auch bei der Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses „begründeten und wahrscheinlichen Effizienzvorteilen Rechnung getragen werden, die von den beteiligten Unternehmen dargelegt werden“. Es sei nämlich möglich, dass solche Effizienzvorteile die negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb ausgleichen und eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs demgemäß zu verneinen ist. Die Kommission ist der in dieser Begründungserwägung formulierten Aufforderung nachgekommen und hat in entsprechenden Leitlinien dargelegt, dass sie bei ihrer Gesamtbewertung eines Zusammenschlusses alle nachgewiesenen Effizienzvorteile berücksichtigt. Sie erklärt einen Zusammenschluss demgemäß für mit dem Binnenmarkt vereinbar, wenn solche Effizienzvorteile geeignet sind, den Wettbewerb zum Vorteil für die Verbraucher zu beleben (siehe zu den Einzelheiten Rn. 1418 ff.).

(6) Der „more economic approach“

Literatur:

Böge Der „more economic approach“ und die deutsche Wettbewerbspolitik, WuW 2004, 726; Schmidtchen Der „more economic approach“ in der Wettbewerbspolitik, WuW 2006, 6; Basedow Konsumentenwohlfahrt oder Effizienz, Neue Leitbilder der Wettbewerbspolitik? WuW 2007, 712; von Weizsäcker Konsumentenwohlfahrt oder Wettbewerbsfreiheit: Über den tieferen Sinn des „Economic Approach“, WuW 2007, 1078–1084; Schmidtchen Wettbewerbsfreiheit oder Effizienz? Zur Zweisamkeit von Recht und Ökonomie im Bereich der Wettbewerbspolitik, ORDO 59 (2008) 143; Mestmäcker Wettbewerb und unternehmerische Effizienz. Eine Erwiderung auf Schmidtchen, ORDO 59 (2008) 185; Schmidtchen Zum Verhältnis von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik: Eine Erwiderung auf Mestmäcker, ORDO 60 (2009) 153; Drexl Wettbewerbsverfassung, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge (2. Aufl. 2009) 905; Eilmansberger Verbraucherwohlfahrt, Effizienzen und ökonomische Analyse – Neue Paradigmen im europäischen Kartellrecht? ZWeR 2009, 437; Schmidt/Wohlgemuth Das Wettbewerbskonzept der EU aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften: Wie ökonomisch ist der „more economic approach“? in: Blanke/Scherzberg/Wegner (Hrsg.) Dimensionen des Wettbewerbs (2010) 51; Immenga/Mestmäcker Der „stärker wirtschaftliche Ansatz“ in der Leitlinienpolitik der Kommission, in: Dies. (Hrsg.) Wettbewerbsrecht, Band 1/2 Teile – Kommentar zum Europäischen Kartellrecht (5. Aufl. 2012) Einl. EU D., 59; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht (3. Aufl. 2014) § 3: Wettbewerb der Unternehmen, 79 ff.

406

Seit ihrem Weißbuch von 1999 über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-Vertrag[116] [später: Art. 81 und 82 EG; jetzt: Art. 101 und 102 AEUV] propagiert die Kommission für die Europäische Wettbewerbspolitik einen „stärker wirtschaftlichen Ansatz“ (more economic approach) bei der Beurteilung unternehmerischen Verhaltens im Hinblick auf das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) und das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) sowie im Hinblick auf die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nach der FKVO 139/2004.[117] Anders als bei der Berücksichtigung von Effizienzvorteilen im Rahmen der Legalausnahme des Art. 101 Abs. 3 AEUV (oben Rn. 397 ff.) geht es hier primär um die Berücksichtigung ökonomischer Kriterien auf der Ebene der Verbotstatbestände, dh bei der Feststellung des Vorliegens eines Wettbewerbsverstoßes. Mario Monti, der damals für die Generaldirektion Wettbewerb zuständige Kommissar, kennzeichnete in einer am 24. Oktober 2003 in New York gehaltenen Rede[118] die Wende der Kommission genauer mit den Worten: „… we have shifted from a legalistic based approach to an interpretation of the rules based on sound economic principles“. Was hier mit einem „legalistic based approach“ und mit „sound economics“ gemeint war, ergab sich mit aller Deutlichkeit aus den Empfehlungen, die in einem ausführlichen Bericht mit dem Titel „An economic approach to Article 82“ enthalten waren, den die aus Ökonomen zusammengesetzte European Advisory Group on Competition Policy (EAGCP) im Juli 2005 vorlegte[119] und in dem es hieß:

„An economics-based approach to the application of article 82 implies that the assessment of each specific case will not be undertaken on the basis of the form that a particular business practice takes (for example, exclusive dealing, tying, etc.) but rather will be based on the assessment of the anti-competitive effects generated by business behaviour. This implies that competition authorities will need to identify a competitive harm, and assess the extent to which such a negative effect on consumers is potentially outweighed by efficiency gains. The identification of competitive harm requires spelling out a consistent business behaviour based on sound economics and supported by facts and empirical evidence. Similarly, efficiencies – and how they are passed on to consumers – should be properly justified on the basis of economic analysis and grounded on the facts of each case.“

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Montis Nachfolgerin im Amt, Neelie Kroes, übernahm diese Empfehlung, indem sie in einer Rede vom 15. September 2005[120] feststellte:

„Consumer welfare is now well established as the standard the Commission applies when assessing mergers and infringements of the Treaty rules on cartels and monopolies. Our aim is simple: to protect competition in the market as a means of enhancing consumer welfare and ensuring an efficient allocation of resources. An effects-based approach, grounded in solid economics, ensures that citizens enjoy the benefits of a competitive, dynamic market economy.“

408

Es geht der Kommission also nicht mehr bloß um die allgemein konsentierte abstrakte Feststellung, dass der funktionsfähige Wettbewerb die gesamtwirtschaftliche Effizienz und insbesondere die Wohlfahrt der Verbraucher fördert, sondern um die Verwendung der Konsumentenwohlfahrt als wettbewerbliches Beurteilungskriterium im konkreten Einzelfall. Seither wird über die normative Legitimation, aber auch über die wirtschaftstheoretische Fundierung des more economic approach intensiv diskutiert.[121] Allerdings sind die programmatischen Aussagen, mit denen die Kommission sich bemüht hat, die Bedeutung dieses Ansatzes in ihren Leitlinien[122] näher zu erläutern, alles andere als klar und konsistent.

409

Wenn man die diversen Kommissionsleitlinien daraufhin befragt, was die Kommission dort zum „stärker wirtschaftlichen Ansatz“ ausführt, so erhält man erstaunlicher Weise eine Reihe höchst unterschiedlicher und unscharfer Antworten. Die Leitlinien geben insbesondere keine klare Auskunft über die Frage, ob sich die Kommission die Empfehlungen der EAGCP und die zitierten Äußerungen der Wettbewerbskommissare auch offiziell als programmatische Richtlinien zu Eigen gemacht hat. Bei genauer Analyse des Wortlauts sieht man sich vielmehr mit einer Reihe höchst unterschiedlicher Formulierungen konfrontiert, die eine Vielfalt von Schutzzielen und Beurteilungsmaßstäben ansprechen. Im Wesentlichen lassen sich folgende Ansätze unterscheiden: ein Ansatz, der für die Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes in der Tat auf den „Verbraucherschaden“ abstellt (a), ein Ansatz, der auf „negative Marktwirkungen“ abstellt (b), ein Ansatz, der die „Marktmacht“ der beteiligten Unternehmen zum entscheidenden Kriterium erhebt (c), und schließlich ein Ansatz, der an der Beeinträchtigung des „Wettbewerbsprozesses“ festhält (d). Abschließend ist auf die Reaktion des EuGH auf die Vorstellungen der Kommission (e) und die eigentliche forensische Bedeutung des „stärker wirtschaftlichen Ansatzes“ einzugehen (f) sowie ein Fazit zu ziehen (g).