Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 7

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I. Allgemeine Wirtschaftspolitik

1. Funktion

Literatur:

Streit Theorie der Wirtschaftspolitik (6. Aufl. 2005); Donges/Freytag Allgemeine Wirtschaftspolitik (3. Aufl. 2009).

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Die Wirtschaftspolitik beruhte in der Entstehungsphase der Europäischen Gemeinschaft auf der Prämisse, dass marktwirtschaftliche Prozesse inhärent krisenanfällig seien und regelmäßig sowohl konjunkturelle Überhitzungsphasen als auch Rezessionen hervorbrächten. Solche Krisen wurden aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Theorie von Keynes als Ungleichgewichte zwischen dem gesamtwirtschaftlichen Angebot von Gütern und Leistungen und der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage interpretiert. Diese Ungleichgewichte wurden als Ursache für Inflationen (im Falle eines Nachfrageüberhangs) bzw. Arbeitslosigkeit (im Falle einer Nachfragelücke) angesehen. Man war der Überzeugung, dass solche Ungleichgewichte durch staatliche Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (dh durch „Prozesspolitik“)[8] überwunden bzw. vermieden werden könnten. Stabilisierungspolitik im Sinne einer solchen „Prozesspolitik“ war an einem Zielbündel orientiert, das die Geldwertstabilität, ein möglichst hohes Beschäftigungsniveau, ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum sowie das außenwirtschaftliche Gleichgewicht umfasste. Dieses Zielbündel wurde auch in Art. 104 des ursprünglichen EWG-Vertrags von Rom aufgenommen.[9] Die Instrumente, mit denen diese Ziele im einzelnen – von den Mitgliedstaaten, koordiniert durch die Gemeinschaft (Art. 105 des EWG-Vertrags von Rom) – verfolgt werden sollten, waren vor allem solche der Geld- und Währungspolitik, der Finanz- und Haushaltspolitik, der Beschäftigungspolitik, der Wachstumspolitik und der Konjunkturpolitik. All diese Politiken sollten gezielt bestimmte makro-ökonomische Größen (insbesondere die Geldmenge, die Staatsausgaben, die Staatseinnahmen, die Wechselkurse) beeinflussen, um das gesamtwirtschaftliche Angebot und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an einander anzugleichen („Globalsteuerung“).[10] Im Allgemeinen wurde angenommen, dass die genannten wirtschaftspolitischen Ziele nicht ohne weiteres in gleichem Maße verfolgt werden könnten, sondern dass Zielkonflikte möglich seien. Die nationalen Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten der EWG bzw. EG unterschieden sich daher nicht unerheblich hinsichtlich der relativen Gewichtung dieser Ziele sowie der Instrumente, die zu ihrer Verfolgung eingesetzt werden.

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Inzwischen ist dieser „prozesspolitische“ Ansatz der Erkenntnis gewichen, dass es keine ökonomisch hinreichend fundierte Theorie des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt, die eindeutige Kausalbeziehungen zwischen den für eine Globalsteuerung relevanten makro-ökonomischen Größen und den gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen des marktwirtschaftlichen Prozesses begründen könnte. Daher fehlt es auch an einer tragfähigen Begründung für die Annahme, dem marktwirtschaftlichen Prozess seien Ungleichgewichtslagen inhärent, die durch staatliche Globalsteuerung ausgeglichen werden könnten und müssten. Und es fehlt schlicht das für eine staatliche Globalsteuerung erforderliche Lenkungswissen. Die heutige Theorie der Wirtschaftspolitik geht daher von der entgegengesetzten Annahme aus, dass marktwirtschaftliche Prozesse sich gemäß den jeweils vorhandenen Rahmenbedingungen grundsätzlich selbst stabilisieren.[11] Diese Prozesse beruhen auf der Anpassung der individuellen Wirtschaftspläne der vielen Marktteilnehmer an die ständigen Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Umwelt.[12] Ungleichgewichte entstehen allenfalls durch Hindernisse oder regulatorische Fehlanreize, die dem individuellen Anpassungsverhalten im Wege stehen. Die Leistungsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Gesamtsystems zeigt sich in seiner Flexibilität zur Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen.

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Dieser grundlegende Wandel des Verständnisses von Wirtschaftspolitik hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die Instrumente, mit denen das erwähnte Zielbündel bestehend aus Geldwertstabilität, möglichst hoher Beschäftigung, ausgewogenem Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht zu verwirklichen ist. Wachstum im Sinne der ständigen Erhöhung des Einkommens und Vermögens der Bevölkerung sowie ein möglichst hoher Grad an Beschäftigung sind hiernach die Ergebnisse eines funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Systems. Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht stellt sich ein, wenn die marktwirtschaftlichen Grundsätze auch im Außenverhältnis zur Geltung kommen. Die Geldwertstabilität gehört hingegen – ebenso wie ein rechtlich- institutioneller Rahmen – im Grundsatz zu den Funktionsvoraussetzungen dieses Systems.

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Hiernach hat die Wirtschaftspolitik in der EU die Aufgabe, zum einen den institutionellen Rahmen optimal zu gestalten, innerhalb dessen sich die marktförmigen Austauschprozesse vollziehen, denen Art. 120 S. 2 AEUV als wesentliche Wirkung den „effizienten Einsatz der Ressourcen“ zuschreibt; diesem Zweck dienen die Ordnungspolitik (dazu im Folgenden 2.) sowie in gewisser Hinsicht auch die Geldpolitik (dazu im Folgenden 3.). Zum anderen geht es um den Abbau von Hemmnissen, die dem effizienten Ablauf der Wirtschaftsprozesse im Wege stehen können, durch wirtschaftspolitische Steuerung; diesem Zweck dient in gewisser Hinsicht ebenfalls die Geldpolitik, vor allem aber die Wachstums- und Beschäftigungspolitik sowie die Finanz- und Haushaltspolitik (dazu im folgenden 4.–5.). Das alles gilt im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen sowohl für die Mitgliedstaaten als auch die Union.

2. Ordnungspolitik

Literatur:

Mestmäcker Auf dem Wege zu einer Ordnungspolitik für Europa, in: Mestmäcker/Möller/Schwarz (Hrsg.) FS von der Groeben (1987) 9; van Scherpenberg Ordnungspolitik im EG-Binnenmarkt: Auftrag für die Europäische Union (1992); Wohlgemuth Europäische Ordnungspolitik (2008); Hatje Wirtschaftsverfassung im Binnenmarkt, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 826.

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Eine Marktwirtschaft funktioniert nicht voraussetzungslos, sondern ist zunächst einmal auf rechtliche Institutionen wie Eigentum und Vertrag, Gewerbefreiheit und Wettbewerbsschutz angewiesen. Die Existenz solcher Institutionen ist für eine Marktwirtschaft konstitutiv. Sie determinieren die Art und Weise wie Unternehmen und alle anderen Marktteilnehmer wirtschaftlich planen und wie die Einzelpläne koordiniert werden. Die Ordnungspolitik der Union[13] stützt sich zum einen auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, insbesondere soweit es um die für eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb konstitutiven Institutionen des Privatrechts (vor allem Eigentum und Vertrag) sowie die rechtlich garantierten wirtschaftlichen Handlungsfreiheiten der Unternehmen und Unionsbürger geht. Hinsichtlich der grenzüberschreitenden Wirtschaftsabläufe hat die Union jedoch ihre eigene Ordnungspolitik. Sie hat ihren Niederschlag im EUV und im AEUV gefunden, und zwar in den Bestimmungen, die den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb rechtsverbindlich institutionalisieren.[14] Den Gegenstand der ordnungspolitischen Tätigkeit der Union definieren Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV iVm dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb sowie Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV im Sinne der Errichtung eines Binnenmarkts sowie eines Systems unverfälschten Wettbewerbs. Instrumente der Ordnungspolitik der Union sind demgemäß die Marktöffnung durch Verwirklichung der wirtschaftlichen Freiheiten (Waren-, Dienstleistungs-, Personen-, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheiten) sowie die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln. Die wirtschaftlichen Freiheiten verbieten im Grundsatz mitgliedstaatliche Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs. Die Wettbewerbsregeln verbieten grundsätzlich Beschränkungen und Verzerrungen des Wettbewerbs durch Unternehmen. Die Durchsetzung dieser Verbote obliegt insbesondere auch den Unionsorganen. Darüber hinaus verfügt die Union über legislatorische Kompetenzen, insbesondere zur Rechtsangleichung und zur Liberalisierung regulierter Märkte. Durch Rechtsangleichung (Art. 114–118 AEUV) werden Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt soweit sie die Ausübung der wirtschaftlichen Freiheiten behindern und damit der Marktöffnung entgegenstehen;[15] durch Liberalisierung regulierter Märkte (Art. 106 Abs. 3 AEUV bzw. Art. 114 AEUV) wird Wettbewerb hergestellt, wo er bislang durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt war.

3. Geldpolitik

Literatur:

Selmayr Die Wirtschafts- und Währungsunion als Rechtsgemeinschaft, AöR 1999, 357; Heine/Herr Die Europäische Zentralbank (3. Aufl. 2008); Chaloupek/Kromphardt (Hrsg.) Finanzkrise und Divergenzen in der Wirtschaftsentwicklung als Herausforderung für die Europäische Währungsunion (2009); Häde Die Europäische Währungsunion in der internationalen Finanzkrise, EuR 2010, 854; Horn Die Reform der Europäischen Währungsunion und die Zukunft des Euro, NJW 2011, 1398; Oppermann Euro-Stabilisierung durch EU-Notrecht, in: FS Möschel (2011) 909; Europäische Kommission Die Geldpolitik der EZB (3. Aufl. 2011); Seester Die Rolle der EZB in der europäischen Staatsschuldenkrise, EWS 2012, 80; Siekmann (Hrsg.) Kommentar zur Europäischen Währungsunion (2013); Görgens/Ruckriegel/Seitz Europäische Geldpolitik (6. Aufl. 2013); di Fabio Die Zukunft einer stabilen Wirtschafts- und Währungsunion (2013); Oppermann/Classen/Nettesheim Europarecht (6. Aufl. 2015) § 19: Währungsunion, 318; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 21: Wirtschafts- und Währungsunion, 507.

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Von gleichermaßen elementarer ordnungspolitischer Bedeutung für die Wirtschafverfassung der EU ist neben der Wettbewerbsordnung die Geldverfassung. Der Bezug zur marktwirtschaftlichen Verfassung der EU besteht darin, dass die Funktionsfähigkeit des Preismechanismus notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Wettbewerbsmärkten ist. Von ihr hängt die Fähigkeit der Marktteilnehmer ab, ihre individuellen wirtschaftlichen Pläne zu entwerfen und zu koordinieren, dh auch über längere Zeiträume hinweg deren Kosten und Nutzen zu kalkulieren. Das setzt die Stabilität des Geldwertes voraus, der seinerseits wiederum entscheidend von der Liquidität der Wirtschaftssubjekte abhängt. Die Liquiditätssteuerung ist Gegenstand der Geld- und Währungspolitik.

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Die Geld- und Währungspolitik (einschließlich der Wechselkurspolitik) ist im Rahmen der Währungsunion, an der im Prinzip alle Mitgliedstaaten beteiligt sind (Art. 3 Abs. 4 EUV), in dem Umfang zentralisiert, in dem die (bisher 19) Mitgliedstaaten ihre nationalen Währungen gem. Art. 119 Abs. 2 AEUV auf den Euro umgestellt haben. Sie bilden die Eurozone, während für die übrigen Mitgliedstaaten, die noch ihre nationalen Währungen behalten haben, gem. Art. 139 AEUV eine Ausnahmeregelung gilt (sog. „Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung“). Diese Mitgliedstaaten werden im Einzelfall aufgrund eines Prüfverfahrens, in dem die Erfüllung bestimmter Konvergenzkriterien festgestellt wird, Mitglieder der Eurozone; das Vereinigte Königreich und Dänemark haben sich allerdings aufgrund einer „opting-out“-Klausel das Recht vorbehalten, selbst über die Einleitung eines solchen Prüfverfahrens zu entscheiden. Mit der Einführung des Euro sind für die Mitgliedstaaten der Eurozone sämtliche geld-, währungs- und wechselkurspolitischen Zuständigkeiten von den nationalen Notenbanken auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) übergegangen (Art. 127 ff. AEUV), das aus den Notenbanken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB) besteht.

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Aufgabe der EZB ist naturgemäß die Bemessung des „Geldmantels“ der Eurozone, dh der Liquidität der Wirtschaftssubjekte. Art. 119 Abs. 2 AEUV verpflichtet die einheitliche Geldpolitik vorrangig auf das Ziel der Preisstabilität. In diesem Sinne hat die Geldpolitik in der Eurozone eine ordnungspolitische Dimension. „Unbeschadet dieses Ziels“ soll die einheitliche Geld- und Wechselkurspolitik aber zugleich „die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ unterstützen. Art. 127 Abs. 1 AEUV wiederholt diese Grundsätze für das ESZB und verdeutlicht, dass die Geldpolitik auch eine wirtschaftspolitische Dimension hat, aber zur Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele nur eingesetzt werden darf, soweit dies mit ihrer Stabilitätsorientierung kompatibel ist. Daraus resultiert das Postulat der Unabhängigkeit der EZB und der mitgliedstaatlichen Zentralbanken von politischen Einflussnahmen seitens der Union oder der Mitgliedstaaten (Art. 130 AEUV). Diesem Postulat kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Wirtschaftspolitik nicht in gleicher Weise wie die Geldpolitik vereinheitlicht ist, sondern nach wie vor in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt (siehe dazu weiter unten Rn. 45 ff.). Aus der Asymmetrie von Währungsunion und nationaler Kompetenz für die Wirtschaftspolitik (Wachstums- und Beschäftigungspolitik sowie Finanz- und Haushaltspolitik) ergibt sich ein grundlegendes Spannungsverhältnis.

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Aus der Einheitlichkeit der Währung folgt an sich ein entsprechender Zwang zur Vereinheitlichung, aber nicht notwendigerweise zur Zentralisierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken. Da mit der Einführung des Euro die Mitgliedstaaten der Eurozone ihre nationalen Währungen aufgegeben haben, stehen ihnen keine zins- oder wechselkurspolitischen Instrumente mehr zur Verfügung, um etwaige wirtschaftliche Ungleichgewichte durch Herauf- oder Herabsetzung des Leitzinses oder durch Auf- oder Abwertungen ihrer nationalen Währungen auszugleichen. Ungleichgewichte, die ihre Ursache in der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Volkswirtschaften (insbesondere in der unterschiedlichen Entwicklung der Arbeitsproduktivitäten) haben, können effektiv nur noch durch interne Anpassungen bei Löhnen und Preisen überwunden werden. Soweit Löhne und Preise aber aufgrund nationaler Regulierungen unflexibel sind, müssen strukturelle Reformen durchgeführt werden. Die Gefahr besteht jedoch, dass Wachstums- und Beschäftigungsschwächen stattdessen unter Missachtung dieses funktionalen Zusammenhangs durch kreditfinanzierte Staatsausgaben verdeckt und nicht behoben werden. Durch „deficit spending“ bedingte Haushaltsdefizite der Mitgliedstaaten gefährden aber nicht nur die monetäre Stabilität der Einheitswährung des Euro, sondern auch die Stabilität der Realwirtschaft. Aus diesem Grunde bindet Art. 119 Abs. 3 AEUV sowohl die Währungs- als auch die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union an die folgenden Grundsätze: „stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz“.

4. Wachstums- und Beschäftigungspolitik

Literatur:

Franzmeyer (Hrsg.) Das Konvergenzproblem – Wirtschaftspolitik im Europa von Maastricht (1994); Stephan Die Beschäftigungspolitik der EU (2008); Höch Beschäftigungspolitik im Gemeinsamen Markt (2009); Hatje Wirtschaftsverfassung im Binnenmarkt, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 828 ff.; Häde Haushaltsdisziplin und Solidarität in der Finanzkrise, EuZW 2009, 399.

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Mit Ausnahme der Geldpolitik im Rahmen der Eurozone sind die wirtschaftspolitischen Steuerungskompetenzen nicht generell auf Ebene der EU zentralisiert, sondern vielmehr grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten verblieben. Im Gegensatz zur Währungsunion (siehe dazu unten Rn. 42 ff.), gibt es daher bislang keine vergleichbare Wirtschaftsunion. Die Mitgliedstaaten haben sich aber gem. Art. 121 Abs. 1 AEUV verpflichtet, ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten. Die Union erfüllt dabei die Koordinierungsfunktion (Art. 119 Abs. 1 AEUV). Zu diesem Zweck ist der Rat gem. Art. 121 Abs. 2 AEUV befugt, Grundzüge der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik zu beschließen, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Die Mitgliedstaaten haben sich in Art. 121 Abs. 3–6 AEUV einem entsprechenden Überwachungsverfahren unterworfen, das inzwischen erheblich intensiviert und gestrafft worden ist und während der ersten Hälfte eines Kalenderjahres durchgeführt wird (sog. Europäisches Semester).

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Die wirtschaftspolitische Steuerung ist gem. Art. 120 S. 1 AEUV an den in Art. 3 EUV formulierten Unionszielen auszurichten. Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV nennt als allgemeine wirtschaftspolitische Steuerungsziele insbesondere die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität sowie eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Darüber hinaus werden in Art. 3 EUV aber auch Ziele genannt, die über den Rahmen der Wirtschaftspolitik hinausgehen, wie etwa ein „hohes Maß an sozialem Schutz“ und ein „hohes Maß an Umweltschutz“. Diese Ziele sind nach dem AEUV Gegenstand spezieller Unionspolitiken (dazu unten Rn. 74, 77). Art. 120 S. 2 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten und die Union gleichermaßen, wirtschaftspolitische Maßnahmen „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ durchzuführen und sich dabei an die in Art. 119 AEUV formulierten Grundsätze (stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanzen) zu halten.

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Die allgemeine wirtschaftspolitische Steuerung zielt auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung ab. Die dafür zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente sind außerordentlich vielfältig. Von programmatischer Bedeutung war in diesem Zusammenhang zunächst die wirtschaftspolitische Strategie („Lissabon-Strategie“), die der Europäische Rat auf seiner Sondertagung vom 23. und 24. März 2000 in Lissabon für die Europäische Union festgelegt hatte. Es ging dem Rat ausdrücklich darum, die EU

„zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“

Die Kommission hatte am 2. Februar 2005, unterstützt durch den Europäischen Rat vom März 2005, eine Neuformulierung und Konzentration dieser Strategie auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung vorgeschlagen.[16] Diese Strategie hat jedoch die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

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Im Jahre 2010 hat die Kommission ein neues, aber ähnlich ambitioniertes Zehnjahresprogramm „Europa 2020“ vorbereitet,[17] mit dem eine „Vision der europäischen sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“ skizziert werden soll. Auf dieser Grundlage hat der Europäische Rat am 17. Juni 2010 eine Strategie für Beschäftigung und intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum „Europa 2020“ verabschiedet.[18] Sie soll helfen, die Wettbewerbsfähigkeit, die Produktivität, das Wachstumspotenzial, den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Konvergenz zu stimulieren. Abgesehen von Maßnahmen zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise durch die Konsolidierung der Staatshaushalte und die Verbesserung der Finanzmarktregulierung und -aufsicht, geht es dem Rat um fünf Kernziele als Richtschnur für das Handeln der Mitgliedstaaten und der Union: die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Bedingungen für Innovation, Forschung und Entwicklung, die Erreichung der Klimaschutz- und Energieziele, die Verbesserung des Bildungsniveaus sowie die Förderung der sozialen Eingliederung. Dafür hat der Rat sogar quantifizierte Indikatoren definiert. Im Übrigen soll es jedoch um eine Stärkung der wirtschaftspolitischen Steuerung im Sinne einer Verstärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung gehen. Worauf sich diese Koordination inhaltlich beziehen soll, ist allerdings umstritten. Der Rat hat sich zunächst nur auf gewisse allgemeine Leitlinien beschränkt und die Konkretisierung einer Arbeitsgruppe sowie der Kommission überlassen. Teils wird die Auffassung vertreten, die wirtschaftspolitische Koordinierung solle sich an makroökonomischen Indikatoren orientieren, um Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten auszugleichen; teils wird stattdessen die Orientierung der wirtschaftspolitischen Koordination an den Erfordernissen einer stabilitätsorientierten Finanz- und Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten gefordert, um schon die Ursachen für Ungleichgewichte zu beseitigen. Nach wie vor ist somit der Konflikt zwischen einer eher diskretionären und einer eher regelgebundenen Wirtschaftspolitik[19] auf Unionsebene nicht gelöst. Ein als „Six Pack“ bezeichnetes Bündel von sechs Legislativmaßnahmen hat immerhin im Jahre 2011 u.a. auch das Überwachungsverfahren nach Art. 121 AEUV intensiviert, insbesondere durch Präventiv- und Korrekturmaßnahmen zur Vermeidung und Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte.[20]

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Es ist jedoch zu betonen, dass gem. Art. 119 AEUV bei allen Maßnahmen zur Umsetzung dieser wirtschaftspolitischen Strategie sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union an den die Wirtschaftsverfassung der EU kennzeichnenden Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb gebunden sind, wodurch nach Art. 120 S. 2 AEUV „ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird“. Die Kommission selbst hatte in ihrem „Aktionsplan staatliche Beihilfen“ von 2005 ausdrücklich anerkannt, dass gerade der Wettbewerb eine wichtige Voraussetzung für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ist, da er ein Umfeld schafft, in dem effizient arbeitende und innovative Unternehmen entsprechend belohnt werden.[21]