Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 6
3. Institutionelle Unterziele
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Als institutionelle Unterziele nennt der EUV die Errichtung eines Binnenmarkts (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 1 EUV) sowie einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 3 Abs. 4 EUV) und er bezieht sich insgesamt ausdrücklich auf das Konzept einer „in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft“ (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV). Die entsprechende Zielbestimmung in Art. 2 des ehemaligen EG-Vertrags hatte „die Errichtung des Gemeinsamen Markts und einer Wirtschafts- und Währungsunion“ ausdrücklich noch als Instrumente betrachtet, „durch“ die sowohl die wirtschaftspolitischen Zwischenziele als auch das übergeordnete allgemeine Ziel der „Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität“ erreicht werden sollten. Eine ähnlich klare funktionelle Ziel-Mittel-Hierarchie ist zwar dem Wortlaut des Art. 3 EUV nicht zu entnehmen. Es könnte vielmehr den Eindruck einer diffusen Gleichrangigkeit aller in dieser Bestimmung erwähnten Ziele entstehen. Das würde aber der unterschiedlichen Eigenart dieser Ziele widersprechen. Die einzelnen Zielbestimmungen bewegen sich nämlich zum einen – wie gezeigt – auf drei unterschiedlichen Abstraktionsebenen. Zum anderen stehen diese drei Ebenen nach wie vor in einer funktionellen Ziel-Mittel-Relation zueinander. So muss die „Errichtung eines Binnenmarkts“ (einschließlich des Systems unverfälschten Wettbewerbs) zwar als institutionelles Unterziel, aber zugleich als Mittel für die Gewährleistung der wirtschaftspolitischen Zwischenziele angesehen werden und diese wiederum als Mittel zur Förderung der Gesamtzielsetzung der Europäischen Integration, insbesondere des „Wohlergehens“ der Völker.[7] An der funktionellen Logik der Zielbestimmungen hat sich daher gegenüber dem EGV im EUV nicht grundlegend etwas geändert.
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Somit ist festzuhalten, dass der EUV das marktwirtschaftliche Ordnungsmodell – ergänzt durch eine soziale und ökologische Komponente nach Maßgabe des AEUV – in den Dienst der Unionsziele stellt. Der EUV geht ebenso wie früher der EGV davon aus, dass dieses Ordnungsmodell am besten geeignet ist, die Vertragsziele zu verwirklichen, insbesondere das „Wohlergehen“ der Völker zu gewährleisten. Die Wirtschaftsverfassung der Union besteht daher im Kern nach wie vor aus dem Binnenmarkt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 1 EUV) sowie einem „System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“ (Art. 51 EUV iVm dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb[8]).[9] Dies kommt auch in dem „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ zum Ausdruck, der als Leitprinzip für die Wirtschaftsunion in Art. 119 AEUV kodifiziert ist. Dieser Grundsatz bindet die Union nicht nur hinsichtlich der Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken nach Maßgabe der Art. 120–126 AEUV, sondern auch hinsichtlich ihrer eigenen wirtschaftspolitischen Aktivitäten. Auch das hohe Maß an (internationaler) Wettbewerbsfähigkeit, das der EUV mit dem Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“ verbindet (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV) kann nur erreicht werden, wenn sie sich intern an diesem Grundsatz orientiert. Das hat weit reichende Implikationen für die gesamte Vertragsauslegung.
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Für die Förderung des „Wohlergehens“ der Völker als oberster wirtschaftlicher Zielsetzung der Union bedeutet dies, dass die Union die Ressourcenallokation grundsätzlich nicht von sich aus politisch gestaltet, sondern dass sie ihren Bürgern ein marktförmiges Entscheidungsverfahren zur Verfügung stellt, welches ihnen erlaubt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst über ihre Lebenshaltung zu entscheiden. Die Menschen sollen durch die Errichtung eines Binnenmarkts quantitativ und qualitativ bessere Möglichkeiten erhalten, ihre jeweils individuellen Bedürfnisse durch entsprechende Markttransaktionen zu befriedigen. Dabei versteht Art. 3 Abs. 1 EUV den Begriff des „Wohlergehens“ offensichtlich keineswegs im rein materiellen Sinne. Auch immaterielle Werte gehören dazu. Aber auch die Befriedigung immaterieller Bedürfnisse setzt häufig die Verfügung über bestimmte materielle Mittel voraus, die über marktförmige Transaktionen erworben werden müssen. Die Verknüpfung der Förderung des „Wohlergehens“ mit dem Konzept des Binnenmarkts in Art. 3 EUV zielt also insgesamt auf Effizienz im Rahmen einer Ordnung, die auf individuellen Marktfreiheiten beruht. Die Kompetenznormen der Art. 2–6 AEUV konkretisieren die Schritte, die der Errichtung einer dem Unionsrecht konformen marktwirtschaftlichen Ordnung dienen sollen.
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Für die Förderung der wirtschaftspolitischen Ziele fasst Art. 3 Abs. 4 EUV die Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Währungspolitik ins Auge. Art. 119 AEUV konkretisiert, was darunter zu verstehen ist. Die Währungsunion dient der Einführung einer einheitlichen Geldverfassung auf der Grundlage der Zentralisierung der Geld- und Wechselkurspolitik, die ihrerseits vorrangig an das Ziel der Preisstabilität gebunden ist. Die Preisstabilität (genauer: Preisniveaustabilität) ist eine elementare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Preismechanismus und damit des Marktes. Sie sichert die wirtschaftliche Planbarkeit für die Marktteilnehmer, deren Entscheidungen stets auf Prognosen hinsichtlich künftiger Entwicklungen und auf einer Abwägung der in Geld ausgedrückten Nutzen und Kosten bestimmter Handlungsmöglichkeiten beruhen. Die Konformität der zentralisierten Geld- und Wechselkurspolitik mit den Erfordernissen der Marktintegration wird darüber hinaus ausdrücklich dadurch gesichert, dass Art. 119 Abs. 2 AEUV rechtsverbindlich die Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verlangt.
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Die in Art. 3 Abs. 4 EUV ins Auge gefasste Wirtschaftsunion würde zwar eine Zentralisierung derjenigen wirtschaftspolitischen Kompetenzen voraussetzen, die auf die Verwirklichung der Wachstums-, Stabilitäts- und Beschäftigungsziele ausgerichtet sind. Aber dazu ist es bislang nicht gekommen. Art. 119 Abs. 1 AEUV beschränkt sich auf die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und die Festlegung gemeinsamer Ziele. Im Übrigen bindet Art. 119 Abs. 1 AEUV auch die wirtschaftspolitischen Aktivitäten der Union und der Mitgliedstaaten an den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, dh an die Erfordernisse des Binnenmarkts und des Systems unverfälschten Wettbewerbs. Wachstum und Beschäftigung werden somit grundsätzlich als Folgen der Marktintegration und nicht einer wirtschaftspolitischen Steuerung betrachtet, mit der die Marktergebnisse korrigiert werden. Und das Stabilitätsziel beschränkt die Wirtschaftspolitik auf Maßnahmen, die nicht unmittelbar in die Marktprozesse eingreifen. Dies gilt allerdings unter dem Vorbehalt bestimmter Formen des Marktversagens, das staatliche Korrekturen rechtfertigen kann (siehe dazu im Einzelnen unten Rn. 54 ff.).
Anmerkungen
[1]
Siehe etwa EuGH Rs. C-6/90 und C 9/90 (Francovich und Bonifaci), Slg. 1991 I-5357, Rn. 33 f.; EuGH Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame), Slg. 1996 I-1029, Rn. 20 ff.; Streinz Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, in: FS Everling (1995) Bd. II, 1491.
[2]
Vgl. etwa EuGH Rs. C-24/62 (Deutschland/Kommission), Slg. 1963, 131, 153 f.; EuGH Rs. C-85/76 (Hoffmann-La Roche), Slg. 1979, 461, Rn. 125; EuGH Rs. C-53/81 (Levin), Slg. 1982, 1050, Rn. 15.
[3]
Siehe dazu das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (ABl. 2008 C 115/309), das gem. Art. 51 EUV Bestandteil des EUV ist.
[4]
Entgegen einer weit verbreiteten Überzeugung gilt: „There is no free lunch“.
[5]
Vgl. zur Skepsis gegenüber zu einer am magischen Viereck orientierten staatlichen „Globalsteuerung“ weiter unten Rn. 36 ff.
[6]
Man spricht von einem „magischen“ Viereck, weil es in der wirtschaftspolitischen Praxis häufig schwierig erscheint, alle Ziele gleichzeitig zu verfolgen.
[7]
Auch der EuGH hat des Öfteren darauf hingewiesen, dass der Binnenmarkt und das Wettbewerbssystem nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Erreichung der übergeordneten Integrationsziele sind: siehe etwa EuGH Gutachten 1/91 (EWR I), Slg. 1991 I-6079, Rn. 50.
[8]
ABl. 2008 C 115/309.
[9]
Ebenso beispielsweise Hatje Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung – zur Einführung, in: Ders./Terhechte (Hrsg.) Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3, 7; Calliess/Ruffert Verfassung der Europäischen Union – Kommentar der Grundlagenbestimmungen (2006), Art. I-3, Rn. 22 ff.
1. Teil Grundlagen › 1. Kapitel Der Binnenmarkt als Systementscheidung › § 4 Errichtung des Binnenmarkts
§ 4 Errichtung des Binnenmarkts
Literatur:
Grabitz Über die Verfassung des Binnenmarktes, in: FS Steindorff (1990) 1229; Schubert Der Gemeinsame Markt als Rechtsbegriff – Die allgemeine Wirtschaftsfreiheit des EG-Vertrages (1999); Hatje/Terhechte (Hrsg.) Das Binnenmarktziel in der europäischen Verfassung, EuR 2004, Beiheft 3; Nowak Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts und der Grundfreiheiten im Binnenmarkt, in: Hatje/Terhechte (Hrsg.) aaO 77; Nowak Binnenmarktziel und Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union vor und nach dem Reformvertrag von Lissabon, in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) Der Reformvertrag von Lissabon, EuR 2009, Beiheft 1, 129; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht (3. Aufl. 2014) § 2: Grundfreiheiten und Wettbewerb im Binnenmarkt, 30 ff.; Epiney Gemeinwohlinteressen und Grundfreiheiten: Zum Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Rechtfertigung des Eingriffs in Grundfreiheiten, in: FS Müller-Graff (2015) 467.
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Die Tätigkeiten der Union, die sich auf die Errichtung eines Binnenmarkts als Instrument zur Verwirklichung der in Art. 3 EUV definierten Ziele beziehen, werden im AEUV konkretisiert. Für diese Tätigkeiten ist teils ausschließlich die Union zuständig (Art. 3 AEUV); teils handelt es sich um Zuständigkeiten, welche die Union mit den Mitgliedstaaten teilt (Art. 4 AEUV). Im Falle einer ausschließlichen Kompetenz kann nur die Union gesetzgeberisch handeln und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten können insoweit allenfalls von der Union ermächtigt werden; im Übrigen führen sie die Rechtsakte der Union durch (Art. 2 Abs. 1 AEUV). Im Falle einer geteilten Zuständigkeit können sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten gesetzgeberisch handeln und verbindliche Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten können allerdings ihre Zuständigkeit nur insoweit wahrnehmen wie die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat (Art. 2 Abs. 2 AEUV).
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Der Begriff „Binnenmarkt“ ist zunächst in der Rechtsprechung des EuGH als Konkretisierung des Begriffs „Gemeinsamer Markt“ entwickelt worden. In der Rechtssache Gaston Schul hat der Gerichtshof folgendes ausgeführt:[1]
„Der Begriff Gemeinsamer Markt . . . stellt ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung nationaler Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen.“
Später ist die Definition des Binnenmarkts in den EG-Vertrag übernommen worden (zunächst war sie aufgrund der EEA in Art. 8a Abs. 2 EWGV enthalten, nach dem Vertrag von Maastricht in Art. 7a Abs. 2 EG und seit dem Vertrag von Amsterdam in Art. 14 Abs. 2 EG). Auch nach Art. 26 Abs. 2 AEUV umfasst der Binnenmarkt unverändert
„einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist“.
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Die Errichtung des Binnenmarkts obliegt grundsätzlich der Union und den Mitgliedstaaten in geteilter Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. a AEUV). Sie umfasst im Einzelnen:
– | die Freiheit des Warenverkehrs; diese umfasst ihrerseits: – die Errichtung einer Zollunion gemäß. Art. 28 AEUV (Verbot von Zöllen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten gem. Art. 30 AEUV; Gemeinsamer Zolltarif gegenüber Drittstaaten gem. Art. 31 AEUV) – insoweit ist ausnahmsweise ausschließlich die Union zuständig (Art. 3 Abs. 1 lit. a AEUV); – das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr von Waren zwischen den Mitgliedstaaten sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 34 ff. AEUV; |
– | die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gem. Art. 56 ff. AEUV; |
– | die Freizügigkeit der Personen, nämlich – die Freizügigkeit von Arbeitnehmern gem. Art. 45 ff. AEUV; – die Niederlassungsfreiheit der selbstständig Erwerbstätigen gem. Art. 49 AEUV; |
– | die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs gem. Art. 63 ff. AEUV; |
– | die Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln gem. Art. 101 ff. AEUV – insoweit ist wiederum ausschließlich die Union zuständig (Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV); |
Es geht also, kurz gesagt, um die Errichtung eines Binnenmarkts und eines Systems unverfälschten Wettbewerbs im Sinne des Protokolls (Nr. 27) zum Lissabon Vertrag über den Binnenmarkt und den Wettbewerb.
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Das Binnenmarktkonzept dient mit seinen wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten zunächst einmal der Öffnung der nationalen Märkte. Der Abbau von Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs erlaubt die gegenseitige Durchdringung der einzelnen Volkswirtschaften, indem Unternehmen und Verbraucher über die staatlichen Grenzen hinweg in einen freien wirtschaftlichen Austausch treten können. Die Anbieter von Waren oder Dienstleistungen erhalten Zugang zu den Abnehmern in anderen Mitgliedstaaten ebenso wie auch Abnehmer Zugang zu den Versorgungsquellen in anderen Mitgliedstaaten erhalten (Art. 28 ff. und Art. 56 ff. AEUV). Gewerbetreibende können ihren Unternehmensstandort in anderen Mitgliedstaaten wählen und das dafür erforderliche Investitionskapital transferieren (Art. 49 ff. und Art. 63 ff. AEUV). Arbeitnehmer haben Zugang zu den Arbeitsplätzen, die Arbeitgeber in anderen Mitgliedstaaten anbieten (Art. 45 ff. AEUV). All diese Freiheiten vermitteln den Marktteilnehmern nach der Rechtsprechung des EuGH[2] subjektive Rechte, die von den Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten zu wahren und zu schützen sind und die nur aus zwingenden Allgemeinwohlgründen unter Beachtung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips beschränkt werden können.[3] Dies alles bedeutet, dass sich die in der Union ansässigen Wirtschaftsteilnehmer die komparativen Kosten- und Produktivitätsvorteile, die andere Mitgliedstaaten im Vergleich zu ihren jeweiligen Heimatstaaten im Hinblick auf die Herstellung und Verteilung von Gütern oder Leistungen zu bieten haben, unmittelbar zunutze machen können. Diese Vorteile schlagen sich in Preisdifferenzen für Produkte und Produktionsfaktoren nieder, die – soweit die Mitgliedstaaten der EU zugleich der Währungsunion angehören – aufgrund der einheitlichen Gemeinschaftswährung (des Euro) sogar ohne Umrechnung nach Wechselkursen unschwer erkennbar sind. Auf diese Weise fördert die Marktöffnung die wirtschaftliche Effizienz nicht nur im Sinne der verbesserten Allokation knapper Ressourcen (allokative Effizienz), sondern sie fördert auch deren Vermehrung im Sinne wirtschaftlichen Wachstums (dynamische Effizienz). Auf diese Weise dient die wirtschaftliche Integration durch Öffnung der Märkte somit der Förderung des „Wohlergehens“ der Menschen.[4]
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Der Binnenmarkt ist aber nicht allein durch den Abbau von Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs gekennzeichnet, er ist vielmehr zugleich als ein einheitlicher Wettbewerbsmarkt konzipiert.[5] Nun führt zwar schon die Öffnung der nationalen Märkte zur Intensivierung des Wettbewerbs. Die Anbieter von Produkten oder Produktionsfaktoren sind der Konkurrenz von Anbietern aus der gesamten Union ausgesetzt. Entsprechendes gilt für die Abnehmer. Aber die Öffnung der Märkte für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr beseitigt keineswegs alle Beschränkungen des Wettbewerbs, die im Binnenmarkt denkbar sind. Das Binnenmarktkonzept (Art. 26 Abs. 2 AEUV) richtet sich mit den Verkehrsfreiheiten im Prinzip nur gegen mitgliedstaatliche Marktzugangsbeschränkungen. Um den Binnenmarkt zugleich als umfassenden Wettbewerbsmarkt zu etablieren, müssen aber auch private Beschränkungen des Wettbewerbs eliminiert werden (Art. 101 ff. AEUV). Auch Unternehmen können zwischenstaatliche Handelsschranken errichten, indem sie den unionsweiten Binnenmarkt wieder in Regionalmärkte aufteilen. Oder sie können durch bestimmte wettbewerbsbeschränkende Strategien verhindern, dass komparative Produktionskostenvorteile an die Abnehmer weitergegeben werden. Wettbewerbsbeschränkungen konterkarieren somit das Effizienzziel ebenso wie die durch die Marktöffnung geschaffenen und unter Wettbewerbsbedingungen bestehenden wirtschaftlichen Handlungsspielräume und Wahlfreiheiten der Wirtschaftsteilnehmer. Daher wird der Binnenmarkt auch nach dem AEUV durch ein System unverfälschten Wettbewerbs ergänzt (Art. 51 iVm dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb).
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Der unionsrechtlich definierte Binnenmarkt und das System unverfälschten Wettbewerbs kennzeichnen primär das Innenverhältnis der Union. Das Ausmaß an Marktöffnung und Wettbewerb im Außenverhältnis zu Drittstaaten unterliegt darüber hinaus besonderen unionsrechtlichen Regelungen und bestimmt sich auch nach wirtschaftsvölkerrechtlichen Übereinkommen, denen die Union beigetreten ist. Damit die Union insoweit als Einheit auftreten kann, sieht Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV die Zentralisierung der Handelspolitik (Außenwirtschaftspolitik) vor. Sie liegt naturgemäß in der ausschließlichen Kompetenz der Union.
Anmerkungen
[1]
EuGH Rs. C-15/81 (Gaston Schul), Slg. 1982, 1409, Rn. 33.
[2]
EuGH Rs. C-26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, 1, 24 ff.
[3]
Siehe dazu Epiney aaO.
[4]
Siehe zum Versuch einer Quantifizierung der positiven wirtschaftlichen Wirkungen der Integration den immer noch instruktiven Bericht von Cecchini Europa ‚92 – Der Vorteil des Binnenmarkts (1988).
[5]
Siehe zum Funktionszusammenhang von Binnenmarkt und Wettbewerbssystem Nowak in: Hatje/Terhechte (Hrsg.) aaO; Mestmäcker/Schweitzer aaO.
1. Teil Grundlagen › 1. Kapitel Der Binnenmarkt als Systementscheidung › § 5 Politische Steuerung
§ 5 Politische Steuerung
Inhaltsverzeichnis
I. Allgemeine Wirtschaftspolitik
II. Spezifische Gemeinschaftspolitiken
III. Außenwirtschaftspolitik
Literatur:
Ogus Regulation. Legal Form and Economic Theory (1994); Majone Regulating Europe (1996); Müller-Graff Die Verdichtung des Binnenmarktrechts zwischen Handlungsfreiheiten und Sozialgestaltung, EuR 2002, Beiheft 1, 7; Hatje Wirtschaftsverfassung im Binnenmarkt, in: Bogdandy/Bast (Hrsg.) Europäisches Verfassungsrecht (2. Aufl. 2009) 801, 823 ff.; Nowak Binnenmarktziel und Wirtschaftsverfassung der EU vor und nach dem Reformvertrag von Lissabon, in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) Der Reformvertrag von Lissabon, EuR 2009, Beiheft 1, 129 ff., 162 ff.; Epiney Gemeinwohlinteressen und Grundfreiheiten: Zum Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Rechtfertigung des Eingriffs in Grundfreiheiten, in: FS Müller-Graff (2015) 467; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union – Europarecht und Politik (12. Aufl. 2016) §§ 21–32, 507–641.
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Auch eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ist in bestimmten Hinsichten auf eine hoheitliche Steuerung angewiesen. Im Hinblick auf den Binnenmarkt sind die dafür erforderlichen Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft verteilt. Nach den in Art. 4 Abs. 1 iVm Art. 5 EUV niedergelegten Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität liegen die Zuständigkeiten grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Gewisse Zuständigkeiten weist der AEUV allerdings auch der Union zu. Sie sind schon in der Vergangenheit im Zuge der Vertragsänderungen von Maastricht und Amsterdam nicht unwesentlich erweitert worden. Somit stellt sich nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Union die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen der politischen Steuerung einerseits und der Errichtung offener Wettbewerbsmärkte andererseits. Diese Frage ist umso dringender geworden, je intensiver der Europäische Rat – nachdem die „Lissabon-Strategie“ von 2000 ihr Ziel, die Europäische Union bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu entwickeln,[1] verfehlt hat – inzwischen eine neue Strategie für Beschäftigung und intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum „Europa 2020“[2] verfolgt (siehe hierzu ausführlicher weiter unten Rn. 48). Auch dabei soll es primär um nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung gehen. Es ist von grundlegender Bedeutung, ob solche strategischen Ziele durch die Stärkung der Wettbewerbskräfte im Binnenmarkt oder durch politische Steuerung erreicht werden sollen.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass auch die Union in allen ihren Tätigkeiten grundsätzlich an das Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht gebunden ist. Das hat der EuGH bereits 1985 in seiner Altöle-Entscheidung, in der es um die Vereinbarkeit einer Richtlinie mit dem EG-Vertrag ging, folgendermaßen zum Ausdruck gebracht:[3]
„Die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Wettbewerbs sowie die grundrechtliche Handelsfreiheit stellen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dar, über deren Einhaltung der Gerichtshof wacht. Die erwähnten Vorschriften der Richtlinie sind also anhand dieser Grundsätze zu prüfen.“
Dies bedeutet vor allem, dass die Union mit Maßnahmen zur Durchführung der Unionspolitiken grundsätzlich ebensowenig wie die Mitgliedstaaten in die Verkehrsfreiheiten, die für den Binnenmarkt konstitutiv sind, oder in das System unverfälschten Wettbewerbs in ungerechtfertigter Weise eingreifen darf. Allerdings hat der EuGH den Unionsorganen insoweit ein nicht unerhebliches Beurteilungs- und Gestaltungsermessen eingeräumt und die gerichtliche Kontrolle von Eingriffen nicht auf „die Würdigung der sich aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen ergebenden Gesamtlage“ erstreckt.[4] Die Systementscheidung zugunsten einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 AEUV) begründet ein Regel-Ausnahmeverhältnis von wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und politischer Steuerung.[5] Die Union trifft insoweit ebenso wie die Mitgliedstaaten jedenfalls eine Rechtfertigungslast im Sinne des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit.[6] Es dürfen weder Barrieren für den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr errichtet noch wettbewerbsverzerrende Eingriffe vorgenommen werden, die für die Erreichung der jeweiligen Ziele nicht geeignet, erforderlich und angemessen sind. Kurz: Auch die Union muss ihre politischen Ziele im Prinzip unter den Bedingungen offener Wettbewerbsmärkte realisieren.
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Diese weitreichende Aussage steht allerdings unter dem Vorbehalt der besonderen Regelungen des AEUV. Das genaue Verhältnis der hoheitlichen Steuerung zum Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 AEUV) ist im jeweiligen Kontext der Verkehrsfreiheiten und der Wettbewerbsregeln zu bestimmen.[7] Dieses Verhältnis wird aber auch in den Bestimmungen des AEUV angesprochen, in denen der Union bestimmte Aufgaben auf Sachgebieten zugewiesen werden, denen das Potential zur hoheitlichen Steuerung der Wirtschaft innewohnt. Im Folgenden ist insoweit zu unterscheiden zwischen Unionskompetenzen auf dem Gebiet der allgemeinen Wirtschaftspolitik (I.), den Unionspolitiken, die spezifische Ziele verwirklichen sollen (II.), und der Außenwirtschaftspolitik (III.).