Kitabı oku: «Die Steuersünder», sayfa 5

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Der Mittwoch brachte Herbert Matter neues Ungemach. Er verbrachte den Vormittag mit der Erledigung von Routineaufgaben, der Veranlagung einiger kleiner Handwerker und dem Studium zweier Einsprachen gegen frühere Veranlagungen. Hoffnungslose Zeitverschwendung, die Einsprecher hatten nicht die geringste Chance, mit ihren Einwendungen durchzudringen. Den Nachmittag widmete er dem Kunststück, für die Akten darzulegen, dass die Steuererklärungen der Herren Kellenberger und Huber nach erneuter Überprüfung korrekt waren. In zwei Notizen zeigte er auf, dass sich dem Rechtsanwalt nichts Unkorrektes nachweisen lasse, insbesondere keine nicht deklarierte Zahlung aus Vaduz, und dass sich das ominöse Schreiben der Ehefrau Huber vom 7. März auch in den Akten der anderen Abteilungen nicht auffinden lasse. Entweder existierte es nicht, oder es war unauffindbar verloren gegangen oder es lag in der Akte eines gänzlich anderen Huber, mit dem Matter nichts zu tun hatte.

Wesentlich mehr Mühe bereitete ihm sein Opfer Regenass. Nachdem der Abteilungsleiter, Konrad Nägeli, die Akten eingesehen hatte, ließ sich nichts mehr wegargumentieren. Paul Regenass musste eine Nach- und Strafsteuerrechnung hingepfeffert werden. Als einzige Milderung kam in Frage, ihm geringeres Verschulden zuzubilligen. Damit ließ sich die Nach- und Strafsteuer auf unter 500 000 Franken reduzieren. Aber wie Regenass darauf reagieren würde, war nicht abzusehen. Der Internetfachmann würde mit Sicherheit toben und hochgehen wie ein Vulkan, vielleicht eine Strafanzeige wegen Erpressung einreichen. Dagegen nahm sich das Gegenargument der Beamtenbestechung reichlich mager aus. Und wenn Konrad Nägeli gar auf die Idee kommen sollte, die Doktoren Kellenberger und Huber zu ihren Steuererklärungen zu befragen, würde Matters sauberes Konstrukt platzen wie eine Seifenblase.

Langsam dämmerte dem Beamten, dass er sich ein unlösbares Problem aufgehalst hatte. Selbst eine Rückzahlung des Darlehens würde keine Sicherheit gewähren; Regenass konnte es sich dann erst recht leisten, ihn zu denunzieren. Der einzige Ausweg bestand darin, in London mit Regenass zu reden, ihm Argumente für eine Beschwerde gegen die zu erwartende Steuerrechnung zu liefern und ihm klarzumachen, dass auch ihm strafrechtliche Konsequenzen drohten, falls ihr Darlehensgeschäft bekannt würde.

Damit ließ sich bestenfalls ein wenig Zeit gewinnen; Zeit allerdings, die Herbert Matter ausreichte, um sich auf Nimmerwiedersehen nach Neuseeland abzusetzen. Mit diesem kleinen Trost versehen, begann er wie die übrigen Beamten kurz vor fünf Uhr sein Pult aufzuräumen.

Am Donnerstag stand der Gang zum Amtsvorsteher auf dem Programm, dem er das Urlaubsgesuch wegen des Brustkrebses seiner Schwester in Miami unterbreiten würde. Dass es bewilligt würde, stand außer Zweifel. Am Freitag stand sein Arbeitsplatz bereits den Putzfrauen zur Verfügung, von unterwegs würde er seine Kündigung einreichen, und am Samstag fing das Leben mit Tanja an. Sein Blick fiel auf das gerahmte Bild seiner Frau Sylvia; er hatte vergessen, es zu entfernen. Entschlossen packte er die Fotografie und verstaute sie in der untersten Schublade seines Pultes. Jetzt war nichts Persönliches mehr in seinem Büro; man konnte ihm getrost für immer den Rücken kehren.


Am folgenden Abend informierte Kellenberger Sylvia Matter über weitere Einzelheiten. Sie trug diesmal ein kleines Schmuckstück um den Hals, ein Goldkettchen mit einem zitronengelben Edelstein. Ihr Gesicht war noch sorgfältiger hergerichtet als am Vortag. Sie hörte aufmerksam zu, als er ihr eröffnete, dass ihr Mann einige Steuersünder erpresst hatte, um sich selber zu bereichern. Also hätten seine Opfer ebenfalls ungesetzlich gehandelt, stellte sie schließlich nüchtern fest. Das sei so, bestätigte der Anwalt, und deshalb sollte sowohl über die Verfehlungen ihres Mannes als auch über diejenigen seiner Opfer Stillschweigen bewahrt werden. Über Tanja Goldsteins Stellung zu reden brachte er nicht fertig. Welche Untat denn nun schwerer zu gewichten sei, wollte Sylvia weiter wissen. Eindeutig die Erpressung, die Strafe dafür sei Zuchthaus, während Steuerhinterziehung lediglich mit einer Strafsteuer, also einer Art von Busse, geahndet werde. Ob das für sie denn so wichtig sei, schloss Kellenberger seine Ausführungen mit einer Frage.

«Nicht wirklich», erwiderte Sylvia Matter. Sie verstummte und fuhr erst nach längerem Schweigen fort. «Wissen Sie, als Frau fühlt man sich ganz klein und schäbig, wenn einem der Mann davonläuft. Man kommt sich unnütz vor, wie weggeworfen. Man fragt sich, was man falsch gemacht hat. Nicht, was er falsch gemacht hat. Ich habe Fehler begangen, sonst wäre er ja nicht ausgezogen. Dann kommt die Gegenreaktion. Er ist ein Schuft, ein elender. Zwanzig Jahre lang besorgt man ihm den Haushalt, erzieht den Sohn, weil der Papa keine Zeit hat, legt ihm die Hände unter die Füße. Man liebt ihn, selbst wenn er ungehalten ist und unfreundlich, selbst nachts, wenn er schnarcht wie ein Sägewerk. Und das soll es dann gewesen sein, das ganze Leben! Was danach kommt, interessiert niemanden. Und dann vernimmt man noch, dass er ein Verbrecher ist! Umbringen sollte man ihn, den Mistkerl, in die Hölle sollte er fahren!»

Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Mund öffnete sich, als wolle sie noch etwas sagen, aber sie schwieg. Kellenberger befürchtete, sie werde gleich in Tränen ausbrechen. Er fragte:

«Kam das alles aus heiterem Himmel? Gab es keine Abkühlung in Ihrer Beziehung? Haben Sie nichts geahnt von seiner Unzufriedenheit?»

Sylvia Matter schüttelte den Kopf. «Wahrscheinlich war ich zu gutgläubig. Oder zu ahnungslos. Ich habe mich der Routine des Alltags hingegeben, ohne zu merken, dass das nicht genügt. Wäre ich wachsam gewesen, hätte ich die Zeichen rechtzeitig erkannt.»

Der Anwalt antwortete nichts. Er wechselte das Thema.

«Ich habe Ihnen noch nicht alles berichtet, Frau Matter.»

«Oh – gibt es noch weitere Hiobsbotschaften?»

«Ihr Mann hat seine Opfer auf kommenden Samstag nach London zitiert. Wahrscheinlich geht es um eine neue Teufelei.»

Sylvia schüttelte den Kopf. «Ich verstehe nichts mehr. Warum nach London? Sicher ins Old Hampshire Hotel.»

Jetzt staunte Kellenberger. «Ja, genau. Sitzungszimmer Leonardo. Aber wie kommen Sie auf dieses Hotel?»

«Er war vor drei Wochen in London an der Abdankung eines Schulfreundes. Wenigstens hat er mir das erzählt. Da wohnte er auch im ‹Old Hampshire›.» Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: «Ich durfte nicht mit, weil es zu teuer war.»

Sie schwieg, und ihr Schweigen senkte sich übers Konferenzzimmer wie eine schwere Decke. Als die Stille fast greifbar wurde, räusperte sich der Anwalt und sagte: «Sie machen eine schwierige Zeit durch. Ich bewundere Ihren Mut. Aber ich hoffe auch, dass Sie Diskretion bewahren werden. Im Gegenzug sichere ich Ihnen zu, Sie über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden zu halten, soweit ich dazu in der Lage bin.»

Er wunderte sich, dass sie nicht wissen wollte, ob er selber auch zu den Opfern zähle und ob er auch nach London reise. Dann, nach einer Pause, sagte er unvermittelt:

«Ihnen ist der Mann davongelaufen, Frau Matter. Mich hat meine Frau rausgeworfen. Ich habe eine Dummheit begangen, die ich seither bereue. Jetzt sind wir geschieden, und ich zahle für meine Dummheit.»

Sylvia Matter musterte ihn aufmerksam. Kellenberger erwiderte den Blick, er sah ihren goldenen Anhänger, ihre glitzernden Augen, ihr anliegendes weißes Kleid, aber er sah durch sie hindurch, ganz als habe er nur zu sich selber gesprochen. Sie fragte:

«Warum erzählen Sie mir das, Herr Kellenberger? Um dem einen Unglück ein zweites beizufügen?»

Er schüttelte den Kopf. «Nein, einfach so. Wir kennen uns wenig genug, dass wir uns nicht voreinander zu schämen brauchen. Ich dachte, es hilft Ihnen vielleicht, zu wissen, dass andere auch Unglück zu tragen haben.»

«Nein, das tut es nicht. Ich muss ja mein Unglück allein tragen.»


Als sie gegangen war, setzte sich Michael Kellenberger in sein Büro und legte die Füße auf den Schreibtisch. Er hatte kein Licht eingeschaltet. Ein Bündel Briefe flatterte auf den Boden. Er ließ sie liegen. Die Dämmerung legte sich langsam über den Fluss; die Silhouetten der Häuser auf der anderen Seite stachen spitz wie Scherenschnitte in den Himmel. Er begriff hinterher nicht, was ihn veranlasst hatte, dieser Frau, die er nicht kannte, seinen persönlichen Kummer anzuvertrauen. Aber sie imponierte ihm mit ihrer Gradlinigkeit. Und wenn er die Augen schloss, erschien ihm ihre gepflegte Figur, durchaus noch attraktiv, ihr rotbraunes Haar, das die Ohren zur Hälfte verdeckte, und ihr Blick – nicht leicht anzüglich wie der Tanjas –, sondern ehrlich und rührend zutraulich.

Aber da war noch Helen. Sie hatte sein drittes Kind in ihrem Leib getragen. Vor sechs Jahren. Während genau vier Monaten. Sie hatten gelacht wie die Kinder; er hatte ihr Hemd hochgestreift und ihren Bauch gestreichelt. Natürlich war noch nichts zu sehen. Sie hatten gespritzten Weißwein getrunken im Bett. Er hatte sie weiter gestreichelt, dann sie ihn, und am Ende hatten sie sich geliebt, fröhlich und unbeschwert, bei offenem Fenster, umschmeichelt von den Sonnenstrahlen eines warmen Sommerabends.

Bis sein Ausrutscher mit der Freundin einer Bekannten der Idylle ein Ende bereitete. Im Grunde war es nicht der Ausrutscher, der ihre Ehe unheilbar vergiftete, sondern sein spontanes Geständnis hinterher, als die Affäre nach nur zwei Wochen bereits verpufft war. Dabei hatte er sich eine Überlegungsfrist von einem Tag eingeräumt und sich beinahe aufgerieben ob der Frage, was richtig sei: Geständnis oder Stillschweigen.

Helen hatte hysterisch reagiert auf sein Bekenntnis einer männlichen Schwäche. Ihr Menschenbild ließ eine unbedachte, bedeutungslose Verirrung nicht zu. Ihre herausgeschrienen Vorwürfe klangen Michael in den Ohren wie am ersten Tag; ihre Flüche und Verwünschungen, dann ihre Tränen. Und zuletzt der Abort ihres Kindes als Folge ihrer psychischen Erschöpfung.

Michael verdrängte die Erinnerung. Er hatte Helen geliebt. Wahrscheinlich liebte er sie immer noch, aber das wollte er sich nicht eingestehen. Manchmal vermisste er sie, vor allem wenn er mit sich allein war. Aber Helen verweigerte jeden Kontakt; übrig geblieben waren nur seine monatlichen Zahlungen. Und das Gerücht, sie sei lesbisch geworden, zugetragen von einem wohlmeinenden Freund.

10

Am Donnerstagmorgen fand sich einer von Kellenbergers litauischen Klienten mit einem Mitarbeiter in seiner Kanzlei ein. Tanja Goldstein, unverändert freundlich, führte sie ins Konferenzzimmer. Vadim Brasaukas hatte den Anwalt am Vorabend um zweiundzwanzig Uhr übers Handy angerufen, als dieser an einem Whisky nippte und über Sylvia Matters Besuch nachdachte. Er hatte seinen Geschäftssitz in Vilnius. Groß und jung, noch unter vierzig, und breit gewachsen stand er mit dem Rücken zum Fenster, eine Art baltischer Wikinger, während Kellenberger sorgfältig die Tür schloss. Brasaukas trug wie stets graue Hosen, einen Reißverschlusspullover undefinierbarer Farbe und darüber eine schwarze Lederjacke. Sein Kopf hatte die Form einer Zwiebel, eine kräftige Kieferpartie, die sich gegen die Schläfen deutlich verjüngte, und eine fliehende Stirn, die nur durch einen strammen Bürstenhaarschnitt aufgehalten wurde. Sein Mitarbeiter, Tito Tablisi, hingegen war mager, bleich, trug ebenfalls eine Lederjacke und die Aktentasche seines Chefs und hatte in dessen Gegenwart noch nie ein Wort gesprochen. Die beiden erinnerten Kellenberger an ein berühmtes Paar aus alten Westernfilmen des letzten Jahrhunderts; bloß die breitrandigen Hüte und die Revolver, die so lässig über den Hüften baumelten, fehlten.

«Vadim, wo brennt es?», begrüßte Kellenberger seinen Klienten.

Der Litauer neigte devot den Kopf, drehte entschuldigend beide Handflächen nach oben und sagte: «Nicht brennt, Herr Doktor Michael, aber sehr eilig. Ich habe ein großes Geschäft in Aussicht und brauche gute Verträge, sehr gute Verträge.»

«Sie brauchen gute Verträge, seit ich Sie kenne, Vadim», sagte der Anwalt.

«Sie machen gute Verträge, seit ich Sie kenne, Doktor Michael», erwiderte Brasaukas höflich und nickte dazu.

Kellenberger schmunzelte. Er mochte seinen Besucher, nicht nur, weil er zahlungskräftig war und freundlich wie alle Osteuropäer. «Bitte, setzen Sie sich und erzählen Sie. Hat Darbo Leikas Sie heute nicht begleitet?»

«Nein. Mein Partner hat wichtige Geschäfte in Vilnius. Muss auch arbeiten, verstehen Sie, Doktor Michael?» Er lächelte und kniff die Augen zusammen und sah mit seinem breiten Mund so aus, wie Kellenberger sich die Russen aus dem asiatischen Teil, dem Kaukasus vielleicht, vorstellte.

«Möchten Sie Kaffee, Vadim?»

«Nein. Frühstück im Hotel war sehr gut.» Der junge Tablisi nickte dazu, die erste Regung, die Kellenberger als eine Art Meinungsäußerung des schweigsamen Schattens wahrnahm.

«Wo logieren Sie? Im ‹Schweizerhof› wie stets, nehme ich an.»

«Ja. Zimmer gut. Leute freundlich, lieben Trinkgeld und sagen immer danke.»

Früher hatte Kellenberger Brasaukas, wenn sie zusammen speisten, diskret angedeutet, dass zu üppige Trinkgelder falsch verstanden würden. Mit einer nonchalanten Handbewegung pflegte der Balte solche Hinweise wegzufegen wie eine Schmeißfliege. «Egal», erwiderte er jeweils. «Kleinigkeit. Sie zufrieden, ich zufrieden. Arbeiten gerne für mich.» Ich auch, musste sich der Anwalt eingestehen, denn auch er war den pekuniären Reizen seines Auftraggebers gegenüber nicht unempfänglich geblieben.

«Worum geht es denn diesmal?», fragte er, als genug Höflichkeiten ausgetauscht waren.

«Automobile», erwiderte Brasaukas. Er verzog sein Gesicht zu einem Lächeln und kniff dabei die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. «Sechsundvierzig Mercedes. Limousinen, Coupés, alle Modelle, alle neu. Aus Belgien. Hier.»

Er streckte die Linke aus, und wortlos und gut einstudiert reichte ihm Tablisi die Aktentasche. Der Litauer entnahm ihr ein schmales Mäppchen mit Fotos. Kellenberger sah eine elegante Autogarage unter einem nur leicht bewölkten Himmel, einen schmucken Showroom mit blank polierten Autos, ‹Auto-Belge› stand überall angeschrieben, und viele Edelkarossen in Großaufnahme. Der größte Autoimporteur Belgiens, erklärte Brasaukas. Stand vor dem Zusammenbruch und musste liquidieren, um das Schlimmste zu verhüten. Er war bereit, die Fahrzeuge unter dem Fabrikpreis abzugeben, sofern der Käufer alle abnahm und sofort bezahlte. Warum denn so ein Unternehmen fallieren müsse, wollte Michael Kellenberger wissen. Falsch spekuliert, in großem Stil falsch spekuliert, wusste Brasaukas zu berichten. Habe sich wegen der Lage am Weltmarkt dazu hinreißen lassen, ganze Schiffsladungen Erdöl nach Belgien importieren zu wollen, habe die Ladungen auch verkauft, aber dann sei sein Verkäufer vor der Lieferung aus einem fadenscheinigen Grund zurückgetreten, und auf den Autoimporteur seien gigantische Schadenersatzforderungen hereingebrochen.

An dieser Stelle stutzte der Anwalt. Der Handel mit Erdöl und Erdgas war das Hauptgeschäft von Brasaukas und seinem Partner Darbo Leikas. Sie belieferten höchst erfolgreich einen ukrainischen Händler in Warschau, der das Material alsdann den großen polnischen Benzin- und Ölhandelsgesellschaften weiterverkaufte. Bei allen wichtigen Verträgen hatte Kellenberger diskret mitgewirkt, seine Klienten vor Schaden bewahrt und ihnen oft zu stattlichen Gewinnen verholfen.

Ob Vadim denn in irgendeiner Weise mit dem vertragsbrüchigen Verkäufer zu tun gehabt habe, fragte er jetzt. Nicht direkt, Doktor Michael, hatte Brasaukas wahrheitsgemäß erwidert. Bloß habe er, weil er den anderen kenne, diesem auf seine entsprechende Frage hin mitgeteilt, dass andere Käufer wesentlich bessere Preise zahlen würden als der Autoimporteur. Dass der Verkäufer dann vertragsbrüchig werde, damit habe er nun wirklich nicht rechnen müssen.

Der Anwalt unterließ es, seinen Mandanten zu fragen, wer denn an Stelle des Belgiers die fraglichen Schiffsladungen an Erdöl gekauft habe. Stattdessen forderte er ihn auf: «Erzählen Sie mir mehr über Ihre Automobile, Vadim.»

«Heute ist Donnerstag. Anfang nächster Woche muss Vertrag unterschrieben und Kaufpreis bezahlt werden. Weniger als eine Million Euro! Ich verkaufe die Autos zum dreifachen Preis weiter, nach Ukraine, nach Polen, nach Weißrussland. Aber ich brauche sehr guten Vertrag. Sie erhalten Honorar, Herr Doktor Michael, zwanzigtausend Euro, weil sehr eilig. Einverstanden?»

Michael Kellenberger lehnte sich zurück. Wie stets, wenn ihn etwas beschäftigte, ließ er den Blick über den Rhein schweifen, der jetzt unter einer blassen Aprilsonne gelblich glänzend dahinzog. Die Fähre an ihrem Leitseil kroch unendlich langsam ans ferne Ufer, verfolgt von ihrem eigenen Schatten auf dem trägen Wasser. Während er ihr nachschaute, nahm langsam eine Idee Form an. Er sagte:

«Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, Vadim, aber unter vier Augen, wenn Sie einverstanden sind.»

Der Litauer nickte unmerklich und machte eine rasche Handbewegung nach links. Tablisi erhob sich wortlos und verließ den Raum. Kellenberger fuhr fort:

«Bis morgen Nachmittag erhalten Sie Ihren Vertrag, Vadim. Aber ich möchte diesmal kein Honorar. Hingegen nimmt mich wunder, ob Sie mir in einer äußerst delikaten Angelegenheit helfen können.»

«Natürlich.» Brasaukas klang leicht indigniert, weil das Hilfeersuchen in Frageform ausgesprochen wurde. «Was ist das Problem?»

Kellenberger gab sich einen Ruck. «Ich wurde erpresst von einem Steuerbeamten. Er hat mir zwei Millionen Franken abgenommen. Ich möchte, dass er sie mir zurückgibt. Freiwillig, verstehen Sie?»

Vadim Brasaukas schmunzelte. «Ich verstehe sehr gut. Wer ist der Kerl? Wo finden wir ihn?»

Der Anwalt gab ihm alle Informationen über Matter, die ihm zur Verfügung standen, und beschrieb ihn: rundes Gesicht, leicht vorstehende Augen, Halbglatze, Hang zur Beleibtheit, exzentrische Kleidung, Wohnadresse unbekannt.

«Macht nichts. Wir finden ihn», erklärte der Litauer. «Und dann?»

«Ich bereite noch heute einen Brief an seine Bank vor, den er unterzeichnen soll. Ich bringe ihn in Ihr Hotel.» Er legte eine Pause ein, zögerte, und fuhr dann fort: «Das geht meine Sekretärin nichts an, wissen Sie.» Es klang wie eine Entschuldigung.

«Klar.»

«Noch etwas, Vadim», ergänzte Kellenberger. «Matter wird sich am kommenden Samstag, dem 26. April, in London im Old Hampshire Hotel aufhalten. Er hat sich mit mir und zwei anderen Herren dort zu einer Besprechung verabredet.»

«Wann?»

«Mit mir um sechzehn Uhr, mit den anderen beiden vermutlich etwas später. Im Sitzungszimmer Leonardo.»

«Gut. Ich denke, wir können Ihr Problem lösen, Herr Doktor Michael.»

«Aber ohne Gewalt», fügte Michael bei.

«Ich wende nie Gewalt an, Herr Doktor Michael. Nur Köpfchen!»

«Dann ist gut.»

Der Anwalt ließ sich nun noch alle notwendigen Informationen für den Vertrag mit dem Belgier geben, dann verabschiedeten sie sich, beide zufrieden darüber, dass ihre Zusammenarbeit ein weiteres Mal ausgezeichnet funktionierte.


Über Mittag, nachdem Tanja zum Essen gegangen war, schrieb Kellenberger auf seinem Laptop einen Brief Matters an die Universal Bank. Als Absender setzte er «Herbert Matter, zurzeit City Hotel, Basel» ein. Der Brief lautete:

Sehr geehrter Herr Direktor Danuser

Mit diesem Brief bitte ich Sie, kurz vor meiner Abreise nach London, ab meinem Konto einen Betrag von chf 2 000 000 (zwei Millionen Franken) an Herrn Dr. Michael Kellenberger, Rechtsanwalt in Basel, zu überweisen, und zwar auf sein Ihnen bekanntes Klientenkonto bei der Helvetischen Bank in Basel.

Vielen Dank und freundliche Grüße

Herbert Matter

Kopie an: Dr. Michael Kellenberger

Der Anwalt druckte den Brief im Doppel auf seinem Drucker aus, beschriftete zwei Umschläge, einen an Direktor Danuser, den anderen an sich selbst. Er kam sich dabei vor wie ein gemeiner Dieb, obwohl der im Brief erwähnte Geldbetrag ihm gehörte. Er stellte sich vor, wie Brasaukas Herbert Matter die Unterzeichnung des Schriftstückes nahelegte, wie das hässliche Lachen in dessen Babygesicht einfror, und hoffte, dass es dabei nicht zu Gewaltanwendung komme. Kurz erwog er, das Ganze bleibenzulassen und den Brief wieder zu vernichten. Dann erinnerte er sich an seine Sekretärin und an ihren Vertrauensbruch. Dass sie sich unter seinen Augen mit dem Erzfeind zusammengetan hatte, rechtfertigte jede noch so strenge Sanktion. Er begab sich ins Sekretariat, steckte beide Briefe in einen großen Umschlag und adressierte ihn an Vadim Brasaukas.

Er verließ seine Kanzlei und überquerte den Platz mit den uralten Kastanien neben dem Münster. Eine kleine Straße führte an alten Herrschaftshäusern vorbei zum Kunstmuseum. Dort, im Vorhof, lieferten sich drei Bengel eine Verfolgungsjagd um die Rodinstatue «Die Bürger von Calais»; die traurige Menschengruppe aus Erz schaute ihnen teilnahmslos zu. Zweihundert Meter weiter lockten die Schaukästen der Großbank mit zinsgünstigen Hypotheken. An einem Tisch saß ein junges Ehepaar einem lächelnden Bankfachmann gegenüber; zwischen ihnen lagen die Pläne eines Einfamilienhauses. Aber Kellenberger stellte sich das Familienglück in fünf Jahren vor: zwei kleine Kinder, der Mann arbeitslos, die Zinsen gestiegen, der Scheidungsprozess beim Gericht anhängig, das Haus zum Verkauf ausgeschrieben. Dann schalt er sich ein zynisches Ekel und verscheuchte die bösen Gedanken. Nicht jede Liebesgeschichte endete in Zwist und Unglück wie die seine. Er ging weiter zum Hotel Schweizerhof. Beim Empfang gab er den Umschlag ab, bedrückt und erleichtert zugleich.

Auf dem Heimweg dachte er daran, den Drucker im Büro zu entsorgen und durch einen neuen zu ersetzen. Wenn je die Schrift auf dem Brief an die Bank analysiert werden sollte, ließ sie sich nicht auf den neuen Drucker zurückführen.

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