Kitabı oku: «Lust und Liebe dann kam das Leben», sayfa 5
4. NOVEMBER
Drei Wochen später …
Das Klingeln an der Wohnungstür holte mich in die Realität zurück. Sachte tastete ich zaghaft an meiner Stirn herum und fühlte auf einmal eine riesige Beule. Meine Finger drückten behutsam darauf herum. Blitzartig verkrampfte mein ganzer Körper, als ich merkte, wie einige Blutstropfen hervorquollen. War einfach typisch für mich, als ich mich langsam an das gerade Passierte erinnerte und dabei zur Wohnungstür schlich.
Meine vorläufig letzte Handlung zur Vollendung meiner Höhle sollte das Anbringen eines alten Wäschetrockners sein, damit ich in Ermangelung eines Kleiderschrankes meine Klamotten endlich etwas besser verstauen konnte. Dieses fast schon historische Teil hatte ich gestern auf einem Flohmarkt auf der Karli erstanden. Damit er bestens in meine schräge Höhle passte, hatte ich ihn noch mit Goldlack verschönert. Es war so ein Modell, das an die Wand geschraubt wird. Danach zieht man die untere Wäscheleinenhalterung heraus und hängt sie an der gegenüberliegenden Wand in zwei Haken ein. Mit meinen relativ schwach ausgeprägten handwerklichen Fähigkeiten hatte ich es nach endlosen Bohrungen in dem morschen, alten Gemäuer meiner Höhle nach Stunden endlich geschafft, vier Dübel darin zu verewigen. Zwei Dübel auf der einen Seite, zwei Dübel mit Haken auf der anderen Seite des Zimmers.
›So, das wäre auch geschafft‹, waren meine Gedanken, als ich den Wäschetrockner an der Wand festgeschraubt hatte und die unter Spannung stehenden Leinen herauszog, um sie an der gegenüberliegenden Wand einzuhängen. Kurz bevor ich die Wand erreicht hatte, lösten sich die Dübel mit einem Unheil schwanenden Geräusch in der anderen Wand und der Wäschetrockner schoss zielgerichtet an meinen Kopf. Da ich mich gut kannte, wäre es auch sehr verwunderlich gewesen, wenn das Teil etwas anderes als meinen Kopf getroffen hätte.
»Eh, wie siehst du denn aus«, grinste Stefan und starrte auf meine Stirn. »Sollten besser schnell eine kalte Messerklinge auf deine Vorzeigebeule drücken! Hat meine Oma bei mir auch immer so gemacht und wie du siehst, habe ich keine bleibenden Schäden zurückbehalten«, grinste er mich etwas schadenfroh an.
Stefan schnappte mich und zog mich in meine Wohnung Richtung Küche. Von meinem, wie immer nicht abgeräumten Frühstückstisch, griff er sich das erstbeste Messer und drückte es, ohne dabei noch auf die an der Klinge klebenden Reste von Butter und Marmelade zu achten, fest gegen meine Beule. Es tat höllisch weh, ich wollte aber wenigstens bei dieser liebevollen Behandlung ein richtiger Mann sein und verzog deshalb keine Miene. Da an der nun mit Blut, Butter und Marmelade verschmierten Beule kein Pflaster halten wollte, knotete mir Stefan kurzerhand mein einziges Geschirrtuch um den Kopf.
»Ja Paul, bin wieder zurück und gerade rechtzeitig, wie ich sehe. Nach dem Drama mit den Jüttes brauchte ich erst einmal eine Auszeit von ein paar Wochen. Danke übrigens für deine spontane Bereitschaft, meine Pflanzen zu pflegen, hast ja einige über die Zeit gerettet. Du warst mir irgendwie vom ersten Moment an sympathisch, deshalb hatte ich dir auch einfach so meinen Wohnungsschlüssel anvertraut. Wollte ja keine Kannabisplantage in meiner Wohnung vorfinden beim Heimkommen. Hätte ich einem anderen Typen aus dem Haus hier meine Schlüssel anvertraut, wäre das leicht möglich gewesen«, lachte Stefan.
Stefan hatte mir nach dem Tod von Jüttes Mutter am nächsten Morgen einfach seinen Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt, mit der Bitte, mich um seine Post und Pflanzen zu kümmern, war er mit einem großen Rucksack verschwunden. Ich hatte mich sehr darüber gewundert, da wir uns gar nicht richtig kannten.
»Hab damals noch die ganze Nacht bei dem Typ verbracht, der heißt übrigens Franz, wie ich mühsam rausbekam. Abwechselnd presste der sich heulend an mich, um sich dann fast im gleichen Moment wieder an irgendein Bild von seiner Mutter zu klammern und dieses, fast schon tierisch, abzuküssen. Irgendwie krankhaft ist dieser Typ. Konnte zwar seine Trauer verstehen, aber was der da abzog, war einfach zu übertrieben. Ich war vollkommen verstört am nächsten Morgen!«
Das konnte ich nur bestätigen, als mir Stefans bleicher Anblick von diesem erwähnten Morgen und seine fast fluchtartige Abreise in den Sinn kamen.
»Was ist denn hier passiert?«, kam es fast erschrocken aus Stefans Mund. Mit ungläubigen Blicken streiften seine Augen durch meine Küche. »Warst ja echt fleißig während meines Urlaubs, kann man ja fast als Wohnung bezeichnen, was ich hier so erblicke.«
»Komm mit Stefan, willste mal meine Ausbauhöhle begutachten?« und ich schob Stefan Richtung mittleres Zimmer, welches ich mir als Wohnzimmer auserkoren hatte.
»Ungewohnt, aber einfach cool«, lachte Stefan, als er die mitten im Zimmer stehende gläserne Duschkabine sah, welche ich mit großen Ficus Bäumen ringsherum dekoriert hatte.
»Das hast du allein hingekriegt? Glaub ich nicht!« grinste Stefan, als er meinen verbundenen Kopf und die schon leicht verschmutzten massenhaften Pflaster auf meinen Händen ansah.
»Nein, mit meinem Kumpel Fred, kennste doch, der mir beim Einzug mit geholfen hat. Der kann so etwas besser als ich. War die ganze Zeit nur der Handlanger. Ist eigentlich auch besser so für mich …« und lächelnd präsentierte ich Stefan meine ziemlich demolierten Hände.
»So eine Dusche mit Ficus Bäumen ringsherum, mitten im Zimmer stehend, habe ich bei meiner neuen Bekannten Claudia gesehen.« ›Dass es keine Duschkabine, sondern ein riesiger Whirlpool war, braucht ja Stefan nicht zu wissen … und auch alles andere nicht‹, grinste ich vor mich hin.
»Kann mich nur wiederholen, einfach sau cool, habt ihr wirklich toll hingekriegt« und seine Blicke schweiften weiter im Zimmer umher. An den Wänden hatten wir nur teilweise die alten Tapeten entfernt, einfach abgerissen, was lose war und so waren jetzt die verschiedenen Stilepochen bunt nebeneinander zu sehen.
»Hier, schau mal!« und ich wies auf die Stelle über meinem alten Sofa. »Das gefällt mir besonders gut« und ich zeigte Stefan stolz das Wandstück, wo man noch den Inhalt von alten angeklebten Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert richtig gut lesen konnte.
»Könnte mir auch gefallen«, kam es bewundernd von ihm. »Ich liebe auch so verrückte Dinge. Passt aber auch sehr gut zu dir. Als ich dich zu ersten Mal gesehen hatte, dachte ich mir gleich, du bist ein schräger Typ.«
»Aber komm, darf ich dir mein Spielzimmer zeigen, hoffe ja, dass irgendwann mal wieder ein weibliches Wesen bei mir auftaucht« und ich ging mit Stefan in das Nachbarzimmer. Hier begrüßten ihn helle, lindgrüne Wände. Das ganze Zimmer war komplett mit einem dicken, weißen und sehr flauschigen Teppich ausgelegt. Wahllos lagen kuschelige Kissen herum, in der hinteren Ecke stand ein sehr preiswert erworbener Fernseher. Da sein schwarzes Plastikgehäuse mich irgendwie störte, hatte ich ihn spontan mit Goldlack gestrichen, mit dessen Resten ich heute noch den alten Wäschetrockner verschönert hatte.
»Echt abgefahren, aber wenn ich ehrlich sein soll«, lachte Stefan, »irgendwie ‘n bissel komisch, fast schon ein wenig schwuchtelig.«
Da konnte ich ihm hundertprozentig Recht geben. Stefan brauchte nicht zu wissen, dass Claudi – wir verstanden uns mittlerweile toll, waren auch ohne Sex richtige Freunde geworden – mich bei der Einrichtung dieses Zimmers beraten hatte. Ich wusste einfach nicht so recht, was ich mit diesem dritten Zimmer anfangen sollte. Meine Beziehungsüberreste aus der Zeit mit Anja waren schon äußerst sparsam in den anderen beiden Zimmern von mir verteilt worden und ich war vollkommen ratlos, was ich hier reinstellen sollte.
»Und hier schlafe ich!« und ich ging Stefan voraus in mein Schlafzimmer. Der Erb-Oma-Spiegel, natürlich gewissenhaft von Anjas Lippenstiftmalereien und den sonstigen Flecken meiner spontanen Lust vom ersten Abend gesäubert, hatte bereits einen Ehrenplatz erhalten. Er stand genau gegenüber von meinem provisorischen Bett, einer großen, quadratischen, preiswerten Matratze. In der Ecke hatte ich meinen Sand neu aufgehäuft und mit einer Bananenpflanze gekrönt. Die erträumte Palme war mir derzeit einfach zu teuer.
Als Stefan den am Boden liegenden, verknäulten Wäschetrockner sah, zeigte er höhnisch fragend auf meinen Kopf.
»Ja, es tut richtig weh …«
»Komm, den bauen wir noch schnell richtig an, aber dann muss ich meine Bude etwas entkeimen. Habe auf meiner Urlaubstour eine echt heiße Braut kennengelernt. Mit einem kleinen spanischen Einschlag, auf so etwas stehe ich einfach … Wenn ich großes Glück hab, bringt sie auch noch ihre Schwester mit, die machen vieles gemeinsam, hat sie so gemurmelt. Bin schon ganz verrückt bei der Vorstellung, dass sie mit gemeinsam das meint, was ich mir darunter vorstelle …«
Nach nicht mal zehn Minuten war mein Wäschetrockner so angeschraubt, dass er sogar immer noch fest in der Wand verankert, den Abriss dieses Hauses überleben würde. Ich staune immer wieder, wie so was eigentlich geht.
»Paul, Kompliment, kann ich da nur sagen, würde hier sofort selbst einziehen. Dein Schwuchtelzimmer würde ich einfach ‘n bissel anders anmalen, dann wäre es auch für mich perfekt. Macht einfach was her! Deine Damen, die du hier bestimmt mal verwöhnen wirst …«, grinste Stefan, »… werden Augen machen. Also Atzsche Paul, bis bald!« und er ging, immer noch staunend um sich blickend, in seine Wohnung zurück.
›Atzsche Paul?‹, klang irgendwie komisch, aber es passte zu Stefan, der gebrauchte manchmal andere Worte, als die, die gerade so angesagt waren, bekam ich langsam mit.
Mein Frühstück vor einigen Stunden, ein halbes hartes Brötchen und zwei sich schon rollende Scheiben vertrockneten Käses, war recht spärlich ausgefallen. Schon rein aus Bestandsgründen meiner Höhle konnte ich nie viel einkaufen, so ein bissel Vorrat, ein Kühlschrankkauf musste einfach warten, bis wieder mal mehr Geld mein Konto begrüßen durfte. Hatte bei Anja in einem goldenen Käfig gelebt, fast bis zum Schluss hatte sie viele Kosten für mich mit übernommen, immer in der Hoffnung, dass sich doch irgendwann mein musikalischer Erfolg einstellte. Von den anderen sehr erfolgreichen Fähigkeiten aus meinem früheren Leben wollte ich aber einfach nichts mehr wissen. Anja hatte immer wieder versucht, da es mit der Musik nicht so richtig klappen wollte, mich zu überreden, einen Neustart zu wagen, da ich auf diesem Gebiet wirklich sehr gut war. Aber es war damals einfach zu blöd für mich gelaufen, es brauchte noch einige Zeit, alles zu verarbeiten …
Vor fast zehn Jahren hatte ich mich versucht, mit einer Werbeagentur selbstständig zu machen. Da ich aber nichts mit dem ganzen Schriftkram und üblen Notwendigkeiten wie Finanzamt und anderen nervtötenden Einrichtungen am Hut haben wollte, suchte ich mir dazu einen Geschäftspartner. Ich wollte einfach nur kreativ und in der großen weiten Welt der Werbung unterwegs sein. In meiner Zeit als freier Grafiker hatte ich öfter Kontakt mit einem Manager, den ich mir in dieser Funktion und als Geschäftspartner gut vorstellen konnte. Er sagte damals sofort zu, da auch er sich gerade verändern wollte.
Nach anfänglich harten Monaten gewannen wir in einem Pitch, als Newcomer gegen viele große renommierte Agenturen, den Etat einer riesigen überregionalen Marke. Ich fühlte mich damals wie im Zauberwald. Nach diesem Etatgewinn ging es Schlag auf Schlag weiter und wir wurden zu einer der gefragtesten und kreativsten Werbeagenturen im Land. Ich, der immer so lebenslustige Paul, der nie jemandem so richtig böse sein konnte, musste auf einmal Chef spielen lernen, denn wir hatten mittlerweile mehr als zwanzig Mitarbeiter. Das gelang mir mehr oder weniger gut. Ich war einfach nicht zu einem Chef geboren, aber vielleicht gab es gerade deshalb so einen großen Zusammenhalt in unserer Agentur und die kreativen Ergebnisse und Erfolge bestätigten es täglich, dass ein Chef auch ein ganz normaler Mensch bleiben kann. Ich tauchte ein in die Scheinwelt der nachgebesserten Schönen und angeblich Reichen. Das Geld floss in Strömen.
Bis die Traumwelt wie eine Seifenblase platzte. Diese geile Welt der Werbung hatte mich vollkommen verzaubert. Ich wollte mich an meinen originellen Einfällen erfreuen und an dem Entstandenen in den Hochglanzillustrierten berauschen. Alles andere war mir egal. Wie von einer Keule getroffen wurde ich in das Leben zurückgeholt. Mein Partner hatte sich heimlich Geld, fast schon mit kriminellen Machenschaften, aus der Agentur gezogen und sich nicht nur ein Haus gekauft. Da ich ihm in den finanziellen Dingen bisher blind vertraut hatte, stand ich, mit meinen zarten Künstlernerven vollkommen am Ende, urplötzlich vor einem immensen Berg von Schulden. Aus einzelnen Mahnungen wurden in kürzester Zeit Berge von Mahnungen, Vollstreckungsbescheiden und all den lustigen Dingen, die unser Rechtssystem zu bieten hat. Die Agentur war bankrott.
Mit guten Freunden, bunten Glückspillen der Pharmaindustrie und meinem gesamten Ersparten kam ich gerade noch so mit einem blauen Auge davon.
Für einen Neuanfang fehlte mir einfach die Kraft. Damals begann ich als Musiker mein neues Glück zu versuchen. Zum Ersten hatte ich eine gute musikalische Bildung schon in meiner Kindheit genießen können und zum Zweiten hatte ich in diesen schweren Wochen wirklich gute alte Freunde wieder neu gefunden, die gern mit mir Musik machen würden. Die Scheinwelt der Werbung, wie ich unsanft erkennen musste, wollte ich einfach nicht mehr.
Noch heute tat mir nicht nur der Mund weh, wenn ich daran dachte, wie man auf den, fast täglich stattfindenden, abendlichen Events stundenlang dämlich grinsen und mit Menschen, die sich für Götter hielten und denen man im normalen Leben eigentlich liebend gern gesagt hätte, wie arrogant und blöd sie sind, Smalltalken musste. Oft war ich damals nach solchen Abenden kaputter, als hätte ich einen Tag lang körperlich hart gearbeitet. Dies alles tat ich mir an, um immer up to date und bei einer möglichen Auftragsvergabe mit im Boot zu sein. Einfach grausam und nicht gut für eine empfindsame Seele wie die meine. Dieser tägliche Maskenball, und Freunde oder was man in diesen Kreisen dafür hält, gibt es in dieser Welt einfach nicht, wie ich bei meiner damaligen Suche nach Hilfe immer wieder feststellen durfte …
Vollkommen weggetreten saß ich auf meinem neuen Lieblingsplatz, meinem Sandhaufen und starrte ins Leere. Immer wieder befiel mich, auch heute noch, eine innere Eiseskälte, wenn ich an die Zeit rings um den Agenturbankrott dachte. Zum Glück konnte mein leerer Magen sehr fordernd sein und holte mich mit seinem Knurren in die Wirklichkeit meiner Höhle, nein … meine superschicke Höhle zurück.
Was hatte doch Stefan beim Gehen gesagt? Damen würde ich hier bald verwöhnen können? Aber wenn Damen verwöhnt werden sollen, müssen diese hier auftauchen und dafür musste ich etwas tun. Doch zuerst einmal was zur Hungerbekämpfung veranlassen und so begab ich mich in mein, inzwischen wieder sehr geliebtes Café an der Ecke, unweit meiner Höhle.
Es war in den letzten Wochen während der Zeit der Renovierung zu meinem Ersatzwohnzimmer geworden. ›So soll es auch bleiben!‹, dachte ich gerade, als mich eine inzwischen wohlvertraute Stimme aus meinen Träumen riss.
»Hi Paul, kommst awer früh heute«, begrüßte mich Claus mit seinem, nicht zu überhörenden, leicht schwul klingenden Tonfall.
»Hab’s geschafft, ich bin einfach so froh darüber, dass meine Höhle aus dem Gröbsten raus ist und jetzt habe ich Hunger!«
»Wie immer, eine Quietsche und einen Schoppen trockenen Rotwein?«
»Ja, wie immer, Quietsche und einen Schoppen Rotwein.« Beim ersten Abend hatte ich ihn blöd angeschaut und Bahnhof verstanden, als er meine Bestellung mit seiner sächsischen Bezeichnung für Quiche Lorraine wiederholte. War meine Lieblingsspeise hier geworden und mittlerweile wusste ich auch, was er mit Quietsche meinte. Als Stammgast in diesem Café, wurde mir von einigen Tischen lächelnd zugewunken. Heute wollte ich aber erst einmal alleine sein und meine Freude über meine schicke Höhle genießen.
Claus stellte mir schon nach wenigen Minuten die leckere goldgelbe Quietsche und den Schoppen Rotwein vor die Nase.
»Lass dir’s schmeggen und verbrenn dir nisch de Gusche, ist wahnsinnig hees!« kam es von ihm betont sächsisch und er verschwand in der Küche. Das Café war heute wieder sehr gut besucht, wie immer eigentlich. ›Eine Goldgrube für den Besitzer‹, dachte ich ein wenig wehmütig, meine finanziellen Reserven vor Augen und fiel heißhungrig über die Quietsche her. Den Hinweis auf ›hees‹ hatte ich natürlich längst vergessen … Nun, notgedrungen langsamer, mit schmerzendem Gaumen, genoss ich mein Lieblingsgericht und die Welt fühlte sich mal wieder besser an.
Mein Lieblingscafé füllte sich immer mehr und auch heute erschien die, für mich so eigenartige Frau, die so um die dreißig war. Ihr Gesicht, aber wirklich nur ihr Gesicht, hatte sich im Gestaltungszyklus der Formung nicht viel Mühe gegeben. Schmal und blass, mit einer viel zu langen und spitzen Nase, wurde es von karminrotem, knapp schulterlangem, glatten Haar umrandet. Kleine und dunkle, mit einem leicht stechenden Blick versehene Augen verfeinerten diesen etwas gewöhnungsbedürftigen Anblick. Der restliche Körper war, was unter den leider auch nicht so tollen Klamotten nur zu vermuten war, deutlich besser. Eigentlich musste dieser Körper ein Traum für jeden sein. Für mich hieß diese Unbekannte, nach dem ich sie an vielen Abenden hier gesehen und natürlich heimlich gemustert hatte, Frau Müller. Genussvoll verzehrte ich die Reste meiner Quietsche. In meinen Gedanken gehörte zu einer Frau mit so einem gewöhnungsbedürftigen Gesicht einfach der langweilige Name ›Müller‹. Dass ab Hals abwärts alles ganz anders, ganz aufregend aussah, passte für mich nicht zu dem Namen ›Müller‹. Aber sollte ich ihr zwei Namen geben, wo ich doch schon immer mit dem Namenmerken große Probleme hatte?
Nein, für mich blieb sie auch heute einfach Frau Müller.
Am Anfang hatte ich mir noch Gedanken darüber gemacht, dass ich so abfällig über ihr Gesicht sinnierte, aber mir fiel zum Glück ein Mädchenabend bei Anja ein. Ich war früher als erwartet nach Hause gekommen und lauschte neugierig den Gesprächsfetzen, die aus der Küche kamen. Wie da über Männer und ihr Äußeres hergezogen wurde, machte mich fast sprachlos. Jeder noch so winzige Makel der jeweiligen Partner wurde bis aufs Kleinste analysiert und herzhaft darüber gelacht.
Ich lästere zwar auch gern, aber dagegen war ich ein Waisenknabe.
»Grüß Gott, ist hier noch frei?«, wehten leise, zarte Worte, die ihren bayrischen Einschlag schwer verleugnen konnten, an mein Ohr. Aus meinen Gedanken über Frau Müller gerissen, schaute ich auf und vor mir stand sie, Frau Müller.
»Ja bitte«, sagte ich nur kurz und schnappte mir wieder mein Hochglanzheft mit den vielen bunten Anzeigen und träumte von vergangenen Zeiten.
»Hab dich hier schon oft gesehen«, kam es leicht bayerisch über den Hochglanzrand geschwappt.
»Wohne hier um die Ecke. Ist bequem für mich und hier schmeckt es einfach lecker. Besonders für jemanden, der selbst keine funktionierende Küche hat, ist es sehr verlockend«, antwortete ich höflich und riss mein Hochglanzheft noch höher als vorher, als wollte ich einen Schutzwall aufbauen. ›Alles, aber keine Frau Müller heute Abend, ich will einfach meine Ruhe haben!‹
»Du fällst hier sehr auf, mit deiner Größe und dieser lustigen Frisur.«
›Nerv!!!‹ Frau Müller gab einfach keine Ruhe und gleich im zweiten Satz mit meiner Frisur anzufangen, verschob ihre Minuspunkte noch weiter Richtung ihres Busenansatzes, der mir einladend aus ihrem Dekolleté entgegengrinste.
»Biste auch Künstler?«, ging es locker weiter, »War nicht ernst gemeint mit deiner Frisur. Sieht einfach lustig aus, fällt sogar hier, in dieser Ansammlung von Künstlern und solchen, die es sein wollen, auf.«
Frau Müller konnte sogar etwas charmant sein und besser gestimmt legte ich meinen Schutzwall zur Seite. Na gut, sie würde ja sowieso keine Ruhe geben, und wenn man mal wieder ein weibliches Wesen kennenlernen wollte, musste man auch etwas dafür tun. Aber ich wollte doch keine flüchtigen Bekanntschaften mehr. Vor Anja war das laufend so gewesen, immer wieder Neue, immer wieder Schönere. Aber selbst das wurde im Lauf der Zeit irgendwie langweilig. Langsam hatte damals sogar ich begriffen, dass es noch etwas anderes geben musste. Man las viel davon, in fast jedem Song wurde davon erzählt, ich wollte die große Liebe auch endlich einmal erleben. Mein Inneres sehnte sich immer mehr danach, auch wenn es oben bei mir noch nicht so richtig ankam. Aber ein wenig romantisch war ich ja schon immer veranlagt und romantisch sollte sie ja sein, die Liebe. Jedenfalls was ich davon so hörte und sah.
»Versuche mich schon seit Längerem als Musiker, mal mehr oder weniger erfolgreich und vorher war ich Grafiker, stapelte ich etwas tief.«
»Habe ich mir schon manchmal gedacht, als ich dich hier so allein oder mit so einem komischen dicken Typen sitzen sah. Bist also nicht nur vom Äußeren ein richtig cooler Typ.«
›Wow, die geht aber ran!‹ »War mein Kumpel Fred, den du manchmal mit mir hier gesehen hast. Hat mir bei der Renovierung die letzten Wochen geholfen. Ganz lieber Kerl«, gab ich etwas ausweichend zurück, musste erst mal klare Gedanken fassen, wie das hier weitergehen sollte.
Von unten, Richtung Klein-Paul kam es fast verzweifelnd, ›Wieso überlegst du noch, wie es hier weitergehen soll? Wirst du alt, mach das doch nicht soooo kompliziert!!! Denk dir einfach den Kopf weg oder stell ihn dir so toll vor wie den restlichen Körper. Dürfte für dich als Grafiker ja kein Problem sein!‹
Und wie zur Bestätigung zuckte Klein-Paul mehrmals, als meine Augen sich, ganz unbemerkt von mir, an dem einladenden Dekolleté mit dem riesigen Inhalt festgefressen hatten.
›Mein lieber kleiner Paul‹, schoss es wütend nach unten zurück, ›hatten wir uns nicht schon so oft vorgenommen und an einem Tag, der noch nicht mal so lange zurückliegt, eigentlich fest geschworen, nicht immer alles mitzunehmen, was sich uns förmlich aufdrängt, besonders nach Muggen? Die ganzen Probleme hinterher, wenn bei dir die Luft raus war und du wieder normal denken konntest! Ich will das einfach nicht mehr, unsere gemeinsame Lust genießen und dann oft in enttäuschte Augen zu blicken, wenn man danach sagte, es war toll aber ich bin doch leider schon vergeben, frei erfundene Handynummern weitergab oder sich andere Lügen zum schnellen Absprung von der jeweiligen Geliebten ausdenken musste.‹
›Jaaaa …, war schon manchmal ganz schön gemein …‹
›Dieser bewusste Tag, an dem wir uns ganz fest versprochen hatten, mein Lieber, anders zu leben. Hatten wir damals auch lange gehalten, unser Versprechen. Besonders als dann Anja in unserem Leben auftauchte und wir fast zum ersten Mal glaubten, angekommen zu sein.‹
›Hab ich nicht‹, kam es kleinlaut von unten zurück.
›Denk einfach noch einmal schnell an diesen Auslöser unseres Versprechens zurück und dann gib endlich Ruhe! Für heute zumindest.‹
›… ich riss an diesem bewussten Tag, nach einer Mugge in einem fremden Bett, blind vor Lust, Pommel die Sachen vom Leib. Und da Pommel - so wollte sie genannt werden - noch schneller war als ich bei ihr, waren wir beide, mein Lieber, nicht mehr zu bremsen.‹ Auch hatte ich damals noch keine Ahnung, was zwar erotische, aber mit verstecktem XXL-Stretch versehene Bodys alles kaschieren können.
Als ich nach einiger Zeit endlich wieder normal denken konnte und auch mein Blick nicht mehr vor Lust verschleiert war, lag Pommel mit gespreizten und angezogenen Beinen vor mir. Busen und Bauchspeck ergaben fast gleichmäßig große, dicke, wellenförmige Erhebungen körperabwärts. Pommels Mund öffnete sich mit einem zärtlichen Lächeln und im tiefsten sächsisch hauchte sie mir entgegen: »… war das scheen mei guder … kommsde morschen wieder zu mir...? … wäre so scheen …!«
›… und die Barbiepuppen und Berge von Plüschtieren im Bett dieser mehr als dreißig Jahre zählenden Pommel, die ich erst jetzt richtig wahrnahm, lachten uns beide, mein lieber kleiner Paul, förmlich aus … Also halt dich bitte zurück, mein Lieber!‹
›Hast ja Recht …‹, kam es fast entschuldigend von unten.
»Was ist denn mit deiner Küche los, ist da was kaputt gegangen oder kannst du nicht kochen?«, holte mich Frau Müller, spöttisch grinsend, in das hier und heute zurück.
»Bin übrigens die Lotte« und blitzartig streckte sie ihre Hand über den Tisch. Ich konnte gerade noch meinen Schoppen Rotwein vor ihrer spontanen Vorstellung retten. Leicht irritiert ergriff ich diese … ›Frau Müller hat ja einen sehr kräftigen Händedruck!‹, stellte ich erschrocken fest und war sehr froh, als dieses Händchendrücken, was viel länger dauerte als notwendig, von ihr beendet wurde.
»In meiner Küche ist nichts kaputt, ist nur nicht so komplett eingerichtet«, versuchte ich es zu erklären. »Vor allem ohne Kühlschrank ist es sehr schwer.«
»Wieso hast du keinen Kühlschrank?«
Die wollte wirklich alles wissen.
»Bin erst vor drei Wochen hier auf der Karli in ein neues Leben gestartet. Hab vieles bei meiner Ex gelassen«, log ich spontan, konnte bei Frau Müller ja trotzdem ein paar Pluspunkte sammeln, auch wenn sie mir ab Hals aufwärts gar nicht zusagte. Sie war einfach nicht mein Beuteschema. Und dazu noch aus Bayern …!
»Du bist ja ein ganz Lieber«, kam es ebenso spontan aber äußerst liebevoll aus diesem schmalen, knochigen Gesicht mit der viel zu spitzen Nase zurück.
Die Frisur ging ja gerade noch, obwohl mir Frauen mit kürzerem Haar noch nie so gefallen haben. Zumindest die Farbe stimmte. Karminrot, meine Vorzugshaarfarbe, genau wie bei Anja.
»Na ja …, manchmal zumindest.«
»Ach so …, ist übrigens mein Lieblingscafé hier auf der Karli.«
»Meins ist es auch, oder besser erneut geworden, seitdem ich hier wieder wohne. War früher auch fast jeden Tag hier. Alleine essen macht mir einfach keinen Spaß.«
»Bist wohl Leipziger?«
»Ja, schon immer gewesen. Wie lange bist du denn schon hier? Kommst doch aus Bayern, wie ich so hören kann?«
»Ich bin meinem Mann beruflich nach Leipzig gefolgt. Ist so eine schöne, lebendige Stadt, mit so freundlichen und offenen Menschen, ich würde gern ewig hier bleiben.«
»Aber?«
»Aber? Ja, es gibt ein Aber! Der Mann, also mein Mann, mit dem ich hierher bin, leitet nicht nur die Großbaustelle für eure neue Unikirche auf dem Augustusplatz, sondern auch seit längerer Zeit seine Tippse zu mehr als nur zum Tippen an.« Ganz traurig schaute sie mich auf einmal an.
Jetzt hatte sogar ich mit einer Frau Müller Mitleid.
»Da sind wir ja richtige Seelenverwandte, du beim Neuanfang und ich knapp davor.« Frau Müller drückte auf einmal zärtlich meine Hand.
›Jetzt fängt sie auch noch mit diesem Esoterikkram an. Na ja Bayern …, Berge, Kühe, Kühe und nochmals Kühe und Bilderbuchwiesen, da muss man ja esoterisch werden.‹ Immer noch hielt Frau Müller zärtlich, sie hatte wohl vorhin mein verkrampftes Gesicht bemerkt, meine Hand fest.
›Bremsen, jetzt und sofort!‹, schrie es in meinem Kopf. Das kann echt gefährlich werden mit Frau Müller.
»Bin hundemüde«, versuchte ich meinen Abgang vorzubereiten. »Habe innerhalb von knapp drei Wochen aus einer Höhle, zusammen mit meinem Kumpel Fred, eine super kreative Vorzeigehöhle gezaubert.«
»Höhle, wieso Höhle?«
Und so erzählte ich Frau Müller, wie ich meine Höhle vorgefunden hatte und wie diese jetzt aussah.
»… und im großen Zimmer steht mitten im Raum eine Duschkabine umgeben von großen Ficus Bäumen, fast wie eine kleine Oase …«, versuchte ich die Beschreibung zu beenden und mich von ihr zu verabschieden.
»… das glaube ich dir nicht, wirklich …???«, Frau Müller kriegte sich fast nicht mehr ein. »Das würde ich gerne einmal mit eigenen Augen bewundern.«
›Manche sollten meine Dusche sehen und vielleicht auch mit mir gemeinsam genießen …, mmhhh …, aber nicht Frau Müller‹, schoss es mir spontan durch den Kopf. Aber vielleicht sollte ich für ganz, ganz schlechte Zeiten, die eventuell kommen könnten, etwas vorbauen? »Na, vielleicht zeige ich sie dir mal. Bin aber heute wirklich echt kaputt«, log ich ein wenig.
Während meiner Höhlenbeschreibung war immer mal wieder Frau Müllers Hand auf meiner gelandet, zweimal rieb sie sogar wie zufällig für einen kurzen Moment ihr Knie an meinem. Es wurde mir hier einfach zu heiß, wollte nicht schon heute gleich wieder meine Vorsätze kippen. Nicht schon wieder in das alte Muster verfallen, alles zu nehmen, was sich fast von alleine ins Bett, oder wo auch sonst immer, hinlegte. Wollte sie endlich finden, die eine Liebe, die so schön und romantisch sein sollte.
Also dann, »Tschüß Lotte!«
»Servus Paul, war echt schön, dich etwas näher kennenzulernen, bis bald in diesem Theater hoffe ich!«
Zum Zahlen ging ich schnell zu Claus, damit ich hier schleunigst wegkam.
»Hasde ja ne dolle Dande heut an deinem Disch gehabt!«
›Tolle Tante? Vielleicht an deinem Ufer, an meinem Ufer sehen tolle Tanten um einiges anders aus!‹, dachte ich lieber nur, ohne es auszusprechen. Entschuldigte mich aber gleich wieder innerlich für diesen Gedanken, denn ich mochte Claus wirklich sehr. Er hatte mir mal gebeichtet, wie lange er mit seinen sehr speziellen Neigungen nach einem Partner suchen musste. Jetzt war Claus verheiratet mit ihm und fast immer sehr glücklich, sogar nach zehn Jahren Partnerschaft. Ich freute mich immer wieder für ihn.
»Bis bald, Claus!« und ich ging die wenigen Schritte bis zu meiner Kreativhöhle.
›Soll es etwa schon wieder so weitergehen?‹, dachte ich, als ich wenige Minuten später auf meinem Lieblingsplatz saß, mich die zahlreich sprießenden Bananenblätter umhüllten und ich über mein weiteres Leben sinnierte. Mal schnell ‘n bissel vögeln, Frau Müller hatte sich ja geradezu aufgedrängt. Wäre bestimmt ein Einfaches gewesen, mit ihr einen entspannten und genussvollen Abend zu verbringen.