Kitabı oku: «Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD)», sayfa 6

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Innerhalb dieser Gruppe von Menschen sind das Problem weniger stereotype Rollen- und Verhaltenszuschreibungen, hier gab es (abgesehen vielleicht von inside norms) keine positivistischen Erwartungsnormierungen. Vielmehr geht es um das Problem gesellschaftlicher Ausgrenzung, oder andersherum gesagt, um die Anerkennung von Vielfalt durch den gesellschaftlichen Kontext. Von den Queer Studies ist hier in Zukunft innovatives Denken zu erwarten (Babka & Posselt, 2016). Diese befassen sich nicht allein mit der Dekonstruktion binärer Geschlechterstereotypien, sondern mit weit ausgreifenden zeitepochalen Aspekten in Bezug auf Kultur und Geschlechterrollen, darüber hinaus mit Wissenschafts-, Macht-, Kapitalismus- und ganz allgemein mit Ausgrenzungs- und Ausbeutungsverhältnissen.

Das emanzipatorische und herrschaftskritische Potenzial der Queer-Bewegung ist ein Programm, das vielgestaltige Lebenspraxen von Gender Identity ermöglichen könnte (Degele, 2008). Man muss hoffen, dass sie darüber hinaus das Bewusstsein der Diversität von Geschlechtsleiblichkeit fördern wird, denn Leiblichkeit wird auch hier noch unterbelichtet. Dies ist kategorisch ein anderes Programm, zwischen sozialkonstruktivistischem Denken und eigenleiblichem Spüren liegen Welten. So wird es in Zukunft nicht genügen, einen wie auch immer beschriebenen Habitus der Geschlechter in den von Frau und Mann und X aufzuteilen. Wertschätzung und Akzeptanz eines weit gefassten Pluralismus werden die Fahrzeuge zu einem Verstehen des Andersseins des Anderen darstellen, das vielleicht aus der Angst vor dem Fremden in eine Freude über die Bereicherungen durch Vielfalt führt (Nancy, 2016a, b).

Lust, Begehren, Sexualität

Geschlechtlichkeit ist eine Grunderfahrung leiblichen Daseins, unabhängig von ihrer Form, der Kategorie ihrer Benennung oder worauf sich das Begehren richtet. Sie ist eine „pathische Kategorie“, etwas, das einem widerfährt (Böhme, 2017). Im gesellschaftlichen Kontext begegnet man der Erwartung, sich einer geschlechtlichen Kategorie zuzuordnen, oder man bekommt eine zugeschrieben, und sowohl mit der Selbst- als auch der Fremdzuschreibung sind entsprechende Erwartungen verbunden.

In der geschlechtlichen Stereotypie finden sich die Antagonismen von Leistung und Hingabe, Kompetitivität und Sozialität. Dem Mann wird eine aktive Lebenshaltung zugeschrieben, sein Selbstbewusstsein nähre sich, je nachdem, wie weit er damit identifiziert sei, aus seinen Leistungen, seiner Potenz, der Stärke seines Willens, der Erfahrung, wie weit er die Welt seinen Vorstellungen gemäß gestalten oder unterwerfen könne – eine stereotype Vorstellung männlicher Macht. Leicht vorstellbar, wie gerade in Hinsicht auf die Sexualität hierdurch verhängnisvolle Missverhältnisse entstehen können. Wer immer, als Mann oder Frau, von der Vorstellung geprägt ist, dass die Sexualität seinem Willen unterliege, dem geht die Erfahrung verloren, dass die erotische Erfahrung ein Geschehen ist, das einem durch den Anderen widerfährt und an dem man teilhat (Marion, 2013).

Die historische Stereotypie projiziert weiterhin ein Bild von Frauen, die auf die Herausforderung, Leben und Leiblichkeit als etwas Gegebenes hinzunehmen, besser reagieren können. Aufgrund der nach außen hin dramatischeren Veränderung des Körpers in der Pubertät, aufgrund der Erfahrung der Monatsblutungen, der Erfahrung von Lust und Schmerz beim ersten Verkehr, des Wissens darum, ein Kind austragen zu können, sowie der intensiven Erfahrungen von Schwangerschaft und Geburt, aufgrund der meistens durch die Frau durchgeführten ersten Zeit der Säuglingsbetreuung sowie aufgrund des Klimakteriums und der Menopause solle man davon ausgehen, dass die Frau ein höheres Maß an geschlechtlich bedingter Leiberfahrung habe als der Mann, für den die Erfahrung der Geschlechtsleiblichkeit eine höhere Kontinuität aufweise (Böhme, 2017; Gahlings, 2016). Dies sind archaische Narrative, die der Überprüfung bedürfen. Dasselbe gilt für alle weiteren stereotypen Annahmen von Emotionalität, Hingabe, Zärtlichkeit, Fürsorge usw. (Steins, 2010).

Weil der Ausgangspunkt der geschlechtsleiblichen Erfahrungen zu Beginn des Lebens unweigerlich in den Fremdzuschreibungen des Geschlechts liegt, die spätere Geschlechtsidentität immer Produkt einer Auseinandersetzung mit impliziten Erwartungen ist, bleibt aber, egal wohin die Identität und die sexuelle Präferenz sich entwickeln, der erste Bezug stets die heterosexuelle Welt, in der Art wie die Kultur, in die man hineingeboren wird, sie interpretiert. Auch wenn die Erfahrungen der heterosexuellen Stereotypie nicht durchweg erfreulich sein sollten, bleiben es doch unausweichlich die eigenen, die dann weiter produktiv verarbeitet werden (Böhme, 2017).

Dabei wird eine Geschlechtsidentität, die sich nicht auf die Zeugnisse der Wahrnehmungen und des eigenleiblichen Spürens mit dem eigenen Geschlechtsleib beruft, sich also nur auf die Anpassung an Stereotypien bezieht, als fragil eingestuft. Es ist Aufgabe von Psychotherapie, diesen Prozess eigenleiblichen Spürens hinsichtlich der subjektiven Geschlechtsleiblichkeit bei beiden Geschlechtern und X zu explorieren und zu fördern. Nur so können geschlechtsleibliche Erfahrungen zur Quelle lustvoller Leiberfahrungen werden (Taylor, 1996).

Als leibliche Erfahrung existieren die Empfindungen von Erregung, Spannung, Schwellung, Engung und Weitung von Kindheit an (Schmitz, 2007a). Hier sind Hinweise dafür zu finden, dass Geschlechtsleiblichkeit nicht nur sozialisativ zu verstehen ist, denn erotische Regung und lustvolle Empfindung steigen aus dem Leib herauf, beim Kind noch ganzheitlich, vom Jugendalter an konturierter aus den Leibesinseln in der Gegend primärer und sekundärer Genitalorgane (ebd.). Sie bleiben aber hierauf nicht beschränkt, in intensiver Erotik kann der ganze Leib zum Ort lustvoller Erfahrung werden. Lustvolle Empfindungen sind im Besonderen leibliche Antwort auf das Andere (Baudrillard, 2016), selbst in der Masturbation, wenn das Andere nur eine Vorstellung bleibt. Von hier aus werden sie als Erfahrung der eigenen Geschlechtlichkeit angesehen, unabhängig von ihrer späteren Benennung und Ausrichtung, und auch unabhängig davon, wie weit sie eine Versöhnung mit oder Zurichtung durch gesellschaftliche Schablonen erfahren.

Charakteristisch für die Auslösung von Lust und Begehren ist somit die erotische Begegnung, der oder die Andere, der oder die einem ,etwas sagt‘, das man nicht sofort versteht, daher sich angezogen fühlt. Insofern ist die erotische Begegnung ein Ereignis. Im Sinne Badious (2015b) zeitigt ein Ereignis Folgen, die bis dahin undenkbar waren. Das Subjekt erfährt seine Geschlechtsleiblichkeit im Ursprung relational durch das Widerfahrnis des Hingezogenseins. Erst später kann das Begehren durch Erinnerung, Repräsentationen oder Mentalisierungen auch subjektiv ausgelöst werden. Es entstehen Regungen und Wallungen und aus diesen formiert sich die Liebesempfindung mit ihren (immer) biografisch getönten Vorstellungen und Erwartungen. Über das Thema der Liebe wird später noch zu sprechen sein. Obwohl untrennbar, soll hier zunächst der Schwerpunkt auf die leiblichen Erfahrungen der Lust gesetzt werden.

Schon in der Kindheit, erst recht in der Jugend fühlt das Leibsubjekt sich von lustvollen Empfindungen überfallen, sie ,machen was mit einem‘, was man nicht mehr allein steuert. Das ist größtenteils schön, manchmal aber auch beängstigend. In Pubertät und Adoleszenz ist man Prozessen ausgesetzt, in denen sich ein irreversibler leiblicher Gestaltwandel vollzieht, der sich nicht steuern lässt. Die eigenleibliche Wahrnehmung von Jungen und Mädchen zeigt sich als teilweise sehr differente Erfahrung. Aufgrund dieser Differenz und der zuvor schon jahrelangen entwicklungspsychologischen Geschlechterapartheid können Jugendliche im Beginn ihrer ersten Erotik eigentlich gar nichts miteinander anfangen – Erfahrungen und Interessengebiete liegen zu weit auseinander –, so dass sie ihrem Impuls nur folgen können, indem sie sich direkt leiblich aufeinander einlassen, sich der Selbsttätigkeit des Leibes überantworten.

Lust, Begehren und Sexualität haben ihren Ursprung in der Erfahrung der Natürlichkeit‘ des eigenen und des Geschlechtsleibes des anderen, es ist die Reverie, die Offenheit für die Selbsttätigkeit der Erfahrung, dass sich Lebendiges in ,mir‘ regt. Leibliche Lust nährt sich aus der Emphase, in der man sich mitreißen lässt, die einen in die Präsenz für sich und den anderen hineinreißt, bis zur Erfahrung einer Erfüllung, in der man „den eigenen Leib vom Leib des anderen her empfängt“ (Marion, 2013), denn im Spüren des Anderen spürt man auch sich. Nancy und van Reeth (2016) stellen die Lust in diesem Zusammenhang als ein Verlangen dar, das Getrenntsein zu überwinden – besser noch: es zu durchqueren, denn eine letztendliche Überwindung ist nicht in Sicht. Erst so wird verstehbar, weshalb der Mensch immer wieder von Neuem dem Anlauf seiner Lust zustimmt und ihr folgt. In der „Verflüssigung“ des Körpers in der Lust sehen Nancy und van Reeth die Symbolik und den Wunsch der Liebenden, die Form zu verlieren, in einen Bereich der Formlosigkeit zu gelangen (ebd., 67).

In keiner einzigen anderen Tätigkeit oder Verrichtung lässt sich die leibliche Präsenz in derselben Weise steigern wie in der Lust, und nichts zeigt sich in einer solchen Intensität und Bedeutsamkeit. Innerhalb der leiblichen Liebe ist der Orgasmus eine Gipfelerfahrung, in der der Leib – im Sich-selbständig-Machen – gewissermaßen vollkommen Natur wird. Daher die Freude am eigenen und am Leib des Anderen. Daher die Unmöglichkeit, Erfüllung im Gleichen, in der Konfluenz zu finden. Getrenntsein und Differenz müssen bestehen bleiben, damit die Liebe „von anders woher“ kommend erlebt werden kann (Marion, 2013). Die Liebe als ein Festhalten des Schönen, als Missverständnis der Machbarkeit, Herbeiführbarkeit oder als konsumatorisches Programm ist hier nicht gemeint. Das Fremde, der Andere ist Stachel für das eigene Selbst und Ausgangspunkt der Lust in einem Zuge (Sartre, 1936; Baudrillard, 2016; Nancy & van Reeth, 2016; Mahnkopf, 2019).

Lust entsteht nicht aus einem Mangel, wie Freud (1999b [1923]) meinte, und auch nicht aus einem autochthon zu verstehenden Verlangen oder Begehren, das sich zu entladen trachtet, sondern als affektive Reaktion auf die Anmutung von außen, vom Anderen her, selbst dann noch, wenn dieser Andere nur der eigenen Vorstellung oder Erinnerung entspringt. Ihr entgegengesetzt ist auch nicht die Unlust, sondern der Schmerz. Während nun der Schmerz eine Fluchttendenz begründet, löst die Anmutung durch den Anderen eine Daseinslust aus, die sich in sich selbst zu steigern versucht. In dieser Emphase stimmt man dem eigenen Dasein vollkommen zu, man gibt sich hin oder hat sogar den Impuls, sich vollständig auszuliefern. Diese Tendenz schließt eine Zustimmung zum Schmerz mit ein (Böhme, 2017, 140). Das ist mehr und etwas anderes als Triebbefriedigung. So ist die leibliche Liebe, als gemeinsame Lust, da zu sein, auch nicht etwas, das man ,macht‘, sondern etwas, das sich in einem selbst und zwischen den Liebenden vollzieht.

Man liebt oder man begehrt, was man selbst nicht ist. Und das bezieht sich bei Weitem nicht nur auf die körperlichen Geschlechtsmerkmale. Die Irrationalität der Partnerwahl, das sinnliche und geistige Angezogensein von einem ganzen Ensemble berauschender Wahrnehmungen, die man nicht mehr in Worte fasst, spricht hier für sich (Frank, 1980). Die Vernunft weigert sich, bis dahin zu gehen, wohin die Liebe geht, nicht etwa, weil sie die Schwächere wäre, sondern weil sie merkt, dass sie hier nicht gebraucht wird (Marion, 2013). Und die Erfahrung, dass die Liebe in dieser paradoxen Weise Differenzen transzendieren kann, ist eine der tiefgründigsten überhaupt. Ungezählte Lieder, Gedichte, Märchen, Theaterstücke und Dramen besingen diese Erfahrung. Dies alles führt aber höchstens affirmativ in die Illusion einer Verschmelzung, vielmehr führt es in die leibliche Erschöpfung. Im Höhepunkt der leiblichen Liebe erfährt man notwendig die Unmöglichkeit weiterer Steigerung, aus diesem Moment heraus spricht Jean-Luc Marion (2013) seinen vierten Satz der Liebe: „Noch mal!“

Dies alles gilt möglicherweise auch für homosexuelle und geschlechtsdissidente Menschen. Es muss weiterer Forschung (Degele, 2008) überlassen bleiben, inwieweit etwa Homosexuellen der „Stachel der Differenz“ durch „das Andere“ fehlt oder erspart bleibt, anders ist die oder der Andere ja auch, wenn sie oder er dasselbe Geschlecht hat. Und die Präferenzen der Partnerwahl auf geistig-psychischer Ebene dürften auch dieselben sein. Die besondere Differenz der sexuellen Zwischenleiblichkeit bei BDSM verdient Beachtung; bei vielen anderen Gruppen können Fragen erst ahnungsweise beantwortet werden (Landweer et al., 2012). Auch hinsichtlich der Reproduktivität sind in unserer Gesellschaft und Zeitepoche plurale Möglichkeiten geschaffen worden. Am Ende wird es Aufgabe der Philosophie sein, positivistische Befunde aus der empirischen Zergliederung wieder in die Erfahrbarkeit des Menschlichen zurückeinzubetten.

Reproduktivität und Elternschaft

Die Sexualität wird in den meisten Kulturen nicht bloß als eine Sache des Individuums gesehen. Viele gesellschaftliche Institutionen, etwa die Familie, unmittelbare soziale Umgebungen, Kirche und Arbeitgeber bis hin zum Staat sind an der Reglementierung von Liebe und Sexualität interessiert. Je nach Kultur und Zeitepoche wurde der Lichtstrahl dieser beiden Lebens- und Erfahrungsbereiche als Intimsphäre zum Teil gewaltig gebrochen (Jullien, 2014b). In europäischen Traditionen wurde dieses Problem mit kirchlicher und sozialer Moral, Heiratstraditionen und gesellschaftlich durch das Reglement der Ehe gelöst – also auch unterdrückt. Das nimmt nicht weiter wunder, stellt man in Rechnung, mit welcher chaotischen, subversiven und anarchischen Wucht und Irrationalität Liebe und Sexualität in das Leben einbrechen können. George Bataille (1994) verstand das erotische Begehren überhaupt nur als eine Akkumulation versagter Anmutungen.

Bis vor Kurzem wurden Ehe und Familie noch als Grundbausteine der Gesellschaft betrachtet (Fellmann, 2005). Wenngleich nicht verzichtbar, so werden diese Funktionen heute vielfach durch abstrakte Strukturen der Ökonomie und Kommunikation zusammengehalten. Die Sexualität ist freier geworden, gerät aber mit ihren entgrenzten Möglichkeiten in die Nähe konsumatorischer Bedürfnisbefriedigung. Annäherung, Spiel, Erotik und Verführung sind über Social Media einer pornographischen Verfügbarkeit gewichen (Baudrillard, 2012; Han, 2017). Die Ehe steht im Ruf einer sozialen und gesellschaftlichen Kontrollfunktion, die Verzicht fordert und hybride sexuelle Optionen verhindert. Diese Widersprüche zu vereinen, das kann auf individueller und gesellschaftlicher Ebene als Work in Progress bezeichnet werden.

Auf der Welt gibt es eine Vielzahl von Menschen und wir stehen mit einer Vielzahl von Menschen in Kontakt, trotzdem ist die Partnerwahl durch einen Mangel gekennzeichnet (Böhme, 2017). Dies gilt nicht für das fetischistische Programm sexueller Begegnungen (tinder), sondern vor allem für das längerfristige Programm von Bindung und Reproduktivität, in dem von beiden Geschlechtern her (auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren) höhere Selektivität vorherrscht. Dieser Mangel gründet in der Schwierigkeit, mit dem Anderen die evidente Erfahrung einer ,richtigen Passung‘ zu machen, und danach im komplizierten wechselseitigen Prozess des Abbaus von Fremdheit und Angst.

Obwohl von den meisten Menschen die unbegrenzten Programme der Sexualität nur vorübergehend positiv bewertet werden, werden heute auch die Ehe oder langfristige Beziehungen global nicht mehr als gelungene kulturelle Form sexueller Praxis verstanden. Die erotische Anmutung ist etwas Ephemeres (Flüchtiges), die Sexualität kann einschlafen, zur Routine degenerieren oder zur hygienischen Maßnahme verkommen, dasselbe gilt auch für ,Sex auf Bestellung‘. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Ehe ist die Sexualität daher nicht nur eine Lust, sondern auch eine Last. Dies bezieht sich auf unterschiedliche Szenarien, etwa dass die unbefriedigte Lust zur Qual werden kann, dass man sich mit lebensbedrohlichen Krankheiten anstecken kann, dass bei jedem Verkehr eine Zeugung stattfinden kann und man damit lebenslange, möglicherweise ungewollte Bindungen eingehen muss. Hier ist Natur nicht nur gegeben, sondern aufgegeben. Unter solchen Umständen kann der Akt zum Artefakt werden (Böhme, 2017). Jede Form der Sexualität bedarf daher der komplexen Verständigung der Partner und Partnerinnen, vor allem, wenn es um die Frage der Bindung, Elternschaft und der Familienplanung geht.

So dies gelingt, kann die Sexualität ein äußerst positives, persönliches Entwicklungsprogramm mit fortwährender existenzieller Herausforderung werden, das man sich dann aber sehr bewusst aufgeben muss. Dies beinhaltet Vorstellungen, die sich nicht auf eingespielte Vertrautheit und Routinen verlassen, sondern in der erotischen Begegnung immer wieder einen riskanten und herausfordernden Versuch der Selbstöffnung erkennen. So besehen stellen Liebe, Erotik, Intimität und Sexualität eine Megaressource des Menschen dar.

Ist es in der Sexualität die Natur, die wir am eigenen Leib als etwas Größeres erfahren, etwas, das uns übersteigt, so ist es in der Reproduktion die Gattung „Mensch“ an sich, als deren Teil man sich erfahren kann (ebd.). Die meisten Paare wünschen sich leibliche Kinder. Diese Sicht bekommt etwas Faszinierendes, daher ist es doch etwas trostlos, sie bloß als Ausdruck eines egoistischen Gens zu deuten (Dawkins, 2005). Zudem verkürzt, denn als Menschen können wir uns sowohl für als auch gegen Reproduktivität entscheiden (Akerma, 2000). Kinder zu zeugen bedeutet, sich in einen unvorhersehbaren Zusammenhang – den erfahrbarer Natur – zu stellen, dessen Konsequenzen man nicht mehr überblicken kann. Es bedeutet, sich als Teil von etwas zu verstehen und sich in dieser Rolle unter Umständen auch in herausfordernde oder leidvolle Lebenslagen zu begeben.

Ein Aspekt dieses Abenteuers ist es, die Zweierbeziehung zu einem Dreieck (oder mehr) zu öffnen, an der Entwicklung neuer Individuen teilhaben zu können und an den Herausforderungen der Rolle der Elternschaft zu wachsen. Damit sind verschiedene Aspekte angesprochen. An der Oberfläche freilich die Versorgung und Verantwortung, im Untergründigen aber stellen Kinder die ,Therapie des Lebens‘ dar. Eltern können ihre Kinder nur respondieren, wenn sie diese über die einzelnen Stufen ihrer Entwicklung in je partieller Regression emotional einfühlend und begleiten. Viele unaufgearbeitete Themen der Lebensgeschichte werden auf diese Weise sublim aktualisiert und einer Neubearbeitung zugeführt. Völlig unbewusst bleibt meist die Interdependenz ,wechselseitiger Bürgschaft‘ zwischen Eltern und Kindern in Form von Dankbarkeit und Schuldgefühlen.

Während in der Literatur ein eigenleiblich gespürter Kinderwunsch für Männer verneint wird (Bullinger, 2017), wird er für Frauen bejaht. Barbara Sichtermann (1999) denkt, dass die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung nur einseitig, beim Mann, vollzogen würde. Das allerdings ist eine Frage, die individuelle und subjektive Überprüfung durch beide Geschlechter braucht. Wohl aber kommen Frauen durch das kleinere Zeitfenster ihrer Reproduktivität signifikant häufiger in den Druck, jenseits eines leiblich gespürten und auf ihren Partner bezogenen Kinderwunsches ihre Familienplanung voranzutreiben. Bildungs- und Karrierewünsche sowie die Notwendigkeit des Mitbestreitens der Subsistenz (Lebensunterhalt; Grundbedürfnisse) machen dieses Problem für Frauen nicht kleiner, sondern größer. Ungewollte Kinderlosigkeit und ungewollte Elternschaft sind häufig ein tabuisiertes, aber wichtiges Thema in der Genese von Störungen. Ein benachbartes, nicht eben kleineres Thema sind die psychischen, sozialen und körperlichen Belastungen durch medizinische Reproduktivität oder Leihmutterschaft (Maio et al., 2013), umso komplexer und prägnanter bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kinderwunsch (Müller-Götzmann, 2009). Generell stellt Elternschaft auch ein mögliches Risiko dar (Thomä, 2002).

Mit dem Austrag des Kindes im weiblichen Leib, der Geburt an sich und dem Stillen sind die zwischenleiblichen Erfahrungen (Merleau-Ponty, 1966; Ajuriaguerra, 1970) von Kind und Mutter bei Frauen von Beginn an intensiver als die zwischen Kind und Vater. Nichtsdestotrotz ist die Zwischenleiblichkeit beider Eltern mit dem Kind eine der ursprünglichsten Erfahrungen. Bevor die Sprache und das Sprechen sich entwickeln, findet elterliche Kommunikation mit dem Kind auf rein leiblicher Ebene statt: Einbettung, Berührung, Stimmintonation und Qualität der Blickkontakte vermitteln alles, was das Kind zunächst verstehen kann. Eltern sind in der Befriedigung der Bedürfnisse ihres Kindes vollständig auf ihre Instinkte und Intuitionen angewiesen. Unfähigkeiten oder Behinderungen dieser primären Resonanzprozesse (z. B. durch Depression, Ängste, Trauma) können tiefgreifende Verstörungen beim Kind begründen. Auf diese primären Bedürfnisse – Zärtlichkeit, Halt, Trost, leibliche Orientierung, Begrenzung, spaß- und lustvolle Interaktion usw. – wird im Abschnitt zum Menschenbild noch etwas näher eingegangen.