Kitabı oku: «Jakob der Letzte», sayfa 3
DER KIRCHGANG NACH DEM GELDE
Nun war der Morgen des heiligen Fronleichnamstages. Das stille, grünende Altenmoos lag im jungen Sonnenfrieden da. Aus den Höfen hervor, von den Lehnen und Leuthen herab, an den Wiesensteigen heran kamen die Leute in schmuckem Feiertagsgewande und gingen dem Hauptwege zu, wo sie sich in Gruppen vereinigten, um selbander unter ruhigen Gesprächen gegen die ferne Pfarrkirche zu wandern.
Es waren ihrer heute viele. Obwohl an den Werktagen arbeitend vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang, sind sie am Feiertage doch nicht müde; gestern war es an den Händen, heute ist es an den Füßen, und die Zunge haben sie auch mit, daß sie können schwatzen unterwegs, und die Augen, daß sie den kirchlichen Aufzug sehen zu Sandeben, und die Gurgel, durch die etwelchen Trunk zu tun einige gesinnt sind. Der Weg ist hier glatt, dort steinig, die Sonntagswanderer loben weder das eine, noch beklagen sie das andere. Die jüngeren Weibspersonen haben hellrote Busentücher um, und vorne am Joppenlatz steckt ein Sträußl von Herzenstrost und Rosmarin. Oder sie tragen das Sträußchen zwischen dem Gebetbuch und dem weißen, viereckig gefalteten Taschentüchel in der Hand. Die Burschen haben grüne Zweige von Reseden und Nelken auf den Hut gesteckt bekommen – von wem, das sagt keiner, denn es kann sich’s jeder denken. Und bei dem Blüml steht die Wildhahnfeder, das Starke beim Schönen, das Kecke beim Zarten. Selbst die alten Männer tragen auf ihren schwarzen breiten Filzhüten ein helles Röslein, denn irgendwo und irgendwie muß an solchen Festtagen die Lebensfreude der Waldbergbewohner hervorblühen.
Das junge Volk gesellt sich zusammen zum Schäkern und Necken, und der frische Sandlersebast behauptet dreist, dem Bachhäuseldirndl wäre am Busen das Rosmarinstammel lose geworden, und er will ihr den Freundschaftsdienst erweisen, selbiges zu befestigen.
„Brav bist, Sebast, daß du frei soviel Nächstenlieb’ hast“, redete da der alte Luschelpeterl drein, der mit seinem wulstigen roten Regenschirm hinten nachhumpelte. Er trug ein recht altweltisches Gewand, der Luschelpeterl, einen vergilbten lodenen Frack mit Messingknöpfen und einen ausgeschweiften gelbgrünen Zylinderhut mit breitem Band und der großen Schnalle. Seit dieser Hut und dieser Kopf beisammen waren, hatten beide Farbe gewechselt, der blonde Kopf war grau und der grüne Hut gelb geworden. Das Gewand war alles hübsch mit grünem Tuche ausgebrämt; aus diesem waren allerlei Bäumchen, Schnörkeln und andere Zierraten geschnitten und auf die Ärmeln, Brustflügeln, Taschen und Schößeln genäht worden, was zu dem verwitterten Gesichte des Alten mit dem grauen Bartwisch unter der Nase gar nicht übel stand.
„Festmachen das Rosmarinstammel, eh’ wahr auch. Brav bist, Sebast“, sagte er noch einmal.
Das Bachhäuseldirndl, die Dullerl, schlug dem kecken Burschen auf die Finger: „Da hast nix herzugreifen, Bübel!“
„So wohl, so wohl!“ stimmte der Luschelpeterl bei, da sang eine Amsel. Der Gesang war so schmetternd hell, daß sich alles umsah nach dem Vogel. Und er war nirgends zu sehen, und dem Gesange nach meinte man, er müsse einem der Leute auf der Achsel sitzen.
„Aha!“ rief der Luschelpeterl plötzlich, „da haben wir den Kampel, da drinnen da! In mein Regendach hinein hat er sich verfangen. Wohl, wohl, gewiß auch noch!“
Die Kirchengeher stellten sich rings um ihn, und die Dullerl war besonders begierig, den kleinen Sänger zu sehen. Der Luschelpeterl langte mit dem Arm sorgfältig in den zusammengefalteten Schirm hinein, der Vogel kreischte, der Peterl mußte ihn gefaßt haben, als dieser nun aber den Arm langsam wieder zurückzog und den Schirm auseinander tat, war kein Vogel da. Obzwar es bekannt war, daß der Luschelpeterl mit einem Blatte, das er auf die Zunge tat, allerlei Vogelstimmen täuschend nachzuahmen verstand, saßen sie ihm doch fast allemal auf, wenn er in guter Laune seine Kunst übte.
„Jetzt ist er mir auskommen!“ murmelte der Alte mit weinerlichem Gesichte, spreitete die Finger aus und starrte in die Luft. Hierauf wandte er sich an die Dirnlein, und mit zwinkernden Augen sprach er die Vermutung aus, eine oder die andere werde den Vogel in der Tasche haben. Jede leugnete es, aber untersuchen ließ sich keine.
Weit hinter diesem munteren Völklein ging eine Gruppe von Männern, darunter der Sepp in der Grub, der Rodel, der Stindel im Stein, der Oberstöckel und der Jakob. Sie waren für einen solchen Frühsommermorgen fast zu ernsthaft. Sie führten in langsamem Takt ein angelegentliches Gespräch. Auch der Jakob redete. Er pflegte sonst außer Hause nicht viel zu sprechen, er stotterte ein klein wenig, aber man horchte doch, wenn er den Mund auftat, es war allemal der Mühe wert.
„Es darf nicht sein“, sagte der Jakob, „wir müssen es abwenden.“
„Wir müssen dem Guldeisner zureden, soviel wir können, er darf nicht verkaufen!“ so auch der Stindel im Stein.
„Seid ihr einverstanden, Nachbarn?“ fragte der Jakob, „daß wir heute abends, wenn wir von Sandeben heimkommen, miteinander zum Guldeisner gehen und ihm die Sache vorstellen? Es darf und es darf nicht sein. Wenn der Guldeisner losgeht, dann wird alles rutschend in Altenmoos.“
„Hingehen kann man“, meinte der Oberstöckel, „ob’s was hilft, ist eine Frage. Ja, wenn das viele Geld nicht wär’!“
„Das Geld und jetzt auf einmal das Geld!“ rief der Jakob völlig aufbrausend. „Haben wir Altenmooser jemals nach Geld soviel gefragt? Haben wir eins, ist’s gut, haben wir keins, leben wir auch so, arbeiten vielleicht lieber und schlafen besser. Was wir brauchen, das wachst auf unserem Grund: das Brot auf dem Feld, Milch und Butter auf den Wiesen, die Leinwand auf dem Flachsacker, die Wolle auf den Schafen und das Leder auf den Rindern. Was braucht man da Geld?“
„Ist so, ist eh so“, stimmten die anderen bei.
„Wollen wir Fleisch“, fuhr der Jakob fort, „wir haben es in den Schweinen, Eier legen uns die Hühner. Die Handwerker haben wir im Haus. Salz, Tabak und sonstiges Kleinzeug, auch den Steuergulden zahlen wir von dem Erlös der paar Stückeln Vieh, die wir verkaufen, oder vom Hafer. Was brauche ich denn sonst noch?“
„Wohl, wohl, ist eh so“, sagten die anderen.
„Und die Leute jetzt alleweil nur Geld, mehr Geld, viel Geld! Verkaufen ihr Heu, ihren Wald und gar noch ihre Häuser und Hosen ums Geld. Mir graust!“
„Wirst recht haben, Nachbar, wirst recht haben“, sagte der Rodel und machte eine Bewegung mit der Hand, als wollte er etwas in der Luft fangen. Wenn er diese Geste tat, da wußte man schon, er hat was Gescheites zu sagen. Und dumm war er nicht, der schlanke, hagere, etwas gebückte Mann; obgleich einäugig, sah er doch manches klarer und richtiger, als viele andere mit zwei Augen. „Verkaufen auch ihre armen Seelen!“ rief er aus, „es ist eine verdammte Sach’, es ist gerade, als ob das Geld ansteckend wäre, wie’s Nervenfieber.“
„Rodel, das wird nicht wahr sein“, redete der Bauer Klachel drein. „Bei meinem Nachbar Knatschel sind seit vierzehn Tagen zwei Tausender gelegen. Wenn Geld ansteckend wär’, so hätt’ ich davon kriegen müssen. Ich hab’ mich nicht ausräuchern lassen und auch sonst kein Gegenmittel angewendet.“
Der Rodel tat, als habe er den Witz nicht gemerkt, faßte den Klachel am Rockflügel, blieb mit ihm stehen und sagte: „Die anderen haben meine Red’ verstanden, dir sag’ ich’s deutlicher: Die Geldgier steckt an. Dagegen magst dich wohl brav räuchern lassen mit Wacholderstauden und Johanneskraut.“
„Da laß ich mich lieber mit Tausendguldenkraut räuchern!“ darauf lachend der Klachel.
„Hat denn dieser Kampelherr gar soviel Geld?“ fragte der Stindel.
„Gottslästerlich viel soll er haben“, antwortete der Rodel, „ich hab’ gehört, wenn der seinen Reichtum in lauter Gulden hätte und tät’ nach einer guten Mahlzeit anfangen, die Gulden zu zählen, und schnell zählen, und nichts als zählen, und keinen Bissen essen, ehevor er mit dem Zählen fertig wär’, so müßte er bei seinem Geldzählen verhungern.“
„Verdammter Kerl!“ knurrte der Sepp in der Grub.
„Wer ist er denn eigentlich, dieser Kampelherr?“ fragte der Stindel im Stein.
„Soviel ich gehört habe, soll sein Vater ein ungarischer Kornlieferant oder Sauhändler, oder so was gewesen sein“, wußte der Rodel zu berichten.
„Und was hat der Sohn für ein Geschäft?“
„Kein schlechtes“, sagte der Rodel, „der Sohn ist Millionär. Von Leuteschuldbriefen Papierschnitzeln abschneiden ist das einzige Handwerk, das in Wahrheit einen goldenen Boden hat. Früher hat er Gewerkschaften besessen, der Kampelherr, und eine ganze Eisenbahn soll er gehabt haben. Aber weil die Zeiten unsicher werden, so hat er die Sachen verkauft und will sich jetzt rechtschaffen breit auf Grund und Boden hinsetzen. Grund und Boden kann nicht zerstört werden und nicht davonlaufen. Und kostet auch nicht viel, man läßt Wald wachsen und braucht keine Leute dazu und zahlt für Wildnis nicht viel Steuergulden. Der Staat verliert dabei, aber das macht nichts. Einmal wird der Wald doch was wert. Kurz und gut, es ist ein sicher angelegtes Geld. Dazu das Jagdrevier, macht auch Spaß. Anschicken können sie sich’s, die Herren!“
„Du kannst dir’s halt ausdenken, Rodel“, zollte der Sepp in der Grub dem Sprecher sein Lob.
„Wissen möcht’ ich’s doch, wie er ausschaut, so ein Millionär“, meinte der Klachel.
„Ist zu sehen“, belehrte der Sepp, „zu Sandeben beim Fleischhacker soll er sich jetzt aufhalten.“
„Was gilt’s!“ rief der Klachel, „was gilt’s, ich meld’ mich heut’ bei ihm! Kosten tut’s nichts. Vielleicht schenkt er mir was.“
„Schenken?“ lachte der Rodel, „Narr, wenn der schenken tät’, wär’ er kein Millionär geworden.“
„Einen Hunderter kunnt er mir schon schenken“, meinte der Klachel, „ein Hunderter ist bei so einem gerade soviel, wie bei unsereinem ein Groschen, wenn man ihn dem Bettelmann schenkt. Vergelt’s Gott sag’ ich gern dafür. Und wirft er mich hinaus, so macht’s nichts, denk’ mir halt: bin eher auch draußen gewesen.“
„Klachel, du bist ein Wichtling!“ rief jetzt der Jakob, „wär’ doch eine Schand’, wenn sich ein Altenmooser Bauer von so einem fremden Herlaufer bei der Tür hinauswerfen lassen tät’! Was geht uns der Kampelherr an!“
„Man wird doch reden dürfen“, brummte der Klachel.
„Wenn du glaubst, mein lieber Klachel“, sagte der Rodel, „der Kampelherr selber sitzt draußen beim Fleischhacker, so bist wieder auf dem Holzweg. Der Kampelherr weiß sich was Besseres, als in einem Dorfwirtshaus tagelang zu warten auf die Gimpel, die ihm zufliegen sollen. Der da draußen, das ist nur sein Unterhändler, mußt du wissen.“
„Unterhändler oder Kampelherr!“ rief der Klachel und schlug mit den Armen um sich, als wollte er in der Luft anfangen zu schwimmen, „ist mir alles eins, wenn er nur Geld hat.“
Unter solchen Gesprächen waren sie hinausgekommen durch den Steppenwald; dieser gehörte nicht mehr zu Altenmoos, sondern der Herrschaft Rabenberg, was man schon den schönen schlanken buschigen Bäumen ansah, die keinem Bauern wirtschaften helfen mußten. Als unsere Kirchgänger zur Hirschenklamm kamen, wo an beiden Seiten die Wände aufsteigen, mußten sie still sein. Hier führte die Sandach das große Wort. Sie war da schon ein stattlicher Fluß, sie rauschte in ihrem wilden Bette, und das Rauschen hallte in den Wänden so sehr, daß keiner sein eigenes Wort verstand. Der Jakob war des schier froh, ihm hatte das Gespräch schon lange nicht gefallen.
Weiter hin begegnete ihnen der Rabenberger Waldförster mit der Büchse. Der Klachel rückte vor ihm den Hut, der Waldmann dankte herrisch und schritt vorüber.
„Das ist mir auch einer!“ sagte der Sepp in der Grub, „an so einem Tag, wenn der Christenmensch in die Kirche geht, steigt er im wilden Wald um. Jetzt möcht’ ich erst fragen, was der Wald, wenn er wachsen soll, notwendiger braucht, den Förster mit der Büchsen, oder den Segen Gottes!“
„Das ist derselbige“, wußte der Rodel zu erzählen, „der vor kurzem im Steppenhaus gesagt haben soll, die Bauern müßt’ man totschlagen. Wo ein Bauer wär’, kunnt’ sein Lebtag kein Wald wachsen.“
„Ich bin auch für den Wald“, sprach der Jakob, „und weiß recht gut, daß der Wald für den Menschen da ist, und nicht umgekehrt. Ich zügele den Wald, daß ich ihn schlagen kann. Mein Vater hat’s auch so gemacht. Unter siebzig Jahren stocke ich keinen Baum. Meine Vorfahren haben zwei- und dreihundertjährige stehen gehabt. Der Reuthof wird’s beweisen, daß Bauer und Baum recht gut nebeneinander stehen können.“
„So ist’s!“ stimmten die anderen bei.
Endlich lichteten sich die Berge, es kam der erste Holzrechen der Sandach. Hinter einer grünen Höhe, die sich als Ausböschung des Berges ins Tal hineinbog, reckte ein ziegelroter Riesenzwiebel seine Spitze in die Luft. Das war der Kirchturm zu Sandeben. Das Dorf steht auf einer sachten Anhöhe, denn der Talgrund ist ein graues Sandmeer, über das sich die Sandach in zahlreichen Bächlein ergießt. Über den Sand hin sind Holzrechen gezogen, um das aus den Steppenwäldern hervorgeschwemmte Holz aufzufangen. Am jenseitigen Gelände stehen rauchende Kohlenstätten, die ihr Rauchen und Rußen freilich auch an diesem Fronleichnamstage nicht unterbrechen konnten. Vom Kirchturme der Pfarre zum heiligen Michael klangen jetzt drei Glocken so hell und lustig, daß der Klachel den Spaß sagte: „Schau, schau, der heilige Michel jodelt uns schon entgegen.“
Die Dorfgasse war zu beiden Seiten mit frischen Birkenreisern geschmückt, das Kirchhofstor mit einem Tannenkranz geziert. Die Treppe hinan war schwarz von Menschen, darüber wehten rote Fahnen, und auf schwankenden Stangen ragten brennende Laternen. Vom Steinbühel her knallten Pöller. Unsere Altenmooser schlossen sich der betenden Gemeinde an. Am Fronleichnamstage bittet der Bauer den lieben Gott um ein fruchtbares Jahr und um Abwendung schwerer Gewitter. Was dem Vater das Kind, das ist dem Bauer das grünende Kornfeld – eine zitternde Freude.
Nach dem Gottesdienste kam der Stindel im Stein zum Jakob, der eben auf dem Kirchhof am Grabe seiner Vorfahren eine stille Andacht verrichtet hatte, und fragte ihn, ob er nicht mitgehen wolle zum Fleischhackerwirt, dort wären heute alle Altenmooser beisammen.
„Sollen sich nichts abgehen lassen“, antwortete der Jakob kurz. Er dachte sich’s nun, warum ihrer heute so viele aus Altenmoos nach Sandeben gekommen waren. Nicht die Kirchenfahnen hatten so sehr gewinkt, als vielmehr die Tausender des Knatschel, die gestern vorausgegangen. Ein Kirchgang nach dem Gelde.
Der Jakob sollte aber an diesem Tage auch einen anderen Ärger zu verwinden haben. Trat der Knatschel aus seinem weißgetünchten Holzhäusl, das er eben erst bezogen, ging auf den Reuthofer zu und sagte, das wäre schön vom Jakob, daß er auch einmal hervorkrieche aus dem ödweiligen Graben. Er, der Knatschel, könne heute zwar noch keine Einladung machen, es sei alles drunter und drüber und das Gesuch zum Weinausschänken fange erst an, beim Amt zu liegen. Aber einen guten Bekannten, wenn er sehen wolle, der Jakob! Er solle ein wenig mitkommen!
„Ein guter Bekannter?“ fragte der Jakob, „mag ja sein. Soll sich zeigen, wenn er was will von mir.“
„Wird nichts wollen von dir, denke ich“, sprach der Knatschel. „Wir haben ihn einsperren müssen, sonst wäre er gleich, wie er dich vom Fenster aus gesehen hat, davongelaufen. Und einholen wirst du den nicht; du hast zwar längere Füße, aber er jüngere.“
„Solltest von meinem Buben reden?“ fragte der Jakob, „ist er bei dir?“
„Mußt ihm’s nicht verübeln. Ist ihm halt auch langweilig geworden drin bei den Waldbären. Ist mir gestern nachgelaufen und hat sich hinten auf den Wagen gesetzt. Er geht nimmer heim, sagt er.“
„Alsdann werden wir ihn heimtragen“, sprach der Jakob.
„Da wirst du ihm wohl früher die Knochen zerschlagen müssen.“
„Schlagen werden wir nicht. Er soll herauskommen.“
Nicht lange hernach, und aus der Haustür des Knatschel schoß der Jackerl. Als er den Vater sah, stutzte er und duckte sich an die Wand. Die langen Haare hingen ihm wüst über das Gesicht, den Blick ließ er ein paarmal wild auf den Vater springen, die Fäuste hatte er geballt – so stand er da und stemmte den Kopf seitlings an die Wand.
Der Vater trat zum Knaben und sagte freundlich: „Jackerl, wir gehen jetzt heim.“
Der Junge rührte sich nicht.
Der Jakob wollte ihn am Arm nehmen, den riß er aus und kreischte: „Ich mag nicht!“
„Sei nicht störrisch, Kind!“
„Ich mag nicht heimgehen!“
„So sage mir, warum du nicht heimgehen willst!“
„Weil Ihr mich einsperren werdet!“ stieß der Knabe hervor und begann zu gröhlen.
„Aber du zwingst mich ja, dich zu strafen“, sagte der Vater. „Und ich tu’s, so oft es sein muß – drauf kannst dich verlassen.“ Aber gleich setzte er dazu: „Schau, Jackerl, du könntest es so gut haben wie der Friedel, der folgt in Güte. Du hast mir schon viel Kummer gemacht; ich soll dir’s gar nicht sagen, Kind, wie wehe es mir tut, daß ich dich strafen muß. Jackerl, schau, gib her die Hand, ich hab’ dich lieb. Und wie kannst du deinen Eltern davonlaufen! Deine Mutter hat die ganze Nacht Angst gehabt um dich.“
Eine Träne rann dem Jungen über die Wange, er schämte sich ihrer, strampfte den Fuß in den Erdboden und schrie: „Nein! Nein! Nein!“
„Also nicht?“
„Nein!“
„Hast du es deiner Mutter nicht versprochen, daß du ihr heut’ Haushüten helfen wirst? Und du willst nicht freiwillig mit mir gehen?“
„Ich werde gehen, aber allein. Ich laß mich nicht treiben!“
„Gut, versprich mir’s, Jackerl, daß du heute abends daheim sein wirst.“
Der Knabe schwieg.
„Ich brauche jetzt keine Gewalt, mein Kind“, sagte der Vater mit gedämpfter Stimme. „Ich will dir vor aller Leut’ Augen keine Schmach antun. Aber versprich mir, daß du heimgehst!“
„Das werde ich!“ stieß der Knabe heraus und strampfte die Erde.
„So sind wir jetzt miteinander fertig“, sagte der Jakob, dann ging er seines Weges. Er hatte ja auch an anderes zu denken an diesem Tage. Der Junge blieb noch eine Weile lehnen an der Wand und schloß die Augen und schloß die Fäuste.
Plötzlich lief er die Dorfgasse hinab und davon.
Aus dem Fleischhackerwirtshause, wo heute die Altenmooser zusammengekommen waren, um zu sehen, wie ein Millionär ausschaut, hörte man einen Gesang:
Was hat mein Vater ’dacht,
Daß er kan Herrn hat g’macht!
Wia war das Ding so fein,
Wann ih a Herr kunnt sein,
Geld in mein Beutel hätt’,
Bratel zum Essen hätt’,
Trinken kunnt Wein.
Und der Chor:
Widl, widl, widl, Geldel hätt’!
Widl, widl, widl Essen hätt’!
Widl, widl, widl Wein.
FRANZ, BLEIB’ DAHEIM!
Die Schirmbäume am Guldeisnerhof warfen ihre Schatten; sie warfen solche über die Felder hinab und sogar eine Strecke jenseits der Bergblöße wieder hinan, denn es war schon am späten Nachmittage. Drei Männer stiegen den Feldweg herauf gegen den Hof. Es waren der Sepp in der Grub, der Rodel und der Jakob vom Reuthofe. Sie waren der Verabredung nach zusammengekommen und heraufgegangen, jetzt wollten sie sehen, ob sie Glück hätten.
Der Hof bestand in zahlreichen Gebäuden. Ställe, Scheunen, Schoppen, Dreschtennen, Fruchtkästen und zwei Wohnhäuser, alles stattlich und in bestem Stande erhalten. Das eine kleinere Haus, welches schier versteckt unter Kirschbäumen stand, war das Ausgedingstübel, das jetzt keine Insassen hatte, weil keine Ausnehmer, keine „Alten“ vorhanden waren. Das andere, das große Haus, welches fast mitten in dem Kranze der Gebäude stand, aber doch so, daß es mit seinen vielen Fenstern frei in die Gegend aussehen konnte, trug an einer seiner Wände weiße Schußscheiben mit schwarzem Zentrum; der Guldeisner pflegte auf Scheiben zu schießen, wenn im Revier kein Reh war; und die Scheiben mit den Meisterschüssen ließ er sich selber zu Ehren an die Wand nageln.
Vor diesem Gebäude blieben die drei Männer stehen, um sich auszuschnaufen und hinzuschauen in das weite Land. Von keinem Hause in ganz Altenmoos hatte man eine so weite freie Aussicht, als vom Guldeisnerhof. Über die Waldbäume hinweg, die unten den Gesichtskreis engten, konnte von hier aus das Auge auf ferne Berge fliegen, die mit ihren weichen Linien in der Fremde draußen standen. Wenn dort die Sonne aufging, war es ihr erstes, daß sie dem Guldeisner zu den Fenstern hineinleuchtete in sein Bett, oder in die Kaffeeschüssel, wenn solche schon auf dem Tische stand. So gut hatten es die tiefer unten liegenden Häuser nicht; der Reuthof hatte gar keine Kaffeeschüssel, und ihre saure Milchsuppe mußten die Leute dort des Morgens im Schatten essen, während hier schon der goldene Sonnenschein lag.
„Ein schöner Platz ist’s, der da heroben“, sagte der Sepp.
„Das Getreide wird halt doch um acht Tage später zeitig, als unten bei uns“, entgegnete der Rodel.
„Hingegen ist es schwerer im Körndl“, meinte der Jakob.
„’s ist alles fester und körniger, was da heroben wachst. Wär’s mein, das Gut, ich wollt’s nicht verkaufen.“
Gegenüber dem Hause, am Holzschoppen-Kobel, stand mit versilbertem Halsbande geschmückt, der große schwarze Kettenhund. Er riß nicht an seiner Kette, er keifte und bellte nicht aufgeregt, wie die kleinen Kläffer, die an anderen Häusern hingen, er rasselte nur ein wenig und ließ in gemessenen Zwischenpausen ein würdiges Knurren hören.
Die Männer traten nun in das Haus und ohne viel Umstände in die große Stube. Da war niemand. Sie setzten sich an die Wandbank und der Sepp und der Rodel stopften ihre Pfeifen an. Der Jakob rauchte nicht, er schaute für sich in der Stube umher und dachte: Schöner, als die meinige, ist sie nicht. Aber größer ist sie. Tische stehen hier zwei, weil einer für die vielen Leute zu klein wäre. An der Stubenecke sind die Heiligenbilder nicht anders, wie bei mir. An der Wand bei den Tischen in Lederheftlein herum stecken die Löffel nicht anders, wie bei mir. Nur ihrer viel mehr. Sechsundzwanzig Löffel, und große! Das braucht was, jeden Tag in so einem Haus! Sechsundzwanzig Löffel! und was sie erst mit der Gabel essen! Und mit den Fingern! Und was sie trinken! Schlecht, hört man, wird nicht gelebt beim Guldeisner. Er selber versteht’s und seinen Leuten gunnt er auch was. Soll unter seinem jungen Gesinde ja viele nahe Verwandte haben, der Guldeisner. – Na, ist recht.
So waren sie da und dachten ihr Teil und warteten in der geräumigen Stube. Alle Fenster waren geschlossen, und daß die Luft in solchem Raume etwas mürfelt, das bemerkt ein Bauer nicht. Die alte langweilig tickende Wanduhr hinter dem massigen Kachelofen zeigte schon die siebente Abendstunde. Von den gegenüberliegenden Waldbergen leuchtete das Sonnengold noch so hell zurück und zu den Fenstern herein, daß in der Stube eine grünliche Dämmerung war.
Jetzt kam von der Küche herein eine runde Magd mit feingeflochtenen Haarzöpfen, freundlichen Augen und frischer Gesichtsfarbe. Sie bedeutete den Männern, wenn sie etwa bei dem Guldeisner was zu schaffen hätten, so sollten sie so gut sein und ein klein wenig warten, dann möchten sie ins Stübel kommen. Er sei just aufgestanden.
Als die Magd hernach wieder zu ihrem prasselnden Herdfeuer hinausgegangen war, schmunzelte der Sepp, und sein Schmunzeln sagte mehr als sein Wort: „Das ist sie gewesen.“
„Schau einmal zum Fenster hinaus“, sagte der Rodel und tastete in die Luft hinein, „dort beim Brunnen steht auch eine!“
„Richtig!“ sprach der Sepp, „eine säuberer, wie die andere. Diese schwarzen Augen! Die sind schwärzer wie der Teufel!“
„Und leicht auch gefährlicher!“ meinte der Rodel.
„Und im Garten dort steht auch noch was!“ sagte der Sepp.
„Meiner Seel’!“ rief der Rodel, „das ist erst die Schönste! Salat begießen tut sie. Herrschaft, bei der ihrem Begießen muß es gut wachsen sein!“
„Ihre Kittel tragen da heroben die Weibsbilder nicht allzu lang. “
„Macht aber nichts, haben keine zerrissenen Strümpfe an.“
„Haben halt gar keine an.“
„Der Guldeisner hat’s gern so, essen mögen seine Weiberleut’, so viel sie wollen, aber mit dem Gewand sollen sie sparsam sein, wird er halt meinen.“
„Tut’s eh leicht, wenn’s schön warm ist.“
So tratschten sie, auch Männer können es, wenn sie Langweile haben. Der Guldeisner war unverheiratet, wußte die fleißigsten und frischesten Dienstboten in seinem Hof zu versammeln, und so ging die Arbeit allzeit munter von statten.
„Das ist halt das Schlimme!“ sagte nun der Jakob mit einem schwermütigen Atemzug.
„Was meinst, Nachbar“, fragte der Rodel, „der Sparsamkeit mit dem Gewand wegen?“
„Wenn er Kinder tät’ haben, der Guldeisner, rechtmäßige Kinder, er wäre festgenagelt an sein Haus und Grund.“ So der Jakob.
Dann kam die Magd wieder: Jetzt könnten sie schon ins Stübel gehen.
„In Gottesnamen!“ sagte der Rodel und zwinkerte mit dem einen Auge, das er hatte, „packen wir ihn an.“
Und sie gingen in das Nebenstübel, das voller Sonnenlicht war, weil das große blanke Fenster gegen Sonnenuntergang hin stand. Und wie vornehm eingerichtet! Am Fenster rosenrote Vorhänge, die an einem Eisenspänglein zum Verschieben waren. An den Wänden, über alten kunstvoll geschnitzten Schränken, Porzellankrüge und Teller, gegenüber der Tür ein Spiegel übergeneigt an der Wand hängend, so daß die Eintretenden darinnen ihre eigenen Füße wie über einen schiefen Fußboden herabsteigen sahen. Ferner an der Wand ein paar vielgabelige Hirschgeweihe, ein Schießgewehr und ein Weidmesser. Auf Bett und Stühlen war die grauenhafteste Unordnung, und der Guldeisner saß in Hemd und Unterhose an dem unbedeckten braunen Tischchen und schlürfte just seinen Morgenkaffee, wobei er das Gesicht in die Schale steckte, so daß die Eintretenden von seinem Kopfe nichts sahen als den schwarzen wirren Haarwust.
„Geht’s nur her, Nachbarn!“ rief er mit schnarrender Stimme noch zuhalb in das Kaffeegefäß hinein. Als er dieses endlich pfusternd auf den Tisch gestellt hatte, sah man den Altenmooser Großbauer von Angesicht zu Angesicht. Auf breiten Achseln saß kurz- und dickhalsig ein runder Kopf. Üppiges verfilztes Haar, kleines Gesicht mit stark vorstehenden Wangen- und Backenknochen, buschige Augenbrauen, große schwarze und unruhige Augen, plumpe Stumpfnase, an der sich die Nüsternflügel weit aufzogen, wenn er in Erregung kam. Das einzige, was an dem Manne wohlgepflegt war, mußte wohl der Schnurrbart sein; der war so kohlrabenschwarz, daß man ihn für gefärbt hätte halten können, war so dicht und kurzgeschnitten und mit dem Schermesser scharf abgegrenzt, daß es aussah, als hätte der Guldeisner zwischen Mund und Nase ein wulstiges Filzlein geklebt. Alles übrige war sorgfältig rasiert, was an der sonst ungefügen und verwahrlosten Gestalt das einzige Anzeichen gab, daß der Mann kein gewöhnlicher Waldbär sei. Er war in der Tat ein ungewöhnlicher.
„Geht’s her, geht’s her!“ schnarrte er mit seiner breiten, fast schmetternden Stimme; man merkte gleich, der Mann war gewohnt, scharf in die Welt hinein zu reden, ohne die Worte viel zu mustern.
„Man kennt sich frei nicht aus“, bemerkte der Sepp in der Grub, „stehst erst auf, Nachbar, oder gehst schon schlafen.“
Er stand freilich erst auf, und ein Guldeisner kann die Tageszeiten umkehren wie er will, darüber hat er niemandem Rechenschaft abzugeben. Er überhörte also die Bemerkung. Sie sollten die Hosen, Leibeln und Pfaiden von den Stühlen werfen und sich selber draufsetzen, war sein Rat, den die drei Männer sofort auch befolgten. Hierauf griff er, ohne sich von seinem Sitze zu heben, mit einer langen Hand ins Wandkastel, nahm einen Tonplutzer hervor, schenkte daraus drei Stengelgläschen voll und rief: „Mögt’s ein’ Schnaps?“
„Du kannst dir’s halt anschicken, da heroben“, sagte nun der Rodel einlenkend, nachdem er ein paarmal mit der Hand in die Luft gefahren war, als wollte er Fliegen fangen, „du laßt dir nichts abgehen auf deinem Berg, und recht hast. Ich tät’s auch an deiner Stell’, gunn’ dir’s. Du kannst besser leben, als wie etwan so ein Kampelherr, der im Land umfährt, um sein Geld loszukriegen, sich damit wohl Bauernhäuser kaufen kann, aber nicht das Ansehen und die Altgesessenheit vom Guldeisnerhof!“
„Hei, der Kampelherr!“ schmetterte der Guldeisner lachend hervor.
Der Sepp blies von seiner Pfeife rasch nacheinander Rauch aus. „Die neueste Lug’“, sagte er dann und paffte wieder, „die neueste Lug’, die in Altenmoos umgeht, hast sie schon gehört, Nachbar? Wird dir Spaß machen.“
„He, Lug’? So!“ schnarrte der Großbauer.
„Ja, ja! Sie sagen, der Guldeisner wollt’ sein Haus verkaufen, sagen sie.“
„Sagen sie das?“ lachte der Guldeisner laut.
„Es wird nicht wahr sein“, sprach nun der Jakob.
„Warum soll’s nicht wahr sein?“ schnauzte ihn der Großbauer an. „Morgen laß ich einspannen und fahr’ nach Sandeben zum Kampelherrn. Ein Narr müßt’ einer sein!“
„Nachfahren?“ sagte der Sepp, „nachfahren wollt’ ich ihm nicht. Wenn ich Guldeisner wär’, schon gar nicht. So viel ich weiß, ist der Guldeisner noch keinem Bauern und keinem Herrn nachgefahren. Wenn der Herr was will, so wird er schon selber kommen.“
„Ein Guldeisner weiß, was sich schickt“, sagte der Großbauer, erfaßte eines der Gläschen, die er für die Gäste vollgeschenkt hatte und goß dessen Inhalt in seine eigene Gurgel.
Jetzt nahm der Jakob das Wort und sprach: „Nachbar, du machst Spaß. Deinen Hof verkaufst nicht. – Wenn unsereiner Kleinbauer sein klemmiges Gütel weghaben wollt’ – Gott hüt’ mich vor dem Gedanken! – es wär’ zu begreifen. Aber du, der in diesem Gebirg seit altersher angestammt besser und freier lebt, als wie ein Graf; du, den alle gern haben weit um, dem alles nach Wunsch und Willen geht, vor dem sich – ich möcht’ sagen – jeder Baum voll Achtung neigt und jeder Stein schier selber aus dem Weg springt – du dein Gut verkaufen, auswandern! Nein, Guldeisner, das ist nicht. Das ist nicht.“
„Das ist nicht?“ fragte der Großbauer und trommelte mit den Fingerknöcheln auf dem Tisch. „Es wird wohl doch schier sein. Ein Bauerngut mag noch so gut stehen, es macht Sorg’ und Ärger. Was soll ich mich sorgen und rackern im Gebirg? Ich hab’s nicht not. Ich zieh’ mich ins Freisingtal hinaus, hab’ keine Scherereien mit den Dienstboten und Nachbarsleuten, wo doch alle Augenblick einer betteln kommt, der eine um Holz, der andere um Kornsamen, der dritte um Heu oder Stroh, der vierte um Fuhrwerk, der fünfte um Handwerker, was weiß ich! Und die Plackereien mit dem Steueramt – alle Jahr anders, alle Jahr mehr ohne Ziel und End’. Und fortweg die Kümmernis: im Frühjahr um Regen, zur Mahdzeit um schön’ Wetter, zum Krautsetzen wieder um Naß, nachher um Wind, daß das niedergeweikte Korn wieder aufsteht; und blüht das Korn, soll Windstille sein, ist der Schnitt, soll die Sonne scheinen, ist im Herbst das Winterkorn im Keim, soll gleich Schnee drauf fallen, ist’s im Winter zum Holzschleifen, will man Schlittenbahn haben – alleweil ganz und gar abhängig vom wetterwendischen Herrgott! Ein Narr müßt’ einer sein!“