Kitabı oku: «Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus», sayfa 3

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VON WALD UND TIER GEPRÄGT
Verantwortung

Direkt hinter dem Gutshof, in dem wir zuoberst wohnten, erstreckte sich der Hochwald mit für mich seltenen Geheimnissen. An einer ganz bestimmten Stelle, höher gelegen zwischen alten Buchen, ein steiniger, niedriger, mit Moos bewachsener Wall. Neugierig rollte ich einen der größeren Steine zu Seite und erschrak: Etwas Gelb-schwarzes glotzte mich aus kugelrunden, dunklen Augen an. Statt zu fliehen, fiepte es, vermischt mit einem hellen Knurren. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und schob es mit der anderen auf meine Handfläche. Das kleine Wesen musste ich meinem Vater zeigen. Es machte immer noch keine Anstalten, weg zu laufen. In meiner Handkugel beschützt, eilte ich den Hang hinunter nach Hause. Stolz zeigte ich Vater meine Entdeckung. Er runzelte die Stirn und klärte mich auf: Ein Feuersalamander, streng geschützt, die Haut scheide ein Gift aus, deswegen nie anfassen! Vorsichtig nahm er ein Geschirrtuch, wickelte das winzige Reptil hinein, und gemeinsam brachten wir es wieder an den Fundort, den ich mir gemerkt hatte.

Jahre später, als einige Kinder in meinem Kinderheim von Salamander-Schuhen schwärmten, erzählte ich ihnen diese Geschichte und prahlte damit, diesen Fundort wieder zu finden.

„Das wollen wir sehen“, forderten sie mich heraus.

An einem Wochenende darauf fuhr ich mit zwei Mädchen und zwei Jungen in das Weserbergland bei Trendelburg, führte sie zu der Stelle und – tatsächlich fanden wir unter demselben großen Stein mehrere Feuersalamander.

„Cool. Sind die süß!“ Anerkennendes Schulterklopfen.

Es faszinierte mich, mit meinem neuen Vater an einem mit Wasser gefüllten Bombentrichter aus dem zweiten Weltkrieg den Unkenrufen zu lauschen, die wie fernes Glockengeläut aus der Tiefe des Kraters drangen, geheimnisvoll und spannend zugleich. Mein Vater liebte den Wald mit seinem würzigen Geruch nach Harz und feuchtem Moos, nach vermodertem Holz und frischem Grün. Und seinen Früchten, die besonders in der Nachkriegszeit gefragt waren: Pilze aller Arten, Bucheckern, Brennnesseln als Spinat, Blau-, Preisel-, Himbeeren, wilde Erdbeeren zwischen alten, nicht mehr befahrenen Bahngleisen und Holunderblüten im Mai, aus denen meine Mutter erfrischende Limonade zauberte und Marmelade aus den Holunderbeeren im Herbst.

Ich habe Vaters bitterenttäuschte Mimik gesehen und mitgelitten: Er briet siegesgewiss selbstgesammelte Steinpilze in Butter, einen prallgefüllten Rucksack voll. Nach dem ersten Bissen wurde alles im Mülleimer entsorgt: Bitterpilze! Sie sehen den Steinpilzen zum Verwechseln ähnlich.

Als ich auf einem großen Wasserfass sitzen durfte, mit Sirup gefüllt, und handflächenweise diese klebrige Masse herausangeln und schlecken konnte, war die Welt für mich in Ordnung.

„Der Junge braucht einen Spielkameraden, als Einzelkind wird er verwöhnt! Vielleicht ein Schwesterchen? Dann kann er gleich üben, Rücksicht auf Kleinere oder Jüngere zu nehmen.“

Schnell wurde der als Sehnsucht empfundene Gedanke meiner Mutter in die Tat umgesetzt. Das Jugendamt stellte ein neun Monate junges Mädchen vor, zur Freude meiner Mutter, weil es nicht so fordernd sein würde wie ich, hoffte sie.

Sie war der Sonnenschein unserer Familie, fünf Jahre jünger als ich, moppelig, pflegeleicht. Sie hing an mir, ihrem großen Bruder. Den Gedankenblitz wischte ich zur Seite, dass sie eine Konkurrentin sein könnte. Ich war mir der uneingeschränkten Liebe meiner Eltern trotz meiner Wildheit sicher, in der ebenfalls Platz für meine kleine Schwester sein würde.

Um zu uns gelangen zu können, musste jeder Besucher die Verschachtelung vieler Treppen überwinden, bis er zur sogenannten Falltreppe kam, die in Ermangelung eines Geländers Abstürze provozierte. Darüber wurde später ein Film gedreht: „Die Falltreppe“ mit Ralf Wolter, bekannt als Sam Hawkens-Darsteller in den Winnetou-Filmen. Er spielte meinen Vater und Arnim Dahl doubelte als Stuntman den Versicherungsvertreter, der die Falltreppe hinunterstürzen musste. Nach drei Treppenstürzen war die Szene im Kasten.

Ein Jahr später zogen wir um in die Lüneburger Heide, nach Knesebeck, in ein ehemaliges Forsthaus, mitten in einem großen Waldgebiet, genannt ‚Junkernholz‘, vier Kilometer abseits des Dorfes.

Hier hatte mein Vater sein eigenes Zimmer, in dem er seine Bücher schrieb und seine Texte für Rundfunk und Fernsehen verfasste. Ganz links ein Kanonenofen, an dem ich lernte, wie man mit Reisig und harzigen Tannenzapfen, Minuten später mit Briketts eine angenehme Wärme erzielen konnte. Halblinks ein großer Schreibtisch, mit Bleistiftstummeln in Bleistifthaltern, Radiergummis, eine Adler-Schreibmaschine, Durchschlagpapier, Tischlampe, alter runder Eichenstuhl, rechts flache, gepolsterte Liege als Bett, Stehlampe.

Der Wald verführte mich zu jeder Jahreszeit. Wenn die Sonne stärker war als der Schnee, die ersten Schneeglöckchen und Krokusse und wiederkehrenden Kraniche den Frühling ankündigten, trieb es mich, den Staub aus den jungen, weichen Haselnusslämmchen zu stupsen, die Veilchen und ein wenig später die Schlüsselblumen als Frühlingsboten für meine Mutter zu pflücken. Das junge Grün der Birken und Buchen, die sich entfaltenden Königsfarne, der hämmernde Specht an knorrigen Kiefern und die Kuckucksrufe lockten mich in die Geheimnisse des Hochwaldes. Wenn ich Rehe und Hirsche in ihren Einständen beobachtete, mit Herzklopfen zu den sich suhlenden Wildschweinen im Schutz der Farnkräuter robbte oder mich ihrem Kessel mit den drolligen Frischlingen näherte und, dem Warnschnaufer der Bache gehorchend, mich schleunigst zurückzog, dann lebte ich glücklich in meiner Welt.

„Eine Welt, in der alles in Ordnung scheint, in der alles seinen Platz hat zum Wohle des Ganzen“, wie mein Vater es mir in Gegenwart seines Schriftstellerfreundes Manfred Hausmann vermittelte, als dieser ihm seine neuste Erzählung über den besten Fahrer von Edinburgh präsentierte und mir meine erste Angel mit stationärer Rolle schenkte.

Micki, unsere Airdale-Terrierhündin, und ich saßen fast täglich an der Ise5, beobachteten Barsche und Hechte, die im klaren Wasser auf Beute lauerten.

Neunaugen faszinierten mich, weil sie sich an größeren Fischen festsaugen, sich Blut und Fleischstücke einverleiben. Spezielle Substanzen in ihrem Speichel hemmen die Blutgerinnung, weshalb bei angegriffenen Fischen keine Blutgerinnsel entstehen. Forscher extrahieren diese Substanz, um sie in der Medizin als Mittel zur Auflösung von Blutgerinnseln zu nutzen.

Flusskrebse am Uferrand waren leicht zu fangen. Als Vater sie aber lebendig ins kochende Wasser warf, um das weiße Schwanz-Fleisch und das der Scherenmuskeln essen zu können, taten sie mir leid. Ich fing keine mehr.

Die Miesmuscheln übten einen besonderen Reiz aus, weil ich hin und wieder eine Muschel mit einer Perlmutt-Perle zur Freude meiner Mutter fand.

Bald wusste ich, mit welchen Ködern man Forellen oder Hechte fangen konnte. Bei Hochwasser war die Ausbeute gut, weil Karpfen und Aale versäumt hatten, sich mit dem abfließenden Wasser in das Flussbett zu retten.

Satte, Champion reiche Kuhweiden links und rechts der Ise sorgten im Altweibersommer für zentnerschwere Pilzmahlzeiten. Allerdings war höchste Vorsicht geboten: Vorwitzige Knollenblätterpilze, mit denen nicht zu spaßen ist, gesellten sich nahe des Waldrandes zwischen die Wiesenchampignons.

Als ich als Zwölfjähriger diesen entsetzlichen Traum hatte, stand für mich fest: Tiere werden nicht gequält!

Ich hatte einen Tag zuvor bei meinen Streifzügen durch den Wald einen riesigen Ameisenhaufen entdeckt. Vater hatte in einem dieser Haufen mit nacktem Po gesessen, um durch die Ameisensäure die Schmerzen an seiner Bandscheibe besser ertragen zu können.

Dicke Waldameisen krabbelten an meinen nackten Beinen empor, weil ich zu nahe an ihrer Wohnung stand und Arbeitswege blockierte. Als ich herumhampelte und versuchte, die Ameisen wegzuschlagen, bissen sie. Ich packte mir einen Ast und zerstörte den ganzen Haufen.

„Das habt ihr davon. Warum beißt ihr mich?“, begründete ich mein Tun und lief weiter durch den Wald zur Ise, um die schmerzenden Bisse zu kühlen.

Nachts im Traum kamen sie. Sie krabbelten unter meine Bettdecke, an meinen Beinen hoch. Mit jedem Biss erinnerten sie mich an meine blöde Tat. Es war so schlimm, dass ich mich auf die Decke legte, um nicht mehr gepiesackt zu werden.

Als Vater aus seiner Dichterklause zum nahen Waldrand blickte, sah er mich. Ich stand am Maschendrahtzaun und redete mit den fünf Gänsen. Einerseits fand ich sie toll, weil sie lecker schmeckten. Andererseits versuchten sie mir immer in die Hacken zu beißen, wenn sie frei herumliefen und ich mit meiner Mundharmonika auf dem Weg zum Klo war.

Das Plumps-Klo, ein Donnerbalken aus breiten Brettern mit einem Loch, war in einem der vier Schuppen untergebracht. Um dahin zu kommen, musste ich am offenen Gänsegehege vorbei.

„So, jetzt zeig’ ich’s euch, ihr kommt zwar sowieso bald in die Pfanne, vorher kommt die Strafe!“

Ich bewarf sie zielgenau mit Steinen. Sie flatterten schnatternd durchs Gehege und versuchten, meinen Würfen auszuweichen.

„Peter! Sofort aufhören! Komm in mein Zimmer!“

Oha, dachte ich, seine Stimme klingt so zornig. Hat er was? Ich hüpfte die Treppe hinauf, klopfte an seine Arbeitszimmertür. Ein hartes „Herein“ hätte mich warnen sollen.

Da saß ich auf seinem Diwan, zwischen uns sein riesengroßer Arbeitstisch. Er thronte auf seinem Uralt-Stuhl und sah mich strafend an.

„Warum habe ich dich gerufen?“, fragte er mit milderer Stimme.

„Weiß nich.“

„Wie, du weißt es nicht? Du hast Gänse gequält. Mit Steinen beworfen! Habe ich gesehen!“

„Klar, die beißen mich ja immer. Meine Rache!“

Mein Vater legte seine Stirn in Falten, ein Zeichen, angestrengten Denkens.

„Komm’ mit“, befahl er mir.

Ich wunderte mich, als er auf dem Weg zum Gänsegehege Steinchen sammelte.

Ich dachte, er wollte die Biester auch bewerfen.

„Stell’ dich an den Zaun!“

Und ehe ich mich versah, bewarf er mich. Einige gingen daneben, zwei trafen mich. Sie taten weh. Ich hob die Hände vors Gesicht, total erschrocken.

„So erging es den Gänsen auch!“

Er drehte sich mit versteinerter Miene um und ging ins Haus. Ich kramte meine Mundharmonika aus der Hosentasche und verschwand auf dem Plumps-Klo. Es kann sein, dass er mir an seinem geöffneten Fenster zugehört hatte, als ich heulend spielte: „Wenn ich ein Vöglein wär’ …“

Besonders als pubertärer Jugendlicher habe ich die Macht und Vergänglichkeit der Allmutter hautnah in mich eingesogen. Zutiefst prägten mich die jahreszeitbedingten Düfte, die immer neu erwachenden und absterbenden Pflanzen, das Treiben der Tiere und die Verwertung von Flora und Fauna. Genau dieses Gefühl, im Einklang mit der Natur zu sein, von ihr zu lernen, sie zu achten, sie zu schützen, sie zu nutzen, wollte ich zu meiner Lebensaufgabe machen. Förster war mein Traum. Nach ersten Erkundigungen wurde mir erklärt, dass man als Förster ein ausgezeichnetes Gehör besitzen müsse und als Brillenträger kaum eine Chance hätte. Aus der Traum. Pastor ging auch nicht, wegen des Zölibats.

Wie das Leben so spielt, wurde ich Sozialpädagoge. Nach Jahren pädagogischer Bildungsarbeit gründete ich mein eigenes, privates Kinderheim. Als ich den Jugendämtern meine Idee vortrug, gerade die Kinder und Jugendlichen aufnehmen zu wollen, die in Pflegefamilien oder anderen Einrichtungen nicht mehr ‚tragbar‘ seien, schmunzelte man und vermittelte mir äußerst schwierige Jugendliche.

Jugendliche, die vielfältigen Methoden pädagogischer Art ausgesetzt waren – ohne positive Verhaltensänderungen, benötigen eine andere Pädagogik, schlussfolgerte ich damals, nachdem ich während meines Praktikums in einem von Ordensschwestern geführten Heim für Schwererziehbare tätig gewesen war und erlebt hatte, wie Jungen in der Natur aufblühen: Erstens werde ich im Heim mit den Kindern leben, wie die Nonnen, und zweitens wollte ich meine Empfindungen zur Natur als Maßstab meiner Pädagogik machen, ein Leben unter Einbindung der Natur und ein Leben mit Musik.

Thomas. Vierzehn Jahre alt, heimerfahren, galt als hyperaktiv, übernervös, konnte keine Minute still sitzen. Die weiblichen Mitarbeiterinnen hatten keine Ahnung, was sie mit solch einem Jungen anstellen könnten. Matschen im heimeigenen Matschraum fand er blöde, reagierte aggressiv gelangweilt, klaute Zigaretten und besorgte sich Alkohol. Höchste Zeit, ihn loszuwerden:

„Er steckt alle anderen Kinder mit seinen Verwahrlosungstendenzen an“, wie in seiner Akte dokumentiert war.

Er war eine Woche bei mir.

„Unsere Frettchen brauchen frisches Fleisch“, ermunterte ich Thomas, „kommst du mit, ich muss ein Kaninchen schießen, weil die Frettchen heiß darauf sind!“

Er schaute mich fragend an. Eine halbe Stunde später saßen wir an der Ems.

„Die Emsdeiche wurden regelmäßig unterhöhlt, deswegen müssen wir Jäger die Kaninchen kurz halten, wir wollen ja nicht, dass die Deiche bei Hochwasser brechen“, erklärte ich ihm.

Ich zeigte auf einen Kaninchenbau, zwanzig Meter entfernt, und deutete ihm an, ganz still zu sitzen.

„Wenn du ganz ruhig im Gras sitzen bleibst und dich nicht bewegst, kommt bestimmt eins heraus!“

Ich stellte mich hinter einen Baum mit Blick auf ihn und den Bau. Er saß im Gras, die Mücken schwirrten um ihn herum, er wehrte sie nicht ab, saß unbewegt, den Bau beobachtend. Nach fünfzehn Minuten hoppelte ein Jungtier heraus. Ich schoss. Es lag im Gras. Thomas sprang auf, um es zu holen.

„Es zappelt ja noch“, wunderte er sich.

„Das sind die Nerven. Nimm es an den Hinterläufen hoch.“

Er nahm das tote Tier vorsichtig aus dem Gras, streichelte das Köpfchen und trug es zum Auto. Er sah, dass mich der Tod des kleinen Geschöpfes mitnahm.

„Den Frettchen wird es schmecken“, schluckte er.

Zuhause zerwirkten wir es und gaben es den Frettchen. Abends berichtete ich im Familienrat von diesem Ereignis und der Tatsache, dass Thomas über eine viertel Stunde absolut unbeweglich im Gras gesessen hätte, ein Junge, den man wegen seiner Hyperaktivität abgeschoben hatte!

Er und die anderen Jungen nahmen als „Edeltreiber“ an unseren Treibjagden teil, rupften Wildenten, die sie gewinnbringend an Restaurants veräußern und damit ihr Taschengeld aufbessern konnten, sie hängten Jagdtrophäen, von Jägern geschenkt, oder Abwurfstangen in ihren Zimmern auf und genossen dieses naturnahe Leben.

Wenn sie allein nachts an unserem Angelteich am Lagerfeuer saßen, dem Quaken der Frösche lauschten oder den jungen Nutrias zusahen, wie sie sich um die frischen Maiskolben stritten, waren sie glücklich. Und wenn ich sie nachts um halb drei besuchte, weil ich sicher sein wollte, dass es ihnen gut geht, ihnen frische Brötchen bei Sonnenaufgang servierte, und ihre strahlenden Augen sah, wusste ich, dass diese Pädagogik menschlich und klug war: Sie baute auf gegenseitiges Vertrauen, respektierte abenteuerhafte Elemente, setzte angemessene Grenzen, die eingehalten wurden, eröffnete Freiräume und stärkte das Selbstwertgefühl. Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung!

Mit dem Ergebnis, dass die Mädchen an dieser abwechslungsreichen Lebensgestaltung teilhaben wollten, wie die Jungen. Sie hatten keine Lust darauf, immer nur am Wochenende mit den Erzieherinnen ins Hallenbad oder die Eishalle zu fahren und forderten naturnahe Abenteuer.

Hundevernarrt

Micki, eine Airedale-Terrier-Hündin lag zu meinen Füßen und hörte mir zu. Sie verstand mich. Egal, wo ich war, immer begleitete sie mich. Auch zum Baden in der Ise. Sie hatte Bekanntschaft mit den Kühen gemacht. Zuerst war sie erschrocken, die Rinder ebenfalls. Beim dritten Treffen näherten sie sich einander, beim vierten rieben sie Nasen an Nasen. Manchmal glitt die raue Kuh-Zunge über Mickis Gesicht, so sehr mochten sie sich.

Mutter hatte mir verboten, den Hund am Tisch zu füttern. Ich saß im Esszimmer und verspeiste die leckeren mit Wurst belegten Scheiben. Micki saß neben mir auf seinen Hinterbeinen, den Kopf in Tischhöhe, die Knopfaugen bettelnd. Dem Blick konnte ich nicht widerstehen. Eine zusammengeklappte Scheibe wechselte den Besitzer. Sie schnüffelte, ob wohl keine Tablette dazwischen versteckt sein würde, und begann zu kauen. In diesem Augenblick betrat meine Mutter das Zimmer.

Erschrocken zuckte ich zusammen. Micki hörte sofort auf zu kauen.

„Du gibst ihr doch wohl nichts ab?!“

„Nein, Mutti, ich doch nicht!“

Kaum hatte meine Mutter das Zimmer verlassen, kaute Micki weiter. Wirklich.

Ich meinte, sie lächeln zu sehen, als sie die Scheibe Brot samt Leberwurst mit Genuss zerkleinerte.

Erika, die begnadete Landschafts- und Blumen-Malerin, lebte in einem Haus, umgeben von unendlich vielen Blumen, auf halber Strecke zwischen unserem Haus und dem Dorf. Ihr großer, zotteliger Bernhardiner liebte es, meiner kleinen Schwester Angst zu machen. Wenn wir beide an seinem Grundstück, das er zu bewachen hatte, vorbei fuhren, sie zur Grundschule, ich zum Bahnhof, bellte er tief und drohend. Ich beruhigte sie und sagte, dass er ihr nichts tun würde. Außerdem sei das Tor verschlossen.

An einem Wintertag, es hatte kräftig geschneit, zog ich meine Schwester auf dem Schlitten hinter mir her. Es war am Morgen, so gegen halb sieben Uhr. Wir näherten uns dem Grundstück. Plötzlich sah ich den Hund. Er sah uns. Er lief am Zaun entlang Richtung Ausgang. Das Tor ist ja zu, dachte ich. Plötzlich kam er mir schnurstracks entgegen, der Pulverschnee stob auf, machte einen Bogen um mich und bremste abrupt, die Vorderläufe in den Schnee gerammt:

„Wauwuffwuff!“

Meine Schwester fiel vor Schreck vom Schlitten.

Der Bernhardiner drehte sich ab und trottete wieder zurück. Ich meinte, sein Lachen gesehen zu haben.

Menschen, die Tiere mögen, können nicht schlecht sein, sagt man. Das muss wohl auch Coco empfunden haben. Er musste ins Heim, seine Mutter wollte es auch, weil sie mit ihren vier Kindern als Alleinerziehende total überfordert war und Hilfe einforderte, so der Vermerk des Jugendamtes.

Beide saßen im Wohnzimmer, Mutter mit verheultem Gesicht, Sohn Coco, gerade mal 10 Jahre alt, begriff die Welt nicht mehr. Hier sollte er bleiben, weit weg von seiner Mama? Niemals! Er umklammerte ihr Bein, versteckte sein Gesicht hinter ihrem Rücken. Als ich die beiden sah, eine Einheit, die zerrissen werden sollte, und die Erklärungsversuche der Mutter hörte, von denen ihr Sohn nichts wissen wollte, fühlte ich mich total fehl am Platz. Ich holte Minka und Bessy, zwei Große Münsterländer-Hündinnen, die vom Welpen-Alter an in unserer Einrichtung als Spielgefährten der Kinder lebten, und ließ sie, wie aus Versehen, in das Wohnzimmer.

Ich sah, wie die Hunde den Jungen mit seiner Mutter freudig stupsten, beide ausgiebig beschnüffelten und sich streicheln ließen. Ich verließ das Zimmer.

Nach einer halben Stunde kam die Mutter in die Küche und erklärte, dass ihr Sohn bei uns bleiben wolle.

Coco absolvierte die Hauptschule und eine Berufsausbildung mit Bravour. Er legte sich, aus der Heimerziehung entlassen, einen Terrier-Welpen zu, den er zu seiner Arbeitsstelle mitbringen durfte.

„Jagd ohne Hund ist schund“, heißt es in Jägerkreisen. Als Jungjäger, der gerade die Jägerprüfung bestanden hat, wurde ich zur Treibjagd im Münsterland auf Niederwild eingeladen. Das Treffen der Jäger mit ihren Jagdhunden war auf einem Bauernhof. Während der Begrüßung durch die Jagdhornbläser bemerkte ich einen ‚mitsingenden‘ Jagdhund, einen ‚Kleinen Münsterländer‘, schwarz-braun, in einem Zwinger auf seinen Hinter-Läufen sitzend. Der Zwinger, zwei bis drei Quadratmeter groß, ohne Auslauf, windschiefe, verrottete Hütte, verdreckte Wasserschale. Der Hund hockte in seinen Fäkalien und guckte traurig zu uns hinüber. Ich spürte einen schrecklichen Stich, als ich dieses Elend begriff. Und ich traute mich nicht, etwas zu sagen, den Halter anzugreifen, ihn zur Rede zu stellen, dieses Martyrium des Hundes zu beenden. Ich schwieg, ich wollte ja wieder eingeladen werden. Ich schämte mich meiner Feigheit.

Einige Tage später erfuhr ich, dass ein Jäger verstorben sei und seine Frau einen Jagdhund abzugeben hätte. Meine Frau, ebenfalls Jägerin, und ich besuchten den Hund, ein großer Deutsch-Langhaar-Rüde. Er sah uns Rute wedelnd aus glanzlosen Augen an. Sein ein Quadratmeter kleiner Zwinger mit einer kleinen Hütte war total verdreckt. Sein stumpfes Fell ließ nichts Gutes ahnen: Keine Impfungen, keine Wurmkur, nichts. Der Hund ist nur zur Jagd aus dem Zwinger geholt worden. Wir verfluchten diese Jäger und nahmen uns vor, nie wieder zu schweigen.

Chico lebte von nun an in unserem Kinderheim, gedieh prächtig und schüttelte den Kopf, wenn er neben mir bei der Taubenjagd saß und feststellte, dass Herrchen mal wieder vorbeigeschossen hatte. Frauchen zog er einen von ihr erlegten Rehbock aus den Brennnesseln, so stark war er, so aktiv, eben ein leidenschaftlicher Jagdgehilfe.

Nach Jahren lag er in der Küche und schnappte nach vorbeieilenden Kindern. Wir wunderten uns, weil er das nie getan hatte. Schnell begriffen wir, dass ihm der Rücken zu schaffen machen musste, denn er sprang auch nicht mehr in den Kofferraum des Geländewagens. Der Tierarzt bestätigte unseren Verdacht.

Eine Goldkugel-Implantation am Rückgrat, vereinfacht ausgedrückt, beendete sofort die Schmerzen. Chico war wieder der alte.

Ihm zum Vergnügen und den Kindern als Spielkameradin kauften wir einen Airedale-Terrier-Welpen, und tauften sie auf den Namen Kaja. Sie wuchs heran, tollte mit den Kindern um die Wette und beteiligte sich an der Erziehungsaufgabe. Sie knurrte böse, wenn zwei Jungen sich ernsthaft prügeln wollten oder gab Laut, wenn sie beim Angeln an der Ems waren und Fremde hinzukamen. Sie vertrieb Nutrias oder Wanderratten, die den Anglern zu nahe kamen.

Als beide älter und ruhiger wurden, kauften wir einen zur Jagd ausgebildeten Jagdhund, eine ein Jahr junge Deutsch-Drahthaar-Hündin. Afra zeigte bereits vom zweiten Tag an ihren Jagdtrieb, aber auch, wie intensiv sie abgerichtet worden sein musste, denn: Herumtollen oder spielen mit Bällen oder Stofftieren kannte sie nicht. Leider! Beute machen, ihrem Herrchen bringen, das hatte man ihr eingeschärft.

Ich hörte ein beständiges, energisches Jiff, Jiff, Jiff …

Afra schwamm im vierhundert Quadratmeter großen Teich des Nachbarn hinter einer Ente her. Die machte sich, so bemerkte ich mitleidsvoll, einen Spaß mit Afra. Sie paddelte vor ihr her Richtung Ufer, schwang sich in die Lüfte und fiel am anderen Ende des Teiches wieder ein. Afra drehte sich um, steuerte auf sie zu, das Spiel wiederholte sich bestimmt zehn Mal. Ich stand am Ufer und rief, flehte, schrie, nichts: Afra immer hinterher, vor der grinsenden Ente. Der Nachbar, aufgeschreckt von dem Lärm, sah das Szenario, holte seine Flinte und schoss die Ente. Afra nahm sie behutsam in ihren Fang, schwamm ans Ufer und brachte sie mir, Schwänzchen zitternd. Eine Woche später ein Geschrei und Gegackere unter dem Hühnervolk, das im maschendrahtumzäunten Auslauf nach Regenwürmern scharrte. Aufgescheucht rannte ich zum Auslauf des Hühnerstalls und sah mit Schrecken, wie Afra freudestrahlend hinter einem Huhn her hetzte, es packte und kurzerhand tot biss. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass im Auslauf bereits über zehn tote Hühner lagen. Mein Aufschrei:

„Aus, Afra, aus! Hör’ auf! Hierher!“ nützte nichts, er schien Afra eher anzuspornen. Ich versuchte, über den einmetersechzighohen Zaun zu steigen, schimpfte, trat aus lauter Verzweiflung den Zaun nieder und erwischte Afra am Halsband.

„Was hast du?“, fragten Afras Augen ohne eine Spur von Unrechtsbewusstsein. „Ich habe sie dir gefangen, die Beute gehört dir, das ist doch meine Aufgabe!“

Ein schlimmes Ereignis vertiefte die Beziehung zwischen mir und Afra:

Pastor Heinrich war mit seinem fünfjährigen Griffon bei uns zu Besuch. Afra und dieser struppige Hund tobten durch den Garten. Wir stellten fest, dass sie sich vertrugen und nahmen zum Kaffeetrinken Platz auf der Terrasse.

Auf einmal hörte ich ein herzzerreißendes, tierisches Aufheulen. Ich stürmte in die Richtung des Schreis, vernahm ein verhaltenes Wimmern und ein ätzendes Schnaufen. Mir stockte der Atem: Der Griffon hatte Afra bestiegen, sie hingen verkoppelt zusammen, sein Hunde-Glied war stark geschwollen. Afra, anderthalb Jahre alt und außerhalb der Hitze, stand vor mir. Sie sah mich an. Ihr Blick total verstört. Mich trafen Blitze, die schrien:

„Warum hilfst du mir nicht? Reiß ihn weg!“

Es geht nicht, schluckte Ich, sonst könntest du innerlich verbluten!

Der Glanz in ihren Augen brach. Tränen. Stummes Leiden.

Der Schwellkörper ließ nach, Afra löste sich. Wir fuhren zum Tierarzt, der die innerlichen Verletzungen behandelte.

Die nächstfolgenden Tage verkroch sich Afra unter dem Küchentisch oder suchte die Nähe von uns.

Seit diesem Ereignis hasste sie alle großen Rüden!

Nach einigen Jahren mussten wir Chico in die ewigen Jagdgründe schicken. In den Armen meiner Frau starb er, ein starker, gutmütiger Rüde, der die letzten Jahre treu seinem Frauchen gefolgt war und nun altersmüde, mit Medikamenten betäubt, die Augen für immer verschloss.

Kaja und Afra verstanden sich recht gut, auch, nachdem ihr väterlicher Opa verstorben war.

Nach weiteren Jahren mussten wir Kaja, mittlerweile eine ältere Dame geworden, von ihren Krebs-Schmerzen und ihrer Altersdemenz auf Anraten des Arztes erlösen. Wieder eine treue Begleiterin weniger. Wir konzentrierten uns nun allein auf Afra.

Afra konnte, auf freundliches Bitten hin, den Verschluss von Plastikflaschen aufdrehen, ohne die Flasche zu zerbeißen, zur Freude und Überraschung der Zuschauer.

Afra lag im Körbchen nahe Frauchens Bett-Seite. Nachts um halb zwei stand Afra auf, schüttelte sich, klapperte mit den Zähnen, stöhnte zuerst leise, dann lauter werdend, kratzte sich hinterm Ohr, gähnte vernehmlich laut – immer mit dem Blick in meine Richtung, ob ich etwas hören und reagieren würde. Als ich die Bettdecke zurückschlug und murmelte: „Ja, ist gut, ich komme ja schon“, sprang sie freudestrahlend um das Bett, stupste mich an und lief vor mir die Treppe hinunter zur Terrassentür. Ich stolperte hinterher, blind, weil ich keine Lust gehabt hatte, meine Brille aufzusetzen. Ich öffnete die Tür und entließ Afra in den Garten.

Sie wollte immer nachts einmal raus. Nicht nur, um vierzehnmal zu pinkeln oder eventuell ein klitzekleines Häufchen zu machen, sondern hauptsächlich, um die Kaninchen in ihre Baue zu jagen. Wenn sie dann den halben Teich leergesoffen hat, kommt sie mit tropfendem Drahthaar-Bart an die Küchentür, klopft mit ihrer Pfote an die Scheibe und bittet um Einlass.

Ich war in dieser Zeit auf der Besuchertoilette, hatte das Außen-Licht zum Teich angeknipst, damit Madame Afra nicht hineinfällt und hatte mir ein Glas Wasser einverleibt, alles ohne Brille!

Es kratzt an der Scheibe. Ich öffne die Tür. Afra eilt durch die Küche die Treppe hinauf in ihr Körbchen. Ich taste mich in mein Bett. Gegen vier Uhr wache ich auf. „Was stinkt hier so tierisch?“, frage ich, mir die Augen reibend und die Luft anhaltend, „hat Afra irgendwohin gemacht?“ In diesem Augenblick springt Afra wie vom Blitz getroffen aus ihrem Körbchen, rennt aufgeregt um das Bett und beißt in etwas Rundes. Ich katapultiere mich aus den Federn, mache das Licht an und sehe das stinkende Etwas, was sich unter der Kommode verabschieden will, aber gerade noch von Afra geschnappt wird: Ein Igel, dick, stinkend, verlaust, den Afra im Garten entdeckt und als Beute in ihr Körbchen getragen hat. Und diese Beute will sich mitten in der Nacht verabschieden? Null Chance, bei Afra.

Ich brauchte eine verständnisvolle Ansprache und diverse Versprechungen hinsichtlich delikater Leckerlies, damit Afra ihren Fang gnädiger Weise öffnete und ich mittels eines Handtuches den Igel wieder in den Garten tragen konnte. Am nächsten Morgen war der Igel fort, sein Gestank aber noch lange in den Nasen.

Afra, die als Jagdhündin ihrer Bestimmung nach hätte zur Jagd eingesetzt werden sollen, nahm ihre Aufgabe als eine überaus wachsame Haushündin wahr, bei Postboten nicht ganz so beliebt, war aber der Schrecken von etwaigen Einbrechern. Sie wollte ihr Frauchen und ihr Herrchen absolut bewachen. Wenn Frauchen ihr Jagdhorn an die Lippen nahm und Jagdsignale blies, sang sie mit, vielleicht ein wenig wehmütig in Erinnerung an viele Jagderlebnisse, die sie mit Herrchen und Frauchen erlebt hatte.

Nach ihrem Ableben im Alter von vierzehn Jahren, also achtundneunzig Hundejahren, beerdigten wir sie im Wald ihrer Frauchen-Familie.

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
321 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783961450824
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