Kitabı oku: «Täler voller Wunder», sayfa 10

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2.3.1.3. Landsmannschaftliche Netzwerke und Agenten in Rom

Bis hierhin konnte gezeigt werden, über welche Akteure in den Drei Bünden und im Veltlin die römische Kurie an Informationen über den rätischen Alpenraum gelangte. Dafür, dass sich die Kommunikationszusammenhänge zwischen dem römischen Zentrum und der alpinen Peripherie zunehmend verdichteten, waren aber nicht nur die Außenstellen der römischen Amtskirche verantwortlich. Parallel dazu bauten auch in den Drei Bünden beheimatete Akteure und Kircheninstanzen Kommunikationskanäle nach Rom auf, von denen sie sich eine unmittelbare Einflussnahme auf die kurialen Entscheidungsfindungsprozesse erhofften. Das römische Archivmaterial fördert eine Reihe von Figuren zutage, die sich als unermüdliche Vermittler zwischen Rom und ihrer Bündner oder Veltliner Heimat erwiesen. Ihre für die translokale Verflechtung des Katholizismus so bezeichnenden Biographien fanden in der Forschung bisher keine Beachtung, weshalb es im Folgenden erlaubt sei, etwas ausführlicher auf sie einzugehen.

Es ist kein Zufall, dass, wie wir gleich sehen werden, die Lebensgeschichten von Gestalten wie Martin Gantner, Paganino Gaudenzi und Giovanni Giodoco (auch Jodoco oder Jodokus) zahlreiche Berührungspunkte aufweisen. Es sind Hervorbringungen der konfliktträchtigen Zeit in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als politische Krisen, konfessionelle Unruhen und Kriege das fragile Zusammenleben von Katholiken und Protestanten, von Untertanen im Süden und Herrschern aus dem Norden zutiefst erschütterten. In diesem unsicheren Umfeld suchten sie Hilfe bei fremden Mächten, sowohl für sich und ihre Familien als auch für die Kirche, der sie angehörten, oder für das politische Gemeinwesen der Drei Bünde insgesamt.

Der Lebenslauf des Churer Dominikanerbruders Reginaldus, mit bürgerlichem Namen Martin Gantner340, ist wie kein anderer geprägt von dieser ungewissen Zeit, in der die konfessionelle Koexistenz ebenso wie die politische Kohäsion der Drei Bünde in einer Welle von blutigen Gewaltakten auseinanderzubrechen drohten und fremde Mächte um politischen Einfluss im rätischen Alpenraum rangen. Ursprünglich ein Churer Bürger protestantischer Konfession, konvertierte er in Italien zum Katholizismus. Um 1622 tauchte er als Frater Reginaldus in der Ordenstracht eines Dominikaners wieder in Chur auf und prophezeite der Stadt drohende Gefahren, sofern man nicht dem neuen Glauben abschwöre. Um den göttlichen Zorn von Chur abzuwenden, habe er von seinem Orden den Auftrag erhalten, das im Zuge der Churer Reformation aufgelöste Dominikanerkloster wiederherzustellen und in diesem eine katholische Schule einzurichten.341 Schon 1619 hatte er, damals noch Mönch im Dominikanerkloster von Morbegno, vor den kriegerischen Auseinandersetzungen gewarnt, die als gerechte Strafe Gottes nicht nur in den Drei Bünden, sondern in der ganzen Christenheit ausbrechen würden.342 Ob seine Prophezeiung auf der Beobachtung einer zunehmenden Spannung zwischen den Konfessionen im Veltlin oder auf der mystisch-apokalyptischen Weltsicht beruhte, die in seinen Briefen immer wieder durchschimmert, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hielt er seine Warnungen für wichtig genug, um sie persönlich dem Mailänder Erzbischof Federico Borromeo (1595–1631) und dem Gouverneur von Mailand vorzutragen.343 Gehör fand er in Mailand jedoch keines, weshalb er an den Hof des österreichischen Erzherzogs Leopold V. nach Innsbruck reiste. Dieser beauftragte ihn dann tatsächlich, die besorgniserregenden Einschätzungen in seinem Namen beim spanischen König in Madrid vorzubringen. Zum Leidwesen Gantners blieb die dafür benötigte Erlaubnis aus Rom aber aus, auch weil der Bischof von Chur – sein Feind wie der Saulus dem David, wie es Gantner ausdrückte – das Vorhaben hintertrieb.344 1623 unternahm Frater Reginaldus einen erneuten Versuch, die Aufmerksamkeit der katholischen Fürsten auf die Konflikte im rätischen Alpenraum zu lenken, diesmal mit der Gewissheit, dass seine Prophezeiung mit dem Veltliner Protestantenmord von 1620 sowie dem anschließenden Einfall österreichischer und spanischer Truppen ins Prättigau und ins Engadin sich bewahrheitet hatte. Seine Briefe richtete er nun an den Papst, an die Propagandakongregation sowie an deren Präfekten Antonio Barberini.345 Erneut warnte er darin, es drohten Kriege zwischen den katholischen Fürsten, die ganz Italien in einen Strudel der Gewalt ziehen würden. Hatte dieser Prophet im Mönchsgewand womöglich recht? Als es dann 1624 auf dem Territorium der Drei Bünde tatsächlich zu Kriegshandlungen zwischen Truppen des französischen Königs und österreichischen Regimentern kam, sah man an der päpstlichen Kurie offenbar die Zeit gekommen, den unermüdlichen Warner nach Rom zu rufen und ihn Maßnahmen zur Abwendung der drohenden Gefahr präsentieren zu lassen. Doch das Verhältnis Reginaldus’ zum Generaloberen des Dominikanerordens war offenbar so angespannt, dass man seinen Worten keinen Glauben schenkte, ja ihm nicht einmal, wie versprochen, eine Audienz beim Papst gewährte. Trotzdem wurde er nicht müde, in Rom auf die Kriegsgefahr aufmerksam zu machen und zu prophezeien, der 1626 zwischen den Monarchien Spanien und Frankreich geschlossene Vertrag von Monzón, welcher die »Neutralisierung des Veltlins«346 bezweckte, sei kein »universaler Frieden«, sondern ziehe neues Blutvergießen nach sich. Große Beachtung fand diese Einschätzung zusammen mit seinen Vorschlägen, wie dies zu verhindern sei, bei der Republik Genua, die gerade ein konfliktträchtiges Verhältnis zum mächtigen Nachbarn Savoyen unterhielt. Über einen Genueser Kardinal wurde Frater Reginaldus als Berater herangezogen und reiste schließlich im Dienst der Republik an den Madrider Hof.347 Dort verbrachte er ganze zehn Jahre und wurde, wie er selbst betonte, von Botschaftern fremder Mächte, von zahlreichen Granden Spaniens und königlichen Räten in ihre Residenzen und zu Tisch geladen.348 Damit hatte er am Madrider Hof eine Position erreicht, die es seinem Orden erlaubte, ihn als Kommunikationskanal zum König einzusetzen. Für den Konvent und die Schule der Dominikaner in Chur konnte er dem König 10 ducati abgewinnen, die Beträge für andere Dominikanerklöster in Frankreich, Deutschland, Flandern, Irland etc. waren offenbar noch weitaus bedeutender.349 Was seinen politischen Einfluss anbelangt, so blieb er allerdings weit hinter seinen eigenen Erwartungen zurück. Seiner Lösung für den Veltlinkonflikt wurde keine Beachtung geschenkt, auch weil es dem Beichtvater350 des Königs offenbar gelungen war, Reginaldus’ Ratschläge mit dem Verweis abzuwiegeln, der Dominikaner aus den Bündner Bergen sei weder ein Fürst noch ein Prälat und der König solle sich davor hüten, auf eine solche unstandesgemäße Meinung Rücksicht zu nehmen.351 So blieb es denn bei der konfrontativen Politik Madrids, die ab 1635 im Krieg mit Frankreich ums Veltlin mündete. Frustriert, weil es ihm wieder nicht gelungen war, den für seine Heimat so ersehnten Frieden herbeizuführen, bat er 1635 den Papst inständig um eine Rückberufung nach Rom, damit er wenigstens dort Einfluss nehmen könne auf die Kriegspolitik der europäischen Fürsten.352 Um die Vorbehalte zu zerstreuen, er sei aufgrund seines geringen Standes für eine solche Aufgabe nicht geeignet, rief er das Beispiel des Kapuziners Giacinto da Casale (1575–1627) in Erinnerung. Dieser sei nicht einmal ein geweihter Priester gewesen und trotzdem von Papst Gregor XV. mit wichtigen politischen Geschäften in der Veltlinangelegenheit betraut worden.353 Bis auf die ausbleibende offizielle Anerkennung von Reginaldus’ Verdiensten waren in der Tat beide Lebensgeschichten vergleichbar und symptomatisch für eine Zeit, in der verschiedenste auswärtige Mächte handfeste Interessen an den politischen und kirchlichen Verhältnissen im rätischen Alpenraum bekundeten. Mit ihren Reisen von Hof zu Hof, von Fürst zu Fürst, knüpften sie ein immer dichter werdendes Netz von Kommunikationszusammenhängen zwischen den Drei Bünden und den kirchlichen wie weltlichen Machtzentren Europas.

Letzteres taten auch Paganino Gaudenzi aus Poschiavo und Giovanni Giodoco aus Zernez. Wie Gantner waren beide Konvertiten. Vor dem Glaubenswechsel hatten sie führende Stellen in der protestantischen Kirche inne, Gaudenzi als Doktor der Theologie und Jurisprudenz,354 Giodoco als Prediger und Pfarrer im Engadin355. Beide studierten nach ihrer Konversion mit Unterstützung der Kurienkongregation de Propaganda Fide in Rom katholische Theologie.

Gaudenzi erwies sich als eifriger Kontroverstheologe: 1623, kurz nach seiner Priesterweihe, erschien in Rom seine Schrift De incertitudine Calvinianae doctrinae356. Im gleichen Jahr entsandte ihn die Propagandakongregation als Apostolischen Missionar in die Drei Bünde.357 Doch schon 1624 wurde Gaudenzi als Professor für Griechisch an die Universität La Sapienza nach Rom berufen. In der Folge schlug er eine akademische Karriere ein, lehrte ab 1628 an der Universität in Pisa und wurde zu einem der bekanntesten Gelehrten seiner Zeit.358 Als einflussreicher Vertreter der Res publica literaria bekam er die Restriktionen der römischen Amtskirche zu spüren: 1640 gerieten seine Schriften ins Visier des Heiligen Offiziums, wurden teilweise zensiert oder erst gar nicht zur Drucklegung zugelassen.359 Trotz dieses zwiespältigen Verhältnisses zur Papstkirche blieb Gaudenzi eine wichtige Figur für den Bündner Katholizismus. Er vermittelte führenden katholischen Familien Studienplätze an theologischen Fakultäten in Mailand, Rom, Pisa, Dillingen und anderswo und nahm dank seiner freundschaftlichen Beziehung zum Mailänder Senator Francesco Maria Casnedi Einfluss auf die Graubündenpolitik Mailands sowie auf die Vergabe spanischer Militärstellen und Pensionen an katholische Bündner.360 Zudem informierte sich Gaudenzi regelmäßig über die kirchenpolitischen Ereignisse in seiner Heimat, etwa beim oben erwähnten Franziskaner Crisostomo Guccia361 oder bei seinem Vetter Bernardino Gaudenzi, seines Zeichens Generalvikar der Churer Diözese und einer der einflussreichsten Bündner Kirchenmänner seiner Zeit362. Stets war Gaudenzi bestrebt, sein Sozial- und Ehrkapital zur Förderung eines selbstbewussten corpus catholicum im rätischen Alpenraum einzusetzen.

Der in Rom wohnhafte Giovanni Giodoco dürfte Gaudenzi persönlich gekannt haben. 1636 informierte er Gaudenzi mit einem Schreiben aus Rom, dass wegen der Wahl Johann Flugis zum neuen Bischof von Chur das Amt des Dompropstes gegenwärtig vakant sei. Aus »Dienst an und Ehre für [die] Heimat« hoffe er, Gaudenzi beanspruche diese »Würde« für sich.363 Dass diese Information aus Rom kam, war nicht zufällig, denn die Ernennung des Dompropstes beanspruchte der Papst für sich.364 Im Übrigen lassen die Zeilen Giodocos durchschimmern, dass er es sich zutraute, die Entscheidung an der Kurie beeinflussen zu können. Wie hatte es der ehemalige protestantische Prediger aus dem Engadin zu solchem Einfluss in Rom gebracht? Eine Antwort ist in seiner Konversionsgeschichte zu suchen. Giodoco stammte aus einer »noblen« und »reichen« Familie des Engadins, wie es in den Auskünften zu seiner Person heißt.365 Der Glaubenswechsel kam einem Bruch mit seiner Familie gleich, sodass seine materielle Grundlage wegfiel und er nun ein »armer Mann«366 war. Weil die von den Kapuzinern herbeigeführte Konversion eines so einflussreichen Protestanten sich publizistisch als Erfolg für die gegenreformatorische Politik ausschlachten ließ,367 erhielt Giodoco finanzielle Hilfe aus Rom. Die Propagandakongregation finanzierte zunächst sein dreijähriges Theologiestudium in Mailand (150 scudi), rief ihn danach nach Rom, wo er in den Genuss einer vom Papst persönlich gezeichneten »Pension« sowie von Zuwendungen vonseiten der beiden Barberini-Kardinäle – Bruder und Neffe des Papstes – kam.368 Später sorgten die katholischen Häupter der Drei Bünde, der Nuntius in Luzern sowie Francesco Ingoli mit ihren Bittschriften dafür, dass die an Giodoco ausbezahlte »Pension« durch ein päpstliches Breve bestätigt und abgesichert wurde.369

In Rom widmete sich Giodoco weiteren theologischen Studien und übersetzte kontroverstheologische Schriften ins Rätoromanische, darunter ein Traktat des Jesuiten Leonhardus Lessius (1554–1623).370 Nach Meinung des späteren Bischofs Johann Flugi von Aspermont (1636–1661) sollte Giodoco allerdings so schnell wie möglich in die Drei Bünde zurückkehren, um dort als Schulmeister zu amtieren und zugleich seine Verwandten und Freunde zu bekehren.371 Die Propagandakongregation hingegen befürchtete, Giodoco könnte in seiner Heimat wieder vom rechten Glauben abkehren, da er offenbar immer noch mit Susanna Jenatsch, einer protestantischen Engadinerin, verheiratet war.372 Erst als seine Frau 1642 gestorben war und Giodoco die Priesterweihe empfangen konnte, waren die Kongregationskardinäle bereit, ihm die Rückkehr zu ermöglichen, ja mehr noch: Vor dem Hintergrund des Mangels an gebildeten Klerikern stellten sie ihm ein Kanonikat des Churer Domkapitels in Aussicht.373

Welche Gründe es gab, dass es letztlich nicht dazu kam, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall ist Giodoco noch in den 1650er-Jahren in Rom bezeugt. In dieser Zeit spielte er offenkundig eine wichtige Rolle als Agent des Churer Bischofs Johann VI. Flugi von Aspermont (1636–1661), denn dieser schrieb dem Sekretär der Propagandakongregation, er habe »seine Interessen in die Hand des Herrn Giovanni Jodoco« gelegt.374 Er hoffe, so Flugi gegenüber Dionisio Massari, dass er, Massari, Giodoco unter sein »Patronat« (patronanza) stelle und ihm Audienz gewähre. Er erlaube sich, seine für Giodoco bestimmten Briefe ihm, dem Sekretär Massari, zu senden, um zu vermeiden, dass sie in die Hände »von einigen Neugierigen« gelangten, wie dies andere Male geschehen sei.375 Die in diesen Briefen enthaltenen Anweisungen für Giodoco entbehrten offenbar nicht einer gewissen Brisanz, weil sie auch persönliche beziehungsweise familiäre Anliegen des Bischofs zur Sprache brachten. Tatsächlich lassen sich in den Korrespondenzen der Propagandakongregation Hinweise darauf finden, dass Giodoco am päpstlichen Hof ein wachsames Auge auf alle Akteure und Vorgänge hielt, die den Churer Bischof in negativem Licht hätten erscheinen lassen können. Antonio Maria Laus beklagte sich beispielsweise gegenüber den Kongregationskardinälen, der Bischof habe ihn nach Chur zitiert und ihm vorgeworfen, er und sein Kollege Bolzoni hätten bei hohen Kurienkardinälen schlecht über den Bischof und das Churer Bistum gesprochen.376 Dies stimme so nicht, beteuerte Laus und bat inständig, man solle den Informationen eines gewissen Giovanni Giodoco, Agent des Bischofs, kein Vertrauen schenken.377 Der latente Konflikt zwischen dem Propaganda-Schüler Laus und dem Churer Bischof wurde über dessen Agenten damit auch an der römischen Kurie ausgetragen.378

Giodoco war nicht der einzige Bündner, der sich an der päpstlichen Kurie für die Sache des Bischofs einsetzte. Von Zeit zu Zeit entsandten die Churer Prälaten persönliche Vertraute nach Rom. Dazu gehörten Mitglieder des Domkapitels, nicht selten aber auch die Neffen des gerade amtierenden Bischofs.379 Daneben gab es eine Reihe von weiteren Personen, die für längere Zeit in Rom wohnhaft waren und als Kontaktpersonen, Boten oder Informanten an der Kurie in Frage kamen. Zu nennen sind hier die angehenden Priester, die in Rom studierten,380 daneben auch diejenigen Bündner und Veltliner, die saisonal oder über längere Jahre hinweg ihren Lebensunterhalt in Rom bestritten. Von solchen Arbeitsmigranten aus dem Veltlin ist bekannt, dass sie in Rom eigentliche Diasporagemeinschaften bildeten und über sogenannte cassette di Roma Bau und Ausstattung von Kirchen in ihrer Heimat finanzierten.381 Auch die Migranten aus den Drei Bünden waren wahrscheinlich in landsmannschaftlichen Netzwerken organisiert, jedenfalls forderte Carlo Giuseppe Mengotti 1741 einen romanischen Beichtvater oder direttore spirituale382 für »unsere Landleute in Rom«383. Für die päpstliche Kurie dienten diese landsmannschaftlichen Netzwerke zuweilen als Informationskanäle. In einem Missionsbericht heißt es, der Wahrheitsgehalt der gegebenen Informationen könne von den in Rom wohnhaften Bündnern bestätigt werden.384 Auf der anderen Seite nutzten die Bündner Gemeinden die landsmannschaftlichen Verbindungen, um ihre Begehren an der Kurie einzubringen. In einem Schreiben des Nuntius in Luzern ist zu lesen, einige in Rom wohnhafte Bürger von Mesocco hätten wiederholt die Propagandakongregation ersucht, die Kapuzinermission in Mesocco aufzulösen.385

Als Sprachrohr und Vermittler der Bündner Diaspora in Rom traten meistens Männer in Erscheinung, die dienstlich an den päpstlichen Hof gebunden waren. Ein gewisser Giacomo Mazio aus Roveredo beispielsweise hatte es in Rom scheinbar bis zum päpstlichen Münzmeister gebracht.386 In den 1660er-Jahren sorgte er für einen regelmäßigen Austausch von Nachrichten, Geldern und Gütern (päpstliche Urkunden, Reliquien etc.) zwischen der Kurie und seinen Landsleuten; für das Porto der von ihm nach Graubünden gesandten Gegenstände und Briefe gab er 1666 exakt 2 scudi und 98 soldi aus.387 Seinem Cousin Francesco Tini († 1680), Generalvikar des Bistums Chur, übersandte er 1664 eine Pension in der Höhe von 4 doppie d’Italia, die dieser in Roveredo entsprechend den Wünschen von Mazio austeilen sollte.388 Das Geld kam unter anderem auch Taddeo Bolzoni zugute, der als von der Propagandakongregation eingesetzter Missionar im Misox (Grono) tätig war.389 Ob diese Gelder aus Mazios eigener Kasse stammten, verraten die Quellen nicht. Gesichert ist jedoch, dass Mazio 1670 vom Heiligen Offizium Almosengelder in der Höhe von 24 doppie erhielt, die er einerseits für Zahlungen an Francesco Tini, andererseits als Schmiermittel zur Forcierung bestimmter Geschäfte am päpstlichen Hof einsetzte.390 Letzteres tat er beispielsweise schon 1666, indem er auf ausdrückliche Aufforderung seines Cousins, des Generalvikars des Bistums Chur, auf die Verleihung eines Kanonikats für den Neffen des amtierenden Churer Bischofs hinarbeitete und letztlich die notwendige päpstliche Konfirmationsurkunde bezahlte.391

Für den Geld- und Nachrichtentransfer zwischen Rom und den Drei Bünden sorgten mitunter auch Angehörige der päpstlichen Schweizergarde. 1646 bat der Churer Bischof den Sekretär der Propagandakongregation, 40 scudi für die Mission oder für eine katholische Schule in den Drei Bünden an den Gardehauptmann auszubezahlen.392 Bei diesem handelte es sich um den Vater von Johannes Kriesbaumer, einem Luzerner Pfarrer, der am Kolleg der Propaganda Fide studiert hatte und von dieser mit der seelsorgerischen Betreuung der gemischtkonfessionellen Bündner Gemeinde Zizers betraut wurde.393 Dass, wie hier, der Kommunikationskanal an den päpstlichen Hof auf familiären Beziehungen beruhte, war ein gängiges Muster. Auch der Kapuzinermissionar Raffaele da Grosio (oder da Valtellina) konnte auf verwandtschaftliche Fürsprache am päpstlichen Hof zählen, war doch sein Onkel Thomaso Emanuelli ebenfalls ein hoher Offizier der Schweizergarde. Ihn ließ er 1647 beim Sekretär der Kongregation die prekäre materielle Situation schildern, in welcher sich sein Missionshospiz in Bivio offenbar befand.394

Am Schluss dieses Kapitels soll noch kurz auf diejenigen Personen am päpstlichen Hof hingewiesen werden, die zwar keine persönliche oder familiäre Bindung zum rätischen Alpenraum aufwiesen, aufgrund ihres Amtes aber dennoch großen Anteil an der Aufrechterhaltung des Informations- und Geldflusses zwischen Rom und den Drei Bünden hatten. An erster Stelle zu nennen sind hier die Sekretäre der Propagandakongregation. Sie sammelten die Korrespondenz über den rätischen Alpenraum, fassten deren Inhalt zusammen und erstellten daraus Dossiers für die Kardinäle der Propaganda Fide.395 Den Kongregationskardinälen erlaubte dies einen raschen Überblick über Ereignisse, Argumentationen und Anliegen, sodass sie letztlich auf Grundlage dieser Informationen ihre Entscheide fällen, das heißt Missionsfakultäten, Vorschriften oder Dispensen erlassen konnten. Daneben kam weiteren Mitarbeitern der Propagandakongregation, insbesondere den für die Logistik und administrative Fragen (etwa die Spedition) zuständigen Prokuratoren, eine wichtige Funktion zu. Einer von ihnen war Paolo Carlino. Über ihn wurden in den 1630er- und 1640er-Jahren beispielsweise die Bezahlungen von päpstlichen Bullen (Konfirmationsurkunden) für die Churer Domherren oder die Ausschüttung von Almosengeldern für die rätische Mission abgewickelt.396 Ferner diente Carlino auch als Kontaktperson für Studenten aus Graubünden, die am Kollegium der Propaganda Fide studieren wollten. Als der junge Christoph Riedi aus Ems 1641 in Rom ankam, fragte er als Erstes nach dem Haus von Don Paolo Carlino, der die Aufgabe hatte, sich um ihn zu kümmern und ihn danach ins Collegio zu führen.397 Ein anderer, in den Quellen immer wieder erwähnter Procuratore der Propagandakongregation war Giovanni Domenico Verusio.398 Für die vom Kapuzinermissionar Francesco d’Isola gegründete Christenlehrbruderschaft von Soazza agierte er als Verbindungsmann zur Erzbruderschaft in Rom.399 Ab 1642 scheint er zudem die Interessen des Churer Bischofs vertreten zu haben, denn dieser teilte dem Sekretär der Propaganda Fide mit, er habe Verusio zu seinem »Agenten« ernannt.400 Für den Churer Bischof bildete Verusio damit eine Art Gegengewicht zu Carlino, dem er sehr misstraute: Carlino wolle das Churer Bistum arm sehen, weshalb die Kurienkardinäle seinen Reden keinen Glauben schenken sollten, so der Bischof von Chur.401 Hier deutet sich wiederum an, dass das Bild, welches die Kurienkardinäle von den Verhältnissen im rätischen Alpenraum über die verschiedensten Informanten und Agenten erhielten, ein uneindeutiges gewesen sein muss. Wie in den folgenden Abschnitten zu zeigen sein wird, etablierten sich dennoch bestimmte Diskurse und Sprechweisen, auf die alle Akteure in der einen oder anderen Weise rekurrierten, ungeachtet ihres Standpunktes in strittigen Angelegenheiten.

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Serideki Beşinci kitap "Kulturgeschichten / Studien zur Frühen Neuzeit"
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