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1.4. Der rätische Alpenraum als Fallbeispiel: Inhalt, Quellengrundlage und Aufbau der Studie

Im Vergleich zu anderen Regionen wies der rätische Alpenraum in der Frühen Neuzeit einige Besonderheiten auf, die ihn als paradigmatischen Testfall für historische Erklärungsmodelle geradezu prädestinieren. Dies gilt erstens für die politische Ordnung, die seit dem landesrechtlichen Zusammenschluss des Gotteshausbundes, des Grauen Bundes und des Zehngerichtenbundes zu den sogenannten Drei Bünden 1524 zwar gemeinsame Institutionen kannte (Bundestage, Beitage, Syndikatur für die gemeinsamen Untertanengebiete), gleichzeitig aber den einzelnen Gerichtsgemeinden weitgehende Selbstverwaltungskompetenzen zubilligte, womit hier ein nahezu idealtypisches Exempel eines kommunalistisch-republikanischen Gemeinwesens vorliegt.105 Dies gilt zweitens auch für die »starke Konfessionalisierung von Glaubenspraxis und Politik«, die sich trotz »weitgehend fehlender Staatsbildung«106 in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bemerkbar machte und der Historikerzunft die Grenzen des obrigkeitszentrierten Konfessionalisierungsparadigmas aufgezeigt hat. Auch für die in der vorliegenden Arbeit zur Diskussion stehende Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung lokaler Gesellschaften in die gesamtkatholische Kultgemeinschaft erweist sich der rätische Alpenraum als ideales Fallbeispiel, und dies aus nachfolgend bezeichneten, Kirche und Konfession betreffenden Eigentümlichkeiten.

Die Rechte zur Ernennung von Pfarrern sowie die Verwaltung des Kirchenvermögens lagen in den Drei Bünden seit den zweiten Ilanzer Bundesartikeln von 1526 faktisch bei den Gemeinden. Damit hatte sich die bereits im Spätmittelalter abzeichnende Kommunalisierungstendenz im kirchlichen Bereich verfassungsrechtlich festgeschrieben.107 Im gleichen Zug erfolgte die weitgehende Ablösung der bischöflichen Herrschafts- und Jurisdiktionsrechte; die Besetzung von Kirchenämtern mit Landesfremden wurde verboten. Auch im Veltlin regelten die Gemeinden das kirchliche Leben nahezu autonom, zumal die herrschenden Drei Bünde den Zugriffsmöglichkeiten des Bischofs von Como Schranken setzten.108 Insgesamt war im rätischen Alpenraum damit die Kontrolle über Kirchenressourcen ausgesprochen dezentral und lokal organisiert, was sich auch in einer »massiven Vermehrung der Zahl der Kirchgemeinden in der Frühen Neuzeit«109 niederschlug.

Vergleichsweise früh kam es in den Drei Bünden zu einer rechtlichen Anerkennung der konfessionellen Koexistenz. Ein Bundestagsbeschluss im März 1526 hielt fest, dass es grundsätzlich »jedermann« innerhalb der Drei Bünde freistehe, sich für eine der beiden Konfessionen (nicht aber für das Täufertum oder andere »Sekten«) zu entscheiden.110 Diese rechtliche Garantie begünstigte ein rasches Ausbreiten der evangelischen Bewegung, sodass bis um 1600 annähernd zwei Drittel der Gemeinden protestantisch wurden.111 Katholisch blieben die Gemeinden im Misox, Calancatal, Valsertal und Oberhalbstein, mehrheitlich auch im Val Lumnezia und im Albulatal. Im Domleschg waren die Gemeinden Cazis und Tomils von Protestanten umgeben; Ilanz und Waltensburg bildeten protestantische Inseln inmitten der katholischen Surselva. Im Puschlav (Poschiavo) und in der Umgebung von Chur bildeten sich gemischtkonfessionelle Gemeinden aus. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts entstand so insgesamt eine heterogene Konfessionslandschaft, in der Kontakte mit der anderen Konfession zum Alltag dazugehörten – ein Umstand, der den Drei Bünden die Aufmerksamkeit der päpstlichen Kurie garantierte.

Im Veltlin und den beiden Grafschaften Bormio und Chiavenna, die seit der Eroberung von 1512 von den Drei Bünden als Untertanengebiete verwaltet wurden, scheiterte die versuchte Einführung der Bikonfessionalität am starken Widerstand der lokalen Elite, die sich auch und gerade über die katholische Konfession von der Bündner Herrschaft abzugrenzen versuchte. Daraus entwickelte sich die konfliktreiche Konstellation, dass ein von protestantischen Gemeinden dominiertes Gemeinwesen über katholische Untertanen regierte.112 1620 kam es zum sogenannten Veltliner Protestantenmord, in dessen Folge das Veltlin seine Unabhängigkeit proklamierte. 1639 wurden die Herrschaftsverhältnisse zwar wiederhergestellt, zugleich aber die protestantische Konfession im ganzen Veltlin verboten, was aus römisch-katholischer Sicht die Bündner Untertanengebiete zur letzten Bastion des Katholizismus vor dem protestantischen Norden werden ließ.113

Neben der päpstlichen Kurie zeigten auch die katholischen Großmächte ein reges Interesse an den Vorgängen im rätischen Alpenraum. Bedingt war dies zum einen durch dessen geostrategische Bedeutung: Die Bündner Pässe bildeten eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen und ermöglichten insbesondere für die Habsburger schnelle Truppenverschiebungen von den deutschen in die italienischen Reichsteile.114 Andererseits war die Intervention fremder Fürsten zu einem guten Teil konfessionspolitisch motiviert: So inszenierte sich Spanien als Schutzmacht der katholischen Veltliner und auch Frankreich war stets bemüht, die konfessionelle Regeltreue der eigenen Außenpolitik unter Beweis zu stellen. Dies führte zu einem auch auf der religiös-symbolischen Ebene ausgetragenen Wettstreit um (politischen) Einfluss im rätischen Alpenraum, der seinen Höhepunkt in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Spanien im Veltlin – einem Nebenschauplatz des Dreißigjährigen Krieges – erlebte.115

Externe Einflüsse waren schließlich auch ausschlaggebend für die Gegenreformation und die katholische Reform im Bistum Chur. So kam etwa die (allerdings nur teilweise und kurzzeitige) Restitution der bischöflichen Jurisdiktionsrechte 1623 unter militärischem Druck Österreichs zustande.116 Und für erste Reformen von Seelsorge und Domkapitel zeichneten im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts der Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo sowie die päpstlichen Nuntien verantwortlich. Durch die Missionsarbeit der unter dem Patronat der Kurienkongregation de Propaganda Fide stehenden Kapuziner aus den italienischen Ordensprovinzen änderte sich zudem das kirchliche Leben in den Pfarreien grundlegend.117

In Bezug auf die kirchlich-religiösen Verhältnisse im rätischen Alpenraum lassen sich in dieser kursorischen Gesamtschau zwei auf den ersten Blick gegenläufige Grundtendenzen erkennen: eine dezentrale, selbstbestimmte Organisation des kirchlichen Lebens auf der einen Seite, eine weitgehende Einflussnahme externer Akteure und Institutionen auf der anderen Seite. Dass nicht die eine oder andere Kraft allein die katholische Kultur und Gesellschaft zu prägen vermochte, dürfte klar sein. Frömmigkeitskultur und Glaubenspraxis im rätischen Alpenraum sind irgendwo in diesem Kräftefeld zwischen lokaler Selbstbezogenheit und externen Einflussfaktoren anzusiedeln. Wo genau, ist eine empirische Frage, der es in den drei Hauptteilen der vorliegenden Arbeit nachzugehen gilt.

Im ersten Hauptkapitel »Translokaler Katholizismus« (2.) werden wir sehen, dass weder die katholische Kultur und Gesellschaft im Allgemeinen noch die mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Kirchgemeinden im Besonderen selbstreferentielle Systeme waren. Durch die Auswertung bisher noch nicht systematisch erforschter römischer Quellenbestände (vor allem im Archiv der Propaganda Fide118) sowie des Aktenmaterials der Mailänder und Brescianer Kapuzinermission119 wird es möglich sein, die ganze Bandbreite großräumiger Vernetzungen auszuloten (2.2.). Sodann wird gezeigt, dass sich seit dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts eine zunehmende kommunikative Verdichtung zwischen Rom und dem rätischen Alpenraum einstellte (2.3.). Durch die so aufgebauten Kommunikationszusammenhänge entstanden neue Interdependenzen, die für lokale Akteure einerseits neue Handlungschancen boten, gleichzeitig aber die angestammten Mechanismen (etwa der Pfarrwahl) vor große Herausforderungen stellten (2.4.).

Im zweiten Hauptkapitel »Barocke Gnadenlandschaften« (3.) richtet sich der Blick auf die Frömmigkeitskultur, die sich unter dem Vorzeichen der großräumigen Verflechtung im rätischen Alpenraum zu formieren begann. In zeitgenössischen Abhandlungen über einzelne Wallfahrtsorte und Heiligenkulte, in Bruderschafts-, Andachts- und Liederbüchern120 sowie in anderen Erzeugnissen lokalen Erzählguts121 lassen sich Glaubensmanifestationen entdecken, die teils für dauerhafte, teils für temporäre Verbindungen zwischen Himmel und Erde sorgten und so ein sakrales Umfeld schufen, in dem die Wahrscheinlichkeit eines göttlichen Gnadenerweises – sei es eine mirakulöse Heilung, sei es ein anderes Wunder – besonders hoch schien (3.2.). Es wird zu zeigen sein, dass diese sakrale Vereinnahmung der Landschaft alles andere als interessenfrei vor sich ging: Kapuziner, Jesuiten und andere Verfechter des tridentinisch erneuerten Katholizismus versuchten so einerseits, die ostentative Präsenz der römischen Bekenntniskirche im gemischtkonfessionellen rätischen Alpenraum zu erhöhen und die katholisch gebliebenen Täler noch stärker in den kulturellen Einflussbereich des katholischen Italiens zu ziehen. Andererseits bot eine sakralisierte Landschaft, in welcher sich allenthalben von Gott bewirkte Wunder zutrugen, eine geeignete Bühne für die innerkatholische Mission – das heißt für die Vermittlung von konfessionell festgelegten Frömmigkeitsidealen (3.3.).

Dass es trotz dieser konfessionspolitischen Absichten verfehlt wäre, die Ausgestaltung der barocken Gnadenlandschaft allein kirchlichen Akteuren zuzuschreiben, zeigt das dritte Hauptkapitel »Ökonomien des (Un)Heils« (4.). Die hierfür ausgewerteten Mirakelgeschichten – überliefert einerseits in gedruckten Mirakelbüchen122, andererseits in Akten von Informativprozessen123 – geben Einblicke in die praktizierte Religiosität der Laien, in ihre spirituellen Bedürfnisse und in die Möglichkeiten, prekäre Lebenssituationen mit religiösen Praktiken zu bewältigen. Zu fragen ist einerseits, inwiefern sich diese Möglichkeiten im rätischen Alpenraum aufgrund der verstärkten Einbindung in das Gnadenterritorium der römischen Kirche vervielfältigten und welche Dynamiken sich dabei einstellten (4.2.). Andererseits soll der Umgang der Institution Kirche mit lokalen Adaptionen von wunderversprechenden Kultformen interessieren, zumal diese die kirchliche Deutungshoheit über das Sakrale tendenziell infrage zu stellen drohten (4.3.). Denn wie gut auch immer sich die Kirche in der barocken Gnadenlandschaft als heilsvermittelnde Institution zu inszenieren vermochte, waren Wunder (der zeitgenössischen Weltdeutung zufolge) am Ende dennoch allein von der göttlichen Fügung abhängig und konnten sich potenziell auch in Bereichen und in Verbindung mit Personen oder Gegenständen einstellen, für die die kirchliche Lehrmeinung keine solche vorsah. Für die um eine formalisierte Kontrolle des Sakralen bemühte nachtridentinische Kirche offenbarte sich darin die ganze Ambivalenz einer barocken Frömmigkeitskultur, die einerseits der alltäglichen Lebenswelt ein demonstrativ katholisch-konfessionelles Gepräge zu verleihen vermochte, andererseits aber gerade dadurch den Bereich des Sakralen in der Tendenz über den kontrollierbaren Bereich der Gotteshäuser hinaus erweiterte.

Das Bild, das in der vorliegenden Arbeit von der katholischen Gesellschaft im rätischen Alpenraum gezeichnet wird, ist ein Bild voller Kontraste und Divergenzen, voller scheinbarer Widersprüche und Gegenläufigkeiten, deren scharfe Konturen bei genauer Betrachtung mehr und mehr verschwimmen: Obwohl sich die Einflussnahme auswärtiger Akteure und Institutionen im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts intensivierte, werden wir sehen, dass dies nicht zwangsläufig zu einer Einschränkung lokaler Handlungsspielräume führte, im Gegenteil: Den örtlichen Kultgemeinschaften konnten sich unter Umständen neue Wege eröffnen, die eigenen Interessen gegen lokale Widerstände, insbesondere gegen den zuständigen Bischof, durchzusetzen. Auf der anderen Seite werden wir erkennen, dass die von Vertretern des erneuerten Katholizismus angestrebte Sakralisierung der Lebenswelt zwar das Deutungsmonopol der Kirche über das Sakrale partiell verwässerte, gleichzeitig aber auf diese Weise eine stärkere Einbindung des rätischen Alpenraums in die römische Amtskirche möglich wurde. Und schließlich werden wir feststellen, dass es trotz – oder vielleicht gerade wegen – der ostentativ bewusst gemachten konfessionellen Andersartigkeit und kulturell-religiösen Abgrenzung der Konfessionskirchen immer auch Lebensrealitäten gab, bei denen die Überschreitung und Durchlässigkeit konfessioneller Grenzen zum Alltag dazugehörten. Was diese dialektischen Wechselbeziehungen betrifft, so ist das in der vorliegenden Arbeit skizzierte Bild vom rätischen Alpenraum nicht unähnlich den Gemälden Caravaggios (1571–1610), die mit dem kontrastreichen Wechsel von Licht und Dunkelheit einzelne Wesensmerkmale des Dargestellten deutlich hervortreten lassen, dabei jedoch immer auch Ambivalenzen vor Augen führen, etwa, wenn durch den Einfall des Lichts dem nur allzu Profanen eine Aura des Sakralen verliehen wird.124 Gerade solche Ambivalenzen waren – jetzt über die Barockmalerei hinaus gedacht – für eine Institution wie die katholische Kirche, die als irdische Institution im Sinne des Prinzips extra ecclesiam nulla salus für sich beanspruchte, jenseitiges Heil vermitteln zu können, bezeichnend. Indem in der vorliegenden Arbeit deutlich wird, wie mit profanen Mitteln (etwa Kirchenbau, Beschaffung von Gnadenbildern, Ausstellung von Ablässen etc.) das Sakrale in der Welt verankert und über Wunder erfahrbar gemacht, zugleich aber mit der Sakralität der Heilsvermittlung auch ausgesprochen profane Macht- und Geltungsansprüche der Kirche artikuliert werden konnten, kann das Fallbeispiel des rätischen Alpenraums einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis jener Mechanismen, die die einzelnen katholischen Kultgemeinschaften in der Frühen Neuzeit – so unterschiedlich diese auch sein mochten – zu einer universalen Kirchengemeinschaft verflochten.

1PAL, APF vol. 34, fol. 283–287: Antonio Maria Laus und Taddeo Bolzoni an die Propagandakongregation, Rätien [sic], 09.03.1654, hier fol. 283 f.

2PfASav, B 1/13: Memora [sic] per il M[olto] R[everendo] P[adre] Francesco Maria da Vigevano Predicatore Capuccino di quelle cosse [sic], che sono sucesse [sic] dopo la sua morte, che fù l’anno 1692 alli 10 di Giugno et sepolto alli 11 del sodetto, [1692–1698].

3Laut Baumann, Bestandesaufnahme, 26 f., weist nur gerade das Tessin eine höhere, und Freiburg eine ähnlich hohe Dichte an sogenannten Gnadenorten auf. Wie noch zu zeigen sein wird, erlauben die erhalten gebliebenen Votivgaben aber nur ungefähre Rückschlüsse auf die tatsächliche Bedeutung von Wunderglauben und Wunderpraktiken.

4Zur historischen Entwicklung des christlichen Wunders siehe Angenendt, Das Wunder; Signori, Wunder; zur geistesgeschichtlichen Einordnung des frühneuzeitlichen Wunderverständnisses siehe Daston/Park, Wunder; Daston, Marvelous Facts. Zum Wunderglauben katholischer Spielart und zum Umgang der Kirche damit siehe Walsham, Miracles; Wirtz, Wunder; Vidal, Miracles; Parigi, Rationalization of Miracles.

5Thiessen, Kapuziner, 330.

6Vgl. Scribner, Reformation and Desacralisation.

7Vismara Chiappa, Miracoli settecenteschi; Habermas, Wallfahrt; Sangalli, Miracoli a Milano; Burkardt, Les clients des saints; Sodano, Il miracolo; Mauelshagen, Wunderkammer; Hitz, Campell; Lobenwein, Wallfahrt, insbes. 92–98; Brugger, Gedruckte Gnade.

8Mit der Arbeit von Balzamo, Les miracles, liegt neuerdings eine Studie vor, die auf überzeugende Weise die meisten dieser Aspekte berücksichtigt. Alle anderen soeben genannten Untersuchungen beschränken sich auf einen Teilbereich, etwa auf den kirchlichen Umgang mit Wundern oder auf die Heilsbedürfnisse und Wundererlebnisse der Menschen.

9Troeltsch, Art. »Kirche, III. Dogmatisch«, Sp. 1150, versteht die Vermittlung der »Gnaden- und Wunderkraft« als Grundelement aller christlichen Kirchen, unabhängig von ihrer Konfession.

10Eindrücklich gezeigt hat dies auch Luzzatto, Padre Pio, für das 20. Jahrhundert.

11Insbesondere bei Saulle Hippenmeyer, Nachbarschaft. U. Pfister, Konfessionskirchen, kommt das Verdienst zu, erstmals einen umfassenden Überblick über das konfessionelle Zeitalter in Graubünden vorgelegt zu haben, wobei die neusten Erkenntnisse der sozial- und kulturgeschichtlich erweiterten Konfessionalisierungsforschung miteingeflossen sind. Pfisters Fokus liegt auf der organisatorischen Ausbildung von Konfessionskirchen, der konfessionalisierten Glaubenspraxis, der Kirchenzucht und den Konfessionskonflikten. Über den lokalen Kontext hinausreichende Beziehungsstränge kommen dabei (quellenbedingt) nur am Rande zur Sprache (so etwa ebd., 247–253). Gleiches gilt für die nach wie vor detailreichste Studie zum Bistum Chur im 16. und 17. Jahrhundert von Fischer, Reformatio, wenngleich sich hier viele Hinweise auf solche grenzübergreifende Beziehungen finden lassen. Ältere Studien verfolgten primär einen ereignis- oder kirchengeschichtlichen Zugang mit starkem Fokus auf die kirchenrechtlichen und religiös-kulturellen Besonderheiten (insbes. die zahlreichen Studien von Iso Müller und Felici Maissen; siehe neben vielen anderen I. Müller, Abtei Disentis, 3 Bde.; F. Maissen, Drei Bünde). Ähnliches lässt sich für die Veltliner Geschichtsschreibung sagen, wobei hier stärker das kirchliche Leben in den einzelnen Pfarreien sowie die sogenannte »Volksreligiosität« thematisiert wurden (siehe u. a. Xeres, »Popoli pieghevoli […]«; Damiani, L’oratorio; Masa, Fra curati cattolici).

12Ansätze dazu finden sich bei I. Müller, Barocke Geistigkeit, insbes. 277–282; ders., Zum österreichischen Einfluss.

13Lediglich die Einflussnahme der Luzerner Nuntiatur auf die Kirchenpolitik des Churer Hochstifts fand in der Forschung punktuell Beachtung, etwa bei Fischer, Reformatio, 148–161, und U. Pfister, Konfessionskirchen, 161–168.

14Eine bemerkenswerte Ausnahme liegt für den schweizerischen Raum mit der Studie von Achermann, Die Katakombenheiligen, vor.

15Vgl. F. Maissen, Studenten am Kollegium de Propaganda Fide, 221 f. Die Verleihung des Kanonikats erfolgte gegen den Willen des Churer Bischofs und ist mit Laus’ guten Beziehungen zum Nuntius in Luzern und zur Propagandakongregation zu erklären (vgl. ders., Die drei Bünde, 291).

16Vgl. Willi, Kapuziner-Mission, 191; Zwyssig, Pfarreiseelsorge, 94 f.

17[Francesco Maria da Vigevano], Ductrina Christiana Curta fatgia per commond da N[oss] S[ignur] Papa Clemens VIII dal Eminent[issi]m Sig[nu]r Cardinal Roberto Bellarmin […], Chur 1703. Vgl. dazu Fischer, Reformatio, 394–396; Brunold, Geschichte der Pfarrei Savognin, 186.

18PAL, APF vol. 34, fol. 241 f.: Giovanni Giovanucci an N. N. (Kongregationskardinal), Rom, 05.07.1653: »[…] D. Antonio Maria Laus, qual mostra che arde di charità verso la santa fede, e conversion delle anime, e che è huomo santo […].«

19Vgl. Saulle Hippenmeyer, Nachbarschaft; U. Pfister, Konfessionskirchen, 39–54.

20Hersche, Religiöse Volkskunde.

21Habermas, Wunder; Brugger, Figuren; dies., Gedruckte Gnade.

22Siehe etwa Cousin, Le miracle et le quotidien; Thiessen, Kapuziner, insbes. 330–363; Sodano, Il miracolo.

23Für die Hauptthesen und Themenfelder der Konfessionalisierungsforschung sei hier auf den Sammelband von Reinhard/Schilling, Die katholische Konfessionalisierung, verwiesen (dort insbes. die Beiträge der beiden Herausgeber). Laut Hersche, Muße und Verschwendung, 63, hat sich das Konfessionalisierungsparadigma »als das größte Hindernis zur adäquaten Erkenntnis des frühneuzeitlichen Katholizismus im Barockzeitalter« erwiesen. Weniger scharfe Kritiken haben u. a. Greyerz, Religion und Kultur, 65–79, Holzem, Religion und Lebensformen, ders., Katholische Konfessionalisierung, und U. Pfister, Konfessionskirchen, 17–31, formuliert. Als Überblick über diese forschungsgeschichtliche Entwicklung eignet sich Holzem, Katholische Religiosität; für eine Forschungsbilanz siehe ferner die Sammelbände Büttgen/Duhamelle (Hrsg.), Religion ou confession; Brockmann (Hrsg.), Konfessionalisierungsparadigma.

24Impulsgebend war dabei vor allem der analytische Begriff der »Konfessionskultur«, der zunächst von Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, für den Protestantismus konzipiert wurde. In seiner konfessionsübergreifenden Erweiterung half er, »Akteure in ihren lebensweltlichen und symbolisch-kommunikativen Bezügen jenseits der schematischen Konfrontation von ›oben‹ und ›unten‹, ›Elite‹ und ›Volk‹, ›Staat‹ und ›Untertanen‹ bzw. ›Kirche‹« zu erfassen (Th. Maissen, Konfessionskulturen, 241).

25Christian, Local Religion; Luria, Territories of Grace, 106–202; Sallmann, Naples et ses saints, 65–95; Hersche, Italien im Barockzeitalter, 197–212; Brückner, Devotio und Patronage; Johnson, Magistrates, 271–291. Für den schweizerischen Raum dürfte Ähnliches gelten, doch ist er in dieser Hinsicht bislang kaum erforscht. Der Dissertation von Daniel Sidler, Heiligkeit aushandeln, kommt hier das Verdienst zu, erstmals einen innereidgenössischen Überblick über die katholische Frömmigkeitskultur vom 16. zum 18. Jahrhundert vorgelegt zu haben.

26U. Pfister, Konfessionskirchen, 21, spricht von einer »steigenden Bedeutung des Wortes in der Glaubenspraxis«, die eng verbunden war mit einem »wachsenden Gewicht moralischer Handlungsanforderungen an die einzelnen Gläubigen«.

27Vgl. Forster, Catholic Revival, insbes. 72–75.

28Hersche, Muße und Verschwendung, 62. Siehe dazu auch ebd., 668–674. Während Hersche eine Rezeption der Konzilsbeschlüsse von Trient auf der Ebene der Diözesen und Gemeinden überhaupt verneint, geht die neuste Forschung von »kreativen Aneignungen« aus, »die bis zur völligen Umdeutung der ursprünglichen Beschlüsse gehen können« (Wassilowsky, Das Konzil von Trient, 17). Ausführlich dazu auch Fattori, Benedetto XIV.

29Forster, Catholic Revival, 12 f.

30Der Begriff »Volksfrömmigkeit« war Gegenstand intensiver Debatten (vgl. Smolinsky, Volksfrömmigkeit; Zardin, La »religione popolare«; Holzem, »Volksfrömmigkeit«). Einen ausgezeichneten Überblick über die »Frömmigkeitsforschung« gibt Lobenwein, Wallfahrt, 11–29.

31Smolinsky, Volksfrömmigkeit, 14.

32 Neugebauer-Wölk, Konstituierung historischer Religionsforschung, 8.

33Siehe dazu die klassische Studie von Châtellier, La religion des pauvres; ferner Majorana, Missionarius; Jendorff, Römischer Katholizismus, 125–128; Dompnier, L’histoire des missions; ders., Ricerche recenti. Für den schweizerischen Raum siehe Sieber, Jesuitische Missionierung, insbes. 152–193.

34Vgl. Prosperi, Tribunali, 551–649; Dompnier, La Compagnie de Jésus; ders., La France, 522–632; Sieber, Jesuitische Missionierung, 25–27.

35Die Literatur über die Missionsstrategien (»Akkommodation«, »Akkulturation« etc.) ist mittlerweile kaum mehr zu überblicken. Für eine neuere, wissenschaftstheoretisch orientiere Synthese, die bemerkenswerterweise auch die bisher kaum beachtete protestantische Mission miteinbezieht, siehe Gerbner, Theorizing Conversion. Stellvertretend für eine Fülle an innovativen Studien zur außereuropäischen Mission seien hier erwähnt: Standaert, Interweaving of Rituals; Leavelle, The Catholic Calumet; Amsler, Lord of Heaven. Für den europäischen Kontext siehe Sieber, Jesuitische Missionierung. Dass auch die innerkatholische »Alltagsreligiosität als Feld hybrider Praktiken und Weltdeutungen« verstanden werden muss, betont nachdrücklich Thiessen, Konfessionelle Identitäten, 122, die dabei evident werdende »Macht der Schwachen« ders., Intendierte Randständigkeit.

36Christian, Local Religion; Menegon, Christianity as a Local Religion. Siehe ferner die Beiträge in Martin/Nicholas (Hrsg.), Native Americans, Christianity.

37Hersche, Muße und Verschwendung, 112.

38Peter Hersche (ebd., 112–152) spricht von »verschiedene[n] Katholizismen«. Ähnlich argumentierte schon R. Reinhardt, Katholizismus und Katholizismen. Zum Begriff der »Konfessionskultur« siehe oben, Anm. 24.

39Siehe dazu die Beiträge in Greyerz et al. (Hrsg.), Interkonfessionalität; Pietsch/Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Konfessionelle Ambiguität; ferner Siebenhüner, Glaubenswechsel; Greyerz, Religion, Magie und Konfession. Forschungsleitend waren vor allem Studien zu Konversionen und zum alltäglichen Umgang mit den »unsichtbaren Grenzen« (François, Die unsichtbare Grenze) in paritätischen Gesellschaften. Stellvertretend für eine Fülle an Literatur seien hier erwähnt Luria, Sacred Boundaries; Kaplan, Divided by Faith; Corpis, Crossing the boundaries.

40Vgl. Zarri, Le sante vive; dies., »Affetata santità«; Dinzelbacher, Heilige oder Hexen, 119–128; Burkardt, False Living Saint; Gentilcore, Healers and Healing, 156–176; Walsham, Miracles, 208–211; Mat’a, Heiligkeit und Betrügerei; Pellegrino (Hrsg.), Ordini religiosi; Brambilla, Corpi invasi, insbes. 61–66; Sidler, Heiligkeit aushandeln. Insbesondere seit der Öffnung des Archivs der römischen Inquisition haben zahlreiche Studien zu den Inquisitionsprozessen die Kenntnis solcher Personenkulte enorm bereichert, siehe etwa Malena, L’eresia; Modica, Infetta dottrina.

41Holzem, »Volksfrömmigkeit«, 263.

42Burschel »Imitatio sanctorum«, 250; ders., Sterben und Unsterblichkeit, 217.

43Vgl. Zarri, »Affetata santità«, 53–57.

44Vgl. Sallmann, Naples et ses saints, insbes. 132, 331–367; Sodano, Il miracolo, 129–145; Ditchfield, »Coping with the Beati Moderni«, 436 f.; Copeland, Maria Maddalena de’ Pazzi, 66–82.

45Vgl. Gotor, beati del papa; Fiorelli, I sentieri dell’inquisitore, 48–55.

46Auf die obrigkeitliche Perspektive des Konfessionalisierungsparadigmas wurde bereits oben hingewiesen. Hier ist noch zu ergänzen, dass auch die italienische Forschung (v. a. zum Konzil von Trient, zur katholischen Reform in der Erzdiözese Mailand und zur Inquisition) den Fokus auf die »Disziplinierung« legte (siehe u. a. Niccoli, La vita religiosa, 123–161; Prodi, Il paradigma tridentino, 125–151; Prosperi, Eresie e devozioni, insbes. 335–370; Zardin, Carlo Borromeo).

47Laut Dompnier, Fortdauer der katholischen Reform, 243, lockten die Jubeljahre im 17. Jahrhundert bis zu 700 000 Pilger (im Jahr 1675) nach Rom – eine bis dahin nie erreichte Zahl. Siehe dazu auch Julia, L’accoglienza dei pellegrini, 828, dort mit Pilgerzahlen für das ospizio della Santissima Trinità di Pellegrini.

48Siehe Fosi, Fasto e decadenza, 799–803, sowie die Beiträge zu Rompilgern aus den Niederlanden, der Franche-Comté, aus Deutschland, Portugal und Frankreich in Boutry/Julia (Hrsg.), Pèlerins et pèlerinages. Für Beispiele aus dem rätischen Alpenraum siehe I. Müller, Bündner Fern-Wallfahrten, 34–41.

49Seit 1652 wurden die in Rom ausgestellten Ablassurkunden für Laienbruderschaften in einem zentralen Register erfasst. Die Auswertung dieser Quelle durch französische Historiker hat ergeben, dass die meisten Ablässe (bis zu 600 pro Jahr) in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausgestellt wurden (Froeschlé-Chopard, Indulgences et confréries, 79–85; dies., Dieu pour tous, 168–171). In geographischer Hinsicht konnte ein Ausgreifen über den mediterranen Raum hinaus beobachtet werden: Während im 17. Jahrhundert bis zu 80 Prozent der ausgestellten Ablassurkunden nach Frankreich, Spanien und Italien gingen, verschob sich der Fokus im 18. Jahrhundert auf Mittel- und Osteuropa. Man hat dies mit dem Verlauf der katholischen Erneuerung zu erklären versucht (vgl. ebd.).

50Vgl. Achermann, Die Katakombenheiligen; Johnson, Holy Fabrications; Baciocchi/Duhamelle (Hrsg.), Reliques romaines.

51Wie Dompnier, Fortdauer der katholischen Reform, 216, treffend bemerkt, entwickelte sich Rom erst im 17. Jahrhundert »tatsächlich zum Haupt der katholischen Christenheit«. Zu den Reliquien und Ablässen als Mittel der großräumigen Vernetzung fügt er an (ebd., 245): »Die Verbreitung von Reliquien und die Erteilung von Ablässen innerhalb der gesamten katholischen Christenheit verstärkten das Band zwischen den lokalen Kirchen und Rom. Dieser Prozess geschah nicht sichtbar, spielte sich aber im Hintergrund viel deutlicher ab, als es die Beziehungen auf institutioneller Ebene vermitteln konnten.«

52Zunckel, Ritus, 189.

53Tusor/Sanfilippo (Hrsg.), Papacy and the Local Churches.

54Die klassische Studie von Paolo Prodi, Il sovrano pontefice, spricht von einer »Klerikalisierung« des Kurienpersonals, die paradoxerweise zu einer zunehmenden Säkularisierung der Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen geführt habe. Allerdings lassen neuere Studien Zweifel aufkommen, ob diese Normvorstellung überhaupt je an Praxisrelevanz gewonnen hat (vgl. insbes. Visceglia, Burocrazia). Neuere Studien betonen vor allem die personalen Verflechtungen des römischen Ausgreifens (siehe u. a. die Beiträge in Büchel/Reinhardt [Hrsg.], Modell Rom; Reinhard [Hrsg.], Römische Mikropolitik; Emich, Territoriale Integration).

55Zu diesen institutionellen Entwicklungen im Papsttum siehe Dompnier, Fortdauer der katholischen Reform, 232–240; Bireley, Refashioning of Catholicism, 63–69.

56Zu diesem Zweck wurde 1622 die Kurienkongregation de Propaganda Fide gegründet (vgl. Metzler, Foundation).

57Vgl. Papa, Le cause di canonizzazione, 61–63; Gotor, fabbrica dei santi; ders., beati del papa, insbes. 285–295; Copeland, Sanctity, insbes. 227–231; Rosa, Curia romana, 135–152; Emich, Roma locuta. Neben den Kanonisationsprozessen war die Ritenkongregation mit der verbindlichen Regelung des katholischen Ritus (Gottesdienst) betraut.

58Vgl. Seidel Menchi, Erasmus als Ketzer; Prosperi, Tribunali, insbes. 135–153; Siebenhüner, Bigamie und Inquisition, insbes. 22–27; für weiterführende Literatur siehe Zwyssig, Italien.

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