Kitabı oku: «Oberst Redl», sayfa 2

Hannes Leidinger, Verena Moritz
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Ungeachtet des Fehlens weitergehender Informationen über Gustav Wölkerling von berufener russischer Seite, erscheinen gewisse Schlussfolgerungen zulässig. Da er fast doppelt so viel für seine Dienste kassiert haben soll wie Alfred Redl, vermuten Historiker, dass der deutsche Unteroffizier den Russen womöglich wertvolleres Material als der legendäre Oberst aus dem Habsburgerreich geliefert hat.38 Dieses Urteil lässt sich allerdings nur dann aufrechterhalten, wenn man davon ausgeht, dass Redls diesbezügliche Einnahmen sich tatsächlich anhand seiner damals von den Militärbehörden rekonstruierten Spareinlagen ablesen lassen. Die ausschweifende Lebensführung des Obersten legt im Gegensatz dazu nahe, dass womöglich ein Großteil seines Honorars gar nicht erst zur Bank getragen, sondern gleich wieder ausgegeben wurde.

Verhängnisvolle Bekanntschaften

Um die deutschen Kollegen bei der Untersuchung des Falls Wölkerling zu unterstützen, hatte das Evidenzbüro den in Fachkreisen bis heute bekannten Leopold Figl nach Berlin geschickt, um die chiffrierte Korrespondenz des Spions zu entschlüsseln.39 In Wien wiederum machte sich ebenfalls jemand erbötig, um dem hiesigen Geheimdienst behilflich zu sein. Offenbar trug sich der bereits 1910 verurteilte »Giftmörder« Adolf Hofrichter an, Aussagen über einen Generalstabsoffizier zu machen, der Spionage für Italien betrieb.40 Maximilian Ronges Aufzeichnungen ist freilich zu entnehmen, dass er nicht viel auf derlei Zurufe gab. Auch die Wortmeldungen verurteilter Spione, die im Nachhinein und von der Gefängniszelle aus Informationen über Redl preisgeben wollten, hielt Ronge für nicht vertrauenswürdig und daher entbehrlich.41 Außerdem beschäftigte ihn im März/April 1913 nicht die plötzliche Mitteilsamkeit des früheren Kriegsschülers Hofrichter, sondern vielmehr die Tätigkeit eines aktuellen »Frequentanten« der Kriegsschule. Allem Anschein nach war auch in der Kaderschmiede der Armee, wo in der Regel der Grundstein für eine Karriere im Generalstab gelegt wurde, ein Verräter am Werk.

Die häufigen Visiten des russischen Militärattachés in Wien, Oberst Michail Ippolitovič Zankevič, wurden zwei Brüdern, von denen einer die Kriegsschule besuchte, schließlich zum Verhängnis. Im April wanderten Čedomil und Alexander Jandrić hinter Gitter. Ersten Ermittlungen zufolge bestand die Verbindung zum russischen Militärattaché seit dem Herbst 1912 und hatte den beiden immerhin ein Zusatzeinkommen von ca. 20.000 Kronen eingebracht.

Dem russischen Militärattaché war der Kontakt zu Alexander Jandrić augenscheinlich besonders wichtig gewesen – ein Umstand, der offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Denn Alexander wurde sogar in der Wohnung des Obersten vorstellig, obwohl dieser ihn gewarnt hatte. Dem Russen, der seit Oktober 1910 als Militärattaché in Amt und Würden war und in anderer Funktion bereits zwischen 1903 und 1905 in Wien gearbeitet hatte, war nämlich nicht entgangen, dass er beschattet wurde.42 Nichtsdestoweniger wollte Zankevič seine »dunklen Geschäfte« weiterführen. Das größere Risiko trugen immerhin die Spione, mit denen er sich abgab.

Auch die Verhaftung von Artur Itzkusch und Artur Jacob erfolgte schließlich aufgrund ihres Kontaktes mit dem russischen Obersten.

(1) Oberst Michail Ippolitovič Zankevič. Der russische Militärattaché stand an der Spitze eines regelrechten Agentennetzwerkes.


Letzterer hatte das Ehepaar Itzkusch des Öfteren in dessen Wohnung aufgesucht. Ebenfalls in den eigenen vier Wänden empfing Artur Jacob seinen Auftraggeber. Die Brüder Jandrić waren also nicht die Einzigen geblieben, die aufgrund der von Polizeidetektiven beobachteten Besuche des zarischen Offiziers Verdacht erregten. Florian Lindner hingegen geriet erst infolge der Aussagen einer rachsüchtigen Ex-Geliebten ins Visier der Polizei. Die »postenlose Dienstmagd« zeigte ihn nach einem Streit an und plauderte dann offenbar auch Lindners Beziehungen zum Militärattaché aus dem Zarenreich aus.43 Andere Agenten, die sich im Solde des Russen befanden, blieben vorläufig unbehelligt. So konnte die Polizei Josef Haschek und Josef Beran erst dingfest machen, als Zankevič angesichts der Zerschlagung seines Netzwerkes und der Gewissheit, in Wien unerwünscht zu sein, die k.k. Hauptstadt bereits verlassen hatte.44 Die beiden hatten ihre Geschäfte im Übrigen nicht nur mit Zankevič besprochen, sondern auch mit dem russischen Vizekonsul in Wien, Evgenij Protopopov.45 In jedem Fall waren Haschek und Beran nach dem Weggang des Militärattachés dazu gezwungen gewesen, die säumigen Zahlungen der Russen via Stockholm anzufordern.46 Vermutlich hatte dieses Unterfangen ihre Ergreifung zur Folge. Immerhin galten spätestens seit der Verhaftung von Kopp-Köpp und Bravura Geldanweisungen aus Skandinavien als verdächtig. Laut Maximilian Ronge konnte festgestellt werden, dass tatsächlich der Militärattaché des Zarenreichs in Schweden, Oberst Petr Assanovič, gleichsam als »big spender« auftrat.47 Allem Anschein nach fungierten die skandinavischen Hauptstädte als »Poststationen« für konspirative Korrespondenzen der Russen. Allerdings funktionierte die Kommunikation zwischen Auftraggeber und Spion nicht immer reibungslos. So sah sich etwa Assanovič Ende 1912 gezwungen, einem Agenten mit Decknamen »Lupus« mittels harmlos erscheinender, aber chiffrierter Annoncen in einer Berliner Zeitung Mitteilung über den Erhalt eines Schreibens zu machen.48

Obwohl indessen Josef Beran bis zuletzt seine Unschuld beteuerte, wurde er zu viereinhalb Jahren Kerker verurteilt.49 Im Zuge des Prozesses behauptete er interessanterweise, nur deshalb mit Zankevič verkehrt zu haben, weil er dachte, »der Russe suche aus unzüchtigen Gründen die Vermittlung der Bekanntschaft mit einem Offizier«.50 Was Ronge später als »merkwürdige Ausrede« bezeichnete, dürfte viel eher eine sarkastische Anspielung auf die Affäre Redl gewesen sein. Obwohl bis heute obskure Deutungen von Berans Aussage auf eine etwaige homosexuelle Neigung des russischen Militärattachés hinauslaufen, war sich Ronge sicher, dass dem spionierenden Russen zumindest in dieser Hinsicht eine – wie er meinte – »Ehrenrettung« zukam.51

Mit der Arretierung des Kriegsschülers Čedomil und des ehemaligen Offiziers Alexander Jandrić schien der vorläufige Höhepunkt in Sachen russische Spionage in der Donaumonarchie erreicht worden zu sein. Doch es folgten weitere Verhaftungen. Im Vergleich zu den Brüdern Jandrić handelte es sich dabei um »kleine Fische«, um Handlanger, die beim »großen Geschäft« der aus Kroatien stammenden Geschwister gewissermaßen mitnaschten. So sehr sich aber die Militärbehörden bemühten, den Fall intern abzuhandeln, und auch der ungarische Ministerpräsident ersucht wurde, im Unterschied zu den Affären Bravura und Velössy die heimische Presse in Zaum zu halten, so wenig glückte dieses Vorhaben.52

Schon in den vorangegangenen Jahren hatte die Presse immer wieder Mittel und Wege gefunden, an Informationen aus dem Kriegsministerium heranzukommen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Etwa konnte man rund sieben Jahre zuvor Meldungen über einen jungen Leutnant namens Waldemar Firbas in den Zeitungen finden, der für Italien Spionage betrieben hatte. Da das Nachbarland auf diese Weise in den Besitz durchaus wertvoller Informationen über Mobilisierungsinstruktionen der k.u.k. Armee gekommen war und das Verhältnis zu dem Bündnispartner als keineswegs unkompliziert zu gelten hatte, zeigte sich das Kriegsministerium alles andere als erfreut über diesbezügliche Enthüllungen. Zudem besaß der Fall sämtliche Zutaten eines Dramas: Schulden, verbotene Liebe und Wahnsinn, gefolgt von einem Selbstmordversuch des verhafteten Leutnants.53

Wenngleich die Militärbehörden im April 1913 alle Hebel in Bewegung setzten, um die Causa Jandrić unter Verschluss zu halten, ließen sich auch dieses Mal die Journalisten nicht austricksen. Das Prager Tagblatt berichtete bereits am 12. April auf der Titelseite vom »Verrat militärischer Geheimnisse«, und auch die Arbeiter-Zeitung in Wien stürzte sich auf den Skandal.54 Alle Maßnahmen, um den Jandrić-Fall geheim zu halten, scheiterten. Wie sich bald herausstellte, verdienten sich diverse Amtsgehilfen im Kriegsministerium ein paar Kronen dazu, indem sie Interna an Journalisten weitergaben. Die Militärbehörden sahen sich hierauf genötigt, auch im Falle der Weitergabe unwesentlicher Informationen die betreffenden Armee-, Aushilfs- oder Hausdiener zu entlassen. Außerdem wurden die Offiziere angewiesen, keine Konzepte mit Bezug auf »reservate Angelegenheiten« in den Papierkorb zu werfen und keine Unterhaltungen geheimen Inhalts in Anwesenheit von Subalternen zu führen. Mehr Achtsamkeit sollte überdies beim Wegsperren wichtiger Dokumente vor Verlassen der Amtsräume an den Tag gelegt werden.55

Obwohl man jene Nummer der Arbeiter-Zeitung vom 13. April 1913, in der über die Spionageaffäre Jandrić berichtet wurde, auf Wunsch des Kriegsministeriums konfiszieren ließ, kam die Causa an die Öffentlichkeit und schlug hohe Wellen – nicht zuletzt deshalb, weil ein Sohn des amtierenden Generalstabschefs der k.u.k. Armee, Franz Conrad von Hötzendorf, ein Jahrgangskamerad von Čedomil Jandrić in der Kriegsschule gewesen war. Da wenige Tage später als Reaktion auf die Konfiskation der Arbeiter-Zeitung im niederösterreichischen Landtag eine Interpellation eingebracht wurde, die auf die Umtriebe der spionierenden Geschwister Bezug nahm, fand die Affäre noch größere Beachtung.56 Die Arbeiter-Zeitung druckte schließlich in ihrer Ausgabe vom 18. April 1913 genau jenen Artikel über die Jandrić-Brüder ab, aufgrund dessen am 13. die Einziehung des Blattes verfügt worden war. Dort konnte man nun nicht nur Andeutungen über eine Nahebeziehung zwischen Čedomil Jandrić und Kurt Conrad von Hötzendorf finden, die angeblich den Karriereverlauf des verhafteten Oberleutnants begünstigt hatte, sondern auch Spekulationen betreffend einen Zusammenhang der Affäre mit dem »Spionagefall Bravura«.57 Andere Blätter suggerierten, dass der Kriegsschüler Čedomil Jandrić infolge der Bekanntschaft mit dem Generalstabssohn mit »besonders geheimen Arbeiten« betraut worden sei.58 Überall kursierten die unterschiedlichsten Gerüchte im Zusammenhang mit der Causa. Nicht wenige davon betrafen den Gesundheitszustand des Generalstabschefs. Sie legten nahe, Conrad sei in Anbetracht des Skandals und einer etwaigen Kompromittierung seines Sohnes schwer erkrankt.59 Nachmalige Behauptungen, wonach Kurt Conrad eine engere Freundschaft mit Čedomil Jandrić verband, die unter anderem im gemeinsamen Feiern von Sexorgien mit »Damen der Unterschicht« ihren Ausdruck fand, gründen sich auf Vermutungen.60

Aufsehen erregte die Angelegenheit zudem im Zarenreich. In den russischen Zeitungen wurde Zankevič exkulpiert und seine Beteiligung an dem Skandal in Abrede gestellt, während in internen Papieren der zuständigen Abteilung des Generalstabs in St. Petersburg von den wertvollen Diensten eines gewissen Jandrić die Rede war. Da im Zuge der Ermittlungen in Wien festgestellt wurde, dass Alexander als die treibende Kraft des brüderlichen Spionageunternehmens zu gelten hatte, dürfte man in St. Petersburg ihn und nicht Čedomil als Partner wahrgenommen haben. Offenbar wusste man dort einiges mit den Lehrbehelfen der Kriegsschule anzufangen, die Čedomil nach Hause brachte, um dann vom Bruder in stundenlanger »Heimarbeit« auszugsweise kopiert und an Zankevič weitergegeben zu werden. Besonders schätzten die russischen Razvedka-Offiziere aber Alexanders Dienste während der Balkankriege, als er unter anderem wertvolle Angaben über Truppenverlegungen der k.u.k. Armee machte.61 Im Generalstab der Zarenarmee interessierte man sich aber auch noch nach der Verhaftung der Jandrić-Brüder für den Fall und ließ sich von einem in Wien tätigen Spion über eine angeblich im k.u.k. Kriegsministerium stattgefundene geheime Konferenz berichten, die im Juli 1913 einberufen worden war. Dieser Mitteilung zufolge ging der österreichisch-ungarische Generalstabschef durchaus von einer Mitschuld seines Sohnes an der Spionageaffäre aus, brach angesichts dieses Umstandes vor den ebenfalls erschütterten Konferenzteilnehmern zusammen und bot seinen Rücktritt an.62 Da aber selbst Razvedka-Offiziere die Berichte dieses Agenten aus Österreich als nicht immer vertrauenswürdig einstuften, sind Zweifel an dessen Angaben durchaus berechtigt.63 Andererseits aber hielten wichtige Exponenten des russischen Nachrichtenwesens den Spion, dem die Code-Nummer »112« zugeordnet worden war, für einen topinformierten Zuträger.64


Motive

Viele Jahre nach dem Skandal um die Brüder Jandrić und den Enthüllungen in der Causa Redl beschäftigte sich der ehemalige Chef des Evidenzbüros, August Urbański von Ostrymiecz, mit der Frage, aus welchen Motiven Spionage betrieben wurde. Der Befund, wonach nationale Beweggründe hierbei tendenziell eine geringere Rolle gespielt haben dürften als rein pekuniäre Interessen, deckt sich mit den Ergebnissen, die die Recherchen zu diesem Buch erbracht haben. Im Militärhistorischen Archiv in Moskau sind zahlreiche Spionagekorrespondenzen erhalten geblieben, die keinen Zweifel an den vorrangig finanziellen Motiven der Agenten lassen. Viele mussten gar nicht erst extra angeworben werden, sondern trugen dem russischen Geheimdienst von sich aus ihre Dienste an. Einige dieser sogenannten »Selbstanbieter« schilderten ihre Misere mitunter in drastischen Worten und drohten gar mit Selbstmord, sollte der erwartete Lohn nicht bald gezahlt werden. In anderen Briefen, die zum Teil mit Geheimtinte geschrieben worden waren, kündigten die Verfasser bei weiterem Ausbleiben von Zahlungen die sofortige Einstellung ihrer Tätigkeit an, oder aber sie forderten höhere Beträge als die vorab vereinbarten Summen. Dem von uns eingesehenen russischen Aktenmaterial ist zu entnehmen, dass neben diversen Zivilpersonen etliche Angehörige der k.u.k. Armee, wenngleich eher den unteren Chargen angehörend, verbotene Geschäfte mit Russland machten. Soweit sich die Namen beziehungsweise die Herkunft dieser Männer feststellen ließen, konnten daraus keine Rückschlüsse auf die besondere Illoyalität einer speziellen nationalen Gruppe gezogen werden.

Im Falle des spionierenden Alfred Redl hatten verschiedene politische Kräfte Interesse daran, dem Obersten nationalistische oder zumindest »anti-deutsche« Motive zu unterstellen. Aus seinem näheren Umfeld wollte aber kaum jemand daran glauben, dass der in Lemberg geborene k.u.k. Offizier sich vor diesem Hintergrund zum Vaterlandsverrat entschlossen hatte. Der offenbar mehrsprachig aufgewachsene Redl, der fließend Deutsch, Polnisch und Ruthenisch sprach, hatte, so ein zeitweiliger Weggefährte, niemals den Eindruck erweckt, »eine Persönlichkeit von nichtösterreichischer Einstellung« zu sein. Der frühere Offizier der Habsburgerarmee Karl Bornemann, der 1964 in einem Brief über seine Bekanntschaft mit Redl Auskunft gab, hegte 1912, als beide beim Infanterieregiment Nr. 99 ihren Dienst versahen, keinerlei Zweifel, dass der Oberst »innerlich in der Monarchie verwurzelt« gewesen war.65

Anders als Max Ronge, der in seinen Publikationen Zusammenhänge zwischen nationalen Begehrlichkeiten, Spionageaktivitäten und schließlich sogar dem Untergang der Donaumonarchie hervorhob, führt auch die Lektüre der in österreichischen Archiven verwahrten Verhörprotokolle zahlreicher Spione oder Spionageverdächtiger zu der banalen Erkenntnis, dass die Triebfeder für den Verrat hauptsächlich in Verschuldung und/oder Geldgier zu suchen ist.

Gleichzeitig gerät dabei speziell das Wien um die Jahrhundertwende in ein schiefes Licht: Zwischen dem Glanz der Paläste und dem Gestank der Gosse tummelt sich eine zukunfts- und orientierungslose Masse, die Ablenkung im Vergnügen sucht und moralische Grundsätze zum eigentlichen Luxus erklärt. Die Beichten der von Gerichts wegen befragten Agenten und Agentinnen führen in eine Welt, die von unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Arm und Reich, Oben und Unten geprägt ist, die Menschen in vorgezeichnete Lebensläufe zwingt und keinerlei Fehltritte verzeiht. Die »Gefallenen« sind Opfer ihrer Leidenschaften, gehetzte, vom Schicksal verkrümmte, im Grund gepeinigte Existenzen. Bilder aus den Stücken und Romanen Arthur Schnitzlers drängen sich auf, wenn von »Ehrenaffären« die Rede ist, von orgiastischen Gelagen im Wiener Nachtleben, von Spielschulden und Pfandleihern, von den Beziehungen fremdgehender Ehefrauen mit jungen Leutnants, von Prostituierten mit Namen Mizzi und Fifi oder von Abtreibungen, die nicht bezahlt werden können. Zu bestätigen scheinen sich überdies sämtliche Klischees, die das an Ausschmückungen und Verzerrungen ohnehin reiche Metier der Spionage mit sich bringt: Man tituliert sich in fingierten Liebesbriefen als »Schatzi« oder »Mauserl«, um auf diese Weise geheime Treffen zu vereinbaren, in finsteren Kaschemmen werden geheimnisvolle Pakete übergeben, X verabredet sich mit Y im Prater und bekommt wenig später mit Geldscheinen gefüllte Kuverts von einem finsteren Popen ausgehändigt.

Gleich ob man die Gerichtsakten zur Jandrić-Affäre studiert, in den Erhebungsakten zum Spionagefall Waldemar Firbas blättert oder sich durch das Dickicht an Berichten und Geschichten über den Redl-Skandal kämpft – was belegt werden kann, ist abenteuerlich genug, um ohne zusätzliches Dekor auszukommen.


Der Wert des Materials

August Urbański war der Ansicht, Čedomil Jandrić habe sich an der Spionage seines jüngeren Bruders beteiligt, um auf diese Weise Rache für dessen Ausschluss aus der Armee zu üben.66 Alexander, der tatsächlich aufgrund »unehrenhaften Verhaltens« seiner Leutnantscharge verlustig gegangen war, entschied sich hingegen in Ermangelung anderer Einkunftsmöglichkeiten für die »Agentenkarriere«. Außerdem liebte er die Zerstreuung und ließ sein Geld gerne bei Damen »vom Gewerbe«. Auch die Gründe für die Komplizenschaft seines Bruders dürften indes nicht nur emotioneller, sondern durchaus auch finanzieller Natur gewesen sein. Immerhin profitierte Čedomil von den Honoraren des Bruders, lebte mit ihm in einer relativ komfortablen Wohnung und konnte sich auch sonst verschiedene Annehmlichkeiten leisten. Kameraden beschrieben ihn später als »vergnügungssüchtig«.67



(2) Čedomil Jandrić bei der Urteilsverlesung. Der Kriegsschüler büßte nicht zuletzt für die »Sünden« seines Bruders Alexander.

Im Zuge der Ermittlungen gab Alexander Jandrić übrigens zu, nicht nur mit Oberst Zankevič Kontakt unterhalten zu haben, sondern bereits 1912 persönlich nach Petersburg gereist zu sein, um das Geschäft mit dem Verkauf von Informationen in Gang zu bringen. Auch den russischen Militärattaché in Paris hatte Alexander zu diesem Zweck aufgesucht.

Die Qualität der Informationen, die Alexander an die Russen weitergab, variierte stark. Als das Unterrichtsmaterial, das Čedomil von der Kriegsschule mitbrachte, ausdünnte, musste die Fantasie einspringen. Nun beschaffte sich Alexander sogenannte »Aviatikerkarten«, zeichnete darin willkürlich Landungsplätze ein und überreichte sie anschließend Zankevič. Auch der an den Militärattaché ausgehändigte Plan der Festung Przemyśl, die überragende strategische Bedeutung im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung besaß, war gemäß den Aussagen Alexanders im Wesentlichen eine Fälschung. Trotzdem kassierte er hierfür die unglaubliche Summe von 12.000 Kronen. Heute entspricht dieses Honorar immerhin ungefähr 70.000 Euro.68 Anscheinend schöpfte der russische Oberst keinen Verdacht und beauftragte Alexander in weiterer Folge sogar, ihm den Aufmarschplan der k.u.k. Truppen in Galizien zu besorgen. Obwohl ihn die Elaborate Alexanders anfangs nicht überzeugten, erhielt dieser bei anderer Gelegenheit für einen neu angefertigten Plan, den er, um die Echtheit des Materials vorzuspiegeln, mit Zahnpasta versiegelt hatte, umgehend 2500 Kronen. Alexander hatte gegenüber Zankevič behauptet, er habe einen Generalstabsoffizier bestochen, um an das brisante Material heranzukommen. Als der Attaché dann den angeblichen Verbindungsmann kennenlernen wollte, suchte Alexander nach Ausflüchten. Den gegenüber Zankevič genannten Generalstabsoffizier, welcher keine Ahnung von seiner indirekten Verwicklung in eine Spionageaffäre hatte, kannte er nämlich nur vom Sehen.

Max Ronge, der zum Sachverständigen im Prozess gegen Čedomil Jandrić berufen wurde, vertrat die Ansicht, dass durchaus authentisches Material verraten worden war. Vor allem die aus der Kriegsschule stammenden Behelfe und Aufzeichnungen, die Alexander durch den Bruder zugänglich gemacht worden waren, zählte Ronge zu dieser Kategorie. Auch der Plan von Przemyśl enthielt seiner Einschätzung zufolge den Tatsachen entsprechende Informationen. Er räumte überdies ein, dass die russische Seite gewiss in der Lage gewesen sei, eine plumpe Fälschung zu erkennen. Andernfalls hätte man nicht 12.000 Kronen lockergemacht. Dass Zankevič aber auch Erfundenes geschluckt habe, sei in Geheimdienstkreisen üblich. Man nehme Fantasieprodukte in Kauf, um bei nächster Gelegenheit vom selben Spion Authentisches zu bekommen.69 Außerdem war es üblich, verschiedene Agenten auf ein- und dieselbe Aufgabe anzusetzen. So konnte beispielsweise Nikolaj Batjušin in etwa zeitgleich mit Jandrićs Lieferung der Przemyśl-Materialien seine Kollegen in St. Petersburg auf das Eintreffen von zusätzlichen Dokumenten über die österreichische Festung aufmerksam machen, die aus einer weiteren »erprobten« Quelle stammten.70 Der Warschauer Geheimdienstchef verfügte über eine Reihe zuverlässiger »Lieferanten«, darunter einen aus der Donaumonarchie stammenden Leutnant der Reserve namens Boleslaw Roja, der auch als Doppelspion auftrat.71

Obwohl indessen Čedomil Jandrić dem russischen Militärattaché nie begegnet war und angeblich geglaubt hatte, sein Bruder habe Zankevič ausschließlich mit Spielmaterial versorgt, wurde der junge Oberleutnant »zum schweren Kerker in der Dauer von neunzehn Jahren, verschärft durch monatlich einmal Fasten, hartes Lager an den Fasttagen und Anhaltung in Einzelhaft während des ganzen ersten und sechsten Monates eines jeden Strafjahres verurteilt«. Der Richter führte überdies als erschwerend an, dass Čedomil seinem Bruder just in jener Phase Zugang zu seinen Kriegsschulmaterialien gewährt hatte, »als es schon offenkundig und dem Untersuchten auch bekannt war, dass in Österreich-Ungarn militärische Maßregeln und Rüstungen zu einem Kriege mit mehreren Nachbarstaaten getroffen wurden«.72

Alexander Jandrić, welcher der Zivilgerichtsbarkeit unterlag, musste für nicht ganz fünf Jahre ins Gefängnis.73 Beim Prozess im Februar 1914 schien der damals 26-Jährige übrigens alles andere als gebrochen. Im Gegenteil. Seine »Aufgeräumtheit« wirkte auf einige Beobachter des Prozesses offenbar geradezu irritierend.74 Nach Abbüßung der Strafe sollte Alexander Jandrić des Landes verwiesen werden. In einem Brief, den er im März 1914 an den Bruder richtete, bat Alexander diesen um Verzeihung dafür, dass er ihn ins Verderben gestürzt habe. Gleichzeitig verlieh er seiner Zuversicht Ausdruck, dass Čedomil die lange Haft überleben werde, und versprach, ihm nach der Entlassung gleichsam als Wiedergutmachung ein sorgenloses Leben zu ermöglichen.75

Gerüchte über eine seitens russischer Handlanger geplante Befreiung der Geschwister aus dem Gefängnis nahmen die Behörden durchaus ernst. Zumindest Alexander Jandrić wurde im April 1914 kurzfristig in eine andere Zelle verlegt. Den Häftling legte man zur Sicherheit sogar »in Eisen«.76


Redl und Zankevič

Obwohl sich nach Ansicht der Offiziere im Evidenzbüro das Außenministerium immer zierte, wenn klare Worte gegenüber einer »fremden Macht« gefragt waren, zögerten die k.u.k. Diplomaten diesmal nicht, in St. Petersburg die Abberufung des russischen Militärattachés zu fordern. Dessen Tätigkeit in Wien endete offiziell am 8. Juli 1913.77 Es lag auf der Hand, dass Oberst Michail Zankevič die Fäden in jenem Spionagenetz gezogen hatte, über das in- wie ausländische Zeitungen schrieben. Während zum Leidwesen des österreichisch-ungarischen Geheimdienstes die eigenen Militärattachés im Ausland größtmögliche Zurückhaltung in Sachen Spionage üben sollten, wurden ihre russischen Kollegen geradezu aufgefordert, gewissermaßen erlaubte wie auch unerlaubte Wege in der Informationsbeschaffung zu gehen. Akribisch ausgearbeitete Instruktionen der Razvedka-Abteilung im russischen Generalstab hielten eine Reihe von Richtlinien im Umgang mit Spionen bereit und offerierten auch praktische Anleitungen für das reibungslose Funktionieren eines Agentennetzwerkes. Zankevič zeigte sich in diesem Zusammenhang ganz besonders engagiert, da er von der Gefährlichkeit des »Krieges im Untergrund«, den Russlands Feinde führten, überzeugt war. Wie viele andere auch glaubte er fest an die Unausweichlichkeit eines alles entscheidenden Kampfes zwischen »Germanen und Slawen«. Dass dieser nur von Russland, und zwar »mit Blut und Eisen« entschieden werden könne, hielt Zankevič für gewissermaßen selbstverständlich.78

Als Ende Mai 1913 der Redl-Skandal die Monarchie erschütterte, argwöhnten viele, dass auch in diesem Fall Oberst Zankevič eine Rolle gespielt hatte. Dem umtriebigen Russen, der nach Aussagen von Alexander Jandrić sogar seine Ehefrau für die Spionagearbeit in Wien einspannte, konnte durchaus zugetraut werden, mit dem »Verräter aus den k.u.k. Generalstabskreisen« in Verbindung gestanden zu sein. Doch Alfred Redl, der infolge seiner langjährigen Dienstzeit im Evidenzbüro alle Kniffe kannte, um seine Tarnung zu perfektionieren, war wohl zu schlau, um sich solcherart zu kompromittieren. Er nützte andere Kanäle, um den Kontakt mit seinen Auftraggebern aufrecht zu erhalten.

Entgegen den Vermutungen der Presse, die nach Redls Entlarvung einen Zusammenhang mit Zankevičs Machenschaften und dadurch auch mit den »dunklen Geschäften« der Brüder Jandrić konstruierten, lieferten die Erhebungen der Militärbehörden keine Anhaltspunkte für eine derartige Darstellung. Ein kleines Detail im »Fall Jandrić« spielte dann aber auch im Fall Redl eine Rolle. Jahrzehnte später schilderte Hermann Zerzawy, 1913 Oberleutnant im Evidenzbüro, dass er bei der Verhaftung von Čedomil Jandrić zugegen gewesen war und auf Anraten Max Ronges einen Browningrevolver mitgenommen hatte. Laut Zerzawy fürchtete Ronge offenbar, dass Jandrić sich zur Wehr setzen würde. Wenngleich Zerzawys Schilderungen vom Verhör des Kriegsschülers sich nicht mit dessen späteren Aussagen vor dem Garnisonsgericht decken, steht fest: Jandrić leistete keinen Widerstand, die Waffe blieb unbenützt und Ronge brachte sie ins Kriegsministerium zurück. Dort verwahrte er sie in seinem Büro. Niemand konnte ahnen, dass sich nur wenige Wochen später Alfred Redl mit diesem Revolver das Leben nehmen würde.79 Für Behauptungen, wonach Čedomil Jandrić ebenso wie später dem Obersten Gelegenheit gegeben wurde, sich selbst zu richten, fehlen die Belege.80

38.Schmidt, Gegen Russland und Frankreich, 454f.; Pethö, Oberst Redl, 144.
39.Ronge, Kriegs- und Industriespionage, 73 f.
40.ÖStA/KA/NL B/126: 1, Handschriftliche Notizen zum Aktenverlauf des Evidenzbüros 1913.
41.Moritz/Leidinger/Jagschitz, Im Zentrum der Macht, 95.
42.Ronge, Kriegs- und Industriespionage, 43.
43.HHSTA/PA I, Kt. 780 und 783.
44.Ronge, Kriegs- und Industriespionage, 72f.
45.ÖStA/KA/KM 1914: 30-90/5.
46.Ronge, Kriegs- und Industriespionage, 72f.
47.ÖStA/KA/NL B/126: 1, Handschriftliche Notizen zum Aktenverlauf des Evidenzbüros 1913; HHStA/PA XXVI, Kt. 31: Schweden, Berichte, Varia 1911–1913.
48.Alekseev, Voennaja Razvedka, 250.
49.ÖStA/KA/Evidenzbüro 1913: Kt. 1082.
50.Ronge, Kriegs- und Industriespionage, 73.
51.Ebd. und vgl. die Ausführungen in Brjuchanov, Učitel' i učenik.
52.ÖStA/KA/KM Präs. 1913: 40-12/1-4.
53.ÖStA/KA/Evidenzbüro: Kt. 1033. Firbas wurde zu acht Jahren Kerker verurteilt.
54.ÖStA/KA/Evidenzbüro: Kt. 3508.
55.ÖStA/KA/Generalstab 1913: 36-11.
56.ÖStA/KA/KM Präs. 1913: 18-31/1.
57.Arbeiter-Zeitung, 18.4.1913, 6.
58.ÖStA/KA/KM Präs. 1913: 18-31/1.
59.Neues Wiener Journal, 18.4.1913, 1 und 19.4.1913, 4.
60.Sondhaus, Franz Conrad, 137. Vgl. auch Kunz, Da wir in Österreich dienten …, 7.
61.RGVIA f. 2000, op. 1, d. 2979, l. 22.
62.RGVIA f. 2000, op. 15, d. 271, l.36–37.
63.Alekssev, Voennaja Razvedka, 82.
64.Ebd., 553.
65.ÖStA/KA/NL B/1041: 79, 3.
66.ÖStA/KA/NL B/58: 4b (Das Tornisterkind), 173.
67.Altmann, Zur Psychologie des Spions, 44.
68.Die Umrechnung erfolgte auf Grundlage einer Auskunft von der Statistik Austria (Verbraucherpreisindex) vom 6.6.2012.
69.ÖStA/KA/MGA/Landesgericht Wien 1914, Kt. 2998.
70.RGVIA, f. 2000, op. 1, d. 2836, l. 117-119.
71.ÖStA/KA/NL B/126: 1, 149.
72.ÖStA/KA/MGA/Landesgericht Wien 1914, Kt. 2998.
73.Ebd.
74.ÖStA/KA/AOK-Evidenzbüro, Kt. 3508.
75.ÖStA/KA/MGA/Landesgericht Wien 1914, Kt. 2998.
76.ÖStA/KA/KM 4. Abt. 1914: 30-35/4.
77.Sergeev/Ulunjan,Voennye agenty, 374.
78.RGVIA, f. 1859, op. 6, d. 139, l.186.
79.Neue Illustrierte Wochenschau, 20.10.1957, 15f.
80.Vgl. Sondhaus, Franz Conrad, 137.
Hannes Leidinger
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