Kitabı oku: «Oberst Redl», sayfa 3
WEGE ZUM HOCHVERRAT
Karrieren
Michail Ippolitovič Zankevič war keineswegs der erste russische Militärattaché gewesen, der seinen Aufenthalt in Wien dazu nutzte, auch auf inoffiziellem Wege Informationen über die k.u.k. Armee zu beschaffen. Nicht anders verhielt sich sein Vorgänger Mitrofan Konstantinovič Marčenko, der 1905 seinen Posten in der Donaumonarchie angetreten hatte.
Als der neue Mann aus dem russländischen Imperium unter dem Szepter der Romanovdynastie nach Wien kam, saß Alfred Redl als Hauptmann und angehender Major des Generalstabs im Evidenzbüro, dem militärischen Geheim- beziehungsweise Nachrichtendienst der k.u.k. Armee. In den kleinen winkeligen Räumen des Kriegsministeriums Am Hof, wo eine überschaubare Anzahl österreichisch-ungarischer Nachrichtendienstler ihrer Arbeit nachging, hatte die Karriere des aus Galizien stammenden Offiziers, der es 1912 bis zum Generalstabschef des 8. Korps in Prag brachte, ihren Anfang genommen. Nachdem er 1894 die Kriegsschule mit »sehr gutem Erfolg« absolviert hatte, kletterte der Sohn eines Lemberger Eisenbahnbeamten rasch die Erfolgsleiter empor. Noch im selben Jahr wurde er vorübergehend dem Eisenbahnbüro zugeteilt, um dann nach einigen Jahren bei der Truppe mit anspruchsvolleren Aufgaben betraut zu werden. Gewiss als vorteilhaft für die Laufbahn des jungen Offiziers erwies sich wohl sein Sprachentalent. Redl verbrachte ab seiner Ernennung zum Generalstabshauptmann im Mai 1899 ein Jahr im Zarenreich, wo er im Rahmen eines speziellen »Austauschprogramms« Russisch erlernte. Nach einer anschließenden kurzen Dienstzeit in Lemberg fand er in der »Russischen Gruppe« des Evidenzbüros Aufnahme und widmete sich dort vor allem der Auswertung von Informationen über die Armee des Romanovimperiums. Etwa ein halbes Jahr später wechselte er dann in die »Kundschaftsgruppe«, wo er von 1901 bis 1905 tätig war.81 Dort verlief der Arbeitsalltag weit weniger spektakulär, als es das Metier der Spionage beziehungsweise des Nachrichtendienstes nahelegt. Doch Redl machte sich in dieser Zeit in seiner Rolle als Sachverständiger in Spionageprozessen einen Namen. So erwies sich die Zuteilung zum Evidenzbüro als Sprungbrett für noch »höhere Weihen«. Der ehrgeizige Offizier erhielt im Zuge seiner Dienstzeit mehrere Orden und wurde von seinen Vorgesetzten als »intelligenter, fleißiger und sehr bescheidener Offizier« beschrieben, »der zu besten Hoffnungen berechtigt ist«. Man nahm ihn als »festen, männlich offenen Charakter« wahr und schätzte ihn als »beliebten Kamerad[en]«, der sich besonders »fürsorglich« gegenüber seinen Untergebenen verhielt, einen »guten Einfluss« auf jüngere Offiziere ausübte und nur »feine Gesellschaft« suchte, eine, die »seiner schönen Denkungsart entspricht«.82
In den sogenannten »Qualifikationslisten«, wo neben diesen Einschätzungen zur Person Alfred Redls noch viele weitere Lobreden auf dessen Fähigkeiten nachzulesen sind, wurde sein Geburtsdatum einige Male mit 14. März 1866 angegeben, um dann auf 1864 ausgebessert zu werden. Seine »Privatverhältnisse« hatte man mit den Worten »ledig, ohne Vermögen, finanziell geordnet« umschrieben.83
»Finanziell geordnet« waren die »Privatverhältnisse« vieler k.u.k. Offiziere freilich nicht. Hierbei erging es ihnen nicht viel anders als der Armee insgesamt. Dem Evidenzbüro, das zwischen 1898 und 1903 von Oberst Artur Freiherr Giesl von Gieslingen geleitet wurde, fehlte es aber nicht nur in Anbetracht eines bescheidenen Budgets an entsprechenden Entfaltungsmöglichkeiten. Zusätzlich zu diesen elementaren Problemen musste es vor dem Hintergrund diplomatischer Interessen seine Kundschaftstätigkeit gegenüber Russland zwischen 1903 und 1905 mehr oder weniger einstellen. Nachrichtendienstler wie Maximilian Ronge wurden nach dem Ersten Weltkrieg nicht müde zu betonen, wie sehr hingegen die für die militärische Spionage im Zarenreich zuständige Razvedka diese Phase dazu nutzte, ihre Tätigkeit gegenüber Österreich-Ungarn zu intensivieren. Wenngleich die Vorstellungen in der Donaumonarchie von den finanziellen Mitteln des russischen Geheimdienstes überzogen waren, hatte das Zarenreich im »offensiven Kundschaftswesen« wirklich bald die Nase vorn. Der Stellenwert eines professionalisierten militärischen Nachrichtendienstes im Generalstab war spätestens anlässlich der Armeereformen nach Ende des russisch-japanischen Krieges 1905 gestiegen. Damit einher gingen Verbesserungen für die Rahmenbedingungen der »militärischen Auslandsaufklärung«. Wie kläglich es andererseits um die Finanzen des Evidenzbüros bestellt gewesen war, lässt sich mit Blick auf seine Dotation für das Jahr 1912 unschwer belegen. Damals musste man mit 150.000 Kronen auskommen und verfügte demnach über eine Summe, die »kaum an das Gehalt eines mittleren Bankdirektors« heranreichte.84 Bedenkt man, wie viel allein Alexander Jandrić vom russischen Militärattaché bezahlt bekam, dann erscheint eine annähernd gleichwertige Entlohnung von Spionen im Dienste der k.u.k. Armee nahezu ausgeschlossen. Doch trotz chronischen Geldmangels und regelmäßiger Bettelbriefe an das Außenministerium konnte das Evidenzbüro im Bedarfsfall anscheinend doch entsprechende Summen offerieren. Die Beschaffung des russischen Aufmarschplanes hätte sich der k.u.k. Generalstabschef offenbar durchaus etwas kosten lassen: Angeblich sollen hierfür bis zu 100.000 Kronen zur Verfügung gestanden haben.85 Andere Quellen zeugen nicht unbedingt von Freigiebigkeit. Für die Mobilisierungsinstruktionen, insbesondere der russischen Armee, war man laut Protokoll einer Besprechung des Evidenzbüros vom Februar 1913 keineswegs bereit, mehr als 5000 Kronen zu zahlen.86 Angesichts der Tatsache, dass der Informationsstand über den russischen Aufmarschplan in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu wünschen übrig ließ, erstaunt der »Geiz« der verantwortlichen Stellen im Habsburgerreich doch einigermaßen.87
Gemischte Gefühle
Eine der Routineaufgaben der Militärattachés bestand darin, Charakteristiken hoher Offiziere des Gastlandes anzufertigen. Da Redl 1907 zum stellvertretenden Leiter des Evidenzbüros aufstieg, war es nur logisch, dass Marčenko den »Neuen« beschrieb. Er schickte einen Bericht nach St. Petersburg, in dem er den k.u.k. Major, der nach etwa zweijähriger Dienstzeit als Generalstabschef der 13. Landwehrinfanteriedivision ins Evidenzbüro zurückgekehrt war, als schlau, leistungsfähig und konzentriert, aber auch als »verschlagen«, »falsch« und »süßlich« bezeichnete. Redl sei überdies ein »Zyniker« und obendrein ein »Schürzenjäger« mit einer Schwäche für Vergnügungen.88 Mit ähnlichen Worten charakterisierte ihn im April 1908 die für Österreich-Ungarn zuständige Unterabteilung im russischen Generalstab in einem Rapport an die Spionageoffiziere des Warschauer Militärkreises. Interessanterweise wurde dort hinzugefügt, dass Redl auch Spanisch beherrsche.89 Diese Bemerkung ist wohl in Zusammenhang mit einem Orden zu sehen, den der damalige Major 1906 von Spanien erhalten hatte.90
Auch in anderen Akten des Militärhistorischen Archivs in Moskau sind allgemeine Charakteristika der Geheimdienstoffiziere der Habsburgermonarchie zu finden. Aus ihnen lässt sich – entgegen einigen populären Darstellungen – keineswegs schließen, dass Redl den Militärattachés Marčenko und Zankevič oder aber dem gewissermaßen berühmt-berüchtigten Nikolaj Stepanovič Batjušin anders als ein Offizier einer »feindlichen Macht« bekannt gewesen wäre. Batjušin erwähnt im Übrigen in seinen viele Jahre nach Ende der Zarenherrschaft erschienenen Aufzeichnungen die Redl-Affäre nur beiläufig. Der Russe, den einige Autoren einschlägiger Publikationen über den »verräterischen Generalstabsobersten« als jenen Mann bezeichnen, auf dessen Betreiben hin Redl zur Spionage erpresst wurde, bringt den Fall vor allem als Beispiel dafür, dass selbst erfahrene Agenten irgendwann über Kleinigkeiten stolpern und demgemäß enttarnt werden.91 Dass man Redl in den russischen Geheimdienstunterlagen überdies als »Frauenheld« beziehungsweise »Schürzenjäger« beschrieb, steht Behauptungen entgegen, denen zufolge der Oberst von den Russen ob seiner homosexuellen Neigungen erpresst worden ist. Bemerkenswert ist freilich, dass den Offizieren aus dem Zarenreich im Unterschied zu manchen österreichischen Kollegen Redls Hang zur Zerstreuung als durchaus unvorteilhaft aufgefallen war.
Insgesamt stellen die negativen Äußerungen Marčenkos über Redls Persönlichkeit aber nichts Ungewöhnliches dar. Wenig Schmeichelhaftes berichtete nämlich auch der damalige Leiter der russischen Militärspionage, Oberst Nikolaj Avgustovič Monkevic, im September 1907 über Redls Chef, Eugen Hordliczka. Die beiden Nachrichtendienstler hatten sich bei einem Manöver in der Schweiz kennengelernt. Hordliczka war Monkevic eher steif vorgekommen. Die Zunge des k.u.k. Offiziers löste sich aber, so der Russe, sobald das erste Glas Wein serviert wurde. Mit jedem Schluck wurde Hordliczka dann auch gesprächiger und gab Dinge von sich, die nach Ansicht Monkevics ein Mann von seiner Stellung lieber für sich behalten sollte. Nachdem er sich bei seinem Gesprächspartner über die russische Spionage in Galizien beschwert hatte, erwähnte Hordliczka nämlich, dass drei seiner Brüder in Polen lebten. Tatsächlich wäre es besser gewesen, der Evidenzbürochef hätte solche Informationen unterdrückt, denn die Spionageabteilung im russischen Generalstab ordnete umgehend eine Überwachung sämtlicher auf dem Territorium des Zarenreichs befindlichen Mitglieder der Hordliczka-Familie an.92
Einen nicht gerade angenehmen Eindruck bei seinen österreichischen Kollegen hinterließ umgekehrt aber gleichfalls Mitrofan Marčenko. Er fiel August Urbański, seit 1909 Nachfolger von Eugen Hordliczka im Chefsessel des Evidenzbüros, als ganz besonders neugierig auf. Anlässlich der großen Manöver der k.u.k. Armee, bei denen ausländische Militärattachés als Beobachter zugelassen waren, musste Urbański den Russen deswegen regelrecht bändigen. Dennoch war dem Militärattaché aus dem Zarenreich offenbar daran gelegen, die nicht gerade friktionsfreien Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und seinem Herkunftsland zu verbessern. Wohlwollend stand diesem Unterfangen nicht zuletzt der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand gegenüber. Im Belvedere, wo der Erzherzog residierte, galt Marčenko als »Persona grata«.93 Der Militärattaché berichtete selbstverständlich über seine Kontakte zu Franz Ferdinand nach St. Petersburg und hob darin unter anderem die oftmaligen Differenzen zwischen dem Kaiser und dem Thronfolger hervor.94
Marčenkos Bemühungen um ein harmonischeres Miteinander zwischen seinem Gast- und seinem Herkunftsland hinderten ihn aber nicht am Spionieren. Aufgrund eines anonymen Schreibens aus Italien kam das Evidenzbüro einem Beamten namens Alfred Kretschmar von Kienbusch auf die Spur, der als »Kalkulant« im Arsenal in Wien arbeitete und vertrauliche Armeeakten an Marčenko weitergab. In einem Protokoll, das die Polizei im Jänner 1910 aufsetzte, gab der verhaftete Kretschmar an, 162 Kronen pro Monat zu verdienen. Er habe in Anbetracht dieses bescheidenen Lohns und in dem Gefühl, entgegen seinen Qualifikationen ohne entsprechende Position im Heeresdienst geblieben zu sein, »einen schweren Groll gegen den Staat« entwickelt. Darum sei er an Marčenko herangetreten, um diesem Informationen über das »Artilleriewesen« der k.u.k. Armee zukommen zu lassen. Der Russe speiste den »Kalkulanten« mit eher bescheidenen Summen ab. Kretschmar behauptete, nie mehr als 50 Kronen pro Auftrag bekommen zu haben.
Im Zuge der weiteren Untersuchungen gegen den Arsenalbediensteten kamen schließlich zusätzliche Details ans Tageslicht. Im Juli 1910 wusste das k.u.k. Garnisonsgericht Wien zu vermelden, dass Kretschmar von Kienbusch in Wirklichkeit schon seit vielen Jahren Spionage betrieb und bereits mit drei Vorgängern Marčenkos kooperiert hatte. Der arretierte Beamte erzählte, dass er bei jedem Wechsel der Militärattachés in Wien vom scheidenden an den jeweils neuen Mann aus Russland »wie ein Inventarstück übergeben« worden war. Außerdem erhielt er von Marčenko erheblich mehr, als er anfangs zugegeben hatte – zuletzt 200 Kronen monatlich, und zwar unabhängig von seiner »Leistung«. Innerhalb von etwa 20 Jahren hatte der »Langzeitagent« mehr als 30.000 Kronen »erspioniert«.95 Erwähnung verdient der Umstand, dass Kretschmar folglich auch mit dem zwischen Mai 1900 und Mai 1905 in Wien amtierenden russischen Militärattaché Vladimir Christoforovič Roop kooperierte.96 Letzterer war wahrscheinlich eine Schlüsselfigur im Fall Redl. Hinweise russischer Provenienz sind dahingehend zu interpretieren, dass Roop Redl seinerzeit angeworben hat.97
Als militärischer Sachverständiger im Prozess gegen den nicht nur gegenüber Russen, sondern auch Franzosen und Italienern auskunftsfreudigen österreichischen Beamten wurde jedenfalls Redl herangezogen.98 Der Evidenzbürovizechef und Leiter der Kundschaftsstelle, dem bei seinen Auftritten vor Gericht stets eine bestechende Kompetenz attestiert wurde, bekam es im Fall Kretschmar mit weiteren Verdächtigen zu tun. Strenge Strafen drohten etwa fünf Offizieren des Artilleriezeugdepots. Unter Anklage standen außerdem ein Freund des Spions sowie der Schwiegervater Kretschmars.99
Unangenehm endete die ganze Angelegenheit auch für Oberst Marčenko. Obwohl – sehr zum Ärger des k.u.k. Geheimdienstes – das Außenministerium der Doppelmonarchie eine gegenüber St. Petersburg einzufordernde Entfernung Marčenkos aus Wien zunächst nicht guthieß, musste der russische Oberst am Ende doch seinen Hut nehmen. Als Franz Joseph, den man über die Causa informiert hatte, den zarischen Militärattaché und dessen Frau beim nächsten Hofball ostentativ mied, erregte dies durchaus Aufsehen. Kurze Zeit später verließen Marčenko und seine Gattin, die ob ihrer ausgeprägten Vorliebe für violetten Puder hinter vorgehaltener Hand »Vera Violetta« hieß, die k.k. Hauptstadt.100
Ungeachtet der zweifellos als Erfolg zu betrachtenden Festnahme Kretschmars hinterließ die Affäre im Evidenzbüro einen bitteren Nachgeschmack. Die gesamte Aktion hatte dem ohnehin an chronischem Geldmangel leidenden k.u.k. Geheimdienst 8000 Kronen gekostet. Weiterhin ungelöst blieb obendrein das Problem des eklatanten Informationsdefizits bezüglich der militärischen Planungen der russischen Armee. Diese waren dem österreichisch-ungarischen Generalstab 1910 nicht einmal noch »in den allgemeinen Grundzügen« bekannt. Solche Mängel mussten angesichts der im Romanovimperium vor sich gehenden, groß angelegten Umstrukturierungen im militärischen Sektor umso schwerer ins Gewicht fallen.101
So unrühmlich indessen der Abgang des zarischen Militärdiplomaten aus Wien aus Sicht seiner Gastgeber gewesen sein mag, so wenig schadete die Affäre Marčenkos Karriere in der Heimat. Bis zum Frühjahr 1917, als ihn die nach der Februarrevolution amtierende Provisorische Regierung all seiner Ämter enthob, brachte er es immerhin zum Leiter einer elitären militärischen Lehranstalt.102
Zweifel, Irritationen, Beschuldigungen
Als der Fall Redl drei Jahre später militärintern untersucht wurde, fand man offenbar einen speziellen Umstand für erwähnungswürdig: Der Oberst hatte seine Auftraggeber »in den gleichen Belangen« bedient wie Alfred Kretschmar von Kienbusch. Außerdem erinnerte man sich daran, dass Redl damals als militärischer Sachverständiger ein Gutachten im Prozess gegen den verräterischen Arsenalbeamten abgegeben hatte. Allerdings gab es auch 1913 keine Anhaltspunkte dafür, dass »ein Einverständnis zwischen den beiden« vorhanden gewesen war.103 Die Annahme, Redl könnte gewissermaßen in die Fußstapfen des 1910 verurteilten Spions getreten sein und dessen Arbeitsweise kopiert haben, hat etwas für sich: Sie korrespondiert mit Redls eigenen Aussagen von seiner eher kurzzeitigen Spionagetätigkeit, mit Erklärungen, die er angeblich nach seiner Entlarvung abgegeben hat. Andererseits sind weitere Indizien ins Treffen zu führen, die solche Behauptungen keineswegs stützen.
Obwohl die Militärbehörden im Juni 1913 eine aufgebrachte Öffentlichkeit mit Aussagen zu beruhigen versuchten, wonach Redl erst »in jüngster Zeit« Verrat geübt habe, schenkte derlei Angaben kaum jemand Glauben. Mit Sicherheit bezweifelt wurden solche Darstellungen von Lelio Graf Spannocchi, der 1907 bis 1911 als k.u.k. Militärattaché in St. Petersburg gewirkt hatte. Nach eigenen Schilderungen war Spannocchi dem spionierenden Alfred Redl 1909 beinahe auf die Schliche gekommen. Im Februar dieses Jahres hatte ihn nämlich der britische Militärattaché im Zarenreich, Oberst Guy Wyndham, mit einer alarmierenden Nachricht konfrontiert. Als Spannocchi in einem Gespräch mit dem Kollegen aus dem »Empire« seine Abscheu darüber zum Ausdruck brachte, dass bei ihm ein russischer Gardeoffizier aufgetaucht war, um sich als Spion erbötig zu machen, meinte Wyndham: »Lieber Spannocchi, seien Sie nicht stolz. Ich weiß, dass in Wien ein höherer Generalstabsoffizier ist, der den Russen alles gibt, was sie wünschen.«104 Spannocchi war angesichts solch einer Bemerkung beunruhigt – umso mehr, als der Engländer nähere Auskünfte in dieser Sache verweigerte. Schon wenige Tage später fuhr der k.u.k. Attaché nach Wien und erzählte dem Evidenzbürochef von Wyndhams Aussagen. Hordliczka reagierte verärgert und warf seinem Gegenüber vor, mit derlei »Tatarennachrichten« höchstens Unruhe zu stiften. Der Evidenzbürochef sah offenbar keine Veranlassung, Untersuchungen einzuleiten. Da sich Spannocchi aber entschlossen zeigte, auch den Kriegsminister zu informieren, lenkte Hordliczka ein. Er verwies den Militärattaché ausgerechnet an Alfred Redl, der als Souschef des Evidenzbüros den Meldungen Spannocchis nachgehen sollte. Redl bekam, als er die Schilderungen des Militärattachés vernahm, »einen roten Kopf«, fasste sich aber gleich und versprach, dass »alles geschehen werde, um Licht in diese Angelegenheit hineinzutragen«. Außerdem forderte er Spannocchi auf, Stillschweigen zu bewahren.105
Im darauffolgenden Jahr sah sich der österreichisch-ungarische Militärattaché in Russland in eine unangenehme Spionageaffäre verwickelt. Die Polizei in St. Petersburg hatte einen Mann verhaftet, der angeblich geheimes Material über die Zarenarmee an Spannocchi weitergegeben hatte. Bei dem Agenten handelte es sich um den Baron Eduard Ungern-Sternberg, einen Journalisten, der tatsächlich gegen geringfügige Honorare diverse Informationen im Auftrag der k.u.k. Botschaft beschaffte. Für Spannocchi hatte er Auszüge aus Regierungsvorlagen betreffend das Rekrutenkontingent besorgt. Was der russische Generalstab als geheimes Material einstufte, konnte man nach Aussagen Spannocchis ohne große Anstrengungen erwerben: Die Duma-Abgeordneten ließen die gedruckten Auszüge nach Sitzungsende auf ihren Plätzen im Parlament liegen, um anschließend von den Saaldienern für ein paar Rubel an Interessenten verkauft zu werden. Wenngleich Spannocchi bemüht war, die Bedeutung der Informationen herunterzuspielen, blieb der Skandal nicht aus. Die russischen Zeitungen berichteten ausführlich über die Affäre und die Abberufung des österreichisch-ungarischen Militärattachés schien nur mehr eine Frage weniger Wochen. Nichtsdestoweniger dauerte es dann noch mehrere Monate, bis ein Nachfolger gefunden war.
Spannocchi brachte im Nachhinein alles, was ihm an Unannehmlichkeiten während seiner Zeit in Russland widerfuhr, mit dem Besuch bei Alfred Redl im Februar 1909 in Verbindung. Damals, so gab er sich später überzeugt, hatte der »Jahrhundertspion« ihn als eine Art potenzielles Sicherheitsrisiko erkannt und begonnen, auf seine Entfernung aus Russland hinzuarbeiten. Auch den »Fall Ungern-Sternberg« betrachtete Spannocchi im Lichte einer Redl’schen Verschwörung gegen seine Person, obwohl er die Causa andererseits ganz so betrachtete, wie sie auch im k.u.k. Außenministerium gesehen wurde: Die Russen übten Rache für die erzwungene Abberufung des Militärattachés Marčenko aus Wien. Widersprüchlich erscheint Spannocchis Darstellung auch deshalb, weil er selbst durchaus an einem Weggang aus Russland interessiert gewesen war.106 Als bar jeglicher Grundlage zu bezeichnen sind Annahmen, wonach Redl die Absetzung Marčenkos herbeigeführt habe, um über diesen Umweg auch Spannocchi loszuwerden.107 Obwohl bereits im Mai 1913, kurz nach dem Tod des Obersten, das Berliner Tageblatt Nachrichten aus St. Petersburg kolportierte, denen zufolge Ungern-Sternberg im Dienste Redls gestanden sei und Spannocchi auf dessen Befehl zu Fall gebracht habe, müssen solche Meldungen als spekulativ eingestuft werden.108 Realiter verfügten die russischen Zeitungen kaum über verlässliche Informationen. Anhaltspunkte fehlen außerdem für die Behauptung Spannocchis, der in seinem Gespräch mit dem englischen Kollegen Wyndham erwähnte russische Gardeoffizier, der ihm seine Dienste angetragen habe, sei von Alfred Redl verraten, dann im Zarenreich verhaftet und anschließend gehenkt worden. Dass Redl hierfür »eine namhafte Prämie« kassierte, bleibt nicht mehr als eine gewagte Schlussfolgerung.109 Im Übrigen erwartete entgegen der in zahlreichen Redl-Büchern geäußerten Behauptung Spione in Russland keineswegs die Todesstrafe. Erst 1912 wurde die Höchststrafe für »Ausspähung« von acht auf 15 Jahre Kerker beziehungsweise Zwangsarbeit erhöht.110
Eine Korrektur ist auch in anderer Hinsicht angebracht: Während Lelio Graf Spannocchi Alfred Redl für die »Affäre Ungern-Sternberg« verantwortlich machte, verweisen russische Historiker vielmehr auf die diesbezüglichen Anstrengungen eines russischen Geheimdienstmannes. Demnach war es der Spionageexperte und Generalstabsoffizier Vladimir Nikolaevič Lavrov, der auf diese Weise den k.u.k. Militärattaché in St. Petersburg zur Strecke brachte. Dem findigen Agenten, der anfangs für die sogenannte Ochrana, die hauptsächlich gegen Oppositionelle unter den eigenen Staatsbürgern vorgehende Geheimpolizei des Zarenreiches, tätig gewesen war und ab 1903 zum Leiter einer speziellen »Spionageabteilung« im Rahmen des russischen Generalstabs aufstieg, heftete der Zar für diese Aktion angeblich sogar einen Orden an die Brust.111
Rätselhaft bleiben Hinweise, wonach auch Albert Freiherr von Margutti, der Flügeladjutant Franz Josephs, von einem fremden Militärattaché vor Redl gewarnt worden sei. Ins Vertrauen gezogen wurden seinerzeit möglicherweise auch Eduard Graf Paar, Generaladjutant des Kaisers, Artur von Bolfras, Chef der Militärkanzlei »Seiner Majestät«, Franz Conrad von Hötzendorf und wiederum Eugen Hordliczka. Weitere Erhebungen unterblieben, weil der Evidenzbürochef »die Anklage für unmöglich« hielt.112 Ausgangspunkt der Verdächtigungen war offenbar eine entsprechende Mitteilung des chilenischen Militärattachés gewesen, die er entsprechend den Ausführungen des Historikers Diether Degreif 1908 oder 1909 an die österreichischen Kollegen herantrug. Der Südamerikaner bezog sich dabei auf die Andeutungen eines russischen Botschaftsrats.113 Letzterer hatte Zweifel an der »Rechtschaffenheit Redls« ausgedrückt.114 Von Spionage war offenbar nicht die Rede. Die Aussagen des Diplomaten aus dem Zarenreich über Charakter beziehungsweise Lebenswandel des k.u.k. Geheimdienstoffiziers sind in jedem Fall in verschiedene Richtungen zu interpretieren. Eine konkrete Warnung in Hinblick auf die »Verrätereien« des Generalstabsoffiziers ist daraus aber schwerlich abzuleiten. Nichtsdestoweniger behauptete Margutti in seinen Erinnerungen über den »alten Kaiser«, dass man Franz Joseph im Mai 1913 die Geschichte von der versäumten Gelegenheit, den Verräter schon eher zur Strecke zu bringen, nicht vorenthalten hatte.115 Den Umstand, dass er gemeinsam mit Redl die Kriegsschule besucht hatte, hing Margutti später – salopp ausgedrückt – nicht an die große Glocke.116
Maximilian Ronge wurden Informationen über eine womöglich zweite ungenützte Chance zur frühzeitigen Entlarvung Alfred Redls erst im Jahr 1930 zugetragen. Erzählt hatte sie ihm Feldmarschallleutnant Alexander Kuchinka.117 Ob Ronge dessen Angaben für zuverlässig hielt oder nicht, ist seinen diesbezüglichen Notizen nicht zu entnehmen.
Davon abgesehen darf man aufgrund der Dokumente zum Fall Redl, die von uns in den relevanten Archiven in Moskau, Paris und London eingesehen wurden, annehmen, dass die Auftraggeber des »Meisterspions« die Identität ihres wertvollen Zulieferers nicht kannten. Wenn also vor einem Spion im Generalstab der Habsburgerarmee gewarnt wurde, dann dürften sich die solcherart geäußerten Verdächtigungen kaum auf konkrete Personen bezogen haben.
»Entdeckungen« im Rückblick
Schon geraume Zeit vor Redls Entlarvung wollte im Übrigen auch Hans Seeliger dunkle Seiten des Generalstabsoffiziers erkannt haben. 1933, 20 Jahre nach dem Selbstmord des »Jahrhundertspions«, erschien im Neuen Wiener Journal ein Artikel des ehemaligen k.u.k. Offiziers, der 1904 mit Redl im Rahmen eines Spionageprozesses als Auditor, d. h. Militärjustizbeamter, zusammengearbeitet hatte. Damals standen zwei Komplizen eines Oberstleutnant Sigmund Hekajlo, vormals Justizreferent in Lemberg, vor Gericht. Hekajlo hatte geheime Armeeakten an die Russen geliefert – unter anderem Mobilisierungsinstruktionen für die k.k Landwehr. Dem Offizier, der zunächst nach Brasilien geflohen war, konnte erst nach seiner Auslieferung an die k.u.k. Behörden der Prozess gemacht werden.118 Seine Komplizen zog man schon früher zur Verantwortung, wobei einer von ihnen, Major Ferdinand Ritter von Więckowski, erst nach einer Hausdurchsuchung mit Sicherheit als Mitschuldiger feststand. Das Verdienst, die belastenden Dokumente entdeckt zu haben, kam Alfred Redl zu. Allerdings fand Seeliger die Art, wie Redl dies bewerkstelligte, »widerwärtig«: Der damalige Hauptmann stieß auf ein Geheimfach im Schreibtisch Więckowskis nämlich erst nach einem Hinweis von dessen ahnungsloser kleiner Tochter, die er zuvor auf geschickte Art und Weise zum Verrat am Vater gedrängt hatte. Im Film Oberst Redl, der 1925 in den österreichischen Kinos lief, sind jene Szenen, in denen ein süßlicher Redl als vermeintlich »guter Onkel« das Mädchen dazu bringt, das Versteck preiszugeben, besonders einprägsam.
Zweifel an der Redlichkeit des Spionagesachverständigen aus dem Evidenzbüro befielen Hans Seeliger überdies auch, als er im Zuge der Verhöre mit Więckowski und dem zweiten Hekajlo-Komplizen, Alexander Acht, eine merkwürdige Veränderung in Redls Verhalten beobachtete. Plötzlich schien Hauptmann Redl von der Unschuld Więckowskis überzeugt zu sein. Dabei hatte er zuvor von einem ominösen Agenten in Warschau, der für die Donaumonarchie arbeitete, gesprochen und sich erbötig gemacht, gleichsam über diese Verbindung Beweise betreffend die Schuld Więckowskis herbeizuschaffen. Bedenklich stimmte Redls Strategie im Umgang mit dem Angeklagten nun auch den Chef Seeligers, Major-Auditor Wilhelm Haberditz. Als der aber bei Eugen Hordliczka vorsprach, um einigermaßen besorgt auf Redls unerklärlichen Sinneswandel hinzuweisen, blitzte er ab. Der Evidenzbürochef sah keine Veranlassung, Redl von dem Fall abzuziehen, und betonte vielmehr dessen Verdienste. Immerhin war es der Hauptmann selbst gewesen, der den spionierenden Justizreferenten überführt hatte.119
Die Vermutungen Hans Seeligers, Redls Verhalten in der Causa Hekajlo sei womöglich bereits als Indiz für dessen frühe Spionagetätigkeit zu werten, verfestigen sich in den Darstellungen seines Bruders, Emil, zur Gewissheit: Redl benützte den Fall, um den eigenen Verrat militärischer Geheimnisse den damals Angeklagten in die Schuhe zu schieben. In seinem 1939 erschienenen Buch Hotel Sacher. Weltgeschichte beim Souper ging Emil Seeliger freilich nur kurz auf die Hekajlo-Affäre ein.120 Jahre zuvor hatte er sich bereits ausführlicher mit Redls Rolle in diesem Fall auseinandergesetzt. Emil Seeliger verfasste um 1920 gemeinsam mit Hans Otto Löwenstein die Schrift Oberst Redl – der Spion.121 Das Buch ist in Sachen Redl-Mythen eines der vielen Beispiele für die Vermischung von Augenzeugenberichten mit authentischem Aktenmaterial, verschiedenen Zeitungsberichten und Fantasiekonstrukten aus eigener Produktion. Dasselbe gilt wiederum für den Film Oberst Redl aus dem Jahr 1925, für den interessanterweise Hans Seeliger selbst das Drehbuch beisteuerte.122
Auch der »rasende Reporter«, Egon Erwin Kisch, griff in seinen Darlegungen zum Fall Redl den Prozess »Hekajlo-Wiçckowski-Acht« auf. Dass der »Meisterspion« damals in der Causa einen überraschenden Schwenk vollzog und Więckowski auf einmal für unschuldig hielt, erklärte sich Kisch folgendermaßen: Redls russische Auftraggeber waren der Ansicht, Więckowski sei als k.u.k. Offizier auch weiterhin als Informant zu nützlich, um verurteilt zu werden. Sie beauftragten Redl daher, alles für dessen Freilassung zu tun.123
In den erhalten gebliebenen Akten des Evidenzbüros findet sich nichts, was auf eine Redl’sche Verschwörung im Fall Hekajlo hindeutet. Auch in ihren nach dem Weltkrieg entstandenen Schriften messen August Urbański oder Maximilian Ronge dieser Affäre keinerlei Bedeutung im Zusammenhang mit der Redl-Affäre bei. Keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zwischen Acht und Redl ergeben sich außerdem aus der Lektüre der Erhebungsakten zum Selbstmord des »Meisterspions« im Mai 1913. Auch die Urteilsschrift betreffend den Fall Hekajlo-Więckowski, die im Juni 1905 aufgesetzt wurde, erscheint schlüssig. Tatsache ist aber, dass Major Ferdinand Ritter von Więckowski, der unter anderem wegen Missbrauch der »Amts- oder Dienstgewalt« angeklagt worden war, sich nur teilweise geständig zeigte, während Hauptmann Alexander Acht in dieser Hinsicht auf Einschränkungen verzichtete. Sowohl Więckowski als auch Acht arbeiteten offenbar in erster Linie als Zuträger für Sigmund Hekajlo, wobei jedoch fraglich erschien, ob sie sich der »dunklen Geschäfte« des Oberstleutnants in vollem Umfang bewusst gewesen waren. In jedem Fall verurteilte man Więckowski, der Vater von vier »unversorgten« Kindern war, zu sieben Jahren Kerker, »verschärft durch Einzelhaft im 1., 5. und 9. Monate eines jeden Strafjahrs«. Alexander Acht wanderte zu denselben Haftbedingungen für vier Jahre hinter Gitter. Das Haupt der »Bande«, Sigmund Hekajlo, musste acht Jahre absitzen, kam aber gegen die Bedenken des Generalstabschefs »mit allerhöchster Entschliessung gnadenhalber« zwei Jahre früher frei. Interessanterweise war der Major-Auditor Haberditz 1905, als der Richterspruch gegen Alexander Acht und Ferdinand Ritter von Więckowski erfolgte, davon überzeugt gewesen, dass Letzterer Acht verführt habe. Der Hauptmann sei ein »kränklicher und willensschwacher Mann«, ohne dessen Geständnis man weder ihn noch seinen Vorgesetzten, den Major Więckowski, überführen hätte können.124
