Kitabı oku: «Aleister Crowley & die westliche Esoterik», sayfa 5
Die Linie im Sand auslöschen
Es war eher die magische Praxis denn die psychoanalytische Theorie, die Crowley zeigte, dass die scheinbare Kohärenz menschlichen Selbstseins eine Illusion ist. Obwohl Crowley an der Vorstellung eines verborgenen, essentiellen „Selbst“, eines einzigartigen Wesenskerns im Herzen des Menschen, festhielt, lehrte ihn die Magie, dass das „Ich“ des Aleister Crowley nur ein mögliches Selbst unter vielen war. Die furchtbarste Lektion, die Crowley zu lernen hatte und die er in der Wüste lernte, war jedoch, dass es genau dieses „Ich“ ist – das einem dem Anschein nach seinen Platz in der weltlichen Ordnung sichert –, das seine Auflösung in den Qualen des Abyssus durchlaufen muss. Crowley begriff den Abyssus als eine große Kluft zwischen der „verständlichen Intuition“ und dem „Intellekt“. Andere Kommentatoren betrachteten den Abyssus als „eine imaginäre Kluft“ zwischen dem Realen und dem Idealen, oder als „die Kluft zwischen individuellem und kosmischem Bewusstsein“.57 Wie bei jeder magischen Praxis kann der Abyssus aber auch eine plastische Repräsentation seiner angenommenen Eigenschaften in physischer Form manifestieren. Doch ob man ihn nun symbolisch oder wörtlich begreift: die Überschreitung des Abyssus beinhaltet in jedem Fall die endgültige und unwiderrufliche Aufgabe des „Ich“ und des damit einhergehenden Anspruchs einer Alleinherrschaft des Rationalen.
Die Konfrontation mit dem Abyssus und seinem dämonischen Wächter Choronzon wird von einer mentalen Krise eingeleitet, einem „schrecklichen Höhepunkt des Geistes“; um den Abyssus zu überschreiten, „muss man gänzlich und für immer all das aufgeben, was man hat und ist“. Was Crowley erkannte, bezeichnen Mystiker als „die völlige Hingabe des Selbst an Gott“ – den mystischen Tod als Voraussetzung für die mystische Vereinigung; in weltlichen Begriffen ausgedrückt, wird „der menschliche Intellekt zum Schweigen gebracht“.58 Crowley, der in der magischen Tradition geschult war, hatte die Vorstellung, dass sowohl Choronzon als auch der Abyssus äußere Realitäten seien, und er machte auch später keine Anstalten, diese Sichtweise zu ändern. In der Sprache der Psychoanalyse, die Crowley sich später dennoch zueigen machte, lässt sich sagen, dass Choronzon zugleich eine Manifestation der dunklen, unterdrückten Seelenanteile ist. Nach dieser Deutung ist der große, widerständige Schrei Choronzons, „Ich bin Ich“, gleichermaßen des Magiers letzter Ausruf des Entsetzens und Schreckens, als er kopfüber in den Abyssus stürzt, und die aufkommende Stimme des unbekannten und unbegleiteten Unbewussten. Gekennzeichnet von Zusammenbruch, Zerstreuung und Chaos – Eigenschaften, die wir auch in der zersplitternden Erfahrung der Moderne wieder finden – ist der Abyssus sowohl symbolisch als auch real. Er steht sinnbildlich für den Zusammenbruch – den Zusammenbruch des persönlichen Selbstgefühls, wie es sich im Ego manifestiert, für die Abkopplung des Körpers vom „Ich“ und die Auflösung des Alltagsbewusstseins. Er markiert die formelle Auslöschung der Grenze zwischen dem Bewussten und den Unbewussten, eine Auslöschung, die der künftige Magus absichtlich heraufbeschwören muss. Die erfolgreiche Überwindung des Abyssus ist die ultimative Prüfung hoher Einweihung. Der Magus ist jemand, der in der Lage ist, eine harmonische Beziehung mit dem Unbewussten einzugehen und damit „Wandel im Einklang mit dem Willen“ herbeizuführen.59
Der Magier, dem die Überschreitung des Abyssus gelingt, ist ein Eingeweihter, der vollständige Kontrolle erlangt hat, so dass er sich dem Zerfall seiner Persönlichkeit preisgeben und sich von allem Wissen vom und jeglicher Wahrnehmung des „Ich“ loslösen kann, während er die Kraft und Autorität des magischen Selbst und des magischen Willens behält und behauptet. Der Adept, der aus dieser Erfahrung unbeschadet hervorgeht, hat den entfesselten Furien des Unbewussten gegenübergestanden und sie in sich aufgenommen, nicht mittels der Patrouillenmanöver des kurzsichtigen Ego, sondern durch eine unendlich klarsichtige und allgewaltige magische, vom persönlichen Selbst losgelöste Persönlichkeit. So gesehen, ist der Magus ein magischer Eingeweihter, der einen flüchtigen Blick auf die vollständigen Verwicklungen seiner Subjektivität erhascht hat. Für immer verloren ist das begrenzende und begrenzte Verständnis vom „Ich“ als endlichem Mittelpunkt seines Universums. Er hat das Unbewusste betreten und erkennt die Durchlässigkeit seiner Grenzen. In Crowleys Fall hatte er für sich selbst erfahren, dass Choronzon fähig war, die Linie im Sand auszulöschen.
Crowleys Bericht von den Ereignissen in der Wüste ist in der unmittelbaren Sprache des Realismus geschrieben. Er macht aus seinen Erlebnissen keine psychoanalytische Interpretation. Crowley behandelt die Episode als magische Unternehmung und präsentiert sie als klaren Beweis dafür, dass er das erleuchtete Bewusstsein erlangt hat. Das erste Erlebnis erhöhter Wahrnehmung empfand er nach dem Opfer auf dem Da’leh Addin: „Ich wusste, wer ich war … [aber] ich existierte nicht“. Mit anderen Worten verstand Crowley, dass dieses „Ich“ nur eine bequeme Fiktion war, um einen Aspekt der Realität zu erfassen. Nach seiner Konfrontation mit Choronzon nahm Crowley an, dass er die Erkenntnisse des wahren Magus, des Meisters des Tempels, erlangt hatte:
Ich begriff, dass das Leid keine Substanz hat; dass nur meine Ignoranz und mangelnde Intelligenz mich dazu gebracht hatten, an eine Existenz des Bösen zu glauben. Sobald ich meine Persönlichkeit zerstört und sobald ich mein Ego abgestreift hatte, für welches das Universum in der Tat eine fürchterliche und tödliche, mit allen Formen der Angst belastete Gewalt war, war dieses nur noch in Verbindung mit dieser Vorstellung vom „Ich“ der Fall; so lange „ich ich bin“, muss alles andere feindlich erscheinen.60
Nachdem Crowley sein Ego „abgestreift“ hatte und nichts im Universum mehr als „fürchterliche und tödliche Gewalt“ empfinden konnte, war ihm jede neue Erfahrung höchst willkommen; zu differenzieren weigerte er sich. Die leichtsinnige Verantwortungslosigkeit und Amoralität seines späteren Gebarens ist Legende. Zunehmend integrierte er „abstoßende Rituale“ in seine magischen Praktiken, und in den 1920er Jahren hatte er seinen Ruf als „König der Verderbtheit“ und „Bösester Mann der Welt“ gefestigt – ein Ruf, der (fälschlicherweise) sogar eine Neigung zum Ritualmord einschloss.61
Kritische Beobachter meinen, dass Crowley 1909 schließlich sein wahres Potential ausgeschöpft hätte und verrückt geworden sei. Aus magischer Sicht würde man dies als fehlgeschlagene Bezwingung des Dämons Choronzon und Erliegen dessen Fluches betrachten. Gewiss räumte Crowley ein, sich in der Folge seiner Erlebnisse von 1909 äußerst einsam und verloren gefühlt zu haben; auch im materiellen Sinne „ist es ständig schwieriger geworden, liquide zu bleiben“.62 Anscheinend fiel es Crowley mit der Zeit immer schwerer, zwischen dem erleuchteten magischen Selbst, das sich nach eigenem Ermessen Zugang zum Unterbewussten verschafft und keine Beschränkungen anerkennt, und dem Mann Aleister Crowley, der in der Welt funktionieren muss, zu unterscheiden. Um in der Welt zu zurechtzukommen, braucht man ein stabiles persönliches Identitätsgefühl, ein klar definiertes Ego – auch wenn dieses Ego nur als Teil einer unendlich komplexen Geschichte verstanden wird. Der Magus kann sich mit Leichtigkeit zwischen einem eingeweihten und einem „uneingeweihten“ Bewusstsein hin- und herbewegen, doch Crowleys Begegnung mit Choronzon führte zur Verwischung jener entscheidenden Linie zwischen dem magischen Selbst und dem diesseitigen „Ich“. Crowleys anschließendes Verhalten legt tatsächlich nahe, dass er den Abyssus nicht erfolgreich überschritten hat – dass er von unbewussten Kräften in den Griff genommen wurde, die er nicht mehr filtern, überwachen oder kontrollieren konnte. Statt zu einer allsehenden, harmonischen Verbindung mit dem Unbewussten zu finden und mit ihm zu arbeiten, um damit magische Ziele zu erreichen, wurde er nun vom Unbewussten kontrolliert und beherrscht.63
Als selbsternannter Meister des Tempels fuhr Crowley damit fort, sich eine Methode für die systematische Zerstörung des Egos auszudenken, welches er als ein Hindernis für das magische Vorwärtskommen betrachtete. Während der 1920er Jahre wurden seine Anhänger in der berüchtigten Abtei von Thelema in Cefalù auf Sizilien streng bestraft, wenn sie das Wort „Ich“ gebrauchten.64 Crowleys Erkenntnis war solide, doch seine Methode war fehlerhaft. Er versuchte, den strukturellen Ablauf zu untergraben, der jeglichen Sinn hervorbringt, einschließlich des Gefühls eines einzigartigen, unverwechselbaren und geschlechtsspezifischen Selbst. Es kann kein „Ich“ ohne ein klares Verständnis dessen geben, was nicht „Ich“ ist, und wie Crowley es formulierte, „so lange ‚ich ich bin’, muss alles andere feindlich erscheinen“. Er verfolgte etwas, das man als Auslöschung des Unterschiedes bezeichnen mag, und eine solche Auslöschung ist, im Sinne einer Bewegung jenseits gegensätzlicher Dualitätsbegriffe – ich/du, selbst/anders, männlich/weiblich – ein traditionelles Ziel des Okkultismus. Crowleys Bestreben war, eine Abkürzung zu einem der höchsten Ziele des Okkultismus zu finden: der Rückkehr zu einem verlorenen Eden der Ganzheit und Vollendung.
Die Vorstellung, dass die Menschen ursprünglich als vollständige Wesen zweigeschlechtig waren, taucht in der okkulten und magischen Tradition immer wieder auf. Es gibt esoterische Lehren, die auf eine solche Rasse Bezug nehmen, die – wie Adam und Eva in der Bibel – vor dem tragischen Fall auf der Welt existierten. Die modernen magischen Schulen haben die okkulte Signifikanz der männlich-weiblichen Polarität erkannt, und die Suche nach seelischer Zweigeschlechtigkeit ist eine Deutung des alchemistischen Planes, die fortgeschrittene Mitglieder des Golden Dawn gewiss verstanden. Crowley wusste bestimmt um die okkulte Herkunft der Zweigeschlechtigkeit, die für ihn eine besondere magische Bedeutung gewann. 1904 empfing Crowley von einem Wesen, das er als seinen heiligen Schutzengel bezeichnete, eine Reihe von Lehren, die in dem Buch gipfelten, das er Liber Legis – The Book of the Law betitelte. Nach dem Inhalt dieser Botschaften stehe die Welt an der Schwelle eines neuen Zeitalters – des neuen Äons des Horus –, dessen Hauptmerkmal die Vereinigung des Männlichen mit dem Weiblichen ist, wie es die doppelgeschlechtliche Gestalt des Horus repräsentiert. Obwohl Crowley diese Lehren zu jener Zeit von sich wies, sollten sie sich für seine anschließende magische Entwicklung von fundamentaler Bedeutung erweisen. Außerdem hatte das Vorstellungsbild von Horus noch einen breiteren kulturellen Stellenwert – einen, der Crowley merklich sympathisch war.
Die zweigeschlechtige Gestalt, die in den okkulten Lehren eine so wichtige Rolle spielt, war zudem ein Symbol des Fin de Siècle. In den Werken Aubrey Beardsleys während der 1890er Jahre wird die Faszination dieser Zeit für geschlechtliche Ambiguität – und die Angst davor – festgehalten. Seine verstörenden Illustrationen für The Yellow Book und The Savoy wurden schnell zu Sinnbildern einer verdrehten Sensibilität, die kennzeichnend für „die Dekadenz“ war.65 Als in den 1890ern die Diskussionen um die „Frauenfrage“ von jenen über die „neue Frau“ abgelöst wurden und die Welt Zeuge des Gerichtsprozesses gegen Oscar Wildes war, kam eine Reihe gesellschaftlicher und sexueller Identitäten auf, die auf viele zutiefst verstörend wirkten. Das „Mannweib“ und der augenscheinlich verweiblichte Mann standen für Kritiker anscheinend stellvertretend für eine moderne sexuelle Ökonomie, die vom Abstieg in die Anarchie gekennzeichnet ist; androgyne Kreaturen als Symptome einer schönen neuen Welt der Perversion und des Verfalls.66 Diese Ängste wurden durch die aufkommende Literatur, die Diskussionen über sexuelle Typologien entfachte, alles andere als beseitigt. Für Crowley jedoch waren die dekadenten „gelben Neunziger“, die Beardsley und Wilde verkörperten, die befreienden Jahre seiner Jugend. Mit dreiundzwanzig Jahren verliebte er sich in Cambridge in Jerome Pollitt, einen Mitstudenten, der mit Aubrey Beardsley eng befreundet und ein talentierter Frauenimitator war, und im Wesentlichen blieb Crowley zeit seines Lebens den Ansichten und dem Lebensstil der Décadence-Bewegung treu.67 Als poseur extraordinaire im Stil von Wilde, und als ein Mann, der sich vorgenommen hatte, die dunkle, verderbte, luxuriöse Welt des fiktionalen Dorian Gray im realen Leben nachzuahmen, experimentierte Crowley immer wieder mit der Umkehrung vorherrschender Verhaltenskategorien. Dieses betrifft sowohl seine Magie wie auch seine eigene Sexualität und geschlechtliche Identität; in allen Fällen, und in unterschiedlicher, aber jeweils verwandter Weise, spielte er mit der „gelben“ Thematik perverser Delinquenz. Als 1904 der Neue Äon des Horus aufdämmerte, konnte Crowley nicht gänzlich unempfänglich gewesen sein, denn The Book of the Law liest sich wie eine Hymne an die Dekadenz, während die Zweigeschlechtigkeit – die womöglich ultimative heterodoxe Maskulinität – eine Eigenschaft war, die Crowley für sich selbst als erstrebenswert erachtete.
In den 1920er Jahren hielt Crowley an der langgehegten Überzeugung fest, dass er in gewisser Hinsicht sowohl männlich als auch weiblich sei. Während er von sich selbst in der dritten Person spricht – eine Distanzierungsmethode, die an den Disclaimer von Dr. Jekyll erinnert68 –, bemerkt Crowley, dass er, während „seine Männlichkeit über der Norm liegt“, auch weibliche Merkmale besitzt, wie schlanke, zierliche Gliedmaßen und gut entwickelte Brüste:
Demnach liegt eine Art Hermaphroditismus in seiner körperlichen Struktur, was sich natürlich auch in seinem Geist ausdrückt. Doch während in ähnlichen Fällen die femininen Qualitäten auf Kosten der Männlichkeit zu gehen scheinen, sind sie bei ihm mit einem perfekt-normalen maskulinen Typus verbunden. Prinzipiell wird er dadurch in die Lage versetzt, die Psychologie der Frauen zu verstehen und auf alle Theorien einen umfassenden und objektiven Blick zu werfen, auch auf spirituellen Ebenen ist er mit mütterlichen Instinkten ausgestattet … Er war imstande, von der Warte eines vollendeten menschlichen Wesens aus über die Natur zu philosophieren; bestimmte Phänomene werden immer für Männer an sich unverständlich bleiben, andere für Frauen an sich. Indem er beides zugleich verkörperte, war er fähig, eine Sichtweise der Existenz auszubilden, die Positives und Negatives, Aktives und Passives, zu einem einzigen identischen Gleichgewicht zusammenfügt … Wieder und wieder … werden wir finden, dass sein Handeln von dieser dualen Struktur bestimmt ist.69
Während Crowley hier im essentialistischen Sinne die Geschlechtskategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit artikuliert – auch ein Aspekt der traditionellen okkulten Philosophie –, versteht er sich selbst als Verkörperung einer nutzbringenden „dualen Struktur“: er ist „beides zugleich“. Der physische „Hermaphroditismus“ wird daher bezüglich der Geschlechter nachgeahmt und als das dargestellt, was ihm die privilegierte Erkenntnis „eines vollendeten menschlichen Wesens“ verleiht. Crowley hielt daran fest, dass seine „duale Struktur“ ihn in die Lage versetzte, in der Welt zu handeln und mit ungewöhnlicher Schärfe und außerordentlichem Erfolg darüber zu „philosophieren“. Außerdem dehnte sich diese „duale Struktur“ auf seine Sexualität aus. Crowley war offenkundig bisexuell. Es gab keinen Mangel an Frauen in seinem Leben, und die Mythen, die sich um ihn ranken, zeichnen ihn als einen zärtlichen und phantasievollen Liebhaber. In der Tat trieben ihn mächtige und widersprüchliche Verhaltensweisen gegenüber Frauen an, die größtenteils jedoch uneingestanden blieben. Crowley glaubte, dass er unwiderstehlich sei und dass sein Erfolg als heterosexueller Liebhaber seiner einzigartigen Fähigkeit geschuldet sei, eine „wilde, männliche schöpferische Leidenschaft“ zum Ausdruck zu bringen, die durch eine „weibliche“ Liebenswürdigkeit veredelt ist.70 Bisexualität ist nicht dasselbe wie „Hermaphroditismus“ oder Zweigeschlechtigkeit, doch in Crowleys Vorstellungen war seine Sexualität ein weiterer Ausdruck jener Ganzheit, die in seinem „Beides-zugleich-Sein“ enthalten war.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Victor Neuburg diese Sichtweise teilte und auf sich selbst übertrug. In einem langen Gedicht in The Triumph of Pan, einer 1910 veröffentlichten Sammlung, in die eine komplexe Mischung persönlicher und magischer Bezüge eingearbeitet ist, schreibt Neuburg: „O thou hast sucked my soul, lord of my nights and days,/My body, pure and whole, is merged within the ways/That lead to thee, my queen, who gav’st life to me/when all my heart was green.”. [„O, du hast meine Seele ausgesaugt, Herr meiner Nächte und Tage,/Mein Körper, rein und ganz, ist mit den Wegen verflochten,/die zu dir führen, meine Königin, die du mir das Leben gabst,/als mein ganzes Herz noch grün war“].71 Diese Zeilen, die an Pan gerichtet sind, beinhalten ein Element von Crowleys Verbindung zu Neuburg – er ist sowohl „Herr“ als auch „Königin“ –, das zumindest eine unterschwellige Botschaft für dieses Gedicht, wenn nicht gar für die ganze Sammlung darstellt. Gleichermaßen lässt Neuburg in seinem Titelgedicht wenig Raum für Zweifel hinsichtlich des Gemeinten: „there is a Great One, cold and burning/Crafty, and hot in lust,/Who would make me a Sapphist and an Urning,/A Lesbian of the dust“. [Es gibt einen Großen, kalt und feurig/Ausgefuchst und heiß vor Lust,/Der mich zur Lesbe macht, zum Urning/einer Lesbierin aus dem Staub].72 Ob mit diesem „Großen“ Crowley gemeint war oder nicht – deutlich wird, dass Neuburg seine Spiritualität als sexualisierte (oder bisexualisierte) „Lesbe“ und als „Urning“ erlebt hatte. Der Gebrauch des Wortes „Urning“ liefert einen besonderen Hinweis über Neuburgs Gedankenwelt. Der Begriff, der aus Platons Symposion bekannt ist, wurde ein halbes Jahrhundert zuvor von Karl Heinrich Ulrichs in dessen Ausführungen zur Homosexualität übernommen und taucht in Edward Carpenters Buch The Intermediate Sex (London 1908), das großen Einfluss auf Neuburg hatte, erneut auf. Als großer Bewunderer Carpenters, welcher selbst von östlicher Religion und Philosophie beeinflusst war, und besonders angetan von der Idee, dass Homosexualität möglicherweise eine neue Evolutionsform sei, sog Neuburg augenscheinlich die Diskussionen über das, was Carpenter als „Doppelzüngigkeit der Natur“ bezeichnete – die weibliche, in einem männlichen Körper gefangene Seele und umgekehrt – begierig in sich auf. In The Triumph of Pan verarbeitet Neuburg dieses Thema, indem er zeitgenössische Ausführungen über Homosexualität mit dem beständigen Motiv des Hermaphroditen verquickt. Indem er sich in seinem Gedicht sowohl als Frauen begehrende Frau, als auch als Männer begehrender Mann positioniert, zeichnet Neuburg das Bild eines radikal andersgearteten „Hermaphroditismus“: zwei „Umkehrungen“ „in einem“.
Crowley hingegen erlebte seine Bisexualität, in der klassischen Sprache der Psychoanalyse formuliert, als „das Zusammentreffen zweier heterosexueller Begierden innerhalb einer einzelnen Seele“.73 Dies bedeutete, dass Crowley sich – als begehrender Mann – Luft über das machte, was er für den ultimativen Ausdruck von Männlichkeit hielt: die (wenn auch abgewandelte) „wilde männliche Leidenschaft, zu erschaffen“; als begehrende Frau trachtete er danach, zum schönen Objekt dieser „wilden männlichen Leidenschaft“ zu werden. Oft verwendete er den Namen „Alys“ (eine verweiblichte Form von Aleister), um seine Weiblichkeit zu markieren, und als Alys nahm er an, was er für die weibliche sexuelle Rolle hielt. In seiner Beziehung zu Victor Neuburg nahm Crowley die dienende Position einer begehrenden Frau ein. Indem er dies tat, verfing er sich jedoch in Phantasien, die weit über das rezeptiv „Weibliche“ hinausgingen. Als Objekt männlicher Begierde war Crowley einem Szenario hörig, das von orgiastischer Gewalt gekennzeichnet war. Dies zeigte sich zum Beispiel in seiner Beziehung zu Neuburg in der zentralen Bedeutung, die der Gott Pan innehatte – „’All-Verzehrer, All-Erzeuger’“; „Panik“ zu erleben, bedeutet, sowohl Ekstase als auch Schrecken als Aspekte des Gottes zu erfahren.74 Pan, jener Vertreter des heidnischen Griechenlands, der für homosexuelle Männer in der viktorianischen Zeit von besonderer Bedeutung war, und der in der christlichen Vorstellung lange mit dem Teufel assoziiert wurde, war ein machtvoller Verkünder der sexualisierten Magie, die die beiden Männer initiiert hatten.75 Wenn Crowley und Neuburg von Pan sprechen, ist dessen Bild mit Hitze und Gewalt aufgeladen: ein Gott, halb Mann, halb Tier, der Männer wie Frauen gleichermaßen überwältigt und vergewaltigt. Crowley, der in jüngeren Jahren Schmerzen fürchtete und sie vermied, warb als Frau aktiv darum. Und als begehrende Frau agierte er Phantasien aus, in denen er selbst zum Ziel seiner eigenen, unerkannten Frauenfeindlichkeit wurde. Falls seine „duale Struktur“ die sadistischen Impulse seiner männlichen Sexualität durchgängig umwandelte, unterstützte sie – wie der große Kreis aus losen Felsen auf dem Da’leh Addin – eine Art Geschlossenheit. In seiner dualen Identifikation opferte Crowley sich selbst als Objekt seiner eigenen Begierden.
Das „Opfer“ auf dem Da’leh Addin, während dessen Crowley die „Entwerdung des Selbst in Pan“ und die Vollendung mit „dem ersten und dem letzten Atemzug … Gottes“ erlebte, bezeichnet in der Tat eine Ursprungsszene von beachtlicher Wichtigkeit. Darin wurde eine erotische Beteiligung an Schmerz und Schändung, die sich zunehmend in den „abstoßenden Ritualen“ seiner magischen Praxis ausformte, in lebhaftem Gespann mit Phantasien von Bestialität und männlicher Vergewaltigung ausgelebt. Das starke masochistische Element, das sich durch Crowleys unterschiedliche sexuelle Identifikationen zog, und das er als konstituierendes Element seiner Männlichkeit wie seiner Weiblichkeit betrachtete, erlangte im Augenblick der Opferung seine Vergöttlichung.76 Doch markiert das „Opfer“ auch gleichermaßen die Auslassung von Identifikationen – magischen wie weltlichen –, um die die Beziehung Crowley-Neuburg unendlich kreiste. So, wie Crowley darauf insistieren konnte, dass Neuburg, der eine Inkarnation des wilden Gottes war, zugleich ein „Masochist“ und ein „Päderast“ gewesen sei, erlebte Neuburg Crowley, seinen augenscheinlich feminisierten Liebhaber, als „homosexuellen Sadisten“. Wahrscheinlich hatte Crowleys ausdrückliche Weiblichkeit wenig mit der scheinbaren Machtlosigkeit zu tun, die sie pries. Eine sexuelle Szene, die von der Ausgestaltung einer Vergewaltigungsphantasie dominiert wurde, war vermutlich, wie alles andere in ihrer Beziehung, von Crowley selbst gelenkt und kontrolliert. Das Ritual auf dem Berg kommentiert Crowley einfach mit den Worten: „Da opferte ich mich selbst“. Aktiv und passiv; Bekenntnis und Leugnung; dieser, der opfert, und jener, der geopfert wird – Crowley kennt die Doppelsinnigkeit des Bundes. Und in einem abschließenden Anflug von Verleugnung und Verdrängung schließt er die Beschreibung mit den Worten: „Da war ein Tier in der Wüste, doch es war nicht ich“.77
Crowleys Vision ist eine manichäische, in der sich die Prinzipien von Licht und Dunkelheit in ewigem Kampf befinden und höchste magische Fertigkeiten untrennbar mit einer „wilden“ Bestialität verbunden sind. Er ist der erleuchtete Magus und das „Tier in der Wildnis“, „beides in einem … in einer einzigen identischen Gleichsetzung“. Nachdem er 1909 den Abyssus überquert hatte, erkannte er The Book of the Law schließlich an, und mit ihm seine Bestimmung als Prophet des Horus. Als solcher nahm er den Titel des Tieres 666, des „Tieres“ aus dem Buch der Offenbarung an, mit dem er sich seit seiner Kindheit identifiziert hatte. Seine Anerkennung dieser Benennung, die in Neuburgs Triumph of Pan zelebriert wird und in okkultistischen Kreisen ein Synonym für den Namen Crowleys ist, markierte eine neue Phase seines magischen Schaffens.78 Schmerz, Blut und Exkremente wurden zu Markenzeichen seiner „abstoßenden Rituale“, und seine Anhänger wurden verpflichtet, das „Zeichen des Tieres“ an ihren Körpern zu tragen.79 Als in den 1920ern Horrorgeschichten über sein Treiben in der Abtei von Thelema zu kursieren begannen, denunzierte die populäre Presse Crowley als eine „den Teufel anbetende menschliche Bestie“.80 In einer ironischen Umkehrung seiner eigenen früheren Vorstellung seiner „zwei Persönlichkeiten“ verkörpert Crowley in der öffentlichen Wahrnehmung eine Art geifernden, animalischen Mr. Hyde. Er wurde in die monströse Kreatur der Crowley-Legende verwandelt, in einen Schwarzmagier von mythischer Größe, dessen dämonische Fassade an W. T. Steads Jack the Ripper erinnert – den sadistischen Mörder, der einen erotisierten und „unkontrollierbaren Geschmack an Blut“ findet.81 Crowley wurde zum modernen Vertreter des „Bestienkultes“ des Fin de Siècle, zum Monster, das die dunkle Seite des Mondes anheult.82
In diesem Kapitel habe ich einen Aspekt meiner umfassenderen Ausführungen zum multidimensionalen Verhältnis zwischen der Ritualmagie des Fin de Siècle und maßgeblichen zeitgenössischen Befürchtungen präsentiert. Die Untersuchung des magischen Wirkens Crowleys in der Wüste ist Teil der Begründung, die ich für die magische Praxis als wichtige, wenn auch unorthodoxe Artikulation dessen vorbringe, was wir heute als modernes Selbstgefühl verstehen. Eine Deutung von Crowleys Erlebnissen in Nordafrika besteht gewiss darin, dass die fortgeschrittene Ritualmagie auch dann, wenn sie das okkulte Ziel der Wiederaufrichtung eines zersplitterten und gespaltenen Selbst verfolgt, zu einer radikal „modernistischen“ Dezentrierung des Subjekts auffordert.83 Crowleys Experiment zeigt gleichermaßen, dass die magische Praxis mit ihren vorgeblich zeitlosen Verfahren und „Wahrheiten“ dennoch ein sowohl zutiefst persönliches, wie auch ein kulturell spezifisches Unternehmen ist. Mag Crowley auch Perdurabo gewesen sein, ein Meistermagier, der das Gedankenuniversum eines Magus aus dem sechzehnten Jahrhundert erkundete – deutlich wird dennoch, dass er sich selbst in dieses Unterfangen einbrachte. Perdurabo war die magische Persönlichkeit eines Mannes aus der bürgerlichen Mittelschicht des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, der sehr spezielle Neigungen hatte und dessen Aufnahme magischer Praktiken aus der Vergangenheit in ständigem Dialog mit den Belangen der Gegenwart stand. Unter magischen Gesichtspunkten betrachtet, war Crowleys Wirken gerade deshalb mit verhängnisvollen Fehlern behaftet, weil er letztendlich nicht imstande war, zwischen dem magischen Selbst und dem weltlichen „Ich“ zu unterscheiden. Nichtsdestotrotz lässt sich – egal, was wir aus dem magischen Weltbild machen – kaum bestreiten, dass die „zwei Persönlichkeiten“ für den besonderen historischen Akteur gewissermaßen konstitutiv sind. Der Magus war der Mann.
Ich habe hier auszuführen versucht, dass Crowleys magisches Wirken, sei es nun fehlerhaft oder nicht, auf eine unsichere Beschäftigung mit dem Selbst in all seiner Komplexität weist: dem Erkannten wie dem Unerkennbaren, dem Bekannten wie dem Unbekannten. Und als solches hat es wichtige Konsequenzen für jene unter uns, die mit der Historisierung des theoretischen Konzepts der Subjektivität befasst sind. Die Episode in der Wüste legt nahe, dass das magische Selbst – das durch die Auslöschung der psychischen Begrenzungen und den Zusammenbruch der Prozesse, durch die sich das „Ich“ konstituiert, geschaffen wurde – den Ausdruck einer vollständig verwirklichten, historisch bedingten Subjektivität repräsentiert. Sicher ist auch klar, dass Crowleys magische Erkundung der Aethyre, die er in Perdurabos Namen unternommen hatte, zugleich eine direkte Befragung der verdeckten Phänomene des persönlichen Selbst gewesen ist. Das verdrängte „Ich“ des Magiers sprach nichtsdestotrotz für ein historisiertes Selbst, und Crowleys Erlebnisse in der Wüste bezogen die Darstellung unbewusster Elemente ein; so eigentümlich und theatralisch wie von Robert Louis Stevenson erdacht. Sein magisches Wirken war im Wesentlichen mit der Inszenierung von Ängsten, Feindseligkeiten und Begierden verbunden, die um den Ausdruck einer bösartigen bürgerlichen Männlichkeit kreisten. Gewiss erzählt die unterschwellige Botschaft in Crowleys Bericht von den Ereignissen in der Wüste vom Selbst in einem Ausmaß, das die exoterischen Enthüllungen seiner Confessions übersteigt. Was auch immer die Stärken und Schwächen von Crowleys magischem Wirken sein mögen, sein Kampf in der Wüste – symbolisiert durch das „Opfer“ auf dem Da’leh Addin, die Begegnung mit Choronzon und jenen letzten verzweifelten Schrei „Ich bin ich“ – kennzeichnet ein außergewöhnliches Bestreben seitens dieses Edwardianischen Bürgers, die vollständigen Implikationen seiner eigenen Subjektivität zu verstehen. Dieses deutet auch an, dass die „magische Tradition“ und deren Lehren in der Tat, wie Crowley behauptete, als der „Tisch“ bezeichnet werden können, „von dem Freud … ein paar Krümel gegessen hat, die heruntergefallen sind“.84
Dieser Aufsatz erschien erstmals im Januar 1997 im Journal of British Studies, Nr. 36, S. 99 - 133, und bildet die Grundlage für ein Kapitel in Alex Owen, The Place of Enchantment: British Occultism and the Culture of the Modern (University of Chicago Press, Chicago 2004), ©1997 North American Conference on British Studies. Alle Rechte vorbehalten.