Kitabı oku: «Aleister Crowley & die westliche Esoterik», sayfa 6
Kapitel 3
Die Vielfalt magischer Erfahrung
ALEISTER CROWLEYS BETRACHTUNG OKKULTER PRAKTIKEN1
Marco Pasi
Es ist unstrittig, dass Aleister Crowley einen besonderen Platz in der Geschichte des Okkultismus innehat.2 Dies liegt nicht allein am enormen Einfluss, den er und seine Werke auf die Entwicklung esoterischer und religiöser Bewegungen im zwanzigsten Jahrhundert gehabt haben;3 auch wegen der Originalität und Kreativität seiner Gedanken, mit welchen er versuchte, die Bedeutung okkulter Praktiken forma zu erneuern und sie in einem modernen Rahmen neu zu interpretieren, ist Crowley bedeutend. Er verkörpert nahezu beispielhaft die gesamten Bestrebungen der Esoterik, sich mit traditionellen esoterischen Konzepten in einer Welt zu arrangieren, die durch die Auswirkungen von Säkularisierung und Moderne einem tief greifenden kulturellen und gesellschaftlichen Wandel unterzogen wurde.4
Dieses historische Phänomen hat unterschiedliche Formen angenommen. Eine der signifikantesten kann als Psychologisierung und Naturalisierung der Esoterik bezeichnet werden, die besonders von der zweiten Hälfte des neunzehnten bis in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein zu beobachten ist. Dieses Phänomen hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Interesse Gelehrter geweckt, und einige von ihnen, wie beispielsweise Alex Owen, Wouter Hanegraaff und Egil Asprem, haben sich auf die Erforschung der Rolle konzentriert, die es für die okkultistische Magie im Allgemeinen oder für Aleister Crowley im Besonderen gespielt hat.5
In diesem Kapitel werde ich zuerst Crowleys Haltung paranormalen Phänomenen gegenüber im Allgemeinen behandeln, besonders in Verbindung mit der parapsychologischen Forschung und dem Spiritualismus. Dann werde ich zwei besondere Aspekte von Crowleys Bestrebungen beleuchten, neue Interpretationen für okkulte Praktiken auszuarbeiten, namentlich seine Einstellung zu Yoga und zur Magie. Beide Themen mit all ihren Feinheiten und Verwicklungen zu untersuchen, würde ausgedehnte Diskussionen erfordern, die den Rahmen dieses Kapitels bei weitem übersteigen würden. Mein Ziel ist es hier, das Augenmerk speziell darauf zu richten, auf welche Weise Crowley versuchte, traditionelle Interpretationen spiritueller Praktiken zu naturalisieren und zu psychologisieren, und damit zu zeigen, in welchem Ausmaß sein Gedankengut als signifikantes Moment im allgemeinen Wandel der Esoterik betrachtet werden kann, den ich oben angesprochen habe. Dann erlaube ich mir, in diesem Zusammenhang einige Fragen zu stellen, die besonders interessant sein könnten. Zum Beispiel: Wie radikal war Crowley in seinen psychologischen und naturalistischen Interpretationen okkulter Erlebnisse? Ging er ausnahmslos davon aus, dass solche Erlebnisse das Ergebnis eines Bewusstseinswandels sind, wie er an manchen Stellen anzudeuten scheint, oder gab es da einen geschützten Kern, in dem eine „entzauberte“ Vorstellung von okkultem Erleben nicht zugelassen war? Wir werden sehen, dass Crowleys Ruf als Prophet einer neuen Religion vermutlich eine geistige Schranke produziert hat, die ihn davor bewahrte, die Psychologisierung bis zu ihrem logischen Extrem zu betreiben.
Crowleys Einstellung zu übersinnlichen Phänomenen und zum Spiritualismus
Wenn okkulte Praktiken von Okkultisten neu interpretiert wurden, ging es meist darum, diese Praktiken einem modernen Publikum verständlicher und zugänglicher zu machen.6 Der Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft wurde in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts als für die menschliche Kultur schicksalsentscheidend aufgefasst. Für diejenigen, die den aus der Aufklärung herrührenden Idealen des Positivismus und des wissenschaftlichen Naturalismus anhingen, rührte der Einfluss, den eine dogmatische Religion auf die Gesellschaft hatte, von einer Verquickung aus Aberglauben und Missverständnissen her, die durch den wissenschaftlichen Fortschritt zerstreut werden sollten. Dies setzte eine Ideologie der Emanzipation von der Naivität der Vergangenheit voraus, die Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche, kulturelle und sogar politische Ebenen hatte (beispielsweise auf den Kolonialismus in Europa, der zur selben Zeit seinen Höhepunkt erreichte). Den Okkultisten war der Einfluss dieser alles durchdringenden Ideologien natürlich nicht unbekannt, und es überrascht nicht, dass letztere besonders von Personen aufgenommen und zum Ausdruck gebracht werden, die auf die eine oder andere Weise Angehörige des Establishments waren, das diese Ideologien produziert hat. Das trifft auch auf Aleister Crowley zu, der in seinen Entwicklungsjahren die Bildung der Universität von Cambridge genossen hatte, die ihn entscheidend prägte.7 Die Richtung, die Crowley und andere Okkultisten einschlugen, um den Sinn ihrer okkulten Unternehmungen zu verstehen, lag vorhersehbarerweise auf einer Linie mit den Entwicklungen in der Wissenschaft des späten neunzehnten Jahrhunderts, soweit es die Interpretationen religiöser und paranormaler Phänomene betrifft. In der Tat kann man beobachten, dass Okkultisten – wie Crowley – Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von den neuen Diskursen, die auf dem Gebiet der Psychologie, vor allem im Zusammenhang mit der parapsychologischen Forschung und der Psychoanalyse aufkamen, beeinflusst wurden oder sie gar vorausgeahnt haben.
In Crowleys Fall war dieses Interesse an neuen psychologischen Theorien sicherlich auch mit seinem starken Gebrauch psychoaktiver Substanzen verbunden, die er zeitlebens in oft rituellem, magischem Zusammenhang konsumierte.8 Auf diesem Feld war er recht experimentierfreudig, und man kann sagen, dass einige seiner Experimente von gewissem historischem Wert sind. Beispielsweise war er einer der ersten Europäer, der im Rahmen spiritueller Praktiken systematisch mit Peyote (das damals als Anhalonium lewinii bekannt war) experimentierte.9 Es gibt auch Gründe anzunehmen, dass er es war, der Aldous Huxley in Berlin Anfang der 1930er Jahre in den Gebrauch von Meskalin eingeführt hat.10 Dieser Vorfall erklärt – wie auch Crowleys Annäherung an den Drogengebrauch im Allgemeinen – zum Teil, warum er in der psychedelischen Ära der 1960er zu einer Art Ikone der Gegenkultur geworden ist, wichtige Figuren wie Timothy Leary beeinflusst hat, und wie sein Gesicht (in Gesellschaft von Aldous Huxley höchstselbst) auf den Umschlag des Beatles-Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band geraten konnte.
Es ist bekannt, dass Crowley diese Substanzen regelmäßig mit dem Ziel anwendete, sein Bewusstsein zu verändern, und dass er diese Veränderung an bedeutsamen spirituellen Schauungen bemerkte. Der Zusammenhang zwischen dieser Art der Veränderung und jener, die durch gewisse „okkulte“ Praktiken zustande kam, war ihm besonders wichtig und war das Ergebnis nahezu lebenslangen persönlichen Reflektierens und Experimentierens.11 Natürlich benötigte Crowley mancherlei passende Theorien über den menschlichen Geist und das menschliche Gehirn, um all diese Formen der Bewusstseinsveränderung miteinander zu verknüpfen und ihnen eine spirituelle/magische Bedeutung beizumessen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden wir uns diese Theorien genauer ansehen.
Wie Wouter Hanegraaff angemerkt hat, beginnt die Psychologisierung der Esoterik mit F. A. Mesmers Entdeckung des animalischen Magnetismus und zieht sich dann durch das gesamte neunzehnte Jahrhundert.12 Auf der anderen Seite hat Ann Taves gezeigt, wie zur selben Zeit diejenigen, die „naturalistische oder säkularisierte Erklärungen“ für religiöse Erfahrungen geboten haben, nicht zwangsläufig auch „Kritiker“ oder Abtrünnige der Religion gewesen sein müssen.13 In einigen Fällen, wie etwa im Spiritualismus, wurde die „vorherrschende Tendenz, religiöse Erfahrung von naturalistischer Erklärung zu trennen“, wirklich herausgefordert.14 Darum wurden naturalistische Erklärungen für religiöse Erfahrungen nicht notwendigerweise als einander widersprechend angesehen. Die okkulte Bewegung des späten neunzehnten Jahrhunderts hatte eine ähnliche Herangehensweise. In diesem Fall, wie auch im Spiritualismus, war die zugrunde liegende Erkenntnis die Notwendigkeit einer Aussöhnung zwischen Wissenschaft und Religion. Der Versuch einer Versöhnung zwischen diesen beiden Gebieten, die immer weiter auseinander zu driften schienen, wenn nicht sogar sich diametral gegenüber standen, wurde in der Tat schon als eines der Grundmerkmale des Okkultismus bezeichnet.15 Doch es war noch mehr und Spezielleres, an dem, was Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts passierte, als neue psychologische Theorien entstanden und sich verbreiteten. Das Interessante bei Crowleys Annäherung liegt darin, dass er, der mit diesen Entwicklungen vertraut war, versuchte, diese auf sein eigenes Verständnis magischer und spiritueller Praktiken zu übertragen. Mit ihm schlug die Psychologisierung der Esoterik, und ganz besonders der Magie und anderer verwandter Praktiken, neue Richtungen ein.16
Ein interessanter Aspekt von Crowleys psychologischen Interpretationen ist der mutmaßliche Einfluss von William James’ erstmals 1902 erschienenem Klassiker The Varieties of Religious Experience [Die Vielfalt religiöser Erfahrung]. Dieses Buch scheint eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung von Crowleys Wahrnehmung magischer Erlebnisse gespielt zu haben. In einigen seiner Werke bezieht Crowley sich auf James’ Buch.17 Besonders interessiert scheint er dabei an der Unterscheidung gewesen zu sein, die James zwischen „einmal geborenen“ und „zweimal geborenen“ Religionen machte.18 Doch ebenso interessierte ihn, was James über Yoga einerseits und über die Erlebnisse religiöser „Genien“ – damit sind die Religionsstifter gemeint – andererseits zu sagen hatte. Auf dieses Thema werde ich noch zurückkommen.
Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass Crowley mit den Aktivitäten der Society for Psychical Research (SPR) und einigen ihrer Mitglieder wohlvertraut war. In Anbetracht dessen sollte ein interessantes Detail in Crowleys Biographie berücksichtigt werden: 1895 wurde er als Student am Trinity College in Cambridge aufgenommen, wo er die nächsten drei Jahre verbringen sollte. Auch, wenn er das Studium nicht abschloss, war die Zeit, die er in Cambridge verbrachte, extrem wichtig für ihn und hat, wie ich schon an anderer Stelle ausführte, seine intellektuelle Entwicklung unauslöschlich geprägt.19 Das Trinity College war nicht nur eine der ältesten und angesehensten Hochschulen der Universität von Cambridge; es war auch der Ort, an dem sich 1882 die Society for Psychical Research formierte. Drei seiner bedeutendsten Gründer – Henry Sidgwick, Frederic Myers und Edmund Gurney – waren tatsächlich Mitglieder dieses Kollegs.20 Sidgwick und Myers starben kurz hintereinander 1900 bzw. 1901 (Gurney war bereits 1888 verstorben), und wir wissen nicht, ob Crowley ihnen jemals persönlich begegnet ist. Zumindest war er jedoch mit anderen, jüngeren Mitgliedern der SPR bekannt, wie beispielsweise mit Everard Feilding (1867 - 1936), welcher von 1903 bis 1920 als Sekretär der Gesellschaft fungierte, und mit Hereward Carrington (1880 - 1958), der ein populäres Buch über die Projektion des Astralkörpers geschrieben hatte.21 Laut Crowleys Biograph Richard Kaczynski stand Feilding Crowley so nahe, dass er sogar den Eid als Probekandidat zu dessen okkultem Orden, dem A ∴ A ∴, unterzeichnet hatte.22 Darüber hinaus stellte Crowley Feilding mit dem Pseudonym Lord Anthony Bowling in seinem Roman Moonchild dar.
1908 waren Feilding und Carrington im Auftrag der SPR unterwegs, um die Fähigkeiten des berühmten italienischen Mediums Eusapia Palladino (1854 - 1918) zu untersuchen. Der Bericht ihrer Untersuchung wurde ein Jahr später veröffentlicht und fiel positiv zugunsten des Mediums aus.23 In seiner Autobiographie erzählt Crowley, wie er das Buch sorgfältig studierte und die erste Gelegenheit während eines Italienaufenthaltes 1911/1912 nutzte, Palladino aufzusuchen und sie während einer Séance auf die Probe zu stellen.24 Interessant ist die Feststellung, dass Crowley den Phänomenen, die Palladino evozierte, anscheinend weit skeptischer gegenüber stand, als die beiden professionellen Parapsychologieforscher. Am Ende kommt er zu dem Schluss, dass alle außergewöhnlichen Phänomene, deren Zeuge er während der Séance geworden war, sehr wahrscheinlich das Ergebnis von Taschenspielertricks und Zauberei gewesen seien. Auf denselben Seiten beschreibt Crowley auch ein paar Erlebnisse, die er mit anderen Medien hatte, und stellt Betrachtungen über die parapsychologische Forschung an.25 Seine Haltung dazu ist auf der ganzen Linie negativ. Nicht nur, dass ihn weder Berichte, die er gelesen hatte, noch Séancen, deren Zeuge er war, von der Authentizität mutmaßlicher paranormaler Phänomene überzeugen konnten; er arbeitete auch eine Theorie aus, die erklären sollte, warum so viele Männer der Wissenschaft, die nicht selten als Skeptiker angesehen waren, an irgendeinem Punkt in ihrem Leben zum Glauben an spiritistische Phänomene „konvertierten.“ Nach Crowley ist ein Muster in dem Umstand zu erkennen, dass diese Konversion oft in einem bestimmten Alter stattfindet, „wenn die sexuellen Kräfte nachzulassen beginnen.“26 Mit anderen Worten: Parapsychologieforscher seien anfällig für Leichtgläubigkeit, weil ihre schwindenden Lebensenergien ihre Urteilskraft beeinträchtigen.
Es ist erwiesen, dass Crowleys Skepsis gegenüber den paranormalen Phänomenen, die von der SPR erforscht wurden, irgendwie mit der Polemik zu tun hatte, die Okkultisten und Spiritisten spaltete, seitdem diese beiden Bewegungen ihren Anfang genommen hatten.27 Die Okkultisten argumentierten gewöhnlich dahingehend, dass sie die Interpretation spiritistischer Phänomene in Frage stellten – besonders, was die Identität der Wesenheiten betraf, die mutmaßlich in die Séancen involviert waren –, aber nicht ihre Übernatürlichkeit an sich. Crowley jedoch ging einen Schritt weiter und nahm eine noch radikalere Haltung ein, indem er die Authentizität der Phänomene selbst bestritt.
Crowleys Vorstellung von Yoga
Crowleys naturalistische Interpretation übernatürlicher Phänomene war nicht auf den Spiritualismus oder die parapsychologische Forschung beschränkt. Wie ich bereits ausgeführt habe, übertrug er psychologische und naturalistische Auslegungen auch auf seine eigenen spirituellen Praktiken. Um diesen Aspekt von Crowleys Gedanken auswerten zu können, werde ich mich auf den folgenden Seiten auf seine Annäherung an Yoga einerseits sowie an die Magie andererseits konzentrieren.
Crowley „entdeckte“ Yoga „an Ort und Stelle“, nämlich in Indien, oder genauer gesagt, in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) um 1901. Zu jener Zeit war das für einen Europäer noch sehr unüblich.28 All sein späteres Wirken war von diesen Erlebnissen beeinflusst, und Yoga wurde zu einem wichtigen Teil seiner Praxislehren.29
Als Crowley zum ersten Mal nach Indien ging, war er gerade mal sechsundzwanzig Jahre alt. Anfang August 1901 befand er sich in Ceylon.30 Bis dahin war er einige Monate gereist. Im Frühling 1900 war der berühmte Konflikt im Golden Dawn ausgebrochen, in welchem MacGregor Mathers von einer Gruppe prominenter Ordensmitglieder als Leiter des Ordens angefochten wurde. Crowley stand in diesem Konflikt an Mathers’ Seite und wurde damit zu einem derjenigen, die Chaos und Uneinigkeit in diesen Okkultistenverband brachten.31 Im Anschluss daran beschloss er, enttäuscht und desorientiert, England für längere Zeit zu verlassen, und machte sich auf die Reise, die länger als ein Jahr dauern würde.
Sein erstes Anlaufziel war Mexiko, das er im Juli 1900 erreichte. Er blieb dort für mehrere Monate, und während seines Aufenthalts stieß sein Freund Oscar Eckenstein (1859 - 1921) dazu. Eckenstein war ein Eisenbahningenieur mit einer Leidenschaft für das Bergsteigen.32 Er hatte mit Crowley zusammen schon einige Gipfel der Alpen erklommen, und in Mexiko erkletterten sie einige der höchsten Berge des Landes. Diese Bergtouren sollten auch ein vorbereitendes Training für die Expedition zum Himalaya sein, die die beiden Männer planten. Crowleys Autobiographie ist zu entnehmen, dass er Eckenstein sehr bewunderte und als seinen Lehrmeister im ernsthaften Bergsteigen bezeichnete. Interessant ist jedoch, dass die Bergsteigerei nicht der einzige Bereich war, in dem Crowley von Eckenstein lernen konnte. In seiner Autobiographie schreibt Crowley, dass sein Freund ihm während ihres Aufenthaltes in Mexiko eine Grundübung der Konzentrationstechnik beigebracht habe, die darin bestand, ein Objekt zu visualisieren und dieses Bild so lange wie möglich im Gedächtnis zu behalten.33 Das Ziel war natürlich, eine gewisse Kontrolle über die Gedankenprozesse zu erlangen. Leider teilt Crowley nichts darüber mit, wo Eckenstein seine Techniken erlernt hatte, macht aber deutlich, dass dieser mit Magie nichts zu tun habe und sich sogar über seinen jüngeren Freund und dessen okkulte Interessen lustig machte.34 Doch ist auch interessant, dass – nach einer von Crowley unabhängigen Quelle – Eckenstein besonders an Telepathie interessiert gewesen ist.35 Crowley begann, so zu trainieren, wie es ihm sein älterer Freund geraten hat.36 Offensichtlich bereiteten diese frühen Experimente ihn auf seine Begegnung mit Yoga vor, die ein paar Monate später stattfinden sollte.
Nachdem er sich von Eckenstein getrennt und Mexiko verlassen hatte, überquerte Crowley den Pazifik, um zu einem anderen Freund zu gelangen: Allan Bennett (1872 - 1923), der ebenfalls Mitglied des Golden Dawn gewesen war und mit dem Crowley sich in London zeitweise eine Wohnung geteilt hatte.37 Auch Bennett hatte die Rolle eines Mentors für Crowley innegehabt, doch ging es in seinem Fall speziell um magische Angelegenheiten, und er war auch derjenige gewesen, mit dem Crowley seine Drogenexperimente im Rahmen magischer Zeremonien begonnen hatte. Bennett hatte England ein Jahr zuvor aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit verlassen und sich nach Ceylon zurückgezogen, wo er zum Buddhismus konvertiert war und von einem einheimischen Meister in Yoga unterrichtet wurde. Nach seinem Umzug nach Ceylon hatte Bennett jegliches Interesse am Praktizieren westlicher Ritualmagie, wie er sie im Golden Dawn gelernt hatte, verloren. Crowleys Enttäuschung über die jüngsten dramatischen Ereignisse innerhalb des Ordens hatte auch ihm die Begeisterung für Magie genommen und ihn offen für neue spirituelle Abenteuer gemacht.
Bennetts Yogalehrer war der Shivait Sri Parananda Ramanathan (1851 - 1930), der auf der Insel hoch angesehen war und unter der britischen Herrschaft zum zweiten Kronanwalt von Ceylon ernannt wurde.38 Nach seiner Ankunft nahm Crowley schnell an den Yogaübungen und Experimenten Bennetts teil. Beide Männer waren entschlossen, um es mit Crowleys Worten auszudrücken, sich „die östlichen Systeme unter östlichem Himmel und allein mit östlichen Methoden“ zu erarbeiten.39 Crowley überzeugte Bennett, einen Bungalow in Kandy zu mieten, das im Inneren der Insel lag, wo sie ihre Übungen allein fortsetzten. Die Techniken, die Crowley zu dieser Zeit anwendete, entstammten größtenteils dem „klassischen“ Yoga, wie es in Patañjalis Leitsätzen festgeschrieben steht. Seine täglichen Übungen beinhalteten Âsana (eine besondere Körperhaltung einzunehmen und darin in vollkommener Unbeweglichkeit zu verharren), Prânâyâma (Techniken zur Atemkontrolle), und Dhâranâ (Techniken zur Gedankenkontrolle, die in die Lage versetzen sollen, den Fluss der Gedanken willentlich aufzuhalten). Crowley behauptete, dass er Anfang Oktober – nach zwei vollen Monaten kontinuierlichen Trainings – Dhyâna, eine der höchsten Stufen yogischer Erkenntnis, erreicht habe. Nach Patañjali ist nur die Stufe Samâdhi, die als ultimatives Ziel des Yoga betrachtet werden kann und zur Befreiung von den menschlichen Konditionen führt, noch höher als Dhyâna. Was Crowley als Erfahrung von Dhyâna wahrnahm, war von äußerster Wichtigkeit für ihn. Laut Israel Regardie war es „das wichtigste spirituelle Ergebnis, das er bis dahin erreicht hatte.“40 Dennoch brach Crowley nach diesem schnellen Erfolg seine Übungen ab, und gegen Ende November verließ er Ceylon. Er wollte in den Norden Indiens aufbrechen, wo er mit Eckenstein verabredet war, mit dem er eine neue Expedition zum K2 plante.
Interessant ist die Tatsache, dass Crowley während seiner Yogaausbildung ein Tagebuch führte, in dem er seine direkten Erfahrungen systematisch aufzeichnete. Während der Monate in Ceylon notierte er sorgfältig alle seine Übungen einschließlich seiner physischen und mentalen Verfassung bei ihrer Durchführung sowie die erzielten Ergebnisse. Dieses Verfahren, das er während seiner Mitgliedschaft beim Golden Dawn gelernt hatte, wendete er auch in seinem weiteren Leben immer wieder an. Für ihn hatte seine magische und spirituelle Arbeit immer einen „experimentellen“ Aspekt, der von den Versuchen der Mitglieder der SPR gar nicht so weit entfernt war.
Anscheinend hat Crowley in den folgenden Jahren die systematische Yogapraxis nicht wieder aufgenommen, zumindest nicht mit der gleichen Intensität wie während seines „Rückzuges“ nach Ceylon, auch wenn offensichtlich ist, dass seine Erlebnisse in dieser Phase einen tief greifenden Einfluss auf ihn hatten. Später behauptete er, auch Samâdhi erreicht und damit den Pfad der Verwirklichung nach der klassischen Yogalehre vollkommen durchlaufen zu haben, wenngleich er diese Stufe augenscheinlich nicht durch Yogapraktiken, sondern eher durch die Anwendung zeremonieller Magie erreicht hatte.
Eines sollten wir stets im Gedächtnis behalten, wenn es um die Verbindung zwischen Yoga und Magie gemäß Crowley geht:41 er betrachtete seine Erfahrung von Dhyâna – und später Samâdhi – als demselben spirituellen Pfad zugehörig wie seine Initiation in den Golden Dawn und seine magischen Praktiken.42 Dies bedeutet, dass er damit fortfuhr, dieselbe initiatische Grundstruktur, die er im Golden Dawn vorfand, auf alle seine spirituellen Erlebnisse zu übertragen. Alles passte in dieses Paradigma und wurde aus diesem heraus interpretiert. Da es ihm durch seine eigene Distanzierung von Orden nicht mehr möglich war, durch formale Initiationsriten innerhalb dessen initiatischer Struktur aufzusteigen, kreierte er auf der Basis seiner Erfahrungen eigene nachfolgende Einweihungsgrade. Crowley glaubte daran, dass sein spiritueller Werdegang kontinuierlich und beständig sei; ohne Einbeziehung dieses Aspektes ist die Bedeutung und Wichtigkeit, die diese Erfahrungen aus seiner persönlichen Perspektive heraus hatten, kaum zu verstehen.
Andererseits hielt diese besondere Betrachtung seines spirituellen Werdegangs ihn nicht davon ab, seine Erfahrungen nicht allein auf der Grundlage traditioneller spiritueller Voraussetzungen, sondern auch von einer psychologischen Warte aus zu interpretieren. In seiner Autobiographie schreibt er, dass er Anfang 1904 mit seiner Ehefrau Rose, die er ein paar Monate zuvor geheiratet hatte, im Rahmen ihrer Hochzeitsreise auf einem Schiff unterwegs gewesen sei, das sie von Colombo nach Ägypten bringen sollte. Dies war kurz bevor im Frühling desselben Jahres in Kairo jene Ereignisse eintraten, die ihn zur Offenbarung des Book of the Law führten. Auf dem Schiff traf er den englischen Psychiater Henry Maudsley (1835 - 1918), der eine Reihe von Büchern über die Verbindung von Körper und Geist aus einer rein materialistischen Perspektive heraus veröffentlicht hatte.43 Interessanterweise hatte Maudsley sich auch mit mystischen Phänomenen auseinandergesetzt und einen Artikel über Swedenborg veröffentlicht, in welchem er schlussfolgerte, dass der schwedische Visionär an einer „messianischen Psychose“ gelitten habe, die Maudsley als „Monomanie“ ansah, die möglicherweise durch Epilepsie hervorgerufen worden sei.44 Laut John Johnson wurde dieser Artikel von den Swedenborgianern heftig kritisiert, was vielleicht der Grund war, warum Maudsley in seinen späteren Werken auf weitere Anspielungen auf Swedenborg verzichtete.45 Diese Episode ist interessant, da sie zeigt, dass die Auffassung, die Maudsley von mystischen und spirituellen Phänomenen im Allgemeinen hatte, offensichtlich auf einer Reduktion auf den psychopathologischen Blickwinkel basierte. Crowley verstörten Maudsleys Vorstellungen vom Mystizismus anscheinend wenig. Vielmehr nutzte er die sich durch diese zufällige Begegnung bietende Gelegenheit und ging auf Maudsley zu, um mit ihm über das Thema Yoga zu diskutieren. Crowleys Bericht dazu in The Confessions verdient es, in voller Länge zitiert zu werden:
Wir sprachen über Dhyana. Ich war ziemlich sicher, dass das Erreichen dieses Zustandes, und noch mehr von Samadhi, die Befreiung von den Hemmungen bedeutete, welche die Manifestationen des Genies unterdrückt, oder (praktisch dasselbe in anderen Worten ausgedrückt) die Fähigkeit, die Energie des Universums anzuzapfen. Nun, was auch immer, Samadhi ist zumindest ein Geisteszustand wie tiefes Nachdenken, Ärger, Schlaf, Vergiftung und Melancholie. Sehr gut. Jeder Geisteszustand ist begleitet von entsprechenden Zuständen des Körpers. Läsionen der Hirnsubstanz, Störungen der Blutversorgung usw. werden in scheinbar zwangsläufiger Verbindung zu diesen Geisteszuständen beobachtet. Außerdem wissen wir bereits, dass bestimmte mentale oder spirituelle Zustände durch physische oder chemisch-physische Bedingungen ausgelöst werden. Zum Beispiel können wir einen Mann in Ausgelassenheit oder in Wut oder ähnliches versetzen, indem wir ihm Whisky geben. Wir können Schlaf durch Verabreichung von Drogen wie Veronal herbeiführen. Wir können ihm sogar (wenn wir wollen, dass es auf die Spitze getrieben wird) durch eine Betäubung mittels Kokain, Äther usw. Mut suggerieren. Wir können phantastische Träume mit Haschisch hervorrufen und farbige Halluzinationen mit Anhalonium Lewinii; wir können sogar mittels eines Sandsacks dafür sorgen, dass er „Sterne sieht“. Warum sollten wir dann nicht in der Lage sein, eine pharmazeutische, elektrische oder chirurgische Methode zu entwickeln, um Samadhi herbeizuführen, Genialität genauso einfach zu erschaffen, wie andere Arten besonderer Erregung? Morphium macht Männer auf eine negative Weise heilig und glücklich; warum sollte es da nicht eine Droge geben, die das positive Äquivalent dazu hervorruft? Der Mystiker schnappt vor Entsetzen nach Luft, aber um ihn können wir uns wirklich nicht kümmern. Er ist es, der die Natur verlästert, weil er Unterbrechungen in ihren Abläufen voraussetzt. Nimm an, dass Samadhi einzigartig ist, und der ganze verworfene Humbug vom Übernatürlichen kehrt zurück.46
Dies ist vielleicht einer der faszinierendsten Abschnitte von Crowleys Autobiographie, weil er uns darin, durch seine Zurschaustellung psychologischer Begriffe („Hemmungen, die unterdrücken“), direkt in die Komplexität seiner Haltung spirituellen Praktiken gegenüber einführt. Wir können klar die Art des Diskurses erkennen, den er zu entwickeln versucht, um diese Praktiken für den wissenschaftsgläubigen modernen Menschen – selbst in seiner radikalsten reduktionistischen Ausprägung, die zum Beispiel von Maudsley repräsentiert wird – annehmbar zu machen. Crowley behauptet, dass der berühmte Psychiater auf die Argumente seines Mitreisenden positiv reagierte: „Maudsley stimmte – sehr zu meiner Überraschung – mit all diesen Thesen überein, aber er konnte auf keine plausible Forschungslinie verweisen.“47 Es ist schade, dass wir Maudsleys Version dieser Episode nicht kennen und nie erfahren werden, wie er wirklich über diese zufällige Konversation gedacht hat. Wenn wir jedoch seine ziemlich ablehnende Haltung gegenüber dem Mystizismus im Allgemeinen betrachten, überrascht es nicht, dass er am Ende keine Empfehlung für eine „plausible Forschungslinie“ geben wollte.
Ebenso interessant ist, dass man in den oben zitierten Zeilen möglicherweise den Einfluss von William James und seiner Behandlung „religiöser Genien“ am Anfang seiner Varieties of Religious Experience verfolgen kann.48 Dies erinnert uns an die Tatsache, dass Crowley, auch wenn er sich in der obigen Passage sehr bemüht zeigt, einem eingefleischten Materialisten wie Maudsley die Vertretbarkeit seiner Ideen vor Augen zu führen, zu James eher eine Affinität verspürt haben dürfte. Genau genommen, ist es wichtig zu erwähnen, dass James, gemeinsam mit den führenden Persönlichkeiten, die in die parapsychologische Forschung in England und den Vereinigten Staaten involviert waren, im Hinblick auf den höchsten spirituellen Wert religiöser Erfahrungen eine weit weniger radikale Position vertrat als Maudsley.49 Das Konzept von Inspiration in Verbindung mit den Stiftern von Religionen ist ein Thema, das sich in Crowleys Werken oft wiederfindet. In einem anderen Abschnitt in The Confessions erwähnt Crowley James explizit, und zwar genau in Bezug auf das Problem des religiösen Genies:
Die grundsätzliche Vorstellung der östlichen Religionen … ist die Befreiung von der Illusion der Existenz. Die Wirkung von Samadhi ist erstens die Glückseligkeit, die von der Befreiung vom Schmerz herrührt. Später verschwindet die Glückseligkeit und macht einem vollkommenen Gleichmut Platz. Doch wir müssen nicht so weit in ihre Philosophie vordringen oder sie annehmen. Teilweise dank William James’ Varieties of Religious Experience hatte ich die Idee, Methoden des Yoga einzusetzen, um willentlich Inspiration hervorzubringen. James führt aus, dass die verschiedenen religiösen Lehrer ihre Macht und ihren Einfluss auf die Menschheit im Wesentlichen auf dieselbe Weise erlangten: indem sie Samadhi erreichten. Die Trance gibt höchste spirituelle Energie und absolutes Selbstvertrauen; sie entfernt die gewöhnlichen Hemmungen, die das Handeln verhindern. Ich schlage vor, dass jedermann diese Kraft nutzen sollte, seine Fähigkeiten zu entwickeln und seine Ambitionen zu erwecken, indem er die Wirkungen der Trance in seinem Leben kanalisiert. Diese Idee verbindet gleichzeitig Mystik und Magick, denn eine der wichtigsten Handlungen der Magick ist, den Gott anzurufen, der mit dem, was du möchtest, korrespondiert, dich mit Ihm zu identifizieren und dein Wirken mit seinem reinen Antrieb zu durchdringen. Dies bedeutet, genau genommen, Samadhi mit diesem Gott zu erlangen.50