Kitabı oku: «COACHING-PERSPEKTIVEN», sayfa 4

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Die persönliche Beziehung im Organisations-Kontext

Während die Beziehung zwischen Coach und Organisation hauptsächlich am Zweck orientiert ist, ist für die wirkungsvolle Zusammenarbeit von Coach und Coachee vor allem die persönliche Ebene von Bedeutung.

Das Ideal in der therapeutischen Beziehung ist die Begegnung von »Mensch zu Mensch«, wobei mit Mensch immer »der ganze Mensch« gemeint ist. Dieser Beziehung wird Heilkraft zugesprochen, 69 weil durch das Erleben einer anderen Art von Beziehung alte Beziehungsmuster aufgelöst werden können. Coaching hingegen adressiert den Menschen vornehmlich in seiner professionellen Rolle als Mitglied in einer Organisation.

»Eine Person, die (…) die Rolle eines Mitglieds übernimmt, verpflichtet sich, bestimmten Verhaltenserwartungen gerecht zu werden. Das bezieht sich, je nach Organisation, auf weitere oder engere Verhaltensbereiche (…) Ein autonomes Individuum verzichtet in gewissen Bereichen des eigenen Lebens darauf, seinen theoretisch gegebenen Freiraum zu nutzen. Es lässt sich seine Unberechenbarkeit (»Nicht-Trivialität«), d. h. die Nicht-Erwartbarkeit seines Verhaltens, gegen ein mehr oder weniger angemessenes Schmerzensgeld abkaufen.«70

Auftrag des Coaching ist es, die individuellen Handlungsmöglichkeiten des Coachee in seiner Auseinandersetzung mit diesen Verhaltenserwartungen zu erweitern, ohne diese komplett in Frage zu stellen. Dass der Coach das eine tut und das andere nicht tut, ist wiederum Teil der Verhaltenserwartungen an ihn und Gegenstand des Arbeitsbündnisses. »Nur« die Rolle des Coachee in der Organisation im Blick zu haben heißt freilich nicht, den Rest des Individuums auszublenden, schließlich sitzen sich nicht nur zwei »Professionelle« gegenüber, sondern auch zwei Menschen. Das individuelle, persönliche, emotionale und spirituelle So-Sein des Coachee beeinflusst die Art und Weise, wie er seine professionelle Rolle ausfüllt (oder auch nicht) und ist damit Teil des Hintergrunds. Üblicherweise werden diese Aspekte jedoch nicht im Organisations-Kontext an- oder ausgesprochen. Genauso wenig ist es dort üblich oder geübt, Themen oder Fragen dialogisch zu adressieren. Orientiert man sich also am dialogischen als Ideal von Beziehung als Norm, fällt das Fazit für »Dialog im Coaching« eher enttäuschend aus. Was nicht heißt, dass der Coach diese Beziehung nicht anstreben kann. Martina Gremmler-Fuhr fasst dieses Streben in ihrem Konzept vom »intentionalen Dialog«71 und bezeichnet damit eine Haltung, die sich zunächst in einem Kommunikationsverhalten ausdrückt:

Auf der Ebene der Kommunikation umfasst und bestätigt der Coach das, was der Coachee beschreibt und erlebt. Er ist präsent im Hier und Jetzt und stellt kontextbezogen und selektiv authentisch seine Eindrücke und sein Wissen zur Verfügung. Er hält den Prozess, öffnet sich für das »Dazwischen« und variiert situationsbezogen das Maß der Steuerung und der Kontrolle über diesen Prozess. Getragen ist sein Verhalten von einer »Grundhaltung, die eine Verständigung beabsichtigt und gleichzeitig akzeptieren und wertschätzen kann, was ist.«72 Für den gestalttherapeutisch geschulten Coach kann das bedeuten, dass er die zahlreichen Ich-Es-Momente im Coaching als erwartbar und nutzbringend wahrnehmen kann, statt sie als defizitären Kontakt oder platte Interaktionen abzuwerten.

»Zu leicht übersehen wir in unserem Engagement für das Dialogische, dass der Klient zwar eine diffuse Sehnsucht nach Begegnung spüren, diese aber gleichzeitig für ihn sehr beängstigend sein kann.73

Intentionaler Dialog heißt auch, die jetzt bestehenden Grenzen der Verständigung oder Begegnung zu akzeptieren und gleichzeitig um ihre Erweiterung im gegebenen Rahmen bemüht zu sein. Dazu gehört auch anzuerkennen, dass ein Dialog derzeit nicht möglich ist.

Verantwortung im Coaching

Ob und wie sich die Grenzen der Verständigung und damit die Beziehungsqualität verändern, ist dabei nicht allein vom Coach und seinem Wollen und Können abhängig. Coaching ist, wie die meisten anderen Beratungsformate auch, immer eine Ko-Kreation, 74 salopp gesagt: it takes two to tango. Das ist für viele Coachees zunächst befremdlich, denn schließlich zahlt die Organisation dafür, dass jemand sie coacht. »Jetzt bin ich mal gespannt, was Sie mit mir machen«, ist ein oft geäußerter Satz am Beginn eines Coaching-Prozesses. Die einfache Formel zur Verteilung der Verantwortung im Coaching lautet: Der Coach ist verantwortlich für den Prozess, der Coachee für den Inhalt. Ohne Anliegen, Fragen und Themen des Coachee fehlt es dem Coaching an Inhalt. Ohne die Steuerungskompetenz des Coaches wird es keine runde Sache.

Aber auch auf der Prozessebene ist der Coachee gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Ohne sein Engagement, seine Veränderungsenergie, Neugierde und Motivation zu lernen fehlt es den einzelnen Sitzungen an Energie und Fokus. Ohne seine Bereitschaft zu einer dialogischen Arbeitsbeziehung kann das Coaching eine Aneinanderreihung platter Interaktionen und damit bedeutungslos sein. Diese Mitverantwortung auf der Prozess- und Beziehungsebene macht Coaching auch für den Coachee zu einem anspruchsvollen Beratungsformat. Für den Coach kann es wiederum nützlich sein, sich an den »Ersten Hauptsatz der Verantwortungsdynamik« zu erinnern, der besagt:

»Das Maß der Verantwortung in einem Interaktionssystem bleibt konstant. Die Verantwortungsabgabe des einen ist die Verantwortungsübernahme des anderen. Wo nichts ist, kann auch nichts abgegeben werden.«75

Neben diesem praktischen Aspekt schwingt bei der Mitverantwortung des Coachees zugleich der Verweis auf dessen existenzielle Verantwortung bezogen auf sein Leben mit, also die konstante Anforderung, »Ja« und »Nein« zu sagen und zu entscheiden, wie die Antwort auf eine Situation lautet, die jetzt der inneren Wahrheit entspricht.

Auch hier gilt, dass im Rahmen von Coaching weniger die Antwort auf die große Frage nach dem »Wer bin ich?« gesucht wird. Gleichzeitig scheint sie durch die »kleinen« Antworten auf die jeweiligen Situationen in der Organisation durch und kann damit in Resonanz gehen. Ein schwieriger Vorgesetzter kann der Anlass sein, die Autorschaft der eigenen Geschichte zu erfahren. Ein Konflikt am Arbeitsplatz kann die Tür zu tief greifender Selbsterkenntnis und Veränderung sein.

Die paradoxe Theorie der Veränderung

»In meiner Kindheit habe ich gelernt, ich solle ›etwas aus mir machen‹ und mir meinen Platz in der Welt schaffen. Es galt als eine Sache des Willens und der Anstrengung, die notwendigen Veränderungen zu vollziehen, um etwas zu ›werden‹ und einen Platz zu finden. Ich lernte, dass dieses Ziel erreichbar sei, wenn ich nur bereit wäre zu arbeiten, zu planen, mich anzustrengen und zu kämpfen.«76

Arnold Beisser schrieb dies in seinem Lebensbericht als gelähmter Therapeut im Jahre 1989. In seinem Text Die paradoxe Theorie der Veränderung aus dem Jahr 1970 setzt er sich mit dem Spannungsfeld von Intention und Akzeptanz auseinander. Die Annahme, es gebe nur willentliche Veränderung, prägt nicht nur weiterhin Individuen, die mit sich oder ihren Lebensumständen unzufrieden sind, sondern unsere ganze Kultur und das Management von Organisationen.

Ausgehend von seiner ganz persönlichen Situation – er war an Kinderlähmung erkrankt und gelähmt –, die durch keine Anstrengung zu verändern war, beschrieb Arnold Beisser seine Erfahrung, was sich änderte, als er anfing, diese Situation anzunehmen. »Dabei entdeckte ich, wie ihre unangenehmen und inakzeptablen Aspekte sich veränderten.«77

Diese persönliche Erfahrung und seine Beobachtungen aus der Zusammenarbeit mit Fritz Perls flossen ein in seine Paradoxe Theorie der Veränderung, die eine zentrale Bedeutung für den gestalttherapeutischen Prozess und die Rolle des Therapeuten hat:

»Kurz gesagt geht es um Folgendes: Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn jemand versucht, etwas zu werden, was er nicht ist. (…) Veränderung findet statt, wenn man sich die Zeit und die Mühe macht, zu sein, was man ist; und das heißt, sich voll und ganz auf sein gegenwärtiges Sein einzulassen.«78

Mit Achtsamkeit bei dem bleiben, was hier und jetzt geschieht (gefühlt, gespürt, gesagt wird) und »dabei bleiben«, auch wenn es unangenehm oder schmerzhaft ist oder sich leer anfühlt. »Die Grundlage dieser Arbeit ist das Jetzt.«79 Von diesem Jetzt aus ereignet sich der nächste Schritt von allein, er darf nicht erzwungen oder durch ein Programm (»ich sollte aber«, »ich will«, »ich denke, es wäre besser«) absichtlich herbeigeführt werden, »jede absichtliche Änderung ist zum Scheitern verurteilt.«80 Die beiden letzten Zitate stammen aus Therapie-Sitzungen von Fritz Perls und sollen an dieser Stelle verdeutlichen, dass es sich bei der Aufforderung, das zu sein, was man gegenwärtig ist, um eine Aufforderung im therapeutischen Setting handelt und nicht um ein Konzept zur Selbstverwirklichung.81

Für den Gestalttherapeuten bedeutet das, das Geschehen im Sinne der dialogischen Beziehung zu begleiten, präsent zu sein, seine Beobachtungen mitzuteilen und den Prozess zu halten. Er ist nicht der Vertreter der Veränderung, er Mit dieser Haltung erkennt der Therapeut auch die ungeliebten, schlechten, für falsch befundenen oder abgespaltenen Anteile des Klienten an und unterstützt den Klienten darin, dies auch zu tun und so die entfremdeten Teile seines Selbst zu integrieren.

»verweigert die Rolle des ›Veränderers‹. (…) Ein Therapeut, der versucht, einem Klienten zu helfen, hat die partnerschaftliche Position verlassen und ist zum wissenden Experten geworden, wobei der Klient die hilflose Rolle spielt (…)«82

Ziel der Therapie ist laut Arnold Beisser, im Angesicht einer sich immer rascher verändernden Umwelt, die Möglichkeiten der eigenen Stabilisierung zu erhöhen, um so in der Lage zu sein, »sich dynamisch und flexibel im Fluss der Zeit zu bewegen und dabei zugleich die Orientierung zu behalten.«83 Er verweist in seinem Text explizit darauf, dass dieser Veränderungsansatz zwar aus der therapeutischen Beziehung stammt, sich aber auch auf andere soziale Veränderungsprozesse übertragen lässt und Ansätze dazu liefern kann, wie abgekapselte Teile oder Schichten einer sozialen Gruppe wieder miteinander in Verbindung gebracht und integriert werden können.

Die paradoxe Theorie der Veränderung ist, wie wir gesehen haben, weniger eine Theorie als eine Richtschnur für beraterisches Handeln. Sie lässt sich ohne weiteres auf die Eins-zu-eins-Situation des Coachings übertragen, und ein Coach, der sich darauf bezieht, wird auch in kritischen Situationen darauf vertrauen, dass der nächste Schritt des Coachee entstehen wird und es weder nötig noch angezeigt ist, steuernd einzugreifen. Dieses Veränderungskonzept unterstützt die Haltung des Beraters, dass die Verantwortung für die Lösung des Problems beim Coachee liegt und seine Rolle die des Experten für den Prozess der Lösungsfindung ist.

Gerichtete und ungerichtete Aufmerksamkeit

Ähnlich wie die Pole Intention und Akzeptanz durch ein Sowohl-Als-Auch ihren jeweiligen Platz finden, verhält es sich auch mit dem Modus der Aufmerksamkeit.

Das Veränderungsanliegen des Coachee bezieht sich im Coaching häufig auf komplexe Situationen in oder mit der Organisation, die als problematisch erlebt werden. Die (Selbst-)Erfahrung von Moment zu Moment ist nur ein Teil davon oder kommt erst später in den Fokus. Für den Coach heißt das, zunächst die gesamte als problematisch erlebte Situation gemeinsam mit dem Coachee zu betrachten. Gegebenenfalls nutzt er dafür unterstützende Techniken wie z. B. Visualisierung oder Positionierungen im Raum etc., die den Hintergrund gewissermaßen ausleuchten.84 Gleichzeitig wird der Coach auch aufgrund seines Expertenwissens über soziale und organisationale Zusammenhänge zielgerichtet nachfragen. Edwin Nevis differenziert diese zwei Modi von Achtsamkeit, die ungerichtete und die gerichtete, in seinem »Sherlock-Holmes-Modell«:85 Sherlock Holmes steht für die analytische und strukturierte Herangehensweise mit gerichteter Aufmerksamkeit, die sich an einem normativen Referenzrahmen orientiert und Schlussfolgerungen zieht. Columbo, der vermeintlich naive und desorientierte Detektiv, repräsentiert in dem Modell die ungerichtete Aufmerksamkeit, die sich überraschen lässt von dem, was sich freiwillig zeigt oder erscheint und damit Hintergrund für Hypothesenbildung schafft. Beide Modi sind für das Problem-Verständnis notwenig, der Coach braucht, wie es ein Teilnehmer einer Ausbildungsgruppe formuliert hat, »Sherumbo«-Kompetenz um die verschiedenen Perspektiven, aus denen das Problem betrachtet werden kann, zugänglich zu machen.

»Zu sein was man ist« (bezogen auf die problematische Situation) heißt, sich Zeit zu nehmen, das Problemfeld zu erkunden, das Problem zu benennen86 und es in den Bezugsrahmen der Erfahrung des Coachee zu stellen und somit seine Bedeutung für den Coachee herauszuarbeiten: Handelt es sich um ein bekanntes Thema, eine kleine Irritation, eine Rollenkonfusion etc.? Der Coach unterstützt an dieser Stelle den Coachee, sich so umfassend wie möglich auf das Erleben der Situation einzulassen, »zu sein, wie er ist.« Von diesem Punkt aus ergeben sich Lösungsansätze und zeigen sich mögliche Handlungsperspektiven, die wiederum im Dialog von Coach und Coachee erörtert und abgewogen werden. Das kann auch die Entscheidung sein, (jetzt) nichts zu tun oder zu entscheiden. Zu würdigen oder einfach zu konstatieren, dass hier offenbar kein Schritt in eine Lösungs-Richtung möglich ist, kann eine tief greifende Erfahrung für den Coachee sein und manchmal der Moment, in dem dann doch, siehe oben, ein Schritt entsteht.

Reinhard Fuhr nennt diese Art von Beratungsprozess, der viel Zeit in die Phasen von Erkundung, Bedeutungsgebung und Perspektiven-Entwicklung investiert, »bewusstseinsorientiert«87 in Abgrenzung zum aktionsorientierten »Problemlösungsprozess«, wie er in den meisten Managementhandbüchern zu finden ist. Beim Modell des Plan – Do – Check – Act – Zirkel geht es darum, die zu verändernde Ist-Situation zu analysieren, einen Soll-Zustand zu definieren und sich dann für den Weg zu entscheiden, der von Ist nach Soll führt. Diesen gilt es zu planen und entsprechend umzusetzen. Ähnlich wie es nötig ist, bei der Problemerkundung sowohl gerichtete wie auch ungerichtete Achtsamkeit einzusetzen, bietet es sich an, beide Prozesse miteinander zu verbinden: Die Umsetzung der durch den bewusstseinsorientierten Prozess gefundenen Lösungen wird anschließend geplant und ihre Durchführung kontrolliert, das heißt in der folgenden Coaching-Sitzung reflektiert und ausgewertet.

Diagnose im Coaching

»(…) wenn wir dann von Angesicht zu Angesicht einem konkreten, lebendigen Menschen gegenübersitzen, der uns von seinen Leiden und Schwierigkeiten erzählt (…)«88

Im Grunde handelt es sich beim eben beschriebenen gemeinsamen Erkundungsgang durch die Problemlandschaft auch schon um einen diagnostischen Prozess im Sinne des gestalttherapeutischen Vorgehens.89 Neben der Frage »Was ist das Problem im Feld?« stellt sich in einem beziehungsorientierten Setting zu zweit früher oder später auch die Frage, wie der Klient/Coachee auf der persönlichen Ebene mit seinem So-Sein zur Produktion oder Aufrechterhaltung dieses oder anderer Probleme beiträgt. Neben Modellen und Theorien über Organisationen, die ihm helfen, sich in diesem Feld zu orientieren (und seinem Bewusstsein darüber, welche das sind), braucht der Coach auch Kriterien dafür, wie Probleme auf der persönlichen Ebene »gemacht« werden.

Die Begriffe ›Diagnose‹ und ›Diagnostik‹ werden für gewöhnlich mit dem Feststellen oder Bestimmen von Krankheit in Verbindung gebracht und deshalb im nicht-therapeutischen Kontext mit Vorsicht oder Zurückhaltung verwendet.90 Und auch im Verlauf der Entwicklung der Gestalttherapie gab es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie sinnvoll oder einschränkend eine gestalttherapeutische Diagnostik sei.91

Gleichzeitig basiert jede beraterische oder therapeutische Intervention auf den Annahmen des Beraters/Therapeuten über den Klienten als Person, darüber, was in der gegenwärtigen Situation für den Klienten förderlich/nicht förderlich ist, welche Beziehung zwischen ihm und dem Klienten besteht, in welchem Feld mit welchen Einflussgrößen sie sich befinden.

»Wir können nicht vermeiden zu diagnostizieren: Wir stehen vor der Wahl, ob wir es schludrig und nachlässig oder auf gut durchdachte, bewusste Weise tun. Die Gefahr, dem Klienten ein Glaubens- oder Wertesystem überzustülpen, verschärft sich, wenn man ohne Bewusstheit diagnostiziert.«92

Diagnostizieren heißt, Konzepte und Annahmen darüber anzuwenden, was auf die gegenwärtige Situation bezogen, »funktional« und »dysfunktional« ist, »gesund« oder »krank«. Die gestalttherapeutische Diagnostik hat beides im Auge, die »gesunde« kreative Anpassung eines Menschen in seinem Umweltfeld, seine Ressourcen und Potenziale und wie er sie aktiviert, sowie die Art und Weise, wie er seine Anpassung einschränkt oder sein Erleben blockiert. Dabei betrachtet sie die Person als Ganzheit, in der Körper, Seele und Geist verbunden sind. Der Dynamik der dialogischen Beziehung entsprechend, geht es beim ›Feststellen und Erkennen‹ nicht in erster Linie darum, dass der Berater etwas über den Klienten erfährt, sondern dass der Klient etwas über sich erfährt.

Der gestalttherapeutisch diagnostizierende Coach richtet seine Aufmerksamkeit auf drei Bereiche: Das, was er unmittelbar an seinem Gegenüber beobachten kann, wie dieser auf seine Beziehungsangebote eingeht und an welchen Stellen er unter Umständen seinen Prozess der Erfahrung unterbricht.

Der Kontaktzyklus als Diagnose-Leitfaden

Der idealtypisch beschriebene Zyklus des Erlebens ist, wie bereits erwähnt, ein Modell und nicht die Wirklichkeit, ein Mittel zur Beschreibung des Wahrnehmungskontinuums und keine Norm. Im gelebten Leben bleiben viele Kontaktzyklen unvollendet oder werden ›unterbrochen‹ ohne dass man von einer Störung sprechen würde. Dennoch eignet sich das Modell als Referenz dafür, wie lebendig, kreativ und stimmig die Interaktion zwischen Organismus und Umwelt ist. Folgende Fragen können z. B. die Aufmerksamkeit des Coaches lenken:

• Nimmt der Coachee seine körperlichen Empfindungen wahr? (Oder sitzt er stundenlang in verkrampfter Haltung ohne sie zu verändern?)

• Erkennt er, was er empfindet? (Oder wird Angst vor Beschämung mit Prüfungsangst »verwechselt«?)

• Mobilisiert er Energie? (Oder denkt er lieber noch mal gründlich nach?)

• Setzt er in die Tat um, was er sich vorgenommen hat? (Oder bleibt es beim guten Vorsatz?)

• Lässt er sich auf das, was er tut, ein? (Oder wirkt er halbherzig und oberflächlich?)

• Kann er das, was er geschafft hat, anerkennen und zufrieden sein? (Oder interessiert ihn eher, was er hätte besser machen können?)

• Kann er ein Thema, die Sitzung etc. abschließen? (Oder fängt er kurz vor Schluss noch ein neues Thema an?)

• Kann er beim Abschied einen Moment innehalten? (Oder ist er schon auf dem Weg zum nächsten Meeting?)

Die Kontaktfunktionen zur Beschreibung des Kommunikationsstils

Neben dem Gewahrsein und der Achtsamkeit für die jeweilige Phase und auch innerhalb der einzelnen Phasen des Kontaktzyklus bieten sich die Kontaktfunktionen als Landkarte für den Coach an, 93 den Kommunikationsstil des Coachee und damit dessen Beziehung zur Umwelt zu beschreiben.

Die von Perls und Goodmann eingeführten Kontaktfunktionen sind Konfluenz, Introjektion, Retroflexion, Projektion und Egotismus; Polster und Polster haben Deflexion ergänzt und Gremmler-Fuhr nutzt zusätzlich Reaktionsbildung/Reaktivität. Die Kontaktfunktionen beziehen sich ebenfalls auf die verschiedenen Phasen des Kontaktzyklus, Perls und Goodmann verorteten sie im ursprünglichen vierphasigen Zyklus und verstanden sie als Unterbrechungen im Erleben. Gremmler-Fuhr ordnet die Kontaktfunktionen den beiden Polen »Zugehörigkeit« und »Eigenständigkeit«94 zu: Konfluenz, Introjektion und Projektion sind Dimensionen von Zugehörigkeit, weil die Grenze von Organismus und Umwelt diffus ist. Retroflexion, Egotismus und Deflexion gehören zum Pol der Eigenständigkeit und Abgrenzung.

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