Kitabı oku: «Das Neue Testament - jüdisch erklärt», sayfa 5
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Die Evangelien und die Apostelgeschichte
Amy-Jill Levine und Marc Zvi Brettler
Definition
Der deutsche Begriff „Evangelium“ leitet sich über das gleichlautende lateinische Wort vom griechischen „euangelion“, „gute Botschaft“ oder „gute Nachricht“, her. Der englische Begriff „gospel“ für „Evangelium“ leitet sich aus dem altenglischen „gōdspel“, „gute Nachricht“ ab, was eine Übersetzung des griechischen eu („gut“) + angelion („Botschaft“, „Neuigkeit“, „Mitteilung“) darstellt. Sprecherinnen und Sprecher des Jiddischen können sich auch an „gospel“ im Licht des linguistisch verwandten gut [= auch das deutsche „gut“] + s[h]piel („Neuigkeit“, „Rede“ oder „Geschichte“ mit überzeugenden/argumentativen Elementen) erinnert fühlen. Mit der Entwicklung der englischen Sprache verwechselten die Menschen das ursprüngliche „good“/„gut“ mit „God“/ „Gott“, und so wurde dem Begriff „gospel“ die Bedeutung „Geschichte Gottes“ beigelegt. Der griechische Begriff euangelion war fester Bestandteil des politischen Wortschatzes der Römer: Eine „gute Nachricht“ war normalerweise etwas, was der Kaiser der Bevölkerung überbringen ließ, wie z.B. die Verkündigung der Pax Romana, des „römischen Friedens“, oder die Erklärung eines Steuerfreijahrs. Eine berühmte Inschrift aus dem Jahr 9 v.u.Z., die in Priene (nicht sehr weit von Ephesos in der Südtürkei entfernt) gefunden wurde, spricht davon, dass Augustus Caesar „Freudenbotschaften des Heils [gr. euangelia] ansagen lässt.“ Die berühmte Botschaft Gabriels an die Hirten in Lk 2,10: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird,“ zeigt, wie die Anhängerinnen und Anhänger Jesu diesen politischen Begriff umfunktionierten, um über ihr besonderes Evangelium, ihre „gute Botschaft“, zu sprechen.
Die Christusgläubigen erkannten auch die Verbindung des „Evangeliums“ zu der „guten Nachricht“, die von den Propheten Israels gemäß der Septuaginta verkündet worden war, wie z.B. „Jerusalem, du Freudenbotin (hebr. mevaseret, gr. euangelizomenos), erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott!“ (Jes 40,9b). Lk 4,18, ein Teil der Synagogenpredigt Jesu, zitiert Jes 61,1–2: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium (gr. euangelizō, hebr. levasēr) den Armen…
Diese speziellere Bedeutung des Begriffs „Evangelium“ als „frohe Botschaft, die Jesus bringt“, kommt z.B. in Mk 1,14 vor: „Nachdem aber Johannes überantwortet wurde, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes“. Die Erzählung des Evangeliums beschreibt im Anschluss zudem den Inhalt dieser frohen Botschaft, der von Jesu Heilungen und Lehren über seinen erlösenden Tod bis zu seiner Auferstehung reicht.
Aus diesen Bedeutungen leitet sich eine dritte ab: Der Begriff „Evangelium“ entwickelt sich zur „Erzählung über Jesus“. Mk 1,1 z.B. lautet „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“; hier kann sich der Begriff euangelion nicht lediglich auf die Botschaft über Jesus beziehen und auf die Botschaft, die er verkündet, sondern muss auch das von Markus verfasste Buch umfassen. Der erste sichere Gebrauch des Wortes euangelion als Bezeichnung eines schriftlichen Textes stammt von Justin dem Märtyrer, dem Kirchenvater aus dem 2. Jahrhundert, der in seiner 1. Apologie (66) von „den Aposteln, in den von ihnen verfassten Memoiren/ Erinnerungen, die Evangelien (gr. euangelia) genannt werden“ schrieb. Der Begriff „Evangelist“, der sich von der lateinischen Version des griechischen euangelion herleitet, entwickelte sich in ähnlicher Weise seit dem 12. Jahrhundert als Bezeichnung für jeden, der die „gute Botschaft“ von Jesus verkündet (seit dem 19. Jh. z.B. auch in der Spezialbedeutung „evangelikales Christentum“). „Evangelist“ bezieht sich insbesondere auf die Verfasser der vier kanonischen Evangelien.
Urheberschaft und Datierung
Obwohl es in der Antike mehr als vier Evangelien im Sinne von Erzählungen über Jesus gab, erkennen heute alle Kirchen nur vier davon als kanonisch an (s. „Der Kanon des Neuen Testaments“). Zwei davon sind unter den Namen von Matthäus und Johannes, deren Namen auch im Zwölferkreis belegt sind (z.B. Mt 10,2–3; Mk 3,17–18; Lk 6,14; Apg 1,13), überliefert. Markus wird gemäß altkirchlicher Tradition als Jünger des Petrus und Gefährte des Paulus verstanden (s. Apg 12,12–14.25; 15,36–40; Kol 4,10–11; Phlm 23–24; 2Tim 4,11; 1Petr 5,12–13). Der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte, Lukas, wird ebenfalls in Verbindung mit paulinischen Kreisen gebracht (s. Kol 4,10–11.14; 2Tim 4,11; Phlm 23–24). Dennoch werden bis in die Gegenwart Fragen der Verfasserschaft diskutiert: Schrieben die historischen Gestalten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes wirklich die Evangelien, die ihnen zugeschrieben werden? Sind die Evangelien eher Aufzeichnungen der Erinnerungen dieser vier Gestalten oder wurden sie später von ihren Schülern verfasst? (Joh 21,20–24 enthält Hinweise auf solch einen Prozess, indem die Passage die Frage nach dem Tod des Lieblingsjüngers aufwirft, auf dessen Autorität das Evangelium sich beruft.) Sind die Evangelien Pseudepigraphen, d.h. im Namen einer Lehrautorität verfasst, wie es für die Pastoralbriefe 1–2Tim und Tit wahrscheinlich ist, die im Namen des Paulus verfasst sind, oder bei den nichtkanonischen Schriften wie dem Philippusevangelium, dem Evangelium der Maria, dem Dritten Korintherbrief und den Thomasakten?
Keines der kanonischen Evangelien nennt ausdrücklich ein Abfassungsdatum. Paulus, der wahrscheinlich während der Christenverfolgung durch Nero im Jahr 64 u.Z. in Rom starb, zitiert die Evangelien nirgends, und die Fachwissenschaft ist sich größtenteils einig, dass die kanonischen Evangelien nach den Lebzeiten des Paulus entstanden sind. Obwohl mündliche Berichte über das Leben und die Lehren Jesu schon vor Jesu Tod existiert haben müssen und vermutlich einige dieser Berichte in schriftlicher Form überführt wurden (vielleicht eine Liste der „Zeichen“ Jesu, auf der das Johannesevangelium aufbaut; vielleicht eine Liste von Worten Jesu, die Matthäus und Lukas kannten), besitzen wir keine vollständige Erzählung des Lebens Jesu zur Zeit des Paulus; möglicherweise hat es einfach keine gegeben. So zeigen die Paulusbriefe zwar eine gewisse Kenntnis dessen, was Jesus gesagt hat, auch hatte Paulus Kontakt mit einigen von Jesu engsten Jüngern wie Petrus und Johannes (s. Gal 2), er scheint aber die Evangelien nicht gekannt zu haben.
Im Lauf der Zeit wuchs der Bedarf an Erzählungen über Jesus. Die ersten Jünger starben, verschiedene Gruppen diskutierten über Fragen der Christologie (Wie sollte man Jesus verstehen: als vollkommen menschlich, vollkommen göttlich, beides, oder keines von beiden? – S. „Grundfragen der Christologie“), der Eschatologie (Wird das Gottesreich früher oder eher später hereinbrechen?), rechtliche Fragen (Konnte man sich scheiden lassen oder nicht? Wie sollte man, wenn überhaupt, die Sabbatruhe einhalten?), die Beziehungen zu Juden und Nichtjuden vor Ort usw. Die Evangelien bildeten in diesem Zusammenhang eine Art Verfassung für die Christenheit des späten 1. und frühen 2. Jahrhunderts: Sie waren unterschiedlich genug, um verschiedene Schichten zu repräsentieren und für sie attraktiv zu sein, und zugleich ähnlich genug, um häretische Diskussionen zu verhindern.
Traditionell wird das Markusevangelium, das man zumeist für das älteste Evangelium hält, auf die Zeit kurz nach 70 u.Z. datiert, da Mk 13,1–2 nahelegt, dass der Evangelist um die Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Römer im Jahr 70 u.Z. wusste. Falls aber Jesus in der Tat diese Ungeheuerlichkeit vorhergesagt haben sollte (s.a. Mt 24,1–2; Lk 19,41–44; 21,20), wie auch Jeremia die Zerstörung des Ersten Tempels durch die Babylonier im Jahr 586 v.u.Z. vorhergesagt hatte, könnte das Markusevangelium auch vor 70 u.Z. entstanden sein.
Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten das Markusevangelium für eine Quelle des Matthäus- und des Lukasevangeliums; daher müssen auch diese Evangelien später geschrieben worden sein als 70 u.Z.; zumeist werden Daten in den 80er und 90er Jahren vorgeschlagen. Das Johannesevangelium wird normalerweise in die 90er Jahre datiert, da es eine Zeit widerspiegelt, in der die jüdischen Anhängerinnen und Anhänger Jesu sich zunehmend als von der sie umgebenden jüdischen Gemeinschaft getrennt sahen. Das älteste erhaltene Fragment eines Evangeliums, das wir besitzen, ist der P52 (P steht für „Papyrus“). Dieses Papyrusstückchen, das 8,9 × 5,8 cm misst und Teile von Joh 18,31–33.37–38 enthält, befindet sich in der Ausstellung der John Rylands University Library in Manchester, England. Die Datierungen des P52 aufgrund der Handschriftenanalyse (Paläographie) reichen von ca. 120 bis ins frühe 3. Jahrhundert u.Z. Aber selbst wenn wir das Datum dieser frühesten erhaltenen Evangelien-Handschrift kennten, würde uns dies keinen Aufschluss darüber geben, welcher der älteste Text innerhalb des Neuen Testaments ist. Das Datum der Abschrift eines Textes ist eben nicht sein Entstehungsdatum.
Die Evangelien, die man nicht im Kanon findet, sind sicher jünger als die kanonischen Schriften und wesentlich von ihnen abhängig. Die „apokryphen Evangelien“ umfassen Erzählungen über die Kindheit Jesu (z.B. das Kindheitsevangelium des Thomas), über das Leben Marias vor der Geburt Jesu (das Protevangelium des Jakobus) und über Wunder, die die Kreuzigung und Auferstehung begleiteten (das Petrusevangelium). Diese Schriften könnte man auch als christliche Midraschim verstehen: Ebenso wie rabbinische Quellen die Erzählungen des Tanach über die Kindheit Abrahams und Moses ausmalten, so erzählen diese apokryphen Evangelien die Geschichten Jesu und seiner Anhänger in phantasievoller Weise fort. Andere Schriften, die gewöhnlich unter dem schwer zu bestimmenden Begriff „gnostische Evangelien“ firmieren, wie die Evangelien, die Thomas, Philippus, Judas und Maria zugeschrieben werden, bestehen vorwiegend aus Sprüchen, oftmals esoterischer Natur, und weniger aus erzählenden Materialien. Diese Evangelien, die überwiegend in einem Versteck von Schriften in Nag Hammadi erhalten und in koptischer Sprache (einer späten Form des Ägyptischen) geschrieben sind, obwohl sie vermutlich ursprünglich auf Griechisch verfasst worden waren, könnten Spuren von Material enthalten, das auf Jesus selbst zurückgeht. Mit Ausnahme von Teilen des Thomasevangeliums sind sie jedoch eher jung und den Jüngern Jesu pseudonym zugeschrieben.
Das literarische Verhältnis der kanonischen Evangelien zueinander
Angesichts der Tatsache, dass die vier Evangelien erzählerische, thematische und in einigen Fällen auch sprachliche Ähnlichkeiten aufweisen, ist es wahrscheinlich, dass sie voneinander abhängig sind. Das genaue Verhältnis der vier Evangelien untereinander wird von der Fachwelt indes kontrovers diskutiert. Die ersten drei Evangelien, die die gleiche Geschichte in ungefähr der gleichen Reihenfolge erzählen, sind als die „synoptischen“ (gr. für „zusammen-schauen“) Evangelien bekannt. Versuche, das literarische Verhältnis dieser synoptischen Evangelien untereinander zu erklären, beschäftigen sich mit dem in der Fachsprache so genannten „synoptischen Problem“: Wer benutzte welchen Text als Vorlage?
Das Markusevangelium wird gewöhnlich als das zuerst entstandene Evangelium betrachtet und gilt als Quelle für Matthäus, Lukas und vielleicht auch Johannes. Als kürzestes der vier Evangelien enthält das Markusevangelium keine Geburtsgeschichte und ursprünglich auch keine Auferstehungsberichte; es konzentriert sich auf Jesus als den leidenden Gottesknecht, der als Lösegeld für die Menschheit stirbt (Mk 10,45; vgl. Mt 20,28). Einige frühe Kirchenväter sowie einige moderne Bibelwissenschaftler sehen in Markus einen Erben der paulinischen Kritik an der Befolgung der Tora (z.B. Mk 7,19).
Matthäus, der vermutlich Markus als Quelle benutzt hat, setzt einen anderen Schwerpunkt: Das Matthäusevangelium betont die Rolle Jesu als Lehrer und seine Kontroversen mit den Pharisäern über die angemessene Interpretation der Tora. Zu den Inhalten des Markusevangeliums fügt Matthäus eine Geburtstagsgeschichte hinzu. Darin enthalten ist die Erzählung von Josefs Traum, ein Zitat aus der griechischen Übersetzung des Jesajabuches, mit dem er die jungfräuliche Empfängnis Jesu erläutert (Mt 1,18–25, vgl. Jes 7,14), dazu den Besuch der Weisen sowie den Kindermord (Mt 2). Markus‘ Geschichte vom leeren Grab ergänzt er durch die Erscheinung Jesu gegenüber einigen Jüngerinnen (Mt 28,1–11) sowie durch den Missionsbefehl (Mt 28,16–20) an die verbleibenden elf Jünger. Man kann Matthäus auch so verstehen, dass er den angeblichen Antinomismus des Markus korrigiert, indem er die dauernde Gültigkeit der Tora erklärt (Mt 5,17–19) und die Sendung des Paulus negiert (z.B. macht Matthäus Petrus und die anderen Jünger zu Aposteln für die Völker [Mt 28,19], während Paulus diese Rolle für sich beansprucht [Gal 1,16; 2,2]).
Lukas wird ebenfalls generell für abhängig von Markus gehalten. Das Lukasevangelium fügt dem Markusevangelium eine Geburtsgeschichte und Auferstehungsberichte hinzu, die sich von denen im Matthäusevangelium recht deutlich unterscheiden. Das dritte Evangelium enthält Details zur Empfängnis und Geburt Johannes‘ des Täufers, die Ankündigung des Engels Gabriel an Maria, dass sie die Mutter des Messias werden würde (daraus erwuchs das „Ave Maria“ bzw. „Gegrüßet seist du, Maria“ von Lk 1,28), die Volkszählung in der Provinz, die Geburt Jesu in einer Krippe und den Besuch der Hirten. Bei den Auferstehungserzählungen ergänzt Lukas die wohlbekannte Geschichte von der Erscheinung Jesu vor den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13–33) sowie die Erzählung von Jesu Himmelfahrt (Lk 24,50–51). Die bekannten/berühmten Gleichnisse vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30–38) und vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) kommen ebenfalls nur bei Lukas vor.
Das Matthäus- und das Lukasevangelium enthalten auch gemeinsames Material, das im Markusevangelium nicht zu finden ist, wie die Seligpreisungen (Mt 5,3–12 // Lk 6,20–23) und das Vaterunser (Mt 6,9–13 // Lk 11,1–4). Gelegentlich erzählen Matthäus und Lukas die gleichen Geschichten wie Markus, aber mit Details, die Markus nicht hat, wie z.B. die längere Version der Geschichte von der Versuchung Jesu durch Satan (vgl. Mt 4,1–11 und Lk 4,1–13 mit dem begrenzteren Mk 1,12–13). Um die Herkunft des Materials zu erklären, das Matthäus und Lukas gegen Markus gemeinsam haben, gehen viele Fachleute davon aus, dass Lukas und Matthäus zu einer schriftlichen Quelle Zugang hatten, die hauptsächlich aus Worten Jesu bestand. Diese (hypothetische) Quelle ist als Q bekannt (ein vom Wort „Quelle“ abgeleitetes Kürzel). Matthäus und Lukas hatten vermutlich darüber hinaus ihre jeweils eigenen Quellen, die mit „SMt“ für das matthäische und „SLk“ für das lukanische Sondergut bezeichnet werden. Die jeweils unterschiedlichen Geburts- und Auferstehungsgeschichten könnten aus diesen Quellen stammen. Diese Standardlösung des synoptischen Problems wird gewöhnlich als die „Zwei-Quellen-Theorie“ bezeichnet. Als Diagramm sieht sie wie folgt aus:

Diese Theorie wurde unabhängig voneinander durch Christian Gottlob Wilke (1838) und Christian Hermann Weise (1838) entwickelt. Die Diskussion um die literarische Abhängigkeit der Synoptiker geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Sie ist verbunden mit dem Namen Johann Jakob Griesbach (1789). Schon 1782 hat Johann Benjamin Koppe für die Priorität des Markus argumentiert, wie auch Gottlob Christian Storr 1794. 1835 hat der Philologe Karl Lachmann dieser Sicht zum Durchbruch verholfen. Breit akzeptiert wurde die Zwei-Quellen-Theorie dann nach Arbeiten von Heinrich Julius Holtzmann (1832-1919) und Bernhard Weiß (1827-1918).
Andere Gelehrte bezweifeln die Existenz von Q; manche gehen davon aus, dass Lukas den Text des Matthäus benutzt habe und Markus als spätestes Evangelium die beiden gekürzt und zusammengefasst habe. Diese Theorie, die nach Johann Jakob Griesbach (1745–1812) als Griesbach-Hypothese bekannt wurde, sieht im Schema folgendermaßen aus:

Eine neuere Schulmeinung (1955), die als Farrer- (oder Farrer-Goulder-) Hypothese bekannt ist, vertritt die Markuspriorität, den Gebrauch des Markus- evangeliums durch Matthäus und dann die Benutzung sowohl des Matthäus- als auch des Markusevangeliums durch Lukas.

Andere wiederum sind der Ansicht, Matthäus habe sowohl Markus als auch Lukas benutzt. Obwohl alle diese Rekonstruktionen auf der Basis guter Argumente behaupten, dass Markus, Matthäus und Lukas irgendwie untereinander literarisch abhängig sind, muss jede weitere Behauptung der Priorität eines Textes gegenüber den anderen spekulativ bleiben.
Es ist ebenfalls schwierig, eine Unterscheidung zu treffen zwischen den Materialien, die die Evangelisten aus früheren Quellen übernommen haben, und denen, die sie selbst hinzugefügt haben. Die „Redaktionskritik bzw. Redaktionsgeschichte“ konzentriert sich auf die Rekonstruktion der Tätigkeit der Evangelisten als Herausgeber oder Redaktoren. Ließ Matthäus z.B. Markus‘ Bemerkung, dass Jesus alle Speisen für rein erklärt habe (Mk 7,19), bewusst aus oder fügte Markus sie zu Matthäus‘ Geschichte (Mt 15,1–20) hinzu? Wenn Matthäus Jesus mit den Worten zitiert: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen“ (Mt 5,17), gibt der Evangelist dann ein echtes Wort Jesu wieder oder extrapoliert er Details aus überlieferter Tradition? Stammt die Betonung der „Gerechtigkeit“ (gr. dikaiosynē) bei Matthäus (3,15; 5,6.10.20; 6,1.33; 21,32) aus Material, das er vorfand, oder spiegelt sie die eigene Theologie dieses Evangelisten wider? Erfand Lukas die Geburtsgeschichten von Johannes und Jesus, um die Überlegenheit Jesu gegenüber Johannes und damit auch die Überlegenheit der Jesusbewegung gegenüber den Anhängern des Täufers aufzuzeigen, oder übernahm er diese Traditionen? Die Evangelisten sind kreative Autoren und nicht nur Sammler überlieferten Materials; was sie niederschreiben, kann durchaus, wenn schon keine wörtliche (was ohnehin unmöglich ist, da Jesus Aramäisch sprach und die Evangelien auf Griechisch verfasst sind), so doch eine sinngemäße Wiedergabe dessen sein, was Jesus sagte.
Johannes bietet viele Passagen, die in den synoptischen Evangelien fehlen, wie die Erzählung von der Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2), die detaillierten Begegnungen mit dem pharisäischen Gelehrten Nikodemus (Kap. 3) und der Samaritanerin (Kap. 4), die Auferweckung des Lazarus (Kap. 11) sowie eigenständige Schlüsselbegriffe wie „Licht“, Wahrheit“ und „Herrlichkeit“. Während die Synoptiker Jesus vorwiegend als Verkündiger der Ankunft des Reiches Gottes darstellen, der in Gleichnissen spricht, enthält das Johannesevangelium keine solchen Gleichnisse, sondern nur einen kurzen gleichnisartigen Vergleich (Joh 12,24), zwei Erwähnungen des Reiches Gottes (Joh 3,3.5) sowie eine knappe Bezugnahme auf „mein Reich“ (Joh 18,36). Jesus verkündigt vorwiegend sich selbst mit den „Ich bin“-Worten (das Brot des Lebens [Joh 6,35], der wahre Weinstock [Joh 15,1], der Weg, die Wahrheit und das Leben [Joh 14,6]), in denen sich Gottes Selbstaussage gegenüber Mose im brennenden Busch (Ex 3,14) widerspiegelt. Dennoch enthält das Johannesevangelium auch größere Übereinstimmungen mit den Synoptikern, wie die Berichte über Johannes den Täufer, die Speisung der 5.000 (Mt 14,21; Mk 6,44; Lk 9,14; Joh 6,10) und ein wichtiges Letztes Mahl. Auch in der Passionsgeschichte gibt es sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede, wie verschiedene Datumsangaben (s. „Zeitrechnung, Kalender und Feste“) und verschiedene Ereignisse während des Letzten Mahls (bei den Synoptikern setzt Jesus die Eucharistie ein, während er bei Johannes den Jüngern die Füße wäscht). Es bleibt daher eine vieldiskutierte Frage, ob bzw. in wie weit Johannes unabhängig von allen oder einzelnen Synoptikern ist.
Unser Verständnis der literarischen Beziehungen der Evangelien untereinander beeinflusst auch unser Verständnis der Historizität der Geschichten und der konkreten Unterscheidung von Tradition (was Jesus tat und sagte) von der Redaktion (was ein bestimmter Evangelist Jesus zuschreibt). Die frühen Vertreter der Markuspriorität (d.h. der Annahme, dass das Markusevangelium das erste schriftliche Evangelium gewesen sei) und der Quelle Q dachten, dass diese Quellen eine größere historische Plausibilität besäßen, weil sie älter waren als das Matthäus- und das Lukasevangelium. Markus und Q (sofern Q als „Buch“ existierte) haben ihr eigenes Programm, und ein frühes Entstehungsdatum ist keine Garantie für Genauigkeit. Späteres Material kann sogar mehr Tatsachen beinhalten, besonders wenn es von vielen verschiedenen Quellen oder Traditionen Gebrauch macht.
Es ist auch unklar, wie die Evangelisten ihre Werke selbst im Verhältnis zu den ihnen vorliegenden Quellen verstanden. Lukas erkennt an, dass „es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben,“ (Lk 1,1) und dass er „alles von Anfang an … in guter Ordnung aufzuschreiben“ gedenke, „nachdem [er] alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe“ (1,3). Wollte Lukas tatsächlich andere Berichte wie das Matthäus- und das Markusevangelium ersetzen? Und generell gesprochen: Wurden Evangelien verfasst, um frühere Quellen zu ersetzen, sie zu korrigieren oder sie zu ergänzen?
Darüber hinaus ist es unbekannt, an welche Gemeinden sich die einzelnen Evangelien richteten, ob sie tatsächlich besondere Gruppen ansprechen wollten oder nicht doch für alle Anhängerinnen und Anhänger Jesu gedacht waren. Zumeist geht man davon aus, dass Markus für eine vorwiegend nichtjüdische Gemeinde in Rom geschrieben habe, obwohl einige Fachleute das Markusevangelium als Ergebnis der Situation in Obergaliläa sehen, wo Juden und Nichtjuden gemeinsam eine Gemeinde bildeten. Lukas sieht man gemeinhin als Nichtjuden, der für ein vorwiegend nichtjüdisches Publikum schreibt, aber sogar hier betrachten einige Gelehrte Lukas als Juden oder Gottesfürchtigen, also einen nichtjüdischen Sympathisanten der jüdischen Gemeinde. Von Matthäus, dem gebildeten Zöllner (s. Mt 10,3), wird allgemein angenommen, dass er für ein überwiegend jüdisches Publikum schreibt, weil das Evangelium die (Relevanz der) Tora betont, weil Jesus intensiv mit den Pharisäern diskutiert und weil das Evangelium eine besondere Affinität zur späteren rabbinischen Literatur zeigt. Diese verschiedenen Interpretationen der Entstehungsumstände der Evangelien basieren wesentlich auf einem Zirkelschluss: Auf der Basis der Erzählung arbeiten wir das Programm des Autors und die Identität seiner Leserschaft heraus. Dann interpretieren wir den Text auf der Basis genau dessen, was wir aus internen Beobachtungen erschlossen haben.
Das literarische Verhältnis zwischen den Evangelien, ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld und die Unterscheidung zwischen Inhalten, die die Evangelisten aus Quellen übernommen haben (d.h. aus der Tradition), und solchen, die sie aus ihrer eigenen Vorstellung hinzugefügt haben (d.h. Redaktion), sind grundlegende Themen der neutestamentlichen Wissenschaft. Diese Probleme, die nicht mit Sicherheit gelöst werden können, sind auch bei der Interpretation der Evangelien in ihrem Verhältnis zu Juden und dem Judentum wichtig: Wie wir die Kompositionsgeschichte eines jeden Evangeliums verstehen, wird notwendigerweise auch beeinflussen, wie wir seine Inhalte auffassen – einschließlich des Verhältnisses zu Juden, die Jesus nicht als Messias betrachteten.
Ebenso ist es schwierig, das Verhältnis der Evangelisten und ihrer frühen Leserschaft zum nicht-messianischen Judentum zu eruieren. Zitate aus der Septuaginta sind weder ein Hinweis auf einen jüdischen Verfasser noch auf ein jüdisches Publikum, da dieser Text auch bei den nichtjüdischen christlichen Gemeinden für heilig gehalten wurde, wie die Paulusbriefe zeigen. Das Matthäus- und das Johannesevangelium werden allgemein als Kompositionen für eine Minderheit gesehen, die von der größeren jüdischen Gesellschaft abgelehnt wurde. Dieser hypothetische Kontext wird dann herangezogen, um zu erklären, warum Mt 27,25 der jüdischen Gemeinde eine kollektive Schuld für Jesu Tod zuschreibt, weil „alles Volk“ gerufen habe: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ In Joh 8,44 sagt Jesus zu „den“ Juden (gr. Ioudaioi): „Ihr habt den Teufel zum Vater“. Literarische Polemik spiegelt jedoch nicht unbedingt tatsächliche gesellschaftliche Verhältnisse wider. Frühere Behauptungen, dass die Evangelien eine Reaktion auf eine angebliche Versammlung von Rabbinen im Jahr 90 u.Z. in Jamnia (Javne) seien, die ihrerseits beschlossen hatten, dass die Anhängerinnen und Anhänger Jesu Häretiker seien, die man aus den Synagogen ausschließen müsse, werden durch jüdische Quellen widerlegt (s. „Birkat ha-Minim“).