Kitabı oku: «Deutsche Geschichten», sayfa 3
WILHELM II. (1859 – 1941)
Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen wird am 27. Januar 1859 als ältester Sohn des Kronprinzen Friedrich III. (dem 99-Tage-Kaiser) und seiner Frau Viktoria geb. Prinzessin von Großbritannien und Irland in Berlin geboren.
Nach dem Tod seines Vaters wird er 1888 Kaiser des Deutschen Reiches. Unter seiner als Wilhelminisches Zeitalter bezeichneten Regentschaft erfährt Deutschland eine Blütezeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, wird aber auch zunehmend vom Militär geprägt. Es entwickelt sich von einem Agrarstaat zu einem modernen Industriestaat mit einem breiten Wohlstand. 1911 wird die »Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften« gegründet – seit 1946 Max-Planck-Gesellschaft. Die Berliner Secession steht für die Moderne Kunstszene in Berlin mit Ausstellungen von Künstlern wie Paul Klee, Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Pablo Picasso. Deutschland wird neben Großbritannien zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt.
Am 28. Juli 1914 löst der Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien den Ersten Weltkrieg aus. Am 9. November 1918 erklärt Reichskanzler Max von Baden den Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen, woraufhin Wilhelm II. als Kaiser abdankt und ins Exil nach Doorn in die Niederlande geht. 1921 stirbt seine erste Frau Auguste Viktoria geb. Prinzessin zu Schleswig-Holstein, 1922 heiratet er die verwitwete Prinzessin Hermine von Schönaich-Carolath geb. Prinzessin Reuß. Wilhelm II. stirbt am 4. Juni 1941 im Exil in Doorn.
WILHELM II.
EREIGNISSE UND GESTALTEN AUS DEN JAHREN 1878 – 1918
DIE SCHULDFRAGE
Die Geschichte kennt kein Beispiel, daß man mit dem Weltkriege 1914/18 vergleichen könnte. Sie kennt aber auch kein Beispiel für die Verwirrung, die über die Ursachen entstanden ist, die zum Weltkriege führten. Das ist um so erstaunlicher, weil der große Krieg eine hochkultivierte, aufgeklärte, politisch geschulte Menschheit vorfand, und weil die Ursachen zum Weltkriege klar und offen liegen. Auch die scheinbare Kompliziertheit in der Julikrise 1914 kann darüber nicht hinwegtäuschen. Der damalige Telegrammwechsel zwischen den Kabinetten der Großmächte und den Herrschern, die Tätigkeit der Staatsmänner und hervorragender Privatmänner bei mündlichen Verhandlungen mit wichtigen Persönlichkeiten der Entente waren gewiß von größter Wichtigkeit durch die entscheidende Bedeutung, die nahezu jedem Worte zukam, das aus verantwortlichem Munde gesprochen, und jeder Zeile, die geschrieben oder gedrahtet wurde. Aber die große Linie der Kriegsursachen wird dadurch nicht geändert, sie liegt fest und man darf sich nicht scheuen, sie immer wieder mit Ruhe und Sachlichkeit von dem verwirrenden Beiwert der Vorgänge, die den Kriegsausbruch begleiteten, freizulegen.
Die allgemeine Lage des Deutschen Reiches hatte sich in der Vorkriegszeit immer glänzender und infolgedessen außenpolitisch immer schwieriger gestaltet. Ein niemals dagewesener Aufschwung in Industrie, Handel und Weltverkehr hatte Deutschland wohlhabend gemacht. Die Kurve unserer Entwicklung blieb nach oben gerichtet. Die damit verbundene friedliche Eroberung eines namenhaften Teiles des Weltmarktes, auf den deutscher Fleiß und unserer Leistungen gerechten Anspruch hatten, konnte älteren Weltvölkern, vor allem England, nicht angenehm sein. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, dem nichts Verwunderliches anhaftet. Es macht niemandem Freude, wenn sich plötzlich ein Konkurrent etabliert und man zusehen muß, wie die alte Kundschaft zu ihm abwandert. Ich kann also aus der Verstimmung Englands über Deutschlands Fortschritte auf dem Weltmarkte keinen Vorwurf gegen das Britenreich konstruieren.
Wenn es England verstanden hätte, unter Anwendung besserer Handelsmethoden die deutsche Konkurrenz abzuschlagen oder niederzuhalten, so wäre das sein gutes Recht gewesen, gegen das Einwendungen nicht hätten erhoben werden können. Der Tüchtigere gewann eben das Spiel. Es kann im Leben der Völker nicht als verwerflich gelten, wenn im friedlichen Wettbewerb von beiden Seiten mit gleichartigen, also friedlichen Mitteln, aber mit aller Energie, mit Kühnheit und Organisationskunst zum Besten des eigenen Volkes gearbeitet wird. Etwas ganz anderes ist es dagegen, wenn der eine Teil durch den Fleiß und die Leistung, wie durch überlegene Geschäftsmethoden des anderen seinen Aktivposten in der Weltbilanz bedroht sieht und nun, weil er nicht die Tüchtigkeit des jungen Konkurrenten zu entfalten vermag, mit Gewalt, also nicht mit friedlichen, sondern mit kriegerischen Mitteln gegen den friedlichen Wettbewerb vorgeht, um ihn aufzuhalten oder zu vernichten.
Unsere Lage wurde schwieriger, weil wir genötigt waren, zum Schutze unseres Wohlstandes, der nicht zuletzt auf den 19 Milliarden jährlicher deutscher Ausfuhr und Einfuhr basierte, eine Flotte zu bauen. Die Unterstellung, wir hätten die Flotte gebaut, um die weit überlegene englische anzugreifen und zu vernichten, ist absurd, denn wir hätten bei dem tatsächlichen Kräfteverhältnis zur See nicht siegen können. Wir kamen ja auf dem Weltmarkte wunschgemäß vorwärts; wir hatten über nichts zu klagen. Weshalb hätten wir also den Erfolg unserer friedlichen Arbeit aufs Spiel setzen sollen?
In Frankreich war seit 1870/71 der Revanchegedanke sorgsam genährt worden. In der belletristischen wie in der politischen und militärischen Literatur, im Offizierkorps, in den Schulen, in Vereinigungen, in den politischen Kreisen wurde er in allen möglichen Variationen gepflegt. Ich kann diese Stimmung verstehen. Vom gefundenen nationalen Standpunkt aus gesehen ist es schließlich ehrenvoller, wenn ein Volk eine erlittene Schlappe wieder gut machen will, als wenn es diese einsteckt. Elsaß-Lothringen aber ist seit vielen Jahrhunderten deutsches Land. Von Frankreich war es geraubt, wir hatten es 1871 als uns gehörig zurückgenommen. Deshalb war ein Revanchekrieg, der die Eroberung urdeutschen Gebiets zum Ziele hatte, unrechtmäßig und unmoralisch. Ein Nachgeben unsererseits in diesem Punkte hätte unserem nationalen und rechtlichen Empfinden ins Gesicht geschlagen. Da Deutschland Elsaß-Lothringen niemals freiwillig an Frankreich zurückgeben konnte, war also der französische Revanchetraum nur durch einen siegreichen Krieg zu verwirklichen, der die französischen Grenzpfähle bis an das linke Rheinufer vorschieben sollte. Deutschland hingegen hatte keinen Anlaß, die Errungenschaften von 1870/71 aufs Spiel zu setzen, es mußte also darauf hinwirken, den Frieden mit Frankreich zu erhalten, um so mehr als die Konstellation der Mächte gegen den deutsch-österreichischen Zweibund immer deutlicher hervortrat.
In Ru ßland lagen die Dinge so, daß das gewaltige Zarenreich nach einem Zugang zum südlichen Meer drängte. Dieses Streben ist natürlich und nicht zu verurteilen. Ferner bestand der russischösterreichische Gegensatz, hauptsächlich um Serbien, der insofern Deutschland mitbetraf, als Deutschland und Österreich-Ungarn im Bunde waren. Außerdem befand sich das zarische Rußland in einer andauernden inneren Gärung, und jede zarische Regierung fand es nützlich, eine Möglichkeit für äußere Konflikte bereit zu halten, um durch äußere Schwierigkeiten jederzeit von den inneren ablenken zu können, ein Ventil für den inneren Konfliktstoff zu besitzen. Es kam hinzu, daß der enorme Anleihebedarf Rußlands fast ausschließlich in Frankreich gedeckt wurde. Über 20 Milliarden französischer Goldfranken, über deren Verwendung Frankreich teilweise verfügte, wanderten nach Rußland. Es handelte sich dabei ausnahmslos um strategische und kriegvorbereitende Maßnahmen. An der goldenen Kette der französischen Milliarden wurde das Zarenreich nicht nur finanziell an Frankreich gekettet; es wurde dem französischen Revanchegedanken dienstbar.
So ergab es sich, daß England, Frankreich und Rußland, allerdings aus verschiedenen Gründen, ein gemeinsames Ziel hatten, nämlich: Deutschland niederzuzwingen. England aus handelspolitischen, Frankreich aus revanchepolitischen, Rußland als Trabant Frankreichs sowie aus innerpolitischen Gründen und um an das südliche Meer zu gelangen. So mußten sich diese drei Großstaaten finden. Den Zusammenschluß dieser Bestrebungen zu gemeinsamem planmäßigen Handeln nennen wir Einkreisungspolitik.
Hierzu kommt noch das erst kürzlich bekannt gewordene, bereits im Kapitel »Hohenlohe« ausführlich erörterte Gentleman’s agreement, von dem ich während meiner Regierungszeit überhaupt keine Kenntnis gehabt habe. Als ich von ihm erfuhr, habe ich mich sofort bei Herrn v. Bethmann danach erkundigt. Er schrieb mir einen etwas gewundenen Brief: Irgend etwas sei wohl in den Akten des Auswärtigen Amtes darüber vorhanden; der damalige deutsche Botschafter in Washington, v. Holleben, hätte darüber vertraulich wohl etwas berichtet, aber er hätte die Quelle nicht angegeben; deshalb wäre vom Auswärtigen Amte der Sache keine Bedeutung beigemessen und sie nicht an mich weitergegeben worden. Jenes Agreement hat also tatsächlich auf die Politik Deutschlands keinen Einfluß gehabt. Aber es beweist nachträglich, daß die angelsächsische Welt sich schon im Jahre 1897 gegen uns zusammengeschlossen hat, und deckt dadurch manche Schwierigkeiten der deutschen Politik auf. Es erklärt auch die Haltung Amerikas während des Krieges.
Die Entente cordiale hingegen war uns mit allen ihren Gründen und Zielen bekannt und hat den Kurs unserer Politik bestimmend beeinflußt.
Es ergab sich für Deutschland aus der Gruppierung England, Frankreich und Rußland, also dreier sehr starker Mächte, nur eine politische Konsequenz: Die von außen drohende Entscheidung über die Zukunft Deutschlands mit Waffengewalt mußte vermieden werden, bis wir wirtschaftlich, militärisch, zur See und nationalpolitisch uns eine derartige reale Weltstellung erworben hatten, daß es unseren Gegnern ratsam erscheinen mußte, von dem Risiko machtmäßiger Entscheidung abzusehen und uns an der restlichen Aufteilung und der Bewirtschaftung der Welt den unserem Können entsprechenden Anteil zu lassen. Wir wollten und durften unseren mühsam erarbeiteten Wohlstand nicht aufs Spiel setzen. So entstand der Gegensatz: Die Zi ele der Entente konnten nur durch einen Krieg, die Ziele Deutschlands nur ohne Krieg erreicht werden. An diesem Grundgedanken muß festgehalten werden, er ist entscheidender als alles Beiwerk. Deshalb gehe ich hier nicht auf Einzelheiten ein, nicht auf belgische oder andere Berichte, nicht auf die Telegramme kurz vor Kriegsausbruch. Die gründliche Bearbeitung dieser Einzelheiten ist Sache der Forschung.
Unsere Lage ist von uns richtig erkannt worden. Wir haben entsprechend gehandelt.
Wir haben uns, um wieder mit England zu beginnen, jede Mühe einer Annäherung gegeben, wir sind auf die Forderung der Flottenbaueinschränkung eingegangen, wie ich das bei dem Bericht über Haldane’s Besuch in Berlin schon ausgeführt habe. Ich habe meine verwandtschaftlichen Beziehungen zu verwerten versucht. Es war vergeblich. Die Betätigung König Eduards VII. findet eine einfache Erklärung darin, daß er eben Engländer war und die von seiner Regierung ausgegebenen Pläne zu verwirklichen trachtete. Der politische Ehrgeiz des erst in vorgerücktem Alter zur Regierung gelangten Königs mag hinzugekommen sein. Wir haben jedenfalls alles nur Mögliche getan, um England entgegenzukommen. Es war vergebens, denn die deutschen Ausfuhrziffern wuchsen. Wir konnten natürlich nicht unseren Welthandel einschränken, um England zufriedenzustellen. Das wäre denn doch zuviel verlangt gewesen.
Es wird bei Betrachtung unserer Politik England gegenüber vielfach getadelt, daß wir seiner Zeit das Bündnisangebot, das der englische Kolonialminister Chamberlain uns brachte, abgelehnt hätten. Diese Angelegenheit lag indessen bei näherem Zusehen ganz anders, als sie zunächst frisiert wurde. Erstens brachte Chamberlain einen Brief des englischen Premiers Lord Salisbury an Bülow mit, in dem der Premierminister erklärte, Chamberlain handele nur für sich, das englische Kabinett stehe nicht hinter ihm. Nun könnte man darin eine diplomatisch zulässige Form sehen, die dem englischen Kabinett, das ja vom englischen Parlament abhing, freie Hand ließ. Es hat sich aber später herausgestellt, das sei vorweg bemerkt, daß die liberale Gruppe in England damals einem deutsch-englischen Bündnisse ablehnend gegenüberstand. Weil es sich aber um eine diplomatische Form handeln konnte, nämlich, daß man Chamberlain vorschickte und dem englischen Kabinett, wie es in London so gern gemacht wird, vollkommene Freiheit des Handelns vorbehalten wollte, hat Bülow mit meinem Einverständnis doch ausführlich mit Chamberlain verhandelt. Dabei stellte sich einwandfrei heraus, daß die englisch-deutsche Vereinigung gegen Rußland gedacht war. Es wurde von Chamberlain direkt von einem dann zu führenden Kriege Englands und Deutschlands gegen Rußland gesprochen. Graf Bülow wies in vollem Einvernehmen mit mir die Störung des europäischen Friedens höflich, aber bestimmt zurück. Damit handelte er auch im Sinne des großen Kanzlers. Denn Fürst Bismarck hat das Wort geprägt – ich habe es selbst im Bismarckschen Familienkreise wiederholt gehört: Deutschland dürfe niemals der Festlanddegen Englands werden. Wir haben also damals weiter nichts getan, als in konsequenter Linie unsere Politik durchgeführt, d. h. jedes Engagement abgelehnt, das zu einem Kriege führen konnte, der nicht unmittelbar der Verteidigung des Heimatbodens diente. Die Ablehnung des Chamberlainschen Angebots ist ein Beweis der deutschen Friedensliebe.
Frankreich gegenüber haben wir versucht, in ein leidliches Verhältnis zu gelangen. Das war schwer, denn wir galten ihm als der Erbfeind und die Forderungen der Revancheidee konnten von uns nicht erfüllt werden. Wir haben die Marokkodifferenz friedlich liquidiert; an Krieg um Marokko dachte kein maßgebender Mann in Deutschland. Wir haben es damals des lieben Friedens wegen hingenommen, daß Frankreich, gestärkt durch den mit England geschlossenen geheimen Austauschvertrag Ägypten-Marokko, über die sehr wesentlichen legitimen Interessen Deutschlands in Marokko hinwegging. Die Konferenz von Algeciras zeigte schon die Konturen des großen Krieges. Es ist gewiß nicht angenehm, politische Rückzüge, wie den in der Marokkoangelegenheit, antreten zu müssen; aber die deutsche Politik hat alles dem großen Gesichtspunkte untergeordnet, den Weltfrieden zu erhalten.
Wir haben es mit Höflichkeiten versucht, die uns zum Teil sogar übel genommen wurden. Ich erinnere nur an die Reise meiner Mutter, der Kaiserin Friedrich, nach Paris. Wir hatten eine leidliche Aufnahme erwartet, weil sie englische Prinzessin war und als Künstlerin zur französischen Kunst kam. Ich habe die Kaiserin Eugenie zweimal besucht, einmal von Aldershot aus in ihrem Schlosse Farnborough, das andere Mal auf ihrer Yacht in den norwegischen Gewässern bei Bergen. Diese Courtoisie erschien mir selbstverständlich, weil ich mich in ihrer Nähe befand. Als der französische General Bonnal mit einigen Offizieren in Berlin war, speisten die Herren beim 2. Garde-Regiment z. F. Ich nahm teil und brachte einen Trinkspruch auf die französische Armee aus. Das mag ungewöhnlich gewesen sein, aber es war von den besten Absichten getragen. Ich habe französische Künstlerinnen und Künstler herangezogen. Gewiß, das alles waren in der großen Politik nur kleine Hilfen, aber sie beweisen doch unseren guten Willen.
Mit Ru ßland habe ich mir die außerordentlichste Mühe gegeben. Meine inzwischen veröffentlichten Briefe sind natürlich nie ohne Wissen, sondern immer im Einvernehmen mit den Reichkanzlern abgegangen, vielfach auf deren Wunsch. Unter Alexander III. wäre Rußland wohl nie in einen Krieg gegen Deutschland eingetreten, denn er war zuverlässig. Kaiser Nikolaus war schwach und schwankend. Der Letzte, der bei ihm war, hatte recht, und der konnte ich natürlich nicht immer sein. Ich habe auch diesem Zaren gegenüber alles versucht, um die traditionelle Freundschaft zwischen Deutschland und Rußland wieder herzustellen. Dazu bewog mich außer der politischen Einsicht das Versprechen, das ich meinem Großvater auf dem Totenbette gegeben hatte. Ich habe dem Zaren Nikolaus wiederholt eindringlichst zu liberalen Reformen im Inneren, zur Einberufung der sogenannten großen Duma geraten, die schon unter Iwan dem Schrecklichen existiert und funktioniert hat. Ich hatte damit nicht die Absicht, mich in innere russische Angelegenheiten zu mischen, sondern ich wollte im Interesse Deutschlands die Gefahren der inneren Gärung beseitigen, die oft schon aus dem erwähnten Gründen der Ablenkung zu äußeren Konflikten geführt hatten. Wenigstens diese eine kriegsgefährliche innere russische Situation wollte ich beseitigen helfen. Ich konnte das um so eher versuchen, als dem Zaren und Rußland selbst damit ebenfalls gedient gewesen wäre. Der Zar hat nicht gehört, sondern er hat eine neue Duma geschaffen, die den Zweck gar nicht erfüllen konnte. Bei der alten Duma hätte er persönlich mit allen Vertretern seines weiten Reiches verhandeln und sprechen, ein Vertrauensverhältnis herstellen können.
Ich habe, als der Zar sich zum Kriege gegen Japan entschloß, ihm gesagt, daß ich ihm den Rücken freihalten und keinerlei Unbequemlichkeiten bereiten würde. Das hat Deutschland gehalten.
Als der Verlauf des Krieges nicht den Erwartungen des Zaren entsprach, die russischen und die japanischen Heere sich schließlich ohne große Kampfhandlungen wochenlang gegenüber lagen, traf der jugendliche Bruder des Zaren, Großfürst Michael, zum Besuch in Berlin ein. Wir wurden nicht recht daraus klug, was er eigentlich wollte. Fürst Bülow, der damals Kanzler war, bat mich, den Großfürsten einmal zu fragen, wie es eigentlich mit Rußland stände; er, der Fürst, hätte schlechte Nachrichten, er glaube, es sei für Rußland höchste Zeit, Schluß zu machen. Ich übernahm den Auftrag. Der Großfürst war sichtlich erleichtert, als ich freimütig mit ihm sprach; er bestätigte, daß es für Rußland übel aussähe. Ich sagte ihm, mir schiene es, als ob der Zar bald Frieden schließen sollte, denn die mir vom Großfürsten geschilderte Unzuverlässigkeit der Truppen und des Offizierskorps schienen mir ebenso bedenklich wie die erneute Gärung im Innern. Großfürst Michael war dankbar dafür, daß ich ihm Gelegenheit gab, sich zu äußern. Er sagte, der Zar sei schwankend, wie immer, aber müßte Frieden schließen und würde es auch tun, wenn ich dazu riete. Er bat mich, ihm in diesem Sinne einige Zeilen an den Zaren mitzugeben. Ich entwarf einen englischen Brief an Zar Nikolaus, ging zu Bülow, referierte über die Mitteilungen des Großfürsten und zeigte meinen Briefentwurf. Der Fürst bedankte sich und fand den Brief zweckmäßig. Der Großfürst unterrichtete den russischen Botschafter in Berlin, Grafen Osten-Sacken, und reiste, nachdem er sich wiederholt bedankt hatte, direkt zum Zaren, der dann die Friedensverhandlungen einleiten ließ. Graf Osten-Sacken sagte mir bei der nächsten Begegnung, daß ich dem Zaren und Rußland einen großen Dienst erwiesen hätte. Ich freute mich, daß dies anerkannt wurde, und durfte also hoffen, daß mein Verhalten zur Herstellung eines guten Verhältnisses zu Rußland beitragen werde. Gleichzeitig beugte ich aber damit auch der Gefahr eines Übergreifens einer möglichen russischen Revolution während des russisch-japanischen Kriegszustandes über die deutschen Grenzen vor. Dank hat Deutschland dafür nicht geerntet, aber ein Beweis unserer Friedensliebe bleibt auch unser Verhalten während des russisch-japanischen Krieges.
In derselben Richtung bewegte sich mein Vorschlag, der zum Björkö-Abkommen führte (Juli 1905). Er sah ein Bündnis zwischen Deutschland und Rußland vor, zu dem den beiderseitigen Verbündeten sowie anderen Staaten der Anschluß freistehen sollte. Die Ratifizierung scheiterte am Widerspruch der russischen Regierung (Iswolski-Gruppe).
Es bleibt noch übrig, über Amerika einige Worte zu sagen. Von dem schon erwähnten Gentleman’s agreement abgesehen, das die prinzipielle Haltung Amerikas in einem Weltkriege auf Seiten Englands und Frankreichs festlegte, gehörte Amerika nicht zu der von König Eduard VII. auf Anordnung seiner Regierung geschaffenen Entente cordiale. Vor allem hat Amerika, soweit die Vorgänge sich bisher übersehen lassen, nicht bei der Herbeiführung des Weltkrieges mitgewirkt. Die unfreundliche Antwort, die Präsident Wilson der deutschen Regierung am Anfang des Krieges gab, mag mit dem Gentleman’s agreement zusammengehangen haben. Es besteht aber kein Zweifel darüber, daß Amerikas Eintritt in den Krieg und vorher die gewaltigen Munitions- und überhaupt Kriegsbedarfslieferungen Amerikas an die Entente die Chancen der Zentralmächte, den Krieg durch die Waffen erfolgreich zu beenden, wesentlich beeinträchtigt haben.
Es ist aber geboten, auch Amerika gegenüber jede gefühlsmäßige Kritik zu vermeiden; man kann in der großen Politik nur mit realen Faktoren rechnen. Es stand Amerika (trotz dem Gentleman’s agreement) frei, neutral zu bleiben, oder auf unserer oder auf der andern Seite in den Krieg einzutreten. Man kann einem Staat nicht einen Vorwurf aus seiner souveränen Entschließung über Krieg und Frieden machen, sofern nicht seine Entscheidung mit festen Verträgen in Widerspruch steht. Das ist hier nicht der Fall. Es muß aber doch erwähnt werden, daß John Kenneth Turner in seinem bereits erwähnten Buche »Shall it be again?« an der Hand umfangreichen Materials nachweist, daß alle Gründe Wilson’s für Amerikas Eintritt in den Krieg Scheingründe waren, daß er vielmehr lediglich im Interesse der mächtigen Hochfinanz der Wallstreet handelte.
Der große Gewinn, den Amerika aus dem Weltkriege gezogen hat, liegt darin, daß die Vereinigten Staaten nahezu 50 % des Goldes der ganzen Welt an sich ziehen konnten, so daß jetzt der Dollar an Stelle des englischen Pfund den Wechselkurs in der Welt bestimmt. Aber auch daraus ist keinerlei Vorwurf herzuleiten, denn auch jeder andere Staat, der dazu in der Lage gewesen wäre, hätte diesen Zuwachs an Gold und Prestige auf dem Weltgeldmarkte mit Freuden sich zugeführt. Für uns ist es gewiß bedauerlich, daß Amerika das Geschäft nicht auf Seiten der Zentralmächte machte.
Aber ebenso wie Deutschland mit vollem Rechte sich dagegen auflehnt, daß seine friedliche Arbeit von der Entente nicht mit friedlichen, sondern mit kriegerischen Mitteln bekämpft wurde, so kann und muß Deutschland auch (wie es in Publikationen schon versucht wird) gegen den amerikanischen Rechtsbruch bei dem Abschluß des Weltkrieges immer wieder protestieren. Ich persönlich bin nicht der Auffassung, daß das amerikanische Volk sich dazu hergegeben hätte; besonders die amerikanische Frauenwelt hätte das Verleugnen der 14 Punkte des Präsidenten Wilson nicht mitgemacht, wenn sie damals hätte aufgeklärt werden können. Amerika stand mehr als andere Länder unter dem falschen Eindruck der englischen Propaganda und hat deshalb den mit unerhörten Vollmachten ausgestatteten Präsidenten Wilson in Paris selbstherrlich handeln, d. h. seine 14 Punkte sich abhandeln lassen. Ebenso wie Herr Wilson die englische Blockade, gegen die er vorher protestiert hatte, nachher nicht mehr erwähnte, hat er es auch mit seinen 14 Punkten getan.
Die deutsche Regierung hatte die 14 Punkte Wilsons akzeptiert, obwohl sie schwer genug waren. Die Alliierten hatten die 14 Punkte ebenfalls angenommen, mit Ausnahme der Freiheit der Meere. Wilson hatte die 14 Punkte garantiert. Ich finde die wichtigsten von ihnen nicht im Versailler Instrument, sondern nur diejenigen, die dem Machtwillen der Entente entsprachen, und auch diese zum Teil noch stark verfälscht. Auf die Garantie Wilsons hin hat Deutschland die von ihm besetzten feindlichen Gebiete geräumt und seine Waffen abgegeben, sich also wehrlos gemacht. In dieser Vertrauensseligkeit und dem Fallenlassen der 14 Punkte durch Wilson auf der einen Seite und in dem Ausbruch der deutschen Revolution auf der andern liegt der Schlüssel zu unserer jetzigen Lage. Nach Turner sind die 14 Punkte schon bei Aufstellung der Waffenstillstandsbedingungen für Wilson nur noch ein Mittel gewesen, um Deutschland zur Waffenstreckung zu bringen. Sobald dieses Ziel erreicht war, habe er sie fallen lassen.
Ein sehr großer Teil des amerikanischen Volkes hat sich bereits gegen Herrn Wilson gestellt und wünscht nicht gleichzeitig mit ihm diskreditiert zu sein. Ich träume nicht etwa von einer spontanen Hilfe Amerikas für Deutschland, ich rechne nur mit der nüchternen Erkenntnis des amerikanischen Volkes, daß es die Riesenschuld seines damaligen Präsidenten an Deutschland wieder gutzumachen hat. Denn die Atmosphäre eines Sieges währt nicht ewig, und später wird man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in großen politischen Fragen an die Unzuverlässigkeit des amerikanischen Präsidenten erinnern und sie als amerikanische Unzuverlässigkeit in Rechnung stellen. Das liegt aber nicht im Interesse des amerikanischen Volkes. Die Belastung einer Staatspolitik mit dem Makel der Unzuverlässigkeit ist nicht vorteilhaft. Bei der späteren Beurteilung der amerikanischen Politik wird vergessen werden, daß der weltfremde Herr Wilson von Lloyd George und Clemenceau eingefangen worden ist. Ich habe, besonders bei den Kieler Wochen, viele Amerikaner und Amerikanerinnen kennen gelernt, deren politische Einsicht und Weitsicht eine derartig flagrante Vertrauensverletzung wie sie Herr Wilson beging, in Rücksicht auf das politische Ansehen Amerikas unmöglich billigen kann. Von diesen staatsegoistischen, nicht von irgendwie sentimentalen Rücksichten aus erhoffe ich von jenseits des Ozeans Erleichterung für unser Vaterland.
Zu diesem Unrecht der fallengelassenen 14 Punkte kommt hinzu, daß Herr Wilson als erster die Forderung des Rücktritts an das deutsche Herrscherhaus stellte, in dem er durchblicken ließ, dem deutschen Volke werde dann ein besserer Friede gewährt werden. Bevor die Regierung des Prinzen Max sich die Forderung meiner Thronentsagung zu eigen machte mit der nämlichen Begründung wie Herr Wilson, daß Deutschland in diesem Falle bessere Bedingungen erhalten würde – die Vermeidung des Bürgerkrieges kam erst als zweites Druckmittel –, wäre es ihre Pflicht gewesen, sich irgendwie reale Garantien von seiten des Herrn Wilson zu verschaffen. Jedenfalls haben die Behauptungen, die immer dringender und drängender wurden, meinen Entschluß, außer Landes zu gehen, mit zur Reife gebracht, weil ich glauben mußte, meinem Vaterlande damit einen großen Dienst zu erweisen. Ich stellte meine und meines Hauses wahrlich nicht geringen Interessen zurück und überwand mich, allerdings unter den schwersten inneren Kämpfen, dazu, dem Wunsche der maßgebenden deutschen Stellen zu entsprechen. Es hat sich herausgestellt, daß die deutsche Regierung keinerlei reale Garantien besaß. Für mich mußte bei den damals sich überstürzenden Ereignissen die eindeutige und bestimmte Meldung des Reichskanzlers maßgebend sein. Deshalb habe ich auf eine Nachprüfung verzichtet.
Jetzt ist es klar, weshalb die Entente durch Herrn Wilson meinen Rücktritt forderte. Sie war sich vollkommen klar darüber, daß mit meiner Depossedierung militärische und politische Haltlosigkeit in Deutschland eintreten mußte, die es ermöglichte, nicht bessere, sondern härtere Bedingungen bei Deutschland durchzudrücken. Die Revolution war damals noch nicht als Helferin der Entente aufgetreten. Mein Verbleiben auf dem Throne würde also schon nach Ansicht der Entente für Deutschland vorteilhafter gewesen sein, als meine Thronentsagung. Ich selbst stimme dieser Auffassung der Entente zu, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Regierung Max von Baden keinerlei substanziierte Unterlagen für ihre Behauptung hatte, meine Abdankung würde meinem Vaterlande vorteilhaftere Bedingungen bringen. Ich gehe noch weiter und sage, daß die Entente es überhaupt nicht gewagt hätte, einem intakten Deutschen Kaiserreiche derartige Bedingungen anzubieten. Einem Kaiserreiche gegenüber, dem nicht gerade im Endkampf um seine Existenz mit Hilfe deutscher Utopisten das parlamentarische System aufgezwungen gewesen wäre, dessen Monarchie nicht die Kommandogewalt über Heer und Flotte entwunden gewesen wäre, hätte man das nicht gewagt. Also auch in der Forderung meiner Abdankung seitens des Herrn Wilson unter Vorspiegelung besserer Bedingungen für Deutschland liegt eine schwere Schuld des amerikanischen Expräsidenten. Jedenfalls bietet sich auch hierin ein Ansatzpunkt für den gewaltigen Hebel, der den Vertrag von Versailles aus seinen Siegeln und Verschlüssen herausheben muß. In Deutschland sollte man aber niemals Herrn Wilson mit dem amerikanischen Volke verwechseln.
QUELLE: Kaiser Wilhelm II.: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878 – 1918, Verlag K. F. Koehler, Leipzig/Berlin 1922, S. 261 – 274.