Kitabı oku: «Deutsche Geschichten», sayfa 5

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Man wird begreifen, daß dieses ungewohnte Leben uns sehr hart vorkam, besonders da wir dazu von den meisten der alten Leute in jeder Weise schikaniert wurden. Diese aus der Kaserne in den Krieg mitgenommene Gewohnheit trug viel dazu bei, uns die schweren Tage noch mehr zu verbittern, verschwand aber nach der ersten zusammen bestandenen Schlacht. Dem gemeinen Mann war auch die Tatsache, daß wir uns freiwillig gemeldet hatten, schwer verständlich. Er sah das als einen gewissen Übermut an, eine Auffassung, der ich im Kriege oft begegnet bin.

Die Zeit, während der die Kompagnie in Reserve lag, war nicht viel besser. Wir hausten dann in tannenzweiggedeckten Erdhütten bei der Fasanerie oder im Hiller-Wäldchen, deren mistbepackter Boden wenigstens eine angenehme Gärungswärme ausstrahlte. Manchmal erwachte man in einer zolltiefen Wasserpfütze. Trotzdem ich Rheumatismus bislang nur dem Namen nach gekannt hatte, spürte ich schon nach wenigen Tagen infolge der dauernden Durchnässung Schmerzen in allen Gelenken. Die Nächte dienten auch hier nicht dem Schlaf, sondern wurden benutzt, die zahlreichen Annäherungsgräben zu vertiefen.

Ein Lichtblick in diesem öden Einerlei war die allabendliche Ankunft der Feldküche an der Ecke des Hiller-Wäldchens, wo sich bei der Öffnung des Kessels ein köstlicher Duft nach Erbsen mit Speck oder anderen herrlichen Sachen verbreitete. Aber auch hier gab es einen dunklen Punkt: das Dörrgemüse, das von enttäuschten Gourmets als »Drahtverhau« oder »Flurschaden« geschmäht wurde.

Am angenehmsten waren die Ruhetage in Orainville, die mit Ausschlafen, Reinigen der Sachen und Exerzieren verbracht wurden. Die Kompagnie hauste in einer gewaltigen Scheune, die nur zwei hühnerleiterartige Treppen als Ein- und Ausgang hatte. Obwohl das Gebäude noch mit Stroh gefüllt war, standen Öfen darin. Eines Nachts rollte ich gegen den einen und erwachte erst infolge der Bemühungen einiger Kameraden, die mich kräftigen Löschversuchen unterzogen. Zu meinem Schrecken gewahrte ich, daß meine Uniform an der Rückseite arg verkohlt war, so daß ich längere Zeit in einem frackartigen Anzuge umherlaufen mußte.

Nach kurzem Aufenthalt beim Regiment hatten wir fast alle Illusionen verloren, mit denen wir ausgezogen waren. Statt der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose Nächte vorgefunden, zu deren Bezwingung ein uns wenig liegendes Heldentum gehörte. Diese dauernde Überanstrengung war Schuld der Führung, die den Geist des neuartigen Stellungskrieges noch nicht erfaßt hatte. In einem kurzen, draufgängerischen Kriege kann und muß der Offizier die Mannschaft rücksichtslos erschöpfen, in einem sich lang hinschleppenden führt dies zu physischem und moralischem Zusammenbruch. Die ungeheure Postenzahl und die ununterbrochene Schanzarbeit waren zum größten Teil unnötig und sogar schädlich. Nicht auf gewaltige Verschanzungen kommt es an, sondern auf den Mut und die Frische der Leute, die dahinterstehen. »Eiserne Herzen auf hölzernen Schiffen gewinnen die Schlachten.«

Wohl hörten wir im Graben Geschosse pfeifen, bekamen auch ab und zu einige Granaten von den Reimser Forts, aber diese kleinen kriegerischen Ereignisse blieben weit hinter unseren Erwartungen zurück. Trotzdem wurden wir manchmal an den blutigen Ernst gemahnt, der hinter diesem scheinbar absichtslosen Geschehen lauerte. So schlug am 8. Januar eine Granate in die Fasanerie und tötete den Leutnant Schmidt, unseren Bataillons-Adjutanten.

Am 27. Januar ließen wir unserem Kaiser zur Ehre drei kräftige Hurras erschallen und stimmten auf der langen Front, von feindlichen Gewehren begleitet, ein »Heil dir im Siegerkranz« an.

In diesen Tagen hatte ich ein sehr unangenehmes Erlebnis, das meine militärische Laufbahn fast zu einem vorzeitigen und unrühmlichen Abschluß gebracht hätte. Die Kompagnie lag am linken Flügel, und ich mußte mich gegen Morgen nach völlig durchwachter Nacht mit einem Kameraden in den Bachgrund auf Doppelposten begeben. Ich hatte der Kälte wegen verbotenerweise meine Decke um den Kopf geschlagen und lehnte an einem Baum, nachdem ich mein Gewehr neben mich in einen Busch gestellt hatte. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch, griff danach – die Waffe war verschwunden! Der revidierende Portepee-Träger, ein Offizier-Stellvertreter, hatte sich an mich herangeschlichen und sie unbemerkt an sich genommen. Um mich zu bestrafen, schickte er mich eigenmächtig, nur mit einer Beilpicke bewaffnet, in der Richtung auf die französischen Postierungen, ungefähr 100 Meter weit, vor, eine Indianeridee, die mich beinahe ums Leben gebracht hätte. Während meiner merkwürdigen Strafwache schlich nämlich eine Patrouille von drei Kriegsfreiwilligen durch das Schilf vor, wurde von den Franzosen bemerkt und beschossen. Einer von ihnen, namens Lang, wurde getroffen und nie wieder gesehen. Da ich ganz in der Nähe stand, bekam ich auch mein Teil von den damals so beliebten Gruppensalven ab, so daß mir die Zweige des Weidenbaumes, an dem ich stand, um die Ohren pfiffen. Ich biß die Zähne zusammen und blieb aus Trotz stehen. Ich habe dem Offizier-Stellvertreter diese Gemeinheit nie vergessen können.

Wir waren alle herzlich stolz, als uns mitgeteilt wurde, daß wir diese Stellung endgültig verlassen sollten, und feierten unseren Abschied von Orainville durch einen kräftigen Bierabend in der großen Scheune. Am 4. Februar 1915 marschierten wir, von einem sächsischen Regiment abgelöst, nach Bazancourt.

Dieser Monat war für mich, obwohl der härteste des ganzen Krieges, doch eine gute Schule. Ich hatte den Wacht- und Arbeitsdienst in seiner schwersten Form gründlich kennengelernt. Das bewahrte mich später, als ich selbst führte, davor, von meinen Leuten Unmögliches zu verlangen.

QUELLE: Ernst Jünger: Sämtliche Werke, Band 1: Der Erste Weltkrieg; Klett-Cotta, Stuttgart 1978

III. VERSAILLES UND SEINE FOLGEN

ULRICH GRAF VON BROCKDORFF-RANTZAU (1869 – 1928)


Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau entstammt einer angesehenen dänisch-schleswig-holsteinischen Familie. Er wird am 29. Mai 1869 als Sohn von Hermann Graf von Rantzau und seiner Frau Juliane geb. von Brockdorff in Schleswig geboren. Aufgrund des frühen Todes des Vaters wird er von seinem Großonkel Hans Baron Brockdorff adoptiert und führt seitdem den Doppelnamen Brockdorff-Rantzau.

1894, nach absolviertem Jurastudium, tritt er in den Auswärtigen Dienst ein. Im Ersten Weltkrieg ist er Gesandter im (neutralen) Dänemark. Nach Ausrufung der Weimarer Republik am 9. November 1918 durch Phillip Scheidemann (SPD) – zwei Stunden vor Karl Liebknecht, der eine »freie sozialistische Republik Deutschland und die Weltrevolution proklamiert«– wird der parteilose Graf von Brockdorff-Rantzau Anfang 1919 erster Außenminister im Kabinett Scheidemann. Ihm obliegt die Annahme der Friedensvereinbarung des Versailler Vertrages, gegen dessen Bestimmungen er vergeblich kämpft und dessen harte Bedingungen schließlich die Regierung Scheidemann zum Rücktritt veranlassen.

Von 1922 bis zu seinem Tod 1928 ist Graf von Brockdorff-Rantzau Gesandter in Moskau.

ULRICH GRAF VON BROCKDORFF-RANTZAU

REDE BEI DER ÜBERREICHUNG DES VERTRAGSENTWURFS DURCH DIE ALLIIERTEN UND ASSOZIIERTEN MÄCHTE

VERSAILLES, 7. MAI 1919

Meine Herren! Wir sind tief durchdrungen von der erhabenen Aufgabe, die uns mit Ihnen zusammengeführt hat: Der Welt rasch einen dauernden Frieden zu geben. Wir täuschen uns nicht über den Umfang unserer Niederlage, den Grad unserer Ohnmacht. Wir wissen, daß die Gewalt der deutschen Waffen gebrochen ist; wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt, und wir haben die leidenschaftliche Forderung gehört, daß die Sieger uns zugleich als Überwundene zahlen lassen und als Schuldige bestrafen sollen.

Es wird von uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge. Wir sind fern davon, jede Verantwortung dafür, daß es zu diesem Weltkriege kam, und daß er so geführt wurde, von Deutschland abzuwälzen. Die Haltung der früheren Deutschen Regierung auf den Haager Friedenskonferenzen, ihre Handlungen und Unterlassungen in den tragischen zwölf Julitagen mögen zu dem Unheil beigetragen haben, aber wir bestreiten nachdrücklich, daß Deutschland, dessen Volk überzeugt war, einen Verteidigungskrieg zu führen, allein mit der Schuld belastet ist.

Keiner von uns wird behaupten wollen, daß das Unheil seinen Lauf erst in dem verhängnisvollen Augenblick begann, als der Thronfolger Österreich-Ungarns den Mörderhänden zum Opfer fiel. In den letzten 50 Jahren hat der Imperialismus aller europäischen Staaten die internationale Lage chronisch vergiftet. Die Politik der Vergeltung wie die Politik der Expansion und die Nichtachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker hat zu der Krankheit Europas beigetragen, die im Weltkrieg ihre Krisis erlebte. Die russische Mobilmachung nahm den Staatsmännern die Möglichkeit der Heilung und gab die Entscheidung in die Hand der militärischen Gewalten.

Die öffentliche Meinung in allen Ländern unserer Gegner hallt wider von den Verbrechen, die Deutschland im Kriege begangen habe. Auch hier sind wir bereit, getanes Unrecht einzugestehen. Wir sind nicht hierhergekommen, um die Verantwortlichkeit der Männer, die den Krieg politisch und militärisch geführt haben, zu verkleinern und begangene Frevel wider das Völkerrecht abzuleugnen. Wir wiederholen die Erklärung, die bei Beginn des Krieges im Deutschen Reichstag abgegeben wurde. Belgien ist Unrecht geschehen, und wir wollen es wieder gutmachen.

Aber auch in der Art der Kriegführung hat nicht Deutschland allein gefehlt. Jede europäische Nation kennt Taten und Personen, deren sich die besten Volksgenossen ungern erinnern. Ich will nicht Vorwürfe mit Vorwürfen erwidern, aber wenn man gerade von uns Buße verlangt, so darf man den Waffenstillstand nicht vergessen. Sechs Wochen dauerte es, bis wir ihn erhielten, sechs Monate, bis wir Ihre Friedensbedingungen erfuhren. Verbrechen im Kriege mögen nicht zu entschuldigen sein, aber sie geschehen im Ringen um den Sieg, in der Sorge um das nationale Dasein, in einer Leidenschaft, die das Gewissen der Völker stumpf macht. Die Hunderttausende von Nichtkämpfern, die seit dem 11. November an der Blockade zugrunde gingen, wurden mit kalter Überlegung getötet, nachdem für unsere Gegner der Sieg errungen und verbürgt war. Daran denken Sie, wenn Sie von Schuld und Sühne sprechen.

Das Maß der Schuld aller Beteiligten kann nur eine unparteiische Untersuchung feststellen, eine neutrale Kommission, vor der alle Hauptpersonen der Tragödie zu Worte kommen, der alle Archive geöffnet werden. Wir haben eine solche Untersuchung gefordert, und wir wiederholen die Forderung.

Bei dieser Konferenz, wo wir allein, ohne Bundesgenossen, der großen Zahl unserer Gegner gegenüberstehen, sind wir nicht schutzlos. Sie selbst haben uns einen Bundesgenossen zugeführt. das Recht, das uns durch den Vertrag über die Friedensgrundsätze gewährleistet ist. Die Alliierten und Assoziierten Regierungen haben in der Zeit zwischen dem 5. Oktober und dem 5. November 1918 auf den Machtfrieden verzichtet und den Frieden der Gerechtigkeit auf ihr Panier geschrieben. Am 5. Oktober 1918 hat die Deutsche Regierung die Grundsätze des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika als Friedensbasis vorgeschlagen, am 5. November hat ihr der Staatssekretär Lansing erklärt, daß die Alliierten und Assoziierten Mächte mit dieser Basis unter zwei bestimmten Abweichungen einverstanden seien, die Grundsätze des Präsidenten Wilson sind also für beide Kriegsparteien, für Sie wie für uns, und auch für unsere früheren Bundesgenossen bindend geworden.

Die einzelnen Grundsätze fordern von uns schwere nationale und wirtschaftliche Opfer. Aber die heiligen Grundrechte aller Völker sind durch diesen Vertrag geschätzt. Das Gewissen der Welt steht hinter ihm; keine Nation wird ihn ungestraft verletzen dürfen.

Sie werden uns bereit finden, auf dieser Grundlage den Vorfrieden, den Sie uns vorlegen, mit der festen Absicht zu prüfen, in gemeinsamer, Arbeit mit Ihnen Zerstörtes wieder aufzubauen, geschehenes Unrecht, in erster Linie das Unrecht an Belgien, wieder gutzumachen, und der Menschheit neue Ziele politischen und sozialen Fortschritts zu zeigen. Bei der verwirrenden Fülle von Problemen, die der gemeinsame Zweck aufwirft, sollten wir möglichst bald die einzelnen Hauptaufgaben durch besondere Kommissionen von Sachverständigen auf der Grundlage des von Ihnen vorgelegten Entwurfs erörtern lassen. Dabei wird es unsere Hauptaufgabe sein, die verwüstete Menschenkraft der beteiligten Völker durch einen internationalen Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit der arbeitenden Klassen wieder aufzurichten.

Als nächstes Ziel betrachte ich den Wiederaufbau der von uns besetzt gewesenen und durch den Krieg zerstörten Gebiete Belgiens und Nordfrankreichs. Die Verpflichtung hierzu haben wir feierlichst übernommen, und wir sind entschlossen, sie in dem Umfang auszufahren, der zwischen uns vereinbart ist. Dabei sind wir auf die Mitwirkung unserer bisherigen Gegner angewiesen. Wir können das Werk nicht ohne die technische und finanzielle Beteiligung der Sieger vollenden; Sie können es nur mit uns durchfuhren. Das verarmte Europa muß wünschen, daß der Wiederaufbau mit so großem Erfolg und so wenig Aufwand wie möglich durchgeführt wird. Der Wunsch kann nur durch eine klare geschäftliche Verständigung über die besten Methoden erfüllt werden. Die schlechteste Methode wäre, die Arbeit weiter durch deutsche Kriegsgefangene besorgen zu lassen. Gewiß, diese Arbeit ist billig. Aber sie käme der Welt teuer zu stehen, wenn Haß und Verzweiflung das deutsche Volk darüber ergreifen würde, daß seine gefangenen Söhne, Brüder und Väter über den Vorfrieden hinaus in der bisherigen Fron weiter schmachteten. Ohne eine sofortige Lösung dieser allzu lange verschleppten Frage können wir nicht zu einem dauernden Frieden gelangen.

Unsere beiderseitigen Sachverständigen werden zu prüfen haben, wie das deutsche Volk seiner finanziellen Entschädigungspflicht Genüge leisten kann, ohne unter der schweren Last zusammenzubrechen. Ein Zusammenbruch würde die Ersatzberechtigten um die Vorteile bringen, auf die sie Anspruch haben, und eine unheilbare Verwirrung des ganzen europäischen Wirtschaftslebens nach sich ziehen. Gegen diese drohende Gefahr mit ihren unabsehbaren Folgen müssen Sieger wie Besiegte auf der Hut sein. Es gibt nur ein Mittel, um sie zu bannen: das rückhaltlose Bekenntnis zu der wirtschaftlichen und sozialen Solidarität der Völker zu einem freien und umfassenden Völkerbund.

Meine Herren! Der erhabene Gedanke, aus dem furchtbarsten Unheil der Weltgeschichte durch den Völkerbund den größten Fortschritt der Menschheitsentwicklung herzuleiten, ist ausgesprochen und wird sich durchsetzen; nur wenn sich die Tore zum Völkerbund allen Nationen öffnen, die guten Willens sind, wird das Ziel erreicht werden, nur dann sind die Toten dieses Krieges nicht umsonst gestorben.

Das deutsche Volk ist innerlich bereit, sich mit seinem schweren Los abzufinden, wenn an den vereinbarten Grundlagen des Friedens nicht gerüttelt wird. Ein Frieden, der nicht im Namen des Rechts von der Welt verteidigt werden kann, würde immer neue Widerstände gegen sich aufrufen. Niemand wäre in der Lage, ihn mit gutem Gewissen zu unterzeichnen, denn er wäre unerfüllbar. Niemand könnte für seine Ausführung die Gewähr, die in der Unterschrift liegen soll, übernehmen.

Wir werden das uns übergebene Dokument mit gutem Willen und in der Hoffnung prüfen, daß das Endergebnis unserer Zusammenkunft von uns allen gezeichnet werden kann.

QUELLE: Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau: Dokumente; Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte m. b. H., Berlin 1920

ZEITDOKUMENT

MANTELNOTE

ZUR ANTWORT DER ALLIIERTEN UND ASSOZIIERTEN MÄCHTE AN DEN PRÄSIDENTEN DER DEUTSCHEN DELEGATION

Friedenskonferenz

Der Präsident

An Seine Exzellenz

den Herrn Grafen Brockdorff-Rantzau,

Präsident der Deutschen Delegation,

Herr Präsident!

Die Alliierten und Assoziierten Mächte haben den von der Deutschen Delegation über die Friedensbedingungen vorgebrachten Bemerkungen die ernsthafteste Erwägung zuteil werden lassen.

Die deutsche Antwort protestiert gegen den Frieden, zunächst als in Widerspruch mit den Bedingungen stehend, welche dem Waffenstillstand vom 11. November zur Grundlage gedient haben, sodann, da es ein Gewalts- und nicht ein Rechtsfrieden sei. Der Protest der Deutschen Delegation beweist, daß diese die Lage, in der sich Deutschland heute befindet, gänzlich verkennt. Die Deutsche Delegation scheint zu denken, Deutschland habe nur »Opfer zu bringen, um zum Frieden zu gelangen«, als ob dieser Friede einzig und allein nur der Abschluß eines Kampfes um territorialen oder Machtgewinn wäre.

I.

Infolgedessen halten es die Alliierten und Assoziierten Mächte für erforderlich, ihre Antwort mit einer scharf umrissenen Darlegung ihres Urteils über den Krieg zu beginnen, ein Urteil, welches tatsächlich und letzten Endes dasjenige der Gesamtheit der zivilisierten Welt ist. Nach der Anschauung der Alliierten und Assoziierten Mächte ist der Krieg, der am 1. August 1914 zum Ausbruch gekommen ist, das größte Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völker gewesen, welches eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer Jahre haben die Regierenden Deutschlands, getreu der preußischen Tradition, die Vorherrschaft in Europa angestrebt. Sie haben sich nicht mit dem wachsenden Gedeihen und Einfluß begnügt, nach welchen zu streben Deutschland berechtigt war, und welche alle übrigen Nationen bereit waren, ihm in der Gesellschaft der freien und gleichen Völker zuzugestehen. Sie haben getrachtet, sich dazu fähig zu machen, ein unterjochtes Europa zu beherrschen und zu tyrannisieren, so wie sie ein unterjochtes Deutschland beherrschten und tyrannisierten.

Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie durch alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel ihren Untertanen die Lehre eingeschärft, in internationalen Angelegenheiten sei Gewalt Recht. Niemals haben sie davon abgelassen, die Rüstungen Deutschlands zu Wasser und zu Lande auszudehnen und die lügnerische Behauptung zu verbreiten, eine solche Politik sei nötig, weil Deutschlands Nachbarn auf sein Gedeihen und seine Macht eifersüchtig seien. Sie sind bestrebt gewesen, zwischen den Nationen an Stelle der Freundschaft Feindschaft und Argwohn zu säen. Sie haben ein System der Spionage und der Intrigen entwickelt, welches ihnen gestattet hat, auf dem Gebiete ihrer Nachbarn Unruhen und innere Revolten zu erregen und sogar geheime Offensivvorbereitungen zu treffen, um sie im gegebenen Augenblick mit größerer Sicherheit und Leichtigkeit zerschmettern zu können. Sie haben durch Gewaltsandrohungen Europa in einem Zustande der Gärung erhalten, und als sie festgestellt hatten, daß ihre Nachbarn entschlossen waren, ihren anmaßenden Plänen Widerstand zu leisten, da haben sie beschlossen, ihre Vorherrschaft mit Gewalt zu begründen.

Sobald ihre Vorbereitungen vollendet waren, haben sie einen in Abhängigkeit gehaltenen Bundesgenossen dazu ermuntert, Serbien innerhalb achtundvierzig Stunden den Krieg zu erklären. Von diesem Kriege, dessen Spieleinsatz die Kontrolle über den Balkan war, wußten sie recht wohl, er könne nicht lokalisiert werden und würde den allgemeinen Krieg entfesseln. Um diesen allgemeinen Krieg doppelt sicher zu machen, haben sie sich jedem Versuche der Versöhnung und der Beratung entzogen, bis es zu spät war; und der Weltkrieg ist unvermeidlich geworden, jener Weltkrieg, den sie angezettelt hatten, und für den Deutschland allein unter den Nationen vollständig ausgerüstet und vorbereitet war.

Indessen beschränkt sich die Verantwortlichkeit Deutschlands nicht auf die Tatsache, den Krieg gewollt und entfesselt zu haben. Deutschland ist in gleicher Weise für die rohe und unmenschliche Art, auf die er geführt worden ist, verantwortlich.

Obwohl Deutschland selber einer der Bürgen Belgiens war, haben seine Regierenden die Neutralität dieses durch und durch friedlichen Volkes, nachdem sie ihre Respektierung feierlich versprochen hatten, verletzt. Damit nicht zufrieden, sind sie mit kühler Überlegung zu einer Reihe von Hinrichtungen und Brandstiftungen geschritten, mit der einzigen Absicht, die Bevölkerung zu terrorisieren und sie eben durch die Schrecklichkeit ihrer Handlungen zu bändigen.

Die Deutschen sind es, welche als erste die giftigen Gase benutzt haben, trotz der fürchterlichen Leiden, die sich daraus ergeben mußten. Sie sind es, welche mit den Bombardements durch Flieger und der Beschießung von Städten auf weite Entfernung ohne militärische Gründe den Anfang gemacht haben, mit dem alleinigen Ziel vor Augen, die seelische Widerstandskraft ihrer Gegner, dadurch daß sie die Frauen und Kinder trafen, zu vermindern. Sie sind es, die den Unterseebootkrieg begonnen haben, eine Herausforderung von Seeräubern an das Völkerrecht, indem sie so eine große Anzahl von unschuldigen Passagieren und Seeleuten mitten auf dem Ozean, weit entfernt von jeder Hilfsmöglichkeit, auf Gnade und Barmherzigkeit den Winden und den Wogen und, was noch schlimmer ist, den Besatzungen ihrer Unterseeboote ausgeliefert, dem Tode überantworteten. Sie sind es, die mit brutaler Roheit Tausende von Männern und Frauen und Kindern nach fremden Ländern in die Sklaverei verschleppt haben. Sie sind es, die sich hinsichtlich der Kriegsgefangenen, welche sie gemachte hatten, eine barbarische Behandlung erlaubt haben, vor welcher die Völker unterster Kulturstufe, zurückgeschreckt wären.

Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die schreckliche Verantwortlichkeit, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zusammenfassend zum Ausdruck bringen, daß wenigstens sieben Millionen Tote in Europa begraben liegen, während mehr als zwanzig Millionen Lebender durch ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat befriedigen wollen.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte halten dafür, daß sie denen, die ihr alles dahingegeben haben, um die Freiheit der Welt zu retten, nicht gerecht werden würden, in diesem Kriege kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das Recht zu erblicken.

[…]

II.

Die Alliierten und Assoziierten Mächte glauben demnach, daß der Friede, den sie vorgeschlagen haben, seinem Grundwesen nach ein Rechtsfriede ist. Sie sind nicht weniger gewiß, daß es ein Friede des Rechtes ist, in Gemäßheit der im Augenblick des Waffenstillstandes anerkannten Grundsätze. Man kann wohl nicht an der Absicht der Alliierten und Assoziierten Mächte zweifeln, zur Grundlage der europäischen Ordnung das Prinzip zu machen, die unterdrückten Völker zu befreien und die nationalen Grenzen soweit wie möglich gemäß dem Willen der in Frage kommenden Völker neu zu ziehen, indem sie zu gleicher Zeit jedem Volke alle Erleichterungen zuteil werden lassen, um in völkischer und wirtschaftlicher Beziehung ein unabhängiges Leben zu führen. Diese Absicht ist nicht nur in der Rede des Präsidenten Wilson im Kongreß vom 8. Januar 1918 kundgetan worden, sondern in den »Grundsätzen der Regelung, die in den folgenden Reden zur Kenntnis gebracht worden sind«, und welche die angenommene Grundlage des Friedens waren. Eine Denkschrift über diese Frage ist der vorliegenden Note in der Anlage beigefügt.

In Anwendung dieser Grundsätze haben die Alliierten und Assoziierten Mächte Bestimmungen getroffen, um Polen als unabhängigen Staat wiederherzustellen, mit »einem freien und sicheren Zugang zum Meere«. Alle die »von unzweifelhaft polnischen Bevölkerungen bewohnten Gebiete« sind Polen zuerkannt worden. Alle von einer deutschen Mehrheit bewohnten Gebiete sind, abgesehen von einigen vereinzelten Städten und von auf vor kurzem gewaltsam enteigneten Landgütern gegründeten und inmitten unzweifelhaft polnischer Landstriche belegenen Ansiedlungen, Deutschland belassen worden. Überall, wo der Wille des Volkes zweifelhaft ist, ist eine Volksabstimmung vorgesehen worden. Die Stadt Danzig soll die Verfassung einer Freistadt erhalten; ihre Einwohner sollen autonom sein; sie sollen nicht unter die Herrschaft Polens kommen und werden keinen Teil des polnischen Staates bilden. Polen soll gewisse wirtschaftliche Rechte in Danzig bekommen; die Stadt selber ist von Deutschland abgetrennt worden, weil es kein anderes mögliches Mittel gab, ihr jenen »freien und sicheren Zugang zum Meere« zu verschaffen, welchen Deutschland abzutreten versprochen hatte.

Die deutschen Gegenvorschläge stehen im vollständigen Widerspruch zu der vereinbarten Grundlage des Friedens. Sie zielen darauf ab, große Majoritäten unstreitbar polnischer Bevölkerung unter deutscher Herrschaft zu halten.

Um die Landverbindung zwischen Ost- und Westpreußen aufrechtzuerhalten, deren Handel stets in der Hauptsache durch Küstenschiffahrt befördert worden ist, soll einer Nation von über zwanzig Millionen Menschen, die bis an die Küste heran in der Bevölkerung die Majorität bilden, der sichere Zugang zur See verweigert werden. Diese Vorschläge können daher von den Alliierten und Assoziierten Mächten nicht angenommen werden. Gleichzeitig hat jedoch die deutsche Note in gewissen Fällen die Berechtigung einer Abänderung dargetan, welche erfolgen soll; und mit Rücksicht auf die Behauptung, daß Oberschlesien, obgleich die Bevölkerung im Verhältnis von 2 zu 1 überwiegend polnisch ist (1.250.000 gegen 650.000 nach der deutschen Volkszählung von 1910), bei Deutschland zu verbleiben wünscht, sind die Alliierten und Assoziierten Mächte damit einverstanden, daß die Frage, ob Oberschlesien zu Deutschland oder zu Polen gehören soll, durch Abstimmung der Bevölkerung selber entschieden wird.

Das von den Alliierten und Assoziierten Mächten für das Saarbecken vorgeschlagene Regime soll 15 Jahre dauern. Die Mächte haben diese Regelung für erforderlich gehalten, sowohl mit Rücksicht auf den allgemeinen Plan der Wiedergutmachung als auch, um Frankreich sofortige und gewisse Entschädigung für die willkürliche Zerstörung seiner im Norden belegenen Kohlenminen zu sichern. Das Gebiet ist nicht unter französische Oberhoheit gestellt, sondern unter die Kontrolle des Völkerbundes. Diese Regelungsweise hat den zwiefachen Vorteil, daß hierdurch keine Annexion vollzogen wird, während sie gleichzeitig den Besitz der Kohlenfelder an Frankreich überträgt und die wirtschaftliche Einheit des Gebietes aufrechterhält, welche für die Interessen der Einwohner von solcher Wichtigkeit ist. Nach Ablauf der 15 Jahre wird die gemischte Bevölkerung, welche in der Zwischenzeit ihre eigenen örtlichen Angelegenheiten unter der regierenden Aufsicht des Völkerbundes geregelt haben wird, volle Freiheit haben, um darüber zu entscheiden, ob die Vereinigung mit Deutschland oder die Vereinigung mit Frankreich oder die Fortsetzung des durch den Vertrag begründeten Regimes vorzieht.

Was die Gebiete anbelangt, deren Übertragung von Deutschland an Dänemark und Belgien vorgeschlagen worden ist, so sind einige von diesen von Preußen gewaltsam angeeignet worden, in jedem Falle aber wird eine Übertragung nur stattfinden auf Grund der Entscheidung der Bevölkerung, die unter Bedingungen gefällt werden soll, welche die volle Wahlfreiheit sichern.

Endlich haben die Alliierten und Assoziierten Mächte sich davon überzeugen können, daß die angeborenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien starken Widerspruch dagegen erheben, daß sie wieder unter Deutschlands Oberherrschaft gestellt werden, und die Geschichte dieser deutschen Oberherrschaft, die Traditionen der Deutschen Regierung und die Art und Weise, in welcher diese Kolonien verwandt wurden als Ausgangspunkte für Raubzüge auf den Handel der Erde, machen es den Alliierten und Assoziierten Mächten unmöglich, Deutschland die Kolonien zurückzugeben oder dem Deutschen Reiche die Verantwortung für die Ausbildung und Erziehung der Bevölkerung anzuvertrauen.

Aus diesen Gründen sind die Alliierten und Assoziierten Mächte davon überzeugt, daß ihre territorialen Vorschläge sowohl mit der vereinbarten Grundlage des Friedens, als auch mit den notwendigen Voraussetzungen für den künftigen Frieden Europas in Einklang stehen. Sie sind daher nicht geneigt, sie über das angegebene Maß hinaus abzuändern.

QUELLE: Deutsche Liga für Völkerbund (Hg.): Das Ultimatum der Entente. Vollständiger Text der Mantelnote und der Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge. Amtlicher Wortlaut, Verlag Hans Robert Engelmann, Berlin 1919

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
608 s. 65 illüstrasyon
ISBN:
9783954623525
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