Kitabı oku: «Die Kraft des Miteinander», sayfa 3

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2Wiedereingliederungs-Versammlungen mit Häftlingen – wie sie Inhaftierten zugutekommen und nahestehenden Menschen helfen1

Lorenn Walker und Anouck De Reu

»Du bist zu nichts zu gebrauchen«, schreit die Mutter ihre Tochter April an, wobei ihr Spucke aus dem Mund fliegt, bevor sie ihre Lippen wütend vorstülpt. April ist 1958 vier Jahre alt; sie wohnt in einem großen Bundesstaat im mittleren Westen Amerikas. Sie steht dem Alter nach irgendwo in der Mitte von elf Kindern. April erinnert sich, dass, bevor sie 12 Jahre alt war, ihre Mutter »mir sagte, ich solle sterben und es hinter mich bringen. Sie sagte, ich hätte unsere Familie zerstört, und ich sei der Grund dafür, dass sie sich von meinem Vater habe scheiden lassen. Alles, was passiert sei, wäre meine Schuld. Ich hätte all die Probleme verursacht«. April wurde herausgegriffen und während ihrer gesamten Kindheit härter bestraft als ihre zehn Geschwister. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie einmal, als sie krank war, mehrere Tage lang in einem Zimmer einschloss und ihren Geschwistern »verboten wurde, überhaupt bei mir reinzuschauen«.

April war der »Sündenbock« ihrer Mutter für die Konflikte in der Familie, einschließlich ihrer Eheprobleme. Dass Eltern Kinder zum Sündenbock abstempeln, ist in konfliktreichen Familien weitverbreitet und kann der jugendlichen Entwicklung sehr abträglich sein (Vogel a. Bell 1960). Im Jahr 1967 ist April 14 Jahre alt. Sie geht nicht mehr zur Schule und hat nur die achte Klasse abgeschlossen. Inzwischen hat sie ihr Zuhause verlassen und wohnt mit einer Gruppe von Männern zusammen, die in den Zwanzigern sind. Sie leben in der Regel in verlassenen Gebäuden in der Stadt, die nur wegen eines dort befindlichen großen Automontagewerks überlebt. Aprils Vater ist Werksvorarbeiter und geht nun mit einer Rente in den Ruhestand. Viele der Männer, die Aprils »Familie« werden, nachdem sie von zu Hause weggegangen ist, sind Vietnam-Veteranen oder suchen nach Wegen, um der Einberufung zum Militär zu entgehen. Sie lieben April, die gut aussieht, witzig und klug ist. Sie erwidert die Zuneigung der Männer und hat eine Beziehung mit einem von ihnen. Sie behandeln sie wie eine geachtete kleine Schwester.

Die Männer konsumieren regelmäßig Heroin. April bittet sie, es auch nehmen zu dürfen. Sie verweigern ihr das zunächst. Irgendwann zermürbt sie Aprils Hartnäckigkeit. Sie lassen sie Heroin nehmen, und April wird schnell süchtig. Um ihren regelmäßigen Drogenkonsum zu finanzieren, stehlen die Männer Dinge aus Geschäften und Wohnungen. April verkauft Pillen vor allem an Highschool-Kinder. Als sie 17 Jahre alt ist, ist sie mit einem anderen Mann zusammen, den sie aus der Gruppe heraus kennengelernt hat und dessen Familie wohlhabend ist. 1970 nimmt er sie mit in ein Gästehaus auf einer Ranch in Hawaii, die seiner Familie gehört.

Während der nächsten 45 Jahre nimmt April regelmäßig Heroin und lebt oft auf der Straße. Sie hat vier Kinder, die von ihren Vätern, anderen Familienmitgliedern oder in Pflegefamilien aufgezogen werden.

Im Jahr 2020 ist April 67 Jahre alt und hat nur zu einem ihrer Kinder eine Beziehung, zu Francis, 46 Jahre alt. Francis’ Partnerin ist Malia. Francis hat auch einen Sohn namens Kimo, der 25 Jahre alt ist. Kimo, Francis, Malia und April sind alle schon einmal inhaftiert worden. Aktuell sitzt nur Kimo im Gefängnis ein. Die Hawaiischen Freunde der »Restorative Justice«2 (Hawai’i Friends of Restorative Justice, HFRJ) arbeiten seit einem Jahrzehnt mit allen vier Mitgliedern dieser Familie zusammen und helfen ihnen, sich an die Ressourcen der Gemeinschaft anzudocken, um ihr Leben zu verbessern. Die HFRJ trafen die Familie zum ersten Mal im Jahr 2010, als Francis sich für einen Kurs im staatlichen Frauengefängnis von Hawaii einschrieb: »Restorative Justice als lösungsfokussierte Antwort auf Konflikte und Fehlverhalten«.

Damals sagte Francis, sie habe kein Vertrauen in das Justizsystem, sie glaube, dass sie ihr Verhalten niemals ändern werde und dass ihr am besten gedient sei, wenn sie rebellisch und aggressiv sei. Als sie den Kurs der HFRJ besuchte, wurde sie vom Gefängnis als hohes Sicherheitsrisiko betrachtet. Sie tat nichts, um ihre Fortbildung zu fördern oder irgendeine Therapie zu erhalten, obwohl sie wegen Drogenmissbrauchs ins Gefängnis gekommen war. Statt wegen guter Führung wurde Francis von den Justizvollzugsbeamten häufig wegen Verstoßes gegen die Gefängnisregeln »aufgeschrieben«. Francis sagt, als sie vor zehn Jahren in den lösungsfokussierten Kurs ging, habe sie zum ersten Mal davon gehört, dass es nicht wichtig sei, sich auf ihre Fehler zu konzentrieren; dass sie das Potenzial habe, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, und sich jede Art von Leben schaffen könne, die sie sich wünsche. Anstatt sich auf ihre Defizite zu konzentrieren und zu versuchen, diese zu beheben, wurde sie ermuntert, über ihre Stärken und ihre Ziele nachzudenken. Francis überzeugte ihre Partnerin Malia, ebenfalls an dem Kurs teilzunehmen.

Francis und Malia lernen beide, dass ihre Gefühle immer gültig sind und dass niemand, auch nicht sie selbst, ihre Gefühle beurteilen sollte. »Spüre einfach achtsam deinen eigentlichen Gefühlen nach, ohne dich auf irgendetwas festzulegen«, lernen sie. Inakzeptabel sei es nur, auf Gefühle in destruktiver Weise zu reagieren, wie z. B. wütend zu werden und jemanden zu schlagen. Diese Impulse tragen dazu bei, dass Francis zunächst in dem lösungsfokussierten Kurs zu einer leistungsstarken Teilnehmerin wird. Die Mitarbeiter, die mit ihr arbeiten, stellen fest, dass sich ihr Verhalten von »bockig« zu »geduldig« verändert. Innerhalb weniger Jahre wird Francis Mitglied einer speziellen Arbeitsgruppe für das Gefängnispersonal (in einigen Gerichtsbezirken »Vertrauensleute« genannt), ausgestattet mit mehr Privilegien, Pflichten und einer kleinen Vergütung. Sie wird zu einer angesehenen Peer-Ausbilderin und zu einem Vorbild für andere. Es findet eine grundlegende Veränderung statt, die bis ins Jahr 2020 andauert. Francis ist außerhalb des Gefängnisses nicht wieder straffällig geworden und arbeitet nun als stellvertretende Leiterin eines Einzelhandelsgeschäfts. Auch Malia profitierte von dem Kurs, obwohl sie einmal einen Rückfall hatte und kurzzeitig wieder inhaftiert wurde. Zurzeit absolviert sie ein Programm gegen Drogenmissbrauch und ist begeistert von dem Gedanken, bald nach einem Job zu suchen. April arbeitet in Vollzeit in einem gut laufenden Einzelhandelsgeschäft und strebt an, sich am Community College als Studentin einzuschreiben. Sie und Francis pflegen weiterhin ihre Beziehung, wobei beide absolut drogenfrei bleiben und sich wie gesetzestreue Bürgerinnen verhalten.

Die HFRJ trafen Kimo, den Sohn von Francis, als er 17 Jahre alt und gerade inhaftiert worden war. Kimo hatte 2012 eine Wiedereingliederungs-Versammlung, als dieses Verfahren im Jugendgefängnis von Hawaii als Pilotprojekt für Jugendliche initiiert wurde. April hatte diese damals besucht. Kimo ist jetzt 25 Jahre alt und befindet sich in einem Gefängnis für Erwachsene, nachdem er rückfällig geworden und zu Drogen und Kriminalität zurückgekehrt war.

In diesem Beitrag wird erörtert, wie die HFRJ dieser Familie mit drei Generationen von inhaftierten Mitgliedern durch lösungsfokussierte und wiedergutmachende Gemeinschaftsbildung geholfen haben. Der Familie fehlten emotionale und gesellschaftliche Ressourcen, um die sozialen Notlagen, denen sie ausgesetzt war, zu bewältigen. Die Wiedereingliederungs-Versammlungen der HFRJ, bei denen jeder Einzelne als der beste Experte seines eigenen Lebens betrachtet wird, unterstützten die Familie mit Gemeinschaftskontakten und Ressourcen. Für jedes Familienmitglied wurde eine Versammlung organisiert, und bei diesen Treffen besprachen sie, was sie brauchten, um über die erlittenen Verluste hinwegzukommen. Sie überlegten gleichzeitig, wie sie am besten Verantwortung übernehmen und eine positivere Zukunft schaffen könnten. Anstatt sich bei der Planung ihrer Zukunft auf einen Fallmanager3 zu verlassen, boten die Wiedereingliederungs-Versammlungen die Möglichkeit, selber zu bestimmen, was sie wollten und wie sie es erreichen könnten. Die Versammlungen tragen zum Aufbau sozialer Fähigkeiten bei, indem sie Familienmitglieder und andere Menschen aus dem näheren Umfeld in den Prozess einbeziehen. Die Gruppe kommt im Gefängnis zusammen, bevor der Einzelne entlassen wird.4 Die Versammlung verstärkt bzw. erweitert das soziale Netz des Einzelnen und hilft ihm, zu bestimmen, was er in seinem Leben will und wie er es erreichen kann. Meistens wünschen sich die Teilnehmenden ein Leben frei von Drogenmissbrauch und Kriminalität. Sie wollen Wiedergutmachung für früheres Fehlverhalten leisten, positive Beziehungen zu ihnen nahestehenden Menschen und zur Gemeinschaft, sie wollen Arbeit, Unabhängigkeit und Gesundheit.

Der folgende Abschnitt enthält auch Ergebnisse neuerer Forschungen über den Nutzen der Wiedereingliederungs-Versammlungen für nahestehende Menschen aus dem sozialen Netzwerk, die in den Gruppen mitwirken. Heilung wurde für die Zwecke der Forschung definiert als selteneres Immer-wieder-Erinnern schmerzhafter Ereignisse (Vergebung) und mehr Optimismus.

Hintergrund für versöhnende und lösungsfokussierte Wiedereingliederungs-Versammlungen

Die HFRJ sind eine kleine gemeinnützige Organisation (NGO), die Interventionen konzipiert, anbietet und erforscht, um Lösungen für ernste soziale Probleme zu finden. Seit 2003 nutzen die HFRJ lösungsfokussierte (solution-focused, SF) Ansätze für Interventionen restaurativer Verfahren. Über vielfältige Anwendungen solcher Ansätze in Schulen finden Sie in diesem Buch Beiträge von Ben Furman (siehe S. 193) und Sue Young (siehe S. 222).

Restaurative Verfahren stellen eine gemeinschaftliche Alternative zum traditionellen hierarchisch-autokratischen und konkurrenzbetonten Justizsystem (Walker, Rodgers a. Umbreit 2018) dar. Lösungsfokussierte Ansätze bedienen sich insbesondere sprachlicher Mittel und schätzen die Bedeutung von Beziehungen bei der Unterstützung von Menschen in Schwierigkeiten hoch ein, damit diese ihre eigenen Problemlösungen finden (Berg a. de Shazer 1993). Howard Zehr, der weithin als Pionier und Vorreiter in der Entwicklung der modernen »Restorative Justice«5 anerkannt ist, definiert sie wie folgt:

»›Restorative Justice‹ meint einen Prozess, der so weit wie möglich diejenigen einbezieht, die an einer bestimmten Straftat beteiligt sind, und bei dem Verletzungen, Bedürfnisse und Verpflichtungen gemeinschaftlich ermittelt und angegangen werden, um Verletzungen zu heilen und die Dinge so weit wie möglich in Ordnung zu bringen« (2002, S. 37; Übers. d. Ü.).

Im Jahr 2004 half Insoo Kim Berg, Mitbegründerin der lösungsfokussierten Kurztherapie, den HFRJ bei der Entwicklung des Prozesses zu Wiedereingliederungs-Versammlungen (Walker a. Greening 2010). Der Prozess war für inhaftierte Personen konzipiert, um bei geschädigten Verwandten und Freunden Wiedergutmachung zu leisten, Ziele festzulegen und einen Plan für die Erlangung oder Aufrechterhaltung eines rechtskonformen Lebens zu entwerfen. Zu den Teilnehmern der Versammlungen gehören die inhaftierte Person, ihre eingeladenen Freunde und Verwandte und alle anderen Unterstützer sowie ein Vertreter des Gefängnisses, in dem sie inhaftiert ist. Der Prozess wurde in anderen Ländern und Staaten nachgebildet. Seit 2015 wird er vom Bezirksgericht der Vereinigten Staaten in Honolulu bei Personen angewandt, die wegen Verbrechen nach dem Bundesstrafrecht inhaftiert sind, und seit 2017 bei Personen, die sich in Bewährung nach dem Bundesrecht befinden (Walker a. Kobayashi 2020).

Wiedereingliederungs-Versammlungen wenden die Prinzipien der »Restorative Justice« von Howard Zehr an. Er ist erstens der Ansicht, dass sich restaurative Verfahren von den Werten Respekt, Verantwortung und Beziehung leiten lassen muss (van Worman a. Walker 2013). Zweitens glaubt Zehr, dass es die innere Natur einer Praxis ist, die sie zu einer restaurativen Praxis macht. Er erteilt folgenden Rat:

»Letztlich laufen restaurative Verfahren auf eine Reihe von Fragen hinaus, die wir stellen müssen, wenn Unrecht geschieht. Diese Leitfragen erfassen in der Tat das Wesen der ›Restorative Justice‹« (Zehr 2002, S. 58; Übers. d. Ü.).

Die Leitfragen der »Restorative Justice« sind die folgenden:

1. Wer ist geschädigt worden?

2. Was sind die Bedürfnisse der Geschädigten?

3. Für wen ergeben sich daraus Verpflichtungen?

4. Wer ist in dieser Situation Beteiligter?

5. Welches ist der geeignete Prozess, um Beteiligte in dem Bemühen einzubeziehen, die Dinge in Ordnung zu bringen?

Die Versöhnungsphase des Wiedereingliederungs-Prozesses stellt auf der Grundlage von Zehrs Arbeit die folgenden drei Fragen:

1. Wer war von dem Verhalten und/oder der Inhaftierung der Person betroffen?

2. Wie waren diese Menschen betroffen? (bezieht sich auf diejenigen, die durch die erste Frage als betroffen erkannt wurden)

3. Was könnte getan werden, um den Schaden zu beheben?

Die Teilnehmenden einer Versammlung reflektieren und diskutieren diese Fragen offen. Die Diskussion hilft allen, die Wahrnehmungen und Erfahrungen der anderen zu verstehen, was wiederum zu Empathie, Verständnis und Heilung beitragen kann. Wenn Einzelne diese Fragen gemeinsam erforschen, hilft das diesen Menschen, sich emotional und sozial miteinander zu verbinden.

Als Nächstes befasst sich die Gruppe damit, wie der Einzelne seine Bedürfnisse nach einem gesetzeskonformen, gesunden Leben erfüllen will, und hilft ihm bei der Planung. Zu den Bedürfnissen gehören Wohnen, Arbeit oder finanzielle Bedürfnisse, Verkehrsmittel, Identifikation mit etwas/jemand, Erhaltung der körperlichen und emotionalen Gesundheit, Freizeitgestaltung sowie andere spezielle Bedürfnisse wie etwa rechtliche oder besondere Interessen, die angesprochen und geplant werden. Oft helfen die Unterstützer der Versammlung freiwillig mit, den Einzelnen bei der Erfüllung seiner Bedürfnisse zu unterstützen. Viele Familienmitglieder stellen sich zur Verfügung bei der Suche nach Arbeit, Transport und anderen Erfordernissen, die die inhaftierte Person im Gefängnis haben könnte oder nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis tatsächlich haben wird.

Der Planungsprozess für die Wiedereingliederung war ursprünglich auf O’ahu (der hawaiianischen Hauptinsel) für die vom Staat Hawaii inhaftierten Männer vorgesehen. Gegenwärtig werden die Versammlungen für Frauen in staatlichem Gewahrsam, für Frauen in Bundesgewahrsam, die sich in Erwartung ihrer Verurteilung oder kurz nach ihrer Verurteilung in Bundeshaft befinden, sowie für Frauen auf Bewährung nach Bundesrecht bereitgestellt.

Im Jahr 2015 wurde bundesweit ein Pilotprogramm eingerichtet für Personen in Bundesgewahrsam und in Erwartung einer Verurteilung (Walker a. Kobayashi 2020). Im Jahr 2017 wurden Personen, die sich unter der Aufsicht des Bundesgerichts in Honolulu auf Bewährung befanden, sowie Personen nach ihrer Verurteilung in das Pilotprogramm aufgenommen und konnten eine Wiedereingliederungs-Versammlung beantragen. Einzelne Richter des Bundesgerichts in Honolulu entscheiden zusammen mit der US-Staatsanwaltschaft und dem Anwalt der Person, ob ein Antragsteller vor oder nach der Verurteilung für eine derartige Versammlung infrage kommt.

Hawaii und andere Staaten, die im Sinne dieses Programms arbeiten, haben Versammlungen für Bewährungshäftlinge und ehemals Inhaftierte eingerichtet. Der Versammlungsprozess wurde ganz oder teilweise auch in anderen Bundesstaaten und Ländern eingeführt und nachgebildet, darunter Kalifornien, New York, Washington, D. C., Pennsylvania, North Carolina, Vermont, Bermuda sowie Ungarn, Japan, Spanien, Finnland, Indien, Singapur, Brasilien, Neuseeland und Nepal.

Wiedereingliederungs-Versammlungen als gemeinschaftsbildende Kraft

Die Wiedereingliederungs-Versammlung hat zwei Hauptzwecke, die zur Bildung einer Gemeinschaft beitragen:

1. Die Versammlung gibt der inhaftierten Person die Möglichkeit, den nahestehenden Menschen aus dem sozialen Netzwerk alle Verletzungen, die sie durch das Verhalten der Person in der Vergangenheit und durch den Verlust eines geliebten Menschen, in der Regel eines Kindes, Elternteils, Geschwisters, Freundes usw., im Gefängnis erlitten haben, wiedergutzumachen.

2. Die Wiedereingliederungs-Versammlung ist eine Gelegenheit für die inhaftierte Person, bei ihren geschätzten und von den Verletzungen betroffenen Freunden und Verwandten, ihrer Gemeinschaft Wiedergutmachung zu leisten und für die nächste Zeit einen Plan vorzubereiten, der ihre Ziele festlegt und eine Strategie zu deren Erreichung entwirft.

Schritte der Wiedereingliederungs-Versammlungen

Die Planung des Wiedereingliederungs-Prozesses beginnt damit, dass eine inhaftierte Person sich um eine Wiedereingliederungs-Versammlung bewirbt. Nachdem die HFRJ den Antrag erhalten haben, trifft sich als Nächstes ein Vermittler mit dem Antragsteller, um ein lösungsfokussiertes Gespräch zu führen. Während des Gesprächs macht sich dieser Vermittler einen ersten Eindruck von der Person.

»Ein hilfreicher lösungsfokussierter erster Eindruck setzt voraus, dass der Vermittler an der Oberfläche bleibt und ›tiefschürfende‹ Annahmen darüber vermeidet, warum sich die Personen so verhalten, wie sie dies zu einem bestimmten Zeitpunkt tun, und sich stattdessen auf die Wertschätzung jeder wie auch immer gearteten Darstellung fokussiert« (Lee, Sebold a. Uken 2003, S. 25; Übers. d. Ü.).

Nach dieser ersten Einschätzung beglückwünscht der Vermittler die Person dazu, dass sie eine Versammlung einberufen möchte, um für ihre Verwandten und Freunde Wiedergutmachung zu leisten, und dass sie einen Plan für ihre Zukunft machen möchte. Dieser »Aufruf zur Verantwortung«, wie er von Alan Jenkins (1990) beschrieben wird, liefert dem Antragsteller einen stabilen Grund in seiner positiven Motivation, seine Beziehungen zu Mitgliedern der Familie sowie Freunden und Unterstützern wiederaufzubauen bzw. aufrechtzuerhalten. Forschungen darüber, wie die Abstinenz von Kriminalität und Drogenmissbrauch funktioniert, zeigen, dass Beziehungen zu rechtskonform lebenden anderen Menschen entscheidend sind, um drogen- und straffrei zu bleiben (Maruna 2005). Während des Interviews werden keine Fragen darüber gestellt, welche Vergehen der Einzelne begangen hat, die zu seiner Inhaftierung führten. Stattdessen werden Fragen gestellt wie: »Wie sind Sie bisher so gut zurechtgekommen?« Diese Art von lösungsfokussierten Fragen hilft, das ganze Auftreten der Personen zu verändern, die häufig den Blick senken und sich ängstlich zeigen und die dann zu aufrechter Körperhaltung, offenem Blickkontakt und einem Lächeln übergehen (Walker a. Greening 2013).

Nach dem Gespräch beruft der Vermittler die Wiedereingliederungs-Versammlung ein. Diese Einberufung kann bis zu 20 Stunden benötigen, um mit allen Freunden, Familienmitgliedern und anderen Unterstützern Kontakt aufzunehmen, die die Person in ihrem Antrag zur Durchführung einer Versammlung aufgeführt hat und von denen sie hofft, dass sie daran teilnehmen möchten. Nach vielen Kontakten mit den Personen, die an dem Treffen teilnehmen werden, plant der Vermittler die Versammlung im Gefängnis.

Jede Versammlung dauert etwa drei Stunden. Die erste Frage, die der Vermittler der inhaftierten Person stellt, lautet: »Worauf sind Sie am meisten stolz bei all dem, was Sie seit Ihrer Inhaftierung erreicht haben?« Als Nächstes gehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung umher und jeder teilt mit, was ihm an der inhaftierten Person am besten gefällt und was er oder sie für ihre Stärken hält. Oft ist es das erste Mal, dass sich die Gruppe in dieser Weise auf eine respektvolle, positive Diskussion einlässt. Häufig werden sowohl die Inhaftierten als auch diejenigen, die auf deren Stärken hinweisen, von Gefühlen überwältigt und fangen an zu weinen.

Außerdem kommen die Grundbedürfnisse des Einzelnen für den Übergang und die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft zur Sprache. Zu den Bedürfnissen gehört es zu klären, wie es dem Einzelnen gelingen kann, Wiedergutmachung zu leisten und belastete Beziehungen zu seinen engsten Freunden und Familienmitgliedern und der Gemeinschaft wiederherzustellen. Ein vorrangiges Ziel des Wiedereingliederungs-Prozesses ist es, die Wiedergutmachungsbedürfnisse von nahestehenden Personen, denen der Einzelne Schaden zugefügt hat, zu befriedigen. Zu den weiteren Lebensbereichen eines Menschen, die zu einer gesetzeskonformen Lebensführung beitragen, gehören Wohnen, Arbeitsplatz, Transport, Lichtbildausweis und Dokumente, die für die Beschäftigung benötigt werden, körperliche und emotionale Gesundheit, Bildung, Freizeitgestaltung und alle anderen besonderen Bedarfslagen, z. B. Scheidung, Einwanderungsstatus, Umgang mit ausstehenden Bußgeldern usw., die ebenfalls während des Versammlungsprozesses besprochen werden (Walker a. Greening 2013).

Francis entschied in ihrer Versammlung, dass das tägliche Schreiben eines Tagebuches ihr helfen würde, sich emotional besser zu fühlen, aber ihr fehlten die Mittel, um ein Blanko-Notizbuch oder Papier zu kaufen. Unterstützer meldeten sich freiwillig und boten ihr an, ihr ein solches Tagebuch zu besorgen. Ein kostspieliges Bedürfnis, bei dem April von den Unterstützern in ihrer Versammlung Hilfe erhielt, war ein vollständiges künstliches Gebiss. Aprils jahrzehntelanger Heroinkonsum und die Schikanierung durch häusliche Gewalt hatten nämlich dazu geführt, dass sie alle ihre Zähne verloren hatte. Als Ergebnis von Aprils Versammlung wirkten drei gemeinnützige Vereine zusammen, damit April kostenlos einen kompletten Satz Zahnprothesen erhielt. Ohne diese Hilfe hätte sie sich das künstliche Gebiss nicht leisten können, und dadurch konnte April eine Arbeit im Einzelhandel finden, mit der sie bis zum heutigen Tag ihren Lebensunterhalt bestreitet.

Die Gruppe wird auch gefragt, ob und wann sie sich erneut treffen will, um zu besprechen, wie die inhaftierte Person oder andere, die sich freiwillig gemeldet haben, um sie bei ihrem Plan zu unterstützen, möglicherweise weitere Unterstützung benötigen. Normalerweise bitten die Betroffenen etwa sechs Monate nach dem ersten Treffen um eine Folge-Versammlung. Eine Person, mit der die HFRJ zusammenarbeitete, erhielt sechs Wiedereingliederungs-Versammlungen. Sie wurde zwar mehrmals wieder inhaftiert, aber die HFRJ hören nicht auf, daran zu glauben, dass es Hoffnung auf erfolgreiche Wiedereingliederung gibt.

Wenn die Versammlung sich dem Ende zuneigt, sagt schließlich jede Person etwas Lobendes über die inhaftierte Person. Das Treffen endet damit, dass die inhaftierte Person beschreibt, wie sie die Versammlung erlebt hat, und die Möglichkeit bekommt zu äußern, was sie der Gruppe sonst noch sagen möchte. Auch das ist ein sehr herzlicher, positiver Teil des Prozesses. Einige Tage nach dem Termin wird dem Inhaftierten bzw. dem Bewährungshelfer und den Teilnehmern der Versammlung ein detaillierter schriftlicher Plan zur Verfügung gestellt. Der Plan listet alle Stärken und Leistungen auf sowie die Art und Weise, wie die Person die Bedürfnisse, über die in der Versammlung gesprochen wurde, berücksichtigen will. Während einer Versammlung bieten Menschen oft auch freiwillig ihre Hilfe an, was ebenfalls in den Plan aufgenommen wird. Alle Aktivitäten werden mit Terminangaben versehen, z. B.: Tante Mig wird mit ihrem Nachbarn darüber sprechen, dass Francis sich bis zum 12. Dezember 2020 bei dessen Autowerkstatt um einen Job bewirbt.

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