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Reflexivität als Schlüssel zur sozialökologischen Transformation der Wirtschaft

Die Behauptung, die Wirtschaftswissenschaften leisteten in ihrem Hauptstrom heute keinen relevanten Beitrag zur angemessenen Bearbeitung globaler Herausforderungen, wie der Klimakrise, der Biodiversitätskrise oder der ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen, ist keine polemische. Im Gegenteil: Gerade, weil die vorherrschende Standardökonomik in ihrem selbstgebauten Käfig aus Marktidealisierung und Staatsskepsis, Gesellschaftsferne und Naturvergessenheit, Wettbewerbsüberhöhung und Kooperationsaversion, Gegenwartszentriertheit und Zukunftsabwertung gefangen bleibt, ist sie nicht in der Lage, das Notwendige jenseits verengter Kosten-Nutzen-Rationalität überhaupt zu denken.

Economists4future wollen die Wirtschaftswissenschaften aus diesem selbstgeschneiderten Korsett befreien. Dabei geht es uns gleichermaßen um die Freilegung der historisch-philosophischen Wurzeln des Nachdenkens über Wirtschaft, die Wiedereinbettung der Ökonomie in Gesellschaft und Natur sowie die Arbeit an sozialökologischen Transformationspfaden sowie lebensweltbezogenen und einladenden Narrativen, kurz: um reflektierte Gesellschaftsgestaltung.

Die Grundeinschätzung von economists4future lautet deshalb, dass sich die Ökonomik als Disziplin pluralistischer aufstellen muss. Sie muss Reflexivität zu einem ihrer Markenzeichen machen und sich systematisch als Sozialwissenschaft begreifen. Vor allem muss sie sich in Forschung, Lehre und öffentlicher Einmischung als Kraft verstehen, die zur Gestaltung einer »guten Gesellschaft« beitragen will und sie dafür als Ganzes ins Auge fasst. Manche nennen diese Aufgabe »Third Mission«. Ob das der richtige Begriff ist, soll weiter hinten noch einmal aufgegriffen werden. Betrachten wir zunächst die Reflexivität als inhaltliche Forderung.

RÜCKBEZOGENHEIT UND NACHDENKLICHKEIT

Reflexivität ist eine schillernde Kategorie, für die es keine einheitliche und disziplinenübergreifende Definition gibt. Im engeren Sinne lässt sie sich als Rückbezogenheit auf die Geschehnisse der Welt oder als Nachdenklichkeit beschreiben. Im Unterschied zur Reflexion, die eine Tätigkeit ist, ist Reflexivität eine Eigenschaft, durch die sich Subjekte oder soziale Systeme auszeichnen (können).

Im Unterschied zu anderen Eigenschaften, wie Impulsivität, Naivität und Borniertheit, bedarf die Reflexivität eines distanzierten und multiperspektivischen Betrachtens der Wirklichkeit. Ihr Wesenskern ist die Fähigkeit, von reinen Eigeninteressen abzusehen und die Standortgebundenheit der je eigenen Perspektive zu erkennen, so auch Manfred Moldaschl.

Reflexivität bedeutet aber keineswegs Standpunktlosigkeit oder gar Beliebigkeit, frei nach dem Motto »anything goes«. Die Kunst liegt darin, einen eigenen Standpunkt einzunehmen, der auf einer normativen Grundorientierungen fußt, zugleich aber fähig zu sein, multiperspektivisch auf die Welt zu schauen und Toleranz gegenüber den Ansichten und Urteilen Dritter zu üben, was wiederum Grenzen der Toleranz einschließt.

Reflexivität und Pluralität, Nachdenklichkeit und Meinungsvielfalt bedingen einander daher. Es ist offenkundig, dass Reflexivität in totalitären Systemen und Diktaturen keine Entfaltungsmöglichkeiten findet und auf verschiedenerlei Weise sanktioniert wird – bis hin zu Verfolgung und Bestrafung abweichender Meinungen.

Allerdings gibt es auch in freien Gesellschaften Mechanismen, die Reflexivität begrenzen können, etwa indem – verdeckt oder offen – institutionelle oder ökonomische Macht ausgeübt wird, Diskursräume eingeschränkt oder verschlossen werden und Ressourcen (etwa für Bildung, Forschung oder Berichterstattung) nur in bestimmte Meinungskorridore fließen.

REFLEXIVE MODERNISIERUNG

In den Sozialwissenschaften hat der Grundbegriff der Reflexivität seit den 1980er-Jahren eine beachtliche, wenn auch nicht unumstrittene Karriere gemacht, insbesondere durch die Arbeiten von Ulrich Beck und Anthony Giddens. Ihre Theorie der reflexiven Modernisierung geht von der Annahme aus, dass Staaten und Gesellschaften in der Moderne gezwungen sind, sich immer wieder mit den von ihnen selbst erzeugten Gefährdungen, Risiken und Nebenfolgen auseinanderzusetzen. Sie müssen die Realität deshalb im gesellschaftlichen Diskurs permanent beobachten und bewerten, ihre Grundannahmen überprüfen und bei Bedarf ihre Politiken und Praktiken problemadäquat ändern, insbesondere vor dem Hintergrund der ökologischen Herausforderungen und großer technologischer Veränderungen, wie der Digitalisierung.

Zwar gibt es an der Theorie der reflexiven Modernisierung durchaus grundsätzliche Kritik – von links etwa diejenige, dass der Fokus auf ökologische Risiken die Relevanz von Klassenunterschieden und Machtasymmetrien vernachlässige – aber der aufklärerische Gehalt dieser Theorie ist unzweifelhaft erheblich und für die Bearbeitung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit eine (neben anderen) sinnvolle und nützliche Leitorientierung.

In Bezug auf die Grundlagen der Wissenschaft und ihre Rolle in der Gesellschaft hat Ulrich Beck bereits 1986 in seinem Buch Risikogesellschaft eine Empfehlung ausgesprochen, die von zeitloser Aktualität ist:

»Rationalität und Irrationalität sind nie nur eine Frage der Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch der möglichen Zukunft. Wir können aus unseren Fehlern lernen – das heißt auch: eine andere Wissenschaft ist immer möglich. Nicht nur eine andere Theorie, sondern eine andere Erkenntnistheorie, ein anderes Verhältnis von Theorie und Praxis dieses Verhältnisses.«

Diese Aussage bildet die Brücke zum zweiten zentralen Begriff dieses Textes, der »Third Mission«. Als »dritte Mission« der Hochschulen wird neben Forschung und Lehre zunehmend die Beteiligung an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und den dazugehörigen öffentlichen Diskursen verstanden. Dies bezieht sich vor allem auf die großen sozialökologischen Herausforderungen, wie die Klimakrise, die Biodiversitätskrise oder die zunehmende soziale Disparität innerhalb der Gesellschaften sowie zwischen der Nord- und Südhemisphäre. Auch Pandemien wie die gegenwärtige gehören in diesen Kontext.

ÖFFNUNG ZUR GESELLSCHAFT

Die Wissenschaft soll also Impulse aus der Gesellschaft aufgreifen, den aktiven Austausch mit ihr suchen, gemeinsame Fragestellungen definieren, neue Formate von Theorie/Praxis-Kooperation erproben, bis hin zur »Citizen Science«, den Bürgerwissenschaften.

Das Akademische mit seiner nachvollziehbaren Eigenlogik, welche weltanschauliche Neutralität, disziplinären Aufbau und Unvoreingenommenheit ebenso einschließt wie Nüchternheit, Distanz und Abstraktion, soll also gewissermaßen aus dem Elfenbeinturm befreit werden. Es soll sich stärker an gesellschaftlichen Problemen und Bedarfen orientieren. Dies wiederum soll durch die besondere Förderung inter- und transdisziplinärer Forschung und Lehre sichergestellt werden.

Im etablierten Wissenschafts- und Hochschulsystem, das heute durch eine starke Priorisierung der Forschung gegenüber der Lehre gekennzeichnet ist, gab es gegen die Idee der »dritten Mission« keine nennenswerten Einwände, solange sich diese auf Technologiezentren, Gründerzentren oder Patentverwertungsagenturen bezog. Die Entwicklung von ökonomischen Verwertungsstrukturen für technisch-wissenschaftliche Innovationen an den Hochschulen wurde von vielen Wissenschafts-, Hochschul- und Wirtschaftsorganisationen gemeinsam vorangetrieben und von der Wissenschaftspolitik und der Industrie stark gefördert. Wenig erstaunlich also, dass in dieser verwertungsorientierten Logik vor allem die Ingenieur- und Naturwissenschaften als Trägerinnen der »dritten Mission« gesehen wurden und werden, die Sozial- und Geisteswissenschaften maximal als Begleitwissenschaften, etwa für Technikfolgenabschätzung oder zur Begleitung von Ausgründungen.

In dem Maße jedoch, in dem auch soziale Bewegungen, wie die Ökologiebewegung, die Friedensbewegung, die Solidaritätsbewegung oder alternativökonomisch orientierte Gruppen, begannen, Forderungen an das Wissenschafts- und Hochschulsystem zu richten und eigene Vorschläge zu unterbreiten, begann dessen organisierte Gegenwehr. Plötzlich war von der Gefahr die Rede, die Umsetzung von solcherlei Vorschlägen führe zur Ideologisierung, Politisierung und Verzweckung der Wissenschaften, münde in eine Gefährdung der Freiheit von Forschung und Lehre und sei deshalb abzulehnen, wie etwa bei Peter Strohschneider nachzulesen. Vor allem gegenüber dem Gedanken der sozialökologischen Transformation und der Idee, die »dritte Mission« zur »ersten Mission« zu machen und gleichzeitig die Lehre zu stärken und neu auszurichten, wie Uwe Schneidewind vorschlug, hat sich etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft scharf abgegrenzt.

POLITISIERUNG DER WISSENSCHAFTEN?

Gewarnt wird dabei nicht nur vor einer Politisierung der Wissenschaften, sondern auch vor einer Verwissenschaftlichung der Politik, vor einer Expertokratie. Ein Verständnis, in dem Politik nur noch das umzusetzen habe, was wissenschaftliche Expertise ihr aufträgt, führe letztlich zu einer Entpolitisierung der Politik. Der Akzeptanzverlust gegenüber repräsentativer Politik gehe so Hand in Hand mit wissenschaftlichem Qualitätsverlust.

Das ist starker Tobak. Und die Kritik der Wissenschaftsverbände wäre auch glaubwürdiger, wenn sie sich mit gleicher Vehemenz gegen Verzweckungstendenzen des Forschungssystems durch wirtschaftliche Interessen zur Wehr setzen würde. Davon ist seitens der großen Wissenschaftsorganisationen aber wenig bis nichts zu hören. Dennoch ist es gerade Aufgabe einer reflexiven Wissenschaft, sich mit beiden Argumenten auseinanderzusetzen – dem der Politisierung der Wissenschaften wie auch mit dem der Verwissenschaftlichung der Politik.

Was den Vorwurf betrifft, die sozialökologische Transformationsambition führe zur politischen Indienstnahme der Wissenschaften und gewähre ihrer ideologischen Lenkung schleichend Einzug, so ist dieser mindestens aus zwei Gründen fragwürdig.

Zum einen ist Wissenschaft kein von der Gesellschaft losgelöstes System, es ist vielmehr in sie eingebettet und sollte es auch sein. Es wird von der Gesellschaft mit Ansprüchen konfrontiert, wirkt aber umgekehrt auch auf sie ein. Es ist autonom, aber auch rechenschaftspflichtig. Es ist vernünftigerweise in hohem Maße selbstorganisiert, wird aber auch aus öffentlichen Mitteln finanziert, jedenfalls überwiegend.

Dass nun ausgerechnet die Forderung nach systematischer Berücksichtigung der vielleicht größten Gesellschafts-, ja Menschheitsherausforderung – der Bekämpfung der Klimakrise und des Umschwenkens auf einen Pfad nachhaltiger Entwicklung – die Freiheit der Wissenschaften gefährden und das Wissenschaftssystem Partikularinteressen ausliefern soll, ist einfach nicht realistisch. Es wirkt weit hergeholt und vermittelt unausgesprochen die Botschaft an die Gesellschaft: »Lasst uns in Ruhe unsere Innovationsarbeit tun und haltet uns nicht unnötig von der Forschung ab!« Man kann so eine Haltung natürlich einnehmen, den gesellschaftlichen Herausforderungen zugewandt ist sie nicht.

Zum anderen zielt die Idee der transformativen Wissenschaft ja nicht darauf ab, nun alle Disziplinen dem Regiment der Nachhaltigkeitsausrichtung zu unterwerfen. Gerade im Bereich der Grundlagenforschung oder etwa der Geisteswissenschaften wird kein vernünftiger Mensch auf die Idee kommen, sie permanent mit der Frage zu konfrontieren, welchen Beitrag zur großen Transformation sie denn zu erbringen gedenken. Es gibt keinen vernünftigen Grund, zweckfreie Grundlagenforschung und Transformationsforschung gegeneinander auszuspielen. Oder formulieren wir es pathetisch: Warum sollen sich Weltwissen und Weltgestaltung gegenseitig ausschließen?

Das Argument der Verzweckung, Politisierung und Ideologisierung der Wissenschaften durch den sozialökologischen Transformationsansatz kann also nicht wirklich überzeugen.

EXPERTOKRATIE STATT POLITIK?

Was das umgekehrte Argument betrifft – der Ansatz der transformativen Wissenschaft führe letztlich zur Entpolitisierung der Politik und zu ihrer sukzessiven Ersetzung durch eine Nachhaltigkeitsexpertokratie – so ist diesem auf den Grund zu gehen, weil es möglicherweise gehaltvoller ist. So wenig es einen generellen Primat der Politik über die Wissenschaft geben kann, so wenig kann es natürlich umgekehrt einen generellen Primat der Wissenschaft über das Politische geben.

Die Slogans der Fridays-for-Future-Bewegung »unite behind the science« oder »follow the science« ist in dieser Hinsicht zumindest erklärungsbedürftig. Es ist nicht so, dass sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen unmittelbar normative und politische Handlungsprinzipien ableiten lassen. Was man hingegen von jedweder Form von Politik erwarten muss, ist, dass sie sich an wissenschaftlichen Fakten zu orientieren hat, ob es um die Klimakrise oder den Biodiversitätsverlust geht, um die gegenwärtige Pandemie oder die (mangelnde) Resilienz von Gesellschaften.

Der politische Prozess kommt in den Debatten um eine sozialökologische Transformation häufig zu kurz. Der »schlechten Wirklichkeit« wird dann ein Ideal oder eine Utopie einer »besseren Welt« gegenübergestellt, während sehr wenig Energie darauf verwendet wird, wirklich begehbare Pfade zu entwickeln, die vom einen in den anderen Zustand führen. Tatsächlich folgen ja das politische und das wissenschaftliche System unterschiedlichen Logiken. Die politische Währung, mit der in Demokratien gezahlt wird, ist die (geliehene und befristete) Macht. Die Währungen der Wissenschaft sind Erkenntnis und Befähigung. Es ist deshalb durchaus sinnvoll, für eine gewisse Distanz der beiden Systeme zueinander zu plädieren.

Das heißt freilich nicht, dass es eine Mauer zwischen Wissenschaft und Politik geben sollte, durch deren Öffnung in die eine Richtung Fragenkataloge an die Wissenschaft gereicht werden und in die andere Richtung Wissenspakete an die Politik. Sollen beide Systeme ihre je eigene Funktionslogik behalten, dann müssen wechselseitige Resonanzbeziehungen gepflegt werden, ohne das je Eigene aufzugeben. Insofern wäre das Argument, eine transformative Wissenschaft führe zu einer Entpolitisierung der Politik und tendenziell zu einer wissenschaftsgestützten Expertokratie, nur dann zutreffend, wenn eine Politik mit mangelhaftem Selbstbewusstsein und schwachem Orientierungssinn auf eine anmaßende Wissenschaft mit Allmachtfantasien träfe, wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe.

FORSCHENDES LERNEN, LERNENDES FORSCHEN UND GESELLSCHAFTSGESTALTUNG

Als Zwischenfazit bis hierher soll deshalb festgehalten werden: Reflexivität verträgt sich in Lehre und Forschung nicht mit geistiger Monokultur, dogmatischer Starre, methodischer Verengung und erkenntnismäßigem Zwang. Reflexivität als Rückbezogenheit auf die Gesellschaft und Nachdenklichkeit im Analysieren, Interpretieren und Bewerten gesellschaftlicher Veränderungsprozesse trifft den Kern der »Third Mission« von Hochschulen.

Zu fragen bleibt in diesem Zusammenhang allein, ob die aufsteigende Nummerierung von erstens Forschung, zweitens Lehre und drittens dem Beitrag von Hochschulen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme überhaupt die angemessene Ausdrucksform der Herausforderung ist, vor der das »Bildungssystem« der Gesellschaft (von Kindergärten über Schulen und Hochschulen bis zu betrieblicher Bildung, Erwachsenenbildung und gesellschaftlichem Lernen) insgesamt steht. Vielleicht geht es ja gar nicht um etwas »Drittes«, also Zusätzliches, sondern um etwas im umfassenden Sinne Integrales: um lernendes Forschen, forschendes Lernen, reflektierte Gesellschaftsgestaltung.

Reflexivität und die Ambition von Gesellschaftsgestaltung sind denn auch die ärgsten Gegnerinnen des TINA-Denkens (»There is no Alternative«), das auch heute noch in weiten Teilen der akademischen Welt gepflegt wird. Womit wir auch schon beim Thema des vorliegenden Bandes sind, der Ökonomie beziehungsweise der Ökonomik, der Wissenschaft vom Wirtschaften. Gerade im Hauptstrom dieser Disziplin, der viele der hier versammelten Autor*innen zumindest formal angehören, wird eine Kultur der Pluralität, der Reflexivität und der konstruktiven Gesellschaftsgestaltung nicht gepflegt.

DIE NATURVERGESSENHEIT DER WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN

Auf die Herausforderungen der Klima- und der Biodiversitätskrise beispielsweise mit ihrem gewaltigen Risikopotenzial in Gegenwart und Zukunft hält die Wirtschaftswissenschaft in ihrem Hauptstrom kaum Antworten bereit und wenn doch, dann solche, die den Problemen nicht gerecht werden. Obwohl klar ist, dass es um eine große Nachhaltigkeitstransformation von Wirtschaft und Gesellschaft geht, um das Respektieren von Naturgrenzen ebenso wie um globale Gerechtigkeitsfragen, hält sie bei theoretischen Postulaten wie praktischen Empfehlungen eisern am Gewohnten fest.

Beginnen wir mit dem Blick auf die Natur und das Mensch-Natur-Verhältnis. Die Natur ist dem neoklassischen Hauptstrom der Wirtschaftswissenschaften nichts anderes als eine Ressource für den Menschen, die noch einmal hinsichtlich ihrer Funktion aufgespalten wird, nämlich in ihre Quellenfunktion (erneuerbare und nicht-erneuerbare Ressourcenquellen) und ihre Funktion als aufnehmende Senke für Abgase, Abfälle und Abwässer aus Siedlungen, Produktion, Konsumtion und Verkehr.

Die Reflektierten unter den Standard-Ökonom*innen beziehen in diese anthropozentrische und ressourcenzentrierte Sichtweise auf die Natur durchaus auch (monetarisierbare) Ökosystemdienstleistungen ein oder ermitteln per Zahlungsbereitschaftsanalyse die (monetarisierbare) Wertschätzung der Befragten für Naturschutzgebiete. Immer aber bleibt die Natur eine Ressource für den Menschen. Als Pikanterie am Rande: In dieser Logik wird nicht nur die Natur zur Naturressource (für die Menschen), sondern die Menschen selbst zur Humanressource (für andere Menschen). Für Erwägungen zu Eigenrechten des nichtmenschlichen Lebens ist im kategorialen System der neoklassischen Ökonomik aber ebenso wenig Raum wie für die Ideenwelt von Begrenztheit und Endlichkeit.

Dass im Verhältnis von Menschen und (anderen) Tieren in den letzten Jahrhunderten und vor allem seit den 1950er-Jahren vieles eine falsche Richtung genommen hat, ist beispielsweise prinzipiell kein Thema in den Wirtschaftswissenschaften. Dabei korreliert etwa die Ausbreitung von virusbedingten Krankheiten, die uns momentan so sehr beschäftigt, deutlich mit dem immer stärkeren und nutzungsgetriebenen Vordringen in tropische Wildnisgebiete und dem Verzehr von Wildtieren (HIV, Ebola, COVID-19 und ähnliches) sowie mit dem Wachstum der produktivitätsgetriebenen Massenhaltung von Nutztieren (etwa Hühnergrippe, Schweinepest, Maul- und Klauenseuche), was auch Donald Worster konstatiert.

Das kategoriale System der vielgepriesenen Kosten-Nutzen-Analysen, das doch ein Höchstmaß an ökonomischer Rationalität für sich beansprucht, funktioniert hier also überhaupt nicht. Auch andere externe Folgen der Massentierhaltung, wie Nitrat im Grundwasser durch enorme Güllefluten oder das Auftreten von multiresistenten Keimen durch den vermehrten Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung, werden durch das Instrumentarium der neoklassischen Ökonomik systematisch ignoriert oder unterbewertet.

Merke: Wenn das Instrument der Kosten-Nutzen-Analyse Sinn machen soll, was aus einer reflexiv-kritischen Perspektive durchaus kategorial zu bezweifeln ist, dann sind auch die externen Kosten systematisch einzubeziehen. Und da, wo man sie nicht kennt oder näherungsweise abschätzen kann, sollten eigentlich Vorsorge und Umsicht geboten sein.

Das idealisierte Prinzip des Wettbewerbs mit seiner »No risk, no fun!«-Ideologie wird da zum Vabanquespiel, wo prinzipiell angenommen wird, dass schon alles gutgehen wird. Einer Externalisierungsökonomie, die Gewinne privatisiert und Kosten auf die Gesellschaft abwälzt, kann das Attribut »effizient« beim besten Willen nicht zugeschrieben werden.

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