Kitabı oku: «Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext», sayfa 5
5 Erweiterung der Anforderungsprofile
Die besten Zukunftsaussichten werden allgemein zwei Arten von Tätigkeiten zugesprochen: Zunehmender Technologieeinsatz erfordert erstens hochspezialisierte Arbeitskräfte, die mit Daten umgehen können und entsprechende Qualifikationen besitzen: „Data analysts, which companies expect will help them make sense and derive insights from the torrent of data generated by technological disruptions“ (World Economic Forum 2016 zitiert in Wörwag & Cloots 2018:46). Dies gilt auch für die TranslationTranslationals Sprachdienstleistung: Alle Arten von Daten, die im Zusammenhang mit Übersetzungen und Mehrsprachigkeit anfallen, von Translation-Memories über Terminologie und Textkorpora bis hin zu Segmentierungsregeln und Auftragsspezifikationen (Melby et al. 2013), müssen für eine optimale Nutzbarkeit in verschiedenen Formaten aufbereitet, gespeichert und verwaltet werden. Eine weitere zukunftsträchtige Tätigkeit liegt darin, komplexe Dienstleistungen und technologische Angebote verständlich zu machen und eine beratende Vermittlerrolle zwischen automatisierter Produktion und Kund:innen einzunehmen:
To become skilled in commercializing and explaining their offerings to business or government clients and consumers, either due to the innovative technical nature of the products themselves or due to new client targets with which the company is not yet familiar, or both. (World Economic Forum 2016 zitiert in Wörwag & Cloots 2018:46)
Gemeinsam ist beiden Tätigkeiten, dass es sich um kreativ-gestaltende Arbeit handelt, die sich von der reinen Produktion emanzipiert hat. Genau in diese Richtung sind die neuen KompetenzenKompetenzen moderner Sprachdienstleister:innen zu definieren: Den Kommunikationsprozess zu planen und zu gestalten, den Zieltext mit kontextspezifischen Informationen anzureichern, damit die zentrale Aufgabe, effiziente Kommunikation zu gewährleisten, erfolgreich übernommen werden kann.
Furthermore, the space for the human translator will always stand where the question asked is not: ‚Is this a good translation?‘ but rather ‚Is this effective communication?‘, something that no machine will be able to answer for the foreseeable future. (Griffin-Mason 2018:79)
Effektive mehrsprachige Kommunikation wurde in den einzelnen Kommunikationsbereichen u.a. durch eine zunehmende Auffächerung und DiversifizierungDiversifizierung der zentralen Aufgabenbereiche angestrebt. Bei größeren Übersetzungsaufträgen ist eine vertikale Diversifizierung bereits Standard: Projektmanager:innen, Übersetzer:innen, Korrektoren:innen, fachliche Prüfer:innen, Terminolog:innen übernehmen jeweils spezifische Aufgaben des Projektes. Daneben erfordert die Art der BerufsausübungTranslation jeweils eigene Voraussetzungen und Kompetenzen: Freischaffende, in ein Unternehmen integrierte Sprachdienstleister:innen, Sprachdienstleister:innen als Teil eines Teams oder eines Sprachendienstes, innerhalb einer öffentlichen Institution oder Organisation angesiedelte Sprachdienstleister:innen benötigen jeweils spezifische KompetenzenKompetenzenunternehmerische Kompetenz.
Auf horizontaler Ebene lässt sich ebenfalls eine Aufsplitterung von SprachdienstleistungenTranslationals Sprachdienstleistung in autarke Bereiche mit eigenen, spezifischen Anforderungen beobachten: Web- und Softwarelokalisierung, Untertitelung, Voice-Over, Synchronisierung, Konferenzdolmetschen, Gesprächsdolmetschen, Konsekutivdolmetschen, RI, RSI, Community Interpreting, literarisches Übersetzen, Übersetzen von Rechtstexten, Übersetzen von technischen Texten, mehrsprachige technische Redaktion, um nur die wichtigsten zu nennen. Diese zunehmende Segmentierung erschwert eine einheitliche Definition von Translationskompetenz.
Zwei Alternativen bieten sich daher für eine AusbildungAusbildungMasterstudium im Bereich der Sprachmittlung an: Entweder sehr spezifisch auf einen der genannten Kommunikationsbereich zugeschnitten, mit einem exakt für diesen Aufgabenbereich definierten Kompetenzraster. In diesem Sinne sind in den letzten Jahren einige spezifische Ausbildungsgänge entstanden, etwa durch Auffächerung und Spezialisierung der Masterstudiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses, aber auch durch spezifische Postgraduate-Angebote.
Alternativ dazu könnte der Schwerpunkt auf allgemeine ProblemlösungskompetenzKompetenzenProblemlösungskompetenz durch Translation gelegt werden, fokussiert auf komplexe Problemlösungskompetenz und spezifisch ausgerichtet auf das Vermitteln von kognitiv-kreativen Fähigkeiten im Bereich der Mehrsprachigkeit. Dazu stellt der Bericht der Weltbank 2019 Folgendes fest:
Three types of skills are increasingly important in labor markets: advanced cognitive skills such as complex problem-solving, sociobehavioral skills such as teamwork, and skill combinations that are predictive of adaptability such as reasoning and self-efficacy. (Weltbank 2019:3)
Prozesse verstehen und planen, Wissen verarbeiten und kreativ einsetzen bleibt eine wesentliche Aufgabe des Menschen: „Insofern wird von WissensarbeTranslationals WissensarbeititerInnen zunehmend strukturiertes, konzeptionelles, ideenreiches und prozessorientiertes Arbeiten verlangt werden“ (Imbacher 2018:38). Von Übersetzungsproduzenten werden Sprachdienstleister:innen künftig zu „creative agents in the multilingual text production chain“ (Massey & Ehrensberger-Dow 2017:304), da es Nachfrage vor allem nach „Transcreators, Spoken Content Specialists, Brand Ambassadors, Local Storytellers, Conversational Agent Consultants“ (Whitty 2019:25) geben wird. Die Anforderungen an Absolventen:innen universitärer Ausbildungsgänge steigen dadurch erheblich und müssen sich für Themenbereiche wie kreatives Schreiben, internationales Marketing, Medienvielfalt und Projektmanagement öffnen: „If translators are to survive, they must make the transcreational turn” (Katan 2016:378).
Menschliche FähigkeitenTranslationals menschliche Fähigkeit bleiben unverzichtbar, sie müssen nur an richtiger Stelle eingesetzt werden, und nicht durch sinnlose Konkurrenz mit den Produktionsmöglichkeiten effizienter Maschinen verheizt werden. Eine Spaltung des Übersetzungsmarktes lässt sich davon ableiten: Ein zunehmend der Automatisierung und dem Preisverfall unterworfener Bereich der Produktion und ein wachsender Bereich des Managements, der Qualitätssicherung und der Beratung.
For human translators and interpreters, and the companies that employ them, the surviving paid roles will be those that require soft skills and the application of quality markers beyond the scope of the machines. (Griffin-Mason 2018:76)
Letzterer ist nicht nur auf einzelne Übersetzungsaufträge oder Übersetzungsprojekte beschränkt. Organisationen, Unternehmen und Institutionen benötigen spezifisches Knowhow, wie Mehrsprachigkeit und Translation langfristig organisiert werden können. Dies beinhaltet vor allem den Einsatz von Technologie, aber auch Qualitätskontrolle und Projektmanagement. Der Aufbau einer geeigneten translatorischen Infrastruktur mit der Planung von Software, Datenmanagement, Projekt- und Qualitätsrichtlinien sowie Personalplanung bedingt entsprechende Entscheidungen, die unter den Begriff der Translationspolitik zusammengefasst werden können. Translationspolitik wird nicht nur als der gesetzlich vorgegebene Rahmen für Translation verstanden (vgl. Meylaerts 2011:165), sondern beinhaltet jedes bewusste und/oder unbewusste Gestalten bzw. Steuern von Translation unabhängig von einzelnen Personen sowie unabhängig von spezifischen Übersetzungen oder Übersetzungsaufträgen (Sandrini 2019:67). Translationspolitische EntscheidungenTranslationspolitik wirken sich auf die Infrastruktur, die Ausbildung und die Praxis aus und spielen überall dort, wo Mehrsprachigkeit durch Translation bewältigt werden muss, insbesondere auch in Gebieten und Organisationen mit offizieller Mehrsprachigkeit, eine wichtige Rolle. Dies stellt umfassende Herausforderungen an das Kompetenzprofil von Sprachdienstleister:innen, die zu Sprachberater:innen bzw. ‚Language Advisors‘ (Melby & Hague 2019) und Expert:innen der Translationspolitik ausgebildet werden.
6 Ausblick
Der Mensch wird erst durch den wohlüberlegten Einsatz der technologischen Möglichkeiten zum ProblemlöserKompetenzenProblemlösungskompetenz. In diesem Sinne wird Technologie in all ihren Formen sowohl für das Übersetzen als auch für das Dolmetschen künftig eine natürliche Erweiterung seiner Fähigkeit (vgl. Clark 2003) darstellen, mit Mehrsprachigkeit umzugehen. Das Vermitteln der dazu nötigen Kompetenzen ersetzt die einseitige Ausbildung zu Produzent:innen von Übersetzungen oder Dolmetschleistungen. Auf das spezifische Knowhow der Sprachdienstleister:innen kann auch angesichts der technologischen Neuerungen kaum verzichtet werden. Eine optimistische Sichtweise in die Zukunft lässt Sprachdienstleister:innen damit von lästigen, als notwendiges Übel angesehenen Kommunikationsprothesen zu freudig eingesetzten Wegbereitern und Katalysatoren einer bewusst gewählten, gewinnbringenden Mehrsprachigkeit werden.
Literatur
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Spracherleben, Verständigung und Kommunikationsbedarf in multilingualen Kontexten
Judith Purkarthofer
Abstract: Kommunikation ist ein individuelles – expressives, aber auch identitätsstiftendes – Moment, ebenso wie ein Bedarf von Gesellschaften und Vergesellschaftung. Die Wahl der sprachlichen Mittel ergibt sich aus individuellen Vorlieben wie auch aus geteilten Vorerfahrungen, biographischem Spracherleben aber auch ideologisch geprägten Einschätzungen und Imaginationen von geteiltem Wissen oder divergierender Kompetenz. Als soziolinguistisch orientierte Grundlage für die beobachtbaren translationskulturellen Verschiebungen beleuchtet der Beitrag die Rolle multilingualer Kontexte für die Möglichkeiten mehrsprachigen Ausdrucks aber auch für ein potentiell gesteigertes Bewusstsein mehrsprachigen Kommunikationsbedarfs in superdiversen Gesellschaften.
1 Spracherleben und mehrsprachige Sprecher:innen
Sprecher:innen, mit ihrem diversen, auch mehrsprachigen Spracherleben, gestalten ihren Alltag in verschiedenen Sprachen und Sprachformen, sprechen mit ihren Eltern anders als mit ihren Kolleg:innen, auf Ämtern anders als im Verein oder in der Glaubensgemeinschaft. Die Kriterien der nur wenig bewussten Sprachwahl in bestimmten Situationen werden selten explizit formuliert, und folgen doch komplexen Regeln, die im Laufe eines Lebens erworben werden und sich je nach Biographie verändern. Selbst Sprecher:innen, die sich als einsprachig verstehen, nutzen interaktions- und situationsadäquat verschiedene Teile ihres sprachlichen Repertoires: Fachbegriffe oder Kosewörter, Dialekte, Umgangs- oder Standardsprachen, aber auch bedeutungstragende nonverbale Elemente. Das sprachliche Repertoiresprachliches Repertoire (Busch 2017a, b) umfasst alle diese Ressourcen, die Sprecher:innen in ihrem Alltag zur Verfügung stehen oder aber als symbolische Ressourcen von Bedeutung sind. Es ergibt sich aus individuellen Voraussetzungen und Vorlieben wie auch aus geteilten Vorerfahrungen, biographischem Spracherleben, aber auch ideologisch geprägten Einschätzungen und Imaginationen von geteiltem Wissen oder divergierender Kompetenz bezüglich Sprachen. Es setzt die verschiedenen Einflüsse und Erlebnisse miteinander in Beziehung und ist daher keine Werkzeugkiste, deren Elemente sich nicht beeinflussen, sondern ein gewachsenes, dynamisches Gefüge, das für Veränderungen offen bleibt.
Forschungen zu mehrsprachigem Erleben haben sich in den letzten Jahren mit den von Sprecher:innen erlebten Wechselwirkungen zwischen Sprachen und Gesellschaft beschäftigt1: Ziel dabei war/ist, zu verstehen, wie sich Sprecher:innen mit ihren Sprachen fühlen, welche ihnen als Ressource dienen, aber auch welche Erlebnisse von Ausgrenzung oder Konflikten sie damit verbinden. In meiner eigenen Forschung stehen Familien und Bildungskontexte im Zentrum, wobei ich besonders die Frage interessant finde, wie sich Sprecher:innen ihre sprachliche Zukunft ausmalen und wie das ihre gegenwärtigen Entscheidungen beeinflusst. Am Beispiel einer Sprecherin aus einem aktuellen Projekt zu deutschsprachigen Familien in Norwegen (Purkarthofer & Steien 2019), soll hier mehrsprachiges Spracherleben illustriert und ein Beispiel für die komplexen Zusammenhänge des linguistischen Repertoires gegeben werden:
Abb. 1:
Bild Sprachporträt
Frau A ist als junge Erwachsene mit ihrem Partner aus beruflichen Gründen von einem DACH-Land nach Norwegen ausgewandert, wo sie mit ihren zwei Kindern leben. Ihre Sprachbiographie beginnt mit dem Zeichnen eines Sprachporträts (Busch 2017a), indem sie die Sprachen, die für sie relevant sind, in eine leere Körpersilhouette einzeichnet und beschreibt, in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen bzw. mit welchen Emotionen diese verbunden sind. Deutsch, Englisch und Norwegisch werden als die Sprachen ihres Alltags zentral im Kopf und Körper positioniert. Frau A beschreibt, wie jede dieser Sprachen eine besondere Bedeutung für sie hat – die bildliche Darstellung übereinander oder parallel steht also nicht für Austauschbarkeit, sondern für die sprachliche Funktion, die nur durch das Zusammenwirken der Sprachen erfüllt werden kann. Als mehrsprachige Sprecherin in einem Beruf, der sehr großen kommunikativen Anteil hat, beschreibt Frau A im folgenden Ausschnitt ihre Wahrnehmung als mehrsprachige Sprecherin, mit einem besonderen Fokus auf Sprecher:innen der Mehrheitssprache, u.a. ihre Kolleg:innen in der Arbeit:
Exzerpt 12: Vielleicht [erlebe ich das, Anm.] auch, weil ich so aussehe wie ich aussehe und Norwegisch spreche, also ich mein jeder hört, dass ich Ausländer bin, aber trotzdem, ich sprech natürlich gut und, dass eigentlich der Umstand, dass ich Migrant bin, ist etwas was grundsätzlich nicht wahrgenommen wird, also die meisten Leute denken NIE daran, dass ich jeden Tag mit denen ja‚ ne Fremdsprache sprech. Und das ist schon ok, aber ich finde manchmal/ also das hat ja sehr viele Vorteile, aber ich finde der Nachteil ist, sozusagen, das eigene Migrantendasein ist so mein Privatvergnügen.
Die hier formulierte Wahrnehmung macht zwei Aspekte des SpracherlebensSpracherleben deutlich, einmal die erlebte Einordnung oder auch Nicht-Einordnung als Migrantin und zweitens die Anstrengung des Agierens in einer Zweit-, Dritt- oder Viertsprache und die Nicht-Wahrnehmung dieser Anstrengung durch Kolleg:innen. Während Frau A sich des Privilegs einer gewissen Unsichtbarkeit sehr bewusst ist (u.a. wenn sie die Vorteile erwähnt), formuliert sie doch auch eine Unzufriedenheit, die sich aus der Unkenntnis (und der von ihr empfundenen Interesselosigkeit an) ihrer Situation speist.
Neben den drei Sprachen im Zentrum stehen auf der linken Seite im Porträt außerdem die Sprachen, die Frau A selbst in der Schule erlernt hat. In Rahmen des Projekts, in dem ich mit Frau A spreche, steht mehrsprachiges Familienleben im Zentrum und dementsprechend ist auch die eigene Herkunftsfamilie relevant. Aber auch die Sprachen der Arbeit werden immer wieder thematisiert. Frau A ist jedoch die einzige TeilnehmerIn, die in ihrem SprachporträtSprachporträt gedolmetschte Sprachen erwähnt: Auf der rechten Seite sind jene Sprachen aufgeführt, die ihr in ihrem Beruf teilweise nur durch Dolmetschung zugänglich werden: Somali, Farsi, Pashto, Dari, Thai, Französisch und Englisch. Dabei sind Norwegisch und Englisch als Sprachen aufgeführt, in die gedolmetscht wird bzw. die als Verständigungssprachen mit Sprecher:innen anderer Sprachen genutzt werden.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt die Rede auf Fragen der Sprachwahl und unter anderem auch auf die Entscheidung für eine zweisprachige Schule für die eigenen Kinder.
Exzerpt 2: Wenn wir jetzt an der norwegischen Schule wären, dann wär halt/ unser Sohn würde da halt mitlaufen [mhm] und dass wir halt jetzt Migranten sind, das wär halt so ein bißchen 'ja mei' und in der deutschen Schule sind ja alle Migranten, [mhm] oder nicht mal, viele sind ja auch diese Expatriots, ja aber, auf jeden Fall aber alle leben irgendwie nicht zuhause und das find ich unglaublich, also sowohl sprachlich [mhm] find ich das angenehm, weil man halt zum Beispiel schon Verständnis dafür hat, dass man mehrere Sprachen spricht, und so, aber auch einfach so/ als so ‚ne Bewusstheit, dass sozusagen das nicht selbstverständlich ist, dass ich Sachen mach wie du.
Die Unsichtbarkeit, die Frau A in Bezug auf ihre eigene Position wahrnimmt, antizipiert sie auch für die Kinder: In einer (nur) norwegischsprachigen Schule würden sie einfach wie alle anderen sein. Dies stützt sie auch auf bisherige Erfahrungen aus dem norwegischsprachigen Kindergarten, in dem der sprachliche Hintergrund ihres Kindes kaum wahrgenommen wurde. Als ein relevanter Faktor für die Wahl der deutsch-norwegischen Schule wird also das geteilte Spracherleben der Migrationserfahrung gesehen, das abstrahiert wird zu einer generellen größeren Offenheit der zweisprachigen Schule gegenüber dem mehrsprachigen Alltag der Familien. Und schließlich auch gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen.