Kitabı oku: «Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext», sayfa 6

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2 Mehrsprachige Kontexte

Diese kurzen Gesprächsausschnitte geben bereits Einblicke in die zahlreichen Weisen, wie sich mehrsprachige Kontexte für Sprecher:innen gestalten: in der Familie, in Arbeit oder Schule, in der Wohnumgebung, um nur einige zu nennen. In allen diesen sozialen Räumen beeinflussen spezifische sprachliche Erwartungen und Anforderungen die sprachliche Wahl von Sprecher:innen, aber auch ihre Möglichkeiten und eventuelle Bedürfnisse nach Dolmetschung.

In der linguistischen Forschung lassen sich an der Begriffsgeschichte des ‚Kontexts‘ relevante Paradigmenwechsel feststellen, da die Verschiebungen der als relevant erachteten Analyseeinheiten immer auch mit einem veränderten Verständnis von Kontext einhergingen. Duranti & Goodwin (1992) fassen vier Aspekte von Kontext zusammen: setting, behavioural environment, language as context und extrasituational context. Sie weisen darauf hin, dass neue Kontexte sich aufgrund veränderter Aktivitäten ergeben (neue Tätigkeiten, Orte, etc.), aber auch, indem im Gespräch verschiedene Kontexthinweise (zeitliche, räumliche Orientierung durch sprachliche und nonverbale Mittel) gegeben werden. Damit sind Kontexte also nicht per se gegeben, sondern werden von handelnden Sprecher:innen bewusst oder unbewusst gestaltet. Schon Malinowski bezog sich in frühen Arbeiten (2002 [1935]) auf den Kontext einer Situation als relevant für das Verständnis sprachlichen Handelns und soziolinguistische Studien haben zunehmend die Bedeutung des sozialen Kontexts wahrgenommen. Goffman (1980) hat diese interaktionale Arbeit als framing bezeichnet, das dazu dient, Gesprächsbeiträge in ein verständliches Format zu bringen, auf die Wissensstände der Interaktanten einzugehen und eventuell notwendige Kontexthinweise zu geben.

Schließlich geben Duranti & Goodwin aber auch noch ein Beispiel, das die Abgrenzung zwischen Sprecher:innen und Kontext problematisiert: Der Blindenstock, den ein Mann verwendet, kann als Teil des Kontexts verstanden werden. In dem Maß, wie der Stock aber der verlängerten Sinneswahrnehmung dient, kann er als Teil des Sprechenden gelesen werden. Die Mittel, die uns als Sprechenden zur Verfügung stehen, um uns in einem bestimmten Kontext zu bewegen, sind also analytisch nicht leicht zu erfassen. Die Autoren kommen zu dem Schluss: „One of the great difficulties posed in the analysis of context is describing the socio-historical knowledge that a participant employs to act within the environment of the moment“ (Duranti & Goodwin 1992:4f.).

In mehrsprachigen KontextenMehrsprachigkeit stellt sich die Frage nach dem Bedarf an Wissen oder Kenntnissen mit noch größerer Dringlichkeit, unter anderem, weil die sprachlichen Repertoires von Sprechenden nicht gleichartig gestaltet sind. Annahmen von speech communities (Gumperz 1964), also Gruppen von Sprecher:innen, die regelmäßig über längere Zeiträume in relativ stabilen Zusammenhängen agieren, gingen von relativ geteilten Repertoires aus. Aktuelle Befunde sehen hingegen, dass Sprecher:innen sich in diversen Gesellschaften bewegen und in lokaler Umgebung, ebenso wie über medial vermittelte größere Entfernung Kontakte in verschiedenen Sprachen pflegen und daher Anteil an mehreren communities haben, von denen nur wenige unmittelbar sichtbar sind (Kramsch & Zhu 2020). Im nächsten Abschnitt möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen, wie sich mehrsprachiger Kommunikationsbedarf in bestimmten Kontexten zeigt, wissend, dass diese Auswahl niemals der Komplexität menschlicher Lebenswelten entsprechen kann.

3 Kommunikationsbedarf in diversen Gesellschaften – Beispiele aus der Praxis

Forschung zu mehrsprachigen Sprecher:innen geht davon aus, dass die meisten Menschen im Alltag in verschiedenen Sprachen (oder auch Sprachformen einer Sprache) interagieren, sich in mehreren sozialen Räumen bewegen und sich dabei in vielen Bereichen entspannt und gut ausgestattet fühlen. In anderen Bereichen bedarf es jedoch sprachlicher oder kommunikativer Unterstützung, und bisweilen sind diese Interaktionen sogar schambehaftet, etwa wegen als defizitär wahrgenommener sprachlicher Voraussetzungen. Die folgende Auswahl von Kommunikationskontexten gibt demgemäß ein Kontinuum wieder: Es reicht von lebensweltlicher Mehrsprachigkeit in Familien zu Sprachentscheidungen von Gemeinschaften, in denen Minderheiten oder Mehrheitssprachen vertreten sind. In anderen Fällen muss der Zugang zu sprachlichen Ressourcen wieder erworben werden, wie bei ‚verlorenen/verdrängten‘ Kindheitssprachen in Fällen von Traumatisierung. Wiederum anders stellt sich die Situation für Menschen dar, die geflüchtet oder migriert sind, und sich nun in noch neuen sprachlichen Zusammenhängen wiederfinden. Dazwischen bzw. darum gibt es natürlich noch viele andere Kontexte, in denen sprachliches Handeln stattfindet und in denen Anforderungen unterschiedlicher Art an Sprecher:innen gestellt werden.

Manche Kontexte, etwa in der Familie aber auch im Bereich traditioneller Minderheitensprachen, sind wenig prädestiniert für den Einsatz von Dolmetschung. Auch der Einsatz von Sprachen, die als lingua franca verwendet werden können (in Österreich etwa oft Englisch), minimiert etwa im Feld von Journalist:innen und Medien den sichtbaren Bedarf. In anderen hingegen ist der Bedarf von Dolmetschung mit großer Dringlichkeit gegeben: In jedem Fall können wir jedoch davon ausgehen, dass Dolmetschen in komplexen mehrsprachigen Kontexten stattfindet, in denen sich alle Beteiligten ihrer linguistischen Repertoires bedienen, um gemeinsame kommunikative Ziele zu erreichen.

4 Vier Kontexte, viel Kommunikationsbedarf
4.1 Mehrsprachige Familien und lebensweltliche Mehrsprachigkeit

Statistiken in europäischen Ländern, ebenso wie im DACH-Raum, bestätigen, dass nicht nur die Anzahl der verwendeten Sprachen pro Person steigt, sondern auch eine DiversifizierungDiversifizierung der sprachlichen Ressourcen stattfindet. Exemplarisch führen die Zahlen der österreichischen Schulstatistik zu dem Schluss, dass ein Viertel aller Kinder in den Pflichtschulen im Alltag zusätzlich zu Deutsch noch mindestens eine weitere Sprache verwendet (BMB 2017), und ähnliches ist für Deutschland und die Schweiz anzunehmen. Das bedeutet also, dass in Familien mehrsprachige Praktiken an der Tagesordnung sind: in der alltäglichen Kommunikation in der Wohnumgebung, aber auch durch die größere Verfügbarkeit medialer Formate des unmittelbaren Austauschs mit Verwandten und Freund:innen über größere Distanzen. Untersuchungen zu Familiensprachpolitiken zeigen, wie alltäglich sprachliches Handeln in mehr als einer Sprache in Familien verhandelt wird (siehe Special Issues von King & Lanza 2019 oder Lanza & Curdt-Christiansen 2018). Dolmetschung zwischen Familienmitgliedern und externen Personen findet meist durch Familienmitglieder statt und umfasst sowohl Laut- als auch Gebärdensprachen (Johnson 2020).

In den letzten Jahren konnten vor allem auch Studien zur Nutzung von Online-Plattformen oder Kommunikationsapps zeigen, wie die sprachliche Gestaltung von familiären Netzwerken sich in der Diaspora entwickelt (Lexander & Androutsoupoulos 2019). Am Beispiel polnischsprachiger Jugendlicher, die mit ihren Familien nach Norwegen migriert sind, zeigt Obojska (2017), wie die Teenager Englisch, Norwegisch und Polnisch nutzen, um sich in der Familie, aber vor allem auch als Produzent:innen von Videoblogs zu positionieren. Während das Norwegische vor allem durch die Schule sehr schnell die im Alltag relevanteste Sprache wird und das Englische wie in vielen Bereichen als zukunftsweisendes Kommunikationsmittel wahrgenommen wird, erfüllt das Polnische online eine wichtige Rolle (u.a. durch das im Vergleich zum Norwegischen potentiell viel größere polnischsprachige Publikum). Eine der befragten Jugendlichen erlebt sich in diesem Sinn auch als Botschafterin, die für Jugendliche aus Polen aus einem neuen Land berichtet und sich zwar nicht als Dolmetscherin, aber doch als kommunikative Mittlerin erlebt. Kontext und Wissen um das erreichte Publikum spielen dabei auch in virtuellen Räumen wie Foren und Kommentarbereichen noch eine wichtige Rolle (Szabla & Blommaert 2018). Relevant werden die von Deumert (2014) als mobile practices bezeichneten Kommunikationsformen, wenn sie aufgreifen, was Jacquemet (2005) als transidiomatische Praktiken beschrieben und Pennycook mit Sprache als lokal verortete Praxis theoretisiert hat (2010 sowie 2016). Sprecher:innen nutzen ihre mehrsprachigen Ressourcen parallel bzw. wechseln je nach Bedarf zwischen verschiedenen Sprachen, Registern oder Sprachformen. Wunsch und Wirklichkeit sind dabei natürlich nicht immer deckungsgleich, d.h. es ist durchaus wahrscheinlich, dass Sprecher:innen manche ihrer Ressourcen gern öfter nutzen würden, und sich andererseits zur Verwendung anderer eher gezwungen fühlen. Die Möglichkeit, in der eigenen Sprachwahl handlungsfähig zu bleiben (als agency in der Forschung untersucht), ist nicht nur individuell verhandelt, sondern stets auch an soziale Zusammenhänge gebunden. Dieser Bereich soll im nächsten Beispiel beleuchtet werden.

4.2 Veränderungen des Repertoires bei Sprecher:innen von heritage languages

Die linguistischen Repertoires von Sprecher:innen verändern sich über die Zeit, durch individuelle Bewegung, durch Ausbildung oder Beruf und auch aufgrund sozialer Bewertungen verschiedener sprachlicher Ressourcen. Damit befinden sich Sprecher:innen mit ihren Sprachen bisweilen in der Mehrheit (etwa mit Deutsch in Österreich), aber auch manchmal in Situationen, in denen manche ihrer Sprachen Minderheitensprachen darstellen. Der Begriff heritage languages verweist auf das mehrsprachige Spracherleben der Sprecher:innen, das unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer (in einem spezifischen Gebiet rechtlich anerkannten) Gruppe ist. Der Status der Sprachen, etwa die traditionelle Unterteilung in Regional- und Minderheitensprachen (wie etwa Slowenisch in Kärnten und der Steiermark oder Romani im Bundesgebiet) und Migrantensprachen (wie etwa Türkisch oder Polnisch) ist für manche Fragen natürlich nach wie vor relevant, erscheint in der Komplexität des Spracherlebens vielen aber nicht mehr passend. Sprecher:innen des Kärntner Slowenischen sind in Wien etwa nicht als Sprecher:innen einer Minderheitensprache anerkannt. Als Sprecher:innen von heritage languages können also jene bezeichnet werden, die aufgrund ihrer eigenen oder der mehrsprachigen Biographie ihrer Familie mit Sprachen aufwachsen, die nicht die Mehrheitssprache in ihrer Umgebung darstellen. Dabei kann auch Deutsch, etwa in den USA, eine heritage language sein. Die Vielfalt der Sprachen und die Diversität der mehrsprachigen Situationen lassen schon erahnen, dass man sich hier keine homogene Sprecher:innengruppe vorstellen kann – aber auch, dass es keine einfachen Linien zwischen sprachlich homogen imaginierten Gruppen gibt. Sprachwechsel oder auch Spracherhalt, der üblicherweise nicht alle sprachlichen Aspekte, sondern bestimmte Interaktionen und Situationen betrifft, sind relevante Themen für Sprecher:innen, deren Familienbiographien mehrsprachig verlaufen: Unter welchen Umständen sehen sich Eltern in der Lage, Sprache weiterzugeben und unter welchen Umständen werden Sprecher:innen ihre verschiedenen Ressourcen ausbauen oder weiter nutzen? Der US-amerikanische Anthropologe Paul Kroskrity (2018) stellt am Beispiel von zwei indigenen Gemeinschaften dar, wie sich Sprachideologien, also die Vorstellung, welche Sprachen zukunftsweisend, welche unabdingbar und welche eventuell mit Erfahrungen von Unterdrückung verbunden sind, auf den Erhalt von Sprachen auswirken. In jenem Dorf, das in der eigenen indigenen Sprache Möglichkeiten für zukünftige Projekte, u.a. nachhaltigen Tourismus, sah, wurde der Weitergabe und Verwendung größerer Stellenwert eingeräumt. Er unterstreicht aber auch, dass diese Ideologien nicht notwendigerweise von allen geteilt werden bzw. dass auch einander widersprechende Ideologien zur selben Zeit koexistieren können und je nach Bedarf aktiviert werden. Für den Sprachunterricht, aber auch für Institutionen und Behörden ist ein Verständnis der hegemonialen Sprachideologien von großer Bedeutung, können sie doch erklären, warum sich Sprecher:innen etwa im Kontakt mit Behörden nicht ihrer Erstsprachen, sondern z.B. ehemaliger Kolonialsprachen bedienen bzw. generell die Sprachwahl in verschiedenen Situationen nicht nur utilitaristisch motiviert ist. Gleichzeitig stärken Initiativen, die z.B. Dolmetschung aus Erstsprachen ermöglichen und diese nicht als nur lokal relevante Dialekte abqualifizieren, das Ansehen von Heritagesprachen und transportieren auch die Botschaft, dass diese gesehen und gehört werden (können).

Für manche Sprecher:innen erscheint die Verwendung ihrer Erst- oder Heritagesprachen an einem bestimmten Punkt unmöglich, etwa als Folge traumatischer Erfahrungen. Busch und Reddemann (2013) beschreiben den Fall einer Frau, die als Kind die Sprache ihres kriegstraumatisierten Vaters eng verbunden mit Misshandlungen erlebte und sich daraufhin in andere Sprachformen zurückzog bzw. versuchte, die Familiensprache so vollständig wie möglich zu verdrängen. Im Zuge einer therapeutischen Behandlung konnten andere sprachliche und kommunikative Ressourcen, etwa spirituelle Ausdrucksformen und auch Kommunikation mit Tieren, aktiviert werden und über diese gewählten Mittel konnte dann auch die Sprache der Kindheit wieder zugänglich werden. Auch in therapeutischen Settings ist die Bedeutung von Sprachen also zu verhandeln und auch die Erstsprache bietet bisweilen nicht privilegierten, sondern im Gegenteil sehr problematischen Zugang.

4.3 Zugang zu neuen kommunikativen Ressourcen – gewollt oder erzwungen

Durch individuelle Mobilität aber auch veränderte Rahmenbedingungen finden sich Sprecher:innen in Situationen, in denen sie für sie neue sprachliche Ressourcen erschließen möchten oder müssen. Im Fall von Gerichten oder Behörden, die mit Asylangelegenheiten oder Aufenthaltsrechtssachen befasst sind, aber auch im Gesundheitswesen sind diese Ressourcen ausschlaggebend für das weitere Wohlergehen (Pöllabauer 2013). Bereits Duranti & Goodwin (1992) beschreiben die Herausforderungen, die das Gesprächsereignis Verhandlung an die Beteiligten stellt und aktuelle Forschung zu Dolmetschungen in Gerichtsverfahren (Inghilleri 2011, für Österreich auch Dorn et al. 2014) unterstreicht diese Analysen: Handlungsmöglichkeiten, Rederecht und Informationserhalt sind unmittelbar an Zugang zu den relevanten sprachlichen Ressourcen gebunden, entweder durch Dolmetschung, durch Beratung oder eigene Kenntnisse. Für mehrsprachige Sprecher:innen, die auf ein einsprachig vorgestelltes System treffen, ergeben sich Schwierigkeiten aus der ungenügenden Passung und viele schildern ihr Erleben von unzureichender Ausstattung (Maryns 2005). Für Dolmetscher:innen bietet wiederum die Rolle als gate-keeper (Pöllabauer 2012) besondere Herausforderungen. Das wiederholte Erleben von kommunikativen Ausschlüssen stellt einen wesentlichen Faktor dar, warum mehrsprachige Sprecher:innen gegenüber manchen Sprachen aber auch Kommunikationssituationen Widerstände entwickeln.

In der Frage, wie Zugang zu sprachlichen Ressourcen selbstbestimmt erfolgreich sein kann, können wir von Initiativen wie Community Medien (Steinert et al. 2006, COMMIT 2016) lernen: In der Studie Spaces of Inclusion (Bellardi et al. 2018) standen die Vermittlungsleistungen im Zentrum, die sich durch Mitarbeit und Engagement in nicht-kommerziellen Medieninitiativen ergeben. Dabei waren unerwartete sprachliche Allianzen zu beobachten, die vor allem die Relevanz situationsadäquater Angebote unterstrichen. Translokale sprachliche ‚Mittlungshilfen‘ (etwa in Form von Onlinewörterbüchern) nehmen Einfluss auf das mehrsprachige Erleben von Sprecher:innen, aber auch die erlebte Verbindung von aktueller Umgebung und Herkunftsland. Für Menschen, deren Lebensmittelpunkt sich erst kürzlich verlagert hat, können transnationale Medienangebote demgemäß auch eine über das Internet hergestellte Verbindung zu bisherigen sozialen Netzwerken sein. Als besonders relevant hat sich in diesem Zusammenhang der selbstbestimmte Umgang mit Anfragen, aber auch die Möglichkeit und nicht Verpflichtung zu sprachlicher Unterstützung herausgestellt. Fachliche Kenntnisse und Expertisen können leicht durch unbedachte Angebote, die auf sprachliche Hilfestellung abzielen, entwertet werden – gleichzeitig beschreiben Trainer:innen in den Freien Radios aber auch, dass gerade Informationstage und Workshopangebote sprachlich herausfordernde Situationen darstellen, in denen Mittlung, aber auch Zeitreserven und die Bereitschaft zur gemeinsamen Kommunikation notwendig für das Gelingen der Angebote sind. Aus Rückmeldungen von Teilnehmer:innen lässt sich schließen, dass Personen ihre fehlenden Sprachkenntnisse als Hindernis erleben und als erfolglos beurteilte Interaktions- oder Bildungsangebote sich in der Wiederholung sehr demotivierend auf weitere Angebote und Unternehmungen auswirken. Für Anbieter:innen von Kursen stellt sich also die praktische Frage, wie Kommunikations- und Vermittlungsbedarf realistisch eingeschätzt, aber vor allem auch situationsadäquat organisiert werden kann.

5 Verständigung in mehrsprachigen Gesellschaften

Wir sehen, wie divers sich der Zugang zu mehrsprachigen Kontexten gestaltet, wenn wir an die kommunikativen Bedürfnisse mehrsprachiger Jugendlicher denken, die sich über mediale Kanäle als Sprecher:innen verschiedener Sprachen ausprobieren, oder auch an Medienmacher:innen, die im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Zugang zu sprachlichen Ressourcen erhalten, während sie wiederum als Akteure des Zugangs für Neuankömmlinge wirken. Sprache wirkt dabei als interaktives Phänomen, nicht nur als Medium einer Botschaft, sondern als komplexer Träger von Bedeutung und sozialer Bewertung. Die Anforderungen an sprachlichen Austausch, und noch mehr an Dolmetschung, sind also zu lesen in einem Verständnis davon, nicht zwischen zwei Sprachen, sondern zwischen Kommunikationskulturen zu übersetzen, in der ganz in Prunčs (2017) Überzeugung relevant wird, dass alle Handelnden an der Aushandlung beteiligt und für die Rahmenbedingungen verantwortlich sind.

KommunikationspraktikenKommunikationsverhalten verändern sich mit den veränderten Bedürfnissen, teilweise in rasanter Geschwindigkeit, während die prinzipiellen Ansprüche an gelungene Kommunikation sich wenig ändern. Die gesellschaftliche Bewertung von Sprachen, Verständigung und Mehrsprachigkeit hat hingegen über die Zeit doch entscheidende Veränderungen erfahren. Unter den relevantesten Herausforderungen ist wohl die Abkehr von der Vorstellung, dass eine einzige gemeinsame Sprache als Garant für gelungene Kommunikation gesehen werden kann. Forschung im Bereich Translation, aber auch zur institutionellen KommunikationInstitutionelle Kommunikation, war u.a. ausschlaggebend dafür, zu verstehen, dass sprachliche Bedürfnisse nicht standardisiert zu beantworten sind und Verständnis nur interaktiv und damit kontextsensitiv geschehen kann. Für die Forschung bedeutet das auch, zu überdenken, mit welchen Benennungen oder Gruppenvorstellungen wir agieren, wo wir Sprecher:innen agency über ihre eigene sprachliche Zugehörigkeit einräumen – und etwa wahrnehmen, dass mehrsprachige Sprecher:innen bisweilen in ihrer Mehrsprachigkeit wahrgenommen, aber nicht dauerhaft und unabwendbar damit identifiziert werden möchten – und welche Vorstellungen von Sprachkenntnissen wir einsetzen und als ‚gut genug‘ akzeptieren.

Literatur

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