Kitabı oku: «Entwicklungslinien des Dolmetschens im soziokulturellen Kontext», sayfa 7

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Zur technikgestützten Translationskultur im DACH-Raum

Video- und audiobasiertes Dialogdolmetschen im Gesundheits- und Gerichtswesen

Ivana Havelka

Abstract: Die Translationskultur im DACH-RAUM wurde in den letzten Jahrzehnten grundlegend durch die Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt. Die technikgestützte interpersonale Kommunikation schafft nachhaltig neue translatorische Betätigungsfelder und eine noch nie dagewesene Vielfalt an Dolmetschformen. Der folgende Artikel hat zum Ziel, die technikgestützte Translationskultur im DACH-Raum zu beschreiben. Zunächst veranschaulicht eine Synthese der Grundsätze der technikgestützten Dolmetschung den hochkomplexen translatorischen Handlungsrahmen aus der Ferne. Abschließend wird im Ländervergleich die audio- und videobasierte Translationskultur umrissen.

1 Vielfalt durch Technik

Ereignisse wie wirtschaftliche Krisen und gesellschaftliche Umbrüche sind die treibende Kraft des technischen Wandels TechnologieWandelbeim Dolmetschen. Fantinuoli (2018b) nennt in Bezug auf die Dolmetschpraxis folgende Meilensteine: 1) die Etablierung der Simultandolmetschanlagen nach den Nürnberger Prozessen, 2) Kommunikation und Austausch über das Internet, 3) Entwicklung technikgestützter Dolmetschformen sowie dolmetschrelevanter Technik – Computer-assisted interpreting tools (CAI-Tools). Im Zuge der dynamischen Entwicklungen der letzten fünf Jahre können zwei weitere geopolitische Ereignisse, die den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in der interpersonalen Kommunikation deutlich verstärkt haben, hervorgehoben werden. Zum einen wurde die Sprachenlandschaft durch starke Migrationsströme in den Jahren 2015 und 2016 geprägt1. Zum anderen hat die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, verursacht durch die weltweite Covid-19-Pandemie, gezeigt, wie die Kommunikationskultur maßgeblich verändert werden kann. Aufgrund der Ansteckungsgefahr durch das Virus wurde im DACH-Raum in Einrichtungen des Gerichts-, Sozial- und teilweise auch Gesundheitswesens zunehmend das Ferndolmetschen als Alternative zum Dolmetschen vor Ort eingesetzt.

Als einer der Wegbereiter der allgemeinen Translationstheorie stellte bereits Kade fest, dass aufgrund des kontinuierlich steigenden Bedarfs an Sprachmittlung eine „Intensivierung und Effektivierung“ (Kade 1980:10) des Angebots notwendig ist, die unter anderem mit der „Schaffung praxisgerechter und praxiswirksamer Hilfsmittel bis hin zu automatischen Übersetzungshilfen“ (Kade 1980:11) zu bewältigen ist. Trotz großem Interesse seitens der Auftraggeber:innen war lange Zeit der Einsatz von FerndolmetschtechnikFerndolmetschen für Dolmetscher:innen nicht vorstellbar (vgl. Mouzourakis 2003). Jüngste Entwicklungen brachten aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Dolmetschpraxis eine Vielfalt an technikgestützten Dolmetschformen hervor. Hiervon umfasst sind sowohl dolmetschrelevante Arbeitsprozesse in der Vor- und Nachbereitung unterstützt durch CAI Tools (vgl. Kalina & Ziegler 2015, Fantinuoli 2018a) als auch die Wiedergabe des Ausgangstextes per Video oder Audio aus der Ferne (vgl. Braun & Taylor 2012), die schriftliche Wiedergabe eines gesprochenen Textes beim Schriftdolmetschen (vgl. Platter 2019) oder als Live-Untertitelung mittels automatischer Spracherkennung (vgl. Romero-Fresco 2019). Selbst die Dolmetschausbildung ist auf den Technikeinsatz angewiesen. Mit der allgemeinen Digitalisierung nehmen TerminologiedatenbankenTechnologieprozessorientierte Technologie, digitale Notizengeräte und andere Hilfsgeräte eine immer größere Rolle in der Dolmetschausbildung und -praxis ein. Schließlich ist auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz beim maschinellen Dolmetschen als technikgestützte Dolmetschform zu nennen.

2 Grundsätze der technikgestützten Dolmetschung

Mit dem zunehmenden Einsatz der Ferndolmetschformen ist eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Unterschieden zwischen den verschiedenen Ausführungsarten erforderlich. Das video- oder telefonbasierteTechnologiesettingorientierte Technologie bidirektionale Dolmetschen verlangt aufgrund der technikbedingten Realisierungsform gezielte und auf die jeweils eingesetzte Technik angepasste Dolmetschstrategien. Im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort können für das audio- und videobasierte Dolmetschen folgende vier Grundsätze vorgeschlagen werden (Havelka 2020).

Grundsatz: Anders als vor Ort

Als kommunikative Handlung ist das Dolmetschen an die Realisierungsbedingungen des eingesetzten Kommunikationsmediums gebunden. Die technisch bedingte interpersonale Kommunikation unterliegt anderen Gegebenheiten als jenen vor Ort (vgl. Friebel et al. 2003:4). Hierbei ist unter anderem der Einsatz von nonverbaler Kommunikation und Backchannel-Signalen als Feedback zur Wahrnehmungsbereitschaft zu nennen (vgl. Havelka 2018b:114). Demzufolge ist das Dolmetschen aus der Ferne als eine eigene Dolmetschform zu verstehen.

Grundsatz: Digitale Kompetenzen

Digitale KompetenzenKompetenzendigitale Kompetenzen stellen einen Bestandteil des ganzheitlichen Dolmetschkompetenzmodells (vgl. Kadrić 2011) dar. Beim Dolmetschen aus der Ferne, z.B. audio- und videobasiertem Dolmetschen, werden die Anforderungen an die digitalen Kompetenzen von Dolmetschenden deutlich erweitert (vgl. Havelka 2019b: 170). Um die dolmetschrelevanten digitalen Kompetenzen zu erfassen, kann der Referenzrahmen für Digitale Kompetenzen (DigComp) der Europäischen Union (2018) herangezogen werden, der grundsätzlich aus fünf Kompetenzbereichen besteht: Informations- und Datenkompetenz, Kommunikation und Kooperation, Erstellung digitaler Inhalte, Sicherheit und Problemlösung. In Bezug auf das Dolmetschen mit IKT sind die genannten Kompetenzbereiche auf folgende Weise zu verstehen:

 Informations- und DatenkompetenzDie terminologische Vorbereitung ist vor jedem Dolmetschauftrag unumgänglich. Dieser Kompetenzbereich umfasst jene Fähigkeiten, die eine auftragsbezogene Internetrecherche zur Terminologie, das Filtern, das Auswählen von relevanten Hintergrundinformationen sowie das Speichern und Verwalten der Terminologie ermöglichen.

 Kommunikation und KooperationDer technikgestützte Austausch, die digitale Zusammenarbeit und Nutzung von IKT für die audio- und videobasierte Dolmetschung sind von diesem Kompetenzbereich umfasst. Grundlegend sind hierbei der Einsatz technikbedingter Dolmetschstrategien sowie eine an die eingesetzte Technik angepasste Vorgehensweise.

 Erstellung digitaler InhalteAnders als bei einer Dolmetschung vor Ort entstehen durch die audio- und videobasierte Dolmetschung neue digitale Inhalte, die über digitale Wege verbreitet werden können. Der Umgang mit auditiven und visuellen Daten ist in diesem Kompetenzbereich zentral.

 SicherheitDie geltenden Datenschutzbestimmungen in Hinblick auf die Datensicherheit von Geräten und den DatenschutzDatenschutz von Inhalten und personenbezogenen Daten und auch auf den Schutz des sozialen, physischen und psychischen WohlbefindensFerndolmetschendigital wellbeing (engl. digital wellbeing) sind von diesem Kompetenzrahmen umfasst.

 ProblemlösungDer Kompetenzbereich Problemlösung umfasst sowohl die Lösung von technischen Problemen als auch den kreativen Einsatz von technikgestützten Lösungen im Dolmetschprozess.

Grundsatz: Wahrnehmung

Die RealisierungsbedingungenFerndolmetschenRealisierungsbedingungen der audio- und videobasierten Gesprächssituation sind grundlegend von den jeweiligen technikbedingten Wahrnehmungsmöglichkeiten abhängig. Die Wahrnehmung erfolgt in der Gesprächssituation über zwei Informationsquellen: die auditive und die visuelle Informationsquelle. Situative Hinweise werden durch den Kontext der Dolmetschung generiert. Auditive, visuelle und situative Hinweise aus der technikgestützten Gesprächssituation können getrennt voneinander oder als ganzheitliches Phänomen auf den translatorischen Handlungsauftrag umgelegt werden. Die hier zum Tragen kommende referentielle Kompetenz ist als eine metakommunikative Kompetenz zu verstehen (vgl. Havelka 2018b: 158ff.).

Grundsatz: Höhere Belastung

Bisherige Untersuchungen zum videovermittelten Dolmetschen zeigen, dass Ferndolmetschen bei Dolmetscher:innen zu Stressgefühlen führen, die Ermüdung beschleunigen (vgl. Moser-Mercer 2003) und EntfremdungsgefühleDigitalisierungEntfremdung (vgl. Mouzourakis 2003) sowie ein Gefühl von Kontrollverlust (vgl. Moser-Mercer 2005) verursachen kann. Die höhere Belastung kann auf zwei Formen von Einflussfaktoren zurückgeführt werden: interne und externe Einflussfaktoren. Als externe EinflussfaktorenFerndolmetschenexterne Einflussfaktoren sind umgebungs- und technikbedingte Störfaktoren zu verstehen. Interne EinflussfaktorenFerndolmetscheninterne Einflussfaktoren hängen direkt mit der Person der DolmetscherIn zusammen und können durch mangelnde terminologische Vorbereitung oder fehlende digitale Kompetenz, aber auch nicht technikangepasste Dolmetschstrategien verstärkt werden. Implikationen der Ferndolmetschung, wie die räumliche und soziale Distanz, können den Vertrauensaufbau zwischen den Gesprächsbeteiligten erschweren (vgl. Braun 2004:23, Havelka 2018b: 115ff.).

3 DACH-Länderüberblick nach Einsatzbereichen

Anhand ausgewählter Bereiche, in denen das Ferndolmetschen im Einsatz ist, wird ein Länderüberblick geboten, um die derzeitige technikgestützte Translationskultur zu skizzieren. Hierbei wird der Fokus vor allem auf das video- und audiobasierte Ferndolmetschen im Gerichts- und Gesundheitswesen gesetzt.

3.1 GesundheitswesenDolmetschenim Gesundheitswesen

Das medizinische Dolmetschsetting ist vor allem durch die hohe Spontanität des Dolmetschbedarfs gekennzeichnet. Als eine Lösung zur Überwindung von spontanen sprachlichen Hürden kann das TelefondolmetschenTelefondolmetschen eingesetzt werden (vgl. Bischoff & Grossmann 2007). In Österreich wird Telefondolmetschen über Sprachedirekt seit 2009 im medizinischen Setting angeboten (vgl. SpracheDirekt GmbH 2020), während in der Schweiz das Telefondolmetschen seit 2011 vonseiten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und AOZ eingesetzt wird und stetig steigt (vgl. BAG 2020). Der videobasierte Einsatz hingegen wird in der Schweiz erst seit 2019 eingesetzt und dokumentiert (vgl. Interpret 2019). Aufgrund des hohen Bedarfs ist das video- und audiobasierte Dolmetschen in Deutschland in zahlreichen medizinischen Einrichtungen (vgl. Harrer & Kupfer 2017, Borde 2018) sowie in der medizinischen Beratung zu einer notwendigen Alternative für das Dolmetschen vor Ort geworden. Auf den zunehmenden Einsatz des Ferndolmetschens im GesundheitswesenDolmetschenim Gesundheitswesen hat sogar der größte deutsche Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen mit Empfehlungen in Form eines Positionspapiers reagiert (vgl. Bundesverband der Übersetzer und Dolmetscher – BDÜ 2018). Der Forschungsstand zum video- und telefonvermittelten Dolmetschen im DACH-Raum hingegen ist noch gering1.

Der Überbegriff Ferndolmetschen oder auch Teledolmetschen (engl. remote interpreting) umfasst sowohl das audio- als auch das videobasierte Dolmetschen.FerndolmetschenRealisierungsbedingungen Das audiobasierte Dolmetschen ohne visuelle Hinweise zur gedolmetschten Gesprächssituation ist primär in Form des Telefondolmetschens (engl. telephone interpreting, over-the-phone interpreting) bekannt2. Das TelefondolmetschenTelefondolmetschen, als älteste Form des Ferndolmetschens, ist aufgrund seiner weiten Verbreitung und einfachen Handhabung, bei der nur minimale technische Voraussetzungen erforderlich sind, flexibel einsetzbar. Folglich wurde der erste Telefondolmetschdienst bereits 1973 in Australien (vgl. Ozolins 1991), später in den USA und Großbritannien (vgl. Ozolins et al. 1999, Ko 2006) eingeführt und ist bis heute in den öffentlichen Einrichtungen dieser Länder etabliert.

Langer & Wirth (2014) untersuchten den Einsatz des Telefondolmetschens in einer deutschen Kinderklinik im Rahmen einer Pilotstudie mittels quantitativer Fragebogenbefragung (2010–2011). Dabei wurde die Zufriedenheit bzw. das Interesse an einer Telefondolmetschung erhoben (n=479). Obwohl das medizinische Personal mit der spontanen Verfügbarkeit und die befragten Eltern mit der hohen Kommunikationsqualität durch das Telefondolmetschen zufrieden waren, gaben nur 8,7 % der Befragten konkretes Interesse am Telefondolmetschen an. Dabei kann das Telefondolmetschen im Vergleich zum Dolmetschen vor Ort den Einsatz von qualifizierten Dolmetscher:innen ermöglichen, die nicht nur die sprachliche Verständigung gewährleisten, sondern auch die Einhaltung der Therapie unterstützen und dazu beitragen können, dass Untersuchungen und lange Aufenthalte in medizinischen Einrichtungen vermieden werden (vgl. Langer & Wirth 2014:279).

Bedingt durch die starken Migrationsbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 war die medizinische Versorgung in Deutschland sowie die damit verbundene notwendige sprachliche Verständigung, mitunter auch wegen der unklaren Kostenübernahme, überlastet. In der Erstversorgung der Migrant:innen wurden unterschiedliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der SprachbarrierenSprachbarriere eingesetzt. Neben dem Dolmetschen vor Ort wurden in zeitknappen Situationen sowie nachts das Videodolmetschen und webbasierte Übersetzungsprogramme eingesetzt (vgl. Heer 2016:336).

In zehn ErstaufnahmeeinrichtungenDolmetschenim Gesundheitswesen Hamburgs wurde neben dem Dolmetschen vor Ort auch das Videodolmetschen eingesetzt. Die Studie von Mews et al. (2017) zur ambulanten Versorgung in Hamburg zeigt anhand einer quantitativen Querschnittserhebung wie unterschiedlich die Strategien zur Bewältigung der sprachlichen Barrieren ausfallen können. Niedergelassene Ärzt:innen (n=178) gaben in der Onlinebefragung an, dass sprachliche Probleme in medizinischen Gesprächssituationen mehrheitlich über Familienangehörige (n=94), bzw. auch über die Fremdsprachenkenntnisse der Praxisangestellten (n=59), den Einsatz nonverbaler Kommunikation (n=40) sowie mit Übersetzungsapps oder anderen technischen Mitteln (n=14) gelöst werden (vgl. Mews et al. 2017:463). Der Einsatz von Videodolmetschen wäre für 61 % der befragten Ärzt:innen (n=108) vorstellbar, auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken bestehen.

Derzeit sind in Deutschland qualifizierte Sprach- und Integrationsmittler:innenDolmetschenals Sprach- und Integrationsmittlung telefon- und videobasiert in medizinischen und sozialen Einrichtungen über den Verein SprInt gemeinnützige eGenossenschaft im Einsatz (vgl. SprInt 2020, siehe auch Iacono in diesem Band). Die angestellten Sprach- und Integrationsmittler:innen arbeiten in eigens dafür eingerichteten internen DolmetschhubsFerndolmetschenDolmetschhubs (vgl. Havelka 2018a). Mit den pandemiebedingten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Covid-19-Virus wurden neben dem Video- und Telefondolmetschen auch Mehrpunktschaltungen zwischen drei Standorten durchgeführt. Aufgrund der alltäglichen Sprachbarrieren im medizinischen Setting wird in Deutschland und Österreich auch der Telefondolmetschdienst Triaphon gemeinnützige UG (vgl. Triaphon 2020) angeboten. Das Konzept der Sprachmittlung im medizinischen Setting basiert jedoch auf überwiegend nicht professionellen, ehrenamtlich tätigen Zweisprachigen.

Aus Österreich stammen zwei Primärstudien zum VideodolmetschenVideodolmetschen im Gesundheitswesen.Dolmetschenim Gesundheitswesen

Korak (2010) beschreibt die Machbarkeit des Skype-Dolmetschens in einem österreichischen Landeskrankenhaus. Die qualitative Untersuchung umfasst die leitfadengestützte Befragung von Dolmetscher:innen und Ärzt:innen. Das österreichische Pilotprojekt „Videodolmetschen im Gesundheitswesen“ (2013–2014) untersuchte, inwiefern sprachliche Barrieren in medizinischen Gesprächssituationen durch professionelle Videodolmetscher:innen abgebaut werden können. Am Pilotprojekt nahmen elf österreichische Gesundheitseinrichtungen teil. Die dolmetschwissenschaftliche Untersuchung (vgl. Havelka 2018b) zeigte anhand einer Analyse von fünf authentischen Videodolmetschungen sowie einer Befragung der Dolmetscher:innen, dass das videovermittelte Dolmetschen angepasste Dolmetschstrategien erfordert und vielfache Belastungen für die Dolmetscher:innen verursacht. Nach Ablauf des Pilotprojektes wurde das Videodolmetschangebot über das Unternehmen SAVD Videodolmetschen GmbH (vgl. SAVD 2020) fortgesetzt, das mittlerweile das video- und telefonvermittelte Dolmetschen in zahlreichen sozialen und medizinischen Einrichtungen sowie in Justizanstalten in Österreich und Deutschland anbietet.

In Deutschland sind Ärzt:innen aufgrund des Patientenrechtegesetzes verpflichtet, die sprachliche Verständigung im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patient:innen zu sichern. Bei sprachlichen BarrierenSprachbarriere ist jedoch die Kostenlast für die Dolmetschung nicht geklärt. Als Konsequenz dieser Ungewissheit und des allgemeinen strukturellen Mangels an professionellen Dolmetscher:innen im Gesundheitswesen werden zweisprachige Angehörige der Patient:innen oder nicht-medizinisches Krankenhauspersonal im Patient:innengespräch für die Dolmetschung eingesetzt. Dabei könnte das Video- und Telefondolmetschen eine Alternative für das Dolmetschen vor Ort darstellen. Die von Langer & Wirth (2014) vorgeschlagene Implementierung eines strukturellen Dolmetschangebots als Teil der notwendigen Gesundheitsversorgung bleibt weiterhin aktuell.

3.2 GerichtDolmetschenbei Gericht und Behörden

In Einwanderungsländern wie den USA, Australien und Großbritannien ist das audio- und videobasierte Dolmetschen in Behörden und Gerichten zu einem großen Teil etabliert. Als Folge des hohen Mobilitätsgrades innerhalb der Europäischen Union sehen sich die Gerichte mit einer ständig wachsenden Zahl mehrsprachiger Verfahren konfrontiert, die Anhörungen erfordern (vgl. van der Vlis 2012:15). Die Richtlinie 2010/64 EU des Europäischen Parlamentes und des Rates über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren ermöglicht den Einsatz von internet-, audio- und videobasierten Kommunikationstechnologien in europäischen Gerichten, solange die Unmittelbarkeit des Verfahrens gewährleistet ist. Anders als beim Dolmetschen in medizinischen Settings ist in strafrechtlichen Verfahren die für die Betroffenen kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscher:innen gesetzlich vorgesehen (vgl. Kadrić 2019:26).

Beim videovermittelten DolmetschenVideodolmetschen (engl. video-mediated interpreting) werden über die synchrone Übermittlung von Ton und BildFerndolmetschenRealisierungsbedingungen sowohl auditive als auch visuelle Daten der Gesprächssituation übertragen. Je nach Standort der DolmetscherIn beim Dialogdolmetschen wird daher zwischen Videokonferenzdolmetschen (engl. videoconference interpreting) und Videodolmetschen (engl. remote interpreting via video link) unterschieden (vgl. Braun & Taylor 2012:32f.). Im Rahmen der Videokonferenzschaltung im Gerichtswesen befinden sich zumindest eine Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter und der/die DolmetscherIn an einem gemeinsamen Standort, z.B. im Gerichtssaal oder in der Justizanstalt, während sich mindestens eine weitere Gesprächsbeteiligte bzw. ein Gesprächsbeteiligter an einem zweiten Standort befindet.

Ursprünglich wurde der Einsatz von Videokonferenzschaltungen zum Schutz von gefährdeten Opfern eingesetzt, um eine Konfrontation im Gericht zu vermeiden. Der Einsatz von Fernkommunikation schafft neue Möglichkeiten, z.B. können potenzielle Fluchtgefahren und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Überstellung von Gefangenen minimiert werden (vgl. van der Vlis 2012:12). Insgesamt hat sich der Zugang zur Justiz durch den TechnikeinsatzTechnologieEinsatz in Form von Gerichtssaaltechnologie, Videokonferenzanlagen und des elektronischen Rechtsverkehrs (elektronischer Akt) gewandelt. Diese technischen Maßnahmen ermöglichen eine Effizienzsteigerung in Gerichtsverfahren bei gleichzeitiger Kosten- und Zeitersparnis (vgl. Koulu 2018:6).

In Deutschland und Österreich sind GerichteDolmetschenbei Gericht mit Videokonferenzanlagen ausgestattet, um die Zuschaltung von Zeug:innen, Sachverständigen oder Angeklagten aus einer anderen Justizanstalt, Stadt oder einem anderen Land in den Gerichtssaal zu ermöglichen. Bis März 2011 wurden in allen österreichischen Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizanstalten Videokonferenzeinrichtungen für länderübergreifende und nationale Verfahren eingerichtet. Seit ihrer Einführung steigt die Zahl der VideokonferenzschaltungenFerndolmetschenVideokonferenzdolmetschen in Österreich kontinuierlich. Während im Jahr 2008 gerade einmal 47 länderübergreifende und 166 inländische Zuschaltungen vermerkt wurden, waren es im Jahr 2019 bereits 501 länderübergreifende und 4016 inländische Zuschaltungen. Da keine Dokumentation zu den Dolmetscheinsätzen im Rahmen der Videokonferenzschaltungen vorhanden ist, wird der Anteil mit Dolmetscher:innen auf 10–20 % aller Videokonferenzen geschätzt (vgl. Havelka 2018b: 41). Das Videodolmetschen wird hingegen überwiegend in Justizanstalten eingesetzt.

Eine Online-Umfrage (vgl. Havelka 2019a) zum Einsatz österreichischer Gerichtsdolmetscher:innen in Videokonferenzdolmetschungen (n=199) ergab, dass Schwierigkeiten in Bezug auf technische, organisatorische und psychosoziale Aspekte bestehenFerndolmetschenRealisierungsbedingungen (vgl. Johannsen 2002:200). Belastungen durch das videovermittelte Dolmetschen wurden mehrheitlich mit technischen Aspekten wie Akustik und mangelnder Tonqualität verbunden. Weitere Belastungen sind auf soziopsychologische Aspekte aufgrund des fehlenden persönlichen Kontakts zurückzuführen. Der Einsatz erfolgt überwiegend im Rahmen der internationalen Strafrechtverfolgung sowie in strafrechtlichen Verhandlungen bei Haftprüfungen, Verhängung der Untersuchungshaft sowie bei Anhörungen zu bedingten Entlassungen, aber auch während kontradiktorischer Vernehmungen. Auch wenn die videovermittelte Dolmetschung viele Erschwernisse und Belastungen mit sich bringt, überwog insgesamt eine positive Haltung gegenüber der technikgestützten Dolmetschung. Die kleine Stichprobe ist nicht repräsentativ, trotzdem ist aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchung die hohe Anpassungsfähigkeit von Dolmetscher:innen zu erkennen (Havelka 2019a).

Die Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 wDolmetschbedarfpandemiebedingturden im DACH-Raum Anfang März 2020 in nur wenigen Wochen eingeführt. Gerichtsverhandlungen wurden auf ein Minimum reduziert und nur noch für Haft- und unaufschiebbare Verhandlungen zugelassen. Vor diesem Hintergrund kann videovermitteltes Dolmetschen Gerichtsverfahren und damit auch den Zugang zum Recht nicht nur unterstützen, sondern überhaupt erst ermöglichen.