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Erotisierende Rezeptionen von Claudians Epithalamium an Palladius und Celerina im Barock
Antonius Baehr (Freiburg i. Br.)
1. Venus in Claudians Epithalamium an Palladius und Celerina (c.m. 25)
Als Symbol für unermessliche Schönheit, Erotik und Sexualität wurde die Liebesgöttin Venus in den bildenden Künsten und der Literatur immer wieder abgebildet und beschrieben. Vor allem die Dichtung des Barock hat ihr Bild häufig aufgegriffen und es fortwährend transformiert. Als wichtiges Vorbild für die Venusrezeption im Barock muss das Epithalamium an Palladius und Celerina (um 400 n. Chr.) von Claudius Claudiani gelten, das motivgeschichtlich deshalb eine wichtige Rolle spielt, weil es in der Eingangsszene die nackte, ruhende Venus darstellt, die von Statius (silv. 1,2) poetisch geprägt, von Ennodius (carm.1,4) erotisch verschärft und fortan in der Malerei und Dichtung vielfältig nachgebildet wurde.1 Wie die Claudian-Rezeption insgesamt2 ist die Rezeption des c.m. 25 noch nicht gewürdigt worden, obwohl Joachim Haertel bereits 1910 auf mehrere barocke Adaptionen des Motivs der nackten bzw. schlafenden Venus aufmerksam gemacht hat.3 Dazu gehören vier Gedichte, die alle zuerst in der Neukirchschen Sammlung4 veröffentlicht wurden: Johann von Bessers Ruhestatt der Liebe/ oder Die Schooß der geliebten (1695), Benjamin Neukirchs Auff die Perlitz-Mühlendorffische Hochzeit (1695), das anonyme Gedicht Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen (1697) und Christian Hölmanns Abbildungen der Schooß (1704).
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die vier Claudian-Rezeptionen in „dichten“ intertextuellen Lektüren vorzustellen. Gezeigt werden soll, mit welchen Aneignungsstrategien5 die Bearbeitungen die Vorlage nachahmen oder überbieten, ganz nach den barocken Prinzipien der imitatio und aemulatio. Dabei wird vor allem die Eingangsszene des Claudian‘schen Epithalamium in den Blick genommen, um anhand der erotisierenden Rezeptionen exemplarisch den Wandel des erotischen Diskurses am Ende des 17. Jahrhunderts nachzuvollziehen.
Aufgrund der unsicheren Datierungen der Texte kann allerdings nicht von einer streng chronologischen Abfolge der vorgestellten Rezeptionen ausgegangen werden.6 Stattdessen wird mit dem anonymen Gedicht Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen zunächst eine überbietende Imitation der lateinischen Vorlage analysiert. Anschließend wird mit Bessers berüchtigter Ruhestatt der Liebe eine gewagte Parodie auf Claudians Epithalamium vorgestellt, bevor gezeigt wird, wie sich die Claudian-Rezeption mit Benjamin Neukirchs Parodie Auff die Perlitz-Mühlendorffische Hochzeit und Christian Hölmanns Abbildungen der Schooß verselbstständigte.
2. Das c.m. 25 als erotisches Gedicht
Der Inhalt des 146 Hexameter umfassenden Epithalamiums an Palladius und Celerina1 lässt sich kurz zusammenfassen: In der Mittagshitze legt sich Venus in einer Grotte nieder; in ihrer Nähe schläft ihr Gefolge von Armoretti und Nymphen. Plötzlicher Lärm eines Hochzeitsfestzuges weckt die Liebesgöttin, die den Hochzeitsgott Hymen ruft. Weil sich dieser im Flötenspiel übt, anstatt die Ehe zu schließen, tadelt ihn Venus, um sich dann nach den Brautleuten zu erkundigen. Der Hochzeitsgott gibt in einer Lobrede auf die Familien des Ehepaars Auskunft, worauf Venus zum Brautpaar fährt, um die Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen, den Brautleuten eine Anleitung zur sexuellen Vereinigung vorzutragen und die Ehe mit dem Schuss zweier Liebespfeile in die Herzen von Braut und Bräutigam besiegelt.
Damit gliedert sich das Gedicht grob in drei Abschnitte: Im ersten Teil – nach einer vorangehenden Praefatio – wird die ruhende Göttin Venus mit ihrem Gefolge beschrieben (V. 1–24). Der zweite Teil umfasst einen Dialog zwischen Venus und Hymen, der dem Brautpaar huldigt (V. 25–99), während im dritten Abschnitt die Eheschließung geschildert wird (V. 99–145). Das im ersten Teil des Gedichts beschriebene Bild der schlafenden Venus wurde häufig „als Gleichnis für die noch zu erweckende eheliche Liebe und Sexualität“2 interpretiert. Nachstehend soll gezeigt werden, wie gerade diese Eingangsszene in der barocken Rezeption deutlich erotisch aufgeladen und verschärft wurde.
3. Anonym: Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen (1697)1
Das Hochzeitsgedicht Die Schlaffende Venus nach des Claudiani lateinischen bietet eine nachahmende Aneignung der lateinischen Vorlage, wie sie seit Martin Opitz’ epochaler Poetik, dem Buch der deutschen Poeterey (1624), im gesamten 17. Jahrhundert praktiziert wurde. Der Titel verweist metatextuell auf die antike Vorlage und markiert den Bezug hinreichend und prägnant. Die Hexameter von Claudians Epithalamium gibt der anonyme Dichter in formvollendeten Alexandrinern mit durchgehenden Mittelzäsuren wieder. Das Reimschema, ein umarmender Reim mit einem darauffolgenden Paarreim (abbacc), wirkt strukturgebend: Das Ende gedanklicher Einheiten fällt mit dem Ende eines jeden sechsten Verses zusammen, wodurch die Paarreime pointierend wirken. Damit setzt der anonyme Verfasser ein Strukturelement ein, das der lateinischen Vorlage fehlt, und stellt die formalästhetische Überlegenheit seiner übersetzerischen Aneignung unter Beweis. Bezeugt wird das Formbewusstsein auch durch die einheitlichen Kadenzen, die für alle umschließenden Verse stumpf, für die umschlossenen und paargereimten Verse klingend gestaltet sind.
Inhaltlich gliedert sich die anonyme Übersetzung analog zur Vorlage: Im ersten Teil wird die ruhende Göttin Venus mit ihrem Gefolge beschrieben (V. 1–36); der zweite Teil gibt stark gekürzt den Dialog zwischen Venus und Hymen wieder (V. 37–66), während der dritte Abschnitt die Fahrt der Venus zum Brautpaar und die Eheschließung bietet (V. 67–90). Ein quantitativer Abgleich führt vor Augen, dass die anonyme Übersetzung den Fokus stärker auf den erotisch-voyeuristischen Charakter des Gedichts richtet.
Inhalt | Claudian | Unbekannt |
Beschreibung der nackten Venus und ihrem Gefolge | V. 1–24 | V. 1–36 |
Dialog zwischen Venus und Hymen | V. 25–99 | V. 37–66 |
Fahrt der Venus zum Brautpaar und Eheschließung | V. 99–145 | V. 67–90 |
Der erste, die nackte Venus darstellende Abschnitt ist partiell amplifiziert, während die letzten beiden Abschnitte stark reduziert sind. Nimmt in Claudians Epithalamium der Mittelteil mit der Hälfte der Verse noch den Großteil des Gedichts ein, sind die relativen Anteile der Abschnitte in der anonymen Übersetzung mit je ca. dreißig Versen gleichmäßig verteilt. Hymens Laudatio auf die Familien des Brautpaars, die bei Claudian in knapp vierzig Versen (V. 58–95) facettenreich Berufe und Vorzüge der Familienmitglieder schildern, gibt der Dichter pauschalierend, anonymisiert und drastisch gekürzt in sechs Versen wieder:
Er sprach: mich wunderts sehr/ o göttin! daß solch eh
Dir unbewust mag seyn; zwey hochberühmte häuser
Verknüpfen würd‘ und glanz/ und flechten lorbeer-reiser
Um ihre Scheitel rum; des ehrenstandes höh
Erfordert gleich gedicht/ des bräutgams grosse tugend
Verschonet auch zugleich der braut hochedlen jugend. (V. 61–66)
Mit der anonymisierten Schilderung harmonisiert der Dichter das quantitative Verhältnis der drei Gedichtabschnitte. Darüber hinaus nutzt der anonyme Dichter die Reduktion dazu, das Epithalamium von dessen spezifischen Anlass zu lösen und es sich so anzueignen. Dagegen ist die Venusbeschreibung rhetorisch deutlich ausgedehnt. Bei Claudian ist die halbnackte Venus in nur sieben zurückhaltenden Versen dargestellt:
1 | Forte Venus blando quaesitum frigore somnum Vitibus intexti gremio successerat antri Densaque sidereos per gramina fuderat artus adclinis tlorum cumulo; crispatur opaca |
5 | pampinus et musto sudantem ventilat uvam, ora decet neclecta sopor; fastidit amictum aestus et exuto translucent pectore frondes. |
(Zufällig hatte sich Venus, um in schmeichelnder Kühle Schlaf zu suchen, in den Schoß einer mit Weinreben bedeckten Grotte zurückgezogen und ihre strahlenden Glieder über den dichten Rasen ausgebreitet, gelehnt auf einen Haufen Blumen; das schattenspendende Weinlaub kräuselt sich und fächelt der vom jungen Wein schwitzenden Traube Kühlung zu.
Der Schlaf schmückt das nicht zurechtgemachte Gesicht; die Hitze verschmäht das Gewand und durch das Laub schimmert ihre entblößte Brust.)2
In der anonymen Übersetzung hingegen wird die voyeuristische Venusbeschreibung rhetorisch deutlich erweitert und fast auf die vierfache Länge amplifiziert:
1 | Die Sonne hatte kaum den mittag heiß gemacht/ Als Venus gantz ermatt ihr eine höl erwehlet/ Wo weder schlaff noch ruh/ noch kühler schatten fehlet/ Und wo ein reben-blat gab dunckel-grüne nacht/ |
5 | In die ein linder west mit sanftem rauschen spielte/ Und so der göttin hertz und müde seele kühlte. Sie warf die sternen-pracht/ die glieder in das graß/ Der blumen höchster wunsch war so gedrückt zu werden/ Die nelcke schien ein feur/ die ros’ ein stern der erden/ |
10 | Die veilg ein blau saphir/ die lilg ein spiegelglaß/ Und Venus goldnes haupt entschlieff nur auff narcissen. Iesminen legten sich zu pfül und unterküssen/ So lag die lust der welt ohn alle kleider bloß/ Indem die volle brust die trauben nachbar nennte/ |
15 | Und der belebte schnee von zwey rubinen brennte. Hold/ freude/ lieb und gunst ruht’ in der schönen schoos/ Der süß geschwollne mund war etwas aufgeschlossen/ Aus dem die zucker-bäch und nectar-quellen flossen. Den schlaf ergötzte noch ein angenehmer bach/ |
20 | Der sein bemostes haupt mit reinem silber tränckte/ Und nichts als liebligkeit auf grüne wiesen lenckte/ Der etwas zitternd floß/ und küsse nach und nach Dem lieben ufer gab/ das lorber-bäume zierten/ Um die die Gratien holdreiche täntze führten/ […] (V. 1–24) |
In kunstvoller Bildlichkeit umschreibt der Dichter den von Venus erwählten locus amoenus: Das von Claudian beschriebene „schattenspendende Weinlaub“ ist mit pars pro toto „ein reden-blat“, das „dunkel-grüne nacht“ gibt (V. 4), dargestellt; metonymisch ist die durch das Blätterdach fallende Sonne abgebildet. Dagegen haben die polysyndetischen Partikel „weder schlaff noch ruh/ noch kühler schatten fehlet“ (V. 3) eine mimetische Funktion. Weil sie mit den Verssenkungen zusammenfallen, rhythmisieren sie den Alexandriner monoton und stellen dadurch das zur Ruhe kommende Gemüt der Venus dar. Die in den ersten sechs Versen hergestellte idyllische Atmosphäre steht der sich sprichwörtlich ins Blumenbeet werfenden Venus entgegen: „Die nelcke schien ein feur/ die ros’ ein stern der erden/ Die veilg ein blau saphir/ die lilg ein spiegelglaß.“ (V. 9–10). Das paradoxe Bild einer auch in der Dunkelheit der Höhle überlebenden Blumenpracht spiegelt metaphorisch die nie verwelkende Schönheit der Venus, während in den Preziosen-Metaphern der evozierte locus amoenus weiter ausgeschmückt wird. Darauffolgend wird die nackte Schönheit hyperbolisch abstrahiert: „So lag die Lust der welt ohn alle kleider bloß“ (V. 13), bevor die nackte Göttin dann tatsächlich beschrieben wird. Deutlich überbietet der anonyme Dichter den erotischen Gehalt der Vorlage, denn während die Venus bei Claudian noch ein „Gewand“ trägt und die Brust „durch das Laub schimmert“ (V. 6), ist die Venus in der Übersetzung unbekleidet und unbedeckt. In petrarkistischen Preziosen-Metaphern wird die völlige Nacktheit der Venus gemäß dem Zeitgeschmack beschrieben. Dabei dient vor allem die pittoreske Beschreibung der leicht geöffneten Vulva dazu, das voyeuristische Moment des Gedichts maximal auszureizen (V. 17–18). Dies wird zusätzlich verstärkt, indem die sexuelle Handlung an der betrachteten Göttin über den personifizierten Fluss, „der etwas zitternd floß/ und küsse nach und nach Dem lieben ufer gab“ (V. 22–23), antizipiert wird.
Die gewagte übersetzerische Aneignung überbietet Claudians lateinische Vorlage, indem darin die erotische Darstellung formal ästhetisiert und imaginativ ausweitet, so dass die nackte Venus zum imaginierten Objekt der Begierde wird. Trotz der metaphorischen Sprache ist die Mittelbarkeit der Erotik in der Rezeption also deutlich gesenkt, und damit wird die erotische Konnotation für die Leserschaft zu einem voyeuristischen Erlebnis.
4. Johann von Besser: Die Ruhestatt der Liebe / oder die schooß der geliebten (1695)
Das berüchtigte, 240 Alexandriner umfassende Gedicht Die Ruhestatt der Liebe / oder die schooß der geliebten1 von Johann von Besser beschreibt, wie Claudians Epithalamium eingangs eine nackte, schlafende Frau beobachtet. Allerdings substituiert Besser die Venus mit der Schäferdame Chloris, die nicht von dem Hochzeitstrubel, sondern von ihrem Verehrer Celadon durch eine nicht einvernehmliche sexuelle Handlung geweckt wird. Daraufhin muss sich Celadon für sein Fehlverhalten rechtfertigen, schafft es durch seine apologetische Rhetorik jedoch, Chloris wieder für sich zu gewinnen. Das Gedicht endet mit dem einvernehmlich vollzogenen Beischlaf. Während der Götterapparat also getilgt und die Handlungsführung auf die beiden Liebenden verschoben ist, lässt sich die intertextuelle Beziehung der beiden Gedichte durch die Eingangsszene bei Besser nachweisen, in der er unmissverständlich die Eingangsverse von Claudians Epithalamium zitiert:
1 | Bey diesen brennenden und schwülen sommertagen Ließ Chloris sich einmahl in ihren garten tragen/ Und suchte vor dem brand der sonnen eine klufft/ Von kühler witterung und schattenreicher lufft. |
5 | Sie setzte sich erhitzt bey einem baume nieder/ Und streckte bald darauff die perlen-volle glieder In das noch frische gras/ geruhiger zu seyn/ Und schlieff auch/ wie sie lag/ halb von der seiten ein. Ihr alabaster-leib war nur mit flor bekleidet/ |
10 | Und weilen man den zwang nicht bey der hitze leidet/ Ward ihre blosse brust im grünen klee gespürt/ Die zur gemächligkeit sie eben auffgeschnürt. Der sanffte westen-wind/ bereit sie abzukühlen/ Ließ seinen othem gleich auff diese wellen spielen/ |
15 | Und bließ mit stillem hauch bey ihrer süssen ruh Ihr aus der floren hand die weichsten blumen zu. Es wiegte gleichsam sie sein angenehmes weben; Doch als er sich bemüht den leichten rock zu heben/ Riß endlich unversehns von der gestreckten schooß |
20 | Der vorgeschürzte flor mit seinem gürtel los. (V. 1–20) |
Das Bild der sich auf das Gras legenden Göttin2 gibt Besser nahezu wörtlich wieder (V. 6–7), wobei er „sidereos“ nicht mit „glänzend/strahlend“ übersetzt, sondern preziös-metaphorisch mit „perlen-voll“ (V. 6). Ferner bieten die Verse 10–11 eine ziemlich getreue Übersetzung von Claudians Versen 6–7: „ora decet neclecta sopor; fastidit amictum aestus et exuto translucent pectore frondes“. Offensichtlich übernimmt Besser also nicht nur das Motiv der schlafenden, nackten Venus und projiziert es auf „Chloris“ (V. 2), sondern schließt auch textuell wörtlich an die lateinische Vorlage an. Damit lässt sich Bessers Ruhestatt der Liebe eindeutig als Parodie von Claudians Epithalamium bestimmen.3
In alexandrinischen Reimpaaren mit wechselndem Versgeschlecht amplifiziert Besser im epischen Ausmaß das erotische Moment und steigert es ins pornographische. Dabei fokussiert die Beschreibung wie in der anonymen Übersetzung das weibliche Geschlechtsteil. Geschickt wird der Leser als Komplize in Mitwissenschaft gezogen, indem das lyrische Ich sich und den Leser dreifach mit „uns“ apostrophiert (V. 23–26), bevor die Betrachtung in 26 Versen bildlich beschrieben und dem Leser dadurch tatsächlich eine Art Mitsicht geboten wird. Die akkumulatio von petrarkistischen Preziosen-Metaphern („castell von marmor“ „in einem liljenthal“ „eingang von rubin“ „schatten-werck von myrthen“ „von helffenbein […] hüffte“ (V. 29–37)) spitzt Besser kunstvoll zu, indem er zwei abschließende Metaphern anaphorisch mit der antithetischen Pointe verklammert:
Kein apffel kan so frisch sich an dem stengel halten/
Kein purpur-pfirsig ist so sanfft und zart gespalten/
Kein kleiner raum der welt hat so viel überfluß/
Als in der Chloris schooß der weisse nabel-schluß. (V. 41–44)
Dabei ist dieses hyperbolische Zwischenfazit durchaus als selbstironischer Kommentar auf die eigene Programmatik zu deuten. Denn Besser stellt mit der weiblichen Scham ohnehin ein pikantes Thema vor, weshalb die übermäßige Länge der Illustration übertrieben, fast unangemessen, wenn nicht gar pornographisch erscheint. Gerade dies ist jedoch Teil des galanten Programms, das Besser wie folgt zusammenfasst: „Das liebste/ das man kennt/ und doch sich scheut zu nennen/ Weil auch das blosse wort uns schon vermag zu brennen“ (V. 25–26). Paralyptisch täuscht das lyrische Ich Hemmungen gegenüber der selbst vorgebrachten Thematik vor, um dann in epischer Breite das weibliche Geschlechtsteil zu beschreiben. Die ‚insistierende Nennung‘ ist hierbei jedoch Teil der arguten Technik, mit der die Beschreibung der weiblichen Scham künstlich überformt wird und an Schärfe verliert. Insofern ist Bessers Ruhestatt der Liebe als Probe aufs Exempel für die galante Poetologie zu verstehen4, die Besser freilich auf die Spitze treibt. Denn während in Claudians Epithalamium noch eine Anleitung für die Sexualität in der Ehe gegeben (V. 130–138) und in der Übersetzung die betrachtete Göttin zum Objekt der imaginierten Sexualität transformiert wird, gestaltet Besser auch den sexuellen Akt aus. Die raumdeiktischen Demonstrativpronomen antizipieren die nachstehende Aktbeschreibung bereits in der vorhergehenden Naturschilderung:
Die brunnen wollten sich durch diesen garten winden
Die blumen glaubten hier ihr blumen-feld zu finden
Die Nymphen waren selbst wie halb darein vernarrt. (V. 49–51)
Doch dabei belässt es Besser nicht, sondern schildert in aller Deutlichkeit die Penetration durch Celadons Hand, die sich unmissverständlich als Vergewaltigung herausstellt:
65 | Was halff ihm alle furcht vor dem geliebten weibe? Die finger glitten aus auff dem polirten leibe/ Und rollten mit gewalt vor das gelobte land/ Das eine hole faust in allem überspannt. […] |
81 | Er wuste nicht was er vor hitze sollt beginnen; Er fieng wie weiches wachs vor ohnmacht an zu rinnen/ Und hätt/ ich weiß nicht was/ vor raserey vollbracht/ Wenn Chloris nicht davon zum unglück auffgewacht. |
85 | Sie stieß/ noch voller schlaffs/ mit ihren beyden händen/ Den frembd- und kühnen gast von ihren weissen Lenden/ Der ihre zarte schooß durchwühlet und verheert/ Und sprach/ als sie ihn sah: du bist des stranges werth. (V. 65–88) |
Claudians Gleichnis der schlafenden Venus für die erwachende eheliche Sexualität invertiert Besser ironisch-grotesk, indem er seine weibliche Protagonistin durch den Sexualakt erwachen lässt. Dirk Niefanger hat bereits darauf hingewiesen, dass „ein wesentlicher Teil der Barockerotik […] aus dem Reiz des Verdeckens und der mehrstufigen Fiktionalisierung der Sexualität“5 entsteht. Ferner konnte er zeigen, wie Benjamin Neukirch in seinen Sylvia-Gedichten „die üblichen Grenzen erotischer Lyrik um 1700 – im Sinne einer aemulatio – überschreitet“6, indem er die Imagination des Sprechers in die Brüste der Frau projiziert. Johann von Besser geht jedoch noch einen Schritt weiter, wenn er die Imagination in die Darstellung einer konkreten sexuellen Handlung überführt. Freilich hält er teilweise an den verdeckenden Fiktionalisierungsstrategien fest, die für die Barockerotik maßgeblich sind; mit dem extensiven Gebrauch von Metaphern z.B. stellt Besser eine Diskrepanz zwischen der konkreten Vorstellung des Geschilderten und der sprachlichen Realisierung her. Dagegen wird die sexuelle Handlung durch die drastische Beschreibung ihrer Folgen und der von Chloris gewünschten Konsequenzen unverkennbar deutlich und das Vexierspiel der vorangegangenen Fiktionalisierung dechiffriert: „Der ihre zarte schooß durchwühlet und verheert/ Und sprach/ als sie ihn sah: du bist des stranges werth“ (V. 87–88).
So, wie Hymen bei Claudian vor der erwachenden Venus dafür Rechenschaft ablegen muss, dass er sie nicht früher über die bevorstehende Hochzeit informiert hat, muss sich Celadon für die an Chloris vorgenommene sexuelle Handlung rechtfertigen. Damit übernimmt Besser den rhetorischen Kunstgriff Claudians, der mit dem eingeleiteten Dialog den Gottheiten den Austausch über die Brautleute und damit den Einstieg in die Laudatio auf das Hochzeitspaar ermöglicht.7 Während bei Claudian jedoch dem Brautpaar und den Eltern der Brautleute gehuldigt wird, nutzt Besser den Dialog, um in Cedalons apologetischer Rede den Sexualakt zu ästhetisieren. In einer dreistufigen Argumentation hält Celadon zunächst eine „laudatio“ auf die weibliche Scham (V. 97–124), führt dann Beispiele aus der Natur und der Mythologie an, die sein Handeln begründen und rechtfertigen (V. 125–208), bevor er Chloris selbst für seinen forschen Vorstoß verantwortlich macht (V. 209–240) und sie schlussendlich besänftigt:
104 | Durch jene Demmerung die um dein auge tagt/ Durch deine tulpen-schooß/ durch deine nelcken-brüste/ Durch die von beyden mir noch unbekandten lüste/ Durch deine schöne hand die mich jetzt von sich stößt? Was hab ich denn verwürckt/ das zephyr dich entblößt? Daß ich es mit beschaut/ was dessen hauch verübet/ |
110 | Daß ich es angerührt/ was erd und himmel liebet/ Was selbst der Götter mund begierig hat geküst/ Und was der inbegriff von deiner schönheit ist. Es ist ja deine schooß der auszug aller zierde/ Der enge sammel-platz der schmeichelnden begierde/ |
115 | Das rund/ wo die Natur zusammen hat gedrängt/ Was sich nur reitzendes den gliedern eingemengt. Hier ist der kleine schatz der deinen reichthum zeiget/ Der lebendige thron der alle scepter beuget/ Der süsse zauber-kreyß/ der unsern geist bestrickt/ Und deß beschwehrungs-wort die felsen auch entzückt (V. 104–120) |
In anaphorisch verklammerten Parallelismen und anspielungsreicher, bildlicher Sprache überformt Besser die weibliche Scham ästhetisch. Mit der Zentrierung auf die weibliche Scham travestiert er jedoch gleichzeitig das so häufig in barocken Epithalamien vorgebrachte Schönheitslob. Vor allem die Metaphern, die das weibliche Geschlechtsteil mit Herrschaftsakzidenzien vergleichen, wirken komisierend, weil sie das Herrscher- und Frauenlob vulgär auf die weiblichen Geschlechtsteile bündelt.
Gleichsam wirkt Celadons Anschuldigung, Chloris sei selbst für den Übergriff verantwortlich, grotesk, weil sie das Opfer zum Täter verkehrt. Während mit der ‚insistierenden Nennung‘ die Schuldzuweisung jedoch ironisch gebrochen wird (das lyrische Ich erklärt: „Er fuhr voll eyffers auff/ um dieses unrechts willen“ (V. 229), variiert Besser die petrarkistische Liebeskonzeption, für die die Ablehnung des Liebhabers und die Unerfüllbarkeit seiner erotischen Wünsche konstitutiv sind, überraschend. Die erzürnte Chloris kommt selbst zu Wort und willigt zur Liebesvereinigung ein: „Sie zog/ nunmehr erweicht/ nach dem bezeugten haß/ Den ausgesöhnten feind mitleidig in das graß“ (V. 231–232).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bessers Ruhestatt der Liebe als aemulatio in zwei Diskursbereichen eingebunden ist. Einerseits ist die Ruhestatt der Liebe als Claudian-Rezeption zu lesen und damit im Kontext der kulturpatriotischen Nationalliteratur zu verorten, die seit Martin Opitz versucht, antike Vorbilder imitierend zu überbieten. Andererseits bricht Besser mit der streng imaginativen Tradition der erotischen Lyrik und damit auch ein eingängiges Tabu. Obwohl er mit den Preziosen-Metaphern das petrarkistische Liebesideal alludiert, sprengt seine Schilderung des sexuellen Übergriffs klar die Grenzen dieses Liebesideals, das die erfüllte Körperlichkeit höchstens imaginiert oder hypothetisch topisch (carpe diem) zulässt.