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8 Das neue Paradigma: Mentales Lexikon und Semantisierungstechniken
Die audio-linguale Methode mit ihrem behavioristischen Ansatz sowie kognitive Ansätze und pragmatische Kommunikationstheorien à la Noam Chomsky, Dell Hymes und Jürgen Habermas mündeten, stark vereinfacht formuliert, in die pragmatische Kommunikative Wende der 1970er Jahre. Die Aufwertung lexikalischer Kompetenzen in den folgenden Jahrzehnten erscheint als eine logische Konsequenz des neuen praxisbezogenen Paradigmas, welches in Deutschland vor allem durch den Gießener Didaktiker Hans-Eberhard Piepho vertreten wurde. Die neue Aufmerksamkeit gegenüber und Berücksichtigung psycholinguistischer sowie zunehmend neurobiologischer Forschungen schlug sich in zwei eng miteinander verknüpften Konzepten zur Lexisvermittlung nieder. Es setzte sich die Vorstellung des ‚mentalen Lexikons‘ (Aitchison 1987; Wolff 2002) durch, als Metapher für die Aneignungs-, Memorisierungs- wie Anwendungsleistungen des Gehirns von Fremdsprachenlernern. Zugleich entwickelten sich vielfältige Konzepte ‚gehirnadäquater‘, kongenialer Vermittlungstechniken von Vokabular mit Hilfe einer breiten, systematisch einzusetzenden Palette von ‚Semantisierungstechniken‘ (vgl. im Überblick Doyé 1971; Quetz 2007; Hutz 2012).
Interessanter Weise wären heutzutage, im Zeitalter des Internets, Beschreibungen des mentalen Lexikons noch plastischer möglich: mit Verweisen auf virtuelle Sinnkonfigurationen von Hypertexten und Endlosverlinkungen. Anstatt der Metapher des Lexikons wäre in der Tat die bisweilen synonym verwendete Netzmetapher geeigneter, verweist diese doch auf das dicht geknüpfte, paradigmatisch und syntagmatisch sowie vielfach intrikat sich ausformende semantische Netzwerk, welches der Sprachbenutzer sukzessive aufbaut. Die Verknüpfungsleistungen gilt es zu fördern, indem bei der Einführung und dem ‚Umwälzen‘ von Lexis vielfältige lautliche, semantische, morpho-syntaktische und pragmatische Bezüge hergestellt werden. Möglichst alle Sinnesorgane sollten beteiligt werden, damit neue Lexis (kurz- oder besser) langfristig zur Verfügung steht.
Die Didaktik widmete sich so in Publikationen immer genauer durchdachten und differenzierteren Formen von altersadäquaten Semantisierungstechniken und verband diese mit Überlegungen zur systematischen Progression bei der Wortschatzarbeit (Bausch/Christ 1995; Kieweg/Kieweg 2002; Kieweg 2006; Quetz 2007; Hutz 2012). Erklärungstechniken wurden nach visuellen bis verbalen Möglichkeiten aufgeschlüsselt (vgl. Quetz 2007, 277), von ganzheitlichen Begegnungen mit konkreten Gegenständen über das Zeigen bis zu kontrastiven und erklärenden (definierenden bis ableitenden) Verfahren. Neue Ordnungsprinzipien ergaben sich durch die Beachtung unterschiedlicher Lernertypen und unterschiedlicher pragmatischer Bedürfnisse. Aufgegriffen wurden Ansätze zur Vermittlung von ‚Textbausteinen‘ (chunks) sowie zur Lernerautonomie, beispielsweise beim Einüben von Bedeutungserschließungstechniken und dictionary skills (vgl. Börner/Vogel 1993; Kieweg/Kieweg 2002, 7; Hutz 2012).
Zunehmend gerieten ausdifferenzierte Theorien zu Lernertypen in den Fokus, wie beispielsweise bei Maria Kieweg (1996), die Angebote auflistet für Lernertypen im Bereich visuelle, auditive, audio-visuelle, haptische, abstrakt-verbale, einsichts-und sinnanstrebende (kontrastive), kontakt- bzw. handlungsorientierte Präferenzen. Hinzu kommen neue Empfehlungen in Bereichen wie beispielsweise bildgesteuerte und bildgestützte Vokabelarbeit, gehirnadäquate Aneignung von Lern- und Memorisierungstechniken (Hutz 2012), Lexis-in-Kontext-Ansätze, Überlegungen zum aktiven oder passiven Wortschatz, den es am sinnvollsten für Schülerinnen und Schüler altersadäquat und zielgruppenkonform zu vermitteln gilt. Dazu kommt spielerisches, inzidentelles Erlernen und Anwenden neuer Lexis in vielfältigen realen und virtuellen Kontexten (Stichworte: Digitalisierung, Gameification, vgl. Grimm/Meyer/Volkmann 2015, Kap. 10). So kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass wesentliche Fragen der Lexisvermittlung weiterhin vor dem Horizont neuer Forschungsfragen wie Fremdsprachenfrühbeginn, Heterogenität und Inklusion sowie der digitalen Herausforderung diskutiert werden (vgl. Reinfried/Volkmann 2012) und teilweise in den gängigen Lehrbüchern Eingang finden. Zweifellos gilt nach wie vor eine Feststellung, welche Herbert Christ (1995, 48) bereits vor der Jahrtausendwende äußerte:
[…] Wortschatzvermittlung und Wortschatzlernen sind in jedem Augenblick des Fremdsprachenunterrichts gefragt; sie sind für alle Gegenstandsbereiche von Bedeutung, ob es sich um Literaturunterricht oder um Landeskundeunterricht, um interkulturelles Lernen oder um Grammatikunterricht, Unterricht in Allgemeinsprache oder Fachsprache, um das Erlernen von Korrespondenz oder Konversation handelt.
Bleiben dennoch eher kritische Beobachtungen aus dem gleichen Zeitraum bestehen? So konstatierte Peter Scherfer (1989, 193): „Spezifische Wortschatzübungen werden im Fremdsprachenunterricht eher stiefmütterlich behandelt“. Und im Jahre 1993 hieß es in einer Publikation zu Wortschatz und Fremdsprachenerwerb, dass sich die „‘Wortschatzwende’ noch nicht vollzogen hat“ (Schneider 1993, 89). Auch in jüngeren Publikationen wird – teilweise auf der Basis lokaler empirischer Untersuchungen – angedeutet, dass in der Unterrichtspraxis beim Vermitteln von Lexis noch deutlicher Optimierungsbedarf herrscht (Tschirner 2004; Hutz 2012; Grimm/Meyer/Volkmann 2015; vgl. auch Schmitt 2016, 15, vor allem zum Thema Aussprache als „Cinderella of language teaching“). Beklagt wird das Vorherrschen von Grammatikübungen in Schulbüchern, die Auffassung, Vokabellernen sei primär eine typische Hausaufgabe (Börner/Vogel 1993, 88), sowie die fortgeführte Tradition der starren ‚Vokabelabfrage‘ am Beginn der Stunde (Kieweg/Kieweg 2002, 27). Deutlich wird auch, dass die Vermittlung von Lexis eher im englischsprachigen Raum ein Forschungsthema bleibt (Schmitt 2000; Thornbury 2002; Nation 2008; vgl. für die Forschung in Deutschland Stein 2002; Tschirner 2004).
Angesichts dieser Gravamina erscheint es nach wie vor wichtig, auf die anhaltende Bedeutung der Arbeit am mentalen Lexikon hinzuweisen. Sie ist und bleibt eine Grundvoraussetzung für die Fähigkeit, pragmatische Kommunikationsstrategien zu verwenden und kommunikative Kompetenzen zu entwickeln und zu verbessern. Hierfür sollten die von der Fremdsprachendidaktik ausführlich vorgestellten und in entsprechenden Rezeptologien zur Verfügung gestellten Hinweise zum Lexislernen und zu Semantisierungsverfahren noch stärker beachtet und umgesetzt werden.
Literatur
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Zur Geschichte der fremdsprachendidaktischen Fachbegriffe der rezeptiven Mündlichkeit
Franz-Joseph Meißner
1 Aufriss
Statt mit einer Einleitung eröffnet dieser Aufsatz mit einigen Bemerkungen zum Begriff Hörverstehen (hinfort HV) im schulischen Fremdsprachenunterricht der Jahre vor 1975. In Deutschland erreicht in diesem Jahr die psycholinguistische und didaktische Konzeption von HV schon einen Stand, der im Wesentlichen eine angemessene pädagogische Steuerung in HV-Aufgaben erlaubte (vgl. Meißner 2016b; Rossa/Meißner 2017). Doch hatte das HV die Unterrichtspraxis noch nicht in der Breite erreicht. Wilhelm Brockhaus notiert damals:
(Die) Ausbildung des Hörverstehens (listeningskill; speechperception) wird weithin als von selbst sich einstellendes Nebenprodukt eines normalen Unterrichts angesehen. Der Lehrer begründet seine Ansicht mit der täglichen Erfahrung, daß seine Schüler ihn und ihre Mitschüler verstehen. Die Erfahrung ist richtig, die Deduktion ist falsch: die Schüler verstehen alles, was der Lehrer sagt, aber er sagt nur, was die Schüler verstehen. (Brockhaus 1975, 229)
Drei Jahre zuvor nannte Franz Kaufmann den wohl frühesten Beleg für das Konzept HV. Er fand ihn bei Lado (1961), der es in die Formel auditory comprehension gekleidet hatte:
Die umfassendere Hörverstehensfertigkeit (auditory comprehension) „means recognition control of signaling elements in communication situations” (Lado 1961, 206), also die Fähigkeit, den natürlichen Lautstrom zu segmentieren und so den Sinn einer Äußerung zu erfassen. (Kaufmann 1972, 190)
Es geht also, plakativ gesagt, um das Verstehen von Zeichen in (mündlicher Kommunikation). Dabei wird die Komplementarität von verbalen Hör- und Sehzeichen, wie sie sich z. B. in der Gestik vollzieht, nicht eigens erwähnt. Offensichtlich sei die Entwicklung zu korrigieren:
Wiederum zwei Jahre später liest man die Forderung nach einer Aufnahme von HV in die Richtlinien des Fremdsprachenunterrichts, so bei Konrad Schröder (1974, 405):
Die Fremdsprachendidaktik der vergangenen Jahrzehnte ist stets davon ausgegangen, daß Sprechfertigkeit auf allen Leistungsniveaus und Schulstufen das eigentliche Ziel […] sei. […] (Es) stellt sich die Frage, ob […] nicht gezielter auf Hör- und vielleicht auch Leseverstehen […] ausgerichtet werden sollte.
Hervorzuheben ist die völlig neue Begründung für die Förderung der mündlichen Kompetenzen: die Kommunikationsfähigkeit zwischen den Bürgerinnen und Bürgern des zusammenwachsenden Europa.
Doch wie stand es in den Jahrzehnten zuvor um das HV im schulischen Fremdsprachenunterricht? Werner Hüllen (vgl. auch Reinfried 2006) fasst mit Blick auf das 19. und beginnende 20. Jahrhundert den Status der rezeptiven Mündlichkeit wie folgt zusammen:
Im Gegensatz zu den alten Sprachen wird für das Französische und das Englische z. B. immer die Bedeutung einer guten Aussprache betont. Neben der Natürlichkeit dieser Forderung wird darin auch die Wertschätzung der damals neu entstehenden experimentellen Phonetik erkennbar. Viele Lehrpläne schlagen einen kurzen Lautierkurs vor. Bei dem allgemein geforderten Hörverständnis wird häufig erklärt, dass Teilhabe an Konversation nur im Ausland selbst erworben werden könne. Die Begegnung mit der fremden Sprache vollzog sich vor allem im Lesen. (2005, 89)
Diese und Schröders Beschreibung bestätigen Unterrichtsberichte im Rahmen der oral history (Meißner 2008a). So wurde laut Erinnerung der Klassenkameraden des Autors in ihrem Englisch- und Französischunterricht zwischen 1957 und 1968 kein einziges Mal ein Ton- oder Filmmedium eingesetzt1. Auch die Nutzung eines Sprachlabors ist ihnen nicht erinnerlich. Der zielsprachliche Input blieb rein graphisch basiert. Die lautliche Seite der Zielsprachen wurde über das Vorlesen der Lehrbuchtexte durch die Lehrperson und das abwechselnde Vorlesen der Mitschüler bei gleichzeitigem stummem Mitlesen transportiert (reproduziert). Fragen zu Verständnis und Verstehen bezogen sich allein auf die ,(mit)gelesenen’ Lektionstexte. Authentische Hörvorlagen zum gesprochenen Englisch/Amerikanisch oder Französisch fehlten. Hörverstehen war offensichtlich kein Lehrziel.
2 Unterrichtstechnische, bezugswissenschaftliche und soziokulturelle Rahmung
Die fremdsprachenunterrichtliche Methodik ist hochgradig durch technische Entwicklungen bestimmt. Dies zeigen gerade das HV und das Hörsehverstehen (HSV) der Zielsprache: Zunächst ist hierzu die Erfindung von Tonträgern in Erinnerung zu rufen. Tonband, Film und Videotechnik erweiterten das Spracherlebnis um das Zusammenspiel von bewegten Bildern, gesprochenen und/oder geschriebenen Texten und Ton, wobei der Anteil originär nicht-lehrintentionalen Sprachmaterials stetig zunahm. Zeitgleich entdeckten die Linguistik und die Diskursanalyse die Mündlichkeit als Gegenstand der Forschung und damit auch die extraverbale Kommunikation, die Gestik, das sog. face work sowie die interkulturelle Kommunikation. All dies erklärt die Erweiterung des Begriffs Hörverstehen zu Hörsehverstehen in unserer Gegenwart.
Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lehren, lernen, bewerten (Europarat 2001) verband zudem die Mündlichkeit mit der Sprachmittlung und der Text- und Medienkompetenz. Beide Begriffe setzen HV- bzw. HSV-Kompetenz voraus; sind jedoch nur mittelbar an rein sprachliche Ressourcen gebunden (und werden daher in diesem Aufsatz nicht behandelt).
Das Internet ,demokratisierte’ das Erlebnis der audiovisuellen Präsentation. Die Neuerung umfasst inzwischen sowohl die Rezeption als auch die Produktion fremder Sprachen. Das Netz veränderte zudem die sozialen Implikationen von Lernen, indem es interpersonale Lernarrangements beförderte, die dem (interkulturellen) Lernen auf Gegenseitigkeit verpflichtet sind. Hier lehrt ein jeder seine Muttersprache und lernt die des Partners. Solche Lerntandems können in ihrem Aufbau dialogisch oder polylogisch, bi- oder plurikulturell angelegt sein; sie können sich an einer oder zwei Zielsprachen orientieren oder auch an der Mehrsprachigkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Techniken wie SKYPE bzw. Videotelephonie erlauben ein umfassendes Spracherlebnis, welches alle Teilkompetenzen umfassen kann.
Historischer Vorlauf: Wie groß indes der Bedarf nach authentischen Hörvorlagen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war – man hatte keine explizite Vorstellung vom HV (passim: Jespersen 1904 [1961, 11. Aufl.]; Münch 1910; Aronstein 1917; Hübner 1933 [Nachdruck 1969, sic]; Bornemann 1967; Leisinger 1966, 1980; Achtenhagen 1969; Pelz 1975) – indiziert der zwischen den Zeilen der Quellen lesbare Wunsch nach:
[…] Zeugnissen (spontan) gesprochener Sprechsprache aus unterschiedlichen Textsorten, sprachlichen Varietäten und kommunikativen Situationen. Kommentar: Zwar hatte die Entwicklung der phonetischen Transkription Fortschritte gemacht – etwa Koschwitz (1911)1 –, doch waren sie für die Optimierung der Praxis des Französischunterrichts von eher geringem Wert2, weil Transkriptionen nicht der Erfahrung entsprechen, dass Klangmuster über das Ohr viel lernwirksamer greifen als phonetische Umschreibungen über das Auge. Auch erfüllten die Texte nicht das Kriterium der Unterschiedlichkeit der Textsorten und Kontexte.
[…] kommunikationsrelevanten Inventaren, aus denen pädagogische Materialien generiert werden konnten. Kommentar: Zuvor wurde mehrfach ein Auseinanderklaffen zwischen der künstlichen Mündlichkeit von Lehrwerkwortschätzen und dem authentischen Vokabular der Zielsprachen im Alltag beklagt. Als Zeugen hierfür lassen sich bereits in den 1860er Jahren der Französischlehrer Césaire Villatte (Meißner 2016a) anführen, der eine starke Diskrepanz zwischen dem schulfranzösischen Wortschatz und nativ-hexagonaler Mündlichkeit beklagte, sowie August Prein (1921), der nach dem Ersten Weltkrieg eine ähnliche Kritik auf den Vergleich der Syntax aus französischen Soldatenbriefen mit der in deutschen Lehrbüchern stützte. Ähnliches hat Mindt (1995) auf der Grundlage computerlinguistisch gewonnener Daten des Englischen für die deutschen Schulgrammatiken nachgewiesen und hernach eine ,empirische‘ Englischgrammatik vorgelegt.
Doch sind die Gründe für den ‚Rückstand’ nicht allein in der Fremdsprachendidaktik zu suchen (vgl. Neuner 1983), sondern auch in den Bezugswissenschaften. So ist die Voraussetzung für die Lehrbarkeit einer Sprache oder sprachlichen Varietät ihre hinlängliche Beschreibung durch die Linguistik. Vor diesem Hintergrund kann für die Lehrbarkeit mündlicher Kompetenzen die Wirksamkeit einschlägiger Bestseller, wie etwa Sölls Gesprochenes und geschriebenes Französisch (1974; Söll-Hausmann 1985) und weiterer, kaum überschätzt werden (auch Stammerjohann 1983). 1973 erschien Rattundes code oral und code écrit im Französischunterricht (Diesterweg) als eine für den Französischunterricht aufbereitete Schrift. Derlei Studien popularisierten auch zahlreiche Kommunikationsmodelle, die, wie das von Weaver und Shannon (1949), neben Sender und Empfänger auch den ,Kanal‘, also implizit die Mündlichkeit, als wesentliches Element beschreiben (vgl. Leisinger 1966, 8 f.). Das Interesse an der Oralität war aus der Neugierde auf die Sprache des Volkes erwachsen (die Zola literarisch salonfähig gemacht hatte). Schließlich hatte sich die Linguistik der Gegenwartssprache und ihren Varietäten zugewandt (Bally 1913; zum französischen Substandard: Bauche 1920; zuvor das durch die ‚Argot’-Lexikographie bezeugte wachsende Interesse an der Alltags- und Umgangssprache (vgl. Meißner 2016a); zum Italienischen: Spitzer 1922; zum Spanischen: Beinhauer 1958). Vor dem Hintergrund solcher longue durée-Wirkungen nimmt Colette Stourdzé 1968 in Le français dans le monde den französischen Substandard aus der Anrüchigkeit des argot, indem sie das Lehrziel Kommunikationsfähigkeit an ein français relâché bindet, und Daniel Coste fragt 1969 Quel français enseigner? Zu dieser Zeit war das rein aus mündlichen Quellen kompilierte Français fondamental bereits über ein Jahrzehnt im didaktischen Gespräch (Mouchon 1994; Meißner 2006). An solchen Inventaren konnte sich auch die Lehrwerkentwicklung ausrichten, wie Herbert Christ (2006) am Beispiel von Salut gezeigt hat. Auch für das Spanische und das Portugiesische wurden nach französischem Muster entsprechende Wortlisten kompiliert; ebenfalls mit Wirkungen auf die Lehrwerksentwicklung (Venâncio Peixoto da Fonseca 1966; Rojosastre et al. 1968, 9, zum Español fundamental). Das Lehrziel HV liegt auch in der Tradition des linguistischen Interesses an der Mündlichkeit.
Die Angewandte Linguistik fand in dieser Zeit zu neuen Fragestellungen – mit erheblichen Konsequenzen für die Theorie und Praxis der HV-Schulung. So führten die Forschungen zur Kombinierbarkeit von Wörtern (Okkurrenzen), also zum sog. freechoice (semantische Autonomie) und zum idiom principle (Sinclair 1991; Hausmann 1993), zu Anforderungen an Test- und Übungsformate für das HV – erlaubt doch erst die Kenntnis möglicher Kookkurrenzen das Ausnutzen von semantischen Redundanzen und die Reparatur von HV-Lücken noch während der mentalen Verarbeitung der Lautkette. Auch das Fehlen von für die Theoriebildung relevanten Studien zur mentalen Sprachverarbeitung erklärt das (z. T. bis heute beobachtbare) didaktische Unverständnis für die rezeptive Mündlichkeit. Dies änderte sich in den späten 1960ern, vor allem seit den 1970er Jahren grundlegend (u. a. Lenneberg 19673; Lyons 1975; Flores d’Arcais/Levelt 1969/1970 und viele andere mehr). Zur mentalen Verarbeitung sprachlicher und bildlicher Informationen nennt allein das Sammelwerk von Bufe et al. (1984) weit über 40, vor 1980 erschienene psycholinguistische Publikationen, die oft eine Beziehung zwischen HV, zu bildlicher und filmischer Repräsentation und zu Gedächtnis- und Speicherungsmodellen sowie Lernen und Lehren herstellen. Wie praxisrelevant solche Forschungen für die didaktische Theorie des HV sein mochten, signalisieren einige Zitate aus Lenneberg (engl. 1967, dt. 1977, 116): „Die meisten Erwachsenen sind in der Lage, pro Minute bis zu 500 Silben zu sprechen“ (ebd., 117), oder: „14 Phoneme pro Sekunde“ (ebd., 118); oder: „Wenn ein Engländer medicine ausspricht, mag er tatsächlich nur zwei Silben artikulieren“ (ebd.). Oder: „So ist die Beliebigkeit von Lautkombinationen durch die phonologische Struktur natürlicher Sprachen beschränkt“ (etwa: Ausschluss von engl. -t- nach -f-). Eingebettet ist die didaktische Perzeption dieser Studien in eine wachsende Aufmerksamkeit für die Psycholinguistik generell, was allerdings Missverständnisse nicht verhinderte (passim Wolff 1993, 1994). Schließlich haben die Ergebnisse der sich entwickelnden Kognitionswissenschaften in der Fremdsprachenforschung nachhaltig Aufmerksamkeit gefunden4. All diesen Studien war gemeinsam, dass sie empirisch arbeiteten. Der Wunsch nach empirischer Belastbarkeit fachdidaktischer Aussagen sollte seither die Forschungsmethodik weiter Strecken der Wissenschaft von Lernen fremder Sprachen bestimmen. Im Zuge dieser Entwicklung verlangten Albert Raasch 1972 und Horst Arndt die konsequente Berücksichtigung empirischer Standards in der Lehr- und Lernforschung. Wolff notiert 1994: „[…] daß es nicht angehen kann, Theorien, die sich auf ideale Sprecher/Hörer beziehen, mit empirischen Verfahren an realen Hörern/Sprechern zu identifizieren“ (Arndt 1972; bei Wolff 1994, 110)5.
In der Didaktik selbst begegnen seit ca. 1980 zunehmend Arbeiten zu Fernsehen, Film und Video im Fremdsprachenunterricht (etwa Heinrichs 1978; Leupold 1980; passim: Segermann 1992, 134-157). Sie geben dem bis dahin statischen Bild eine neue Qualität (zu dessen Geschichte: Reinfried 2016). Galten Schallplatte, Tonband, Filmabspielgeräte als im Alltag schulischen Unterrichts nur schwer handhabbare Medien und stand das Sprachlabor in der Geschäftigkeit schulischer Arbeit oft nicht zur Verfügung, so änderte der 1963 auf der West-Berliner Funkausstellung vorgestellte Audiorekorder die Situation: Tondokumente wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten im Handumdrehen in den Unterricht integrierbar; Lehrbücher von Lehrwerken abgelöst, bestehend u. a. aus Lehrbuch und Tonkassette; später auch ergänzt um Sehmaterialien. In den Englisch- und Französischunterricht gelangten nun Dokumente der verschiedensten landeskundlichen Inhalte – und mit ihnen das français parlé (écrit phonique oder parlé phonique; vgl. Meißner 2016b), das français relâché und die spoken Englishes (sic) usw. Den vielleicht stärksten Eingang in den Französischunterricht fand das français parlé über die Behandlung von Chansons (Christ 2002). In der 6. Auflage von Heimann et al. (1972) Unterricht. Analyse und Planung – dem Vademecum der damaligen Referendare –, schreibt Peter Doyé (ebd. 141):
Der Erwerb von Fertigkeiten ist das eigentliche Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Da der Schüler die Sprache als Kommunikationsmittel erwerben soll, muß er im passiven und aktiven Umgang ihr, d. h. im Verstehen und eigenen Gebrauch geschult werden. (Es geht) um den Erwerb von vier Fertigkeiten:
Verstehen der gesprochenen Sprache
Verstehen der geschriebenen Sprache
Sprechen
Schreiben