Kitabı oku: «Gegendiagnose II», sayfa 4
Perspektiven und Erfahrungsreflexionen
Give me a word
Da
Gib mir ein Wort
eine Entschuldigung
dafür, wie ich mich verhalte
Ich lasse
mein Selbstverständnis gehen
wenn du es willst
Weil
du die Person bist
die mich am besten kennt
oder?
Und diese Person davor
Und diese Person davor
Ich habe gelernt
mir zu ent_trauen
weil
du mich am besten kennst
oder?
Du hast mich angesehen
wie die Gesellschaft
Da ist etwas falsch
mit mir
Anpassungsstörung
weil ich es nicht schaffe
zu funktionen
gut zu performen
Gib mir ein Wort
eine Entschuldigung
dafür, wie ich mich verhalte
eine Diagnose
weil die mich am besten beschreibt
weil die mir raus hilft
oder?
Lass uns vergessen we_r ich sein könnte
Lass uns vergessen, dass ich nicht (rein)
passe
Hilf mir
zu heilen
Lass meine Symptome verschwinden
Analysier mich
Ent_traue meiner Geschichte
Da sind Fehler in meiner Persönlichkeit
Ent_traue mir
weil
Das meine Geschichte ist
Vertrauensverlust
in mich
Weil wie ich sein
gibt es nicht
sagt die Gesellschaft
Weil wie ich sein
falsch ist
sagt die Gesellschaft
Wenn du möchtest, dass ich heile
hör mir zu
Hör einfach zu
lass es zählen
damit ich anfangen kann
Mir zu
Ver_trauen
Give me a word
Da
Give me a word
an excuse
to behave the way I do
I‘ll let go of
my self-concepts
if you want me to
Because
you‘re the person
who knows me best
right?
And this person before
And this person before
I‘ve learned
to dis_trust myself
because
you know me the best
right?
You looked at me
like society does
There‘s something wrong
with me
personality disorder
Anpassungsstörung
because I didn‘t manage
to work
to perform well
Give me a word
an excuse
to behave the way I do
a diagnosis
because that describes me the best
that will help me out
right?
Let‘s forget who i was meant to be
Let‘s forget that I don‘t fit in
Heal me
Cure me
Let my symptoms fade
Analyse me
Dis_trust my story
Looking for faults in my personality
Dis_trust me
because
That‘s my story
the loss of trust
in myself
Because being me
doesn‘t exist
society says
Because being me
is wrong
society says
If you want me to heal
listen
Just listen
and let it count
so I can start learning
to Re_trust
Myself
Nicht-binär_trans* in Therapie? Eine (Selbst-)Reflexion aus zwei Perspektiven
Kalle H. und Blu D.
Der Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen ist für alle Personen, die sich nicht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, bis heute beschränkt. Um Zugang zu Hormonen oder Operationen zu erhalten, müssen sich binäre wie nicht-binäre trans* Personen in Psychotherapie begeben.14 Gegenüber Psychiater_innen oder Psychotherapeut_innen müssen sie immer wieder eine binäre Trans*identität nachweisen, bis ihnen am Ende ein Schreiben ausgestellt wird, dass ihnen diese bestätigt und somit den Zugang zu medizinischen Maßnahmen ermöglicht. Diese Situation ist für alle trans* Personen eine starke Einschränkung der Entscheidungsfreiheit und persönlichen Autonomie und sollte als ein Ausdruck von struktureller Trans*feindlichkeit verstanden werden. Inwieweit nicht-binäre trans* Personen in der Auseinandersetzung mit therapeutischen Settings jedoch noch einmal spezifische Erfahrungen (von Diskriminierung) machen, möchte der folgende Beitrag aus autobiographischer Perspektive untersuchen. Hierfür werden die Erfahrungen zweier Personen, die sich als nicht-binär trans* verorten, in ihren Verbindungen, Brüchen und Widersprüchen nebeneinander und miteinander vorgestellt. Wir verzichteten darauf, deutlich zu markieren, wer an welcher Stelle spricht, um einerseits diese Verbindungen aufzuzeigen. Andererseits hoffen wir, dass durch Verwirrung und Momente der Irritation alte Geschlechtervorstellungen und -bilder bewusster werden und ein Raum entsteht, um diese zu hinterfragen.
Unser erstes Treffen findet in einem spärlich eingerichteten Zimmer statt. Blick auf den Hinterhof. Weiße Wände, abstrakte Gemälde. Wir sitzen uns in unbequemen Kunstledersesseln gegenüber. Zwischen uns ein kleines IKEATischchen, auf das die Therapeutin ein Formular nach dem anderen legt. Ich unterschreibe ihr eine vorbereitete Erklärung zur Berichtspflicht gegenüber meines Hausarztes, eine Behandlungsvereinbarung, eine Honorar-Ausfallvereinbarung, eine Einverständniserklärung zur Bild- und Tonaufzeichnung für Ausbildungszwecke, eine Aufklärung nach dem Patientenrechtegesetz und eine Einverständniserklärung zur Behandlung. Wir haben wenig Blickkontakt und unser Gespräch ist auf die Erklärung zu den Formularen beschränkt.
Nach einer halben Stunde ist der bürokratische Teil unseres Kennenlernens beendet. In den letzten Minuten bekomme ich den Raum um zu reden. Nun möchte sie wissen: »Warum möchten Sie eine Therapie beginnen?« Meine Worte sind bereits zurechtgelegt, bevor ich zu sprechen beginne. Ich erzähle ihr m_eine Geschichte und merke, dass es für mich doch eine Überwindung ist, mich so verletzlich vor ihr zu zeigen. Ich erzähle ihr davon, dass ich mich als trans* verorte, dass ich seit mehr als eineinhalb Jahren einen selbstgewählten, männlich* gelesenen Namen für mich benutze, dass ich keine ›Frau‹ bin, nicht als ›Frau‹ in meinem Alltagsleben wahrgenommen werden möchte. Ich spreche davon, wie viel Energie es mir zieht, wenn mich Personen dennoch als ›Frau‹ wahrnehmen und z.B. mit dem Pronomen ›sie‹ über mich sprechen. Ich unterlasse es bewusst zu sagen, dass ich ein ›Mann‹ bin oder als ›Mann‹ in meinem Alltag wahrgenommen werden möchte. Stattdessen vertraue ich auf die binäre Logik der Gesellschaft, dass ich als Nicht-Frau dann wohl ein ›Mann‹ sein müsste. Ich verschweige meine nicht-binäre Identität und hoffe, dass ich auch ohne die Reproduktion von binären Trans*narrativen von ›falschen Körpern‹ und ›immer schon gewusst‹ für die Ohren der Therapeutin ›trans genug‹ bin.
Sie hört mir zu, Stift auf dem Klemmbrett. Ich überwinde mich ein bisschen und erzähle weiter, von verschlechterten Beziehungen zu meiner Familie und zu alten Freund_innen, seitdem ich zu meinem Trans*sein stehe. Zuletzt erwähne ich kurz meine sozialen Unsicherheiten und Ängste, die mich seit so vielen Jahren begleiten, die mich mal mehr und mal weniger einschränken.
Ich spreche mehrere Minuten, ohne dass sie mich unterbricht. Währenddessen spüre ich einen Druck, meine Anliegen kurz vor Ende unserer ersten Sitzung schnell und präzise zu erklären. Die Therapeutin zeigt keine emotionale Reaktion und wird mir erst beim nächsten Treffen sagen, dass sie meine Geschichte traurig fand. Dabei werde ich keine Spur von Traurigkeit in ihren Gesichtszügen erkennen.
In der nächsten Sitzung fragt mich die Therapeutin, mit welchem Pronomen ich angesprochen werden möchte. Ich bin positiv überrascht und denke, dass dies meine Chance auf Sichtbarkeit als nicht-binäre trans* Person ist. Ich erzähle vorsichtig, dass ich in meinem Alltag ein nicht-binäres Pronomen für mich verwende und mich am wohlsten damit fühle, wenn Personen bei einer förmlichen Anrede meinen Vor- und Nachnamen nutzen. Ich bin kein ›Er‹ und keine ›Sie‹, kein ›Herr‹ und keine ›Frau‹.
Die erste Reaktion der Therapeutin ist gelassen. Sie kommentiert meinen Pronomenswunsch nicht. Dann erklärt sie, dass sie keine Übung oder Sicherheit im Umgang mit nicht-binären Pronomen hat und sich nur die Verwendung von ›er‹ oder ›sie‹ als Pronomen vorstellen kann. Auch bei meiner Anrede ist sie wenig flexibel und bietet mir nur die Option ›Herr‹ an. Enttäuschung und Verärgerung. »Warum hatte sie mich überhaupt gefragt, welches Pronomen und welche Anrede ich verwenden möchte, wenn ich dann doch keine Wahl habe?«, überlege ich wütend auf dem Weg nach Hause.
Als ich mich für den Trans*March 2016 schminkte und mir das erste Mal knallroten Lippenstift auftrug, wurde die ganze Sache realer. Ich sah in den Spiegel und erkannte mich. Ich wollte von jetzt an für immer in femininer Kleidung und geschminkt herumlaufen, aber wer war ich dann? Und würde ich das wirklich aushalten?
Der Trans*March war wunderbar. Ich sah soo viele Queers und Trans* an diesem warmen, sonnigen Tag und fühlte mich sehr wohl. Angetrieben von den positiven Erfahrungen experimentierte ich weiter herum und stolperte irgendwann über den Begriff nicht-binär. Damit fingen auch Fragen nach körperlicher Veränderung an: Was sollte ich tun, wenn ich meinen Bart nach so vielen Jahren loswerden möchte, aber es mir nicht leisten kann?
Ich müsste Therapie machen. Das wollte ich nicht. Ich redete mit vielen Menschen über ihre Therapieerfahrungen und immer wieder kam neben dem ganzen Mist, den sie über sich ergehen lassen mussten, eine Sache raus: nicht-binär gibt es in der Therapie nicht. Wie sollte ich damit umgehen, wenn meine Trans*geschichte nicht zu der allgemein anerkannten und bekannten Trans*geschichte passt?
Auf dem Weg zur Therapie stelle ich fest, dass ich nicht auf meine Kleiderauswahl geachtet habe. Ich trage ein lockeres, hellblaues T-Shirt, darunter einen Binder15, eine enge Jeans mit eher femininem Schnitt und bronze-glänzende Turnschuhe. In meinem Alltag mag ich dieses Outfit und fühle mich wohl darin. Ich mag die Verwirrung, die ich damit provoziere. Mir gefällt es an bestimmten Tagen eher als queerer boy gelesen zu werden. Aber im Kontakt mit der Therapeutin ist mir dieser Geschlechtsausdruck auf einmal unangenehm und ich mache mir Sorgen, dass ich auf einer imaginären Trans*Skala Punkte verliere, sobald ich mich (so) zeige.
Ich rutsche verunsichert auf dem Kunstledersessel herum und versuche so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mein Outfit zu lenken. Vor allem versuche ich meine Schuhe und meine Hose zu verstecken. Jedes Mal, wenn ich die Beine überschlagen möchte, erinnere ich mich im letzten Augenblick daran, es nicht zu tun. Ich will nicht durch eine feminin konnotierte Körperhaltung noch weniger als trans*maskulin wahrgenommen werden. Um sicherzugehen entscheide ich mich daher für eine eher breitbeinige Pose und reproduziere damit eine normative Vorstellung von Männlichkeit. In den weiteren Sitzungen kontrolliere ich mein Auftreten genauer, bevor ich das Haus verlasse. Manchmal lackiere ich mir lieber noch einmal einen rosafarbenen Fingernagel ab. Manchmal entscheide ich mich dafür, noch einen Binder anzuziehen, obwohl ich mich an diesem Tag mit meinen Brüsten eigentlich ganz ok fühle. Manchmal ziehe ich kurzfristig einen Packer16 an, um mir Bestätigung für meine queere Form von Maskulinität zu geben.
Ich bin nicht abhängig von ihrem Blick, um mich zu sehen. Aber ich bin sehr abhängig von ihren Urteilen über meine Geschlechtsidentität. So wenige normative Vorstellungen, was Trans*sein ausmacht, treffen auf mich zu. Ich möchte kein Risiko eingehen. Ich weiß, dass ich hier durch meine Aussagen, Kleiderauswahl und Körperhaltung beweisen muss, welches Geschlecht ich habe. Und ich weiß, dass Therapeut_innen immer wieder über Kleidung und Körperhaltung Rückschlüsse auf die Geschlechtsidentität einer Person ziehen. Ein anderer Therapeut wird mir Monate später verraten, dass er es positiv vermerkt, wenn Patient_innen einen eindeutig femininen oder maskulinen Geschlechtsausdruck wählen und dementsprechend über einen längeren Zeitraum hinweg in der Therapie erscheinen. Er wird mir sagen, dass er meine Erscheinung positiv bemerkt hat.
Meine Geschichte handelt von einem Jungen, der sich nie so ganz wohlfühlte, aber auch nicht total unwohl, der gerne mit Jungssachen spielte, aber auch mit anderen Sachen, der einen Leidensdruck hatte, aber es nie als im falschen Körper beschrieben hätte.
Meine Geschichte handelt von einer Person, die dachte, dass es nur möglich ist, jetzt eine Frau zu sein, aber sich weder als Mann noch als Frau fühlt(e). Diese Person konnte sich dann mit dem Begriff nicht-binär anfreunden und sich in diesem Wort entspannen, auch wenn es nicht einfach ist. Als die Person diesen Ort gefunden hatte, war sie 26 Jahre alt.
»Hört sich nicht so gut an für die Therapie, hm?«, denke ich.
Mir bleiben also zwei Möglichkeiten: Entweder ich mache keine Therapie und versuche irgendwie so weiterzumachen oder ich würde mich durchlügen und -mogeln.
Es würde mir vermutlich ganz gut helfen, mich mit einer außenstehenden professionellen Person auszutauschen, aber wie soll mir das helfen, wenn ich nicht ehrlich sein darf?
Ich kann nicht entspannt über mein Leben reden, weil ganz viele Dinge nicht passen. Ich würde permanent in mir die Angst spüren, dass ich mich verquatsche. Unter diesem Druck kann ich das nicht.
Diese Person kann mir eine Tür öffnen, um vielleicht irgendwann eine Haarepilation durch die Krankenkasse finanziert zu bekommen. Diese Person bewacht eine Tür zu einem besseren Gefühl mit mir selbst. Sie reagiert auf Codes, die ich nur teilweise kenne. Ich bin von ihr und ihren Urteilen abhängig.
Wie kann ich für nicht-binär-Sein kämpfen, Menschen in Workshops sensibilisieren und empowern und gleichzeitig bei anderen Personen, die standardbinäre Geschichte erzählen? Und somit den einen Trans*weg, wie über trans* Personen gedacht und geredet wird, weiter zementieren? Dabei zieht es sich in meinem Bauch zusammen.
Es ist ein Dilemma. Manchmal tendiere ich in die eine Richtung, manchmal in die andere. Es gibt Tage, da fühle ich mich mit mir ganz gut und andere, an denen ich alles ändern möchte und es nicht mehr aushalte.
Zum Ende der probatorischen Sitzungen vereinbaren wir Therapieziele. An erster Stelle steht das ›Störungsverständnis‹, dahinter kommt als zweitwichtigstes Ziel, die ›Vorbereitung und Begleitung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen‹. Laut ihrer Aussage ist das wichtig für die Krankenkasse und eine Therapie für trans* Personen wird angeblich nur bewilligt, wenn Fragen rund um eine körperliche Transition mit hoher Priorität behandelt werden. Für mich ist es aktuell eine relevante Frage, ob ich demnächst eine Hormontherapie beginnen, also Testo_steron nehmen möchte. Immer wieder habe ich den (schwankenden) Wunsch nach körperlicher Veränderung, um in dieser Gesellschaft weniger als ›Frau‹ eingelesen zu werde.
Dennoch ist der Wunsch nach Testo nicht der einzige Grund, warum ich eine Psychotherapie beginne. Die Entscheidung, offen mit meinem Trans*sein umzugehen, warf mein Leben durcheinander. Bezugspersonen brachen weg. Ich gab mein Studium auf und entschied ziemlich schnell, nach Berlin umzuziehen. Viele Veränderungen in kurzer Zeit. Ich wünsche mir Unterstützung, um damit umzugehen. Ich wünsche mir Unterstützung, Respekt und Annahme, weil mir das in dieser Gesellschaft so oft verweigert wird.
Bei der Antragsstellung wird mir eine Diagnose verpasst. F 64.0: Transsexualismus. Ein Begriff, der sich so weit weg anfühlt, dass er beinahe lustig ist. Würde ich im Alltag nicht einfach lachen, wenn mich eine andere Person als ›transsexuell‹ bezeichnen würde? Der Begriff ist so alt, dass er in meinem Ohren so lächerlich klingt wie ein Song aus den 80ern. Der Begriff ist so alt, dass in ihm so viel Gewalt, Trans*feindlichkeit, Stigmatisierung und Unterdrückung steckt. Nein, ich würde auch nicht im Alltag lachen, wenn mich eine andere Person als ›transsexuell‹ bezeichnet. Der Begriff ist und bleibt für mich eine pathologisierende psychiatrische Fremdbezeichnung, die ich mir nicht aneignen kann und möchte. Und wenn ich mich darüber lustig mache, dann ist das meine vorübergehende, machtlose Umgangsstrategie um mit diesem medizinischpsychotherapeutischen Apparat klarzukommen.
Es überschreitet meine Grenze, dieses Wort zugeschrieben zu bekommen. Vor allem von einer Person, die in diesem System die Definitionsmacht hat. Ich werde zum ›Kranken‹ und ›Anderen‹ gemacht, damit ich Anspruch auf Therapie habe. Es reicht nicht zu sagen: dieses System ist so verdammt anstrengend, zermürbend, belastend und schmerzhaft für Queers und alle weiteren Personen, die sich jenseits von gesellschaftlichen Normen bewegen und täglich Diskriminierung erfahren. Es reicht nicht zu sagen: wir wollen diesen Menschen einen Raum bieten. Einen Raum, wo all die Schmerzen durch die lebenslange, strukturelle Diskriminierung endlich gehört, angenommen und umsorgt werden. Mein Trans*sein ist, war und wird nie das Problem sein, warum ich eine Therapie beginne. Mein Problem ist die Trans*feindlichkeit in diesem System, die ich täglich erfahre. Mein Anliegen ist es, die erfahrenen Verletzungen von Trans*feindlichkeit zu heilen und widerständiger für noch kommende Erfahrungen zu werden. Das ist natürlich kein Therapieziel, das wir gegenüber der Krankenkasse formulieren können. Wieviel Unterstützung kann mir eine Therapie anbieten, die strukturelle Formen von Diskriminierung nicht mitdenken kann und die mich stattdessen pathologisiert?
Einige Probleme und das Niedergeschlagen-Sein, das ich oft spüre, sind auf mein Trans*sein zurückzuführen. Die heteronormative und cisnormative17 Gesellschaft macht mir zu schaffen. Die ganzen kleinen Stiche, die mir jeden Tag zu verstehen geben, dass ich anders bin. Das Versteckspiel in gefährlichen Situationen, z.B. wenn ich in der Männersammelumkleide bin, den Blick auf den Boden gerichtet halte und hoffe, dass meine lackierten Fingernägel nicht auffallen. Währenddessen konzentriere ich mich darauf so schnell wie möglich alles in den Spind zu schmeißen und dann schnell hinauszuhechten. Ich bin dann schon nach dem Umziehen von der ganzen Angst, die in mir aufsteigt, gut aufgewärmt.
Nach dem Training zurück in der Umkleide sprühe ich mich fast mit meinem süßlich riechenden Deo ein, welches ich so sehr mag, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Dann lache ich in mich rein und freue mich traurig darüber, dass meine nicht-binäre Super-Agent_innen-Identität nicht aufgeflogen ist und ich weiter sicher in der Unsichtbarkeit bin. Ich komme mir so absurd und verdreht vor und bin erleichtert, als ich auf meinem Fahrrad nach Hause sitze.
In manchen Momenten frage ich mich, was für eine Person ich in einer Gesellschaft geworden wäre, in der queer sein gefeiert wird. Hätte ich mich auch so oft verunsichert oder unwohl gefühlt? Hätte ich mich häufiger als zugehörig zu Gruppen wahrgenommen und weniger diese diffuse Angst gehabt, als Nicht-Frau oder Nicht-Mädchen aufzufliegen? Hätte ich mich als kleiner Mensch öfter getraut, auf andere kleine Menschen zuzugehen und Freund_innenschaften zu knüpfen? Wäre meine Angst ›vergessen zu werden‹ heute genauso groß, wenn mich mehr Menschen in meiner queeren Geschlechtsidentität gesehen hätten?
In einer Sitzung, in der wir über mein Trans*sein sprechen, hakt die Therapeutin nach, woher ich denn gewusst habe, dass ich trans* bin. Am liebsten hätte ich einfach gesagt, dass ich es weiß und dass es vollkommen ausreicht, wenn ich das so sage. Aber die Regeln sind anders und ich unterwerfe mich dem Rechtfertigungszwang. Ich erzähle von dem Unwohlsein in meiner ersten und einzigen Hetero-Beziehung. Es war mir so unangenehm, die Cis-Frauen Rolle in dieser Beziehung auszufüllen und durch Blicke immer wieder darauf reduziert zu werden. Ein Schlüsselmoment war ein Spaziergang mit jener Beziehungsperson und meinem Vater. An jenem Tag trug ich Ohrringe, einen roten, knielangen Cord-Rock, ein schreiend buntes Oberteil und Sandalen mit leichtem Absatz. Mein langes Haar hatte ich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Während wir spazierten, spürte ich plötzlich eine so große Distanz zu mir selbst. Ich selbst war unsichtbar. Stattdessen hätte ich genauso gut ein_e Schauspieler_in auf der Bühne sein können, die hier die Rolle der ›Tochter‹, der ›Freundin‹, der ›Cis-Frau‹ übernimmt. Ich war ein buntes, schmuckes Paradiesvögelchen in einer Drag-Performance, mit der ich mich selbst nicht wohlfühlte.
Ich vertraue der Therapeutin mein Unwohlsein und diese Erinnerung an. Und ihre Reaktion: »Wer fühlt sich schon wohl als Cis-Frau?« Mir fällt keine schlagfertige Antwort ein. Heute bin ich noch immer über diesen Kommentar wütend. Natürlich gibt es Personen, die sich als Cis-Frauen wohlfühlen. Und natürlich gibt es auch solche, die es nicht tun, die sexistische Rollenerwartungen einengen und die Zuschreibungen belasten. Aber diese Tatsache macht mich nicht weniger trans* und hat mit meiner Geschichte wenig zu tun.
Ein weiterer Kommentar in dieser Sitzung: »Und vielleicht möchten Sie dann irgendwann Testo nehmen und stellen fest, dass sie gar nicht so queer sind.« Ich habe keine Verteidigung für diese trans*feindlichen Aussagen im therapeutischen Setting. Jedes Mal erwischt mich die Therapeutin auf kaltem Fuß. Oft merke ich erst im Nachhinein, dass hier erneut mein Trans*sein und meine Queerness in Frage gestellt wurden. Ich bin dann tagelang aufgewühlt und suche mir emotionale Unterstützung bei Freund_innen und Beziehungspersonen. In diesen Gesprächen kann ich stückweise aufdecken, warum die Aussagen der Therapeutin mich belasten und verfolgen.
Ich würde den Aussagen der Therapeutin gerne kraftvolle Gegenfragen entgegensetzen: »Was genau meinen Sie damit, wenn Sie sagen, dass ich vielleicht irgendwann Testo nehmen möchte und dabei feststelle, dass ich gar ich nicht so queer bin? Warum macht mich ein Wunsch nach körperlicher Veränderung weniger queer? Warum wird impliziert, dass ›richtige‹ Queers keine Hormone nehmen? Wer hat hier die Definitionsmacht darüber, was queer (nicht) ist?« Aber zu dieser Konfrontation kommt es nie und ich fühle mich ohnmächtig in einer machtdurchtränkten Beziehung, in welcher ich der cis-geschlechtliche Therapeutin als trans* Person und Patient_in doppelt unterlegen bin.
Als ich darüber nachdachte, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, beschlichen mich immer wieder Zweifel und Ängste. In jener Zeit litt ich sehr stark unter meiner Queerness, fühlte mich allein, einsam und verängstigt. Ich wollte nicht, dass ein Kind von Anfang an ein schweres Leben hätte. Ich wollte nicht, dass es mich mit meinen inneren und äußern Kämpfen als Elternteil hätte und wegen mir ausgeschlossen würde. So entschied ich mich unter anderem deswegen erst einmal dagegen, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.
Das ist ganz und gar nicht »proud to be trans*_queer«. Ich weiß. Ich dachte lange, dass andere trans* Personen oder Menschen, die aufgrund anderer Identitätsbausteine diskriminiert werden, nie abwertenden Gedanken haben. Dann fand ich heraus, dass es sehr wohl so ist. Diskriminierte Personen leiden nicht nur unter den kleinen stetigen Stichen von Außen, sondern sie setzen sich auch selbst herab, weil sie den Außenblick verinnerlichen.
Diese (Selbst-)Abwertungen stressen mich! Sie machen mich krank!
Nach der Bewilligung meines Therapieantrags durch die Krankenkasse treffen wir uns erneut in einem nicht-sagend eingerichteten Raum. Die Therapeutin beginnt die Sitzung, indem sie mir eröffnet, dass nur eine Kurzzeittherapie bewilligt wurde. Der Sachbearbeiter, der für die Bearbeitung meines Antrags zuständig war, zweifelt meine Geschlechtsidentität an, weil ich in meinem Leben noch keiner langfristigen Lohnarbeit nachgegangen bin. Seine Argumentation ist einfach, wenig kapitalismuskritisch und in meinen Ohren trans*feindlich. Ohne eine berufliche Identität könne ich meine Geschlechtsidentität nicht finden. Ich müsse erst beruflich oder lohnarbeitstechnisch Orientierung finden, um glaubwürdig trans* sein zu können. Wo kommt dieser Gedanke her, dass berufliche und geschlechtliche Identität in irgendeiner Form zusammenhängen?
Die Therapeutin nimmt eine vermittelnde Position zwischen mir und dem Sachbearbeiter ein und meint, sie könne sowohl seine als auch meine Position verstehen. Doch das reicht mir nicht. Ich will Solidarität und ich will, dass meine Geschlechtsidentität respektiert wird, egal, wie viel Zeit ich in meinem Leben mit Lohnarbeit zugebracht habe. Ich will, dass meine Geschichte respektiert wird.
Die Gewalt der Argumentationsweise wird mir auf dem Nachhauseweg bewusst. Wieder einmal wird meine Geschlechtsidentität angezweifelt. Wieder einmal behauptet eine Person mit Cis-Privilegien und Entscheidungsgewalt besser zu wissen, wer ich bin. Ich stehe neben mir, bin wie weggetreten und merke erst am Ostkreuz, dass ich eigentlich schon eine Station vorher hätte aussteigen wollen.
Und hier in Berlin ist die Situation relativ gut. Es gibt Listen von trans*freundlichen oder einigermaßen trans*freundlichen Therapeut_innen. Doch die Hürde bleibt groß, vor allem wenn ich immer wieder sehe, wie Freund_innen keine guten Therapeut_innen finden und daran verzweifeln. Andere machen immer und immer wieder Erfahrungen mit Therapeut_innen, die sich mit queeren oder speziell nicht-binären Themen nicht auskennen. Dann stürze ich mich doch lieber in Berge von Arbeit und lenke mich von diesem Thema ab.
Anfang August breche ich die Therapie ab. Das anfängliche Gefühl von Erleichterung, dass ich nun endlich einen Schlussstrich gezogen und diese kraftzehrende Beziehung beendet habe, ist schnell verflogen. In mir kommt Ohnmacht auf. Ich habe im Moment keine Energie für eine neue Therapeut_innen-Suche. Eine Liste von trans*freundlichen Therapeut_innen arbeitete ich im März bereits ab. Auf einer anderen Liste entdecke ich nur wenige neue Namen. Die Namen auf den Listen verraten mir nicht, ob eine Person für nicht-binäre trans* Personen offen ist oder sich mit diesem Thema überhaupt schon einmal auseinandergesetzt hat. Ich beschließe die Suche erst einmal auf Eis zu legen.
Im Herbst schaffe ich es zu einer queeren Beratungsstelle und bekomme eine weitere Liste. Mit einem Freund, der gerade ebenfalls auf Therapeut_innenSuche ist, gehen wir gemeinsam die Namen durch und erzählen uns, wen wir schon einmal angeschrieben haben, welche Namen uns schon empfohlen wurden und von welchen Personen uns eher abgeraten wurde. Ich nehme meine Energie zusammen und schreibe eine Handvoll Therapeut_innen an. Daraus ergibt sich ein Vorgespräch, dass ich mit einem ambivalenten ersten Eindruck verlasse. Dieser Therapeut hier kann sich zumindest vorstellen, mich mit nichtbinären Pronomen und ohne binäre Anrede anzusprechen. Trotzdem spüre ich nur ein halbes Ja in mir. Nach meiner letzten Erfahrung bin ich vorsichtig und gebe die Rückmeldung, dass ich noch andere Therapeut_innen kennenlernen möchte.
An Testo gelange ich schließlich über Kontakte. Ein Freund fragt für mich seinen Therapeuten, ob er mich mit einem Indikationsschreiben unterstützen würde. Zuerst habe ich Schuldgefühle, weil ich eine Möglichkeit nutze, die nicht für alle offensteht. Verhalte ich mich unsolidarisch gegenüber anderen trans* Personen, die nicht durch trans* Freund_innen Unterstützung erfahren und sich monatelang mit Therapeut_innen herumschlagen müssen?
Ich entscheide, dass es keiner Person hilft, wenn ich mich allen Regeln dieses trans*feindlichen Systems unterwerfe, und vereinbare einen Termin mit dem Therapeuten. In den zwei Sitzungen mit ihm beantworte ich viele Fragen. Ich sammele Trans*punkte, wenn ich von meinem aktuellen Namen, dem Unwohlsein mit dem Pronomen ›sie‹ und meinem Wunsch nach körperlicher Veränderung erzähle. Ja, ich bin mir sicher, dass ich Testo nehmen möchte. Für mich ist die Vorstellung einen Bart, eine tiefere Stimme und veränderte Gesichtszüge zu haben stimmig. Ich will das jetzt. Und ja, ich habe diesen Wunsch schon länger. Und noch einmal ja, ich nehme auch Stimmungsveränderungen durch Hormone in Kauf. Während ich auf all diese Fragen eingehe, bleibt mein Blick an der Tür hinter dem Therapeuten hängen. Gatekeeping. Egal wie sympathisch mir dieser Therapeut gerade erscheint, er und andere Therapeut_innen haben doch so viel Macht darüber, mir den Zugang zu Testo und anderen geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu ermöglichen oder zu verwehren.
Wann müssen sich Cis-Personen eigentlich einmal für ihre Geschlechtsidentität erklären? Warum wird nur bei trans* Personen angenommen, dass die Entscheidung Testosteron oder Östrogene zu nehmen durch eine ›Expert_in‹ abgesegnet werden muss? Warum dieses große Aufheben um die sogenannten ›Geschlechtshormone‹? Als ich vor Jahren Schilddrüsenhormone verschrieben bekam, war es doch auch keine große Sache.
Ich bestehe den Trans*test. Meine Antworten haben den Therapeuten so weit zufriedengestellt, dass er mir das gewünschte Schreiben ausstellt: „Bei dem Patienten kann von einer ausreichenden stabilen Stimmigkeit und Konstanz seines männlichen Identitätserlebens ausgegangen werden.“ Von Nicht-Binarität ist schon lange keine Rede mehr.
Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Was ich mir gewünscht hätte, ist nicht mehr und nicht weniger als Respekt für meine Identität. Ob ich trans* bin oder nicht, ob ich nicht-binär bin oder nicht, kann ich am besten selbst sagen. Und trotzdem war ich in der Auseinandersetzung mit Therapeut_innen damit konfrontiert, dass eine andere Person, die meine Erfahrung nicht teilen kann, zugestanden wird, das besser beurteilen zu können als ich selbst. Für mich gibt es keine akzeptable, nicht-trans*feindliche Begründung, um dieses Misstrauen an meiner Selbstverortung zu rechtfertigen.
Ich hätte mir gewünscht, dass mein Pronomen und meine Präferenz für eine nicht-gegenderte Anrede akzeptiert wird. Im Alltag ist es für mich anstrengend genug, immer wieder mit dem binären Geschlechtersystem konfrontiert zu sein, wenn mir Personen ein Geschlecht zuschreiben und mich dann auf eine unerwünschte Weise ansprechen. Therapie konnte mir nicht einmal so viel Abstand von der Zweigeschlechtlichkeit bieten, dass zumindest mein Pronomen und meine Identität respektiert wurde. Das empfinde ich als besonders bitter, weil ich mir gerade dort einen Raum wünschte, um den Schmerz über mangelnden Respekt für meine Identität, meinen Namen und mein Pronomen zu thematisieren.