Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 11
3.6.4. Verschiedene Landkarten, eine Grundhaltung
GestalttherapeutInnen können mehrere verschiedene Landkarten benutzen. Sie können entscheiden, welche Perspektive sie wählen wollen, ohne ihre gestalttherapeutische oder irgendeine andere Kompetenz zu verlieren. Wenn es von Nutzen ist, kann sich die TherapeutIn erlauben, sich bewusst auf die Aspekte der therapeutischen Situation zu konzentrieren, die mithilfe des Filters einer psychiatrischen Diagnose gut sichtbar werden. Sie kann sich auf das medizinische Modell stützen und muss nicht mit ihm konkurrieren.
Allerdings nutzen wir das medizinische Modell, ohne das medizinische Paradigma als Ganzes zu übernehmen. Eine GestalttherapeutIn setzt diagnostische Systeme hermeneutisch ein, nicht nach dem medizinischen Ansatz (siehe unten). Eine GestalttherapeutIn versieht ihre PatientInnen nicht mit Etiketten, so als wollte sie etwas benennen, das ausschließlich zu dieser einen PatientIn gehört, etwas Fixes, das auch existieren würde, wenn man es von der Situation abstrahierte. Dies entspräche einer medizinischen Modellposition. Im Prozess der Kreation einer Kontaktfigur nutzt ein gestalttherapeutischer Ansatz alle Informationen aus diesem Bereich als Teil des Hintergrunds. Wie viele andere Hintergründe ist auch dieser Hintergrund unvermeidbar. Wir können nichts weiter tun als uns dieser Tatsache bewusst zu sein und ihn als das zu nutzen, was er ist: ein Vorwissen.
Wenn es hilfreich ist, kann die TherapeutIn dann zulassen, dass diese bestimmte symptomatische Perspektive zugunsten der anderen Perspektiven, der kontextuellen und der ko-kreativen Perspektive, in den Hintergrund tritt. Es wäre Energieverschwendung, wenn wir – als GestalttherapeutInnen – diese Modelle miteinander konkurrieren ließen (und sei es nur in unseren Köpfen) und dem »Gut gegen Böse«-Paradigma verhaftet blieben. Stattdessen ist es möglich, das Potenzial zu nutzen, das die drei unterschiedlichen Schwerpunkte bieten, und sie sich dynamisch ergänzen zu lassen. Die TherapeutIn setzt sie ein, um der Bedeutung der therapeutischen Situation einen Namen zu geben und unterstützt auf diese Weise die Ko-Kreation der Kontaktfigur. Wenn sie eine Diagnose erstellt, ist sie immer an der Kontaktgrenze anwesend. Die TherapeutIn mag unterschiedliche Landkarten zurate ziehen, um sich zu orientieren, doch sie steht der PatientIn weiterhin zur Seite und steht für den gemeinsamen Weg zur Verfügung.
3.7 Der Einsatz von Diagnosen zur Förderung des therapeutischen Prozesses
Die diagnostische Beschreibung der therapeutischen Situation ist bei reflexiven Prozesse hilfreich, z. B. wenn sich die TherapeutIn nach der Sitzung Notizen macht oder wenn sie zur Supervision kommt. Außerdem fördert sie im Verlauf einer therapeutischen Sitzung die Orientierung. Zudem kann sie als therapeutisches Werkzeug eingesetzt werden, wenn die TherapeutIn ihre diagnostischen Überlegungen sicher und einfühlsam in das Gespräch mit der PatientIn einfließen lässt und sie dadurch gemeinsam ihre Bewusstheit für die aktuelle Situation erweitern können. Jedes extrinsische Diagnose-System kann von einer GestalttherapeutIn verwendet werden, solange es hermeneutisch genutzt wird, also auf eine Art und Weise, die den Kontakt unterstützt.
Vorsicht ist geboten, wenn man eine Diagnose als eine extrinsische Landkarte verwendet.21 Als Handlung, die zwangsläufig objektiviert, besteht das Risiko, »Gewalt auszuüben« und die Subjektivität des Menschen zu verlieren. Keine Landkarte kann alles über die Subjektivität des/der anderen aufzeigen: Sie wird immer ein Geheimnis bleiben (Jaspers 1963). Wie können wir diese Art von Diagnose in die Beziehung bringen und gleichzeitig vermeiden, »eine Norm durchzusetzen, statt dem anderen zu helfen, sein Potenzial zu entwickeln?« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. 1, 310)
Mit dem naturalistischen und dem hermeneutischen Modell gibt es zwei verschiedene Horizonte, in denen Diagnosen in der Therapie verortet werden können. Das naturalistische Modell impliziert eine objektivierende Beziehung, die auf den intersubjektiven Kontakt ausgerichtet ist. Es ist das medizinische Modell: Symptome werden »kartiert« und die Landkarte, die sich aus diesen Daten ergibt, wird dann bei der Behandlung eingesetzt, ohne dass die Subjektivität der PatientIn eine Rolle spielte. Im hermeneutischen Modell wiederum ist der diagnostische Prozess ko-konstruiert und kombiniert das Wissen (und das Vorwissen) von TherapeutIn und PatientIn (Gadamer 1960; Salonia 1992; Sichera 2001).
Die »Metaposition« oder der »andere Raum«, der nach und nach mit der PatientIn ko-kreiert wird, stellt eine(n) »Dritte(n)« dar, in der die therapeutische Beziehung verankert werden kann. Es ist ein Raum, der aus dem Bedürfnis der TherapeutIn entsteht, sich zu orientieren, das Erleben, das mit der PatientIn ko-kreiert wird, zu interpretieren und eine Konfluenz mit diesem Erleben zu vermeiden. Es ist ein Raum, der aus dem Bedürfnis der PatientIn entsteht, zu glauben, dass es einen Ausgangspunkt und daher auch ein Ziel gibt.
Die objektivierende Verwendung von naturalistischen Diagnosen schafft eine Kluft zwischen der PatientIn und ihrem Beziehungskontext. Die daraus entstehende Isolation kann pathogen werden und noch mehr erlebtes und zum Ausdruck gebrachtes Leiden schaffen, indem sie die Beziehungen der PatientIn zusätzlich verletzt. Wir müssen das latente Risiko umgehen, Verhaltensweisen mit gelebten Erfahrungen zu verwechseln und den anderen/die andere in Kategorien »einzufrieren«. Alternativ dazu kann eine Diagnose einen beziehungsorientierten Prozess darstellen, der durch Kontakt und durch die Wahrheit ko-kreiert wird, die der Kontakt freisetzt.
Die Landkarte hat einen zirkulären Einfluss auf das Gebiet: Die (pathogenen oder unterstützenden) Auswirkungen der gestellten Diagnose werden auf individueller, familiärer und sozialer Ebene spürbar. Als Teil des Beziehungsprozesses in der Psychotherapie ist es die Intention einer Diagnose, die therapeutische Beziehung zu unterstützen. Dabei lassen sich zwei Unterstützungsfunktionen feststellen: Die erste gibt der therapeutischen Beziehung eine entwicklungsgemäße Richtung. Eine Diagnose muss das Leiden von Beziehungen abschätzen und kommunizieren können. Was die TherapeutIn herausarbeiten will, ist die Art, wie eine Beziehung leidet und welche Intentionalität während des Kontaktes unterstützt werden muss. Die zweite Unterstützungsfunktion verankert die therapeutische Beziehung in einem dritten Element. Die Diagnose kann selbst dieses dritte Element sein, das die Therapie in einem erweiterten Korpus von Wissen und Erfahren, in einer sedimentären und gemeinsamen Geschichte, in der beruflichen Gemeinschaft verankert.
In der therapeutischen Beziehung kann eine extrinsische Diagnose den Kontakt unterstützen, wenn die PatientIn das Bedürfnis verspürt, ihr Erleben in Worten auszudrücken und mit den Worten und dem Hintergrund der TherapeutIn zu vergleichen. In diesem Fall ist die Diagnose Teil eines viel weitergehenden Definitionsprozesses und kommt der Konstruktion persönlicher Bestätigung gleich. Die Worte zu finden, mit denen man sein Leiden gemeinsam mit der TherapeutIn beschreibt, kann sich als tiefgreifende und bedeutungsvolle Erfahrung erweisen, die einen Wandel bewirkt: Sie ist das Ergebnis einer Ko-Kreation in einem hermeneutischen Bezugsrahmen.22 Die Art, wie eine Diagnose in die therapeutische Beziehung gebracht wird, ist deutlich wichtiger als die Art der extrinsischen Diagnose, die verwendet wird.
Kehren wir noch einmal zu Paul zurück, der verzweifelt zu einer therapeutischen Sitzung kam und keinen Ausweg wusste. Wie oben geschildert, hat der Therapeut eine Beschreibung der therapeutischen Situation gefunden (eine extrinsische Diagnose), die seinem aktuellen Erleben mit dem Patienten Bedeutung verleiht. Sie hat dabei geholfen, ihm das lähmende Gefühl der Frustration und Hilflosigkeit zu nehmen und den inneren Druck zu lösen, zu viel Verantwortung zu übernehmen. Der Therapeut war wieder bereit, dem Patienten zu begegnen. Nun stellte sich die Frage, wie eine extrinsische Diagnose in den Dialog mit dem Patienten gebracht werden konnte. Es war wichtig, Worte und Konzepte zu wählen, die dem Patienten bereits vertraut waren. Der Therapeut verwendete eine Metapher von »Wellen, die auf und nieder gehen«, die bereits früher in der Therapie diskutiert worden war und auf die sie sich als adäquate Beschreibung der emotionalen Schwankungen des Patienten geeinigt hatten. Der Therapeut schlug eine Beschreibung des aktuellen Zustands als »depressive Abwärtswelle« vor und zeichnete die Kurve in der Luft nach. Er fragte den Patienten, wo er sich gerade selbst in der Kurve sah. Paul zeigte auf eine Stelle am unteren Ende der Kurve und sagte, dass er es nicht aushalte, dass es zu lange dauere und dass er nicht die Kraft habe, damit umzugehen. Er war verzweifelt, sah keine Hoffnung, keine Stelle, um den Absprung zu schaffen.
Der Therapeut versicherte ihm, dass er glaube, dass er, Paul, seine Situation als sehr schwierig erlebe. Und er beschrieb ihm ein Bild, das er vor seinem inneren Auge sah: Dass ein Mensch, der tief unten im Tal der »depressiven Welle« ist, die Ressourcen nicht sehen kann, die von oben auf dem Kamm der Welle sichtbar sind, dass die Erfahrung der Hoffnungslosigkeit zu diesem Zustand dazugehört, wenn man sich im Wellental befindet. Paul sah einen Moment interessiert auf, dann nickte er zustimmend.
Sie erinnerten sich gemeinsam an die Zeit, als Paul einen ähnlichen Zustand erlebt und wie lange die »depressive Welle« damals gedauert hatte. Sie sprachen über ihre Erinnerungen und stellten fest, dass eine ähnliche Welle schon mehrmals aufgetaucht war, das letzte Mal vor fast einem Jahr. Paul erinnerte sich daran, dass jede »Welle nach unten« ungefähr zwei Monate gedauert hatte. Der Zustand äußerster Verzweiflung hielt ungefähr zwei oder drei Wochen lang an. Der Therapeut schlug auch vor herauszufinden, was ihm damals geholfen und was die Situation noch schlimmer gemacht hatte. Dieser Vorschlag schien Pauls Fähigkeiten in diesem Moment jedoch zu übersteigen. Daher einigten sie sich darauf, in der nächsten Sitzung darauf zurückzukommen.
Der Patient und der Therapeut wurden sich des größeren Kontexts bewusst, in den der aktuelle Zustand eingebettet war. Das Erleben des Patienten veränderte sich während der Sitzung nicht, er fühlte sich immer noch verzweifelt und hoffnungslos, doch nun hatte er ein Werkzeug an der Hand, das ihm half, seine Situation zu verstehen und seinen aktuellen Zustand auszuhalten. Und das Wichtigste war: Er hatte einen Kontakt mit seinem Therapeuten erlebt, der diese schwere Zeit gemeinsam mit ihm durchstehen wollte.
Eine extrinsische Diagnose wird verwendet, um das Mit-der-PatientIn-Sein zu fördern. Dies kann in mehreren Fällen sinnvoll sein:
• Es gibt ein Phänomen (Gedanke, Angst, Frage, Verlangen …), das im Kontakt auftritt, und der/die Therapeut(in) muss ihm eine Bedeutung verleihen und entscheiden, was er damit macht. Der diagnostische Prozess wird von TherapeutIn und PatientIn ko-konstruiert.
• Es gibt eine Nachfrage von außen (z. B. der Krankenkasse). Die TherapeutIn muss dies in die Sitzung einbringen und diese Gegebenheit im Kontaktprozess einsetzen. Dies ist teilweise eine hermeneutische Verwendung (unser Wissen auf den Tisch zu legen) und teilweise eine der möglichen Vorgaben im Kontaktprozess.
• Nach und vor einer Sitzung (z. B. in der Supervision oder wenn sich die TherapeutIn Notizen macht) ist eine extrinsische Diagnose eine Möglichkeit, das Erleben zu benennen. Dies unterstützt den Prozess der Integration dessen, was passiert ist, und fördert darüber hinaus den Prozess des Sich-Erdens in der Vorbereitung auf die Begegnung mit der PatientIn.
Eine intrinsische Diagnose ist ein fortlaufender Prozess während der therapeutischen Sitzung. Eine extrinsische Diagnose kann in verschiedenen Momenten auftauchen – vor, während, nach der Sitzung – und muss verwendet werden, um einerseits den Kontaktprozess und anderseits eine intrinsische Diagnose zu unterstützen.
4. Schlussfolgerung
Als GestalttherapeutInnen brauchen wir beides, die Landkarte (eine extrinsische Diagnose) und den Orientierungssinn (eine intrinsische Diagnose). Die extrinsische Diagnose ist der Hintergrund für die Arbeit als PsychotherapeutIn. Immer wenn wir eine extrinsische Diagnose erstellen, legen wir fest, wie sich das Feld der therapeutischen Situation gestaltet. Wir legen das Augenmerk auf die Bedeutung der aktuellen therapeutischen Situation und beschreiben sie. In diesem Moment konzentrieren wir uns nicht auf das Mit-der-PatientIn-Sein. Wenn wir jedoch den Anspruch an uns stellen würden, den Fluss der therapeutischen Beziehung unablässig und ausschließlich im Auge zu behalten, würden wir paradoxerweise unsere therapeutische Flexibilität einschränken. Ein ungehinderter und nährender Kontaktfluss kann sich entwickeln, wenn wir uns auch die Zeit zugestehen, uns zu orientieren und nach Bedeutung zu suchen, um uns in einem dritten Element zu verankern und eine Diagnose zu erstellen.
Wir können mehrere verschiedene Arten von Landkarten haben, von denen jede die klinische Situation aus einer anderen Perspektive wiedergibt. Wie Einstein einst sagte: »Die Theorie entscheidet, was wir beobachten können.« Also können wir eine Landkarte haben, die auf der Beobachtung des Prozesses der Ko-Kreation im Hier und Jetzt basiert, eine andere, die auf der Beobachtung von Rollen und Interaktionen innerhalb eines Systems basiert und eine dritte, die auf der phänomenologischen Beobachtung der Symptome basiert. Während des psychotherapeutischen Prozesses entwickeln wir ganz natürlich Landkarten, um unserem Erleben Bedeutung zu verleihen. Wir kommen nicht umhin, irgendeine Art von Diagnose zu stellen. Alles, was wir tun können, ist, uns des Prozesses des Diagnostizierens stets bewusst zu sein und unsere Achtsamkeit wieder in den Kontakt mit der PatientIn zu lenken. Und wir müssen im Hinterkopf behalten, dass eine Diagnose nicht die Beschreibung des Menschen vor uns ist, sondern nur ein Werkzeug, das uns befähigt, unser Erleben mit diesem Menschen bedeutsam zu organisieren, und uns so dabei hilft, geerdet und bereit für eine Begegnung zu sein.
Die extrinsische Diagnose verliert an Bedeutung, je größer die Fachkompetenz und das Wissen der TherapeutIn werden. Alle Reisenden brauchen Landkarten, um sich zu orientieren, doch es stimmt auch, dass man sich mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr auf seinen Orientierungssinn verlassen kann. Der Orientierungssinn ist etwas, das sich in jedem Augenblick Ihrer Reise ganz von selbst weiterentwickelt, ohne dass Sie dafür allzu viele Landkarten brauchen. Die intrinsische oder ästhetische Diagnose ist eine wichtige Orientierungshilfe, die uns in unserer Interaktion unablässig begleitet. Sie ist wesentlich, um spezifische Unterstützung in der Gestalttherapie zu geben. Keine Landkarte wird je genau genug sein, um uns vor den Schlaglöchern und Wegbiegungen entlang des Weges zu warnen. Keine Landkarte ist je aktuell genug, um das, was im Hier und Jetzt passiert, zu erfassen. Diese Art der Orientierung ist ausreichend, wenn der Reisende nach zahllosen Reisen und unzähligen studierten Landkarten weiß, wie er sich auf unbekanntem Gebiet bewegt.
Kommentar
Antonio Sichera
Mit ihrer Abhandlung nehmen Roubal, Gecele und Francesetti ein sehr heikles Thema in Angriff und widmen sich ihm mit Klarheit, Sorgfalt und Fachwissen. Ihre solide Erfahrung auf diesem Gebiet wird in ihren Ausführungen deutlich. Der Essay stellt einen wichtigen Beitrag zur Gestalttherapie dar, da er Daten systematisiert und mit Ernsthaftigkeit und einer Bewusstheit für die Probleme nach innovativen Lösungen sucht.
Man kann nicht umhin, einigen wesentlichen Punkten zuzustimmen, die der Text aufzeigt: Er spricht gegen einen weit verbreiteten und gefährlichen Mangel an theoretischem Hintergrund und fordert bei GestalttherapeutInnen ein fundiertes Wissen über die am häufigsten gebrauchten Modelle und sprachlichen Gepflogenheiten auf diagnostischem Gebiet. Er lädt zum kritischen Gebrauch solcher Schemata ein und betont, wie wichtig es ist, solche Instrumente im gestalttherapeutisch-hermeneutischen Rahmen zu nutzen, ohne die eigene Einstellung zum Gestaltansatz aufzugeben. Und schließlich geht es in dieser Abhandlung um die Notwendigkeit eines wohldurchdachten und achtsamen Umgangs mit Problemen – in einem starken gestalttherapeutischen Sinn –, der keine Annäherung versucht, sondern eine authentische Gestaltpsychopathologie schafft, die auf den wichtigsten Beiträgen basiert.
An dieser Stelle sollen weder die klugen, ernstzunehmenden und richtungweisenden Feststellungen dieses Essays noch die begrüßenswerten Entwicklungen analysiert werden, die er einläutet. Ich halte es jedoch für fair, ein paar Kritikpunkte hervorzuheben. Tatsächlich hat uns Heidegger gelehrt, dass das Denken immer eine radikale Übung ist, die sich idealerweise auf einen Ausgangspunkt zubewegt, im Sinne einer bewussten Vermeidung von Kompromissen und Abkürzungen. Ich würde sagen, dass es in dem Text aus dieser hermeneutischen Perspektive einige »Vereinfachungen« und ein paar Antworten gibt, die seiner grundlegenden Aufgabe nicht ganz gerecht werden, eine »kommunizierbare«, mitteilbare und dennoch typisch gestalttherapeutische diagnostische Perspektive zu schaffen. Ich werde den Platz, den ich zur Verfügung habe, dazu nutzen, zwei wesentliche Punkte hervorzuheben.
Im ersten Punkt geht es um Philosophie. Der Text stützt sich auf eine Auslegung von Perls / Goodman, die die intrinsische Diagnose mit dem gleichsetzt, woran die TherapeutIn intuitiv innerhalb des Setting laufend arbeitet. Dabei findet kein expliziter Rückgriff auf ein Tertium statt. Eine weitere Grundlage des Textes stellt die Interpretation des theoretischen Referenzmodells von Perls und Goodman dar, gemäß dem berühmten Spruch, dass »Diagnose und Therapie derselbe Prozess sind«. Den Abschnitt in ihrem Werk Gestalttherapie, in dem es um die »extrinsische Interpretation« geht, wertet der Text als mögliche theoretische Erklärung, weshalb man diagnostische Instrumente »außerhalb« des Settings nutzen sollte. Landkarten können solche Instrumente sein, die der TherapeutIn helfen, sich zu bewegen und zu orientieren und dabei die folgenden Aufgaben nicht aus den Augen zu verlieren: die Notwendigkeit einer »Fixierung« und Standardisierung von Charaktertypen und Kategorien des Unwohlseins, die im »intrinsischen« Moment der Diagnose nicht vorkämen, wäre hier angebracht. Wir sehen uns der Lösung einer raffinierten gestalttherapeutischen Aporie gegenüber, die jedoch mit Sicherheit nicht im Einklang mit dem Text von Perls und Goodman steht.
Was Perls und Goodman in diesem Abschnitt meinen, ist keine »Arbeitsteilung« zwischen intrinsisch und extrinsisch, sodass die wahrnehmende therapeutische Handlung innerhalb eines Settings auf einem ersten Level und eine anschließende Reflexion und Orientierung auf einem zweiten Level stattfinden würde. Das mag für uns von Vorteil sein, und wir haben ja auch tatsächlich die Freiheit, den Text auf verschiedene Arten auszulegen, doch zuerst muss man anerkennen, dass es von einem philologischen Standpunkt aus nicht so ist. Perls und Goodman machen ganz deutlich, dass die Gestalttherapie ausdrücklich weit von jeglichem extrinsischen Gebrauch von Interpretation und Diagnose entfernt ist, den die Begründer für schädlich und nutzlos halten, während die Umsetzung einer Interpretation, eine intrinsische Diagnose, typisch gestalttherapeutisch ist. Das ist die Intervention, die die TherapeutIn in dem Setting initiiert, nicht ohne das Tertium der Theorie, doch mit einer so flexiblen, »biegsamen« diagnostischen Theorie an der Hand, dass sie sie angepasst und »innerhalb« statt außerhalb des Settings angewandt werden kann.
Es ist so, als würde Gestalttherapie immer wieder betonen: Wir kommen nicht ohne ein diagnostisches Modell aus, da das Tertium grundlegend wichtig ist, um nicht in symbiotischen Wahnsinn zu verfallen. Dieses theoretische Bezugsmodell, das uns rettet, muss jedoch so dicht am Erleben und so sehr in der Lage sein, »darüber zu denken«, dass die TherapeutIn es innerhalb des Settings selbst, innerhalb der Sitzung, »einsetzen« und »sich darauf einlassen« kann.
Und hier kommen wir zum zweiten Kritikpunkt, dem des hermeneutischen Hintergrunds. Obwohl das Konzept des Essays hervorragend ist, fehlt eine angemessene Berücksichtigung eines spezifischen und wichtigen Aspekts der gestalttherapeutischen Vision vom therapeutischen Prozess. Wenn wir Erleben »denken« und dicht am Erleben sein sollen, dann müssen wir zunächst einräumen, dass die Substanz, aus der das Erleben besteht, die Zeit ist. Ein flexibles Modell zur Verfügung zu haben bedeutet, mit einem diagnostischen Instrument arbeiten zu können, das der TherapeutIn hilft, Sprunghaftigkeit und Blockaden von Erleben im Rahmen eines zeitlichen Verlaufs zu interpretieren. Daher kann sie sich bewusst und kreativ innerhalb der verschiedenen Momente einer therapeutischen Reise verorten. Wenn die beziehungsorientierte und die kontextuelle Perspektive, die der Essay beleuchtet, für eine gestalttherapeutische Diagnose unverzichtbar sind, müssen wir auch darauf hinweisen, dass es keine gestalttherapeutische Diagnose ohne eine passende Theorie der Temporalisierung geben kann (und meiner Meinung nach ohne eine fundierte Interpretation des Kontexts im Hinblick auf Figuren/Hintergrund).
Meiner Ansicht nach sind dies die beiden Grenzen, auf die die theoretische Forschung zur Diagnose in der Gestalttherapie ausgerichtet sein muss, und dieser Essay stellt einen wichtigen Beitrag dar. Kurz gesagt, unerledigte Geschäfte. Es könnte nicht anders sein …