Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 12

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4. Entwicklungsperspektive in der Gestalttherapie: Die polyphone Entwicklung von Bereichen
Margherita Spagnuolo Lobb

Wir dagegen versuchen, alle Erlebnisse zu erfassen und miteinander zu verknüpfen – ob nun körperliche oder seelische, sensorische, emotionale oder sprachliche –, denn das deutliche Figur/Hintergund-Verhältnis geht aus dem einheitlichen Zusammenwirken von »Körper«, »Seele« und »Umwelt« hervor (all diese Ausdrücke sind Abstraktionen).

(Perls / Hefferline / Goodman, 2006, Band 2, 123)

1. Die Frage der Entwicklungs-Theorie in der Gestalttherapie

Das Hier-und-Jetzt, das die PatientIn auf körperlicher Ebene erlebt, ist eine kreative Gestalt. Sie fasst die in vorhergehenden Kontakten integrierten körperlichen und sozialen Beziehungsschemata (das Being-with durch den Körper und durch die soziale Definition des Selbst) und die Intentionalitäten zusammen, die den aktuellen Kontakt zwischen PatientIn und TherapeutIn unterstützen. Es ist also von grundlegender Bedeutung, sich auf eine Entwicklungsperspektive zu beziehen, um die Entwicklung der Kontaktmodalitäten mit dem/der signifikanten Anderen und der Umwelt im Allgemeinen zu verstehen.

Bis in die 1980er-Jahre betrachtete es die internationale Gestaltgemeinschaft jedoch als zwecklos, sich auf eine Entwicklungstheorie zu beziehen, da die psychotherapeutische Arbeit im Hier-und-Jetzt stattfindet. Die Verwendung theoretischer Schemata (diagnostischer und entwicklungsbezogener) wurde als Absurdität angesehen, als eine De-Fokussierung (seitens der TherapeutIn) des aktuellen Erlebens im Kontakt zugunsten einer Deutung der Blockaden der Vergangenheit. Nach dem gestalttherapeutischen Verständnis dieser Zeit wäre das ein Schritt zurück zur Notwendigkeit der Auslegung und damit zu fertigen Interpretationen der PatientIn gewesen. Solche Interpretationen hätten die Unmöglichkeit des lebendigen, aktuellen Kontaktes impliziert, den die PatientIn mit der TherapeutIn und ihrer Umwelt aufbaut.

In den 1980er-Jahren erzwang dann der soziale Wandel eine Weiterentwicklung dieser humanistischen Konstrukte: Durch die Zunahme schwerer Störungen entstand die Notwendigkeit einer entwicklungsbezogenen Perspektive sowie des Einsatzes von diagnostischen Schlüsseln. Außerdem erkannte man, dass die Lebendigkeit des Kontakts zwischen TherapeutIn und PatientIn eher verbessert als verschlechtert wird, wenn man sie durch die Linse eines theoretischen Bezugsrahmens betrachtet, der im Einklang mit der Methode steht.

Seitdem hat sich eine gestalttherapeutische Denkweise bezüglich der menschlichen Entwicklung herausgebildet. Die Herausforderung für diesen Ansatz besteht jedoch auch heute noch in der Nutzung eines theoretischen Bezugsrahmens, der von dem Erleben der PatientIn und der TherapeutIn im Hier-und-Jetzt der therapeutischen Situation ausgeht. Gleichzeitig haben sich auch die Entwicklungstheorien grundlegend verändert.

Von der »Entwicklungspsychologie«, die den Übergang von der Kindheit (unreif und sich verändernd) zum Erwachsensein (reif und ausgeglichen, ohne weitere Veränderungen) untersuchte, gab es in den 1980er-Jahren eine Bewegung hin zum Konzept der »Psychologie des Lebenszyklus«. Sie geht davon aus, dass alle Phasen des menschlichen Lebens von Wandel gekennzeichnet sind. Sowohl Faktoren, die dem Menschen innewohnen (ihn reifen lassen), als auch Faktoren, die von außen auf ihn einwirken (z. B. umweltbezogene Faktoren), schaffen Bedingungen für die Destrukturierung existierender Gleichgewichte und für den Übergang zu neuen Synthesen, die die Ausführung weiterer Entwicklungsaufgaben ermöglichen (wie in Eriksons Prinzip der epigenetischen Stufen, 1982). Das Konzept des Lebenszyklus und das Konzept der epigenetischen Landkarte sind mit der Vorstellung verknüpft, dass das Leben oder jeder beliebige Entwicklungsweg aus Phasen besteht. Sie sind von Bedürfnissen, Fähigkeiten, speziellen existenziellen Themen und Aufgaben gekennzeichnet, die zu einer weiteren Reifung führen. Die auf diese Weise charakterisierten Phasen sind durch einen fortlaufenden und kumulativen Prozess miteinander verbunden, der schlussendlich zur Beziehungsreife führt, mit anderen Worten: zur Fähigkeit, funktionale Kontakte aufzubauen, die nährend für das Individuum selbst und für die Gruppe (oder für die Umwelt im Allgemeinen) sind. Diese Sichtweise der Entwicklung hat Daniel Stern in seinen Studien (1985) gründlich analysiert (vgl. Carroll 1999; Staemmler 2013; Wirth 2012). In Anlehnung an Sterns Entwicklungskonzept nenne ich die gestalttherapeutische Perspektive die »polyphone Entwicklung von Bereichen«, die von der Idee der phasenweisen Struktur abweicht. Während die Phasen kumulativ wirken, sodass jede Phase die Kompetenzen der vorangegangenen Phasen voraussetzt, geht das Konzept der Bereiche von klar differenzierten Kompetenzen aus. Sie entwickeln sich im Laufe des gesamten Lebens kontinuierlich weiter und interagieren, was die Harmonie (wir könnten auch sagen: die Gestalt) der aktuellen Kompetenzen eines Menschen fördert (s. Abb. 2).

Wenn wir den Beziehungsprozess einer PatientIn und seine Entwicklung betrachten und dabei im Einklang mit der gestalttherapeutischen Epistemologie bleiben wollen, erklärt es sich in Anbetracht dieser Prämissen von selbst, dass wir nicht darüber nachdenken, ob in einem bestimmten Stadium bestimmte entwicklungsbezogene Aufgaben erfüllt sind. Im Vorhinein Entwicklungsziele zu formulieren, birgt das Risiko einer externen Beurteilung des Erlebens des Subjekts. Wenn wir in Entwicklungszielen denken, sind wir gezwungen, unsere PatientInnen an diesen Zielen zu messen. Wir müssen verhindern, dass die Kontaktmodalitäten, auf denen unsere Theorie basiert (Introjektion, Projektion usw.) zu Stadien werden, die es zum Erlangen der Beziehungsreife eines nach dem anderen zu erreichen gilt. Vielmehr sollte man sie als Bereiche betrachten. Der Bereich bezeichnet eine beziehungsorientierte Fähigkeit, die im Hintergrund des Erlebens präsent ist und die an einem bestimmten Punkt der menschlichen Entwicklung zur Figur wird und dabei mit anderen Fähigkeiten oder Bereichen interagiert.

2. Diachrone und synchrone Ebenen in der Psychopathologie

Meiner Meinung nach muss ein beziehungsorientierter prozeduraler und phänomenologischer Ansatz wie die Gestalttherapie nicht nur die »gegebene« Situation betrachten – und damit den Hintergrund der entwicklungsbezogenen Erfahrung einer PatientIn (diachrone Ebene) – sondern auch die Figur des aktuellen Unwohlseins und der Kontaktintentionalität, die sie zum Abschluss bringen möchte (synchrone Ebene).

Nehmen wir den Fall eines Patienten, der sich als Kind immer übergab, wenn er morgens zur Schule gehen sollte. Er hielt die Anspannung nicht aus, die er in diesem Augenblick des Tages in der Familie spürte. Und er bekam keine Unterstützung bei dem, was ihm bevorstand: aus dem Haus und zur Schule zu gehen und dort neue und eventuell belastende Erfahrungen zu machen. Dieses Kind ist inzwischen erwachsen und der Erwachsene, zu dem sich dieses Kind entwickelt hat, kommt zur Therapie, um die Probleme zu bewältigen, die er in seiner aktuellen Familie hat. Die Figur ist das Verlassen des Hauses in einem Moment, in dem er eine Anspannung spürt, die er meint nicht aushalten zu können. Und sie ist der Wunsch, die Übelkeit zu unterdrücken und sich in seiner neuen Familie »nicht zu übergeben«, um Möglichkeiten für die Auflösung der Anspannung zu fördern, wie er es als Vater und Ehemann tun sollte. Der Hintergrund der Erfahrung dieses Patienten ist die Entwicklung der Kontakte des Kindes im heutigen Patienten: Wie hat er im Lauf der Jahre die Fähigkeiten ausgeübt, in engen Beziehungen zu introjizieren, projizieren, retroflektieren (siehe unten: Beschreibung der Bereiche), wie stand das Übergeben für eine gescheiterte oder resiliente Kontaktmodalität und welche körperliche Unterstützung (Atmung, Beherrschung des Zwerchfells usw.) erfährt er noch immer im Bewusstsein seines Körpers?

Die GestalttherapeutIn braucht Werkzeuge, um die Ko-Kreation der therapeutischen Kontaktgrenze zu bewerkstelligen. Außerdem braucht sie eine Landkarte, die es ihr ermöglicht, eine Richtung in der Entwicklung der PatientIn zu finden, wie sie sich in der klinischen Evidenz und damit im Behandlungssetting präsentiert. Sowohl die tatsächliche Evidenz im Kontakt als auch der Entwicklungsprozess haben mit dem gestalttherapeutischen Prinzip der kreativen Anpassung zu tun. Wir müssen also beschreiben, wie sich die kreative Anpassung des Patienten mit der Zeit in signifikanten Beziehungen entwickelt hat. Für uns ist es hilfreich abzuschätzen, nicht ob die PatientIn bestimmte Ziele erreicht hat, sondern wie sie die Kontaktintentionalität durch kreative Anpassung an schwierige Situationen erfüllt hat. Wir interessieren uns für den körperlichen Prozess, mit dessen Hilfe sie die Kontaktintentionalitäten und ihre entwicklungsbezogene Kontextualisierung erfüllt. Wir könnten es auch so formulieren: Wir interessieren uns für die »Musik«, die aus den kreativen Entscheidungen entsteht. Diese Entscheidungen trifft die PatientIn vor einem erlebnisorientierten Hintergrund, der sich mithilfe einer Entwicklungslandkarte deuten lässt.1

In der Gestalttherapie sind die Kontaktintentionalität und ihre Erfüllung durch kreative Anpassung der Leitfaden zur Arbeit mit dem körperlichen Prozess. Die Gegenseitige Synchronisierung, auf die Winnicott (1974), Odgen (1989), Fogel (1992; 1993) und Beebe et al. (1992) bereits in ihren Modellen der interaktiven Regulierung bei Säuglingen hingewiesen haben, ist für uns ein wichtiges Beobachtungskriterium, sowohl bei der Beschäftigung mit dem Hintergrund als auch in dem Moment, in dem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Figur des therapeutischen Kontaktes richten. Wir erkennen uns selbst im Kontakt mit dem/der anderen, das Selbst ist ein Kontaktprozess (siehe Spagnuolo Lobb 2005a), der an der Grenze entsteht: Man entdeckt sich selbst im Kontakt mit dem/der anderen wieder. Umgekehrt deckt sich die Blockade der Entwicklung mit einer Blockade des körperlichen Prozesses, was immer eine Verminderung (oder einen Verlust) von Sensibilität (des Mit-allen-Sinnen-anwesend-Seins) und damit eine verminderte Fähigkeit impliziert, sich auf den/die andere(n) einzustellen.

Die Entwicklung der Bereiche ist immer ein Prozess der Selbstregulation des Organismus-/Umwelt-Kontaktes: Die Fähigkeit zu introjizieren entwickelt sich zum Beispiel mit mehr oder weniger Angst auf der Grundlage der Unterstützung, die man im Kontakt mit der Umwelt bekommt. Jeder Bereich kann innerhalb eines Erfahrungskontinuums erlebt werden, das von vollem Kontakt bis zur Desensibilisierung reicht.

In einem Podiumsgespräch mit Elisabeth Fivaz2 (mit der meine Gruppe in fruchtbarem Dialog über die »Gestaltdimensionen« im Rahmen des Lausanne Trilogue Play steht), hatten wir den Fall eines 18 Monate alten Kindes, des Protagonisten eines Anschauungsfilms, das eine offensichtliche Spannung zwischen seinen Eltern »löste«, indem es sie zum Singen brachte: Es war zum Dirigenten geworden, der die Energien des Feldes harmonisierte, die miteinander in Konflikt gestanden hatten. Obwohl es eine Rolle spielte, die ihm eigentlich nicht zukam (sich um die Eltern zu kümmern), hat dieses Kind eine entzückende Harmonie entstehen lassen, bei der alle miteinander im Einklang standen. Von der Warte der Entwicklungstheorien aus betrachtet ist dieses Verhalten des Kindes »atypisch« und seinem Alter nicht angemessen: Man kann es nicht als »gesund« oder »typisch« ansehen, wenn ein Kind als Therapeut seiner Eltern fungiert. In der Gestalttherapie gilt dieses Verhalten als angebracht und kreativ, da es dem Kind erlaubt, nicht nur seine Kontaktintentionalität gegenüber seinen Eltern zu erfüllen (es erreicht sie, es ist erfolgreich), sondern auch eine Lösung zu finden, mit der sich alle besser fühlen (die Eltern sind glücklich und bewegt, sie sehen die Schönheit in der Geste ihres Sohnes).

Es ist offensichtlich, dass die Lösung des Kindes weder das Problem zwischen den Eltern behebt noch die einzige, unveränderliche Reaktion auf Spannungssituationen bleiben wird. Doch sie löst das Problem, das in diesem Moment im phänomenologischen Feld entstanden war, und gibt dem Kind auf diese Weise eine wichtige Bestätigung für sein Wachstum. In dem Maße, in dem die beteiligten Personen (die Eltern und weitere Zeugen) sensibel sind und den Versuch des Kindes wahrnehmen, ein Problem kreativ zu lösen, wird sich das Kind anerkannt fühlen. Es wird in der Lage sein, die Gestalt abzuschließen (es wird in dieser Beziehung keine unfertige Angelegenheit entwickeln) und wird in Zukunft frei sein, andere Entscheidungen zu treffen. Sollte sich das Verhalten jedoch häufiger wiederholen, wäre das ein Zeichen für Desensibilisierung: Das Kind würde es ohne die Lebendigkeit des spontanen Kontakts ausführen, und genau das wäre das Problem, nicht das Verhalten selbst.

Wie angemessen die Lösung ist, die das Kind findet, wird anhand eines ästhetischen Kriteriums beurteilt, das vor allem körperlichem Erleben innewohnt: Es ist der strahlende Körper des Kindes und der Körper der Eltern, aktiviert durch eine erfreuliche Überraschung, die unser diagnostisches Kriterium ausmachen, keine im Vorhinein festgelegten Kriterien außerhalb des körperlichen Erlebens. Bei der Ausübung unseres Berufs als Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen ist es nicht hilfreich, wenn wir im Sinne vorab formulierter Stadien oder Normen denken, an denen wir das körperliche Erleben des Kindes messen. Zu beurteilen, wie das Kind die gegebene Situation im Hinblick auf eine Anerkennung und Unterstützung seiner kreativen Anpassung organisiert, ist jedoch sehr hilfreich.

Die wichtigsten Studien zur Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie stammen von Wheeler (2000b), McConville (1995), Wheeler / McConville (2002) und Oaklander (1988), während sich die Texte von Smith (1985b), Kepner (1993) und Frank (2001) mit der Rolle der körperlichen Prozesse während einer Therapiesitzung beschäftigen. Meiner Ansicht nach ergänzen sich all diese Ansätze. Ruella Frank fasst z. B. in Theorien zusammen, was sie aus Laura Perls klinischer Arbeit und von anderen bewegungsorientierten Ansätzen gelernt hat, und hat ein Modell der Entwicklung des impliziten Beziehungswissens geschaffen, des In-Kontakt-Seins des Kindes als Körper in Bewegung (man könnte es auch ein Modell der Entwicklung der Es-Funktion des Selbst nennen).

Wheeler und McConville erinnern an die Notwendigkeit eines entwicklungsorientierten Modells, das das unitäre beziehungsorientierte Wesen der Entwicklung und damit das Kind und die Umwelt – mit einem Wort: das Feld – in Betracht zieht.3

Die GestalttherapeutIn braucht einen »somatischen und beziehungsorientierten ästhetischen Geist« statt einer epigenetischen Landkarte oder eines in Phasen unterteilten Entwicklungsschemas. Um unserer Diagnose und unserer Intervention eine Richtung geben zu können, müssen wir im Körper und in den Worten der PatientIn die Entwicklung der Kontaktprozesse nachvollziehen. Um zu verstehen, welche Frische und Lebendigkeit noch in ihnen enthalten sind, brauchen wir keine Reifephasen. Die therapeutische Sprache muss von der »Vernunft des Leibes« der PatientIn ausgehen, um es mit Nietzsche zu sagen, wie sie im Körper der TherapeutIn widerhallt.

3. Die gestalttherapeutische Landkarte der polyphonen Entwicklung von Bereichen

Ich bin der Ansicht, dass zwei Errungenschaften der modernen Entwicklungstheorien in die Entwicklungsperspektive der Gestalttherapie integriert werden müssen: das Prinzip der »Repräsentationen generalisierter Interaktionen« (Representations of Generalized Interactions, RGI) und die Idee der polyphonen Entwicklung. Die RGIs (Stern 1985; Kuhn 1962; Fogel 1992; Beebe / Lachmann 2002, 100) stellen dar, wie ein Kind »Formen des Zusammenseins mit …« und nicht einzelne Verhaltensweisen lernt, deren Ziel die Erfüllung seiner Bedürfnisse ist. Stern et al. (1998a, 1998b) und Beebe / Lachmann (2002) gehen von der repräsentativen symbolischen Ebene (explizit) und der Wahrnehmungs-Handlungs-Ebene (implizit) als grundlegende Bereiche aus, die sich im Laufe des Lebens eines Menschen herausbilden. Die gestalttherapeutischen Kontaktmodalitäten (Introjektion, Konfluenz, Projektion usw.) stellen unsere hermeneutische Kategorie des Being-with dar, unsere Bereiche, die Kompetenzen des Selbst-in-Kontakt mit der Umwelt. In der gestalttherapeutischen Epistemologie würde es keinen Sinn ergeben, von einem Bereich des expliziten oder impliziten Beziehungswissens zu sprechen, da das Selbst ein einheitlicher Kontaktprozess ist (siehe Spagnuolo Lobb 2005a), mit dem Es, den Persönlichkeits- und Ich-Funktionen, durch den man sich kein Wissen, sondern eine ganzheitliche Modalität aneignet, um mit der Umwelt in Kontakt zu treten.

Das Konzept der polyphonen Entwicklung von Bereichen ist hingegen meine Art zu definieren, was ich von Daniel Stern gelernt habe. Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, spricht Stern von der Entwicklung von Bereichen statt von Phasen (Stern 1985, 1990): Entwicklung impliziert nicht das Erreichen zunehmend komplexer Phasen, die ein Lernen in den vorangegangenen Phasen voraussetzen. Sie bildet sich vielmehr wie die Komposition einer Melodie heraus, zu der immer neue Motive (in der Gestaltsprache könnten wir sie »erworbene Kontaktmodalitäten« nennen) und Instrumente hinzukommen (mit anderen Worten: Fähigkeiten des Being-with, übertragen auf verschiedene Beziehungsmodalitäten, als würde dieselbe Musik von neuen Instrumenten gespielt, die zum Orchester stoßen) und die sich in eine neue, immer flexiblere und komplexere Harmonie verwandelt (Stern 1985; Tronick et al. 1978). Dieses neue Konzept wird der Komplexität der Entwicklungsprozesse gerecht und entspricht gleichzeitig dem ästhetischen Kriterium in der Gestalttherapie: Entwicklung impliziert keine Vergleichsmaßstäbe wie im Phasenkonzept (nach dem vorausgesetzt wird, dass das Kind spezifische Entwicklungsaufgaben oder -ergebnisse erreicht), sondern wird als Melodie betrachtet, die geschätzt und gefördert wird.

Eine gestalttherapeutische Entwicklungstheorie, die von einer Entwicklung der Kontaktmodalitäten im Hinblick auf die Reifung ausgeht (als seien die Kontaktmodalitäten eine Aneinanderreihung von Entwicklungsaufgaben für den Menschen, von der Konfluenz über die Retroflexion bis hin zur Fähigkeit, »vollständig« in Kontakt zu treten), setzt die synchrone Ebene der Beschreibung der Kontakterfahrung (wie in Perls / Hefferline / Goodman 2006) auf der diachronen Entwicklungsebene voraus. Die Beschreibung der Kontaktmodalitäten in einer Abfolge (Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion usw.) mag tatsächlich zum epistemologischen Kontext des Kontakterlebens zwischen Organismus und Umwelt im Hier-und-Jetzt gehören. Dieser Kontext lässt sich nicht auf die Entwicklungsphasen des Kindes übertragen, kann jedoch in den Kontaktkompetenzen der PatientIn erinnert werden, in Form von Bereichen. Für uns wird der Bereich zum Erfahrungsbereich im Hinblick auf eine bestimmte Kontaktfähigkeit. Mit anderen Worten: Konfluenz, Introjektion, Projektion usw. können keine Entwicklungsphasen sein, sondern sind Kontaktmodalitäten, deren ein Kind fähig ist und die im Lauf des Lebens weiterentwickelt werden. Die TherapeutIn fragt nicht, auf welche Entwicklungsphase sich die Blockade einer PatientIn bezieht, sondern wie die aktuellen Fähigkeiten der PatientIn zu projizieren, zu retroflektieren usw. (die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben) sich zu einer Gestalt kombinieren, die jetzt von dem »In-Therapie-Sein« der PatientIn repräsentiert wird. Die Bereiche sind Kompetenzen einer intersubjektiven Erfahrung von Kontaktmodalitäten, die an einem bestimmten Punkt in der Entwicklung eines Kindes deutlicher sichtbar werden und die sich im Laufe des Lebens als autonome Fähigkeiten in gegenseitiger Interaktion herausbilden.

Mit anderen Worten: Entwicklung kann als Reise zur Komplexität von Kontakten verstanden werden und nicht als eine Progression von weniger reifen Stadien zu reiferen Stadien. Die Entwicklung ist wie eine Melodie, die zuerst von ein oder zwei Instrumenten gespielt wird. Nach und nach gesellen sich weitere Instrumente hinzu. Dadurch werden die Kontakte, die ein Mensch umsetzen kann, immer komplexer. Die klinische Aufgabe besteht nicht darin, die Entwicklungsreife eines Menschen zu beurteilen, sondern abzuschätzen, wie dieser Mensch mit der Komplexität seiner Wahrnehmungen umgeht.

Die zeitgenössische Psychopathologie4 sieht Verhalten in einem Kontinuum von Normalität an einem Ende bis zu hohen Schweregraden am anderen Ende. Wenn wir diese dimensionale Perspektive auf die Kontakterfahrung anwenden, können wir sagen, dass jeder Bereich von Spontaneität bis zu blockierter/fixierter Erregung reicht. Ich spreche lieber vom »Risiko«, das in jedem Bereich impliziert ist, wenn die Kontaktgrenze desensibilisiert ist. Dadurch können wir unser Augenmerk auf die Spontaneität richten, die beim In-Kontakt-Treten und in der polyphonen Präsenz der Bereiche immer präsent ist (und das ist es auch, was wir in unserer Rolle als PsychotherapeutInnen erkennen und fördern wollen).

Jeder Bereich beinhaltet die Fähigkeit, an der Kontaktgrenze vollständig anwesend zu sein, das Selbst und den/die Andere(n) auf differenzierte und sensible Weise wahrzunehmen, mit dem Mut, sich in der Unsicherheit der Kontaktsituation zu bewegen. Der Mensch ist an der Kontaktgrenze und hat die Fähigkeit, sich kreativ an die eigene Bewegung und die des/der Anderen anzupassen, kann also mit der Unsicherheit umgehen (man weiß nie, welche Bewegung der/die Andere oder man selbst als Nächstes machen wird) und immer wieder eine kreative Lösung finden, die das eigene Sein und das des/der Anderen voranbringt. Das im vorherigen Abschnitt beschriebene Beispiel vom Kind, das zum Dirigenten wird, erklärt dieses Konzept ganz deutlich: Die Fähigkeit des Kindes, ein »kleiner Therapeut« zu sein, ist eine spontane, natürliche Qualität, die bei Menschen jedes Mal zum Vorschein kommt, wenn sie in schwierigen Situationen eine kreative Lösung für das Being-with finden.

Die folgende Beschreibung will die Möglichkeit schaffen, das Verhalten des Kindes zu beobachten, ohne es Entwicklungsphasen zuzuordnen, sondern es als die momentane Gestalt zu betrachten. Diese Gestalt besteht aus einem Gewirr von Beziehungskompetenzen, die ihre eigene Entwicklung aufweisen.

Die gestalttherapeutische Entwicklungsperspektive findet nicht nur in diesem Konzept ihre optimale Entsprechung, sondern auch in der Vorstellung, die Beobachtung vom Kind auf das phänomenologische Feld auszuweiten, in dem es sich befindet. Mit anderen Worten: Die Melodie, die das Kind zu spielen lernt, ist wiederum Teil einer größeren Musik, Teil jener Melodie, die in dem phänomenologischen Feld geschaffen wird. Wie Frank schreibt (2001, 21): »[…] Kleinkinder [entwickeln] eine entwicklungs- und beziehungsorientierte Körpersprache. Beide Partner beeinflussen und formen das Erleben des/der Anderen.« Und weiter: »[…] Bewegungsmuster […] gehören weder zum Kind, noch zur Umwelt, sondern zum Beziehungsfeld«5 (ebd., 19 [Übers.: A. J. & R. K.]). Es ist keine Frage der Selbstregulation des Organismus (der traditionellen humanistischen Anthropologie zufolge, die eine individualistische Perspektive beibehält), sondern der Selbstregulation eines situationsbezogenen Kontaktfeldes. Das Kind und seine Eltern schaffen gemeinsam ihre Begegnung in einem Grenzgebiet, das die Gestalttherapie aus einer erlebnis- und verfahrensorientierten und phänomenologischen Perspektive ganz richtig als »Kontaktgrenze« bezeichnet. Aus diesem Grund findet Entwicklung – auch die körperliche Entwicklung – in einem phänomenologischen oder situationsbezogenen Feld statt. Die sich daraus ergebenden Lernzuwächse sind wie erlebnisorientierte Codes, die jeder Mensch in seine Art des Being-with im Hier-und-Jetzt einbringt.

Im Vergleich zur phasischen Perspektive liegt der Vorteil der entwicklungsbezogenen Sichtweise der Bereiche darin, dass sie die Komplexität der Situationen erfasst und dabei das momentane Gewirr von Faktoren in Betracht zieht. Diese Faktoren beeinflussen sich zwar gegenseitig, zeigen aber alle einen eigenen Entwicklungsverlauf. Auf diese Weise wird die Situation in ihrer ganzen Komplexität gewürdigt, statt sie auf das Muster einer Phase zu reduzieren. Wir können die Komplexität der individuellen Entwicklung besser berücksichtigen, wenn wir den gegenwärtigen Moment als transversale Ebene der Entwicklung unterschiedlicher Bereiche (s. Abb. 2) betrachten, die sich zu immer wieder neuen Verbindungen miteinander verweben und die Gestalt des Kontaktes im Hier-und-Jetzt entstehen lassen.

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