Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 16

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2.2 Praxisbezug: Situative Ethik und ein ethischer Kompass

Ein Kollege bat mich, eine Sitzung mit einer Frau abzuhalten und ihr nach Möglichkeit zu helfen, ihr Vertrauen in TherapeutInnen wiederzuerlangen. Nach der Sitzung mit mir würde sie auch andere TherapeutInnen aufsuchen. So wollte sie es. Sie hatte das Gefühl, dass es nicht sicher war, mehr als einmal zu jemandem zu gehen. Sie bat um männliche Therapeuten.

Sie hält den Blick gesenkt. Wenn sie spricht, ist es fast ein Flüstern.

»Ich habe ihn geliebt. Er war ein wundervoller Therapeut. Er war mein Therapeut, mein Lehrer und Supervisor. Er sagte, es sei okay. Es fühlte sich für uns beide richtig an. Wir haben darauf vertraut, was uns unsere Körper sagten. Sex war Teil der Therapie. Wir haben uns geliebt. In der Praxis. Ich musste mich in einer liebevollen erotischen Beziehung sicher fühlen. Ich erlebte Durchbrüche in der Therapie. Es war das erste Mal, dass ich Orgasmen hatte.

Dann habe ich herausgefunden, dass er mit allen von ihnen Sex hatte.«

Ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Es beunruhigt mich, das zu hören, und ich verspüre den Impuls, Therapeuten im Allgemeinen ihr gegenüber zu verteidigen. (Sie muss ihn verführt haben, denke ich, sieh doch nur, wie sie aussieht …) Ich reiße mich zusammen und bemerke, dass ich mich von ihr weg bewege, ich entspanne meine Muskeln, und dann fühle ich mich traurig, berührt von ihrem Leid. Und sage:

»Alice, ich fühle mich traurig, wenn ich sehe, wie sich Ihre Augen mit Tränen füllen.«

Sie blickt langsam auf. »Warum? …« Und dann … plötzlich…: »Ich habe Angst, dass Sie mich anfassen wollen.«

»Nein«, sage ich. Ich merke, dass ich mich ihr unversehens zugeneigt hatte. Ich hole Luft, spüre, wie stabil sich mein Stuhl unter mir anfühlt, stabiler, als ich gedacht hätte. Ich spüre, wie ich mich zurechtsetze.

»Nein«, sage ich, ohne nachzudenken, und sage dann sanft: »Nein, das werde ich nicht.«

»Ich glaube Ihnen.« Unsere Blicke treffen sich.

»Ich will mehr darüber hören, wie es für Sie mit ihm war.«

Ihre Schultern zittern, als sie schluchzt. Sie blickt auf und spricht …

Der Rhythmus, in dem Alice und ich uns in der Sitzung vor und zurück bewegt haben – mit unseren Körpern, unseren Stimmen – entsteht, weil wir einander durch die Linse der situativen Ethik gesehen haben. Unsere »ethischen Augen« waren offen für ein Gefühl, dass »etwas falsch war« – das Gefühl eines gestörten ethischen Grundes, das für mich tiefergehender war als die einfache Frage eines moralischen »richtig« oder »falsch«, oder als die Grenzüberschreitung als Therapeut. Es war ein »Falsch«, das ich in ihren Augen sah, in ihrem Verhalten spürte und das ich selbst erlebte. Ich erlebte etwas, das mehr war als Empathie, mehr als mein starkes Gefühl für die Andere. Komplexer als Mitgefühl. Und genau das ist der Punkt.

Alice’ Geschichte hat mich aufgewühlt, nicht nur wegen meiner Empathie ihr gegenüber. Ich war aufgewühlt, weil ich mich auch mit dem Impuls ihres Therapeuten identifizieren konnte, und ich war berührt von der Vorstellung, was solch ein Impuls für die ethische Leitlinien und den ethischen Kodex bedeuten würde, die grundlegend für die Psychotherapie sind. Ich spürte die Spannungen in einem »ethischen Feld«.

Mein Mitgefühl für diese Patientin und ihren Therapeuten war auch ein Konflikt, für den ich offen war, weil ich »sehen« konnte, dass ethische Entscheidungen anstanden. Für einen Moment war ich in dem »Raum«, in dem ich ethische Empfindlichkeiten, Schwachstellen, Möglichkeiten und die Notwendigkeit »sehen« konnte, Entscheidungen zu treffen. Alice und ihr Therapeut hatten Alternativen – und ich hatte sie auch, als ich ihr zuhörte. Ich verweise noch einmal auf das Thema dieses Kapitels: Die situative Ethik ist die Struktur der Lebenswelt, die die Optik (in Lévinas’ Sinne) darstellt. Und sie ist die Struktur unserer Fähigkeit, uns überhaupt mit der Ethik zu befassen. Sie öffnet uns gegenüber gegenseitigen Schwachstellen bei ethischen Entscheidungen und gegenüber den Konsequenzen unserer Entscheidungen. Sie öffnet uns für das Mitgefühl.

Wenn die situative Ethik auch unser »Sehen« eines ethischen Dilemmas ist, so bietet sie doch keine Grundlage für eine »richtige« Wahl. Es handelt sich nicht um eine extrinsische Ethik des Inhalts, in deren Rahmen wir eine Wahl treffen können. Alle PsychotherapeutInnen sehen sich regelmäßig mit ethischen Dilemmata konfrontiert und müssen ethische Entscheidungen treffen, die die Therapie beeinflussen. Kriminelles Verhalten einer PatientIn oder möglicher häuslicher Missbrauch machen es beispielsweise nötig, dass wir unser Vorgehen überdenken. Was tun wir, wenn wir wissen, dass eine KollegIn die professionelle Ethik verletzt hat oder wenn wir selbst in Versuchung sind, ethische Leitlinien und ethische Kodizes zu verletzen? Der Versicherung eine weitere Sitzung auf die Rechnung setzen? Oder eine andere Diagnose erfinden, um mehr Sitzungen bewilligt zu bekommen? Natürlich haben wir ethische Kodizes, aber sind es alles autoritäre Regeln, die wir schlucken müssen? Wir haben ethische Leitlinien, doch können wir sie selbst in die Hand nehmen und sie anwenden, wie es uns passt? Gibt es einen Unterschied zwischen autoritären Regeln und nur Regeln?

An diesem Punkt können Emmanuel Lévinas’ Gedanken zu Ethik und Gerechtigkeit hilfreich sein. Seine Ethik bewegt sich innerhalb der Sphäre des Intersubjektiven und befasst sich nicht mit Gegenseitigkeit oder Gleichheit (Lévinas 1969). Lévinas bezieht sich auf Gerechtigkeit, sittliches Empfinden und Gleichheit als »politische« Fragen innerhalb einer Sphäre eines/einer Dritten, die »breitere Perspektiven eröffnet und ein Interesse für soziale Gerechtigkeit weckt« (Davis 1996, 82, Übers. A. J.) diesem/dieser »Dritten«, so schreibt Bauman in seinen Ausführungen zu Lévinas, »kann in dem Bereich der Gesellschaftsordnung […] begegnet werden, der von Gerechtigkeit beherrscht wird… Die Beziehung zwischen mir und dem/der Anderen muss … Raum lassen für den/die Dritte, eine(n) souveränen Richter(in), die zwischen zwei Gleichwertigen entscheidet« (Bauman 1993). Ohne diese(n) Dritten (n), der/die Recht spricht, gibt es keine Ethik des/der Gleichen und des/der Anderen, obwohl in Lévinas’ Philosophie der/die Dritte »Distanz zwischen mir und dem/der Anderen schafft« (Davis 1996, 82, Übers. A. J.) Daraus folgt, dass sich Lévinas’ Ethik in einer Welt ohne den/die Dritte(n) genauso wenig aufrechterhalten lässt, wie Psychotherapie nicht verantwortlich praktiziert werden kann, wenn die PsychotherapeutIn dem/der Dritten und daher ihren Praxisnormen, ethischen Kodizes, beruflichen Erfahrung und klinischen Weisheit gegenüber blind ist.

Die situative Ethik als unsere ethische Vision ermutigt uns, uns auf der Suche nach einer Ethik des Inhalts an diese(n) Dritte(n) zu wenden. Diese Ethik des Inhalts umfasst berufliche Ethikkodizes, berufliches Fachwissen und klinisches Urteilsvermögen als grundlegende Voraussetzung für die Therapie selbst. Sie umfasst Kodizes, berufliches Fachwissen, das Lernen, Urteilsvermögen usw. in dem Maße, wie die TherapeutIn sie integriert hat und sie in die Arbeit an die Kontaktgrenze einbringt.

Wenn eine ethische Entscheidung einer TherapeutIn nicht durch die Optik der situativen Ethik »gesehen« wird, wird die TherapeutIn nicht wissen, dass eine ethische Entscheidung zu treffen ist, sondern wird nur formelhaft vorgegebenen Verhaltensregeln oder -normen folgen. Durch die situative Ethik sehen wir, dass es um eine ethische Angelegenheit geht – und dass es daher einer Ethik des Inhalts, eines ethischen Kodex als Drittem, bedarf – sei es tatsächlich ein Kodex, eine Gemeinschaft von KollegInnen, Supervision oder jede andere Grundlage für eine Ethik des Inhalts, die eine intrinsische und grundlegende Unterstützung für die Therapie darstellen kann.

Jetzt können wir offen sein für berufliche Verhaltenskodizes als dem relevanten extrinsischen Dritten. Sie sind innerhalb der grundlegenden Ethik der Psychotherapie kontextualisiert und werden nicht als irrelevante extrinsische Ethik eingesetzt, die in die klinische Praxis eindringt. In dieser Rolle fördert der/die Dritte Fortschritte in der Therapie, weil er/sie als Unterstützung für TherapeutIn und PatientIn fungiert. Diese(r) Dritte ist nicht einfach nur ein abstrakter oder auch konkret geschriebener Kodex, sondern kann eine Gemeinschaft von KollegInnen, Berufsverbänden, Instituten und SupervisorInnen sein.

TherapeutInnen, die isoliert arbeiten und von solch einem/einer Dritten abgeschnitten sind, können sich angesichts eines ethischen Dilemmas in einer ethischen Verwirrung verlieren. Eine ordentliche berufliche Ausbildung stellt zwar keine Garantie dar, bietet jedoch Orientierung, weil es innerhalb des integrierten Hintergrunds der Ausbildung eine(n) ethischen Dritte(n) gibt. Und da niemand von uns isoliert ausgebildet worden ist, haben wir alle unsere sozialen Ausbildungserfahrungen als soziale Unterstützung im Hintergrund integriert. Unsere berufliche Gemeinschaft ist in der Struktur der Lebenswelt präsent, in der die situative Ethik eine bedeutende Struktur darstellt. Aber reichen diese integrierten Erfahrungen aus, um einen sicheren Weg aus der ethischen Verwirrung zu weisen? Ebenso könnte man die Frage stellten, ob eine TherapeutIn ohne professionelle Supervision praktizieren kann. Ein Ethikkodex, der das nicht voraussetzt, ist schwer vorbestellbar.

Die situative Ethik verleiht uns TherapeutInnen unsere Fähigkeit für einen ethischen Blick. Sie führt uns zu ethischen Entscheidungen. Wir können sehen und mit unserer besten Urteilsfähigkeit ethische Entscheidungen treffen, die sich auf unsere Erfahrung, berufliches Fachwissen, unsere Ausbildung und unser Wissen um die berufliche Ethik und Kodizes stützt – innerhalb unserer Gemeinschaft von KollegInnen. All diese Faktoren sind Komponenten der grundlegenden Ethik, auf der die Psychotherapie begründet ist. Die situative Ethik ist Teil der Struktur des größten sozialen Felds, der Lebenswelt, die selbst eine isoliert arbeitende TherapeutIn »bewohnt«.

3. Schlussfolgerung

Die Gestalttherapie verdient es, stolz auf ihre Ethik zu sein. Wir GestalttherapeutInnen sollten uns gegenseitig ermuntern, unsere Ethik der besten Absichten für soziale Reformen und Aktivismus so weit nach außen zu tragen, wie unsere Vision reicht. Gleichzeitig sollten wir unsere Verpflichtung zu klinischer Arbeit als phänomenologische PsychotherapeutInnen nicht aus den Augen verlieren und als solche mit der unmittelbaren Erfahrung arbeiten, die an der Kontaktgrenze entsteht. Dies ist die Kraft unserer klinischen Methode. Unsere einzigartige klinische Vision ist gefährdet, wenn eine extrinsische Ethik des Inhalts in die intrinsische Ethik der Gestalttherapie eindringt, die die Grundlage unserer Arbeit ist. Bis zu einem gewissen Grad macht uns unsere Ethik der besten Absichten, die uns dazu bewegt, soziale ReformerInnen und humanistische PsychotherapeutInnen zu sein, anfällig für ein solches Eindringen. Zudem können wir uns nicht auf die gefühlte »Wahrheit« unserer Arbeit an der Kontaktgrenze verlassen, um uns der Gerechtigkeit unseres Verhaltens gegenüber unseren PatientInnen sicher zu sein – nur seiner klinischen Richtigkeit.

Wir sind in dieser Lebenswelt zuhause und sehen einander durch die Optik der situativen Ethik, unserer ethischen Sensibilität. Die situative Ethik macht uns offen für »richtig« und »falsch«. In diesem Rahmen ist jeder und jede von uns fähig, eine Ethik des Inhalts zu formulieren und persönliche Welten gemäß den sich ständig wandelnden Normen der menschlichen Natur aufzubauen.

»Der Mensch strebt nicht danach, gut zu sein; vielmehr ist es menschlich, das Gute anzustreben« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd.1, 163). Die situative Ethik ist der Blick, mit dem jeder und jede von uns das Gute sehen kann, nach dem jeder und jede von uns auf unterschiedliche Weise nur streben kann.

Kommentar

Richard E. Lompa

Dieses Kapitel, das sich mit ethischen Fragen in der Praxis der Gestalttherapie auseinandersetzt, ist ein sehr wichtiger und interessanter Beitrag zum Wesen dieser Publikation, die ein breites Spektrum praktischer Anwendungen dieser Therapie bietet. Ethischen Überlegungen wurde in der Vergangenheit in der theoretischen gestalttherapeutischen Literatur oft nur minimale Aufmerksamkeit zuteil. Ausbildungsprogramme für GestalttherapeutInnen haben erst in den letzten zehn Jahren diese Themen in ihr Curriculum aufgenommen. Daher ist jeder Versuch willkommen, dieses Thema in den Fokus der gestalttherapeutischen Praxis zu bringen und Richtlinien zu bieten, die der GestalttherapeutIn helfen, mit den komplexen Situationen umzugehen, mit denen sie/er sich konfrontiert sieht. Wie viele meiner KollegInnen habe auch ich oft mit dem Auftauchen von ethischen Fragen und/ oder Dilemmata zu kämpfen, die sich im Beziehungs-Feld abspielen, einem so unverzichtbaren Konzept unserer Praxis. Dieses Kapitel zu lesen hat mein Bewusstsein im Hinblick auf meine persönliche Position in meinem Beitrag zum Beziehungsfeld gesteigert, das an der Kontaktgrenze entsteht.

Dan Bloom verdient Respekt und Anerkennung für seine dynamische und eingehende Auseinandersetzung mit einem großen Teil der aktuellen Literatur. Diese Publikationen tragen zu genauen Betrachtungen der Auswirkungen bei, die ethische Konzepte auf unsere Arbeit als TherapeutInnen und auf jene Menschen haben, die GestalttherapeutInnen konsultieren. Das Konzept der situativen Ethik als Ethik des phänomenalen Grundes, der Lebenswelt, ist ein Konzept, das zum Kern unseres Menschseins in Interaktion mit unseren Mitmenschen vordringt. Dieses Konzept ist Ausdruck der aktuellen Überlegungen des Feldes, die die Gestalttherapie als Psychotherapie der Situation hervorheben.

Goodman (Perls / Hefferline / Goodman 2006, 21 ff.) stimmt mit den Gestalttheoretikern überein, wenn er postuliert, dass man, um das eigene Verhalten zu verstehen, jede Art von Gedanken, Gefühl und Handlung in der momentanen Gesamtsituation bestimmen muss. Das heißt, man muss die Struktur der aktuellen Situation eines Menschen und seiner phänomenalen Umgebung definieren, was impliziert, dass das Verhalten eine Funktion der psychischen Situation ist. Die Bedeutung der Feldperspektive wird zunehmend relevanter. Wollants folgt dieser Überlegung, wenn er sagt, dass

[…] eine unterstützende Situation eine Situation ist, in der ein Mensch selbst-unterstützend sein kann, während er von der Unterstützung anderer abhängig ist. Selbst-Unterstützung ist unmöglich ohne eine Unterstützung aus der Umwelt. (Wollants 2007, 43)

Dies steht im Einklang mit der aktuellen Strömung weg von einer Praxis der Gestalttherapie als monopersonalem Ansatz, hin zu Therapie, die die sich entwickelnde Beziehung im therapeutischen Feld der TherapeutIn und der KlientIn anerkennt. Diese Betonung der Beziehung fördert eine Entwicklung in einen multipersonalen Ansatz, zu einem anderen Fokus.

Aus meiner Erfahrung im therapeutischen Feld schließe ich, dass die Vertrautheit und die daraus entstehenden Verwundbarkeiten beider Parteien umso mehr in den Vordergrund rücken, je mehr sich das Augenmerk auf das Beziehungsfeld von TherapeutIn und KlientIn richtet. Eben diese Verwundbarkeiten machen das ethische Verhalten beider Parteien so grundlegend wichtig. Es wird sehr wichtig für die GestalttherapeutIn, sich dieser Verwundbarkeiten bewusst zu werden und Strategien zu entwickeln, sich in ihrer psychotherapeutischen Praxis mit KlientInnen mit diesen Themen zu befassen.

Obwohl ich dieses Kapitel sehr schätze, muss ich auch eine kritische Bemerkung machen. Dan Bloom stellt klinische Beispiele von Treffen zwischen TherapeutIn und KlientIn vor, um seinen Standpunkt zu belegen. Dennoch bleibt bei mir oft ein Gefühl der Verwirrung zurück: Besonders zu Anfang des Kapitels bleibt die Botschaft, die präsentiert wird, und ihrer Verbindung mit den angestellten ethischen Überlegungen unklar. Als Leser sehe ich mich mit der Idee konfrontiert, dass ich auf meine eigenen Erfahrungen als Gestalttherapeut zurückgreifen muss, um Beispiele für die Bedeutung der ethischen Überlegungen zu finden. Ich kann das selbst, doch mir fehlt die Unterstützung des Autors. GestalttherapeutInnen, die sich am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn befinden, sind vielleicht noch verwirrter, weil sie weniger Erfahrung mit den Beziehungen haben, die im therapeutischen Feld entstehen.

Dan Blooms Erklärung der Konzepte von intrinsischer und extrinsischer Ethik und ihrer Unterschiede hilft der GestalttherapeutIn dabei, die Verwirrung aufzulösen, die in der klinischen Praxis oft entsteht. Hier machen die beiden klinischen Beispiele deutlicher, wie subtil diese beiden ethischen Konzepte sich an der Kontaktgrenze vermischen und welchen Einfluss diese Vermischung auf die phänomenologische Methodologie der psychotherapeutischen Praxis hat.

In einem der Beispiele stellt der Autor eine Klientin vor, die sich von ihrem früheren Therapeuten sehr beschämt fühlt und um eine Sitzung bittet, um ihr Vertrauen in einen Therapeuten und seine therapeutische Rolle wiederherzustellen. Dies ist ein schmerzvolles Beispiel, das aus dem Verhalten des Therapeuten resultiert. Ich denke, dass das Auftauchen von Scham in einer therapeutischen Beziehung immer ein Signal ist, sich mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Ich beziehe mich dabei nicht auf die möglicherweise beschämende Erfahrung der KlientIn, die um Hilfe bitten muss, sondern auf die Erfahrung, die im therapeutischen Feld stattfindet. Scham ist ein Gefühl, das den Prozess der Selbstverwirklichung eines Menschen blockiert. Lee (1996, Vorwort, xii) führt aus, dass man sich, wenn Psychotherapie beziehungsorientiert ist und wenn Scham beziehungsorientiert ist, mit der Dimension der Scham im therapeutischen Feld befassen muss und dass es zu diesem Zweck neuer theoretischer Werkzeuge bedarf.

Unsere Aufgabe als PsychotherapeutInnen ist es, den Prozess der Selbstverwirklichung zu unterstützen und zu fördern, der den Menschen befähigt, sich kreativ an die aktuellen und kommenden Situationen des Lebens anzupassen. Alle Erfahrungen, die an der Kontaktgrenze im therapeutischen Feld stattfinden, müssen integriert werden und eine Bedeutung verliehen bekommen, die diese Anpassung unterstützt. Dabei handelt es sich um einen kreativen Prozess, und jede Behinderung dieses Prozesses, die sich in der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn herausbildet, muss als eine mögliche Ausbeutung von einer oder beiden Parteien bewertet werden. Aus diesem Grund impliziert für mich jedes Hemmnis, dass es sich um eine unethische gestalttherapeutische Praxis handelt. Meiner Meinung nach kann die Scham, die man im Beziehungsfeld der Therapie erlebt, zu einem Indikator einer unethischen Praxis werden. Die Möglichkeit dieser beziehungsorientierten Verbindung verlangt nach weiterer Untersuchung und fortgesetzter Reflexion.

Abschließend treten Aufregung und Dankbarkeit in den Vordergrund, wenn ich Dan Blooms umsichtige und eingehende Abhandlung ethischer Überlegungen in der gestalttherapeutischen Praxis lese. Er präsentiert viele Ideen und Betrachtungen, die zu weiterer Diskussion und einem Erfahrungsaustausch auf einem Gebiet beitragen werden, das für die therapeutische Praxis von höchster Relevanz ist. Auf diese Weise wird diesem Aspekt der psychotherapeutischen Praxis die Aufmerksamkeit zuteil, die ihm im psychotherapeutischen Alltag zukommt.

6. Forschung und Gestalttherapie
Ken Evans

Bis vor Kurzem wurde der Forschung in der gestalttherapeutischen Gemeinschaft nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Daher scheint die Schlussfolgerung berechtigt, dass das Motto »Verliere den Verstand und komm zu deinen Sinnen« in diesem Kontext allzu wörtlich genommen wurde. Zu den beachtenswerten Ausnahmen gehört die Arbeit von Professor Leslie Greenberg, der seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle sowohl in der Veröffentlichung als auch in der Anwendung der psychotherapeutischen Forschung spielt. Greenbergs Arbeit verkörpert die Werte und Praxis der Gestalttherapie. Sein Buch Emotionale Veränderung fördern (Greenberg / Rice / Elliott 2003) war für mich die Hauptmotivation hinter meiner Entscheidung, 1994/1995 an einer britischen Universität einen forschungsorientierten Masterstudiengang in Gestalttherapie zu belegen und 2000 in diesem Bereich zu promovieren.

Weitere aktuelle Forscher von Bedeutung sind Uwe Strümpfel (Therapie der Gefühle. Forschungsbefunde zur Gestalttherapie, 2006; s. a. Strümpfel 2005, 2008), Paul Barber (Becoming a Practitioner Researcher: A Gestalt Approach to Holistic Inquiry, 2006) und Philip Brownell (Handbook for Gestalt Theory Research and Practice, 2008) (vgl. a. Amendt-Lyon 2007; Teschke 1999; Gegenfurtner 2005).

Da ich selbst gerade zwei Jahre lang an einem Buch über Forschung für PsychotherapeutInnen mitgeschrieben habe (Finlay / Evans, Relational Centred Research for Psychotherapists: Exploring Meanings and Purpose, 2009), fiel es mir schwer, mich auf einen Schwerpunkt für ein einzelnes Kapitel festzulegen. Schlussendlich ist das simple, aber ehrgeizige Ziel dieses Kapitels, GestalttherapeutInnen in Ausbildung und erfahrene GestalttherapeutInnen zu motivieren, sich der Forschung zu widmen. Inwiefern dieses Ziel erreicht wird, mag jede LeserIn selbst beurteilen.

Sowohl Psychotherapie als Forschung beinhalten eine Entwicklung des Verhältnisses vom Selbst zu Anderen und des Wachstums. Eine Schlüsselhypothese, die Linda Finlay und ich in unserem oben erwähnten Buch aufstellen, ist, dass viele der bekannten Fähigkeiten, Werte und Interessen von GestalttherapeutInnen in Wirklichkeit direkt auf den Forschungsbereich übertragbar sind. Gesprächsführung, reflexiv-intuitive Interpretation, inferenzielles Denken und die Fähigkeit zu Wärme, Offenheit und Empathie sind Qualitäten, die man sowohl in der Praxis als auch in der Forschung braucht. Tatsächlich sind wir der Meinung, dass eine kompetente, beziehungsorientiert arbeitende GestalttherapeutIn mit einer entsprechenden Einführung in qualitative Forschungsmethoden zugleich eine kompetente ForscherIn sein kann. Die Forschung wird durch die beruflichen und emotionalen Kompetenzen, die von einer beziehungszentrierten GestalttherapeutIn erwartet werden, erheblich bereichert. Umgekehrt kann die Forschung einer praktizierenden TherapeutIn indirekte therapeutische Erfahrungen bieten (Polkinghorne 1999), die unser Verständnis für die Welten unserer KlientInnen erweitern und unsere Ansichten zur Therapie infrage stellen (Cooper 2004). Gute Forschung, schreibt du Plock (2004), »sollte aus den Seiten herausspringen, um einige Aspekte unseres Daseins als TherapeutIn neu zu beleben. [Übers. a. J.]«

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