Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 3

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Seine Erregung wird über die ganze Welt verbreitet und es findet jede erdenkliche Antwort, doch nicht das Containment einer Beziehung, keinen menschlichen Körper, sondern nur einen kalten Computer, der das Kind nicht umarmen kann. Aus der unbeschränkten Erregung wird Angst. Diese Angst ist verstörend, und um sie nicht spüren zu müssen, muss der Körper desensibilisiert werden. Aus diesem Grund haben wir es heute mit so vielen Angststörungen (wie Panikattacken7, PTBS etc.) zu tun, mit Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen, mit Pathologien im Zusammenhang mit der virtuellen Welt, mit körperbezogener Desensibilisierung. Unsere PatientInnen, besonders die Jüngsten unter ihnen (wie jeder weiß, der mit Jugendlichen oder jungen Paaren arbeitet) sagen Dinge zu uns wie: »Ich hatte das erste Mal mit einem Jungen Sex, doch ich habe nichts dabei gefühlt«, »Online in einem Chat fühle ich mich frei, aber ich weiß nicht, worüber ich mit meiner Freundin reden soll«, »Niemand interessiert mich so wirklich« oder »In unseren Flitterwochen hat mir mein Ehemann gesagt, dass er schon lange mit einer anderen Frau zusammen ist.« Es treten Formen des Unwohlseins auf, die mit einer Gefühllosigkeit des Körpers im Zusammenhang stehen, wie sie in der Beziehung auftritt.

Die TherapeutIn reagiert darauf, indem sie den physiologischen Prozess des Kontaktes (das Es der Situation, wie Robine (2006a) es ausdrückt) fördert: »Atmen Sie und fühlen Sie, was an der Grenze passiert«. Außerdem unterstützt sie den Hintergrund des Erlebens: Sie findet heraus, wie (durch welche Kontaktmodalität) die PatientIn die Gestalt (oder das Problem) aufrechterhält. Mit anderen Worten: Die TherapeutIn konzentriert sich nun auf die Unterstützung des Kontaktprozesses, und zwar an dem Punkt, wo sie einst ihre Aufmerksamkeit auf die Unterstützung einer egoistischen Individualität richten musste, damit sie sich gegen andere Individualitäten durchsetzen konnte. Man könnte es auch so ausdrücken: Wenn gesund zu sein früher implizierte, herauszufinden, warum jemand gewinnt und siegreich aus dem Lebenskampf hervorgeht, so bedeutet es heute, die Wärme in intimen Beziehungen und die emotionale und körperliche Reaktion auf den/die Andere(n) zu erleben. In Gruppen unterstützt die TherapeutIn jene harmonische Selbstregulierung, die beim (Er)Leben eines horizontalen (gleichwertigen) Kontexts entsteht, in dem man atmen und sich gegenseitig Unterstützung bieten kann.

2. Entwicklung der Grundwerte: Die Bedeutung der Hermeneutischen Methode

Die Gestalttherapie hat ihre maximale Verbreitung also in einem kulturellen Moment erreicht, der als »postmoderner Zustand« definiert wird (Lyotard 1979). Ein charakteristisches Merkmal dieses Zustands der Bewertung der auf das Ego bezogenen Kreativität war die Kritik an a priori gesetzten Werten, die von Kriterien außerhalb des Erlebens des Individuums vorgegeben wurden, und das sich daraus ergebende Bedürfnis, sich von den traditionellen Bezugspunkten der Nachkriegskultur zu lösen (der »Fall der Götter«), und zwar auf Kosten eines »Sich-auf-die-Umwelt-Einlassens« oder auch »Sich-auf-emotionale-Bindungen-Einlassens«. Dies war zweifellos eine notwendige Phase, um angesichts einer sozialen Achse zwischen Autoritarismus einerseits und Abhängigkeit andererseits persönliche Autonomie zu erreichen.

In den 80er-Jahren herrschte reges Interesse an Beziehungen. Damals brachten einige Philosophen das »schwache Denken« (Vattimo / Rovatti 1983) ins Gespräch. Danach bietet die Freiheit von a priori bestimmten Paradigmen eine Möglichkeit, neue und völlig unabhängige Sicherheiten zu schaffen, die nicht von Werten belastet sind, die weitergegeben wurden und deshalb nicht die eigenen sind. Es war eine Frage des Glaubens an das Unsichere, der Bejahung des Wertes der »reinen« Beziehung, die neue Lösungen aus eben dieser Unsicherheit des flüchtigen Moments hervorbringen kann. Das schwache Denken formulierte den gestalttherapeutischen Glauben an das Jetzt und an die kreative Kraft des Selbst-in-Kontakts sehr treffend. Wie konnte man nicht von der Aussicht fasziniert sein, aus dem »Nichts«, aus der bloßen Beziehung, neue Lösungen für die PatientIn entstehen zu lassen? All die Erwartungen der GestalttherapeutInnen, durch ihre reine Anwesenheit und gemeinsam mit der PatientIn Lösungen zu finden, für die man keine Analyse der Vergangenheit brauchte, wurden hierdurch positiv konnotiert. Viele Gestalt-AutorInnen, ich selbst eingeschlossen, betonten die positive Bedeutung der Unsicherheit im Vergleich zur falschen Sicherheit, die durch schematische Systeme aufkam. Staemmler (1997a, 45) schreibt zum Beispiel, dass die Kultivierung der Unsicherheit ein Grundprinzip der GestalttherapeutIn sein sollte, und Miller (1990) hebt den Wert der Psychologie des Unbekannten hervor. Ich persönlich habe das Konzept der improvisierten Ko-Kreation geschaffen (Spagnuolo Lobb 2003b, 2010b), als Gegenstück zum Konzept des impliziten Beziehungwissens von Stern et al. (1998; 2003). Auch andere therapeutische Ansätze unterstreichen, wie wichtig es ist, sich nicht von der Macht verführen zu lassen, die diagnostische Sicherheiten in der Psychotherapie bietet (siehe zum Beispiel Amundson / Stewart / Valentine 1993).

Diese positive Sicht der post-modernen Unsicherheit wurde von der Gestalttherapie insofern geteilt, als man sich ganz auf das Hier und Jetzt des therapeutischen Kontaktes einließ. Sie passt nicht zum Erleben eines Notstands, das schnell zu einem traumatischen Erleben wird, wenn es an einem sicheren Beziehungshintergrund mangelt, wie ich ihn oben geschildert habe und wie er in Gestaltkreisen viel diskutiert worden ist (siehe zum Beispiel Cavaleri 2007; Francesetti 2008; Spagnuolo Lobb 2009c). Heutzutage ist die klinische Evidenz charakterisiert durch weit verbreitete Angst (Panikattacken, posttraumatische Belastungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und Hyperaktivität bei Kindern), Desorientierung in Beziehungen (Störungen der sexuellen Identität, widersprüchliche Beziehungsentscheidungen, Schwierigkeiten, Paarbeziehungen oder intime Bindungen aufrechtzuerhalten), körperlicher Desensibilisierung (Mangel an sexuellem Verlangen, Selbstverletzung mit dem Ziel sich selbst zu spüren, Anhedonie oder Gefühllosigkeit).

Welche Wertigkeit kann die Gestalttherapie zum heutigen Panorama der Psychotherapien beitragen?

Unser hermeneutischer Blick verrät uns, dass die Begründer der Gestalttherapie beim Schreiben des Standardwerks vor allem auf die Auflösung der wichtigsten neurotischen Dichotomien abzielten (Körper und Geist, Selbst und äußere Welt, emotional und real, infantil und reif; biologisch und kulturell; Lyrik und Prosa; spontan und absichtlich; persönlich und sozial; Liebe und Aggression; unbewusst und bewusst).

Bei allen Weiterentwicklungen unserer Theorie müssen wir uns an diesem Ziel orientieren: Wie können wir PsychotherapeutInnen sein, die Menschen in ihrem Beziehungsleiden helfen, Dichotomien zu überwinden?

Die Kunst der GestalttherapeutIn ist deshalb sehr komplex: Sie anzuwenden ist ebenso schwierig wie sie weiterzugeben, weil die GestalttherapeutIn an einem Geist, an Prinzipien festhalten muss, ohne dabei die Kreativität zu verleugnen, die uns unsere Leidenschaft erlaubt.

Bis vor zwanzig Jahren war es schwierig, in einer Beziehung zu bleiben. Heute ist es schwierig, sich in einer Beziehung selbst zu spüren. Bisweilen betrifft dieses Sich-nicht-Spüren sogar das Sexualleben: Die klinische Evidenz reicht von Ambiguität bei der Partnerwahl (Spagnuolo Lobb 2005d; Iaculo 2002) bis zur Unfähigkeit, sexuelles Verlangen im Körper wahrzunehmen. Das gestalttherapeutische Verständnis der »flüchtigen Angst« (liquid fear) (Bauman 2006) bezieht sich auf ein Gefühl, bei dem aus der Erregung, die zum Kontakt führen sollte, eine undefinierte Energie wird: gegenseitiges Spiegeln und das Containment der Beziehung, das Spüren der Anwesenheit des/der Anderen, die »Abgrenzung«, die uns erlaubt zu fühlen, wer wir sind – all das fehlt.

Ich bin der Meinung, dass die Psychotherapie heute eine zweifache Aufgabe hat: den Körper zu re-sensiblisieren (Überwindung der Dichotomie virtuell/real) und Menschen Werkzeuge zur horizontalen Beziehungs-Unterstützung an die Hand zu geben, die ihnen dabei helfen, sich im Blick des/der gleichwertigen Anderen zu spüren (Überwindung der Dichotomie vertikal/horizontal in heilenden Kontakten).

3. Grundprinzipien der Gestalttherapie in der klinischen Praxis

Heutzutage scheinen bestimmte epistemologische Prinzipien der Gestalttherapie den Ansatz von anderen zu unterscheiden. Wenn mich heute jemand fragte, was an der Gestalttherapie besonders ist, würde ich Folgendes antworten.

3.1 Vom intra-psychischen Paradigma zum Paradigma der ko-kreierten Zwischenheit

Angesichts des heutigen kulturellen Trends mit seinem Fokus auf Beziehungen definiert die Gestalttherapie die ursprüngliche Eingebung der Begründer im Sinne der Ko-Kreation neu, die Erleben als ein Geschehen an der Kontaktgrenze, in der »Zwischenheit«, betrachtet, also zwischen dem Ich und dem Du (Spagnuolo Lobb 2003b).

Auf dem Gebiet der klinischen psychologischen Praxis hat sich die Gestalttherapie, vor allem dank des Beitrags von Isadore From, von der Betrachtung der Interaktion zwischen Organismus und Umwelt, die auf die Befriedigung individueller Bedürfnisse abzielte (siehe Wheeler 2000a), hin zur Betrachtung des Organismus/Umwelt-Feldes entwickelt. Bei diesem Feld handelt es sich um ein ganzheitliches wahrnehmungsbezogenes Ereignis, aus dem Kontaktmodalitäten entstehen, die der/die PsychotherapeutIn begrüßt, um die klare Wahrnehmung und damit die Spontaneität des Selbst der PatientIn zu fördern.

Ein klinisches Beispiel hierfür ist der Fall eines Patienten, der zur TherapeutIn sagt: »Ich war letzte Nacht in einem fürchterlichen Zustand und habe nicht geschlafen.« Nach dem Verständnis der heutigen Gestalttherapie drückt er damit nicht nur ein Erleben aus, das zu ihm gehört (»Ich möchte meinen fürchterlichen Zustand besser verstehen«). Er drückt auch etwas aus, das zum aktuellen Kontakt mit der TherapeutIn gehört, denn die Erwähnung des erinnerten »fürchterlichen Zustands« ist eine Möglichkeit, vom aktuellen Zustand zu sprechen. Es ist eine Frage der Gestalt/Hintergrund-Dynamik: Der Patient pickt bestimmte Anteile aus dem Erlebenshintergrund des Kontaktes mit der TherapeutIn heraus und lässt andere Anteile links liegen, in dem Moment, den er in der aktuellen Sitzung mit der TherapeutIn erlebt. Vielleicht möchte er ihr über eine Angst berichten, die mit der letzten oder der gerade beginnenden Sitzung zu tun hat. Er könnte zum Beispiel sagen wollen: »In der letzten Sitzung ist etwas passiert, das mir Angst gemacht hat. Ich hoffe, Sie merken jetzt, welche Auswirkungen das auf mich gehabt hat und können mich heute vor den negativen Folgen schützen.« Diese beziehungsorientierte Interpretation (korrekter wäre es, hier von »situationsorientiert« zu sprechen) erlaubt es der TherapeutIn, aus der traditionellen intrapsychischen Perspektive herauszutreten, sich bei ihrer Arbeit auf den »fürchterlichen Zustand« zu beziehen und zu sehen, was entsteht. Die TherapeutIn kann die Behandlung als Prozess sehen, der mit der Bewusstheit des Patienten für die Befriedigung (oder das Sublimieren) von Bedürfnissen verbunden ist. Und sie kann die postmoderne Position einnehmen, nach der die Behandlung ein Raum ist, der vom Patienten und der TherapeutIn ko-kreiert wird und in dem neue Kontaktmuster entstehen, die die Spontaneität des Selbst freisetzen.

Die Wende vom intrapsychischen Paradigma hin zu dem der »Zwischenheit« impliziert, dass die TherapeutIn sich und die PatientIn nicht als separate Einheiten wahrnimmt, sondern als eine dialogische Gesamtheit –die PatientIn im Dialog mit der TherapeutIn / die TherapeutIn im Dialog mit der PatientIn (Yontef 2005). Jede Kommunikation seitens der PatientIn ist Teil der Gestalt der gegenseitigen Wahrnehmungen, durch die die beziehungsbezogene Intentionalität ausgedrückt wird, und erhält durch sie Bedeutung.

Ein Beispiel soll den Unterschied veranschaulichen. Ein Patient sagt: »Ich spüre eine Anspannung im Bauch, ich weiß auch nicht … es ist, als ob ich wütend wäre.« Wenn die TherapeutIn einen »intrapsychischen« Ansatz hat, wird sie versuchen zu verstehen, von welchen vergangenen Erlebnissen diese Wut stammt, auf wen oder was der Patient wütend ist usw. Vermutlich sagt sie: »Konzentrieren Sie sich auf Ihren Körper und spüren Sie nach, an was Sie dieses Gefühl erinnert.« Wenn sie stattdessen das »Zwischenheit-Paradigma« nutzt, wird sie ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was in der »Zwischenheit« dazu geführt hat, dass die Figur der Anspannung und der Wut im Bauch hat aufkommen lassen. Sie wird fragen: »Wie lässt das Mit-mir-Sein Anspannung und Wut entstehen? Was an mir macht Sie wütend? Und was halten Sie mir gegenüber zurück, das Anspannung in ihrem Bauch verursacht?« Wahrscheinlich ist der Patient zunächst etwas irritiert. Die TherapeutIn fordert ihn auf, sich Zeit zu lassen und zu atmen. Dann antwortet der Patient: »Wenn ich dran denke, dass Sie mich eine Viertelstunde lang haben warten lassen, bevor Sie mich hereingebeten haben, werde ich wütend.« An diesem Punkt bricht etwas auf, das die Heilung eines zuvor gestörten Beziehungsmusters erlaubt. Der Patient kann der TherapeutIn gegenüber spontan sein und die Retroflexion auflösen, die als gewohnheitsmäßig gewähltes Beziehungsmuster Anspannung im Bauch verursachte.

Diese Art des therapeutischen Dialogs eröffnet dem Patienten die Möglichkeit, beziehungsbezogene Ängste zu überwinden, denen er durch eine Unterbrechung des Kontakts aus dem Weg gehen wollte (und die er dann vergessen hat). Wenn das aktuelle Beziehungsgeschehen erst einmal zurück an die Kontaktgrenze gebracht worden ist, kann die TherapeutIn eine ganze Reihe von gestalttherapeutischen Interventionen einsetzen, um die (inzwischen bewusste) Kontaktenergie zu unterstützen.

3.2 Die therapeutische Beziehung als realer »Fakt«: die Vorherrschaft der Erfahrung

Allgemein gesprochen betrachten psychotherapeutische Ansätze die therapeutische Beziehung als praktisches Werkzeug, mit deren Hilfe sich die realen Beziehungen im Leben der PatientIn verbessern lassen.8 Die Gestalttherapie hingegen misst der therapeutischen Beziehung den Charakter einer realen Erfahrung bei, die in dem Raum »zwischen« PatientIn und TherapeutIn geboren wird und ihre eigene Geschichte hat.

Die therapeutische Beziehung wird tatsächlich weder als Ergebnis von Projektionen von Beziehungsmustern gesehen, die Teil der Vergangenheit der PatientIn sind, noch lediglich als Versuchsstation für das reale Leben, in dem »Tests« mit Beziehungsmustern durchgeführt werden, die sich in der Welt draußen als effektiver erweisen würden. Zwischen PatientIn und TherapeutIn entsteht eine einzigartige, nicht reproduzierbare Beziehung, in der die beiderseitigen Wahrnehmungen verändert werden. Die Arbeit an Mustern der Vergangenheit hat zum Ziel, diese Beziehung zu verbessern, nicht vergangene Beziehungen. Das, was zwischen dieser bestimmten TherapeutIn und dieser bestimmten PatientIn geschieht, konstituiert die Behandlung als eine der vielen möglichen Erfahrungen von Behandlung. Dies impliziert, dass die GestalttherapeutIn sich ganz auf die Beziehung einlässt, dass sie ihr eigenes Selbst nutzt.

Die Behandlung baut tatsächlich auf zwei realen Menschen auf. Sie könnten zwar auch diverse Techniken anwenden, um sich einander zu öffnen, doch sie lassen sich mit all dem, was sie an Begrenztheiten mitbringen, spontan aufeinander ein, in eine Beziehung, die durch ihre komplementären Rollen klar definiert ist: Eine(r) gibt eine Behandlung und der/die Andere bekommt sie.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Situation, die Isadore From gerne schilderte: Ein Patient erzählte ihm von einen Traum und begann mit den Worten: »Ich hatte letzte Nacht einen kleinen Traum.« Isadore From war ziemlich klein gewachsen. Bei seinen PatientInnen rief diese Tatsache Reaktionen hervor, die sie meist nicht zeigten, »wohlerzogen« wie sie waren. From war sich seiner Beschränkung vollkommen bewusst, als er auf den einleitenden Satz des Patienten erwiderte: »Ja! Klein, so wie ich.« Den Patienten machte dieser kleine Scherz zunächst betroffen. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, unhöflich zu sein. Dann brach er in befreiendes Gelächter aus. Er atmete tiefer und konnte nun mit Gefühlen der Zärtlichkeit und des Vertrauens in den Kontakt mit seinem Therapeuten treten – Gefühle, die er vorher blockiert hatte. Es war diese Begegnung zwischen Therapeut und Patient, in der Menschlichkeit ihrer Beschränkungen, die es dem Patienten ermöglicht hatte, seine verborgensten Gefühle zu offenbaren und sich in der Beziehung zu öffnen, mit einem Gefühl des Vertrauens in den anderen, das ihm bisher nur schwer zu erleben möglich war. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass die Behandlung nach dem Verständnis der Gestalttherapie in der realen Begegnung zwischen zwei Menschen entsteht. Bei dieser Begegnung taucht etwas Neues auf, das die Fähigkeit des Patienten wiederherstellt, in Kontakt zu treten.

Eine ähnliche Ansicht finden wir bei Stern (2004; Stern et al. 2003), der die »persönliche Handschrift« einer TherapeutIn bei einer Intervention als einen wichtigen Faktor für psychotherapeutische Veränderungen betrachtet. Damit meint er ein bestimmtes Lächeln, eine bestimmte Art zu sprechen oder die PatientIn anzusehen: Sie gibt der PatientIn das Gefühl, dass dies die Art ist, wie die TherapeutIn sich mit einem wichtigen Menschen in ihrem Leben befasst.

3.3 Die Rolle der Aggression im sozialen Kontext und das Konzept der Psychopathologie als nicht unterstütztes Ad-gredi9

In seinem intuitivem Verständnis von Kindheitsentwicklung betont Fritz Perls das Element des Dekonstruierens, des Zerkleinerns, das mit dem Wachstum der Zähne einhergeht (dentale Aggression, Perls 1942). Dabei geht er davon aus, dass die menschliche Natur fähig ist, sich selbst zu regulieren. Diese Auffassung zeichnet sicherlich ein positiveres Bild als die mechanistische Vorstellung vom Menschen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet war (und die vor allem in der Freudschen Theorie deutliche Spuren hinterließ). Die Fähigkeit des Kindes zu beißen unterstützt und begleitet seine Fähigkeit, die Realität zu dekonstruieren. Diese spontane positive Aggression erfüllt nicht nur eine Überlebensfunktion, sondern ist auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Sie macht es dem Individuum möglich, sich eigenständig das in seiner Umwelt zu beschaffen, was seine Bedürfnisse befriedigt, und es seiner Neugierde entsprechend zu dekonstruieren.

Die physiologische Erfahrung des Ad-gredi10 fördert die umfassende reorganismische Erfahrung, auf den anderen zuzugehen. Sie verlangt nach Sauerstoff, d. h. sie muss durch das Ausatmen ausgeglichen und unterstützt werden. Das Ausatmen ist ein Moment des Vertrauens gegenüber der Umwelt, in dem der Organismus sich entspannt und die Kontrolle abgibt, um spontan und selbstregulierend einen weiteren Atemzug zu tun und den Körper mit neuem Sauerstoff zu versorgen.

Das Aussetzen der Kontrolle, wo man sich dem anderen oder der Umwelt überlässt, ist das fundamentale Signal für den Rhythmus von Vertrauen und Kontrolle, damit dieser spontan ablaufen kann. Dies ist die Vorbedingung dafür, dass ein zweiter Rhythmus möglich wird, jener von Kreativität und Anpassung, der die aktive und die zurückgenommene Präsenz ausbalanciert, indem er das konstitutiv Neue im Kontakt mit dem anderen assimiliert.

Wenn diese Unterstützung durch den Sauerstoff ausbleibt, wird aus Erregung Angst. Die gestalttherapeutische Definition von »Angst« lautet »Erregung minus Sauerstoff«. Es fehlt die physiologische Unterstützung, um den anderen/die andere zu erreichen. Der Kontakt kommt in jedem Fall zustande (er kommt immer zustande, solange es das Selbst gibt oder solange es Leben gibt), doch die Erfahrung ist von Angst geprägt (Spagnuolo Lobb 2005d; vgl. Ruella 2001). Dies impliziert eine gewisse Desensibilisierung der Kontaktgrenze: Um die Angst nicht zu spüren, ist es notwendig, die Sensibilität im Hier und Jetzt des Kontaktes mit der Umwelt teilweise schlafen zu lassen. Die Folge ist, dass das Selbst nicht vollständig fokussiert werden kann, die Achtsamkeit nimmt ab und der Akt des Kontakts verliert seine Achtsamkeit und Spontaneität.11

Aus diesem Grund beobachtet die GestalttherapeutIn den körperlichen Prozess der PatientIn im Kontakt. Stellt sie fest, dass die PatientIn nicht vollständig ausatmet, während sie sich auf ein wichtiges Erleben konzentriert, regt sie sie an auszuatmen. Die TherapeutIn weiß, dass die PatientIn auf der physiologischen Ebene gerade eine Erregung ohne Sauerstoff erlebt. Sie weiß auch, dass die PatientIn in diesem Moment vom therapeutischen Kontakt abgelenkt ist und nichts Neuartiges in sich aufnehmen kann, das darin enthalten ist. Der therapeutische Kontakt kann also nicht ohne die Unterstützung durch Sauerstoff funktionieren, da Veränderung nach Auffassung der Gestalttherapie alle geistig-körperlichen und beziehungsbezogenen Prozesse betrifft. Die PatientIn sollte daher zum Ausatmen ermuntert werden. So wird ihr die Unterstützung durch den Sauerstoff zuteil und sie kann das Neue im therapeutischen Kontakt akzeptieren.

Die Gestalttherapie verbindet also auf wunderbare Art und Weise die »animalische« und die »soziale« Seele, die in der philosophischen Kultur der westlichen Welt über Jahrhunderte hinweg als unvereinbare Gegensätze betrachtet wurden: Wenn der Kontakt ein übergeordnetes Motivationssystem ist, gibt es keine Trennung zwischen dem instinktiven Überlebenstrieb und dem sozialen Wunsch nach Gemeinschaft.12

Der Akzent, den die Gestalttherapie auf das Beziehungsgefüge legt, hat also im Zusammenhang mit der Selbstregulierung (zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion) des Austauschs zwischen Organismus und Umwelt eine anthropologische Wertigkeit. Im Hinblick auf die Annahme, dass Kreativität das »normale« Ergebnis der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft ist, hat er eine sozio-politische Wertigkeit. Die kreative Anpassung ist tatsächlich das Ergebnis dieser spontanen Überlebenskraft, die es dem Individuum ermöglicht, sich vom sozialen Kontext abzugrenzen und gleichzeitig ein vollwertiger und wichtiger Teil dieses Kontextes zu sein. Jedes menschliche Verhalten, selbst pathologisches Verhalten, wird als kreative Anpassung betrachtet.

Das Konzept des Ad-gredi findet seinen gestalttherapeutischen Niederschlag in der Bildung der Kontaktgrenze.

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9783897975903
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