Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 7
Zusammenfassend ist es wichtig festzuhalten, dass die Psychopathologie das Leiden der Kontaktgrenze ist. Dieses mag als subjektiver Schmerz empfunden werden oder auch nicht. Wenn das Subjekt nicht vollständig wahrnimmt, was an der Grenze passiert, verspürt es keinen subjektiven Schmerz. Dennoch kann der/die Andere oder ein(e) Dritte(r) ihn wahrnehmen. Aus klinischer Sicht ist es nicht der Schmerz, der pathologisch ist, sondern vielmehr die Unfähigkeit, ihn auszuhalten und ihn auf individueller, familiärer und sozialer Ebene gänzlich zu empfinden. Um subjektiven Schmerz zu verringern, muss das Zwischen, muss die Grenze leiden. Auf diese Weise wird der Schmerz schwächer wahrgenommen, doch gleichzeitig verringert sich die Bewusstheit. Entwicklungspsychologisch gesehen ist diese Fähigkeit, unerträglichen Schmerz zu verringern, eine kreative Anpassung, die das Individuum, die Familie und die Gesellschaft schützt. Doch nun ist es eben diese Fähigkeit, die das Individuum daran hindert, ganz zu fühlen, zu leben und zu handeln und das Selbst und das Umfeld, mit dem es in Kontakt steht, vollständig zu erleben.
Vollständiges Erleben ist gesundes Erleben, das durch eine gemeinsame Gestaltung an der Kontaktgrenze entsteht. Es zeigt sich in der Erschaffung einer hellen, harmonischen, starken und eleganten Figur (Perls / Hefferline / Goodman 2006; Bloom 2003). Damit sich eine solche Figur bilden kann, muss das Selbst an der Kontaktgrenze vollständig anwesend sein. Um vollständig anwesend sein zu können, braucht das Selbst ausreichende Unterstützung (Perls L. 1992). Unerträglicher Schmerz führt zur Betäubung und dadurch zur Unfähigkeit, das Selbst oder das Umfeld bzw. den/die Andere(n) wahrzunehmen. Wenn die Unterstützung ausreichend ist, ist das Subjekt anwesend und kann Schmerz spüren. Wenn die Unterstützung nicht ausreichend ist, ist das Subjekt an der Kontaktgrenze auf die eine oder andere Weise abwesend und unbewusst und kann grausam oder selbstzerstörerisch agieren. Das Angebot ausreichender Unterstützung bei Schmerz ist ein Weg, Leid auf sozialer Ebene zu vermeiden und zu heilen. Dies eröffnet uns eine ethische Leitlinie und eine politische Perspektive in unserer Arbeit als PsychotherapeutenInnen.
3. Gesundes, psychotisches und neurotisches Erleben
Während wir versuchen, diese drei Dimensionen des menschlichen Erlebens voneinander zu differenzieren, wollen wir Sie daran erinnern, dass wir keine Menschen definieren, sondern eine Art des Erlebens im Hier und Jetzt, in der gegenwärtigen Situation. Diese Art von Erleben – gesund, neurotisch, psychotisch – ist ein Phänomen, das sich an der Kontaktgrenze herausbildet. Es wird also immer gemeinsam erschaffen. Das bedeutet, dass die TherapeutIn während der Sitzung dazu beiträgt, eine dieser Arten des Erlebens zu kreieren. Sie kann auch dazu beitragen, psychotisches Erleben hervortreten zu lassen oder zu festigen. Daher ist es wichtig, sich dieser drei Dimensionen bewusst zu sein, um sie erkennen zu können und zu wissen, wie man mit ihnen umgeht (siehe auch die entsprechenden Kapitel in diesem Buch).
Eine weitere Vorbemerkung: Die Begriffe »gesund«, »psychotisch« und »neurotisch« werden hier nicht als Kategorien angeführt, sondern als Dimensionen. Das bedeutet erstens, dass ein Erleben mehr oder weniger psychotisch, neurotisch oder gesund sein kann – und trotzdem sind es weiterhin drei unterschiedliche Arten von Dimensionen. Zweitens bedeutet dies, dass wir alle das Potenzial haben, diese drei Dimensionen zu erleben: Es gibt eine dynamische Schwelle, die wahrscheinlich von der Situation, den Umständen und den persönlichen Anlagen abhängig ist.
Sehen wir uns nun an, was gesundes Erleben charakterisiert und wie wir es bestimmen können.
Wir können ein paar Elemente identifizieren, die aus gestalttherapeutischer Sicht bei gesundem und normalem Erleben vorhanden sein müssen. Gesundes Erleben ist ein Kontaktprozess mit einem Novum, das als Entwicklungsmöglichkeit im Umfeld vorhanden ist. Dieser Prozess impliziert einen gemeinsamen Akt der Zerstörung, der das Neue integrierbar macht, sowie genügend Zeit für die Integration selbst. Das Ergebnis ist ein Wachsen des Organismus (Perls / Hefferline / Goodman 2006). Auf die eine oder andere Weise ist jede Situation neu: Gesundes Erleben ist das Zusammentreffen mit der unendlichen Neuheit des Lebens. Es ist per definitionem einzigartig und nährend: einzigartig, weil die Begegnung mit dem Neuen nicht wiederholbar ist (wenn doch, ist es kein Zusammentreffen mit etwas Neuem), und nährend, weil das Ergebnis ein Wachsen des Organismus ist (wenn nicht, dann gab es nicht genügend Nährendes).
Beim neurotischen Erleben ist der Kontakt mit dem Neuen an der Kontaktgrenze gedämpft: Es findet nur ein reduzierter Kontakt mit den Möglichkeiten im Feld statt. Diese Einschränkung manifestiert sich in den sogenannten Kontaktstörungen. Ursprünglich handelte es sich dabei um gesunde Schutzmechanismen des Organismus: Sie waren die beste Möglichkeit, in vergangenen Beziehungen präsent zu bleiben, doch dann wurden sie zu unbewussten Gewohnheiten – fixierten Gestalten –, die die Möglichkeiten beschränken, in der Beziehung präsent zu sein. Das neurotische Erleben ist nicht einzigartig, sondern vielmehr stereotyp, und nicht nährend, da es nicht zu einer vollständigen Begegnung mit dem Neuen kommt, das es zu integrieren gilt.
Um psychotisches Erleben zu verstehen, müssen wir ein weiteres Element des gesunden, normalen Erlebens betrachten. Wir bezeichnen ein Erleben als »normal«, das aus einem gemeinsamen Hintergrund von Zeit, Raum und Grenzen entsteht. In diesem Fall gibt es ein klar umrissenes Subjekt, das eine klar umrissene Welt erlebt, und sie beide sind Teil desselben Gefüges aus Zeit und Raum, einer gemeinsamen Welt, in der Subjekte und Objekte sich trennen und verbinden. Daran ist zunächst nichts Ungewöhnliches, schließlich ist dies die Art und Weise, wie wir normalerweise unsere Erfahrungen machen. Doch genau diese Struktur ist bei psychotischem Erleben9 gestört, bei dem dieser gemeinsame Hintergrund verloren geht: Die Grenzen, die das Subjekt und die Welt trennen und verbinden, sind gestört. Dadurch entsteht ein Mangel an Abgrenzung, der sich z. B. in solchen Feststellungen äußern kann: »Die Leute können meine Gedanken lesen«, »Meine Absichten können ein finanzielles Desaster zur Folge haben« oder »Ich fühle mich, als sei ich weit von den anderen entfernt, ohne Verbindungen und ohne Zukunft«.
Die klar definierte Subjekt/Welt-Struktur als Voraussetzung für ein normales Erleben stellt keinen grundlegenden Zustand des menschlichen Lebens dar, sondern spiegelt vielmehr, wie wir unser Erleben Moment für Moment aufbauen. Unsere Sinne vermitteln uns keine radikale Trennung von Subjekt und Objekt, diese Abgrenzung ist etwas, das wir – prä-kognitiv – in jedem einzelnen Augenblick vornehmen. Die Realität, wie wir sie üblicherweise kennen, ist ein après coup, der sich an der Kontaktgrenze herausbildet. Das Subjekt, das das Hier und Jetzt erlebt, wird permanent durch einen bunten Regenbogen von Abgrenzungen an der Kontaktgrenze erschaffen. Das Selbst ist ein sich herausbildendes Phänomen (Philippson 2001). Bevor das »Ich-Selbst« entsteht, gibt es ein undefiniertes Selbst »der Situation« (Perls / Hefferline / Goodman 1994; Robine 2011). Dank unserer Persönlichkeitsfunktion können wir unsere Stabilität als Subjekte spüren, sie ist jedoch nichts grundsätzlich Gegebenes in unserem Leben.10
Psychotisches Erleben zeichnet sich durch einen Mangel an diesem Hintergrund aus, durch eine Verzerrung von Raum, Zeit und Grenzen, die uns unerträgliche Qualen bereitet: Die Welt geht zu Ende, zumindest so, wie ein Mensch sie zu erfahren gewohnt war. Als Konsequenz entstehen psychotische Phänomene: Die melancholische Depression und schizophrenes Leiden können wohl in einem Kontinuum angesiedelt werden, an dem es an einem Ende keine Verbindung an der Kontaktgrenze gibt und am anderen Ende keine Abgrenzung an der Kontaktgrenze.
Melancholisches oder manisches Erleben tritt ein, wenn das Subjekt von der Situation abgeschnitten ist (entkörpert von Raum/Zeit der Situation und abgetrennt vom Zwischen). Schizophrenes Erleben entsteht, wenn die Grenzen nicht definiert sind und das Außen innen wahrgenommen wird und umgekehrt (Francesetti 2011). In dieser Situation können Wahn und Halluzination einen Eindruck von Realität und Sicherheit erzeugen, der weniger Angst erzeugt als das Gefühl, sich vollkommen orientierungslos in ungewissem Widersinn verlaufen zu haben.
Solche fixierten Schutzmechanismen machen dieses Erleben oft stereotyp. In diesem Zustand kann sich die Kontaktsequenz nicht fortsetzen. Da es keinen Prozess der Abgrenzung gibt, geht die sich daraus ergebende Möglichkeit einer Begegnung verloren. Das Neue kann nicht als Objekt identifiziert werden, es ist wie eine überwältigende Woge, und das nicht definierte Subjekt kann es nicht zerstören, also ist eine Begegnung mit dem Neuen unmöglich und das Neue kann nicht integriert werden.
Bei beiden Arten des Erlebens, dem neurotischem und dem psychotischen, findet keine Begegnung mit dem Neuen statt und sie sind nicht nährend – damit fehlen zwei Grundvoraussetzungen des gesunden und normalen Erlebens.
Wir können diese zwei Arten des Leidens als qualitativ unterschiedlich von gesundem Erleben betrachten, und doch besteht gleichzeitig für jeden Menschen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, so zu empfinden. Andererseits wird ein Mensch mit dieser Art von Erleben nie nur darauf reduziert. Wie Minkowski beschreibt, ist es genauso wichtig zu wissen, »wie sehr« eine PatientIn schizophren ist, wie es wichtig ist herauszufinden, wie sehr sie es nicht ist. Auch wenn wir ein Kontinuum zwischen neurotischem und psychotischem Erleben bei einer bestimmten Person wahrnehmen können, und auch rasche Wechsel zwischen ihnen, ist es wichtig, sich immer bewusst zu sein, dass es zwei qualitativ unterschiedliche Arten von Erleben sind.
Wir könnten auch sagen, dass das Erleben eines Menschen immer so gesund ist wie seine Fähigkeit, an der Kontaktgrenze präsent und bewusst zu sein, und dass neurotisches und psychotisches Erleben zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Abwesenheit an der Kontaktgrenze darstellen. Diese Überlegung führt uns zur Frage der Bewertung.
Tatsächlich ist es eines der revolutionären Konzepte der Gestalttherapie, dass sie ein inhärentes Kriterium zur Bewertung des Erlebens etabliert hat. Um herauszufinden, ob das Erleben pathologisch ist oder nicht, benötigen wir kein externes Kriterium, mit dem wir vergleichen, was im Kontakt passiert: Gesundes Erleben bedeutet eine gute Gestalt, die über Eleganz, Stärke, Harmonie, Rhythmus, Flexibilität und Intensität usw. verfügt. Dies ist ein ästhetisches11 Kriterium, da es implizites Wissen ist, das uns unmittelbar durch unsere Sinne vermittelt wird: Wir können direkt fühlen, wie gut die Gestaltung ist, der Prozess, in dem sich die Figur bildet. Anwesenheit und Ästhetik an der Kontaktgrenze sind dasselbe Phänomen: vollständiges Erleben ist ästhetisch.
Eine ästhetische Bewertung ist nicht kognitiv: Sie ist implizites Wissen, da sie präverbal und prä-kognitiv ist (D’Angelo 2011; Desideri 2011). Kontaktstörungen im Hier und Jetzt nehmen wir als Verzerrungen dieser Eigenschaften wahr: das Leiden unseres gemeinsam geschaffenen Erlebens, die Begrenzungen unseres gegenwärtigen Kontaktes, das Maß unserer Abwesenheit. Auf diesem ästhetischen Kriterium basiert der inhärente diagnostische Prozess (Bloom 2003; Francesetti / Gecele 2009; siehe auch Kapitel 3 zur Diagnose). Wenn wir in einem psychotischen Feld sind, ist ein bestimmter Aspekt, den wir wahrnehmen, die Notwendigkeit eines/r Dritten – oft als Angst – wie oben beschrieben. Auf diese Weise fühlt die TherapeutIn den unerträglichen Mangel an Hintergrund im Feld. Auch hier handelt es sich um eine inhärente Bewertung, die an der Kontaktgrenze mit den Sinnen wahrgenommen wird.
4. Die Koordinaten einer gestalttherapeutischen Psychopathologie
Aus gestalttherapeutischer Sicht sind Symptome Erzeugnisse eines kreativen Selbst und offenbaren die menschliche Einzigartigkeit (Perls / Hefferline / Goodman 2006). Die Psychopathologie ist ein ko-kreatives Feldphänomen, das eine einzigartige kreative Anpassung in einer schwierigen Situation darstellt. Wenn sie zu einer fixierten Gestalt wird, dient sie nicht mehr den Bedürfnissen des Individuums und seiner Umwelt, sondern engt sein Spektrum an Potenzialen ein. Die Symptome werden nicht als eigenständige Elemente betrachtet, sondern als ein eingeengtes Funktionsspektrum (Zinker 1978). Die Symptome deuten auf eine eingeschränkte Flexibilität in den Reaktionen der KlientIn hin. Sie ist in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, fließenden Kontakt zu ihrer Umwelt zu haben. Sie ist dann nicht in der Lage, ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechend zu handeln: Ihr Verhalten und aktuelles Erleben werden von fixierten Mustern bestimmt. Sie folgt einer Gewohnheit und trifft keine gezielte Entscheidung (Yontef 1993).
Psychopathologische Symptome sind phänomenologisch feststellbare Manifestationen von fixierten Gestalten. Diese starren Muster verursachen ein Leiden der Kontaktgrenze und von Beziehungen (natürlich trägt das Individuum zu der Gestaltung seines Beziehungsfeldes bei). Sie werden auch in der therapeutischen Beziehung zu einer Figur: Beide, die KlientIn und die TherapeutIn, sind die gemeinsam Schöpfer der Psychopathologie, die sich in der Beziehung herausbildet. TherapeutInnen können das starre Feldgebilde mithilfe ihrer Bewusstheit verlassen. Auf diese Weise unterstützen sie die Beziehung und bieten den KlientInnen eine Möglichkeit, ihr Spektrum an Möglichkeiten zu erweitern. Die TherapeutIn bietet ein Kontakterleben an, das der PatientIn bisher gefehlt hat und nach der sie auf der Suche war (Salonia 1989c, 2001a; Spagnuolo Lobb 1990, 2001a).
In diesem Sinne sind Symptome immer ein Appell, eine Bitte nach einer bestimmten Beziehung: eine Art des Kontaktes, in dem die Symptome nicht mehr gebraucht werden (Sichera 2001). Eine Panikattacke kann also der Ruf nach einer Beziehung sein, in der es genug Unterstützung aus dem gemeinsamen Zugehörigkeitsgefühl gibt, nach einem Kontakt, der genügend Unterstützung bietet, um in diese Welt zu treten (siehe auch Kapitel 24 über Angst- und Panikstörungen). An der Kontaktgrenze zu sein hilft der TherapeutIn, die Kontaktschwierigkeiten zu verstehen, die die Beziehung belasten, und herauszufinden, was sie tun muss, um der Beziehung selbst Unterstützung zu bieten.
Nach Auffassung der Gestalttherapie gründet sich das klinische Verstehen des Leidens auf einer Reihe von Komponenten, mit deren Hilfe ein epistemologisches Profil umrissen wird. Wir sind überzeugt, dass man auf diesen Grundlagen eine gestalttherapeutische Perspektive entwickeln kann, die wir sogar als gestalttherapeutische Psychopathologie bezeichnen würden. Sie definiert sich folgendermaßen:
Phänomenologisch: Das bedeutet nicht interpretativ ausgerichtet, sondern bemüht, gelebte Erfahrung zu verstehen. Gelebter Erfahrung wird bei diesem Ansatz volle und bedingungslose Würde und Wertigkeit zugesprochen. Diese Position stimmt mit dem epistemologischen Standpunkt der phänomenologischen Psychiatrie überein (Jaspers 1913; Merleau-Ponty 1945; Binswanger 1963; Minkowski 1927, 1999; Callieri 2001a; Borgna 1989, 2005, 2008b; Kimura 2000, 2005). Fixierte Gestalten verursachen Leiden in Beziehungen, indem sie einen vollständigen Kontakt mit der aktuellen Realität verhindern. Aus diesem Grund behandelt die gestalttherapeutische Psychopathologie die Kategorisierung von Erleben mit Vorsicht und vermeidet die Kategorisierung von Subjekten. Das Erleben psychopathologischen Leidens ist anthropologisch gesehen »normal«. Es ist allen Menschen zugänglich. Alle Menschen können mehr oder weniger ausgeprägtes Leiden in Beziehungen erleben, für das es ein Kontinuum zwischen gesundem und psychopathologischem Erleben gibt.
Beziehungsgebunden:
1. Psychopathologie ist das Leiden von Beziehungen. Subjekt und Objekt der Behandlung ist nicht das Individuum, sondern die Beziehung, die an der Kontaktgrenze entsteht. Diese Beziehung behandelt die PsychotherapeutIn, indem sie an der Kontaktgrenze steht. Es ist die Kontaktgrenze, die leidet, und es ist die Kontaktgrenze, die durch die Therapie geheilt wird. Der Ursprung des Leidens sowie seine Heilung liegen in der Beziehung (Salonia 1992, 2001a; Spagnuolo Lobb 2001a, 2005a; Sichera 2001; Yontef 2001a; Philippson 2001). Subjektives Leiden geht nicht mit Psychopathologie einher: Subjektives Leiden kann es auch ohne Psychopathologie geben und Psychopathologie kann ohne subjektives Leiden existieren. Dabei ist Letzteres möglicherweise die häufigere Variante.
2. Gelebte Erfahrung wird gemeinsam in der Beziehung erschaffen (Spagnuolo Lobb 2003b; Stern et al. 1998). Selbst die grundlegenden erlebnisorientierten Koordinaten, Grenzen, Raum und Zeit sowie Energie und Vitalität sind keine Funktionen des Individuums, sondern Funktionen der Beziehung, von der sie auch abhängen (Salonia 2001a; Francesetti 2011). In der Therapie muss das Leiden der PatientIn als Phänomen verstanden werden, das sich im therapeutischen Feld herausbildet (Robine 2011; Spagnuolo Lobb 2001a; Stolorow et al. 1999).
3. Die gestalttherapeutische Psychopathologie konzentriert sich auf den Moment und sieht sich an, wie die Spontaneität des Kontaktes gestört ist und die Intentionalität ohne Unterstützung bleibt (Spagnuolo Lobb 2001a). In diesem Moment ist das Selbst an der Kontaktgrenze nicht vollständig anwesend und die TherapeutIn interveniert, um die Beziehung zu unterstützen. Genau genommen ist nicht der Kontakt gestört, sondern die Spontaneität des Kontaktes. Dem Kontakt (der Beziehung im Hier und Jetzt) fehlt die nötige Unterstützung, um die Intensität und die Harmonie der vorhandenen Intentionalitäten aufrechtzuerhalten. Er erreicht das Neue nicht, das durch das gemeinsame Erschaffen der Kontakterfahrung in all den Potenzialen seines Feldes entstehen könnte. Die Energie, die die Intentionalität untermauert, geht entweder verloren oder sucht sich andere Bahnen: Die Intentionalität ist verzerrt12 und der Pfeil erreicht sein Ziel nicht.13 Die Kontaktepisode durchläuft alle Phasen des Kontaktmusters, jedoch ohne die Kraft und die Schönheit, die entstehen würden, wenn alle Intentionalitäten im Feld gesammelt und ausgedrückt würden.
4. Beziehungen sind niemals dual: Wie wir gesehen haben, gibt es immer eine(n) Dritte(n), dem gegenüber sie offen sind und der sie beschränkt.
Temporal: Zeit und Raum werden gemeinsam von der PatientIn und von der TherapeutIn geschaffen. Die TherapeutIn passt sich an die Raum-Zeit der PatientIn an und verändert sie (durch den Aufbau gemeinsamer Erfahrung). Je fragiler der Hintergrund der PatientIn ist (und je größer dadurch ihr Leiden ist), desto mehr Verantwortung muss die TherapeutIn für die Bildung und Bewahrung der Raum-Zeit-Koordinaten der Beziehung übernehmen (Spagnuolo Lobb 2003a; Francesetti 2011). Die Zeit ist eine Komponente des/der Dritten. Sie verwurzelt und platziert die Beziehung in einer Geschichte und erstellt auf diese Weise ein Narrativ, das den Brückenschlag zum/zur Anderen ermöglicht. Im Grunde genommen kann ein Subjekt nur insofern Subjekt sein, als es Subjekt einer Geschichte ist. Zeit und Realität sind miteinander verbunden (Salonia 1992; Maldiney 2007). Die Beziehung verleiht der Zeit Bedeutung, doch umgekehrt verleiht auch die Zeit der Beziehung Bedeutung. Aus diesem Grund ist es möglich, eine zeitlich begrenzte Pathologie wie z. B. eine Stimmungserkrankung durch die Beziehung zu heilen (und sie nicht nur phänomenologisch zu verstehen).
Ganzheitlich: Das Leiden ist nicht nur geistiger Natur. Das Leiden der Beziehung wird vom Subjekt als Ganzes und durch sein Erleben wahrgenommen, das immer körperlich ist. Die Geist/Körper-Dichotomie ist eine neurotische Spaltung (Perls / Hefferline / Goodman 2006; Kepner 1993; Frank 2001; Salonia 1986; Spagnuolo Lobb 2004b). Außerdem ist das Leiden immer an der Kontaktgrenze phänomenologisch erkennbar, wo belebte Körper entstehen: Die Zwischenleiblichkeit ist die Dimension, in der sich das Leiden zeigt und wo man ihm begegnen und es heilen kann (Merleau-Ponty 1945; Salonia 2008a; Frank 2001).
Kreativitätsorientiert: Das Leiden einer Beziehung ist das Ergebnis von kreativen Anpassungen in einem schwierigen Feld. Ursprüngliche Kreativität kann verloren gegangen und zu einer fixierten Gestalt geworden sein. Trotz allem kann es sein, dass sie dem Leben des Menschen immer noch eine positive Bedeutung verleiht (Perls / Hefferline / Goodman 1994; Zinker 1978; Spagnuolo Lobb 1990, 2003b, 2005a). Dies wird bei der neurotischen Anpassung deutlich, bei der eine kreative Anpassung an irgendeinem Punkt im Leben eines Menschen zu einer reduzierten Anwesenheit an der Kontaktgrenze führt. Das psychotische Erleben ist anderer Natur. Eine Psychose ist der Ausdruck eines Mangels an Hintergrund. Hier ist es nicht das Ziel, die Bewusstheit für gestörten Kontakt wiederherzustellen und dadurch zu integrieren, mit dem Ergebnis, dass die Möglichkeit zu neuen kreativen Anpassungen wiederhergestellt wird: Vielmehr ist es hier die Aufgabe der therapeutischen Beziehung, einen Hintergrund zu schaffen, der bisher nicht existiert (Spagnuolo Lobb 2003a; Salonia 2001a; Conte 2001).14
Situationsbezogen: Das Leiden wird immer von der jeweiligen Situation bestimmt und entsteht aus dem Kontext heraus. Die Situation definiert die Psychopathologie nicht nur: Sie ist wesentlich an der Entstehung einer Psychopathologie beteiligt oder hilft, einen Menschen davor zu schützen (Robine 2011; Salonia 2007b; Gecele / Francesetti 2007). Beispielhaft dafür ist das berühmte Stanford-Gefängnis-Experiment (Zimbardo 2008).15 Es ist kontextabhängig, ob sich eine Art von Leiden (zum Beispiel ein narzisstisches Leiden oder Panikattacken) in selten auftretenden und isolierten oder endemischen und normalen Symptomen zeigt: Es kann geschätzt und belohnt werden oder es kann dem Menschen, der daran leidet, zum Nachteil gereichen. Salonia hat beobachtet, dass alle sozialen Kontexte das Entstehen eines »grundlegenden Beziehungsmodells« fördern, das in bestimmten historischen und kulturellen Umgebungen unterstützt und belohnt wird und das in diesem Kontext zur Beziehungsnorm wird (Salonia 2007b, 2008b).
Entwicklungs- und auf das Nächste hin orientiert: Jedes Leiden hat eine Geschichte, die den Schlüssel zu seiner Bedeutung enthält. Das Symptom ist die Spur, die die Vergangenheit im gegenwärtigen Beziehungsmodell im Hier und Jetzt hinterlassen hat. Von diesen Spuren haben besonders jene Gewicht für die Entwicklung des Selbst und damit für die Schwere der Störung, die in der frühen Kindheit hinterlassen wurden (Pine 1985; Salonia 1989b, 2001a; Stern 1985; Wheeler / McConville 2002, Spagnuolo Lobb 2003a; Righetti 2005; Mione / Conte 2004). Es gibt viele Ansätze, die versuchen, Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Kindesentwicklung mit der Gestalttherapie zu verknüpfen (Salonia 1989b, 2001a; Frank 2001; Wheeler / McConville 2002; Spagnuolo Lobb 2011a). Dabei konzentrieren sie sich auf die Frage, wie die Fähigkeit der Kontaktnahme erworben oder nicht erworben wird. Nicht erworbene Fähigkeiten tauchen in der Therapie als Bedürfnis nach einem bestimmten und neuen Kontakterleben auf. Dies ist das Beziehungsbedürfnis, das die PatientIn in der Therapie stillen oder dessen sie sich bewusst werden und das sie anerkennen will. Dies ist ihre gestörte Kontaktintentionalität und gleichzeitig ist es ihre Geschichte und ihr nächster Schritt. Jedes Leiden hat sein Beziehungs-»Nächstes«, an dem es sich orientiert und das seine Bedeutung ans Licht bringt (Polster / Polster 1973; Salonia 1989c, 1992; Spagnuolo Lobb 2007c, 2008b). In ihrer Hilfestellung lässt sich die TherapeutIn von dieser grundlegenden Frage leiten: »Auf welches Beziehungserleben steuert die PatientIn zu?« Die Antwort auf diese Frage zeigt die Richtung der Therapie an. Beispielsweise trägt das narzisstische Leiden einen bedürftigen Anteil mit sich, der in der Vergangenheit in keiner Beziehung zum Ausdruck gebracht werden konnte. Im Kontakt wird dieser Anteil versteckt und ist von Scham überlagert – das »Nächste« in der therapeutischen Beziehung besteht darin, Bedingungen zu schaffen, unter denen dieser Anteil als Beziehungsbedürfnis hervortreten kann.
Ästhetisch: Das Kriterium, an dem gemessen wird, was gesund und was ungesund ist, ist beziehungsimmanent (siehe oben). Es ist ein ästhetisches Kriterium: Gesundheit bedeutet die Fähigkeit, eine Kontaktfigur zu schaffen, die elegant, hell, rhythmisch und harmonisch ist (Perls / Hefferline / Goodman 2006; Bloom 2003; Spagnuolo Lobb 2007c, 2007a; Robine 2006b). Man braucht keine externen Evaluationsmethoden, die auf einem Vergleich zwischen dem Geschehen und einer externen Norm als Bezugspunkt basieren (Perls / Hefferline / Goodman 2006): Es ist die ästhetische Schönheit der Kontaktnahme, die der TherapeutIn als Richtschnur dient. Die TherapeutIn achtet fortlaufend auf die Kontaktqualitäten und passt ihre Anwesenheit an der Kontaktgrenze kreativ an: Dies bildet die Einheit des diagnostischen und des therapeutischen Handelns (Perls / Hefferline / Goodman 2006; Bloom 2003). Indem sie die Spuren von Intentionalität und den Verlust der Spontaneität wahrnimmt, positioniert sich die TherapeutIn neu in der Beziehung, an deren Erschaffung und Heilung sie in jedem Moment beteiligt ist.
Dimensional statt kategorial: Der kategoriale Ansatz definiert eigenständige, strikt voneinander getrennte Kategorien, die als objektive Identität gegenüber pathologischen Situationen oder Individuen fungieren. Der dimensionale Ansatz unterscheidet sich von dieser Herangehensweise, indem er Leidensphänomene als sich in einem Kontinuum befindliche Größen betrachtet. In diesem Kontinuum gibt es keine klaren Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit (APA 1994; Barron 1998). Alle Erfahrungen und alle Beziehungen sind mehrdimensional. Je nach Lebensmomenten und -situationen kann jeder Mensch eine narzisstische, Borderline-, depressive, süchtige, psychotische oder andere Dimension haben. Pathologie ist also kein klar definiertes Gebilde, das sich von einem gesunden Spektrum abgrenzen ließe. Menschen, die Hilfe suchen, sehen sich mit denselben existenziellen Themen konfrontiert wie wir alle – Liebe, Einsamkeit, Zeit, Tod. Der Unterschied liegt in der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, sich die nötige Unterstützung nutzbar zu machen, um sein Leben zu meistern. Ein dimensionaler Ansatz kann in eine Perspektive integriert werden, die mit Schwellen für jede der verschiedenen Dimensionen arbeitet (Cancrini 2006). Von diesem Standpunkt aus kann sich zum Beispiel, abhängig von den Umständen, bei allen Individuen ein Borderline-Erleben manifestieren. Was bei den Menschen unterschiedlich ist, ist die Schwelle, bei der ein solches Erleben eintritt. Bei manchen Menschen ist diese Schwelle niedriger als bei anderen, sodass sich bei ihnen ein derartiges Erleben leichter manifestiert. Es kann also in jeder Situation oder Beziehung Borderline-, narzisstisches, psychotisches und anderes Erleben eintreten. In bestimmten historischen und sozialen Umständen wird eine bestimmte Art des Erlebens die Norm. Beispiele hierfür sind unter anderem das Borderline-Verhalten während der Französischen Revolution (Cancrini 2006) oder der narzisstische Trend der letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts (Lasch 1978). Diese Perspektive lässt sich optimal mit dem Konzept des »grundlegenden Beziehungsmodells« verbinden, das Giovanni Salonia eingeführt hat (Salonia 2007a, 2008b).